Missverständnisse vermeiden und Frust reduzieren

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Missverständnisse vermeiden und Frust reduzieren
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Mittwoch, 02. Mai 2012
Interlaken | 30. April 2012
Missverständnisse vermeiden und Frust reduzieren
Kulturverständnisseminar von Interlaken Tourismus
Die Zahl der Gäste aus den Golfstaaten und Indien auf dem Bödeli nimmt
jährlich zu. Ein Seminar von Interlaken Tourismus für die lokalen
Tourismusbranchen hatte zum Ziel, Missverständnisse zu vermeiden und Frust
zu reduzieren.
Beitrag zum Kulturverständnis (vlnr): TOI-Direktor Stefan Otz mit den
Referenten und Experten Regi Wittwer, Karin Linnekogel und Stefan Ryser.
Foto: Pascal Kupper
Wie lassen sich Missverständnisse vermeiden, Frustrationen reduzieren und eine
erfolgreiche Zusammenarbeit gestalten? Zur Beantwortung solcher Fragen führte
Interlaken Tourismus zwei Kulturverständnisseminare mit dem Titel «Gäste richtig
verstehen – und begeistern» im Hotel Metropole in Interlaken durch. Das Interesse
war gross, wie sich am zweiten Seminar anhand der rund 180 Gäste aus
verschiedenen Tourismusbereichen sowie Privatpersonen zeigte. Den Grund für
das Informationsbedürfnis zeigte Stefan Otz, Direktor der Tourismusorganisation
Interlaken (TOI), auf: Von 2007 bis 2011 haben die Übernachtungszahlen von
indischen Gästen um 52,65 Prozent auf insgesamt 60'608 Übernachtungen
zugenommen. Noch grösser ist die Zunahme der Gästezahl aus den Golfstaaten:
Sie ist im selben Zeitraum um 157,39 Prozent auf 39'504 Übernachtungen
gestiegen. «Es mögen weniger Engländer oder Deutsche nach Interlaken kommen
– aus den Boomstaaten wie Indien oder den Golfstaaten werden in den nächsten
Jahren immer noch viele Touristen hierher reisen. Das ist eine grosse Chance für
uns, davon profitiert die ganze Wertschöpfungskette», sagte Stefan Otz.
Bevölkerungsreiches Indien
Regi Wittwer kennt die indischen Gepflogenheiten dank über 40 Reisen auf den
Subkontinent. Vier Jahre lang arbeitete sie als Marktverantwortliche für Indien und
die Golfstaaten für Schweiz Tourismus. Vor sieben Jahren gründete sie die Firma
Crossworld Tourism, mit der sie unter anderem die Tourismusorganisation
Interlaken (TOI) während sechs Jahren erfolgreich im indischen Markt vertrat. Die
Expertin stellte das mit 1,2 Milliarden Einwohnern riesige Land vor, das zu den Top
-Ten-Industrienationen der Welt gehört und ein jährliches Wirtschaftswachstum
von 8 bis 10 Prozent aufweist. «Inder sind bereit alles zu geben, um den
Wohlstand des Westens zu erreichen», erklärte Regi Wittwer. Rund 300 Millionen
Inder können sich heute Ferien im Ausland leisten. Auf der anderen Seite stehen
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die sozialen Probleme – unter anderem Armut, Unterernährung und
Analphabetismus.
Gruppen- und Individualreisende
«Die Schweiz ist für die Inder das Traumland schlechthin, das Märchenland der
heilen Welt», so Wittwer. Ein grosses Verdienst an diesem Image hat Bollywood –
die grösste Filmindustrie der Welt: Sie vermittelt eine heile, romantische Welt und
unverdorbene Naturlandschaften. Indische Filmproduzenten entdeckten während
dem Zweiten Weltkrieg die Ähnlichkeit der Schweizer Natur zu Kaschmir und
begannen in der Schweiz zu drehen. Nicht zuletzt deshalb wollen indische
Touristen das Land einmal mit eigenen Augen gesehen haben. Wittwer
charakterisierte die Gruppenreisenden als eher scheu, unter Zeitdruck und
reiseunerfahren. «Sie gehen davon aus, dass hier alles so funktioniert wie in
Indien.» Ganz anders der indische Individualtourist, der gerne auch mal
kulinarische Stilrichtungen ausprobiert und überdurchschnittlich viel Geld ausgibt.
«Essen, Kino und Shopping gehören zu den beliebtesten Freizeitaktivitäten bei
Indern», erklärte Wittwer.
Die Golfstaaten
Karin Linnekogel, Geschäftsführerin von Beatenberg Tourismus, hat ihre
Kenntnisse über die Golfstaaten als Productmanagerin, Reiseleiterin und Flight
Attendant erworben. Mit Stefan Ryser, Marketmanager und Marketingleiter der
TOI, stellte sie die Bevölkerung und Kultur des Staatenbunds Gulf Cooperation
Council (GCC) vor. Dieser setzt sich aus Saudi Arabien, Kuwait, Vereinigte
Arabische Emirate, Katar, Oman und Bahrain zusammen. Die Staaten verzeichnen
seit 1960 ein rasantes Bevölkerungswachstum, Dubai noch heute jährlich 20
Prozent. «In den Golfstaaten gibt es schnell wachsende Wirtschaftsregionen»,
erklärte Linnekogel. Soziale Probleme wie etwa die Schere zwischen Arm und
Reich sind gross. Auch der Unterschied zwischen Mann und Frau ist in Saudi
Arabien nach wie vor gross. Die grösste kulturelle Diskrepanz besteht zwischen
Saudi Arabien und den übrigen GCC-Staaten, wo freiere Regeln gelten – etwa in
Bezug auf Verhalten, Medien oder Gastgewerbe. Auch sind ausser in Saudi Arabien
keine grundsätzlichen Kleidervorschriften vorgegeben. Der Islam schreibt fixe
Gebetszeiten vor, die für Interlaken unter www.islamicfinder.org aufgelistet sind.
