Arbeitsheft Kulturwissen

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Arbeitsheft Kulturwissen
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Mitglied der Fachhochschule Ostschweiz FHO
www.fhsg.ch
1
Soviel Anfang war nie – Das Entstehen der
beiden Deutschland nach 1945.
2
Editorial
Geschätzte Leserin
Geschätzter Leser
Der Zerfall des Kommunismus hat zur Bildung einer Vielzahl von neuen Staaten geführt. Junge Menschen, unsere Studierenden, interessieren sich für diese spannenden
Prozesse. Das vorliegende Arbeitsheft Kulturwissen erörtert das Werden der zwei
Deutschlands in den Jahren 1945 bis 1949
und zeigt so exemplarisch auf, wie aus einer katastrophal verfahrenen Situation in
kurzer Zeit, einem Phönix aus der Asche
gleich, zwei mehr oder weniger geglückte
neue Staatswesen entstehen können.
Gerade die neu entstandene Bundesrepublik musste sich dabei intensiv mit der
Schuldfrage auseinandersetzen; die Vergangenheitsbewältigung prägte die Zeit nach
dem Ende des Zweiten Weltkriegs bis weit
in die sechziger Jahre hinein und ist bis
heute noch nicht abgeschlossen. Gleich wie
die Schweiz mit der Kommission SchweizZweiter Weltkrieg und dem Bergier-Bericht
setzt sich auch Deutschland immer wieder
mit den grausamen zwölf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft auseinander.
Aus diesem Grund enthält das vorliegende
Arbeitsheft Kulturwissen auch Interpretationen literarischer Werke (Zuckmayer,
Bamm, Böll, Apitz), welche im Bereich der
Vergangenheitsbewältigung als Erste Analysen und Deutungsversuche vorgelegt haben. So wird auch dieses Arbeitsheft dem
Bekenntnis der FHS St. Gallen zur Interdisziplinarität gerecht. Es vermittelt den Studierenden Kenntnisse, auf die sie angewiesen sind, um nach Abschluss ihres Studiums
im wirtschaftlichen und politischen Alltag
bestehen zu können.
Wir hoffen, dass dieses Heft Studierenden,
Lehrkräften und Geschichtsinteressierten
interessante Einblicke und neue Einsichten
vermittelt.
Prof. Dr. Peter Faesi
Dozent für Kulturfächer
3
4
Inhaltsverzeichnis
Editorial
3
Kriegsende und Kapitulation
6
Die Konferenz von Potsdam
12
Denazifizierung
16
Marshallplan und Berlin-Blockade
18
Carl Zuckmayer und Peter Bamm
22
Staat auf Befehl: Demokratisierung und Grundgesetz
28
Trümmerliteratur und Kahlschlag
30
Die Ära Adenauer
34
Wolfgang Koeppen, Das Treibhaus
38
Stimmung der fünfziger Jahre
40
Heinrich Böll, Der Zug war pünktlich
46
Die Entstehung der DDR
48
Bruno Apitz, Nackt unter Wölfen
54
Verzeichnisse und Anhang
58
5
Kriegsende und Kapitulation
Abb. 1: Flüchtlingsströme 1945 bis 1950
6
04. – 11. Februar 1945
Konferenz von Jalta
12. April 1945
Tod Roosevelts
30. April 1945
Selbstmord Hitlers
07. März 1945 Rheinüberquerung bei Remagen
25. April 1945
Zusammentreffen in Torgau an der Elbe
07. / 08. Mai 1945
Kapitulation in Reims / Berlin
1945 ist die militärische Lage für Deutschland hoffnungslos. Im Januar 1945 erfolgt
von Osten her der entscheidende Schlag gegen die deutsche Wehrmacht. Am 12. Januar brechen die sowjetischen Truppen aus
dem Weichselbrückenkopf bei Baranow aus
und durchstossen die deutschen Linien. Innerhalb von wenigen Tagen bricht die ganze
deutsche Front zwischen Ostsee und Karpaten zusammen, und die russischen Armeen
ergiessen sich, einen riesigen Flüchtlingsstrom vor sich hertreibend, über die Ostgrenze des Reiches.
Schlacht. Am 6. März fällt jedoch das stark
zerstörte Köln in die Hände der Alliierten.
Einen Tag später nehmen die Alliierten die
von den Deutschen nicht gesprengte Brücke von Remagen in Besitz und überschreiten auf breiter Front den Rhein, Remagen
wird zum wichtigsten Brückenkopf für die
westlichen Alliierten. „Die Brücke ist ihr Gewicht in Gold wert“, ruft der alliierte Oberbefehlshaber Eisenhower aus.
norddeutsche Tiefebene ein und bedrohen
die Häfen der Nord- und Ostseeküste. Im
Süden erobern Amerikaner und Franzosen
Baden und Württemberg; General Pattons
dritte Armee erreicht die Donau und damit
die tschechoslowakische Grenze.
Ende Januar fällt das oberschlesische Kohlenrevier fast unversehrt in sowjetische
Hand, Anfang Februar erreichen die russischen Panzerspitzen Küstrin und Frankfurt an der Oder, Berlin liegt in Reichweite
der Sowjets. In Frankfurt an der Oder erlahmt der sowjetische Vorstoss allerdings.
Er hat seinen Zweck erfüllt, nämlich Stalin an der beginnenden Konferenz von Jalta
eine starke Position gegenüber Churchill
und Roosevelt zu verschaffen. Die sowjetischen Truppen können sich im Februar und
März darauf beschränken, ihre Eroberungen
zu konsolidieren.
Anfang Februar 1945 beginnen auch die
westlichen Alliierten mit ihrem Angriff auf
die Stellungen der Siegfriedlinie in der Eifel. Getreu dem Schwur, keinen Fussbreit
deutschen Boden aufzugeben, stellen sich
die Deutschen westlich des Rheins zur
Was folgt, ist ein Vormarsch, der an Tempo
jede bisherige Offensive des Kriegs in den
Schatten stellt. Die amerikanischen Armeen stossen innert dreier Wochen bis an
die Elbe und tief nach Thüringen hinein vor.
Die Briten unter Montgomery dringen in die
Mitte April sind die Reserven der deutschen
Wehrmacht erschöpft, jeder organisierte
Widerstand ist zusammengebrochen. Die
deutsche Wehrmacht verteidigt nur noch
einzelne Stützpunkte, zum Teil weit hinter den Fronten, so in Breslau, in Königsberg und auf der Halbinsel Hela. Während
in Deutschland bereits der Endkampf tobt,
stehen zudem noch immer deutsche Soldaten auf völlig verlorenen Posten über ganz
Abb. 2: Churchill, Truman und Stalin in Potsdam
Kriegsende und Kapitulation
Europa verstreut: in Kurland, in Norwegen
und Dänemark, in Dünkirchen, auf den Kanalinseln, an der Atlantikküste und sogar
auf Kreta und Rhodos. In der gespenstischen Welt des Führerhauptquartiers ergeht sich Hitler in Illusionen und operiert
mit Truppen, die längst aufgerieben sind.
In den letzten Kriegswochen sieht es aus,
als käme es zwischen westlichen und sowjetischen Alliierten zu einem Wettlauf um
Berlin. Aber dieser Wettlauf ist bereits seit
Anfang Jahr entschieden, und zwar weil die
westlichen Alliierten erklären, Berlin sei kein
lohnendes militärisches und politisches Ziel
mehr. Die Gründe für diesen Verzicht auf
Berlin sind folgende: Erstens hat US-Präsident Roosevelt die psychologische Bedeutung Berlins unterschätzt, zerfällt doch erst
mit der Eroberung der Reichshauptstadt
das Dritte Reich endgültig. Und zweitens
glaubt Roosevelt, seine Truppen in den Süden schicken zu müssen, wo er eine reduitartige Alpenfestung vermutet, eine Festung, die allerdings nur in der Phantasie
der Nazis existiert. Der amerikanische Verzicht auf den Marsch nach Berlin erweist
sich als folgenschwere Konzession an die
Sowjets, erlaubt Stalin, Berlin unbehindert
zu besetzen, und verschafft Moskau vierzig
Jahre lang wesentliche psychologische, militärische und politische Vorteile.
Abb. 3: Die letzten Stützpunkte der Deutschen 1945
Abb. 4: Die illusionäre Alpenfestung
8
Ende März schlägt Eisenhower ein Zusammentreffen zwischen Alliierten und Sowjets
an der Elbe vor. Churchill opponiert scharf,
sieht er doch in der Sowjetunion ein ebenso
grausames System wie im Nationalsozialismus. Legendär ist Churchills Ausspruch
in bezug auf Hitler und Stalin: „Wir haben
das falsche Schwein geschlachtet.“ Eisenhower aber setzt sich durch: Am 25. April
1945 schütteln sich Leutnant William D. Robertson und Soldat Alexander Silwaschko
in Torgau an der Elbe die Hände. Sie können sich nicht verständigen, aber Robertson klopft Silwaschko immer wieder auf die
Schulter und lacht ihn an. Die legendäre
Fotografie wird erst einen Tag später geschossen, da bei diesem historischen Ereignis gerade kein Fotograf anwesend ist. Das
deutsche Reich ist so endgültig zwischen
westlichen und sowjetischen Alliierten aufgerieben. „Wie schnell sind tausend Jahre
um“, kommentiert der Flüsterwitz.
Noch vor Hitlers Selbstmord setzt sich
Himmler, Reichsführer SS und damit einer
der mächtigsten Männer im Dritten Reich,
ab und bietet den Alliierten die Kapitulation
an, was Hitler zur Raserei bringt. In völliger
Selbstverblendung glaubt Himmler tatsächlich, als Verhandlungspartner der Alliierten
akzeptiert zu werden. Zum Erstaunen von
Himmler gehen die Alliierten nicht auf sein
Angebot ein, Himmler begeht Selbstmord.
Nach Hitlers Selbstmord unterbreitet dann
auch Propagandaminister Goebbels eine
Friedensofferte an Stalin, bevor er sich mit
seiner Frau und seinen sechs Kindern umbringt.
Am 7. Mai 1945 kapituliert das Dritte
Reich bedingungslos in Reims. Wie schnell
die Zusammenarbeit zwischen westlichen
und sowjetischen Alliierten allerdings zerfällt, zeigt die Tatsache, dass die Sowjets
verlangen, dass die Kapitulation vor ihnen
wiederholt wird. Deutschland kapituliert ein
zweites Mal am 8. Mai 1945 in Berlin.
Die Bilanz des Krieges übersteigt alle Begriffe:
55 Millionen Tote
35 Millionen Verwundete
20 Millionen Flüchtlinge
sind zu beklagen, das Schicksal vieler Angehöriger ist noch auf Jahre hinaus ungewiss. Deutschland liegt in Schutt und Asche.
„Das grosse Carthago führte drei Kriege. Es
war noch mächtig nach dem ersten, noch
bewohnbar nach dem zweiten. Es war
nicht mehr auffindbar nach dem dritten,“
hat Bertolt Brecht geschrieben. In Hamburg
sind 53 % der Häuser zerstört; sogar Elefanten werden zum Abtransport der Trümmer eingesetzt. Ein Drittel des Volksvermögens von 1936 ist vernichtet.
