FAUCH Nr. 14 (2012)
Transcription
FAUCH Nr. 14 (2012)
Ausgabe 14 November 2012 www.fau.ch Wertewandel in der Arbeitswelt Und mitten im Leben ändern plötzlich die Spielregeln fauch Die Zeitschrift des FAU – Fokus Arbeit Umfeld I n h a lt e d i t o r i a l Wertewandel in der Arbeitswelt 4 Die Arbeitsgesellschaft – ein Auslaufmodell? 6 Eigenverantwortung anstelle von Arbeitsplatzsicherheit 11 Frau, wohin gehst du? 14 Schöne Aussichten am Arbeitsplatz 23 Technologie, Vertrauen und Flexibilität im Berufsalltag 26 Weniger ist mehr - Schutz vor dem digitalen Burnout 27 LOHAS – Das ICH zwischen Kaufkraft und Ökologie 28 Laptop, Laptop in der Hand – welche Mode gibt’s im Land? 30 «Wertewandel ist für mich... » Spurensuche 32 «WoW» - Globale HochleistungsSpielkultur 34 Und mitten im Leben ändern plötzlich die Spielregeln Daily Business im FAU 37 «Wandel als Selbstzweck ist nicht notwendig» Projekte Teilnehmende 38 Nachhaltig einkaufen in der Stadt Bern 39 Die interkulturelle Kommunikation im Berufsalltag 40 «Sie sind ein Profi, das sehe ich... » 41 Belastbarkeit im Arbeitsalltag testen 42 Gesehen, Gelesen, Gehört Impressum Herausgeber FAU - Fokus Arbeit Umfeld Kernstrasse 57, 8004 Zürich Telefon 044 454 70 40 [email protected], www.fau.ch ISSN 1661-4755 Chefredaktion Hedy Bühlmann Redaktion+Koordination Hedy Bühlmann, Sonja Sanders, Christiane Willemeit Beiträge Johannes Beuerle, Hedy Bühl- mann, Ursula Ganz-Blättler, Silvia Da Silva, Patrick Dreher, Jie Gong Roth, Peter Holliger, Urs Manz, Urs Odermatt, Heidi Rebsamen, Ruth Rutz-Stirnimann, Sonja Sanders, Hans Stricker, Christiane Willemeit, Petra Zillig Fotografie Ute Auer, Simone Gloor, Adrian Liebe fauch-Leserinnen liebe fauch-Leser Wir alle sind von Werten und Haltungen geprägt, die wir als Kinder zuhause, in der Schule, am Arbeitsplatz und von Freunden mitbekommen haben. Werte und persönliche Haltungen machen zwar das Individuum aus, aber manchmal verlangt die Situation, diese zu überdenken und neu zu ordnen. Gerade in einer digitalisierten, immer schneller werdenden Arbeitswelt, die von Flexibilisierung, Technologie und Globalisie-rung orchestriert wird. Ändern sich die gesellschaftlichen Rahmen bedingungen, wandeln sich auch die Wertehaltungen in der Bevölkerung. So verknüpft die Babyboomer-Generation – zwischen 1955 und 1965 geborene Arbeitnehmende – den Wert ihrer Arbeit in erster Linie mit Wohlstand und gesellschaftlicher Anerkennung. Die nachfolgende, zwischen 1965 und 1975 geborene, Golf-Generation, die ohne grosse materielle Sorgen heranwuchs, hat hingegen erfahren, was es heisst, den Arbeitsplatz ungefragt zu verlieren. Für die «Digital Natives» ab Jahrgang 1981 gelten wiederum Werte wie Flexibilität, Mobilität und Internationalisierung. Aufgewachsen in einer Zeit technologischer Entwicklungen, sind sie extrem vernetzt und technisch höchst versiert. In vir tuellen Welten fühlen sie sich zuhause und können Rekrutierungsplattformen im Netz optimal nutzen. Bei ihnen steht die sichere Arbeitsstelle in Konkurrenz mit einer herausfordernden Projektarbeit auf Zeit. In der aktuellen Rund-um-dieUhr-Gesellschaft sind sie sowohl für Arbeitgeber wie für Freunde jederzeit und überall verfügbar. Auf dem aktuellen Arbeitsmarkt treffen diese Generationen von Frauen und Männern aus verschiedenen Branchen, Funktionen und Arbeitskulturen zusammen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Um sich da bewegen zu können, sind nicht nur Wissen und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten bis hin zur Meisterschaft notwendig, sondern auch Offenheit und Bereitschaft für stetige Veränderungen und lebenslanges Lernen. «Flexibilität» heisst das Zauberwort. Wer da nicht mithalten kann und will, muss sich neu positionieren und seine persönliche Lebensqualität nach einem andern als dem Optimierungsmodell der Shareholder-Value-Wirtschaft definieren. Das fauch-Magazin 2012 macht den gesellschaftlichen Wertewandel in der rbeitswelt zum Thema. Den Trends zufolge befinden wir uns in der TransforA mationsphase zwischen Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft, in der Kontrol le und Hierarchie den Werten Kooperation, Eigenverantwortung und Vertrauen weichen. Was das konkret heisst, haben unsere Autorinnen und Autoren für Sie recherchiert. Lesen Sie im fauch nach, welche Werte die Arbeitswelt von morgen prägen. Moser, Marga Schuttenhelm, Claude Stahel, Martin Weiss, Gemeinde Köniz, Suva, ZVG Illustration Silvia Da Silva Cover Martin Weiss Hedy Bühlmann Korrektorat Sonja Sanders, Beat Zaugg Design/Grafik Anja Schulze Inserate Heidi Bolliger Michel, Roland Utiger Druck Stutz Druck AG, 8820 Wädenswil 2 fauch November 12 Auflage 2500 Exemplare Gedruckt auf Balance Pure (FSC Recycling) November 12 fauch 3 Zukunft der Arbeitsgesellschaft Zukunft der Arbeitsgesellschaft Arbeitsgesellschaft – ein Auslaufmodell? Schlüsselqualifikationen für die Zukunft. Programmierer, Hacker und Gamer mausern sich zur digitalen Avantgarde. Auf dem Arbeitsmarkt ist nichts mehr so wie früher: Globalisierung, Wettbewerbsintensität, Demografie- und Neue Produkte Die mikroelektronische Revolution wird auch eine Reihe neuer Produkte hervorbringen, welche die Offline- mit der Online-Welt verbinden. Verblüffende Prototypen von intelligenten Textilien werden bereits hergestellt. Zum Beispiel der Strampelanzug exmobay mit eingebauten Biosensoren der Firma Exmovere5. Wertewandel verändern die Arbeitswelt grundlegend. Als Trend ist nicht nur die Verlagerung der unternehmerischen Verantwortung auf den Arbeitnehmenden auszumachen, sondern auch die schwächer werdende Trennung zwischen Arbeit und Freizeit. Denn auch die Freizeitaktivität entwickelt sich zu einer Quelle, um neue Arbeit zu finden. «Ein nachgiebiges Ich, eine Collage aus Fragmenten, die sich ständig wandelt – das sind die psychologischen Bedingungen.» T e x t h e i d i r e b s a m e n F oto m a r t i n w e i s s Als der deutsche Soziologe Ralf Dahrendorf 1980 meinte, der Arbeitsgesellschaft gehe die Arbeit aus, konnte er nicht wissen, dass er die Zukunft der Erwerbsarbeit so falsch nicht eingeschätzt hatte. Entwicklungen beanspruchen jedoch ihre Zeit, und sie entfalten sich oft anders als gedacht. Gemäss Dahrendorf bezeichnet der Begriff «Arbeitsgesellschaft» den Charakter der westlichindustriellen Gesellschaft, in der sich Werte (Grundhaltungen) und Normen (Regeln) grundlegend an der industriellen Erwerbsarbeit orientieren. Es herrscht Vollbeschäftigung, Arbeiter und Arbei terinnen bleiben oft ein Leben lang im gleichen Betrieb, Arbeitsund Freizeit sind klar getrennt. Die Lebensrisiken werden mit sozialstaatlichen Leistungen abgefedert, und der Lohn reicht, um eine Familie zu ernähren. Wer keiner Lohnarbeit nachgeht, ist in dieser Gesellschaft nicht viel wert. Die Diskussionen rund um Dahrendorfs Thesen wurden in den 90er Jahren fortgesetzt. Der französische Sozialphilosoph André Gorz rief sogar den Tod der Arbeitsgesellschaft aus. Dieses Sterben werde durch die aufkommende mikroelektronische Revolution herbeigeführt. Er sah in dieser Entwicklung aber auch die Chance, Die Zukunft wird IBM-Realität die Menschen von lästiger Arbeit zu Die Veränderungen der Arbeitswelt werden befreien. Viel Zeit für selbstbestimmdurch die Computer- und Kommunikations tes, freies Tun sollte die Zukunft vertechnologien beschleunigt. Dies zeigt sich heissen1. deutlich beim Software-Giganten IBM, der Rund 20 Jahre später scheint sich die bereits im Mai 2011 ein «Beschäftigungsmodell Auffassung durchgesetzt zu haben, der Zukunft» vorstellte. Mit dem Abbau von wonach die künftige Entwicklung am bis zu 8000 der 20 000 Arbeitsplätze in DeutschArbeitsmarkt von drei Megatrends g eland wird die Verlagerung von Arbeitsplätzen prägt sein wird: einer Verlagerung unan externe Dienstleister (Human Resources ternehmerischer Verantwortung und Outsourcing) konsequent fortgesetzt. Zukünftig soll eine Kernbelegschaft, die Strategien Risiken auf Arbeitnehmende, steigen bestimmt, erhalten bleiben. de fachliche Qualifikationsanforde Die Vorteile für den Arbeitgeber liegen auf rungen und ein Rückgang der erder Hand: Personalkosten können verringert werbstätigen Bevölkerung aufgrund und restriktive Arbeitsgesetzgebungen umgandes demografischen Wandels. gen werden. In einem globalen Pool bewirbt sich eine Vielzahl von Spezialisten um Projekt arbeit, und dies zu günstigen Konditionen. Der deutsche Ver.di-Gewerkschafter Lothar Schröder bezeichnet eine solche Zukunft als ein Horrorszenario, «bei dem die Freiberuflichkeit pervertiert wird». Quelle Der Spiegel, 6 / 2012 Individualisierung und Flexibilisierung Die Wissenschaftler, welche über die Zukunft der Arbeit forschen, sehen in erster Linie zwei massgebende Entwicklungen für die Zukunft. Der amerikanische Soziologe Richard Sennet spricht von einer Gesellschaft, die tendenziell zu einer Ansammlung miteinander konkurrierender Unternehmer wird. Künftige Arbeitnehmende seien einem erhöhten Mobilitätszwang ausgesetzt, Arbeitsplatzunsicherheit und technische Systeme verursachten einen permanenten Zwang zur Umqualifizierung. «Ein nachgiebiges Ich, eine Collage aus Fragmenten, die sich ständig wandelt, sich immer neuen Erfahrungen öffnet – das sind die psychologischen Bedingungen.»2 Neuer Typ Arbeitnehmer am zukünftigen Arbeitsplatz Der Personalentwickler und Präsident des Ethikverbandes deutscher Unternehmer, Ulf Posé, geht davon aus, dass der zukünftige Arbeitnehmer sich nur noch über den Beruf identifizieren wird und nicht mehr mit dem Unternehmen, das ihn b eschäftigt3. Die Erwerbstätigkeit der Zukunft geschieht fallweise. Dies bedeutet, dass die meisten Erwerbstätigen in P rojekten für verschiedene Firmen arbeiten. Die entscheidende Aufgabe wird sein, seine Netzwerke zu pflegen, denn in Netzwerken wird neue Erwerbs arbeit akquiriert. Diese Selbständigen werden die neue Elite der Arbeitswelt bilden, wogegen die gewerkschaftlich organisierten Industriearbeitenden ihre Macht stark einbüssen werden. Künftige «Programmierer, Hacker und Gamer mausern sich zur digitalen Avantgarde.» Georges Roos, Zukunftsforscher arrieren, in denen die Festanstellung zum Auslaufmodell wird, K sind eher fragmentiert. A rbeitsphasen werden durch Bildungsund Erholungsphasen und unfreiwillige Arbeitslosigkeit unterbrochen. Die künftige Arbeitnehmerin muss über eine Anzahl verschiedener Qualifikationen und Befähigungen verfügen, die sie dazu einsetzen kann, um sich während des Verlaufs des Arbeitslebens zwischen verschiedenen Jobs und – auch familiär bedingten – Lebensphasen hin und her zu bewegen. Büros verwandeln sich, für die Besprechung von Projektfortschritten oder um Kollegen und Kolleginnen zu treffen, in Kommunikationszentren. Die meiste Zeit wird von zu Hause aus gearbeitet. Richard Sennet, Soziologe Diese messen den Herzschlag, den emotionalen Zustand und das Verhalten des Babys und können diese Daten via Wireless-Netzwerk auf das Handy der Eltern übertragen. Ein solcher Strampelanzug richtet sich besonders an unerfahrene Eltern, welche im Umgang mit «Baby-Kommunikation» verunsichert sind. Eine solche Entwicklung der Arbeitswelt wird zwangsläufig Auswirkungen auf die Architektur und Städteplanung haben. Die Raumaufteilung künftiger Häuser muss flexibel h andhabbar sein, um je nach Situation rasch Wohnungen oder Besprechungsräume einzurichten. Neue Berufe und Berufstypen Die Arbeitsfelder werden sich ebenfalls wandeln. Nun ist dies ja keine neue Erfahrung, die Geschichte ist voll von Tätigkeiten, die kommen und gehen. Dies zeigt exemplarisch der Beruf des Schriftsetzers auf, der sich in den letzten 40 Jahren durch technologische Fortschritte hin zum Polygraph entwickelte und dabei mindestens zwei Berufe zum Verschwinden brachte. Die spannende Frage ist aber, welche neuen Betätigungen es geben wird und welche verschwinden werden. Nicht selten findet auch eine Umdeutung von bereits bestehenden Tätigkeiten statt, wie das Beispiel des Nerds aufzeigt. Der Nerd ist der Inbegriff des Digital Native, der sich von kalter Pizza ernährende, fettleibige, hinter dem Computer verschanzende, kommunikationsgestörte, junge Mann. Der Luzerner Zukunftsforscher Georges Roos meint, dass der Nerd heute für soziale Vernetzung per Mausklick, Intelligenz und Ironie steht. Die negativ konnotierte Bezeichnung Nerd mausere sich zur Auszeichnung. Denn sie sind die Einzigen, w elche die komplexen Systeme hinter den benutzerfreundlichen Oberflächen noch verstehen4 und verfügen damit also über entscheidende Die Arbeitsgesellschaft ist ein Auslaufmodell Nicht mehr die am Arbeitsplatz verbrachte Zeit, sondern das Arbeitsergebnis wird das Kriterium für die Entlohnung werden. Kommunizieren und Netzwerke pflegen werden entscheidende Kompetenzen sein, um an interessante Arbeit heranzukommen. Das sogenannte Normalarbeitsverhältnis, die unbefristete, sozial abgesicherte, gut entlohnte Tätigkeit, wird zum Ausnahmefall. Die Arbeitsgesellschaft hat definitiv keine Zukunft mehr, denn der Begriff umschreibt eine Gesellschaft, in welcher die industrielle Produktionsweise vorherrschte. Die massenweise Produktion von Gütern wurde aber bereits in Billiglohnländer verlagert oder, was davon noch übrig geblieben ist, weitgehend automatisiert. Exemplarisch zeigt sich dies auf dem Gebiet der Mode. Die Herstellung von Stoffen und Kleidern wird seit den 70er Jahren ausgelagert; in der Schweiz werden nur noch Luxus- oder Spezialtextilien hergestellt. Nach wie vor geniesst die Erwerbsarbeit einen sehr hohen Stellenwert, allerdings muss die Tätigkeit erfüllend und sinnstiftend sein. Das subjektive Wohlbefinden wird mit grosser W ahrscheinlichkeit jedoch nicht mehr nur allein durch den Beruf bestimmt werden. Moderne Gesellschaften werden heute mit Begriffen wie Dienstleistungs-, Wissens-, Informations- oder Kommunikations gesellschaft beschrieben. Die Zukunft verspricht wohl einen Mix dieser vier Charaktermerkmale und damit eine spannende Herausforderung für Individuum und Gemeinschaft. Heidi Rebsamen ist Soziologin. Quellen [1] André Gorz: Enteignung und Wiederaneignung der Arbeit. In: Gewerkschaftliche Monatshefte Nr. 6/7 1998 [2] Sennett Richard: Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus. Berlin 1998 [3] Dirk Böttcher: Der Rohstoff Arbeit. In: brandeins 09/2009 [4] Georges T. Roos / Anaïs Hostettler: Lifestyle 202X. Versuch einer Zeitdiagnose. Luzern 2012 [5] www.exmobaby.exmovere.com November 12 fauch 5 W e r t e w a n d e l i n d e r A r b e i t s w e lt W e r t e w a n d e l i n d e r A r b e i t s w e lt Eigenverantwortung anstelle von Arbeitsplatzsicherheit Werte wie Fürsorge und Arbeitsplatzsicherheit haben definitiv ausgedient. Die Devise lautet vermehrte Eigenverantwortung und Flexibilität. Dies schreibt Dr. Martina Hubacher in der Studie «Die Werte in der Arbeitswelt von morgen». Der fauch wollte von der Psychologin wissen, was sich denn für die Arbeitnehmenden bis 2030 verändern wird. T e x t J i e G o n g R o t h F otos M a r t i n W e i s s Frau Hubacher, arbeiten Sie gerne? Ja, sehr. Ich fühle mich privilegiert, weil ich eine spannende und interessante Berufsarbeit habe. Es gibt natürlich Tätigkeiten, die ich am liebsten delegieren würde, Hausarbeit beispielsweise (lachend). Zudem engagiere ich mich auch politisch In meiner Wohngemeinde. Dr. Martina Hubacher Dr. Martina Hubacher (1960) ist Co-Leiterin der Studie «Die Werte in