Regeln brechen
Wegen der Sicherheit und der grünen Landschaft kommen Araber gerne in die
Schweiz. «Sind Araber ausser Landes, brechen sie gerne Mal die einengenden
Regeln», erklärte Linnekogel. «Seien Sie also nicht erstaunt, wenn hier diskret
nach Nightclubs und Alkohol gefragt wird.» Aufgrund der Religion sind besondere
Essensvorschriften zu beachten. «Die Grundregeln: Kein Schweinefleisch,
allgemein kein blutiges Fleisch und kein Alkohol.» Das geschächtete Halal-Fleisch
wird von der Religion vorgeschrieben, kann aber auf Reisen etwas gelockert
werden. Oft wird aber auf Reisen vegetarisch gegessen. Bei den von Arabern
geliebten süssen Desserts sei darauf zu achten, dass keine Pralinen mit Alkohol
angeboten werden. Wie bei den Indern gehört zudem auch das Einkaufen zur
beliebten Freizeitbeschäftigung. Auch Araber mögen eine grosse Auswahl, möchten
alles wissen und kaufen gerne Markenartikel.»
Tipps zum Umgang mit Indern
– Direktes Ansprechen und ein Small-Talk-Gespräch helfen dabei, Barrieren
abzubauen. Inder möchten nicht aufdringlich erscheinen und wagen oft nicht,
den ersten Schritt zu machen. Beziehungen sind ihnen aber wichtig.
– Das Gefühl, besonders willkommen zu sein, schätzen indische Gäste. Eine
persönliche Begrüssung durch den Hoteldirektor oder einen Manager ist
empfehlenswert.
– Sowohl im Geschäfts- wie im Privatleben tauschen Inder Visitenkarten aus.
– Ein direktes «Nein» wird oft als Zurückweisung empfunden – besser sind
alternative Angebote.
– Inder aus oberen Schichten sind sich gewohnt, viele Aufgaben nicht
übernehmen zu müssen. Es sollten ihnen viele Dienstleistungen angeboten
werden. Warum gewisse Leistungen nicht möglich sind, sollte man erklären.
– Das Handeln und Feilschen gehört für den Inder zum Einkauferlebnis dazu.
Man sollte erklären, dass Preise hier fix sind und verschiedene Alternativen
anbieten. Wichtig ist vor allem das Gespräch.
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– Inder sind sich Beratung gewohnt, und dass ihnen eine vielseitige Auswahl
gezeigt wird. Diesen Aufwand zu betreiben lohnt sich.
– Wasser ist in Indien sehr günstig oder sogar gratis. Ein kostenloser Krug
Wasser ohne Kohlensäure beeinträchtigt die Bestellung für andere Getränke
nicht.
– Neben Wasser trinken Inder auch sehr viel Tee. Ein Wasserkocher und einige
Teebeutel Instant Kaffee und Zucker gehören heute zum internationalen
Standard in Hotels und tragen zur Zufriedenheit der Gäste bei.
– Inder sind oft laut, weil sie bei 1,2 Milliarden Einwohnern untergehen, wenn
sie nicht auf sich aufmerksam machen. Wenn die Lautstärke als störend
empfunden wird, darf man sie freundlich darauf hinweisen.
– Ein Lächeln wirkt Wunder und öffnet Schranken. (pd/red)
Tipps zum Umgang mit Arabern
– Sich nach dem persönlichen Empfinden und jenem der Familie und der
Kinder zu erkundigen, eignet sich dafür, ein Gespräch zu beginnen (zum
Beispiel zu fragen, wie es den arabischen Gästen gefällt, wo sie waren und was
den Kindern Spass gemacht hat).
– Es empfiehlt sich, über den Mann zu kommunizieren. Männer werden oft
bevorzugt behandelt und zuerst bedient. Frauen sollten zu arabischen Männern
Abstand halten, da sie sonst als «Flittchen» abgestempelt werden können.
– Ein direktes «Nein» beleidigt Araber – indirektes Kommunizieren ist wichtig.
Wenn es um klare Grenzen und Richtlinien geht, muss dies aber in klaren
Worten ausgedrückt werden – das wird von Arabern im Ausland akzeptiert.
– Direkter Augenkontakt bei Gesprächen ist meist unerwünscht. Daher kann es
passieren, dass das Gegenüber seinen Blick schweifen lässt oder sich mit
halbgeschlossenen Augen unterhält.
– Bei sitzenden Treffen sollte man beachten, dass Schuh- und Fusssohle nicht
gezeigt werden, denn dies ist verpönt.
– Mit politischen und religiösen Äusserungen sollte man sich generell
zurückhalten.
– In den arabischen Ländern laufen die Uhren langsamer – Pünktlichkeit ist
relativ. So können arabische Gäste später erscheinen, von Europäern wird
jedoch Pünktlichkeit erwartet.
– Arabische Gäste haben einen anderen Tagesrhythmus – meist werden sie am
Nachmittag und Abend aktiv. Dass die Bahn dann nicht mehr fährt und es
beschränkte Öffnungszeiten gibt, kann zu Unverständnis führen.
– Araber sind anspruchsvolle Gäste, sie wollen alles sehen und wissen und
erfordern viel Zeit und Geduld.
– Man sollte vorurteilsfrei und neutral auf arabische Gäste zugehen. (pd/red)
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Artikel Nr. 118352
30.04.2012, 20.36 Uhr
Autor/in: Pascal Kupper
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