Der Krieg war total, und die Niederlage ist
es ebenfalls. De Gaulle erklärt eine Woche
nach der Kapitulation vor der französischen
Assemblée constitutive: „Deutschland, in
seinem Traum von der Herrschaft bis zum
Fanatismus hingerissen, hat den Krieg so
geführt, dass der Kampf materiell, politisch
und moralisch ein totaler Kampf war. Der
Sieg muss daher ein totaler Sieg sein. Das
ist geschehen. Insofern sind der Staat, die
Macht und die Doktrin, ist das Deutsche
Reich zerstört.“1
Die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln unterschreitet das Existenzminimum. „Millimeterschrittchenweise und
frostbeulengequält“, schreibt Peter Wapnewski in seinen Lebenserinnerungen, hätten sich die Studenten in sohlenlosen Schuhen auf den Weg in die Hörsäle gemacht
und hätten begierig in ihr Gedächtnis gesogen, was sie mangels Papier sowieso nicht
aufschreiben konnten.2 Mäntel aus Soldatendecken, Kleider aus Verdunkelungsstoff, Strümpfe aus Zuckersäcken, Schuhe
aus Autoreifen, Hosenträger aus Riemchen
von Gasmasken – der Einfallsreichtum
kennt keine Grenzen. Ganz besonders begehrt sind in diesen Jahren Fallschirmseide
- aus ihr lassen sich Brautkleider nähen –
und Munitionskisten, egal ob von Freund
oder Feind: als Küchenschränke, als Kühlschränke, als Kochkisten beim Sparen von
Energie. Was der Krieg übrig gelassen hat,
sammelt man auf Feldern und Wiesen auf:
Stahlhelme, Flugzeugteile, Kartuschen. Aus
dem Altmetall entstehen Schalen, Vasen,
9
Kriegsende und Kapitulation
Kannen, Kerzenträger und Weihwasserbecken. Ein Ring aus Patronenhülsen wird zum
Trauring-Ersatz. Und auch das kleine Glück
gehört dazu: Wenn es keine Zigaretten gibt,
behilft man sich mit der Marke „Eigenbau“,
selbst gepflanzt, selbst getrocknet, selbst
geschnitten. Im besten Fall erweist sich ein
Care-Paket aus den USA als ganz grosses
Los; Schokolade, Kakao und Kaffee sind
darin, alles Dinge, die es in Deutschland
nicht zu kaufen gibt. Wohl auch dem, der
im Krieg seine Wohnung behalten hat, auch
wenn jetzt sieben Personen in einem Raum
leben müssen.
Die Aufgaben der Alliierten nach der Kapitulation sind denn auch gigantisch: General Dwight D. Eisenhower, Kommandant
der Supreme Headquarters of Allied Expeditionary Forces (SHAEF), sieht sich einer
unübersichtlichen, von Massenmigration,
Hunger und grossflächigen Kriegszerstörungen geprägten Situation gegenüber.
In Deutschland und Österreich zusammen
befinden sich mehrere Millionen Displaced
Persons, darunter zahlreiche Überlebende
der nationalsozialistischen Konzentrationslager, die versorgt werden müssen. Dazu
strömen 10 bis 13 Millionen Flüchtlinge
aus dem Osten des Deutschen Reiches in
den Westen, die ebenfalls versorgt werden
müssen. Der Nahrungsmangel, verschärft
durch Transportprobleme, stellt für ganz
Westeuropa ein ungeheures Problem dar.
Auf dem Gebiet des Deutschen Reiches
10
fällt die landwirtschaftliche Produktion infolge von Arbeitskräfte- und Düngemittelmangel um 20 bis 30 Prozent gegenüber
den Vorkriegswerten zurück. Die Unterordnung der gesamten Wirtschaft unter die
Rüstungserfordernisse sowie die Strategie
der „verbrannten Erde“, die Hitler noch
in den letzten Kriegswochen durchzusetzen suchte, tragen das Ihre zur eklatanten
Nahrungsmittelknappheit bei. Was auf dem
Land wieder angebaut wird, gelangt selten in die Städte, sondern bleibt auf dem
Land, wo es von Kunden im Tauschhandel
erworben wird: Hamstern dominiert den
Überlebenskampf. Kohlenklau ist so stark
verbreitet, dass Kohlentransporte von Polizisten bewacht werden müssen.
Aufs schärfste ist dem kanadischen Revisionisten James Bacque zu widersprechen, der
den Alliierten vorwirft, sie hätten absichtlich
und planmässig den Hungertod von Millionen von Deutschen herbeigeführt; weder
sind seine auf Millionen hochgerechneten
Opferzahlen haltbar, noch kann von einer
bewussten Aushungerung der Deutschen
die Rede sein.3
„Die Schrift an der Wand hiess: leben und
beschaffen“, heisst es in Christoph Meckels
Text „Suchbild“ von 1983.
Abb. 5: Ausschnitt aus Meckel, Suchbild
11
Die Konferenz von Potsdam
Schon am 5. Juni 1945 erklären die Alliierten, sie übernähmen „in Anbetracht der
Niederlage Deutschlands ... die oberste Regierungsgewalt“ auf allen staatlichen Ebenen. An der Gipfelkonferenz der „Grossen
Drei“ vom 17. Juli bis 2. August 1945 nehmen der Roosevelt-Nachfolger Truman,
Stalin, Churchill bzw. - nach den Wahlen
in England - dessen Nachfolger Attlee teil.
Frankreich ist nicht zugezogen worden und
erhebt in der Folge Vorbehalte gegen eine
geplante Zentralgewalt, die denn auch nie
zustande kommt. Diese Konferenz von Potsdam ist kein eigentlicher Friedensschluss,
es werden nur provisorische Beschlüsse gefasst.
Deutschland zerfällt in vier Besatzungszonen. Den Militärgouverneuren steht die gesetzgebende, rechtsprechende und vollziehende Gewalt in den besetzten Zonen zu.
Die Besatzungstruppen sind:
12‘000 Amerikaner unter Dwight

D. Eisenhower in Frankfurt a.M.
25‘000 Briten unter Gen. Montgo
mery in Bad Oeynhausen
11‘000 Franzosen unter General

Lattre de Tassigny in Baden-Baden
60‘000 Russen unter Marschall

Schukow in Berlin-Karlshorst.
„Bis auf weiteres wird keine deutsche Regierung errichtet werden. Jedoch werden
einige wichtige zentrale deutsche Verwaltungsabteilungen geschaffen“ - so steht es
im Potsdamer Protokoll.
12
Abb. 6: Anordnung der Besatzungsmacht 1945
Die vier D der Potsdamer Konferenz
Demontage
Demilitarisierung
Denazifizierung
Demokratisierung
Abb. 6: Die von Deutschland provisorisch abgetretenen Gebiete
13
Die Konferenz von Potsdam
Stalin setzt die Anerkennung der OderNeisse-Linie durch – er hat die westlichen Alliierten vor vollendete Tatsachen
gestellt. Das bedeutet, dass die Sowjetunion ihre Grenzen bis an die Curzon-Linie
vorschiebt und dass Polen gewissermassen
nach Westen verschoben wird. Ostpreussen,
Pommern und Schlesien kommen so provisorisch unter polnische Verwaltung. Bis zur
Wiedervereinigung der beiden Deutschland werden die deutschen Vertriebenenverbände immer wieder Anspruch auf Rückgabe dieser Gebiete erheben. „Pommern
bleibt unser“, „Ostpreussen bleibt unser“,
„Schlesien bleibt unser“ und „Deutschland dreigeteilt – niemals“, das sind ihre
Slogans, in denen sie von einer Rückkehr
nach Breslau oder Königsberg träumen. Mit
der Wiedervereinigung von 1991 verzichtet die BRD allerdings ein für allemal auf
diese Gebiete.
Berlin wird in vier Sektoren geteilt und
vom Alliierten Kontrollrat verwaltet. Gemäss Grundgesetz ist Gross-Berlin zwar
ein Land der BRD, doch bleibt dieser Artikel durch ein Veto der Westalliierten bis
1990 suspendiert.
Die Potsdamer Konferenz stellt vier Prinzipien auf, die sogenannten vier D: Demontage, Demilitarisierung, Denazifizierung und
Demokratisierung. Demontage meint die
Verminderung der deutschen Industrie auf
55 % der Vorkriegszeit. In den westlichen
14
Besatzungszonen beläuft sich die Demontage auf bescheidene zwei Milliarden DM,
und das bei Bruttoinvestitionen von jährlich
20 Milliarden DM. Zudem kommt die spätere BRD in den Besitz von topmodernen
Anlagen. Dass die Demontage so moderat
ausfällt, ist in erster Linie Adenauer zu verdanken, der in einer Art Geheimdiplomatie
den Alliierten das Höchstmögliche abringt;
er tut dies unter Umgehung der Legislative, was nicht ganz unproblematisch, aber
typisch für Adenauers Regierungsstil ist. In
der sowjetischen Besatzungszone dagegen werden ganze Industriewerke demontiert und abtransportiert, hier belaufen sich
die Reparationskosten auf total 66 Milliarden DM.
Demilitarisierung meint die Abrüstung und
Vernichtung des Kriegsmaterials. Der Aufbau der Bundeswehr wird erst ab 1956
möglich. Bereits während des Krieges hat
Roosevelt erklärt, dass er in Bezug auf
Deutschland „entschieden für eine Aufteilung in drei oder mehr staatsrechtlich völlig
unabhängige Staaten sei, denen jede militärische Betätigung, einschliesslich der Ausbildung von Soldaten, und jegliche Rüstungsindustrie verboten werden solle.“4
Denazifierung und Demokratisierung werden in später folgenden Kapiteln erläutert.
Drei Erkenntnisse sind hier wesentlich:
1. Deutschland, dessen muss man sich bewusst sein, steht ab 1945 ganz unter der
Verwaltung der Siegermächte, es existiert
als Staat überhaupt nicht mehr, und das
während vier Jahren. Helmut Schmidt erwähnt z.B., dass für jeden Neubau in der
Hamburger Werft eine Genehmigung der
Alliierten nötig ist.
2. Eine gemeinsame Verwaltung Deutschlands erweist sich von Anfang an als unmöglich – zu verschieden sind die Ansichten der vier Besatzungsmächte. So sind
die Militärgouverneure auf sich gestellt.
3. Sehr schnell zeichnet sich sodann auch
die Teilung Europas ab, was Churchill wie
folgt formuliert hat: „Von Stettin bis hinunter nach Triest an der Adria ist ein Eiserner
Vorhang niedergegangen.“
Hildegard Knef schildert die Situation anschaulich: „Ich brauchte Genehmigungen,
Zulassungen, Gesundheitskarten; das
Schlossparktheater lag im amerikanischen
Sektor, statt englischer Behörde war die
amerikanische Behörde zuständig, und eigenwillig, wie Behörden nun mal sind, bestand sie darauf, eigene Ermittlungen anzustellen. ... Wir kamen zu Fuss oder auf
tattrigen Fahrrädern, denen nach wenigen
Metern die Luft auszugehen pflegte, oder –
die Gefahr eingehend, zu spät zu kommen
– mit der unregelmässigen Stadtbahn. ...