der Arbeitswelt von morgen». Die promovierte Psychologin war über zehn Jahre in Führungsfunktionen bei Grossunternehmen tätig. Seit 2000 arbeitet sie als Geschäftsführerin der adt zurich gmbh. [email protected] 6 fauch November 12 Was meinen Sie, sind Sie in 20 Jahren immer noch berufstätig? Die Studie «Die Werte in der Arbeitswelt von morgen» ist auf 2030 angelegt, da bin ich dann 70-jährig. Ja, zu diesem Zeitpunkt werde ich hoffentlich noch berufstätig sein, sofern ich das gesundheitlich auch kann. Möglicherweise wurde das Rentenalter bis dahin sogar erhöht. Vielleicht gehe ich dann vermehrt einer unbezahlten Arbeit nach, einer sinngebenden Arbeit, die Spass macht, einer Arbeit, bei der ich mich weiterentwickeln kann. Wenn Menschen etwas tun, das ihnen Freude bereitet und auch Nutzen für andere generiert, dann ist das für mich Arbeit. Sie sehen, ich verwende einen sehr weit gefassten Arbeitsbegriff. Können Sie uns konkret sagen, welche Tätigkeiten Sie in Ihrem Berufsalltag besonders gern tun? Die Durchführung von Assessments, also der diagnostische Teil innerhalb der Personalentwicklung, ist eine unserer Kernkompetenzen, und das tue ich besonders gern. Bei einem Assessment geht es um die Beurteilung und Auswahl von Führungskräften und Nachwuchskräften für Unternehmungen. Diese unterstützen wir bei der Kaderselektion, indem wir mögliche Kandidatinnen und Kandidaten während eines ganzen Tages bei verschiedenen Übungen und Interviews beobachten und beurteilen. Die von uns organisierten Settings – also Rollenspiele, Diskussionen und psychologische Testverfahren – sind möglichst realitätsnah an gelegt. Anschliessend ordnen wir unsere Beobachtungen und Bewertungen in einem Bericht für unsere Auftraggeber. Das Verfassen dieser Berichte ist eine Abwechslung zum Kontakt mit Menschen und gleichermassen anspruchsvoll. Die politische Arbeit verläuft nach demselben Muster, nur da stehe ich als Sozialvorständin und Gemeinderätin auf der ausführenden Seite. Ich habe unter anderem mit Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern zu tun, einer anderen Kundschaft; dabei wird mir immer wieder bewusst, welche grossen sozialen Unterschiede es in der Schweiz gibt. Sie beschäftigen sich mit dem Wandel in der Arbeitswelt. Aus Ihrer Sicht: Was hat sich denn geändert in den letzten 20 Jahren? Mir fällt vor allem auf, dass man früher noch an lineare Karrieren geglaubt hat. Diese stellte man sich wie folgt vor: Leute mit einer «Niemand kann in die Zukunft schauen. Die vier Szenarien stellen plausible Denkräume dar.» kaufmännischen Grundausbildung stiegen bis zum Bankdirektor auf. In der damaligen SBG, der jetzigen UBS, war das so noch möglich. Als Basis solcher langjährigen Karrieren galt nebst der Kompetenz die Firmentreue und beidseitige Loyalität von Unternehmer- und Arbeitnehmerseite her. Vor 15 Jahren passierte dann der jähe Wechsel, als zum ersten Mal in der Wirtschaft massiv Stellen abgebaut werden mussten. Der frühere Personalchef von ABB (ehemals BBC) kreierte damals den Spruch «Wir wollen eure Arbeit und sonst nichts», und die Wirtschaftszeitung «Cash» brachte dieses Zitat als Headline heraus. Diese Aussage kam einer Kündigung der Loyalität seitens der Arbeitgeber gegenüber den Arbeitnehmern gleich. Früher versprach der Arbeitgeber Fürsorge, langfristige Karriere, Betriebszugehörigkeit und Sicherheit, der Mitarbeiter im Gegenzug natürlich Treue. Wenn Sie sich jedoch heute in der Arbeitsumwelt umschauen, dann verlangen Arbeitgeber Leistungsbereitschaft, Flexibilität, Eigenverantwortung, Mobilität. Also heute in Zürich, morgen in Singapur oder in London. Über diese Werte haben sich Arbeit nehmer und Arbeitnehmerin emanzipiert. Diese schauen heute genau hin, was ihnen ein Arbeitgeber als Gegenleistung anbietet, und entscheiden, ob das für sie stimmt. Spannende Aufgaben, Entwicklungsmöglichkeiten und Herausforderungen stehen ganz oben auf der Wunschliste. Und bei Befragungen von Studenten und Studentinnen wurde festgestellt, dass diese vermehrt auf Vereinbarkeit von Familie und Beruf achten. Früher noch völlig undenkbar, sind heute Teilzeitstellen in vielen Funktionen sehr gefragt. Arbeitswerte sind eng mit den Wertvorstellungen der Menschen verbunden. Hat sich denn die Arbeitswelt aufgrund dieses Wertewandels verändert? Ja, der Wertewandel wird immer durch wirtschaftliche, ökologische und politische Gegebenheiten ausgelöst. Werte-Landschaften sind nicht stabil. Werte entwickeln sich und werden anders gewichtet. Das können Sie an Erziehungsfragen sehen, die nicht mehr mit denjenigen vor 20 Jahren vergleichbar sind. Gerade was die Ausgangszeiten angeht, ist Kommunikation zwischen Eltern und Kind enorm wichtig geworden. Der Ausgang fängt heute um 23 Uhr an. Früher musste man als Jugendlicher um 23 Uhr oder spätestens um Mitternacht zuhause sein. Heute ist Teilzeit nicht mehr nur ein Trend, sondern Realität geworden. Was ist der Grund? Heute haben wir gut ausgebildete Frauen, die auch mit Kindern weiterhin berufstätig sein wollen. Die Männer haben sich ebenfalls emanzipiert und wollen ihre Kinder nicht nur schlafend daheim antreffen, sondern auch miterziehen und sich einbringen. Der emanzipatorische Wandel ist sicher das eine, das andere ist November 12 fauch 7 W e r t e w a n d e l i n d e r A r b e i t s w e lt die Lust, zu reisen und sich weiterzuentwickeln. Sich beruflich weiterzubilden absorbiert eben auch Zeit, und vielfach sagen jüngere Leute, ich möchte mich nicht 100 Prozent für einen Arbeitgeber verpflichten. Ich glaube, dass wir aufgrund der sich verändernden Einstellung gegenüber Familie, Beruf und Arbeit in Hinsicht auf andere Bereiche wie Freizeit und Weiterbildungen bewusster geworden sind. Und das ist auch gut so. Was bedeuten nun all die Veränderungen in der Arbeitswelt für die Arbeitnehmenden? Sie bringen einerseits Verbesserungen mit sich, aber natürlich auch Gefahren. Als besser empfinde ich die Unabhängigkeit vom Ort, was Leben und Arbeiten näher zusammenbringt. Gleichzeitig besteht aber eben auch die Gefahr, dass man sich schlecht abgrenzen kann und meint, man müsse 24 Stunden erreichbar sein. Welche weiteren Veränderungen der Arbeitswelten sehen Sie in Zukunft? In der Schweiz haben sich die drei Wirtschaftssektoren in den vergangenen Jahren gewaltig verändert. Das Land wird sich auch weiterhin in Richtung Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft entwickeln. Die beiden anderen Sektoren Landwirtschaft und Industrie werden eher schrumpfen. Ein weiterer Megatrend ist im demografischen Wandel auszumachen. Die Menschen werden immer älter, sodass wir immer weniger Erwerbstätige haben. Dies wiederum wirkt sich ungünstig auf die Sozialversicherung aus, da diese nicht mehr im gleichen Mass wie heute finanziert werden kann. Dann Welche neuen Arbeitsmodelle gibt es denn neben Teilzeit und Homeoffice noch in der Zukunft? Da wäre die Lebensarbeitszeit zu nennen, die auch Teil des Balance-Szenarios ist. Dieses Modell umfasst das gesamte Leben, wobei die Arbeitszeit durch Familienphase oder Weiterbildungen unterbrochen werden kann. Ausserdem ist die Rede von Zeitgutschriften: Durch freiwillige Arbeit erarbeitet man sich Kredite in Form von Zeit, die man dann später wieder gegen eine Leistung von jemand anderem eintauschen kann. Grundsätzlich ist es denkbar, dass nicht alles monetär abgegolten wird, sondern sich der Tauschhandel wieder stark entwickelt. Es gibt ja schon Tausch börsen, an denen ich beispielsweise meine Berufskompetenzen einbringe und dafür die Dienste von jemandem in Anspruch nehmen kann, der zum Beispiel meine Steuererklärung ausfüllen kann. Das sind Modelle, die Zukunft haben werden und die anders, ausserhalb von traditionellen Strukturen, funktionieren werden. Die Menschen werden sich vermehrt selber organisieren. Sowieso ist es das Selbstorganisationsprinzip, das in Phasen zum Tragen kommt, in denen es nicht so rund läuft. «Es ist denkbar, dass nicht alles monetär abgegolten wird, sondern sich der Tauschhandel künftig wieder stark entwickelt.» sind die Leute heute auch besser ausgebildet, zudem nimmt der Verkehr durch die erhöhte Mobilität laufend zu. Das wiederum bringt zusätzliche Probleme mit sich: Die Züge werden immer voller, vielleicht so voll, dass sie nicht mehr betrieben werden können. Diese Entwicklung beeinflusst dann wiederum die Siedlungsplanungen. Man baut verdichtet, und die Arbeitsplätze befinden sich wieder dort, wo man lebt. Infolgedessen sinkt die Mobilität wieder. Ego, Clash, Balance und Bio Control Diese Themen haben wir vor 10, 15 Jahren auch diskutiert. Von mobiWie werden die Werte in der Arbeitswelt in len Arbeitsplätzen und «Home Office» zwanzig Jahren aussehen? Dieser Frage wird hiess es früher immer, das sei schwiein der von Dr. Martina Hubacher geleiteten rig, da man die Leute nicht kontrol Vertiefungsstudie «Die Werte in der Arbeitswelt lieren könne. Jetzt weiss die Arbeitvon morgen» nachgegangen. Die Autorin geht geberseite dieses Arbeitsmodell zu von den Grundszenarien Ego, Clash, Balance schätzen. Wo lässt es sich denn effiziund Bio Control aus. In diesen Szenarien werden die Werte der künftigen Arbeitswelt unterschiedenter arbeiten: zuhause in Ruhe oder lich beeinflusst: Zwei Szenarien gehen von in einem Grossraumbüro mit wecheinem günstigen Wachstum aus (Ego, Balance), selnden Arbeitsplätzen? Wenn ich zwei von ökonomischer Stagnation (Clash, Bio konzentriert Arbeit innerhalb der Control), zwei von einem EU-Beitritt (Clash, Wissensgesellschaft leisten möchte, Balance) und zwei von einem Alleingang (Ego, dann mache ich das vermehrt zuhauBio Control). Auch die Einwanderung variiert: se, was mit den Hilfsmitteln von heute Von sehr hoch (Ego), hoch (Balance), mittel kein Problem darstellt. Man ist dane(Clash) bis sehr tief (Bio Control). In Ego und ben durchwegs erreichbar, soweit Balance haben wir eine hoch qualifizierte, in schon, dass viele Leute bereits wieder Bio Control fast keine Einwanderung. Mühe haben, sich abzugrenzen. 8 W e r t e w a n d e l i n d e r A r b e i t s w e lt fauch November 12 Zu den vier Szenarien, die Sie in der Studie entwickelt haben: In welchem Szenario befinden wir uns denn heute? Die vier Szenarien stellen plausible, künstlich hergestellte Denkräume – sozusagen Schlussfolgerungen – dar. In der Realität werden sich diese Szenarien aber nicht eins zu eins abspielen. Wenn wir den Zeitpunkt von 2004 nehmen, da wurde die Studie erstmals durchgeführt, und mit 2011 vergleichen, lassen sich h eute einige Merkmale aus dem Ego- und Clash-Szenario aufzeigen. Und das starke Eingreifen des Staates kennzeichnet das Balanceund das Bio Control-Szenario. Wenn Sie in die Zukunft schauen: welches Szenario würden Sie sich wünschen? Ich wünsche mir eine Mischung aus Ego- und Balance-Szenario. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, das Ausgewogene und Harmonische gefällt mir gut. Gleichzeitig finde ich aber auch Wettbewerbsorientiertheit für die Entwicklung wichtig. Im Gegensatz dazu ist das Balance-Szenario, das vor allem auf Nachhaltigkeit setzt, etwas langweilig und verspricht weniger Innovation. Denn Innovation findet häufiger dort statt, wo etwas harzt oder kritisch ist. Die Entwicklung eines solchen Szenarios wird von kulturellen Faktoren beeinflusst. Wir befinden uns in einem von Wohlstand gesättigten Umfeld, in dem die Leute zusehends unter Druck geraten. China als Gegenbeispiel weist eine ganz andere Dynamik auf. Allgemein ist in den asiatischen Ländern eine sehr hohe Leistungskultur zu finden, gezeichnet von starkem Willen und hoher Disziplin. Sind diese zwei Szenarien realistisch für die Zukunft in der Schweiz? Niemand kann in die Zukunft schauen. Die Szenarien sind nicht gedacht, um die Zukunft voraus zu sagen, sondern sie sollen helfen, die Situationen früher zu erkennen und dann entsprechend politisch zu agieren. Ich freue mich immer wieder über unser «Der Wandel macht den Menschen Angst. Er ist zu schnell, zu flexibel. Das Volk kann diese Entwicklung ausbremsen.» emokratisches System. Aushandlungsprozesse verlangsamen d zwar das Tempo, aber das Volk reagiert auf Tendenzen, mit denen es unzufrieden ist unmittelbar. Nehmen Sie die Frühjahrsab stimmung im Kanton Zürich: die Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten – die den Weg in Richtung 24-Stunden-Gesellschaft weist - und die Steuerprivilegierung der Reichen wurden abgelehnt, die Kulturland-Initiative hingegen angenommen. Viele Aspekte des gesellschaftlichen Wandels machen den Menschen Angst, und dagegen sagen sie: das ist mir zu schnell, zu flexibel, zu gross. Die Stimme des Volkes kann ungesunde Entwicklungen ausbremsen. Wie können sich denn die Arbeitnehmer konkret auf die Arbeitswelt der Zukunft vorbereiten? Was heute schon wichtig ist und immer zentraler wird, ist die Investition in eine fundierte Aus- und Weiterbildung. Das betrifft vor allem junge Menschen und beinhaltet auch qualifiziertes Handwerk. Ein Wunsch wäre zudem, dass sich Arbeitgeberin wie Arbeitnehmer in personalpolitischen und innerbetrieblichen Diskussionen mit der Zukunft auseinandersetzen, Einfluss nehmen und in einen Dialog treten. Von Bedeutung ist auch, zu sagen, was man will und was nicht. Wenn einem die Familie wichtig ist, muss man auch Zeit in die Familie investieren und sie nicht nur als Hobby im Lebenslauf oder als Ausgleich nennen. Die Familie ist eine Aufgabe, eine Arbeit. Vielfach höre ich den Satz: ich bin offen für alles. Dagegen sage ich: wer offen ist für alles, ist nicht ganz dicht. Auf dem Arbeitsmarkt sucht man nicht diejenigen, die offen für alles sind – ich habe jedenfalls noch nie solche Inserate gesehen. Stattdessen sollte man sich überlegen: Was will ich? Was sind meine Kernkompetenzen? Was mache ich gern und was kann ich gut? Wo bin ich anschlussfähig? Welche Unternehmenskultur suche ich, und wo passe ich hin? Sich diese Fragen zu beantworten, das würde ich jedem empfehlen! Jie Gong Roth ist Sprachwissenschaftlerin und hat einen MBA. Wertewandel in der Schweiz 2030. Vier Szenarien Die 2011 neu aufgelegte Studie «Wertewandel in der Schweiz 2030. Vier Szenarien» setzte sich bereits 2004 mit der Zukunft des Werte wandels auseinander. Das Ego-Szenario steht für eine karriere orientierte Wettbewerbsgesellschaft, in der Selbstverwirklichung, Unverbindlichkeit und Individualismus den Werte-Kanon bestimmen. Die nachhaltige Gesellschaft im BalanceSzenario ist geprägt durch Entwicklung, Loyalität und Partizipation. Als Schreckensszenarien werden die anderen beiden beschrieben. In der Parallelgesellschaft des Clash-Szenarios finden sich Werte wie Identifikation, Konfor mitätsdruck und Solidarität in der Subkultur. Das Bio Control-Szenario beschreibt eine Angstgesellschaft, in der Tradition, Disziplin und Kontrolle wichtig sind. Die Studie kann zusammen mit der 2011 durchgeführten Vertiefungsstudie «Die Werte in der Arbeitswelt von morgen» unter [email protected] für 50 Franken bezogen werden. November 12 fauch 9 W e r t e w a n d e l d e r G e n e r at i o n e n R e d a k t i o n s p r a k t i k u m Journalistin/Journalist Fotografin/Fotograf (80–100 Prozent) Möchten Sie auf einer Print- oder Online-Redaktion arbeiten? Sehen Sie Ihre berufliche Zukunft in den Medien oder in der Kommunikation? Beim «arbeitsmarkt» schreiben oder fotografieren stellensuchende Medienschaffende zu Themen aus der Arbeitswelt. Die