Zwei weibliche Rollen waren zu vergeben,
eine war noch unbesetzt, ich bekam sie, und
wir probierten in einem Wohnzimmer mit
einem armen alten Regisseur, der ruhrgeplagt zwischen Toilette und Regietisch hin
und her rannte. ... Am Premierenabend war
es kalt, das Publikum sass in Pferdedecken
und Armeemäntel gewickelt, hatte – den
Bitten einer im Foyer aufgestellten Tafel
Folge leistend – Nägel bei der Kassiererin
abgegeben. ... Die Kälte und der Hunger
wurden schlimmer, der Morgenthau-Plan
war bei uns noch unbekannt, seine Auswirkungen dafür umso mehr. Die Abstände
zwischen Magenkrämpfen wurden kürzer,
der Theaterarzt Dr. Schaake besorgte über
gefahrvolle Umwege Vitaminampullen, riskierte Militärgefängnis, rettete uns über
einige Tage hinweg. Ein Schauspieler gab
mir eine halbe Zigarette, sagte: „Nimm einen Zug, dann hört der Magenkrampf auf.“
Ich fing an zu rauchen, Zigaretten kosteten 14 Reichmark pro Stück, aber sie waren im Gegensatz zu Brot oder gar Butter
erreichbar.“5
Abb. 8: Karikatur auf die Situation Deutschlands nach 1945
15
Denazifizierung
Das Ziel der Alliierten ist klar: Entfernung
der Nationalsozialisten aus Ämtern und verantwortlichen Stellungen. Die Kriegsverbrecher sollen zahlen – „mit dem Leben, mit
ihrer Freiheit und ihrem Schweiss und Blut“
(US-Militärgouverneur Lucius D. Clay).
Entsprechend einem Vier-Mächte-Abkommen, dem 19 Staaten beitreten, verhandelt
ein Internationaler Gerichtshof vom November 1945 bis zum September 1946 in
Nürnberg gegen die Hauptkriegsverbrecher.
In diesem Prozess werden 12 der 24 angeklagten Hauptkriegsverbrecher zum Tode
verurteilt (Göring, v. Ribbentrop, Keitel, Kaltenbrunner, Rosenberg, Frank, Frick, Streicher, Sauckel, Jodl, Seyss-Inquardt und – in
Abwesenheit – Bormann6), sieben erhalten langjährige Haftstrafen (Dönitz, Funk,
Hess, Raeder, Schirach, Speer, v. Neurath).
In drei Fällen lautet das Urteil auf Freispruch
(Fritzsche, v. Papen, Schacht). Die Leichen
der Gehenkten werden in einem Münchner Krematorium eingeäschert, ihre Asche
wird in die Isar gestreut. Die Alliierten verhindern so in kluger Voraussicht einen Reliquienkult oder das Entstehen neonazistischer Wallfahrtsorte.
In der amerikanischen Besatzungszone
müssen 13,4 Millionen Deutsche über 18
Jahre einen Fragebogen mit 131 Positionen ausfüllen, um die Rolle jedes Einzelnen während der NS-Zeit zu erforschen. Davon hängt ab, ob jemand als
16





Hauptschuldiger
Belasteter
Minderbelasteter
Mitläufer
Entlasteter
eingeordnet wird. Man rechnet, dass die
NSDAP 1945 über 6 Millionen Parteigenossen hat. Viele können sich allerdings aus der
Verantwortung herausmogeln, indem sie
gefälschte Erklärungen vorlegen. Das Personal der NS-Diktatur scheint sich „mehr
oder weniger in Nichts aufgelöst zu haben“, merkt der Historiker Clemens Vollnhals ironisch an. Immerhin kommt den amerikanischen Besatzungsbehörden zugute,
dass sie in einer Münchner Papierfabrik die
Zentralkartei der NSDAP entdecken und damit über die persönlichen Daten verfügen,
die es ihnen ermöglich, systematisch gegen
Funktionäre und Anhänger vorzugehen und
Serienverhaftungen („automatic arrests“)
vorzunehmen. Das Ergebnis der Denazifizierung lautet in der amerikanischen Zone:
22‘122 Belastete, 1654 Hauptschuldige.
Unmittelbar nach dem Schock der Niederlage halten es 80 % der Deutschen für gut
und richtig, die nationalsozialistischen Führer auf die Anklagebank zu setzen. 1950,
also nur wenige Jahre später, stimmen nur
noch gerade 38 % dafür – wohl weil vielen
Deutschen nun dämmert, dass sie von einer
umfassenden Denazifierung selbst betroffen wären. Plötzlich ist man gegen die ver-
meintliche „Siegerjustiz“, plötzlich ist man
für die Rehabilitierung des gewaltigen Beamtenapparats, der den Nationalsozialisten loyal gedient hat. Schweigen, Ruhe bewahren, so wenig Strafe wie möglich, das
ist die Strategie der jungen BRD.
Was soll die BRD mit dem Millionenheer
politisch desorientierter NSDAP-Mitglieder
anfangen: ausgrenzen? verhaften? verschweigen? integrieren? „Man kann sie“,
formuliert der Politologe und Publizist Eugen Kogon in der nur ihm zustehenden Frivolität, „nur töten oder gewinnen.“ Die
BRD versucht Letzteres. Zyniker behaupten
daher, des grösste Verbrechen aller Zeiten
sei abgeschlossen worden mit dem grössten Resozialisierungswerk aller Zeiten.7
Kennzeichnend auch der kritisch-zynische
Ton im autobiographischen Roman „Der
Fragebogen“ des umstrittenen Schriftstellers Ernst von Salomon: „Nicht die katholische Kirche ist es, die in Fragen der Erforschung meines Gewissens an mich
herangetreten ist, sondern eine Institution,
weitaus weniger bewundernswürdig, die
Alliierte Militärregierung. ... Sie naht mir
nicht wie der Geistliche dem armen Sünder
in der von der Welt abgeschiedenen Zelle
des Beichtstuhls, sie sendet mir den Fragebogen ins Haus und beginnt sofort barschen Tones wie ein Untersuchungsrichter
gegenüber dem Verbrecher.“
Bei einer solchen Stimmungslage ist es
nur folgerichtig, dass die gerade gewählte
Adenauer-Regierung bereits im Dezember
1949 ein erstes Amnestie-Gesetz auf den
Weg bringt. „Wir haben so verwirrte Zeitverhältnisse hinter uns“, meint Adenauer,
„dass es sich empfiehlt, generell tabula
rasa zu machen“ – man könne es sich
doch nicht leisten, auf tüchtige Leute zu
verzichten, bloss weil sie Nazis gewesen
seien. So kann Theodor Oberländer Vertriebenenminister werden, Oberländer, der
1923 am Hitlerputsch beteiligt ist und der
dann den „Bund deutscher Osten“ geleitet hat, welcher die Einwanderung von Polen verhinderte. So kann Hans Globke Chef
des Bundeskanzleramtes werden, Globke,
Mitverfasser des Kommentars zu den Nürnberger Rassegesetzen, Globke, dessen Idee
es war, die Juden zu zwingen, ihrem Vornamen ein „Israel“ oder „Sara“ hinzuzufügen.
Mindestens 6000 Nazis, unter ihnen einer
der Cheforganisatoren des Holocaust, Adolf
Eichmann, setzen sich nach Argentinien ab,
über 60‘000 bleiben in Deutschland und
tarnen sich mit einer falschen Identität. „UBoote“ oder „Braunschweiger“ werden sie
genannt. Eine zweite Amnestie von 1954
geht noch viel weiter, weil jetzt auch Straftaten ungesühnt bleiben, „wenn sie in der
Annahme einer Amts-, Dienst- oder Rechtspflicht, insbesondere eines Befehls“ begangen wurden. In der Folge kommen viele
Nazi-Schergen frei, weil sie für sich den
Befehlsnotstand reklamieren.
Abb. 9: Fragebogen der Denazifizierungs-Behörden
17
Marshallplan und Berlin-Blockade
Der Marshallplan
Im Juni 1947 entwirft der neue US-Aussenminister Marshall in einer Rede die Grundzüge eines Hilfsprogramms für Europa. Die
USA sind bereit, umfangreiche Geldmittel zur Verfügung zu stellen, denn jetzt gilt
auch bei den Amerikanern die Politik der
Stärke gegenüber der Sowjetunion, dem eigentlichen Sieger des Zweiten Weltkriegs.
Bis 1952 erhalten von den USA:






Grossbritannien
3,6 Milliarden Dollar
Frankreich
3,1 Milliarden Dollar
Italien
1,6 Milliarden Dollar
Deutschland
1,5 Milliarden Dollar
Benelux-Staaten
1,6 Milliarden Dollar
Verschiedene 3,3 Milliarden Dollar
Dass dieser Plan nicht unumstritten ist,
kann nicht erstaunen. „Das ist der grösste
Witz der Weltgeschichte“, meint ein Abgeordneter im amerikanischen Repräsentantenhaus. “Wir besiegen ein Land und fordern dann unsere eigenen Steuerzahler auf,
Milliarden zu zahlen, um es wieder auf die
Beine zu bringen.“
Die Gründe für die Unterstützung Deutschlands liegen aber auf der Hand. George F.
18
Kennan, Gesandter an der amerikanischen
Botschaft in Moskau, bezeichnet die Idee,
Deutschland gemeinsam mit den Russen
zu regieren, als Wahn. Man habe keine andere Wahl, „als den Teil von Deutschland,
für den wir und die Briten die Verantwortung übernommen haben, zu einer Form
von Unabhängigkeit zu führen, die so befriedigend, so gesichert, so überlegen ist,
dass der Osten sie nicht gefährden kann.“
Und ebenso meint 1946 der britische Aussenminister Ernest Bevin, die russische Gefahr sei inzwischen mit Sicherheit genau so
gross, möglicherweise noch grösser als die
Gefahr eines wieder erstarkten Deutschlands. „Es gibt nur einen Weg“, sagt 1947
Ex-Präsident Herbert Hoover, „der zur Gesundung Europas führt, nämlich die Erhöhung der Produktivität. ... Es ist eine amerikanische Politik angekündet worden, die
die Grenzen der westlichen Zivilisation verteidigen soll. Die wichtigsten Grenzen sind
die deutschen und die japanischen. Wenn
diese verloren gehen, sind ganz Europa und
der ganze Ferne Osten verloren.“
Diese Überlegungen decken sich mit den
aussenpolitischen Leitlinien, die US-Präsident Truman aufgestellt und die unter dem
Namen „Truman-Doktrin“ bekannt geworden sind. Es ist nämlich das Ziel der Truman-Doktrin, die Ausbreitung des Weltkommunismus an allen Fronten einzudämmen
(Containment), und zwar durch eine wirtschaftliche Stabilisierung der gefährde-
ten Länder: „Es muss der aussenpolitische
Grundsatz der Vereinigen Staaten werden,
allen Völkern, deren Freiheit bedroht ist, unseren Beistand zu leihen.“
„Ich glaube nicht“, erklärt Konrad Adenauer
1949, „dass jemals in der Geschichte ein
siegreiches Land es versucht hat, dem besiegten Land in der Weise zu helfen und zu
seinem Wiederaufbau beizutragen, wie das
die USA gegenüber Deutschland getan haben. Das deutsche Volk wird das dem amerikanischen Volk niemals vergessen dürfen,
und wird es auch niemals vergessen.“ Und
der amerikanische Aussenminister Byrnes
sagt bereits 1946: „Das amerikanische Volk
will dem deutschen Volk helfen, seinen Weg
zurückzufinden zu einem ehrenvollen Platz
unter den freien und friedliebenden Nationen der Welt.“
Die Währungsreform
Voraussetzung für die Stabilisierung der
deutschen Wirtschaft ist eine Währungsreform. Nach Vorbereitungen mit höchster
Geheimhaltungsstufe erfahren die Deutschen, dass für die westlichen Zonen am 20.
Juni 1948 Folgendes gilt: Jeder Westdeutsche erhält an diesem Tag einen Kopfbetrag
von DM 40.--, Altgeld wird im Verhältnis
10:1 umgetauscht. Unternehmen erhalten
für geschäftliche Zwecke einen Übergangsbetrag von DM 60.-- je Arbeitnehmer. Am
Abend des Ausgabetages tritt Ludwig Er-
Abb. 10: Karikatur auf den Marshall-Plan
19
Marshallplan und Berlin-Blockade
Abb. 11: Die «Rosinenbomber» über Berlin
20
hard vor ein Rundfunkmikrofon und kündigt, ohne die Militärgouverneure gefragt
zu haben, das baldige Ende der Zwangsbewirtschaftung an. Am nächsten Morgen
sind die Schaufenster voll. Gehortete Waren kommen auf den Markt und stärken das
Vertrauen in das neue Geld.
„Kein Ereignis der Nachkriegszeit hat sich
tiefer in die kollektive Erinnerung der Nation eingegraben als die Währungsreform.
Sie veränderte alles. Sie hatte nicht nur ökonomische Bedeutung, sie war ein Urerlebnis wie der Zusammenbruch, nur mit umgekehrten Vorzeichen. Sie war der grosse
Schnitt, die Erlösung aus dem Elend, der
Anfang eines neuen Lebens. Eine ganze Generation teilte die Nachkriegsjahre später in
die Zeit vor der Währung und die Zeit nach
der Währung.“8
Die Berlin-Blockade 1948/49
Stalin nimmt die von den Westmächten
durchgeführte Währungsreform zum Anlass, sämtliche Zufahrtsstrassen nach Berlin zu sperren. 2,5 Millionen Berliner sind
von der Aussenwelt abgeschnitten. US-General Clay organisiert eine Luftbrücke: Die
„Rosinenbomber“ bringen Lebensmittel,
Brennstoff, ja ein ganzes, in Einzelteile zerlegtes Kraftwerk nach Berlin (über 200’000
Flüge). Nach elf Monaten hebt Stalin die
Blockade auf. Berlin ist eben lange schon
vor Kennedys Besuch Frontstadt des Wes-
tens gegen den Kommunismus!
Besuch Kennedys am 23. Juni 1963 in Berlin:
„Ich fordere Sie deshalb auf, den Blick über
die Gefahren des Heute hinweg auf die
Hoffnung des Morgen zu richten, über die
Freiheit dieser Stadt Berlin, über die Freiheit
Ihres Landes hinweg auf den Vormarsch der
Freiheit in der ganzen Welt, über die Mauer
hinweg auf den Tag des Friedens in Gerechtigkeit, über Sie selbst und uns hinweg auf
die gesamte Menschheit.
Die Freiheit ist unteilbar, und wenn auch
nur einer versklavt ist, dann sind alle unfrei.
Wenn einmal alle frei sind, dann dürfen wir
uns auch auf den Tag freuen, an dem diese
Stadt, Ihr Land und dieser grosse Kontinent
Europa geeint sein werden in einer friedvollen und hoffnungsfrohen Welt.
An jenem Tag, der sicherlich kommen wird,
können die Westberliner mit gelassener Befriedigung von sich sagen, dass sie fast zwei
Jahrzehnte lang die Front gehalten haben.
Alle freien Menschen, wo immer sie leben
mögen, sind Bürger Berlins, und deshalb
bin ich als freier Mann stolz darauf, sagen
zu können: Ich bin ein Berliner.“
21
Carl Zuckmayer und Peter Bamm
Carl Zuckmayer, Des Teufels General
Zuckmayer wird 1896 geboren und nimmt
als Freiwilliger am Ersten Weltkrieg teil.
1920 wird sein erstes Drama aufgeführt,
den ersten Erfolg erringt er 1925 mit dem
„Fröhlichen Weinberg“. 1938 muss er in die
Schweiz, später in die USA emigrieren. 1946
kehrt er als Zivilbeauftragter der amerikanischen Regierung für kulturelle Angelegenheiten nach Deutschland zurück. 1958 lässt
er sich in Saas-Fee nieder und wird 1966
Schweizer Staatsbürger. Er stirbt 1977. Zu
seinen wichtigsten Werke zählen die Theaterstücke „Der Hauptmann von Köpenick“
(1931) und „Des Teufels General“ (1946)
sowie seine Autobiographie „Als wär’s ein
Stück von mir“ (1966).
Der Nachkriegserfolg von „Des Teufels General“ beruht zum einen auf der genauen,
einfühlsamen Zeichnung von Typen des
Dritten Reiches, wie sie vor allem für einen Exilautor erstaunlich ist. Zum andern ist
ihm mit General Harras eine temperamentvolle Kraftnatur gelungen, ein Landsertyp
und Teufelskerl, der nur eines will: fliegen,
und dessen sympathische Züge leicht über
seine Unterstützung des Nationalsozialismus hinwegtäuschen.
Der Inhalt: Der bei der Bevölkerung populäre General Harras, dem Flieger-As Ernst
Udet nachempfunden, wird von der Gestapo verdächtigt, an Sabotageakten bei
22
der Flugzeugherstellung beteiligt zu sein.
Harras seinerseits verdächtigt die Gestapo,
die Sabotage zu inszenieren, um ihn zu stürzen. Während der Party, die den Inhalt des
ersten Aktes ausmacht, bittet ihn die Schauspielerin Olivia, einen jüdischen Arzt über
die Grenze zu bringen. Harras verspricht es
ihr. Allein mit Leutnant Hartmann, der sich
auf Heimaturlaub befindet, erklärt Harras,
was für ihn im Leben wichtig ist und für wie
unsinnig er den Krieg hält. Dieses Gespräch
wie auch alles, was bei dieser Party geäussert wird, wird von der Gestapo abgehört.
Im zweiten Akt wird Harras von Dr. SchmidtLausitz, dem am krassesten gezeichneten
Vertreter des Nazitums in diesem Stück,
aufgefordert, die Sabotageakte innert zehn
Tagen aufzuklären. Nachdem Schmidt-Lausitz gegangen ist, erscheint Olivia mit der
Nachricht, der jüdische Arzt habe Selbstmord begangen. Harras muss sich eingestehen, dass seine Form des Widerstands
zu passiv gewesen ist.
Im dritten Akt erkennt Harras in seinem Mitarbeiter Oderbruch, dem er blind vertraut
hat, den gesuchten Saboteur. Zu spät wird
Harras bewusst, dass er aktiv im Widerstand
hätte mitmachen sollen. Da er jedoch von
der Gestapo überwacht wird, sieht er keinen andern Ausweg mehr, als mit einem der
fehlkonstruierten Flugzeuge in den Tod zu
fliegen. Dr. Schmidt-Lausitz, dem das letzte
Wort in diesem Stück gehört, ist froh, Harras auf diese Art loszuwerden, und ordnet
ein Staatsbegräbnis an.
„Des Teufels General“ wird, zunächst von
den Besatzungsbehörden verboten, nach
der deutschen Erstaufführung im November 1947 in Frankfurt a.M. ein grosser Erfolg und regt zu intensiven Diskussionen
an. Die Heftigkeit dieser Diskussionen ist
heute nicht mehr leicht nachvollziehbar.
Unbestreitbar ist: Zuckmayer hat als Erster
die jüngste Vergangenheit auf die Bühne
gebracht und von der Bühne aus die erste
öffentliche und freie Diskussion über die
jüngste Vergangenheit Deutschlands, über
moralische Fragen des aktiven Widerstands
und der passiven Duldung in Gang gebracht.9 Zwischen 1947 und 1950 ist „Des
Teufels General“ mit 3200 Aufführungen
eines der meistgespielten Stücke der Nachkriegszeit. Ebenfalls wird die Verfilmung mit
Curd Jürgens in der Hauptrolle 1955 ein
grosser Erfolg.
Das Stück ist sicher bedeutend, wenn auch
mit seinen drei Akten sehr konventionell gebaut. Es bringt die ganze Palette von Einstellungen zum Nationalsozialismus auf die
Bühne, vom Grossindustriellen Mohrungen
über die guten, aber naiven Deutschen
Anne und Friedrich Eilers bis hin zum skrupellos ehrgeizigen Dummerchen namens
Pützchen. Der Zuschauer wird miteinbezogen, indem ihm gezeigt wird, dass alle Gespräche des ersten Aktes und alle verbalen
Attacken von Harras auf den Nationalsozialismus auf Tonband aufgenommen werden
(darum der Titel „Höllenmaschine“ für den
ersten Akt). Zuckmayer erfindet für Harras
einen Gegner, Dr. Schmidt-Lausitz, der, abgrundtief böse, alles hasst, was der Führer
zu hassen befiehlt, und diesem bedingungslos hörig ist. Und dann ist das Stück auch
noch ein Krimi, denn früh stellt sich für Harras und für den Zuschauer die Frage, wer
denn der Saboteur ist: Oderbruch wird im
ersten Akt als so zuverlässig und vertrauenswürdig geschildert, dass das im erfahrenen Krimileser schon einen ersten leisen
Verdacht wecken kann. Aber all das sind
nicht die wirklichen Gründe für Zuckmayers Erfolg. Wo mögen sie liegen?
Die Antwort lautet: in der heilsgeschichtlichen Läuterung, die das Stück den leidgeplagten und schicksalsgebeutelten Deutschen offeriert. Da haben wir doch einen
Helden: Harras, diesen grossartigen Kerl,
markig, männlich, mutig, kernig, unbändig, ein moderner Landsknecht von entwaffnender Offenheit, kameradschaftlich
und hilfsbereit, ein Genie der zupackenden
Tat, ein Frauenverführer und –beglücker,
eine Saft- und Kraftwurzel, ein draufgängerischer Haudegen, der mit dem Nationalsozialismus nichts am Hut hat und nur mitmacht, weil er fliegen will. „Luftkrieg ohne
mich – nee, das könnt ich nicht aushalten“,
das ist das nicht ganz unproblematische Lebensmotto von Harras. Und dieser grossartige Kerl stimmt dem verschüchterten Hartmann gegenüber ein Loblied des Lebens an,
in das wir ohne jede Einschränkung alle ein-
stimmen können und das auch heute in Lebenshilfe-Kursen nicht anders gelehrt wird:
„Ich aber sage Ihnen, das Leben ist schön.