veröffentlichten Beiträge im Heft und im Internet erhöhen Ihre Chancen, eine Stelle zu finden. Frau, wohin gehst du? Die Arbeitswelt der Frauen hat sich innerhalb von drei Generationen mit ungeheurer Kraft verändert. Werte oder Wertemuster, nach denen sich eine Frau, die 1930 geboren wurde, gerichtet hat, www.derarbeitsmarkt.ch Kernstrasse 57 I 8004 Zürich I Telefon 044 295 11 33 sind radikal anders als jene einer Frau, die 1990 auf die Welt gekommen ist. Frauen mit Jahrgang 60 bewegen sich zwischen den beiden Welten. T e x t R u t h R u t z - S t i r n i m a n n F otos M a r g a S c h u t t e n h e l m Zukunftsforscher haben in der Studie «Wertewandel in der Schweiz», die alle zehn Jahre überarbeitet wird, die Werte-Szenarien bis ins Jahr 2030 vorgestellt. Im EGO-Szenario wird davon ausgegangen, dass die Schweiz in den nächsten Jahren einen Wohlstandszuwachs verzeichnen kann. Die Schweiz wird nicht der EU angegliedert sein, aber beste Beziehungen mit neuen und alten Wirtschaftsmächten pflegen. Der Fokus liegt im EGO- Szenario auf der Globalisierung und dem Wettbewerb sowie auf Informations- und Kommunikationstechnologien. Was heisst das für eine Frau, die 1990 geboren wurde? Wie wird sie sich in der Arbeitswelt 2030 bewegen? Wagen wir eine Zeit reise und rücken 18 Jahre vor: Ich und meine Mobilität Eine Frau startet ihren sprachgesteuerten Laptop und googelt sich selbst. Sofort geht es ihr gut. Über sich findet sie immer wieder neue Einträge und kann so ihre Schaffenskraft mit tausend anderen messen. Die Anzahl Freunde auf ihren stark frequentierten Social-Media-Konten ist beträchtlich gestiegen, seit sie ihren dritten, jetzt vergünstigten Sprachaufenthalt im asiatischen Raum 10 fauch November 12 hinter sich gebracht hat. Ebenfalls in die Höhe geschnellt sind die Besuche auf ihrem Blog. Am 14. Juni 2030 erhält die Frau exakt 90 E-Mails. Die meisten sind in englischer Sprache abgefasst und enthalten Gratulationswünsche zu ihrem 40. Geburtstag. Sie «Sobald sie einen Job hat, ist es durchaus möglich, dass sie ihn rasch wieder aufgibt. Zappen ist ihr Lebenselixier.» ist eine begehrte Kommunikationswissenschaftlerin und will jetzt Chefredaktorin bei einer internationalen Zeitung werden. Sie verfügt über die geforderten Qualifikationen und pflegt ein globales Netzwerk. Sobald sie diesen Job hat, ist es durchaus möglich, dass sie ihn rasch wieder aufgibt. Zappen ist ihr Lebenselixier. Mit dem Zappen hat die Frau bereits in der Grundschule begonnen. Arbeitgeber werden immer wieder gewechselt. Ebenso verhält es sich mit den Fachgebieten, den Weiterbildungen und den vielen Crashkursen, die sie dauernd absolviert. Krisenszenarien im Beruf gehören zum Alltag. Auch die Gründung eines eigenen Verlags, November 12 fauch 11 W e r t e w a n d e l d e r G e n e r at i o n e n der rasch Konkurs ging, beschäftigt sie nicht mehr. Es gilt der Grundsatz: Wer nicht schon einmal eine Firma an die Wand gefahren hat, ist risikoscheu. Selbstentfaltung gegen Pflicht Der Staat hat im EGO-Szenario auf Globalisierung und auf eigenständige Verantwortung gesetzt. Diesem Umstand sind sich die jungen Frauen im Jahr 2030 nicht wirklich bewusst, für die meis ten ist es selbstverständlich, dass sie auf Mandatsbasis zu ihren Aufträgen kommen. Es gilt gute Mandate zu erhalten und Konkur renten auszustechen. Durch Übung gelingt dies den Frauen meis tens. Sie verhandeln hart. Ihre Finanzen haben die jungen Frauen, wie auch ihre Altersvorsorge, an Institute delegiert. Seit die I ch-AGs aufgebaut wurden, ist viel Geld auf die Konti geflossen. Ich-AGs gelten als neue Arbeitsform wie Freelance und Homeworking. Kinder zu haben, ist für die meisten noch kein Thema. Einkäufe werden über das Netz getätigt. Nach wie vor ist frau mobil. Meist fahren die Frauen einen geleasten Wagen. Je älter sie werden, desto billiger wird für sie das Leasing. Die Autoindustrie hat den demografischen Wandel genau beobachtet. Für ihre Hauptkundschaft, die älteren Menschen, ist das Autofahren durch neue «Ihre Welt, ihr höchster Wert, ist der Kern ihrer Familie. Wenige konnten einen Beruf erlernen.» echnologien, aber auch in finanzieller Hinsicht immer einfacher T gemacht worden, Parkhilfen und Stoppsensoren inklusive. Die berufliche Tätigkeit wird oft im Zug, im Flugzeug oder im Café, manchmal auch an einem Strand geleistet. Die Arbeitgeber kontaktieren ihre Mitarbeiterinnen, wo immer sie sind, zu jeder 12 fauch November 12 W e r t e w a n d e l d e r G e n e r at i o n e n Tages- und Nachtzeit. Ein eigenes Büro oder einen festen Arbeitsplatz zu haben, ist ein alter Zopf. Ein Grossteil der Frauen lebt allein. Möglicherweise haben sie Nichten oder Neffen, die sich einer der Gruppierungen anschliessen, die aus der Occupy-Wall-StreetBewegung hervorgegangen sind. Denn die Werte können sich auch plötzlich wandeln. Dies ist der Sozialforschung im Zusammenhang mit der 86er-Bewegung aufgefallen, als plötzlich die Selbstentfaltungswerte der jungen Generation höher gewichtet wurden als die Pflichtwerte der älteren Generation. Rückblende Wenn wir einen Blick in den Alltag von Frauen werfen, die 1930 geboren wurden, stellen wir fest, dass für diese Generation völlig andere Werte oder Wertemuster zählten. Ihre Welt, ihr höchster Wert, ist der Kern ihrer Familie. Wenige konnten einen Beruf erlernen. Aus der Schule entlassen, mussten sie zum Unterhalt der Familie beitragen und die Eltern sowie die jüngeren Geschwister unterstützen. Ihren eigenen Kindern vermittelten sie Tugenden wie Ehrlichkeit, Treue und Bescheidenheit. Diese Mütter ermöglichten ihren Töchtern ganz bewusst eine gute Berufsausbildung. Reisen konnten jene Frauen kaum. Das Meer sahen sie – wenn überhaupt – erst nachdem sie über 40 Jahre alt waren. Die F ührung des Haushalts war mit körperlicher Anstrengung verbunden. Diese Frauen begannen die Hilfsmittel, die ihnen durch die Industrialisierung angeboten wurden, zu nutzen. Tiefkühlgeräte und Staubsauger erleichterten den Alltag. Einkäufe wurden in der nahen Umgebung gemacht, die Einkaufs eschrieben. zettel auf die Rückseite eines gebrauchten Papiers g Man ging sparsam mit allem um. Kleider wurden selbst genäht. Blumen holte man aus dem Garten, manchmal auch das Gemüse. Das soziale Engagement dieser Frauen war gross. Sie nahmen regen Anteil an der unmittelbaren Gemeinschaft. Zwischen den Welten Nach welchen Werten leben Frauen, die 1960 geboren wurden? Haben sie Werte oder Wertemuster, die sie mit ihren Töchtern oder ihren Müttern verbinden? Die heute 40- bis 50-jährigen Frauen verfügen über gute Ausbildungen und über Erfahrung im Erziehungs- und Haushaltsmanagement. Diese Frauen suchen nach anderen Werten, nachdem sie den Aufbau in den globa lisierten Arbeitsmarkt mitgemacht haben und sich auch mit den Social Media auskennen. Heute erklären diese Frauen, dass sie immer noch lieber eine Zeitung zur Hand nehmen und gedruckte Bücher lesen, als im Netz ihre Homepage zu aktualisieren, obwohl sie die Entwicklung der Informations- und Kommuni kationstechnologie mitgemacht haben. Nachdem sie Jahre für die Familienarbeit aufgewendet haben, integrierten sie sich wieder im Arbeitsmarkt und finanzierten ihre Weiterbildungen selbst. Aber sie kommen nicht weiter! In den Chefetagen sind Frauen immer noch in der Unterzahl. Drei Bundesrätinnen befürworten in diesem Zusammenhang eine Frauenquotenregelung. Die Politikerinnen haben erkannt, dass eine Quotenregelung viel Bewegung in die Arbeitswelt der Frauen bringen kann. Bundesrätin Doris Leuthard versucht den Frauen Mut zu machen und stellt fest, dass sich für verantwortungsvolle Jobs nur selten Frauen melden würden. Heute ziehen sich erfahrene Frauen oft aus der Arbeitswelt zurück, nachdem sie erleben, dass jüngere Männer und Frauen pfeilschnell an ihnen vorbei befördert werden. So als seien sie, die Erfahrenen, nicht vorhanden oder irgendwie beschränkt. Oder sie geben ihre Selbstständigkeit auf, weil zu viele Vorschriften ihnen das Leben schwer machen. Oder sie suchen sich eine einfach zu bewältigende Arbeit. Sie, die über so viel Erfahrung verfügen und ihre Töchter bis zur Tür der Universität begleitet haben? Viele Frauen in der Schweiz leisten Freiwilligenarbeit. Der Wirtschaft und dem Staat geht heute ein grosses Arsenal an Wissen verloren, wenn man sich nicht besser um die Menschen zwischen 40 und 50+ kümmert. «Es darf und kann doch nicht sein, dass eine hochqualifizierte Frau in diesem Alter keinen Job mehr findet»», so der verstorbene Luzerner Politiker Otto Ineichen. Die Lösung in Sichtweite? Auch die Versicherungsindustrie befasst sich mit dem Werte wandel. So tauchen auf dem Radar der Suva die Ich-AG und die 7/24-Verfügbarkeit auf. Aus Sicht der Suva ist bei neuen Arbeitsformen wie der Ich-AG zu befürchten, dass vermehrt psychische «Es darf und kann doch nicht sein, dass eine hochqualifizierte Frau in diesem Alter keinen Job mehr findet.» Stressfaktoren und tiefere Standards bei der Arbeitssicherheit auftauchen werden, da vermehrt an Orten gearbeitet wird, die nicht als Arbeitsfelder konzipiert sind. Somit ist die Work-Life-Balance gefährdet. Die Zukunftsforscher sprechen ebenfalls die Work-Life-Balance an. Im BALANCE-Szenario wird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessert, wie sich das heute wohl alle Frauen wünschen. Die Sozialwerte werden der demografischen Entwicklung angepasst. Die Schweiz wird zu einem Innovationszentrum, ist in der Forschung führend und hat sich erfolgreich in der EU integriert. Weiter wird im BALANCE-Szenario die Work-Life-Balance hochgehalten, was zu einer Wiederentdeckung des bürgerlichen Engagements führt. Für erfahrene, für ältere wie für junge Frauen in diesem Land ist das BALANCE-Szenario wahrlich ein grosser Wert. Ruth Rutz-Stirnimann ist Journalistin. November 12 fauch 13 Tempo Eigenverantwortung Foto: Marga Schuttenhelm Flexibilität Arbeitsort überall MobilitätDisziplin Home Office Stress Cloud Working Multitasking Smart Working Teilzeit Mandate auf Zeit Projektmanagement Dienstleistungen Informationstechnologien virtuelle Welten Effizienzsteigerung Globalisierung Schöne Aussichten am Arbeitsplatz ... Die Arbeitswelt verändert sich schnell, verlangt von den Arbeitnehmenden Tempo und das Vermögen, mit Druck umzugehen. Diese Entwicklung wirkt sich direkt auf den Menschen und sein Umfeld aus. Auch auf den Arbeitsort. Gearbeitet wird heute fast überall und immerzu, lokal und global. Einige Einsichten in die Wissensgesellschaft. Te x t Hedy Bühlmann Leistungsnachweis Risikobereitschaft Unsicherheit Wettbewerb Konkurrenz Wissensgesellschaft Technologisierung Prime Tower. Zürich hat seinen Büroturm. Einst Wahrzeichen für Macht, aufstrebende Produktivität und Urbani tät, heute Sinnbild einer Dienstleistungsgesellschaft. Die holländisch-amerikan i sche Stadtsoziologin Saskia Sassen nennt ihn «hässlich», ein «schimmerndes Bollwerk», «eine Festung, ohne Bezug zu den Menschen auf der Strasse». Für die Zürcher Stadtpräsidentin Corinne Mauch hingegen ist er identitätsstiftend und gibt dem Quartier Zürich West ein unverwechselbares Gesicht. Dazwischen liegen Welten ... Foto: Marga Schuttenhelm Arbeitsort überall Home Office ist Teil eines flexiblen und familienfreundlichen Arbeitsmodells, bei dem mindestens ein Tag pro Woche zu Home Office Hause gearbeitet wird. Wann, wie und fauch November 12 eigenverantwort- lich zu organisieren. Mit Kindern ist das natürlich eine zusätzliche Herausforde rung. Eine Studie der Universität St.Gallen schätzt das Potenzial auf 450‘000 Mitarbeitende in der Schweiz, die an einem Tag pro Woche daheim arbeiten könnten. Pendeln macht krank. Wer kennt sie nicht, die übervollen Bahnhöfe zu Stosszeiten. Der tägliche Stress, sich morgens und abends einen Sitzplatz zu ergattern – nach dem Gedränge auf den Perrons und Rolltreppen. Als Folge dann Magen-DarmProbleme, Schlafstörungen, Aggressivität oder Dünnhäutigkeit. Höchste Zeit, zu ü berprüfen, was flexible Arbeitszeiten bringen? Studien beweisen: Mitarbeitende sind seltener krank gemeldet, wenn sie wöchentlich einen Tag zuhause arbeiten. Foto: Martin Weiss 16 wo gilt es Pendeln macht krank Arbeitsort überall Arbeitsort überall Das Büro im Kopf Mobilität und Flexibilität heisst in der Zauberwort «24-Stunden-Verfügbarkeit». Die digitale R evolution vernetzten Arbeitswelt, jederzeit und hat die Grenzen zwischen Anspannung und Erholung nahezu überall produktiv zu sein. Auf dem Weg a ufgelöst. Die Welt nach der Arbeit gibt es nicht mehr eindeutig. ins Büro, während der Fahrt im Tram, Die Arbeitswelt vermischt sich mit dem Privatleben, auch beim Zug oder Flugzeug, dann im Büro und Wandern unter der Woche. anschliessend auf dem Weg nach H ause. Verrückt oder praktisch? Rund um die Uhr und den Globus haben wir Instrumente zur Hand, die uns vermeintlich grösstmögliche Flexi bilität verschaffen. Dabei übersehen wir eines: Wir kommen gar nicht mehr aus Foto: Ute Auer Grossraumbüros fördern die Kommunikation und die Transparenz u nter den Mitarbeitenden – alles kosteneffizient. So die Chef-Meinung. M itarbeitende hingegen klagen über Lärm, schlechte Luft und Enge, wie es in der Studie «Office in Motion» (2012) der Hochschule Luzern steht. Studienleiterin Sibylla Amstutz bringt es auf den Punkt: «Je mehr Menschen in einem Büro arbeiten, desto grösser ist die Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen.» Foto: Marga Schuttenhelm Grossraumbüros Foto: Ute Auer dem Büro raus. 24-Stunden-Verfügbarkeit arbeiten zu müssen im herkömmlichen Sinn, war einer der Treiber für die Roboter-Forschung. In Autoindustrie und Medizinaltechnik wird Roboter-Technologie längst erfolgreich eingesetzt. Roboter können heute Staub saugen, Schachzüge ausführen, Patien ten im Spital das Essen bringen ... Hat der Mensch bald ausgedient? Wohl kaum. Mitgefühl lässt sich nicht programmieren, es ist echt und eine wesentliche Grundlage für die menschliche Kommunikation. ... Fakt ist, dass der von den Architekten Annette Gigon und Mike Guyer konzipierte Prime Tower 36 Stockwerke zählt und eine Bürofläche von rund 40‘000 Quadrat metern aufweist. Im Geschäftsturm arbeiten rund 2000 Angestellte, unter Prime Tower Foto: Marga Schuttenhelm anderem bei Wirtschaftsprüfungsfirmen, Anwaltskanzleien und Finanzdienstleistern. Foto: Suva Menschenmaschine Arbeitsort überall Der Traum der Menschen, nicht mehr November 12 fauch 21 Vertrauensarbeitszeit Technologie, Vertrauen und Flexibilität im Berufsalltag Traditionelle Büroarbeitsplätze und starre Präsenzzeiten verschwinden aus dem Arbeitsalltag, der nun von Flexibilität und persönlicher Organisationsfreiheit bestimmt wird. Auch Microsoft setzt auf Vertrauen, Technologie und Selbstverantwortung ihrer Mitarbeitenden. Das fauch-Magazin hatte Einblick in ihr Arbeitsmodell. 