Die Welt ist wunderbar. Wir Menschen tun
sehr viel, um sie zu versauen, und wir haben einen gewissen Erfolg damit. Aber wir
kommen nicht auf – gegen das ursprüngliche Konzept. ... Und der Sinn heisst nicht :
Macht. Nicht: Glück. Nicht: Sättigung. Sondern – die Schönheit. Oder – die Freude.
Oder beides. Nennen Sie es von mir aus,
wie Sie wollen – vielleicht gibt es kein Wort
dafür. Es ist das, was wir in unseren besten
Stunden ahnen, und besitzen. Und dafür –
nur dafür – leben wir überhaupt.“
Dieser Teufelskerl macht nun eine Läuterung durch: Er erkennt, dass er sich
schuldig gemacht hat – „schuldig und
verdammt in alle Ewigkeit“ - und er findet Stärkung im Glauben an eine ausgleichende Gerechtigkeit: „Glauben Sie,
Hartmann – glauben Sie getrost an das
göttliche Recht!“ Um der Fliegerleidenschaft willen hat er einen Teufelspakt mit
dem Regime geschlossen und muss dafür
bezahlen, indem er sich einem Gottesurteil stellt: Wenn die Maschine, die er besteigt, ebenfalls sabotiert ist, wird auch
er sterben.
Abb. 12: Carl Zuckmayer, Autor von «Des Teufels General»
23
Carl Zuckmayer und Peter Bamm
Abb. 13: Ausschnitt aus Zuckmayer, Des Teufels General
24
Das Stück zeigt also die Entwicklung und
Selbstfindung von Harras, und es ist der
religiöse Weg eines schuldig gewordenen
Menschen zur Einsicht seiner Schuld und
zur Sühne und Busse für seine Schuld.10
Diesen Weg zur Läuterung, zur Busse und,
nicht zu vergessen, zur Erlösung bietet das
Stück den Zuschauern an, und der hier geläutert wird, ist erst noch – oh Wohltat für
die Zuschauer – ein toller Kerl.
So muss man im Rückblick sagen, dass es
Zuckmayers Vorliebe für ganze Kerle und
Kraftwurzeln ist, die eine tiefergehende
Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus blockiert. Denn so eine Sühne
ist, wie schon der Kritiker der ostdeutschen „Weltbühne“ moniert, nicht repräsentativ: „Die Zeit, die hinter uns liegt, ist
noch zu frisch in unserer Erinnerung, als
dass wir nicht den Freitod des Fliegergenerals als unwahrscheinlich empfinden müssen. In Wirklichkeit haben – wie wir alle
wissen – diese Generäle aus egoistischen
Motiven, aus Mangel an Zivilcourage und
andern Gründen die Zuckmayersche Konsequenz nicht gezogen.“11 Dieses erste
Drama, das sich mit der schrecklichen Vergangenheit Deutschlands auseinandersetzt,
ist also gleichzeitig auch der Versuch einer
Ehrenrettung des anderen, des besseren
Deutschlands12 und kommt dem weitverbreiteten Verlangen entgegen, das Selbstwertgefühl einer bürgerlichen und letztlich
vom Nationalsozialismus nur touchierten
Humanität zu bekräftigen. „Tragisch ist“,
schreibt Paul Rilla in einer vielbeachteten
Kritik 1948, „dass „Des Teufels General“
das meistgespielte und meistdiskutierte
Stück ist. Tragisch ist, dass Zuckmayer diesen Erfolg für das Zeichen einer deutschen
Wandlung hält.“13 Es ist eine gar wohlfeile
Wandlung, die Zuckmayer hier anbietet.
Ähnliches gilt ganz allgemein auch vom
Film der fünfziger Jahre. In den fünfziger
Jahren werden etwa 600 verschiedene
Kriegs- und Militärfilme hergestellt. Ihre
Hauptfunktion ist die Rehabilitierung der
anständig gebliebenen Soldaten und Offiziere des Zweiten Weltkriegs. Vornehmlich
werden junge Kriegsteilnehmer, zumeist UBoot-Fahrer und Jagdflieger in abenteuerlichen Situationen der Bewährung und des
Durchhaltens gezeigt. Zu diesen beschönigenden und verklärenden Filmen gehört
auch Helmut Käutners Verfilmung von Zuckmayers Drama 1955.14
magischen Realismus bezeichnet. Wie der
Protagonist gegen Ende des Romans aus
einem Zwischenreich in die Realität zurückkehrt, heisst es:
„Als Robert dieses begriff, sah er den millionenfachen Tod, den sich die weisse Rasse
auf dem Schlachtfeld Europa mit ihren beiden furchtbaren Weltkriegen schuf, eingeordnet in den Vorgang dieser ungeheuren
Geisterwanderung. Dieser millionenfache
Tod geschah, musste in dieser Masslosigkeit geschehen, wie der Chronist mit langsamem Schauder einsah, damit für die
andrängenden Wiedergeburten Platz geschaffen wurde. Ein Unzahl Menschen
wurde vorzeitig abgerufen, damit sie rechtzeitig als Saat, als apokryphe Neugeburt in
einem bisher verschlossenen Lebensraum
auferstehen konnte. – Die Vorstellung hatte
etwas Bestürzendes, aber zugleich etwas
Trostreiches, weil sie dem immer als sinnlos Erscheinenden einen Plan, eine metaphysische Ordnung gab.“15
Nicht dass Zuckmayer so weit ginge, aber
letztendlich besteht bei dieser Art von Vergangenheitsbewältigung durchaus die Gefahr, dem unfassbaren Grauen des Zweiten
Weltkriegs schnell, allzu schnell eine sinnstiftende Deutung zu geben, etwa in dem
Sinne: so viel Elend kann nur von Gott gewollt sein. Exemplarisch erkennt man das
im Roman „Die Stadt hinter dem Strom“
(1947) von Hermann Kasack, vielbeachtet und von vielen als ein Meisterwerk des
25
Carl Zuckmayer und Peter Bamm
Peter Bamm, Die unsichtbare Flagge
Eine ähnlich entlastende Deutung legt auch
Peter Bamm mit seinem Bericht „Die unsichtbare Flagge“16 (1952) vor. Peter Bamm
ist im Zweiten Weltkrieg Kompanie-Arzt
an der Ostfront gewesen. Über seine Erlebnisse hat er „Die unsichtbare Flagge“
geschrieben, ein Buch, das innerhalb eines
Jahrzehnts in einer halben Million Exemplare gedruckt wird. Es ist ein Bericht voller
Helden und Heldentaten: Da ist der Meldegänger Sambo, der sogar zwei Flugzeuge
voll Wolldecken für die russischen Verwundeten beschafft, da sind die Piloten der
Fieseler Störche, die selbst dann noch fliegen, wenn die Russen schon den Acker beschiessen, auf dem sie landen, da ist Feldwebel Kienzle, ein Meister der Organisation
und der Vorausschau, da ist der abtretende
Kommandant, der mit seiner „ausgezeichneten und umsichtigen Führung“ drei Jahre
die Flagge der Humanität hochgehalten
hat und bei dessen Versetzung sogar den
Pferdepflegern, „diesen harten alten Burschen“, die Tränen kommen, und da ist natürlich der Ich-Erzähler, der tausende von
lebensrettenden Amputationen durchführt
und 36 Stunden ununterbrochen operiert.
Die deutschen Truppen, so steht es in diesem Bericht, verhelfen den Russen zu Salz,
so dass diese Vertrauen zu ihnen fassen,
und operieren auch russische Verwundete:
„Zwischen den Fronten der Rache stan-
26
den wir. Aber die unsichtbare Flagge (der
Humanität) wurde hochgehalten. Den Leidenden zu helfen, sind unzählige Heldentaten vollbracht worden. Tausende haben
dafür ihr Leben gelassen.“ Die deutschen
Soldaten kämpfen aufs tapferste, „der Elan
des Vormarsches steckte nicht nur in den
Knochen, sondern auch in den Herzen der
Männer“. Sie bewähren sich in den schwierigsten Umständen: „Die Truppe hatte mit
einer bemerkenswerten Kraftanstrengung
die Schwierigkeiten des Winters überwunden. Die Soldaten in der Kampflinie waren
bis zur Grenze ihrer Leistungsfähigkeit in
Anspruch genommen worden. Sie hatten
es durchgestanden. ... (Die unmöglichsten
Befehle) waren ausgeführt worden aus einer Haltung der Freiwilligkeit und der Bereitwilligkeit heraus.“
Nun ist sich natürlich Peter Bamm als intelligenter Journalist durchaus bewusst, dass
alle diese Heldentaten des guten Deutschen ja gar nicht nötig wären, dass all diese Operationen nicht hätten durchgeführt
werden müssen, hätte nicht Hitler den Angriffskrieg gegen die Sowjetunion begonnen. Und so drängt sich die Frage auf, wie
der Autor diese Problematik bewältigt. Zentral ist hier der folgende Abschnitt, der nach
einem Massaker an russischen Juden durch
die SS in Nikolajew steht:
„Zweifellos war die Empörung über die
Massaker in der Armee allgemein. Jeder-
mann empfand es als eine Schande, dass
die Anderen die von tapferen Soldaten erkämpften Siege der Armee für ihre Ziele
ausnützen durften. Aber es war keine aus
der Tiefe des Herzens kommende, lodernde
Empörung der Humanitas. ... Eine heftige
Reaktion der ganzen kämpfenden Truppe
gegen das Verbrechen hätte die Massaker nicht verhindert, sondern nur dazu geführt, dass sie heimlicher vorgenommen
worden wären. Aber von lodernder Empörung war nichts zu spüren. Der Wurm sass
schon im Holz. Die moralische Korruption
nach sieben Jahren der Herrschaft der Anderen war schon zu weit fortgeschritten,
auch bei denen, die das bei sich selbst damals noch heftig geleugnet hätten. Der einzelne war wehrlos, nicht weil er in Gefahr
kam, wenn er sich gegen die Verbrechen
zur Wehr setzte. Das hätten viele auf sich
genommen. Es wurden Repressalien gegen seine Familie ergriffen. ... Die psychologische Situation wurde noch dadurch erschwert, dass auch die Sowjets Verbrechen
begangen hatten.“
Die Argumentationslinie ist also die folgende: Bamm setzt den braven, tapferen
Soldaten in Gegensatz zu den Nazis, die
er nie beim Namen nennt, so wie er auch
Hitler nie beim Namen nennt. „Die Anderen“, das sind die Bösen, die Verbrecher;
wir, das ist das deutsche Volk, sind die Guten, die die Humanitas ins finstere Asien
bringen. Indem Bamm konsequent die Be-
zeichnung Nationalsozialismus ausspart,
deutet er ihre Herrschaft nicht als eine politische Richtung, die einmal immerhin 44
% der Stimmen in freien Wahlen erreichte,
sondern stellt sie als dämonisches Unheil dar: Die Nazi-Herrschaft ist Schicksal,
grausames Schicksal, dem der gute Mensch
wehrlos und ausgeliefert gegenübersteht.
Keine Diktatur ist aber schicksalsgegeben,
jeder Diktator ist dank der Schwäche der
Bevölkerung an die Macht gekommen und
kann gestürzt werden. Mit dieser Gegenüberstellung von den bösen Nazis und dem
„God German“, um den Filmtitel von Soderbergh zu zitieren, spricht Bamm so vielen Deutschen aus dem Herzen und verhilft
ihnen zu einer pflegeleichten Absolution:
Wir waren bei den Guten!
Massensterben auf dem Rückzug aus dem
Osten als vernachlässigbar erscheint. An
diesem Roman und seiner Rezeption lässt
sich darstellen, wie abhängig von vergangenen Idealen die herrschende Meinung in
Sachen Krieg ist: eine Meinung, die sich in
einem verhaltenen – eben modernen – Herrenmenschentum unmittelbar an die NaziIdeologie anschliesst.
1953 erscheint „Die sterbende Jagd“ von
Gerd Gaiser (1908-1976), ein Roman über
Jagdflieger im Zweiten Weltkrieg, über eine
Elite von Offizieren, die heroisch und als Individualisten, nobel und ritterlich und mit
Verachtung für die Masse im Krieg den Höhepunkt des Lebens bestehen. „Die sterbende Jagd“ ist eines der erfolgreichsten
Bücher der fünfziger Jahre. Man bescheinigt Gaiser, er habe es als junger Autor geschafft, die Errungenschaften der neuen
Ausdruckswelt mit den traditionellen Erfordernissen der Erzählung in Einklang zu
bringen17. Der Roman ist aber eine hoffnungslos veraltete Glorifizierung des homerischen Einzelkampfes, gegen den das
27
Staat auf Befehl:
Demokratisierung und Grundgesetz
Der Begriff „Demokratisierung“ meint das
Vorhaben der Alliierten, in Deutschland eine
Demokratie zu errichten. Bereits Ende 1945
sind in allen Zonen demokratische und antifaschistische Parteien zugelassen.
7.09.1949
Bundestag tritt zusammen
Während viele noch von einer gesamtdeutschen Lösung träumen, setzen die Besatzungsbehörden unmissverständlich auf
eine rasche Lösung für die westlichen Besatzungszonen. Die Zustimmung zum Ausruf des Berliner Bürgermeisters Ernst Reuter lässt sich nicht umgehen: „Die Spaltung
Deutschlands wird nicht geschaffen, sie
ist schon vorhanden.“ Lieber das halbe
Deutschland ganz als das ganze halb,
dies ist auch die Meinung Adenauers. Unter Führung der westlichen Militärgouverneure wird die Demokratisierung wie folgt
abgeschlossen:
Damit hat Deutschland im September
1949 wieder eine Verfassung, ein Parlament und eine Regierung, wenn auch von
provisorischem Charakter. Es sind die Ministerpräsidenten der neu gebildeten Ländern, die auf dem provisorischen Charakter bestehen; sie haben es geschafft, dass
statt den definitiven Begriffen „verfassungsgebende Versammlung“ und „Verfassung“ die Provisorien „Parlamentarischer Rat“ und „Grundgesetz“ gewählt
werden. „Grundgesetz“ ist ja nur ein anderer Name für Verfassung. Interessant ist,
dass ja auch die Europäische Union nach
dem Scheitern ihres Verfassungsprojektes
im Jahr 2007 nicht mehr von Verfassung,
sondern nur noch von einer „erneuerten
gemeinsamen Grundlage“ spricht. Das Provisorische zeigt sich z.B. auch daran, dass
1949 eine Nationalhymne noch fehlt: Die
Abgeordneten erheben sich bei der Inkraftsetzung des Grundgesetzes von den Plätzen
und singen das Lied der demokratischen
Burschenschaften:
08.05.1949
Grundgesetz vom Parlamentarischen Rat
beschlossen
12.05.1949
Grundgesetz von den Militärgouverneuren
genehmigt
24.05.1949
Grundgesetz in Kraft gesetzt
14.08.1949
Wahlen in den ersten Bundestag
28
15.09.1949
Bundestag wählt den ersten Kanzler
Ich hab’ mich ergeben
Mit Herz und mit Hand
Dir Land voll Blut und Leben,
Dir, deutschem Vaterland.
Die Anfänge des neuen Staates sind bescheiden. Für den Bundestag wird die Aula
der ehemaligen Pädagogischen Hochschule
umgebaut. Man ist noch nicht sicher, ob der
Bundestag wirklich in Bonn bleibt, und die
Stadt Bonn muss sich bereit erklären, das
Gebäude gegebenenfalls zurückzunehmen.
Selbst das Bundeskanzleramt muss provisorisch untergebracht werden, und zwar im
Zoologischen Museum! Helmut Schmidt erzählt, wie er als Bundestagsabgeordneter
ein Büro zugewiesen bekommt, das nur wenige Quadratmeter gross ist. Der Raum ist
so schmal, dass die beiden Mitarbeiter immer aufstehen und ihn durchlassen müssen, wenn er zu seinem Schreibtisch will.
„Im Jahre 49 scheint die Bundesrepublik
ein künstlicher Homunkulus zu sein, ich gestehe offen, dass ich damals geringes Vertrauen in ihre Zukunft hatte. Man kann sich
irren. Vom Homunkulus ist die BRD zum
kräftigen Lebewesen, zum Wesen mit einer kräftigen Identität geworden“.18
Auch aussenpolitisch ist die BRD noch ein
Provisorium und steht noch unter dem Protektorat der westlichen Besatzungsmächte,
die sich das Recht vorbehalten, die volle Gewalt erneut zu übernehmen, falls dies nötig sein sollte. Von diesem Recht machen
die westlichen Alliierten allerdings nur behutsam Gebrauch, und das Besatzungsstatut verliert mit dem Deutschlandvertrag von
1955 seine Gültigkeit.
Der Parlamentarische Rat erliegt dem Reiz
der grossen Aufgabe, dem provisorischen
Charakter zum Trotz eine dauerhafte Verfassung mit Modellcharakter zu zimmern.
Die Präambel des neuen Grundgesetzes
lautet:
In dieser Präambel wird umschrieben, was
die die Politik der BRD vierzig Jahre lang
aufs intensivste umtreiben soll:
Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor
Gott und den Menschen, von dem Willen
beseelt, seine nationale und staatliche Einheit zu wahren und als gleichberechtigtes
Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat das deutsche
Volk in den Ländern Baden, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen,
Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz,
Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden,
um dem staatlichen Leben für eine Übergangszeit eine neue Ordnung zu geben,
kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt
dieses Grundgesetz der Bundesrepublik beschlossen.
b)
Es hat auch für jene Deutschen gehandelt,
denen mitzuwirken versagt war.
Das gesamte deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit
und Freiheit Deutschlands zu vollenden.
a)
der Alleinvertretungsanspruch (ein
einziger Staat vertritt die deutsche
Nation) und
das Ziel der Wiedervereinigung.
Wie im Oktober 1949 der zweite deutsche Staat, die DDR, gegründet wird, reagiert Adenauer harsch: „Ich stelle folgendes
fest. In der Sowjetzone gibt es keinen freien
Willen der deutschen Bevölkerung. ... Das,
was jetzt dort geschieht, wird nicht von der
Bevölkerung getragen und legitimiert. Die
Bundesrepublik Deutschland stützt sich dagegen auf die Anerkennung durch den frei
bekundeten Willen von rund 23 Millionen
Deutschen. Die BRD ist somit bis zur Erreichung der deutschen Einheit insgesamt die
alleinige legitimierte staatliche Organisation des deutschen Volkes.“19 Und der Anspruch der Vertriebenen, die Gebiete im Osten zurückzubekommen, wird erst mit der
Wiedervereinigung und dem Staatsvertrag
von 1990 hinfällig.
29
Tr ü m m e r l i t e r a t u r u n d K a h l s c h l a g
Da die deutsche Sprache in den zwölf Jahren Nazi-Diktatur vollständig und in jeder
Beziehung pervertiert wurde, muss alles
Schreiben neu beginnen. Mit dem geflügelten Wort vom „Kahlschlag“ ist gemeint,
die unter dem Nationalsozialismus korrumpierte Sprache bis auf das Skelett der Wörter auszuroden und auszunüchtern. Es ist
Wolfgang Weyrauch, der mit seiner 1949
erschienen Anthologie „Tausend Gramm“
den Begriff Kahlschlag geprägt und das am
Gedicht „Inventur“ von Günter Eich exemplifiziert hat:
Dies ist meine Mütze,
dies ist mein Mantel,
hier ist mein Rasierzeug
im Beutel aus Leinen.
Konservenbüchse:
Mein Teller, mein Becher,
ich hab in das Weissblech
den Namen geritzt.
Geritzt hier mit diesem
kostbaren Nagel,
den vor begehrlichen
Augen ich berge.
Im Brotbeutel sind
ein Paar wollene Socken
und einiges, was ich
niemand verrate,
30
so dient er als Kissen
nachts meinem Kopf.
Die Pappe hier liegt
zwischen mir und der Erde.
Die Bleistiftmine
lieb ich am meisten:
Tags schreibt sie mir Verse,
die nachts ich erdacht.
Dies ist mein Notizbuch,
dies meine Zeltbahn,
dies ist mein Handtuch,
dies ist mein Zwirn.
„Anfang ist alles in dieser Zeit und in diesen Tagen“, meint Hans Werner Richter.
„Worauf es ankommt, ist die Mitteilung,
ist dem Anderen, Nächsten zu zeigen, wie
man denkt und was man kann, Ersatz für
eine literarische Kommunikation, die noch
nicht besteht.“20 Hans Werner Richter ist
Herausgeber der Zeitschrift „Der Ruf“, die
aus einer Lagerzeitschrift in amerikanischer
Kriegsgefangenschaft hervorgegangen ist,
und Gründer der einflussreichen Gruppe
47, auf deren erster Tagung Wolfdietrich
Schnurre seine Erzählung „Das Begräbnis“ vorliest; diese gilt als typisch für Kahlschlag und Stunde Null.