22 fauch November 12 T e x t P e t r a Z i l l i g F otos M a r t i n W e i s s «Wissensarbeit produktiv zu machen, ist die grosse Management aufgabe dieses Jahrhunderts, so wie es die grosse Aufgabe des vergangenen Jahrhunderts war, manuelle Arbeit produktiv zu machen», sagt der US-amerikanische Ökonom Peter Ferdinand Drucker. Die Idee Druckers wollte Microsoft in die Tat umsetzen. Im Sommer 2011 hat das Unternehmen die Räumlichkeiten umgestaltet, um mehr Platz für «soziale» Arbeitsplätze zu gewinnen. Einzel büros gibt es keine mehr, und die Anzahl der Arbeitsplätze wurde um 40 Prozent reduziert. Dafür entstanden mehr Sitzungszimmer, Lounges und Arbeitsplätze in der Bibliothek, die als R uhezone fungiert. November 12 fauch 23 Vertrauensarbeitszeit Auf dem Briefkasten die individuelle Spur hinterlassen «Ich schätze es sehr, Arbeit, Studium und Freizeit unter einen Hut zu bringen.» Flavio Paladino, PR-Mitarbeiter in Teilzeit Jede Ecke des Gebäudes ein Arbeitsplatz Wie stellt man sich die Arbeitswelt mit Wohlfühloasen und freier Schreibtischwahl vor? Ist das eine Caipirinha-Lounge-Bar mit Internetanschluss und entspannendem Vogelgezwitscher? Oder eine flauschige Sofaecke als sozialer Treffpunkt? Ganz abwegig sind diese Ideen nicht. Im Microsoft-Gebäude existieren gemütliche Sofaecken zum Beisammensein und um sich auszutauschen. Um abzuschalten kann man an der Xbox eine Runde Autorennen fahren – genutzt wird dieses Angebot aber kaum. Wer sich im Gebäude aufhält, arbeitet an einem frei gewählten Schreibtisch, in der Lounge oder sitzt mit dem Team in einem der 64 frei wählbaren Meetingräume. Sitzungszimmer finden sich in allen Grössen: vom Kleinbüro für ein Einzelgespräch mit dem Kunden bis zu grossen Gruppenräumen. Technisch haben diese alles zu bieten, was auf einer HighTech-Wunschliste steht. Überall sind Vorrichtungen für Laptops oder Bildschirme für Videokonferenzen installiert, das Notebook kann problemlos in die Kaffeezone integriert werden. Ob an der schnittigen Bar oder in der gemütlichen Lounge, Arbeiten ist von jeder erdenklichen Ecke des Gebäudes her möglich. Wer sich in aller Ruhe an einem Schreibtisch auf das Projekt konzentrieren will, nistet sich am besten in der Bibliothek ein. Dort ist die redeund telefonfreie Zone. «Star Wars» lässt grüssen Die Innenausstattung des Gebäudes hat klare Linien und trägt einen futuristischen Schriftzug. Ein speziell gestalteter Raum, in dem ein langer, weisser Tisch mit integrierten Touchscreens steht, könnte stilmässig einem «Star Wars»-Film entsprungen sein. Was auffällt, ist, dass trotz Moderne die persönliche, individuelle Note auf der Strecke bleibt. Man findet wenig Bilder oder Pflanzen im Gebäude. Das Foto vom heiss geliebten Vierbeiner, Freund/in oder der mit viel Geduld selbst aufgezogene Bonsai bleiben aufgrund des frei wählbaren Schreibtisches zu Hause. Etwas Farbe bringen 24 fauch November 12 die persönlichen Schränke ein, die auf jedem Stock verteilt sind. Dort können die Mitarbeitenden ihre Habseligkeiten unterbringen. Jeder hat seinen Schrank individuell mit dem Namen beschriftet und auch sonst der Kreativität freien Lauf gelassen. Die Atmos phäre bei Microsoft scheint entspannt. Homeoffice ist beliebt Viele Mitarbeitende sind im Bürokomplex nicht anzutreffen, was darauf schliessen lässt, dass die Homeoffice-Möglichkeit rege genutzt wird. Diesen Eindruck bestätigt auch Barbara Josef, Pressesprecherin von Microsoft Schweiz: «Viele der Mitarbeitenden sind oft bei Kunden unterwegs oder nutzen die gegebene Homeoffice-Möglichkeit. Die Einzigen, die von dieser frei wählbaren Arbeitszeit nicht profitieren, sind die Rezeption und die Lernen den. Die Mehrheit bei Microsoft arbeitet im Bereich Marketing, Vertrieb, technischer Support, Verkauf und Kundenbetreuung. Diese Arbeiten lassen sich besonders gut mit unserem flexiblen System vereinbaren.» Auch Flavio Paladino, seit zwei Jahren bei Microsoft als PR-Mitarbeiter in Teilzeit tätig, kommt die freie Zeiteinteilung sehr entgegen, da er daneben noch studiert. «Ich kann Studium, Hobbys und Beruf meinen persönlichen Bedürfnissen anpassen. Arbeiten kann ich von zu Hause aus oder während meiner Zeit an der Universität problemlos erledigen. Aber ich verbringe auch gerne Arbeitszeit im Büro, denn ich schätze den sozialen Kontakt vor Ort. Ich erledige oft mehrmals am Tag Arbeiten für Microsoft, aber das Gefühl, dass ich mehr arbeite, als ich dies zu fixen Zeiten machen würde, habe ich nicht.» Ökologisch gutes Arbeitsmodell Im Jahr 2011 entschied Microsoft, die Büros umzugestalten, um anstelle eines Umzugs an einen grösseren Standort genügend Arbeitsplätze zu gewinnen. In den drei Monaten der Umbauphase mussten viele Mitarbeitende von zu Hause aus arbeiten. Das reine Homeoffice-Modell bedeutete einen Mehraufwand an Koordi nation für alle. Die Kunden konnten nicht gruppenweise im Microsoft-Gebäude empfangen werden, sondern mussten einzeln besucht werden. Die Teamproduktivität nahm während dieser Phase ab. Der Mix aus Homeoffice und einem fixen Arbeitsplatz ist wichtig und das Optimale, meint Barbara Josef: «Wir haben jährlich einen stetigen Zuwachs an Mitarbeitenden, und diese brauchen Platz. An unserem Standort in Wallisellen arbeiten 300 Menschen. Die Möglichkeit Homeoffice schafft diesen benötigten Platz. So sind nicht alle zur selben Zeit im Büro. Den Mitarbei tenden steht zu Hause ein Internetanschluss, ein Laptop und ein Smartphone zur Verfügung. Dieses Arbeitsmodell ist ökologisch gut und spart auch Geld für Unterhalts- und Betriebskosten, die 15 Prozent tiefer sind als bei Einzelarbeitsplätzen. Ein Negativpunkt in unserem System ist sicher, dass informelle Gespräche im Büro aufgrund der verschiedenen Anwesenheitszeiten unserer Mitarbeiter etwas weniger stattfinden. In Zukunft sehe ich das Büro eher als Begegnungsort und nicht mehr als Arbeitsort.» Familienfreundliche Arbeitgeber Für Frauen ist das Modell besonders attraktiv. Pia Uthmann, Operater Channel Account Manager, seit zwölf Jahren bei Microsoft, schätzt es besonders: «Flexible Arbeitszeiten sind aus meinem Leben nicht mehr wegzudenken. Ich bin Mutter und muss den Spagat zwischen Beruf und Familie organisieren können. Natürlich habe ich trotz freier Einteilung meiner Arbeitszeit eine gewis se Struktur. In meinem Terminplan sind Sitzungen mit Kunden fix. Wenn ich an einem Punkt angelangt bin, wo ich gerade nicht mehr weiterkomme, mache ich gerne eine Pause oder gehe zum Sport. Auf diese Art bin ich effektiver. Von der Möglichkeit der Teilzeitarbeit und der flexiblen Arbeitszeitgestaltung profitieren besonders auch Frauen mit Kindern. Viele Schwangere kehren deshalb nach der Geburt des Kindes wieder an ihren Arbeitsplatz zurück. Dies ist eine Win-win-Situation.» Krankheitsrate tiefer als bei anderen Unternehmen Zum Thema «Missbrauch der Arbeitszeit» während der Home office-Tätigkeit meint Barbara Josef: «Unsere Mitarbeiter nutzen die Homeoffice-Zeit nicht aus, um mehr Freizeit zu haben. Natürlich gibt es auch einzelne Missbräuche, aber nicht mehr als an einem fixen Arbeitsplatz. Dort kann ein Mitarbeiter, wenn er will, auch den ganzen Tag Moorhuhn-Jagd spielen. Die Krankheitsrate ist 30 Prozent tiefer im Vergleich zu anderen Firmen. Unser Arbeitsmodell führt bei den Mitarbeitenden klar zu mehr Moti vation. Wir wurden nicht ohne Grund durch unsere Mitarbeiter zum zweitbeliebtesten Arbeitgeber der Schweiz gewählt.» Petra Zillig ist Journalistin. «Flexible Arbeitszeiten sind aus meinem Leben nicht mehr wegzudenken.» Pia Uthmann, Operater Channel Account Manager November 12 fauch 25 I d e n t i t ät s v e r l u s t i m N e t z Weniger ist mehr – Schutz vor dem digitalen Burnout Die Frau ist brillant, ihr Buch bemerkenswert. An diesem Abend setzt sie zu einem intellektuellen Höhenflug an, der in seiner durchdachten Stringenz für das Publikum zur Herausforderung wird. Ein mit Alltagskram vollgestopftes Kurzzeithirn kommt da nur mit, wenn es sich vom Sog ihres schnellen Denkens und vom Fluss ihrer ausserordentlichen Eloquenz mitreissen lässt. Next. Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns. Werden wir zum Opfer unseres sorglosen Umgangs mit der digitalen Welt? Diese Frage stellt Miriam Meckel, Professorin für Corporate Communication an der Universität St. Gallen und Politikberaterin, aus zweierlei Perspektiven. Aus derjenigen eines menschlichen Algorithmus und aus derjenigen eines letzten Menschen. Mit der Nutzung der digitalen Welt hinterlassen wir Spuren im Netz, die zunehmend alles über uns verraten. Unser zukünftiges Verhalten wird vorhersehbar und beliebig manipulierbar. Unsere eigentliche Identität, gekennzeichnet durch eigenverantwortliches Handeln, wird allmählich zerstört. Computer werden unsere Zukunft bestimmen, so sehr, dass wir uns im Netz verlieren. Die Lektüre des neusten Buchs von Mirjam Meckel irritiert und provoziert. Damit erreicht die Autorin ihr Ziel, auf die Gefahren eines sorglosen Umgangs mit der digitalen Welt aufmerksam zu machen. Daniel Blom Miriam Meckel: Next. Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns. Rowohlt Verlag. Reinbek bei Hamburg 2011 26 fauch November 12 Gesundheit und genuss Te x t Hedy Bühlmann F oto C l a u d e S t a h e l Die Rede ist von Miriam Meckel, Professorin für Kommunika tionsmanagement in St. Gallen. Sie kennt das Rampenlicht, fühlt sich wohl auf der Bühne, holt das Publikum an jenem Frühlingsabend im Zürcher «Kaufleuten» dort ab, wo es steht: Mitten im digitalisierten Arbeitsalltag, unabhängig von Zeit und Ort, jederzeit und rund um die Uhr erreichbar. «Um noch schneller und mehr zu arbeiten, werden Arbeitsbeziehungen in die virtuelle Welt verlagert, effizienter kommuniziert und gleichzeitig beschleunigt», sagt sie. Miriam Meckel hat beruflich ihren Platz gefunden, ist erfolgreich. Dass sie dabei grenzwertig ihre Leistungsfähigkeit bis hin zur krank machenden Erschöpfung unter Beweis stellte, ist ein Hinweis dafür, dass auch Profis sich im Dschungel von Hochleis tung und digitaler Arbeitswelt verlaufen können. Miriam Meckel sagt über diesen blinden Fleck: «Es ist doch verrückt: Ich habe im Buch «Das Glück der Unerreichbarkeit» alles toll analysiert, aber die eigenen Warnzeichen habe ich übersehen. Wir befinden uns in einer auf Wachstum ausgerichteten Gesellschaft, die extrem leistungsorientiert ist.» Analytisches Wissen allein genügt nicht, um der Diktatur der Informationsflut im Netz zu entkommen. Den digitalen «Overload» stoppen Laut Meckel greift das Internet tief in unser Leben ein. Täglich würden wir etwa 12 Stunden lang mit an die 34 GB von Infor mationen überflutet. Diese Menge käme etwa 100‘000 Begriffen gleich, sei ein digitaler «Overload» und führe zur Blockierung des Hirns. Der vernetzte Mensch – Meckel nennt ihn «Homo connectus» – wird laut empirischer Studien alle 2,5 Minuten durch Reize unterbrochen. Um diese Unterbrechung aufzuholen, braucht das menschliche Hirn wiederum 25 Minuten. Laut Meckel bringen wir Informationen ins Netz, holen Informationen aus dem Netz, und sind damit rund um die Uhr auf Sendung, ohne dabei zu kommunizieren. Wer ständig auf Stand-by ist, kommt nie zur Ruhe. Sie zieht daraus den Schluss: «Wenn ich immer erreichbar bin, bin ich nie wirklich da. Zeit ist ein knappes Gut geworden. Wir erledigen Dinge parallel, müssen ständig noch kurz etwas erledigen.» Doch wie können wir denn die Vorteile des Internets nutzen, ohne uns dabei weiter zu verlieren? Miriam Meckel weist auf das Glück der begrenzten Wahl hin: «Wir müssen uns die Freiheit nehmen, die zur Verfügung stehenden Informationen punktuell und selektiv zu nutzen und den Wettbewerb der Selbstinszenierung im Netz stoppen.» Dazu braucht es eine Strategie und viel Disziplin. Nützliche Tipps Bestandsaufnahme der eigenen Internetnutzung Erreichbarkeitsregeln wie E-Mail-freie Tage definieren Computerfreie Zeiten einführen Informationsmanagement Bei der digitalen Unternehmenskultur ansetzen (z.B. gerätefreie Meetings) • Mut zur Musse • • • • • LOHAS – Das ICH zwischen Kaufkraft und Ökologie LOHAS (Lifestyle of Health and Sustainability) ist Neuhochdeutsch und steht für eine Gruppe von Konsumentinnen und Konsumenten, die die Welt durch bewusstes Konsumverhalten besser machen wollen. Ethische Korrektheit steht an oberster Stelle ihres Verhaltenskodex, aber auch Nachhaltigkeit, Qualität und Genuss haben ihren festen Platz. T e x t J o h a n n e s B e u e r l e F oto M a r g a S c h u t t e n h e l m Alles begann mit den Ökos in den 70ern. Sie sind längst salonfähig, nichts an ihnen erinnert mehr an den selbst gestrickten Schlabberpulli und die unverwüstlichen Birkenstocksandalen. Damals wurden sie als periphere Subkultur belächelt ob ihrer ideologischen und Konsum verweigernden Haltung. Im Lauf der 90er und 00er Jahre haben ihre Ansprüche auf Nachhaltigkeit gesellschaftspo litisch Fuss gefasst. Der seit Jahren zunehmende Bio-Trend und damit verbunden das erhöhte Gesundheitsbewusstsein sind der Nährboden der LOHAS. Ihr Haarschnitt ist perfekt, die NaturBeautylinie teuer und für die meisten Nicht-LOHAS unerschwinglich. Gekauft werden umweltschonende, hochwertige Produkte. Gegessen werden lokal produzierte Lebensmittel vom Biobauern. Sie leben in «recyceltem Design», haben Sonnenkollektoren auf dem Hausdach, fahren – wenn überhaupt – Autos, die wenig Benzin verbrauchen. LOHAS wollen Körper und Geist so langsam wie möglich altern lassen und der Umwelt dabei nur so viel wie nötig abringen. Und sie wollen Spass haben. Sie versöhnen, was bislang unvereinbar schien, Gesundheit und Genuss. Ihr Lebensmotto lautet: «Alles, was ich mache und kaufe, soll nachhaltig gesund sein für mich und die Umwelt.» Die österreichische Ernährungswissenschaftlerin und Autorin Hanni Rützler («Was essen wir morgen?») attestiert den genussfreudigen Ökos der Zukunft ein klares Profil: «Es sind Menschen im mittleren Alter, relativ wohlhabend, welterfahren und reisefreudig. Sie wollen nicht unbedingt mehr, aber sie wollen bessere Qualität.» LOHAS, nur ein neues Zeitgeist-Image? Im Grund sind LOHAS konservativ, unpolitisch, naturromantisch, harmoniebetont und ich-bezogen. Erstmals beschrieben wurde das Phänomen im Jahr 2000 von Paul Ray und Ruth Anderson in ihrem Buch über «Kulturell Kreative», zu denen (im deutschsprachigen Raum) auch LOHAS zählen (vgl. Ray & Anderson 2000). Mittlerweile rechnet man in den USA mit einer Zielgruppe von über 60 Millionen «nachhaltigen Konsumenten/-innen», im deutschsprachigen Raum soll ein Drittel der Bevölkerung LOHAS sein, wobei den meisten dies anscheinend gar nicht bewusst ist. Zahlreiche themenbezogene Websites wie www.lohas.com und selbstverständlich all die Gruppen auf Facebook zum Thema machen zudem klar, dass LOHAS auch eine Affinität zur modernen IT-Welt haben. Ein wesentliches Merkmal besteht zudem darin, dass LOHAS – falls man damit tatsächlich einen Personenkreis mit einem überprüfbaren Konsumverhalten bezeichnen will – den Anspruch haben, stets das ganze Bild – the whole picture – vor Augen zu haben. Das bedeutet, dass nicht bloss die Qualität des Produkts zählt, sondern es auch wichtig ist, zu wissen, woher das Produkt stammt und unter welchen Bedingungen es hergestellt wird. Der Lebensentwurf LOHAS ist auch umstritten. Manchen Kritikern scheint die Verknüpfung von bewusstem, oft hochwertigem Konsum mit Nachhaltigkeit zweifelhaft. Vertreter der traditionellen Umweltbewegung sehen darin den Versuch der Werbung, dem übersteigerten Konsumverhalten ein neues Zeitgeist-Image zu verpassen. LOHAS leben nach Zur offensichtlichen Ich-Bezogenheit folgenden Werten der LOHAS kommentiert ein User •Sie übernehmen Verantwortung für in einem Blog des Magazins «Stern» nachhaltiges Verhalten. kritisch: «Gutmenschen ...? sind nur •Sie konsumieren Biowaren und kaufen Fairtrade-Produkte. zu sich selbst gut. Im Sinne von ‹ich •Sie sind auf Nachhaltigkeit bedacht. mache/bin für etwas total Tolles› und •Sie stehen auf Qualität statt auf fühle mich dadurch gut und