Kahlschlag bedeutet in dieser Erzählung:

Parataxe
(aneinandergereihte Hauptsätze)

vereinfachte Satzstruktur

Sätze ohne Verb

nicht zu Ende geführte Satzkonstruktionen

mundartliche Schreibweise

Nähe zur Alltagssprache
Ausserdem ist nach dem Ende der tausend Jahre die kurze Form die angemessene Form. „Nicht einer Mode zuliebe“,
meint Marcel Reich-Ranicki, „oder beeindruckt von einer literarischen Strömung
schrieben Borchert, Böll und Schnurre Geschichten, die bereits in der knappen Situationsschilderung die Anklage enthielten und in der sachlichen Feststellung den
Protestschrei. Nach der Zeit der vielen und
grossen Worte, der pathetischen Gesten,
der monumentalen Lügen schien die sparsame und kurzatmige Prosa am ehesten angemessen zu sein, konnte die einfache und
nüchterne Sprache, die keuchend und kahl
wirkte, am ehesten überzeugen.“21
Die nüchterne Sprache und die umgangssprachliche Stilisierung kollidieren allerdings in Schnurres Erzählung mit einem
der ganz grossen metaphysischen, transzendentalen Themen, mit dem Thema „Gott
ist tot“. Das bedeutet, dass sich Schnurre
nicht allein auf das verlässt, was seine Sprache vermittelt, sondern es vielmehr in ein
Verhältnis zu einem ebenso unbestimmten wie klischeehaften Allgemein-Gültigen
bringt. Das hebt Schnurres sprachliche Intention fast völlig auf und macht deutlich,
wieso Schnurres Ansatz nicht grundlegende
Neuorientierung sein kann. Der sprachliche
Effort rekurriert eben doch auf Vorstellungen und Allgemeinheiten gewohnter Art; so
bleibt die „neue Sprache“ weitgehend Stilmoment.22
Ähnliches stellen wir fest, wenn wir auf
Eichs Verse zurückblicken: So schlicht diese
Verse von Günter Eich auch sind, so pathetisch sind Weyrauchs Erläuterungen dazu:
„Die Männer des Kahlschlags ... schreiben
die Fibel der neuen deutschen Prosa. Sie
setzen sich dem Spott der Snobs und dem
Verdacht der Nihilisten und Optimisten aus:
ach, diese Leute schreiben so, weil sie es
nicht besser verstehen. Aber die vom Kahlschlag wissen, oder sie ahnen es doch mindestens, dass dem neuen Anfang der Prosa
in unserem Land allein die Methode und die
Intention des Pioniers angemessen sind. Die
Methode der Bestandesaufnahme. Die Intention der Wahrheit. Beides um den Preis
der Poesie. Wo der Anfang der Existenz ist,
da ist auch der Anfang der Literatur.“23
Abb. 14: Ausschnitt aus Schnurre, Das Begräbnis
Es ist eben doch so, dass trotz Zusammenbruch und Kampf ums Überleben die Mehrheit der Deutschen, und auch gerade die
Mehrheit der Schriftsteller, durchaus noch
national und konservativ fühlt und denkt, ja
31
Tr ü m m e r l i t e r a t u r u n d K a h l s c h l a g
im Vergleich zu späteren Jahren sehr national und sehr konservativ fühlt und denkt.24
Die Literatur der Jahre 1945 bis etwa 1953
zeigt, dass die neue Sprache noch die Ausnahme ist. Unverkennbar ist das Gewicht
traditioneller, sich als bedeutungsvoll ausgebender Sprache, der grosse Anteil expressionistischer Formen, die Vielfalt dubioser
Metaphorik. Eine eingeübte Sprache gibt
man eben nicht von einem auf den anderen Tag auf. Vielleicht kann die weitgehende
Zerstörung Deutschlands ja auch nicht anders geschildert werden, als das Hans Erich
Nossack (1901 – 1977) tut: „Gleich zur Linken brannte ein riesiger Kokshaufen – er
erlosch erst nach drei Wochen und sekundenlang wurde man von glühendem Höllenatem angehaucht, wie um gefeit zu werden, ehe man passieren durfte, und dann
war man innerhalb. Der Wagen schwankte
und tastete sich durch den Pass, der zwischen den Trümmern notdürftig freigelegt
war, über Geröllhalden zusammengebrochener Gebäude, an Kratern vorbei und unter geknickten Brücken hindurch, von denen
Waggons wie Girlanden ins Wasser der Hafenbecken hingen, aus denen der Bug einer
Schute emportauchte, erschrocken über die
plumpen Körper von Oberländerkähnen, die
leblos auf der Seite trieben. An den Rändern
des Passes lagen längliche Bündel, und man
sagte, es wären Leichen. Alle so still, und
viel lauter glaubte man den Todesschrei der
Autos gellen zu hören, die, gelbausgeglüht
und in letzter Not sich erbarmungswürdig
32
aufbäumend, den vergeblichen Fluchtweg
bezeichneten.“25
Theorie und Praxis des Schreibens klaffen
nicht selten auseinander, wie etwa in der
Einleitung zur Zeitschrift „Die Sammlung“,
herausgegeben von Otto Friedrich Bollnow
und anderen: „Der Rückblick auf die Vergangenheit wird sich nicht vermeiden lassen, aber unser Wille ist entschlossen nach
vorwärts gerichtet in den grauen Morgen
unserer Zukunft. Unser Kompass ist die einfache Sittlichkeit, ein standhafter Glaube an
die Ewigkeit der geistigen Welt, Liebe zum
Nächsten und die lebendige Hoffnung, dass
auch uns einmal wieder die Sonne der Ehre
und des Glücks scheinen werde. Wurde bisher sehr laut geschrien, so werden wir still
und sachlich reden.“26
Die neuere Literaturforschung ist ja auch
keineswegs mehr überzeugt, dass 1945
ein radikaler Bruch erfolgt sei, sondern betont die unterschwellige Kontinuität von
der Weimarer Republik bis in die sechziger
Jahre hinein. Viele Autorinnen und Autoren
sind vor, während und nach dem Nationalsozialismus schreibend tätig gewesen, und
so betonen neuere Arbeiten die Kontinuität der deutschen Literatur. „Erst kürzlich“,
so Hans Dieter Schäfer, „konnte nachgewiesen werden, dass sich unter der Diktatur – trotz zunehmenden Behinderungen
– ein vielgestaltiges literarisches Leben bewahrt und dass ein grosser Teil der spä-
teren Nullpunkt-Generation an dieser Entwicklung produktiven Anteil genommen
hatte“27: nicht Neubeginn aus dem Nichts
also, sondern ein Transformationsprozess
voller Ambivalenzen. Folgende Autorinnen
und Autoren seien stellvertretend für diese
Kontinuität genannt:
Stefan Andres (1906-1970)
Werner Bergengrün (1892-1964)
Kasimir Edschmid (1890-1966)
Erich Kästner (1899-1974)
Hermann Kasack (1896-1966)
Marie Luise Kaschnitz (1901-1974)
Elisabeth Langgässer (1899-1950)
Frank Thiess (1890-1977)
Ernst Wiechert (1887-1950)
und viele andere.
Zudem darf nicht unerwähnt bleiben, dass
Bücher zunächst noch Luxusgut sind. Was
uns heute als repräsentativ für die Zeit
nach 1945 gilt, wird in kleinsten Auflagen
auf schlechtem Papier gedruckt. Die Nachfrage nach ausländischer Literatur ist enorm, sind doch die Deutschen zwölf Jahre
lang weitgehend von Gide, Faulkner, Hemingway usw. ferngehalten worden, aber
auch diese Nachfrage kann nicht sofort
befriedigt werden. Literarische Vermittlung
erfolgt zunächst über Rundfunk und Zeitschriften. Not macht aber erfinderisch. So
erzählt Dieter Lattmann, wie er im Dezember 1945 eine Verlagsruine in Kassel betritt,
wo er den Verleger unrasiert und abgerissen
beim Steineklauben in der zerstörten Druckerei antrifft. Auf die Frage, ob man hier als
Buchhändler anfangen könne, macht der
Verleger eine ausladende Geste und meint:
„Wer hier anfangen will, muss sich den
Raum selber bauen.“28 Heftchenromane
und Rowohlts Rotationsromane (rororo)
sind es dann zuerst, die reissenden Absatz
finden; der Rowohlt-Verlag muss aber groteskerweise die Leser auffordern, nicht alle
Bände der Reihe zu kaufen, da die Nachfrage nicht befriedigt werden könne.
Ausserdem gibt es eine grosse Bereitschaft,
sich um die Dichter zu scharen. Man will
kündende, ergreifende, klärende, womöglich erlösende Worte hören, Dichterworte,
welche die innere Situation der Lesenden
auszudrücken vermögen. Aus dem Vakuum
entsteht ein Sog, der die Stunde Null von
Anfang an widerlegt: Viele machen sich
auf die Suche nach Traditionen des besseren Deutschland, das ihnen als das eigentliche erscheint.29 Von daher wird verständlich, dass Zuckmayer und Bamm diesen
Erfolg haben, und von daher wird verständlich, in welch starkem Masse man Thomas
Mann gegrollt hat, der eben gerade diese
Guru-Rolle nicht übernehmen will und stur
in den USA geblieben ist. Hellsichtig hat
das Erich Kästner erkannt: „Dem Deutschen
fehlt der grosse, der überlebensgrosse Dichter oder Denker, der sich schützend, sammelnd und die Welt beschwörend hinstellt
und die Arme ausstreckt wie ein zweiter lie-
ber Gott. Thomas Mann ist kein lieber Gott,
der erste nicht und auch nicht der zweite. ...
Wer kam nur zuerst auf die Idee, ihn über
den Ozean zwischen unsere Trümmer zu rufen? Dazu kommt, dass er ein alter Herr ist
und noch manches für ihn und uns wichtige
Buch schreiben will. Wie könnte er das zwischen unseren Nöten, die man ihm in die
Ohren brüllen würde?“30
So bleibt als Fazit, dass Kahlschlag und
Stunde Null zwar äusserst wichtig, aber
weder verbindlich noch von längerer Dauer
sind. Ähnlich wie der Naturalismus von Holz
und Schlaf ein extremes Programm aufgestellt und in ein paar wenigen Texten experimentell verwirklicht hat, so ist auch
die Kahlschlag-Literatur auf einige wenige Texte und auf eine sehr kurze Zeitspanne beschränkt. Das wird sich grundsätzlich erst 1959 ändern, also dem Jahr, in
dem „Die Blechtrommel“ von Günter Grass
und „Mutmassungen über Jakob“ von Uwe
Johnson erscheinen und so völlig neue literarische Massstäbe setzen. „Die National-Dichtung war für immer gestorben“,
so kommentiert Walter Jens den Einschnitt
von 1959.
33
Die Ära Adenauer
Am 15. September wird Konrad Adenauer
(1876-1967) zum ersten Bundeskanzler
gewählt. Sein Arzt habe ihm, dem 75-Jährigen, gesagt, zwei Jahre könne er das Amt
schon noch ausüben. Aus diesen zwei Jahren werden schliesslich vierzehn Jahre, eine
eigentliche Ära Adenauer. „Die politische
Tätigkeit“, schreibt er im April 1946 an einen nahen Freund, „die ich auf mich habe
nehmen müssen, weil schlechthin kein anderer da war, ist sehr aufreibend, körperlich
anstrengend und sehr undankbar. Ich suche
ihr zu entgehen, sobald ich es irgendwie
verantworten kann. Das ist ja überhaupt
das Verhängnis für Deutschland, dass die
alte Generation überall an die Spitze muss.
Die mittlere Generation fällt nahezu vollständig aus, weil sie in der Partei war. Die
junge Generation ist nicht urteilsfähig, weder in politischer noch einer sonstigen Hinsicht. Sie muss völlig umerzogen werden.“31
Und in der Tat: Von den 402 Mitgliedern des
ersten Bundestages haben 217 keine parlamentarische Erfahrung!