gottgleich Discount. ... mit Heiligenschein ... geiles Gefühl.» •Sie streben nach Authentizität statt nach Spass. Andere wie der Kulturwissenschaftler •Sie lassen sich nicht überreden, Nico Stehr dagegen loben die neue sondern wollen überzeugt werden. Macht von «Moralisten». Er sieht ei•Sie wollen Genuss und bezahlen dafür. nen gut vernetzten, globalen Trend, •Sie folgen ihrem Bedürfnis nach Mobilität, auch mit Autos und Flugzeugen. der durch bewussten Konsum und •Sie lehnen die «Geiz ist geil»Verzicht Druck auf die Industrie ausMentalität strikt ab. üben könne. •Sie sind Natur- und Outdoor-Urlauber. Johannes Beuerle ist Ingenieur. •Sie kompensieren ihren CO2-Ausstoss Quellen www.spiegel.de, www.tier-im-fokus.ch, www.bing.com, www.stern.de, www.lohas-guide.de nach dem Verursacher-Prinzip. •Sie haben ein überdurchschnittliches Einkommen (CHF >80.000) November 12 fauch 27 Mode und gesellschaftlicher Wandel Laptop, Laptop in der Hand – welche Mode gibt’s im Land? Die Schnelllebigkeit ist in der Arbeitswelt allgegenwärtig. Auch in der Modebranche. Kaum als exzentrische Entwürfe auf den Laufstegen der Fashionshows gesehen, liegen zwei Wochen später Kopien davon – in Billiglohnländern genäht – auf unseren Ladentischen. Trotzdem zeichnet sich auch in der Modeindustrie ein Trend in Richtung Nachhaltigkeit ab. T e x t Ur s O d e r m at t, C hr i s t i a ne Wil l e me i t F otos Sim o ne Gl o o r Kleidung auf Weltreise nach ethischen Aspekten produziert Spricht man von nachhaltig produzierter Mode, meint man damit die umweltfreundliche Herstellung des Kleidungsstücks entlang der gesamten Produktionskette, aber auch die nach einem Sozialstandard festgelegten Arbeitsbedingungen der Menschen, die an diesem Prozess beteiligt sind. Die meisten Kleider der Billigketten werden in Asien hergestellt. Dort sind 17-Stunden-Arbeitstage die Regel; der Lohn für eine 7-Tage-Woche beträgt 65 Dollar. Es kann vorkommen, dass ein Kleidungsstück von der Baumwollplantage in Indien bis zum Verkauf in Europa Fabriken in acht verschiedenen Ländern durchläuft. Die Baumwolle wird in Indien geerntet, das Garn in der Türkei gesponnen, in China wird gefärbt, in Polen gewoben, die Waschanleitungen und Nieten werden in Frankreich hergestellt, genäht wird auf den Philippinen, in Griechenland gewaschen und in der Schweiz das fertige Kleidungsstück verkauft. An diesem Herstellungsprozess sind unzählige Personen beteiligt, und sie erhalten für ihre Arbeit einen Bruchteil davon, was für das Kleidungsstück bezahlt und vielleicht nur eine Saison getragen wird. 28 fauch November 12 Gesellschaftliche Entwicklungen beeinflussen die Mode generell und kurzlebige Mode-Trends im Speziellen. Diese sind Momentaufnahmen eines Prozesses des immer kurzfristigeren Wandels unserer Gesellschaft – auch kurzlebiger Zeitgeist genannt. Jeder Trend etabliert neue Verhaltens- und Denkmuster. Und jeder neue Trend bringt neue Wertungen mit sich und bewertet seinerseits bestehende Phänomene der menschlichen Umwelt wieder neu. Soziologisch drückt das Wort «Mode» die Normierung gesellschaftlicher Beziehungen im Wechselspiel von konservativ eingestellten Gruppen aus, die der Gruppe der Experimentierfreudigen, Individualistischen oder auch Rebellischen gegenüber steht. Marken sind Synonyme für Trends und Design und zugleich Statussymbole. So wie «Prada» und «H&M», zwei Mode-Labels, welche unterschiedlicher nicht sein könnten. «Prada» ist High-EndFashion, exklusiv und von Designerhand entworfen. «H&M» ist Mainstream, bietet erschwingliche Mode für jede Frau und jeden Mann. Und doch haben beide Labels etwas gemeinsam: Sie sind weltweit bekannt und profitieren vom Modemarkt der Schnell lebigkeit und Billigproduktion. «Karl Lagerfeld», «Roberto Cavalli», «Michalsky» oder «Stella Mc Cartney» haben für «H&M» Kollektionen entworfen. Die Geschäfte wurden regelrecht gestürmt und waren weltweit innerhalb von Tagen ausverkauft. Diese kurzfristige Reproduzierbarkeit wiederspiegelt das Phänomen schnelllebiger globaler Entwicklungen in der Mode- und Konsumwelt. Sandra Wöhlert, Fashion-Expertin beim Marktforschungsinstitut GfK in Hergiswil, sagt dazu: «Shoppen ist heute schon für zwölfjährige Mädchen ein Hobby.» Die junge Kundin von heute ist die der Marke treu gebliebene, potenziell zahlungskräftigere Einkäuferin von morgen. Designer-Kopien zu Billigpreisen «H&M» steht für Modetrends in günstigen Preislagen, wenn auch kopiert und in Billiglohnländern hergestellt. Kopiert wird aber auch «H&M» oder «Zara», einfach noch günstiger von «New Yorker», «Chicorée», «Zebra» – und sie boomen alle. Jede Saison bringt neue Trendfarben und -schnitte hervor. Was gerade eben noch als neuer Trend auf dem Laufsteg in Mailand und Paris gezeigt wurde, geht kaum zwei Wochen später als Kopie über den Ladentisch zu Billigpreisen. Im Modealltag von Antonio Cerra, Geschäftsführer von «Zebra», sieht das praktisch so aus: «Bei uns kommt täglich neue Ware herein, andere geht wiederum hinaus.» Vier Millionen Teile ordert «Zebra» jährlich in Asien und kann nur dank leistungsfähiger Verteilzentren dem Anspruch der schnellen Kollektionswechsel gerecht werden. Modetrends und Life-Styles setzen kurzfristige Äusserungen des Zeitgeistes. Dieser Trend hat sich in den letzten Jahren verstärkt und zeigt sich insbesondere in der Globalisierung der Musiks zenen, der Film- und der Glamour-Welt durch das Internet. Heute beschleunigen zusätzlich E-Commerce, Facebook und Twitter das Tempo der Trends und der Veränderungen. Abbild solcher Global- Schweizer Player auf dem Modemarkt Im Jahr 2011 wurden in der Schweiz über 10 Milliarden Franken für Kleider, Schuhe und Accessoires ausgegeben – und dies bei tendenziell sinkenden Preisen. Mit 400 Mitarbeitenden in 84 Läden ist das 1963 gegründete FashionLabel «Blackout» ein Familienbetrieb und ein alter Hase auf dem Schweizer Modemarkt. Mit 20 Prozent Bio-Baumwolle im Angebot möchte «Blackout» bei der Nachhaltigkeit punkten. 2800 Mitarbeiter in 764 Läden weltweit beschäftigt dagegen die 1984 entstandene Marke «Tally Weijl». Die Modekette «Chicorée» wurde 1982 gegründet. Einer der beiden Geschäftsführer schlug mit «Zebra» 1995 strategisch eine neue Richtung ein. «Chicorée» beschäftigt 800 Mitarbeiter in 175 Läden, 500 Mitarbeiter sind in 103 «Zebra»-Geschäften angestellt. Trends sind das «Dazugehören und das sich gleichzeitig Abgrenzen», sowohl «Konformität leben und genauso Individualist sein», «sich extrovertiert geben und introvertiert leben» – dies wider spiegelt auch Lebens- und Glaubensideologien, Lebens-Räume und Kulturen. Das Paradoxe dieser individuellen Konformität formuliert der Belgier Raf Simons, Chef-Designer bei «Dior», konkret: «Eigentlich haben doch genau die hippen Kunden die grösste Sehnsucht nach Individualität und gehen dann aber in Shops einkaufen, in denen man schon nach einer Woche sämtliche Laufstegkopien bekommt. Warum wollen die denn ausgerechnet Teile, die millionenmal kopiert wurden?» Aus diesen schnelllebigen Mode-Trends hat sich eine Fad-Kultur (engl. «fad» steht für kurzlebige «Modetorheit») entwickelt, ein Produkt unserer Wegwerfgesellschaft. Das Phänomen der immer kurzfristigeren Entwicklungen in Mode und Gesellschaft, diese «kaum gekauft, schon verbraucht»-Haltung, die Ideologie der Gegensätze sowie die «Hire and Fire»-Mentalität im Business, lassen Mittel- und Langfristigkeit auf der Strecke. Eine Beleidigung für die Bekleidungskultur, eine Belastung für die Umwelt und besonders belastend für den Teil der Gesellschaft, welcher diese Beschleunigung und dieses Tempo nicht mehr mitzugehen imstande ist. Urs Odermatt war Manager bei Hugo Boss. Christiane Willemeit studiert Soziologie und Geschichte. Nachhaltigkeit im Trend Zum Thema «Nachhaltigkeit in der Mode-Industrie» prognostiziert die Holländerin und einflussreichste Trendforscherin Li Edelkoort: «Erst kürzlich sah ich in der amerikanischen Vogue eine gross aufgemachte Modestrecke. Winzig klein war der Vermerk angebracht, dass alle Kleidungsstücke mit natürlichen Farben eingefärbt wurden. Die haben Angst, die grossen Inserenten zu verlieren, daher die Diskretion. Aber auch die etablierten Labels werden irgendwann die Zeichen der Zeit erkennen müssen. Irgendwann wird man aus Kostengründen umweltgerecht produzieren müssen und nicht, weil man gut dastehen will … Das Interessante am Nachhaltigkeitsboom ist, dass es wenig mit der ursprünglichen Idee der Konsumverweigerung zu tun hat und somit die ganz grossen Massen erreicht werden können.» Quellen www.wikipedia.de, www.bilanz.ch, Weltwoche 52/2010 November 12 fauch 29 Wertewandel ist für mich… Wertewandel ist für mich… «Ein Wandel fällt mir in der Freiwilligenarbeit auf: Heute sind Controlling und Nachvollziehbarkeit Teil der Professionalität. Dank dokumentierter Arbeitsabläufe soll jeder ersetzbar sein. Der nebenamtlich Engagierte mutiert damit zum Administrator. Statt sein Engagement einsetzen zu können, ist er verpflichtet, die gleichen Führungsinstrumente zu benutzen wie in der professionellen Arbeitswelt. Dies hat Konsequenzen: Die Lust der Engagierten verflüchtigt sich. Neue Personen zu motivieren, neben ihrer Berufs arbeit Sinnvolles für die Gesellschaft zu tun, wird schwieriger. Ich bin keineswegs gegen eine professionelle Arbeitsweise. Aber man muss Mass halten.» Hans Stricker-Fries (54), Jurist «D ie Veränderungen in den letzten zwei Dezennien sind gewaltig und für viele Menschen in der Arbeitswelt immer schwieriger zu bewältigen. Signifikant sind zwei Dinge: das ständig zunehmende Tempo und der ständig zunehmende Druck. Durfte man vor 20 Jahren noch Fehler machen, herrscht heute die Null-Toleranz. Entscheidend sind heute die Teams, nicht das Individuum. Das verlangt von allen eine hohe Sozialkompetenz. Der Wett- «Journalistin – oder besser: Autorfotograftoningenieurvideofilmonlineschnittprogrammoperateur. Mit dem technischen Fortschritt und der einfachen Handhabe dieser Technik wächst der Anspruch an Medienschaffende, immer mehr Medienformen gleichzeitig zu bedienen: Text, Ton, Foto, Video. Möglichst aktuell. Und vor allem effizient. Bezahlmodelle für hochstehenden Onlinejournalismus haben sich im deutschsprachigen Raum noch kaum durchgesetzt. Die Zukunft ist noch nicht geschrieben. Das Berufsbild wird sich weiter verändern.» Robert Hansen (46), Chefredaktor «der arbeitsmarkt» ist die gegenseitige Wertschätzung, Schlüssel für Motivation und Leistungswille. Ein persönliches Wort zur rechten Zeit am richtigen Ort ist auch im Zeitalter der neuen Kommunikationstechnologien Gold wert.» Beatrice Tschanz Kramel (68), Kommunikationsberaterin 30 fauch November 12 «A Silvia Oppliger (36), FAU-Vorstandsmitglied «Für die Generation meiner Eltern gehörte das Versorgt sein in einem guten Arbeitsverhältnis noch zu den grossen Lebenszielen, welche es zu erreichen galt. Diese Lebensstelle gibt es heute nicht mehr. Arbeitsstellen sind vielmehr zu Stationen eines dynamischen Curriculums geworden. Dadurch sind Arbeitnehmende stets in Bewegung, am Weiterbilden, am Planen, Ab- oder Aufspringen, am sich neu definieren oder sogar neu erfinden. Die Wanderjahre hören rbeitslos zu sein, war früher für die meisten Menschen eine unbekannte Situation. Technische Entwicklung und die Globalisierung ver- ändern die Arbeitswelt in einem noch nie gekannten Tempo. Die Arbeitnehmer sind gefordert, die Arbeitsmarktfähigkeit zu erhalten, doch Fachkompetenz allein reicht nicht mehr aus: Selbst- und Sozialkompetenz sind ebenso gefragt. Die Stellensuche ist eine schwierige Veränderung, in der die Personalberatenden nicht nur beim Vermitteln gefordert sind, sondern Menschen in diesem Prozess begleiten sollten.» Bruno Graf (53), RAV-Leiter, Suhr sozusagen nicht mehr auf, man kommt eigentlich gar nie an.» Heidi Bolliger Michel (57), Administratorin FAU Zürich guten Arbeitsplatz fördern hingegen nismen. Fast ganz abhandengekommen Andere hingegen sind überfordert, können mit den hohen Ansprüchen nicht umgehen. Arbeitgeber sind, andererseits, auch immer mehr bereit, solche Menschen zu unterstützen, um sie im Arbeitsleben zu behalten.» bewerbsdruck und der Kampf um einen den Egoismus und Verdrängungsmecha- «Einerseits wird von Arbeitnehmenden immer mehr erwartet. Lebenslange Weiterentwicklung, ständige Erreichbarkeit, hohe Selbstinitiative und die Fähigkeit zur Arbeit in heterogenen Teams sind Anforderungen, die an die Menschen im Arbeitsmarkt gestellt werden. Für die einen ist das positiv, die Arbeit wird damit spannender und befriedigender. «Ich nehme den Wertewandel vor allem in religiöser Hinsicht wahr. Heute kann ich nicht mehr voraussetzen, dass man den Inhalt christlicher Werte und Rituale kennt und versteht. Viele Menschen wissen nicht mehr, warum man Ostern oder Pfingsten feiert, Schulkinder kennen die Weihnachtsgeschichte nicht, und wenn ich in einer Predigt den Heiligen Geist erwähne, muss ich zuerst erklären, was ich damit meine. Ich sehe in dieser Tatsache vor allem einen Kulturverlust.» Nicole Schultz (48), Pfarrerin Kirchgemeinde Thierachern «Ich sehe eine grosse Veränderung in der Unternehmensstruktur; das Ziel ist eine agile Unternehmung, die sich verzögerungsfrei, raumübergreifend und sozusagen ressourcenfrei den jeweiligen Marktherausforderungen stellen kann. Unterstützt wird das durch den technologischen Wandel. Voraussetzung ist jedoch die menschliche Beherrschung der Komplexität und vor allem das gemeinsame Verständnis der Zukunft.» Daniel Hüsler (57), Leiter Informatik «Z entral ist für mich die Beschleunigung durch die neuen Kommunikationstechnologien wie Internet, Mail und Handy. Diese ständige Erreichbar- keit bedeutet schnelle Antworten und Entscheide. Da ich grundsätzlich eine entscheidungsfreudige Person bin, belastet mich das Tempo nicht. Trotzdem gibt es Situationen, in denen ich mir wünsche, wir hätten noch Schreibmaschinen und nur Festnetze, also mehr Zeit. Heute wird erwartet, dass man alles sofort abklärt und Stellung nimmt. Entscheide müssen manchmal auch reifen. Ausserdem können die Leute fast nicht verstehen, dass es auch Sitzungen gibt, in denen man so konzentriert arbeitet, dass man nicht einfach Mails schreiben kann.» Karin Keller-Sutter (49), St. Galler Ständerätin November 12 fauch 31 Sp u r e n s u c h e i m N e t z Sp u r e n s u c h e i m N e t z «WoW» – Globale Hochleistungs-Spielkultur Was haben das Computerspiel «World of Warcraft» und die aktuellen Tendenzen unserer realen Arbeitswelt gemeinsam? Nicht viel, würden Sie sagen? Doch tatsächlich lassen sich einige, sehr interessante Parallelen zwischen virtueller Spielwelt und konkretem Büroalltag finden. T e x t und I llustration Si l vi a D a Si l v a MMORPG steht für «Massive Multiplayer Online Role Playing Game». Eine Wortkombination, die dank gängiger Lehnwörter aus dem Englischen einfach zu verstehen ist. Es handelt sich dabei um ein Genre der Computerspiel-Industrie, bei dem sich Tausende und Abertausende Benutzer eine weitläufige, erzählungsorientierte Fantasiewelt teilen. «World of Warcraft» aus dem Hause Blizzard – kurz «WoW» genannt – bildet dabei einen viel zitierten Vertreter dieser Spielgattung. Auch wenn dieses Kürzel auf Deutsch wie «weh oh weh» klingt, so ist es erwähnenswert, dass die englische Aussprache dafür «uau» lautet, wie beim Wow-Effekt aus der Marketingsprache. Der Zukunftsforscher Matthias Horx schreibt über «WoW»: «Wandle dich und wachse! – um diese Transformation kreist das psychologische Momentum des Spiels.1» «WoW» birgt einen regelrechten Schatz an Motiven aus der realen Welt. Anspielungen auf Mythen, Gesellschaftsparodien, Kinoreferenzen, erheiternde Stereotypisierungen, Tanzstile, Körpersprachen, Kulturen, Dialekte – ja, sogar Sekten, Weltuntergangsstimmung Avatar – das virtuelle Ich Im Zuge der Erstellung eines Avatars wählt man dessen Klasse, eine Art berufliche Ausrichtung, womit sich ihm ganz bestimmte Fähigkeiten eröffnen. Unter den Oberbegriff «Klasse» fallen in «WoW» Bezeichnungen wie Druide, Schamane, Magier, Jäger, Hexer, Paladin und viele mehr. Ist eine Spielerfigur erstellt, muss sie zunächst «gross und stark» werden, um am aktuellen Spielinhalt teilzunehmen. «Gross» wird ein Avatar über seinen Level. Dieser ergibt sich aus angehäuften Erfahrungspunkten für das Erledigen von Aufträgen, das Bezwingen passender Gegnerfiguren oder das Durchlaufen von gesonderten «Begegnungs parcours» in Fünfergruppen. In dieser Aufbauphase machen sich Spieler mit der Steuerung, den Besonderheiten und der Rolle ihres Avatars in einem Team vertraut. «Stark» wird ein Avatar durch die richtige Ausstattung. «Was zählt, ist Einsatzbereitschaft, Ausdauer und letztlich Leistung.» und Recycling werden thematisiert und zu einem fantasievollen Ganzen verwoben. Mit seiner parodistischen Verarbeitung des Bekannten liefert «WoW» seit über sieben Jahren eine reizvolle Erkennungs- und Unterhaltungsplattform für ein breites P ublikum. In dieser Welt bewegen sich die Benutzer mittels Charakterfiguren, sogenannten Avataren. Das Spiel stellt ihnen allerhand Möglichkeiten zur Verfügung, um mit ihrer virtuellen Umgebung und mit anderen Avataren zu interagieren. So fantasievoll und irreal die dargestellte Welt von «WoW» auch ist, sie wurde für reale Benutzer programmiert. Neben der Faszination für einen günstigen Rummelplatz daheim hat durch die Gruppendynamik ein gewisses Abbild der Realität in der Spielwelt Einzug gehalten. Teamprozesse und Wettbewerb «WoW»-Spieleraktivitäten mit einzelnen Avataren oder in festen Gruppenverbänden, sogenannte Gilden, sind mittlerweile so gründlich im Internet dokumentiert, dass ein Einblick in eine 32 fauch November 12 vielschichtige Leistungskultur möglich ist. Weltweit besteht ein Wettbewerb unter einigen Top-Gilden, welche von ihnen die Herausforderungen einer neuen Erweiterung zuerst gemeistert hat. Andere geben sich damit zufrieden, die Ersten auf ihrem Server, besser als eine konkurrierende Gilde, oder einfach überhaupt mit einem Leistungsausweis auf dem Internet präsent zu sein. Eine von russischen Spielbegeisterten erstellte Website2 vergibt ein Ranking für einzelne Avatare, Gilden und Server. Spieler, die sich dafür interessieren, müssen sich auf Teamprozesse einlassen, die denjenigen der realen Welt in nichts nachstehen. Mag der Ort des Geschehens virtuell sein, so sind die Erlebnisse der Spieler sehr real. Milliardengeschäft «WoW» Das 2004 auf den englischsprachigen Kontinenten, in Europa 2005 online lancierte «WoW» ist nicht das einzige und nicht das erste MMORPG. Aber es hat wiederholt Aufsehen erregt und gilt mit mehr als einer Milliarde Dollar Umsatz jährlich als eines der lukrativsten seiner Art. Die Verkaufszahlen seiner Erweiterungen erreichen Rekordwerte. Seine höchste Abonnentenzahl belief sich 2010 auf über 12 Millionen. Ende 2011 waren es trotz attraktiver Konkurrenzprodukte immer noch mehr als 10 Millionen. Seinen Erfolg verdankt «WoW» nicht zuletzt einer Hintergrundstory, die wie bei einem Fortsetzungsroman oder einer Filmserie für Spannung beim Publikum sorgt. Positionierung auf dem Spielermarkt Für viele Spieler ist das höchste der Gefühle, «Parcours» zu absolvieren, die für 10er- oder 25er-Gruppen programmiert wurden. Die besten Erfolgschancen verspricht man sich in Gilden, die sich «Parcoursaktivitäten» auf die Fahne geschrieben haben beziehungsweise ein oder mehrere Stammgruppen für solche Projekte führen. Man ergänzt sich, nimmt Rollen wahr, harmoniert oder auch nicht, erlebt Neuzuzüge und Abgänge. Dank den Möglichkeiten des Internets können sich Spieler und Gilden wie auf einer Jobbörse finden. Oft führen Gilden eine eigene Homepage, werben mit «Inseraten» in den Kommuni kationskanälen des Spiels für ihre Sache und stellen sich auf www.wowprogress.com vor. Dort können sie angeben, welche Klasse sie wie dringlich suchen und wie sich Interessenten bei ihnen bewerben sollen. Spieler auf der Suche nach einer neuen Gilde können ihrerseits «wowprogress» nach offenen Stellen für die Klasse ihres Avatars durchforsten. Bewerbung wie im realen Leben Bewirbt sich ein Spieler mit seinem Avatar bei einer Gilde, so geschieht das oft über ein Online-Bewerbungs formular bei der entsprechenden GildenHomepage. Für die Qualität der Bewerbung gilt wie im realen Berufsleben: so viel wie nötig und so wenig wie möglich, um ein positives Bild seiner selbst beziehungsweise seines Avatars zu zeichnen. Im Gegensatz zu realen Bewerbern sind «WoW»-Avatare extrem transparent. Ihre Leistungen können sie in «wowprogress» aktualisieren und ihre beste Ausstattung können sie in der Datenbank des Spielbetreibers3 zur Schau stellen. Oft werden auf den Bewerbungsformularen die Links zu diesen Charakterre ferenzen verlangt. Üblicherweise wird auch ein Screenshot der Benutzeroberfläche des Spielers verlangt, in besonderen Fällen auch Videos von «Parcours-Begegnungen» oder die Angabe eines Spielers, der gewillt wäre, den Bewerber zu empfehlen. World of Liquid Challenge Mag diese Transparenz zunächst einschüchternd wirken, so wird dies dadurch entschärft, dass sie nur Avatare und nicht die Spieler betrifft. Diese können ein beliebiges Alter, Zivilstand, Geschlecht oder ethnische Zugehörigkeit haben. Was zählt, ist Einsatzbereitschaft, Ausdauer und letztlich Leistung. Visionäre Akademiker und Firmenchefs haben die Modellfunktion der Online-Spielmechanismen erkannt. IBM rekrutiert bereits mit seinem «Liquid Challenge Program4» einen auftragsorientiert einsetzbaren Pool an Arbeitnehmenden. Diese können aufgrund ihrer KernkompeSchreckgespenst Computergames erforschen tenzen (core skills) aus einer Reihe von Lohn-Aufträgen wählen - ähnlich den Computergames und ihre Wirkungen bei Kindern Missionen eines Avatars in «WoW». und Jugendlichen werden in der Öffentlichkeit Wer seine Aufträge erfolgreich abintensiv diskutiert. Sie gelten als gewaltfördernd schliesst – sprich speditiv und qualitaund sollen süchtig machen. Weltweit werden tiv hochstehend – wird zudem mit Firdie jährlichen Ausgaben für Computerspiele auf men internen Punkten belohnt, deren bis 30 Milliarden Euro geschätzt. Im Gegensatz dazu sind die Motive von Heranwachsenden zur Anhäufung den Aufstieg in die nächste Nutzung der Games und deren Wirkung auf die Lohnstufe ermöglicht, ähnlich den Spieler noch wenig erforscht. Die Zürcher HochErfahrungspunkten der Avatar-Level. schule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) Denn mit steigendem Level gibt es baut nun für den Forschungsschwerpunkt auch in «WoW» mehr Währung pro ab«Psychosoziale Entwicklung und Medien» das geschlossenem Auftrag – ganz wie auf «Games und Media Lab» auf. Ziel des Projekts der realen Karriereleiter. Silvia Da Silva ist Programmiererin. Quellen [1] Psychologie Heute, Dezember 2007 [2] www.wowprogress.com [3] eu.battle.net [4] www.techteam.com ist es, einen Beitrag zum Jugendmedienschutz und zur Förderung der Medienkompetenz zu leisten. www.zhaw.ch November 12 fauch 33 Sp u r e n s u c h e i m r e a l e n L e b e n Sp u r e n s u c h e i m r e a l e n L e b e n Und mitten im Leben ändern plötzlich die Spielregeln Manchmal hat das Leben andere Dinge mit einem vor. Auf jeden Fall nicht das, was wir uns sehnlichst wünschen. Wie es sich anfühlt, mitten aus der «Blüte des Lebens» gerissen zu werden, und was es heisst, den verloren gegangenen Humor, die Lebensfreude, ja gar den Lebenstraum wie ein Puzzle neu zusammenzusetzen, darüber reflektiert die Historikerin Ursula Ganz-Blättler. T e x t U r s u l a G a n z - B l ä t t l e r F oto A d r i a n M o s e r «Das Leben ist ein Spiel»: So habe ich es bis zu meinem 50. Lebens jahr gehalten, mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Das weinende Auge verdanke ich der Erkenntnis, dass im Kern jedes Spiels eine ernsthafte Auseinandersetzung mit einer entscheidenden Sinnfrage steckt – weil sonst ja das Spiel als solches gar keinen Sinn machen würde. Das lachende Auge verdanke ich der immer schon gehegten Vermutung, dass bei manchem Spiel der Sinn ausgerechnet im Nicht-Gewinnen liegt oder auch im NichtGewinnen-Können. Und damit in einem trotzigen «Jetzt-erstrecht», das den Spitzensportler bei seinem eigentlich unwahrscheinlichen Comeback genauso anfeuert wie den Humoristen, wenn er bei seiner Auseinandersetzung mit Sinnfragen wieder einmal in gähnende Abgründe blickt und exakt aus dieser hoffnungslosen Aussicht ein Maximum an Pointen hervorbringt. Ich hätte nie geglaubt, dass mir irgendwas irgendwann den Humor nehmen könnte. Und damit diese grundsätzliche Trotz haltung, die es erlaubt, allen widrigen Umständen im Leben mit einem Lächeln die Spitze zu brechen. Ich wollte allerdings auch nie, dass irgendwer bemerkt, wie schwer das Leichte fällt. Denn Optimismus ist ja doch Schwerarbeit, bei genauer Betrachtung. Und dabei muss ich mich wohl etwas übernommen haben. Vom Krebs «erwischt» Denn zum einen hat mich pünktlich zur symbolischen Lebens mitte ein Krebs «erwischt» … wie so viele andere Menschen auch, die nicht mit einer so tief greifenden und einschneidenden Änderung der Spielregeln mitten in der «Blüte des Lebens» rechnen. Mit einmal fielen sogar die ganz leichten Dinge schwer. Das Träumen, zum Beispiel, weil die Aussichten auf eine berufliche Zukunft und alle meine hochfliegenden Pläne erst mal aufs Hier und Jetzt «zusammenschnurrten». Und ausserdem – im Zusammenhang mit der Chemotherapie, wie ich annehme – zunehmend auch das Denken. Zwei Dinge, die diesen Humor, von dem ich eben sprach, in meinem Fall entscheidend genährt und beflügelt haben. Die meinem Ich bisher doch immer die innere Stabilität und den notwendigen Wind zum Steigen – und zum Behalten der Übersicht in turbulenten Zeiten – verliehen hatten. Zum anderen hat mich in der Zeit der Rekonvaleszenz und der damit fälligen Neuorientierung eine berufliche Zurückweisung ausgerechnet an der empfindlichsten Stelle meines Selbstver- 34 fauch November 12 ständnisses getroffen. Ich bin damals aus dem universitären System richtiggehend hinauskatapultiert worden – und konnte mit dieser harten Tatsache auf Anhieb so gar nichts anfangen. In meinen Augen war es nicht «fair» – oder mit anderen Worten: spielregelkonform –, und es war auch nicht «lustig». Ausgerechnet ich, die doch nie den geraden Weg gegangen war und auch nicht suchte, haderte plötzlich mit der Vorstellung, zwanzig Jahre meines beruflichen Lebens als «vergebliche Liebesmüh» taxieren zu müssen. Gewinnen oder verlieren Gut, ich bin wieder ganz gesund geworden. Und ich bin dafür extrem dankbar. Aber mein Optimismus hat doch empfindlich Schlagseite bekommen. Ich bin damals in meiner Eigenschaft als Kulturfachfrau nach Deutschland gerufen worden, als Lehrkraft an ein Institut für Theater und Medien. Das war ein grosser, wunderbarer Glücksfall, denn zum ersten Mal in meiner akademischen Karriere waren nicht nur meine analytischen Fähigkeiten gefragt, sondern auch meine kreativen Seiten, bei gemeinsamen Film- und Performance-Aktionen mit den dortigen Studierenden. Und damit auch die emotionale Seite, zu der ich dank meinem kurzzeitigen Flirt mit dem Tod einen sehr viel unmittelbareren Zugang als vorher gefunden hatte. Bloss hat sich auch aus dieser Liebes geschichte nichts Dauerhaftes entwickelt, leider. Wie bei jedem anderen Spiel war auch hier das Verlieren eine durchaus wahrscheinliche Option. Und dann ist mir, exakt im Moment meiner Rückkehr in die Schweiz, das Träumen abhandengekommen. Im Schatten der Angst Wenn ich heute an die sich überstürzenden Ereignisse in dieser Zeit zurückdenke – an die Depression und die alles überschattende Angst, meine Existenzgrundlage zu verlieren –, wird mir als Erstes klar, wie sehr sich doch das berufliche und arbeits technische Umfeld in genau den zwanzig Jahren Zeit verändert hat, seit ich mich für eine Laufbahn in der wissenschaftlichen Forschung und Lehre entschied. Als ich studierte, fanden alle, die die notwendige Ausdauer hatten sowie das Talent zum Reflek tieren, im Anschluss an ein humanistisch geprägtes Studium eine sinnvolle Arbeit. Vielleicht nicht in dem ursprünglich ange peilten Gebiet, aber doch an einer Schaltstelle, wo sich e iniges bewegen liess. Und ich kenne keinen, der damals ein Studium in Angriff nahm ohne den Wunsch, später etwas bewegen zu wollen. Wachsender Leistungsdruck Sehe ich mich heute um, so kommt mir der Markt für Wissens arbeiter seltsam ausgedörrt vor. Ausdauer braucht es immer noch, um ein Studium über alle Prüfungshürden hinweg zu bestehen – und zu den Hürden zähle ich unbezahlte Praktika genauso wie die Schwierigkeit, ein allfälliges Familien- und Erwerbsleben mit der Studienzeit in Einklang zu bringen. Was allerdings geändert hat, ist eine entscheidende Spielregel: Wer sich den zunehmend standardisierten Erwartungen heutiger Studiengänge stellt und sich durch den im Vergleich zu früher radikal gewachsenen Leistungsdruck nicht abschrecken lässt, hat keineswegs mehr die Aussicht auf eine sinnstiftende Betätigung. Und das scheint für Studierende als eigentliches Zielpublikum der universitären Bildung genauso zu gelten wie für all jene, die sich unterwegs im Dickicht der Strukturen, die man gemeinhin «Mittelbau» nennt, verlieren. Genau wie ich. Da stimmt etwas nicht, und man sollte der Sache nachgehen. Denkpause und Geduld angesagt Ich will nicht weiter darauf eingehen, wie es mit mir persönlich nach dem «Aus» weiterging. Das werde ich dann tun, wenn ich den Mut zum Träumen wieder gefunden habe und damit auch die Energie, an meinem einmal eingeschlagenen beruflichen – und das heisst auch: wissenschaftlichem – Weg festzuhalten. Beziehungsweise dahin zurückzukehren. Erst einmal ist eine Denkpause angesagt. Ein Moratorium, um auf die eigenen Ressourcen zurückzukommen. Ich bin als Teilzeitarbeitende und sogenannt «Zwischenverdienende» unterwegs, mit einem Standbein in der Lehre und einem anderen als Angestellte in der Privatwirtschaft. Dieser Zwischenstand erlaubt mir, die Dinge aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu sehen. Mir neue Perspektiven zurechtzulegen. Atem zu schöpfen von all dem, was mich über die letzten Jahre derart ausgepowert hat. Vielleicht wird es ja noch etwas mit dem Wunsch, anderen Menschen bei ihren Träumen behilflich zu sein, ohne dass Abstürze programmiert sind. Die Zeiten dafür wären eigentlich nicht schlecht, denn es bläst in vieler Hinsicht ein neuer Wind. Nur verstehen, aus meiner Sicht, zu viele etablierte Institutionen den «Drift» nicht und versuchen weiterhin, ihre alten, überholten Spielregeln durchzusetzen, um jeden Preis. Vielleicht braucht es ja nur Geduld. Und Zuversicht. Die Hoffnung darauf, dass eine Änderung der Spielregeln nicht das Ende der Welt bedeutet, sondern im Gegenteil neue Ausblicke in unvorher gesehene Spielverläufe ermöglicht. Und die Einsicht, dass Spielregeln nicht nur geändert, sondern auch taktisch gebrochen werden können. Lustvoll und nachhaltig. Risiken gehören zum Leben mit dazu. Und ein Scheitern ist nichts Schlimmes, bei genauer Betrachtung. Ganz im Gegenteil. Mein Leben geht weiter. Dr. Ursula Ganz-Blättler ist Historikerin. November 12 fauch 35 D a i ly B u s i n e s s «Wandel als Selbstzweck ist nicht notwendig» Nachhaltigkeit heisst für Heinz Häni – seit Bestehen des Qualifizierungsprogramms FAU in dessen Vorstand engagiert –, neben ökologischen, auch ökonomische und soziale Kriterien zu berücksichtigen. Auf diese Erweiterung ist er stolz. T e x t H a n s S t r i c k e r F oto M a r t i n W e i s s Heinz Häni, wie lebt es sich in Zeiten des Wandels und der Schnelllebigkeit? In meinem Alter hat man eher Mühe mit der Schnelllebigkeit. Mit dem schnellen Wandel bin ich auch ein bisschen überfordert. Mit der Schnelllebigkeit wird aber auch viel heisse Luft produziert. Wandel als Selbstzweck ist nicht notwendig. Weil immer etwas Neues kommen muss, wiederholt sich vieles auch entsprechend. Vor 17 Jahren hat kaum jemand von Nachhaltigkeit gesprochen. Heute ist es ja geradezu chic, nachhaltig zu konsumieren. Bist du auch ein LOHAS? LOHAS steht für Lebensstile oder Konsumententypen, die durch ihr Konsumverhalten und gezielte Produktauswahl Gesundheit und Nachhaltigkeit fördern wollen. Ich bin bestrebt, im Sinne der Nachhaltigkeit zu leben. Ein eigent licher LOHAS bin ich aber nicht. Dies geht mir zu weit. Ich möchte so leben, dass es mir dabei wohl ist. Die Freude, beispielsweise am Essen, muss auch sein. Auch wenn es nicht nur gesund ist. Nachhaltigkeit wird im FAU grossgeschrieben. Wie zeigt sich das? Der FAU definiert die Nachhaltigkeit in Form eines Kompasses: NOSW Natur-Umwelt / Oekonomie-Wirtschaft / Soziales-Gesellschaft / Wohlergehen. Dieser Kompass ist auch in der Präambel der personalpolitischen Grundsätze. Die Nachhaltigkeit wird also weit gefasst; nicht nur ökologische Kriterien, sondern auch ökonomische und soziale. Als Umsetzungsmassnahmen dienen ein gesamtheitliches Weiterbildungsangebot, persönliches Coaching und eine qualifizierende Projektarbeit. Wie bist du zum FAU gekommen? Ende 1995 wurde aus einem von der Arbeitslosenversicherung finanzierten Einsatz einiger Hochschulabgänger am Institut für Umweltschutz und Landwirtschaft in Liebefeld Bern (IUL) der Fachverein Arbeit und Umwelt (FAU) gegründet. Als Sektionsleiter Bodenschutz und Ökotoxikologie war ich beteiligt am Aufbau eines Stellennetzes für umweltrelevante Projekte bei Umweltorganisationen. Seit dieser Zeit bin ich Vorstandsmitglied im FAU. Was hat dich all die Jahre hindurch motiviert, den FAU als Institution im Vorstand mitzutragen? Die Institution hat sich laufend weiterentwickelt und professionalisiert. Ich bin stolz auf die hohe Erfolgsquote. Mit Freude stelle ich fest, wie der FAU über die Jahre hinweg gewachsen ist. Wenn du den FAU heute und gestern anschaust, auf welchen institutionellen Wandel bist du stolz? Stolz bin ich auf die Ausweitung vom ursprünglichen Fachbereich Umwelt auf die Vielfalt der aktuellen Themenfelder, wie sie mit dem Kompass NOSW beschrieben sind. Der neue Name Fokus Arbeit Umfeld (FAU) symbolisiert diese Themenerweiterung. Stolz bin ich auch auf den Zusammenschluss des FAU mit «der arbeitsmarkt» (dam), der Fachzeitschrift für Arbeit und Beschäftigung. Was sind die nächsten strategischen Ziele des FAU? Was will das Programm zukünftig noch erreichen? Der FAU ist sehr gut aufgestellt. Der Strategietag 2011 verankerte «nachhaltig in die Arbeit» im Programm. Die Teilnehmenden sollen vermehrt für Nachhaltigkeit sensibilisiert werden. Mit externer Berichterstattung soll die Nachhaltigkeit im FAU messbar gemacht werden. Aus dem Nachhaltigkeitsbericht und der Priorisierung der Themen sollen strategische Ziele formuliert werden. Wenn du deine Berufslaufbahn heute aufgleisen würdest, wie sähe die aus? Bei einem Neuanfang müsste ich mich mit allen technischen Erneuerungen bekannt machen. Ich müsste flexibel sein, denn eine Lebensstelle, wie ich sie hatte, gibt es heute nicht mehr. Also müsste ich mich in einem komplexen Prozess für eine freie Stelle bewerben. Ich würde aber nach wie vor in einem Forschungs umfeld arbeiten wollen. Hans Stricker ist Jurist. November 12 fauch 37 Projekte Teilnehmende Projekte Teilnehmende Die interkulturelle Kommunikation im Berufsalltag Nachhaltig Einkaufen in der Stadt Bern «Fair lädele in Bern» heisst der neue nachhaltige Einkaufsführer des FAU für die Stadt Bern. Über 30 Läden stellen darin ihre Produkte vor, die sich in der Qualität von der gängigen Massenware wohltuend abheben. Im Angebot finden sich Accessoires, Schmuck, Kleidung, Getränke, Blumen, Gemüse, Geschenk- und Kosmetikartikel und vieles mehr. «Fair lädele in Bern» ist ein Projekt des FAU – Fokus Arbeit Umfeld, das mit Teilnehmenden realisiert wurde. Die fernöstliche Kommunikation als Teil von Geschäftsverhandlungen stellt den westlichen Gesprächspartner immer wieder vor Tex t Sonja Sanders Mittlerweile gleichen sich die Einkaufsstrassen mit ihren inter nationalen Handelsketten auf der ganzen Welt. Billige Produkte überschwemmen die Märkte und verdrängen immer mehr die lokalen und kleinen Betriebe. Es ist von Ausbeutung, Kinderarbeit und Lohndumping die Rede. Aber es gibt sie noch, die einmaligen, sympathischen Läden und Lokale, die Klein- und Familienunternehmen. Mit viel Leidenschaft werden sie geführt, der Umgang mit der Natur, ihren Zuliefernden, Mitarbeitenden sowie der Kundschaft ist fair. Sie produzieren ihre Produkte und Dienstleistungen mit viel Liebe zum Detail, oftmals dort, wo sie verkauft werden. In einer Zeit, in der sich viele von uns wieder zurückbesinnen auf «alte» Werte, sich wieder bewusst werden, was wahrer Reichtum bedeutet und dass Konsum nicht gleich Konsum ist, sind diese Läden wegweisend für eine neue Art des Konsumierens. Der Begriff «LOHAS» (Lifestyle of Health and Sustainability) ist mittlerweile in aller Munde und zeigt auf, wie ein Gegentrend zur Konsumund Wegwerfgesellschaft Schule macht. Bewusstes Konsumverhalten soll die Welt besser machen, ethische Korrektheit steht an oberster Stelle, Qualität und Genuss haben ihren festen Platz. Nachhaltigkeit Aber dieser Einkaufsführer ist nicht nur für die LOHAS unter uns. Er ist für all diejenigen, die Freude an den kleinen und feinen Dingen haben. Dinge, die im Sinne der Nachhaltigkeit entstanden sind. FAU – Fokus Arbeit Umfeld hat den Gedanken der Nach haltigkeit fest in seinem Leitbild verankert. So erachtet er Nachhaltigkeit als Grundlage und zentralen Faktor seiner Arbeit und orientiert sich am Kompass des schwedischen Nachhaltigkeits experten Alan AtKisson. Die vier Dimensionen des Kompass – Natur/Umwelt, Ökonomie/Wirtschaft, Soziales/Gesellschaft und persönliches Wohlergehen – werden in allen Tätigkeitsbereichen möglichst gleich gewichtet. N at ur Woh lerg ehe n Soz i al e Bern Tourismus Auch Bern Tourismus setzt auf Nachhaltigkeit. Und deshalb freut es uns, e omi n o Bern Tourismus als Partner gewonnen Ök zu haben. Der Verein hilft nicht nur, das Unesco-Welterbe zu schützen und zu erhalten, die Organisation hat 2009 zudem die Herausforderungen. Es lohnt sich, die Bräuche des Landes genau Nachhaltigkeits-Charta von Schweiz Tourismus unterzeichnet. Bern Tourismus führt u.a. seine Stadtführungen CO2-neutral durch. So werden keine eigenen Rundfahrten im Bus angeboten und die rund 15 % begleiteten Car-Rundfahrten entsprechend kompensiert. Durch die Zusammenarbeit mit dem FAU wird so ein weiterer Beitrag an ein nachhaltiges Angebot in der Stadt Bern geleistet. Der Einkaufsführer «Fair lädele in Bern» porträtiert eine Auswahl an Läden und Lokalen. Im Angebot finden sich Handtaschen, Kleider, Sirup und Tee, Brillen, Schmuck, Blumen, Spielwaren, Biogemüse, Geschenk- und Kosmetikartikel, Kultobjekte aus dem Brocki und vieles mehr. Wer sich nach dem Einkauf bei einer Tasse Fair Trade Kaffee oder einer Massage ausruhen möchte, findet auch dafür die geeignete Adresse. Oder man kann sich bei einem Stadtrundgang mit Bern Tourismus in die Geheimnisse der Berner Altstadt einführen lassen. Natürlich bietet Bern noch mehr solcher Läden und Lokale. Alleine die zahlreichen Secondhand Läden hätten gut ins Konzept gepasst. Wir haben lediglich eine Auswahl getroffen. Und wir bleiben dran. Der Einkaufsführer kann bei uns auf der Website unter www.fau.ch bestellt oder in den Tourist Informationen im Bahnhof sowie beim Bären Park in Bern gekauft werden. «Fair lädele» konnte nur durch die wertvolle Mitarbeit unserer Teilnehmerinnen und Teilnehmer realisiert werden, die mit Eifer und Freude zum Gelingen dieses Projektes beigetragen haben. Ihnen allen gebührt ein herzliches Dankeschön für das ausserordentliche Engagement. Sonja Sanders ist FAU-Kommunikationsverantwortliche. zu studieren. Eine besondere Hürde ist, das Gleichgewicht zwischen Ein kräftiger Händedruck ist Ausdruck von Arroganz. Fremd- und Eigenkultur zu finden. Ein kurzer Erfahrungsbericht. T e x t P a t r i c k D r e h e r F oto s i m o n e g l o o r Sieben Jahre sind eine lange Zeit! Sieben Jahre lang chinesischer Arbeitsalltag und der tägliche Berufskontakt mit den Einheimischen hinterlassen Spuren. Das Geschäftsleben auf der anderen Seite der Weltkugel ist ziemlich anders, als wir es im Westen gewohnt sind. Jedes Business-Gespräch im ostasiatischen Kontext fängt mit einem standardisierten Begrüssungsritual an, das mit einem Händedruck eingeleitet wird, der sich für uns schwammig anfühlt. Ein kräftiger Handdruck hingegen ist als Ausdruck von Arroganz verpönt. Danach erfolgt die beidhändige Überreichung der Visitenkarte mit gleichzeitig leichtem Kopfnicken. Auch die täglichen Verhandlungen mit Kollegen und Kunden erfordern ein geschicktes Erkennen der Positionen, denn die chinesischen Gesprächspartner wenden die induktive Argumentationsform an. Die eigentliche Forderung wird erst am Ende des Gesprächs formuliert. Dies verlangt während der gesamten Präsentation volle Konzentration, denn die einzelnen Standpunkte müssen mit dem am Schluss formulierten Begehren verknüpft und gedeutet werden. Dabei folgen die Aussagen nicht zwingend der westlichen Vorstellung von Logik. Ein Ja kann ein klares Nein sein Ein Ja, wie es der westliche Gesprächspartner kennt, existiert in China nicht. Ja bestätigt lediglich, dass das Gesagte verstanden wird. Eine Zustimmung erwidert der Chinese mit einem Ja in klusive der Wiederholung der bejahenden Aussage. Eine klare Negation wird äusserst selten ausgedrückt. Standardaussagen wie «Überlassen Sie mir die Unterlagen zur Durchsicht», Gegenfragen, die Übertragung von der Verantwortung an den Mitarbeiter oder gar ein einfaches Ja zur Beendigung der Unterredung kann als klares Nein interpretiert werden. Werden die Verhaltensweisen falsch gedeutet, ist das Missverständnis schon vorbestimmt. Wird die asiatische Gesprächskultur vom westlichen Partner nicht angewendet, kann ein sich anbahnendes Geschäft komplett abgebrochen werden. Dabei spielt es keine Rolle, welcher Kultur der Verhandlungspartner entstammt. Mimik wichtiger als Worte Misserfolge erlebte ich besonders während meiner ersten S itzungen mit chinesischen Geschäftskunden. Stets habe ich die Zustimmung oder das Kopfnicken als Zusage missverstanden. Auch habe ich das chinesische Lächeln als Wertschätzung des Gesagten interpretiert, ohne zu wissen, dass es eigentlich einer Eskalation der Situation vorbeugen sollte. Es bedurfte des richtigen Erkennens und Entschlüsselns der einzelnen Situationen und der Mimik des chinesischen Gegenübers, was eine starke Sensibilisierung der eigenen Wahrnehmung voraussetzte. Einer Umpolung der eigenen Diskussionskultur gleich, übte ich mich in akribischer Vorbe reitung von wichtigen Sitzungen und Verhandlungen. Freunde und Kollegen gaben mir während und nach den Besprechungen Ratschläge und Interpretationen. Bald verinnerlichte ich die chinesischen Verhandlungsstrategien und konnte in der Folge erfolgreiche Geschäftsabschlüsse vorweisen. Korrekt und mit ruhiger Stimme begrüsste ich den chinesischen Gesprächspartner, indem ich mich mit weitausgestreckten Händen verbeugte und dabei meine Visitenkarte übergab. Meine Meinungen äusserte ich mit einem Ja auf chinesische Art und vermied ein allzu offenes und damit kränkendes Nein. Ich konzentrierte mich auf den Gesichtsausdruck meines Gegenübers und wertete die allgemeine Atmos phäre des Gesprächsablaufes als Mass für den Erfolg. Rückkehr in die westliche Kultur Wieder zurück in der westlichen Geschäftswelt bemerkte ich, wie mir die offene Ausdrucksweise und der tägliche Umgang ungewohnt erschienen. Ich hatte die fernöstliche Diskussionskultur so verinnerlicht, dass mir die zwar höfliche, aber direkte Art der westlichen Gesprächsführung nicht mehr geläufig war. Es brauchte Zeit und Übung, das Geschäftsdenken wieder auf die westliche Kultur auszurichten. Dabei kam mir des Öfteren ein chinesisches Sprichwort in den Sinn: «Schwer hat man es, wenn man auswandert, aber noch schwieriger ist die Rückkehr in die eigene Heimat.» Patrick Dreher ist Marketingspezialist. s November 12 fauch 39 Projekte Teilnehmende «Sie sind ein Profi, das sehe ich …» Belastbarkeit im Arbeitsalltag testen Ist das Burnout-Syndrom vorhersagbar? Ja, meint Peter Holliger von «DENKZEUGE». Der ehemalige FAU-Teilnehmer hat ein HR-Tool zur Einschätzung der Burnout-Resistenz entwickelt. Das FAUCH-Magazin befragte ihn zu den ersten Resonanzen. Als PR-Berater und Journalist gehörten unter anderem zwei Bereiche zu meinen Wunsch-Kommunikationsinhalten: Gestaltete Natur und Gemeinden. Mit meinem Einsatz in der Gemeindeverwaltung Köniz entstand eine Win-winSituation für alle Beteiligten. T e x t U r s M a n z Es tut gut, gefragt zu sein Sofort nahm ich Kontakt mit dem Leiter der Abteilung Umwelt und Landschaft der Gemeindeverwaltung auf, wo sich die Einsatzmöglichkeit ergeben hatte. Als Kommunikationsspezialist wollte ich schon lange mal für eine Gemeinde kommunizieren. «Sie sind ein Profi», meinte er, als ich ihm meinen Lebenslauf zeigte, «mehr muss ich nicht sehen.» Es stünden drei Presseorientierungen an, und der Webauftritt der Abteilung müsse überprüft und über arbeitet werden. «Wann können Sie beginnen?» Oh, wie tat das gut, nach monatelangem vergeblichem Bemühen auf dem Arbeitsmarkt wieder mal gefragt zu sein! Einige Tage später sass ich an einem improvisierten Arbeitsplatz im Bürogebäude auf dem Könizer Werkhof, mit schöner Aussicht auf einen Wald, auf interessante Arbeit und mit unkomplizierten Leuten. Ich arbeitete bei der Wakker-Preisträgerin 2012 und Energielabel Gold Stadt Köniz und kommunizierte gelungene Projekte aus dem 40 Die Stadt Köniz mit Wakker-Preis 2012 gekrönt F otos G e m e i n d e Kö n iz «Bist du interessiert an einem Einsatz auf der Gemeindever waltung der Gemeinde Köniz?», fragte mich Muriel Riesen, mein Coach am Standort Bern des FAU. «Ja, klar!», war meine Antwort. Ich wuchs in dieser grössten Agglomerationsgemeinde der Schweiz auf, und obwohl ich über die Hälfte meines bisherigen Lebens anderswo verbrachte, habe ich den Kontakt zur Berner Vorortsgemeinde nie verloren. Schon als Schulkind war ich stolz, Könizer zu sein: So legte ich immer grossen Wert darauf, zu betonen, dass der Berner Hausberg Gurten zur Gemeinde Köniz gehört und die Gründung des Klosters Köniz durch den Deutschritterorden vor der Gründung der Stadt Bern erfolgte. Die ersten Bewohner von Bern mussten nach Köniz in die Kirche gehen und nicht etwa umgekehrt. T e x t C h r i s t i a n e Wi l l e m e i t F oto M a r g a s c h u t t e n h e l m fauch November 12 Dienstzweig Landschaft, die alle mit gestalteter Natur zu tun haben. Ich war motiviert und freute mich jeden Morgen aufzustehen. Als eidg. dipl. PR-Berater weiss ich, wie man Medienorientierungen plant, organisiert und aufgleist, auch wenn sie so kurz aufeinander folgen. Noch wusste ich aber wenig über das Bistro im Liebefeld Park und über diesen preisgekrönten urbanen Freiraum, nichts über die Erneuerung und Erfordernisse von Spiel- und Aufenthaltsplätzen und wenig über naturnahen Hochwasserschutz. Ich verhielt mich wie als Berater einer Kommunikationsagentur und orientierte mich fachlich und nicht hierarchisch. Als ehe maliger Journalist suchte ich zudem das «Fleisch am Knochen». Publizistisches Multitasking Die Herausforderung bestand darin, mich rasch in die anstehenden Themen einzuarbeiten. Ich half mir damit, dass ich nicht nur die teilweise sehr belastet wirkenden Zuständigen konsultierte, sondern auch die involvierten externen Stellen beizog. Herausfordernd war auch das Multitasking: Ich war ja nicht nur für diese Medienorientierungen gefragt, sondern analysierte auch noch den ganzen Webauftritt der Abteilung. Diese Analyse machte ich so schnell wie möglich, um mal einen Pflock einzuschlagen. Als Ghostwriter schrieb ich auch einen umfangreichen Beitrag über die Energiestrategie der Gemeinde für das Sonderheft «Akzent Baukultur: Köniz» des Berner Heimatschutzes. Daneben beriet ich die Fachstelle Energie mit und löste für die Abteilung Kommunikations-Sofortaufgaben. Die Medienorientierungen gelangen gut, die Botschaften kamen rüber, das Medienecho war positiv, und die Artikel trugen zur Profilierung der politisch Verantwortlichen bei. Am wichtigsten waren mir persönlich aber meine Arbeiten am Web: Ich habe es geschafft, Verbesserungen des Web-Auftrittes nicht nur vorzuschlagen, sondern sie auch umzusetzen, was in einer Verwaltung nicht ganz einfach ist. Nun habe ich meinen Einsatz in Köniz abgeschlossen. Meine Zukunft ist offen und sieht mit meinem Alter von 55 nicht rosig aus, ein Wiedereinstieg ist schwierig, und ich mache mich vielleicht selbständig mit einem möglichen Fokus auf Kommunikationsarbeit für Gemeinden. Urs Manz ist eidg. dipl. PR-Berater. Eine stabile Gesundheit bildet im Arbeitsmarkt die Basis einer erfolgreichen und erfüllenden Berufstätigkeit, denn viele Erkrankungen führen zu einem frühzeitigen Berufsende. Fast die Hälfte wird dabei von psychischen Erkrankungen (42 Prozent) – neben den physiologischen (58 Prozent) wie Krebs oder Herz-/Kreis lauferkrankungen – verursacht. Die volkswirtschaftliche Kostenbelastung «aufgrund stressbedingter Beschwerden beläuft sich auf jährlich 4,2 Milliarden Franken. Die Vermutung liegt nahe, dass Burnout für einen Grossteil der Kosten verantwortlich ist», so Psychiater Joe Hättenschwiler vom Zürcher Zentrum für Angstund Depressionsbehandlung (ZADZ). Die genaue Erfassung von Burnout gestaltet sich schwierig, da diese Erkrankung nicht als eigenständige klinische Diagnose erfasst ist und sich die Symptome mit anderen Krankheitsbildern wie Depression oder Angststörung überlappen. Bedarf an belastbaren Kandidaten Während seiner FAU-Teilnahme hat Peter Holliger den BurnoutResistenz-Inventur-Test (BRI12) entwickelt, um im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements die Burnout- und Depressionsanfälligkeit bei Kandidaten für Neueinstellungen oder Beförderungen einschätzen zu können. Als Personalentwickler wurde Holliger immer wieder mit den Arbeitgeberansprüchen nach belastbaren Mitarbeitern konfrontiert, woraus er ein Bedürfnis nach einem Prognose-Tool ableitete, das direkt vom HR-Perso nal eingesetzt werden kann. «Es werden ja bereits heute verschiedene Testverfahren oder Assessments angewendet, um Kandidaten besser einschätzen und den optimalen für die Firma finden zu können. Burnout hat zwar eine volkswirtschaftliche Dimen sion, aber natürlich muss auch das Individuum berücksichtigt werden. Das BRI12-Verfahren dient Menschen, die frühzeitig den Grad ihrer Belastbarkeit erkennen und präventiv oder gegebenenfalls auch therapeutisch reagieren möchten. In Firmen können Kaderleute durchleuchtet werden, um dann an Workshops teil zunehmen oder gemeinsam Veränderungsmöglichkeiten zu entwickeln – selbstverständlich ohne Gesichtsverlust der betroffenen Mitarbeiter.» Auch die getesteten Arbeitnehmer sparen nicht mit positiven Reaktionen: «Alle haben den Test und die daraus resultierende Erkenntnis über ihre eigenen Ressourcen als Bereicherung empfunden. Bei Bewerbungsgesprächen ist klar, dass eine Verweigerung die Chance auf den Job verringert, aber eigentlich schaffe ich mit einem vorgängigen Gespräch eine Vertrauensbasis, auf der ich den Test aufbaue. Die Antworten werden dann konstruktiv besprochen. Da der BRI12 vor allem Auskunft im Bereich Selbstund Sozialkompetenz gibt, habe ich nun auch schon Arbeit nehmer, die den Test privat bei mir absolvieren und ihn als ergänzendes Zertifikat im Bewerbungsdossier angeben.» Wissenschaftliche Untersuchung Zukünftig hat Peter Holliger viel mit seinem Prognose-Tool vor. Er möchte einerseits den wissenschaftlichen Aspekt vertiefen – «in ein bis zwei Jahren soll dieses Tool als Arbeitsthese für eine wissenschaftliche Forschung dienen» – und die Fragen weiter modifizieren. «Ich wünsche mir auch, dass HR-Mitarbeiter diesen Test nach einer fundierten Ausbildung selbst einsetzen, denn momentan führe ich ihn immer noch selbst in befristeten Mandaten durch. Ich stelle mir auch vor, dass das Tool im Bereich der Schulen, an Lehrerfortbildungen, eingesetzt wird und man damit gezielt Ressourcen-Arbeit leisten kann.» Risiken der Prognose sieht Holliger in möglichen Kollisionen mit Lehrmeinungen und einer Pathologisierung. Auch eine Antwort auf die Frage nach der Verantwortung der Arbeitgeber bleibt der Test schuldig. Denn neben internen Persönlichkeitsfaktoren und der Verfügbarkeit von Bewältigungsstrategien spielen eben auch externe Faktoren wie Arbeitsorganisation und Arbeitsklima – insbesondere die Bewertung der Arbeit durch Vorgesetzte – bei der Entwicklung eines Burnouts eine Rolle. www.denkzeuge.org Peter Holliger ist Coach. Bereichernde Erkenntnis Die bisherige Resonanz auf das Testverfahren beschreibt Holliger als erfolgreich. Seit Herbst setzt eine grosse Firma das Tool bei ihren Kaderleuten ein, mit weiteren Firmen ist es im Gespräch. 41 Gesehen Gelesen Gehört Gesehen Gelesen Gehört Die andere Karriere Vorne weg, die andere Karriere ist kein weiterer Ratgeber darüber, wie man es in seinem aktiven Berufsleben bis ganz nach oben schaffen könnte. Beat Bühlmann, der ehemalige Inlandredaktor des Tagesanzeiger und Lehrbeauftragter an der Hochschule Luzern (Soziale Arbeit) zeigt hier anhand spannender Projekte, wie man sich nach der Pension sinnvoll für die Gesellschaft engagieren kann. Ein Leben lang lernen wir. Wohin, mit all dem Wissen, wenn wir erst einmal pensioniert sind? Wer weiter aktiv sein möchte, kann dies tun. «Die andere Karriere» ist ein guter Einstieg hierzu. Sechs Porträts bieten Ansätze, in welche Richtung Engagement es gehen kann. Die Beteiligung des Migros Kulturprozents und das Vorwort der Nationalratspräsidentin Pascale Bruderer zeigen auf, dass dieses Thema in der Gesellschaft angekommen ist. Wer sich Gedanken darüber macht, ob es ein Leben nach dem Berufsleben gibt, dem sei dieses Sachbuch empfohlen. Beat Bühlmann (Hrsg.) Altorfer Heinz, Graf Maja, Höpflinger François, Kubisch Sonja, Peter Colette: Die andere Karriere Gesellschaftliches Engagement in der zweiten Lebenshälfte – am Beispiel von Innovage. Interact Luzern 2010 Lifestyle 202X Warum scheinen sich alle Dinge in unserer Zeit zu beschleunigen? Sind Zeitknappheit, prekäre Beziehungen und Stress der Preis, den wir für mehr Freiheit und Vernetzung zu bezahlen haben? Warum hat Facebook mehr «Einwohner» als die meisten Länder dieser Welt? Macht die Individualisierung unsere Gesellschaft zur kalten und abgestumpften Zweckgemeinschaft? In der Essay-Sammlung «Lifestyle 202X» zeichnet der Schweizer Georges T. Roos Visionen von zukünftigen Lebensstilen und vertieft damit die wesentlichen Themen seiner vielen Vorträge. «Der Mensch ist kein Einzeltier, sondern sucht immer auch Dazugehörigkeit...», so Roos. Am Beispiel Mode heisst das für ihn konkret: «Worin liegt die Individualität bei all den Menschen, die mit Jeans und T-Shirt herumlaufen? Wer selbst zur Gruppe der Jeans-T-Shirt-Träger gehört, weiss sehr fein zu differenzieren: Welche Jeans trägt man? Welchen Schnitt? Welche Marke? Wer nicht zur Jeans-T-ShirtFraktion gehört, sieht solche Nuancen kaum. Er nimmt blosse Uniformität wahr und findet sie langweilig.» Dieses Büchlein empfiehlt sich als intellektuelle und kreative Inspira 42 fauch November 12 tion. Zudem werden Roos’ Texte über Mega trends und Zeit-Phänomene mit ausdrucksstarken Illustrationen angereichert. Georges T. Roos, Anaïs Hostettler: Lifestyle 202X Versuch einer Zeitdiagnose / Gesellschaft von morgen verstehen ROOS Büro für kulturelle Innovation, Luzern 2011 Verteilungsbericht 2012 Das Fazit sollte aufrütteln: 1 Prozent der Schweizer Bevölkerung besitzt mehr als die übrigen 99 Prozent. Oder: 301 Jahre müsste ein CS-Angestellter arbeiten, um den Jahreslohn seines CEO zu verdienen. Beim Lohn und bei Vermögen zeigt sich, was der «Verteilungsbericht 2012» deutlich formuliert: die Schere zwischen Arm und Reich geht weiter auseinander. Weil die Ungleichheit in der Schweiz so abrupt gestiegen ist, veröffentlicht der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) seit 2011 einen Verteilungs bericht. Damit wurde eine Lücke geschlossen, denn bisher hat niemand diese Fakten so zusammengestellt. Der neue Verteilungsbericht des SGB und seines Chefökonomen Daniel Lampart ist eine 55seitige, dichte und mit vielen verständlichen Grafiken aufgearbeitete Übersicht über die soziale Frage in der Schweiz. Er kann beim SGB (www.sgb.ch) gratis bestellt oder online unter www.verteilungsbericht.ch abgerufen werden. Daniel Lampart und Daniel Gallusser: SGB-Verteilungsbericht 2012. Eine Analyse der Lohn-, Einkommens- und Vermögensverteilung in der Schweiz. Dossier Nr. 86, Bern 2012 Suva Zukunftsstudie 2029 Die «Zukunftsstudie 2029» der Suva bestätigt einerseits: Der zunehmende Zeit- und Leistungsdruck am Arbeitsplatz ist ein ernst zunehmendes Gesundheitsrisiko. Wer diesem Druck nicht standhalten kann, wird es auf dem Arbeitsmarkt schwer haben: «Es häufen sich Hinweise, dass vermehrt Lifestyle-Medikamente eingenommen werden, mit denen gesunde Menschen versuchen, ihre Leistung zu steigern.» Andrerseits spricht der Bericht von «...intelligenten Systemen wie in die Arbeitskleidung eingewobene Sensoren und Sender, die mehr Sicherheit am Arbeitsplatz bieten. Die Dinge der realen Welt werden lernen, miteinander zu kommunizieren und selbständige Massnahmen auszulösen.» 11 Experten haben in der «Zukunftsstudie 2029» ein Überblicksszenario gezeichnet, in dem Umweltveränderungen in Zusammenhang mit Unfall risiken genauso thematisiert werden wie die durch den demografischen Wandel und die Technologie getriebene Arbeitswelt. Die Studie leitet 21 Signale von der individuellen «Glücksjagd» über die «Intrapreneurship» bis zum schwindenden «Corporate Memory» für neue Unfall- und Berufskrankheiten ab und zeigt mögliche Präventionsmassnahmen auf. Suva (Hrsg.): Zukunftsstudie 2029 Expertenstudie zu künftigen Unfall- und Berufskrankheitsrisiken und Präventionschancen Suva, Luzern 2010 rechtsexpertin Irmtraud Bräunlich Keller im Beobachter-Handbuch «Flexibel arbeiten: Temporär, Teilzeit, Freelance». Sie geht Fragen nach ob ein Anstellungsverhältnis vorliegt, worauf im Einzelfall zu achten ist und ab wann man als selbständig anerkannt wird. Weitere Themen sind befristete Verträge, Teilzeit und Jobs auf Abruf und wie dabei rechtliche Grauzonen zu vermeiden sind. Ausserdem erfährt man alles rund um die Temporär-, Teleund Heimarbeit und welche Rechte die Arbeitnehmer durchsetzen können. Tipps, um dubiose Jobangebote zu erkennen, sind genauso aufgeführt wie Angaben zu Vorsorge und Versicherungen. Zahlreiche Beispiele, praktische Checklisten, entsprechende Gesetzesartikel und weiterführende Links veranschaulichen die Informationen. Für die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt ist man mit diesem übersichtlichen und umfassenden Ratgeber bestens gerüstet. Irmtraud Bräunlich Keller: Flexibel arbeiten: Temporär, Teilzeit, Freelance Was Sie über Ihre Rechte wissen müssen Beobachter Buchverlag, Zürich 2012 Grundeinkommen «Ein Einkommen ist wie Luft unter den Flügeln!» so beginnt der Film. Sollte das für jeden bedingungslos sein? Kann es das geben: ein wirtschaftliches Bürgerrecht? Der Film ist packend, bewegt, berührt und kommt gerade da auf den Punkt, wo es um reine Vernunft geht. Er lässt die Verhältnisse - und die Aufgabe des Geldes – unter einem neuen Licht sehen. Ein brandaktuelles Thema. Der Film «Grundeinkommen» macht neugierig und lädt zum Weiterdenken ein. Eine äusserst sehenswerte Lektion Wirtschaftskunde. Daniel Hänni, Enno Schmidt: Grundeinkommen. Ein Film-Essay www.kultkino.ch/kultkino/besonderes/grundeinkommen www.rentarentner.ch «Jede alte Schachtel, jeder alte Sack ist etwas wert», sagt Peter Hiltebrand, der Gründer von Rent a Rentner. Damit ältere Menschen nicht daheim versauern und sich einen Zustupf verdienen können, hat er vor gut zwei Jahren die Onlineplattform Rentarentner.ch gegründet. Mittlerweile bieten 700 Rentnerinnen und Rentner im ganzen Land ihre Arbeitskraft an. Sie wählen aus einer Liste von Tätigkeiten aus, welche Jobs sie anbieten, und registrieren sich kostenlos online. Das Geschäftsmodell hat über die Landesgrenzen hinaus Beachtung erfahren. Es gibt Pläne, die Firma auszubauen und Deutschland, Österreich und Frankreich mit Franchise-Lösungen zu integrieren. (mom) www.rentarentner.ch © RENT A RENTNER GMBH Länggenstrasse 26, 8184 Bachenbülach Job Future – Future Jobs Megatrends verändern die Welt: Klimawandel und Globalisierung, steigende Lebenserwartung und Verstädterung, neue Technologien und der Aufstieg Asiens. Diese Trends greifen tief in unsere Berufswelt und unser Privatleben ein. Wir brauchen die besten Köpfe, um diese Megatrends für uns zu nutzen, schreibt Lynda Gratton, Professorin für Management Practice an der London Business School, in ihrem Buch. Fortschrittliche Unternehmen finden und halten gute Leute, indem sie ihnen die gesamte Palette der Arbeitsformen bieten - Teilzeitjobs und volle Stellen, Jobs im Büro, zu Hause oder irgendwo auf der Welt. Lynda Gratton hat für dieses Buch mit mehr als 200 Experten in Unternehmen auf der ganzen Welt zusammenge arbeitet, von Nokia über Henkel und American Express bis zur Non-Profit-Organisation Save the Children. Wer wissen will, wie wir morgen arbeiten werden, muss dieses Buch lesen. Lynda Gratton: Job Future – Future Jobs Wie wir von der neuen Arbeitswelt profitieren. Hanser Verlag, München 2012 Flexibel arbeiten: Tempo rär, Teilzeit, Freelancer Die Arbeitswelt ist im Wandel. Um welche neuen Arbeitsformen es geht, erklärt die Arbeits- November 12 fauch 43