Adenauer, der Oberbürgermeister von Köln,
hat sich schon in der Weimarer Republik einen bedeutenden Ruf erworben. 1946 wird
er Vorsitzender der neugegründeten CDU
in der britischen Zone und 1948 Vorsitzender des Parlamentarischen Rates. Heinrich von Brentano schreibt über Adenauer:
„Adenauer übernahm damals mit einer beispielhaften Selbstverständlichkeit den Vorsitz, und ich werde nie vergessen, wie er
34
den Vorsitz in der Hand behielt. Wie er die
Sitzung leitete von morgens bis zum späten
Abend, ohne vom Stuhl aufzustehen. Ganz
konkret und am Abend dann in der Lage
war, alles, was gesagt worden war, präzis
zusammenzufassen. Ich glaube, das hat ihm
auch diese Führungsstelle gegeben. Es gab
keinen, der da konkurrieren konnte.“32 Ein
Freund charakterisiert ihn etwas differenzierter: „Ich weiss gar nicht, was so viele
Menschen gegen A. haben. Ich kenne ihn
ja wohl am längsten und am besten. Er ist
unzuverlässiger als ein Franzose, verlogener
als ein Engländer, brutaler als ein Amerikaner und undurchsichtiger als ein Russ –
also der gegebene Staatsmann für unser
geschlagenes und misshandeltes Volk.“33
den Besatzungsmächten gegenüber doch
eine gewisse Demutshaltung zeigen. Fies,
aber erfolgreich rückt Adenauer die SPD
in die Nähe des Kommunismus und wirft
ihr vor, sie halte immer noch am Klassenkampf fest.
Sitzverteilung im Bundestag 1949 bis 1961
(ohne Berliner Abgeordnete und ohne
Kleinstparteien)
Partei
1949
1953
1957
1961
FDP
52
48
41
67
CDU/CSU
139
243
270
242
SPD
131
151
169
190
KPD
15
487
497
499
Im Wahlkampf ums Kanzleramt behauptet
sich Adenauer gegenüber der SPD; einerseits, weil die kleine Koalition (CDU/CSU
plus FDP) über 201 Sitze verfügt, während es die Linke (SPD plus KPD) nur gerade auf 146 Sitze bringt, anderseits, weil
die SPD mit Kurt Schumacher (1895-1952)
nur über einen sturen und wenig charismatischen Kandidaten verfügt. Schumacher stellt unerfüllbare Forderungen und
wirft dem Bundestag vor, er betreibe die
Sache des Grosskapitals, Frankreich bescheinigt er Engstirnigkeit und Primitivität und Adenauer nennt er den „Bundeskanzler der Alliierten“. Empört bezeichnet
ihn François-Poncet einmal als „Hitler von
links“, während die bürgerlichen Parteien
Gesamt
402
Die entscheidende Frage nach den ersten
Bundestagswahlen ist: Kommt es zu einer
grossen Koalition (SPD und CDU) oder zu
einer kleinen Koalition (CDU und FDP)? Die
grosse Koalition, so argumentieren ihre Befürworter, sei allein in der Lage, die riesigen
Aufgaben des Wiederaufbaus zu leisten. Die
kleine Koalition, so ihre Befürworter, sei
darum besser, weil eine funktionierende
Demokratie eine starke Opposition brauche; fehle die Opposition, entwickle sich
eine unkontrollierbare ausserparlamentarische Opposition. Das erste Kabinett hat allerdings durchaus noch den Charakter eines
Koalitionskabinetts, und Adenauer wird nur
mit einer einzigen Stimme über dem absoluten Mehr gewählt – mit seiner eigenen, wie er selber gestanden hat; erst in
den folgenden Jahren macht er sich daran,
seine Macht zu einer eigentlichen Kanzlerdemokratie auszubauen und damit ganz
auf CDU und FDP, also auf die kleine Koalition, zu bauen.
Adenauer hat eben die Fähigkeit, auch
komplizierte Sachverhalte in einfachen Aussagesätzen klar zu machen („selbst wenn
er mehr als 200 Worte wüsste, würde er
sie nicht benutzen“), und er ist, im Gegensatz zu seinen Gegenspielern auf der Linken, nachgiebiger und völlig undogmatisch
(„es kann mich doch schliesslich niemand
daran hindern, alle Tage klüger zu werden“). Felix von Eckardt schildert anschaulich, wie in Bonn am Anfang – so viel Anfang war nie! – regiert wird: „Man muss
sich mal vergegenwärtigen, wie die Dinge
entstanden sind. Im Grunde genommen
entstand die Bundesregierung, das Amt
des Bundeskanzlers wie eine Art Familienunternehmen. Aus ganz kleinen Anfängen
heraus. Es gab ein paar Mitarbeiter und diese Mitarbeiter standen Tag und Nacht zur
Verfügung. Da mussten nicht lange Termine verabredet werden, sondern es hiess:
Kommen Sie doch mal zu mir herüber. Und
dann wurden die Dinge besprochen. Und
der Bundeskanzler, dem man so viele einsame Beschlüsse nachsagt, hat sie so einsam nicht gefasst, wie man manchmal an-
nimmt, denn er hat sehr ausführliche und
sehr intensive Gespräche mit seinen Mitarbeitern geführt.“34
Zunächst aber untersteht die junge BRD
noch den westlichen Alliierten, repräsentiert in der „Alliierten Hohen Kommission“. General Robertson für Grossbritannien, François-Poncet für Frankreich und Mc
Cloy für die USA: Sie residieren hoch über
Bonn im Hotel Petersberg, und das „hoch
über Bonn“ ist durchaus auch symbolisch
zu verstehen. Differenzen sind vorhanden,
so auch bei der offiziellen Zeremonie am
21. September 1949, als das Besatzungsstatut übergeben wird. Die Alliierten erwarten, dass der Kanzler vor dem Teppich stehen bleibe, auf dem sie stehen, und wollen
so die Siegerpose markieren; Adenauer aber
tritt rasch selbst auf den Teppich und stellt
partnerschaftliche Gleichheit her. Trotz diesem Akt der Auflehnung: Die Gründung der
BRD wird vom alliierten Souveränitätsvorbehalt überschattet: „Staat auf Befehl“ ist
sie boshaft genannt worden.
Abb. 15: Karikatur auf Adenauer
35
Die Ära Adenauer
Mit einem Zufallsmehr von 33 zu 29 Stimmen spricht sich der Parlamentarische Rat
für Bonn als Hauptstadt aus. Dennoch
bleibt lange offen, ob z.B. die Mitglieder
der Hohen Kommission in Berlin oder in
Bonn arbeiten sollen. Der Vorteil von Bonn:
Es liegt im grössten Bundesland, in Nordrhein-Westfalen, und in der Nähe von
Adenauers Wohnsitz. Für Bonn, idyllische
Universitäts- und Pensioniertenstadt, ist es
allerdings nicht leicht, sich als Hauptstadt
durchzusetzen. Auch in den folgenden Jahrzehnten spielt sich das kulturelle und wirtschaftliche Leben in Zentren wie Frankfurt,
Düsseldorf, München, Hamburg und Berlin
ab, nicht aber in Bonn, das immer „die verlegene Hauptstadt“ bleibt.
Abb. 16: Karikatur auf Adenauer
36
Ziel Adenauers ist es, die BRD in Westeuropa zu integrieren und die Erbfeindschaft
mit Frankreich zu beenden. Dieser Kurs
deckt sich mit der amerikanischen Aussenpolitik, die bis zur Kennedy-Administration
die Adenauer-Regierung als ihren Wunschpartner betrachtet. Dabei geht es der BRD
zunächst darum, Vertrauen zu gewinnen,
und sie ist deshalb auch zu gewissen Vorleistungen bereit. Adenauer erkennt richtig: „Wir können verschachert werden von
den Amerikanern an die Russen. Es kann
auch sein, dass die Amerikaner uns brauchen als Stein im Spiel mit den Russen,
aber wir haben aussenpolitisch zur Zeit
noch ganz ausserordentlich wenig Bedeutung.“35 Trotz Schwierigkeiten und Beden-
ken integriert sich die BRD voll in Westeuropa und wird Mitglied der Montanunion.
1953 kann, aus Anlass des Korea-Krieges,
sogar die Frage der Wiederbewaffnung thematisiert werden. Selbst der französische
Hohe Kommissar meint, jetzt sei die letzte
Phase des Besatzungsstatuts angebrochen.
Adenauer schafft es - konsequent, clever,
hartnäckig -, den Eindruck zu erwecken,
die BRD sei ein gleichberechtigter Partner
der Westmächte. Höhepunkt in dieser Beziehung ist sein USA-Besuch im Jahr 1953,
der ihm in Meinungsumfragen eine hohe
Zustimmung verschafft.
Die wirtschaftliche Lage ist 1949 nicht einfach. Die Hälfte der Einfuhren in die BRD
sind Nahrungsmittel; die Nachfrage kann
wegen den verlorenen Ostgebieten und der
grossen Zahl von Vertriebenen nicht aus eigenem Anbau befriedigt werden. Der erste
Winter wird deshalb auch als „Winter des
Missvergnügens“ bezeichnet. Wenig später aber boomt die westdeutsche Exportindustrie, und ab 1952 wächst die deutsche Wirtschaft konstant - und das bei
stabilen Preisen und vernünftig steigenden
Löhnen. Gegenüber der Vorkriegszeit sind
die Reallöhne um durchschnittlich 20 Prozent gestiegen, was sich besonders positiv auswirkt, da die Lebenshaltungskosten
eine eher sinkende Tendenz aufweisen.
Adenauer zur Seite steht Wirtschaftsminister Ludwig Erhard, dessen Konzept von der
„sozialen Marktwirtschaft“ breite Bevölke-
rungsschichten zu überzeugen vermag. Die
junge BRD bekennt sich zur sozialen Marktwirtschaft, und zwar mit folgenden Zielen:



restriktive Geldpolitik, Politik des
knappen Geldes, Währungsstabilität
Liberalisierung des Handels, freier
Welthandel, Förderung des Exports
und der Eigeninitiative
kurzfristige Härten, hohe Steuerbelastung (im Durchschnitt 33 %)
Der Begriff „soziale Marktwirtschaft“ ist
so vielversprechend, dass der Soziologe
Alfred Weber der Meinung ist, es sei eine
schwere Unterlassung der SPD, dass sie
sich diese Wortverbindung habe entgehen
lassen. Dennoch ist die soziale Marktwirtschaft natürlich ein Wagnis, weil sie nicht
auf sofortige Erleichterungen, sondern auf
mittel- und langfristige Erfolge setzt. Dank
der Unterbewertung der D-Mark nimmt der
Export einen ungeahnten Aufschwung: Er
steigt von 1950 bis 1957 von 8 auf 36 Mia
DM. Die Preise sind stabil, die Löhne steigen, es herrscht Vollbeschäftigung, so das
die Kaufkraft ständig wächst. Aufgrund der
grossen Nachfrage werden pro Jahr 50‘000
Wohnungen gebaut. 1955 kommt es zur
Einführung der Fünf-Tage-Woche und zum
Übergang zur Vierzig-Stunden-Woche. Die
Sozialversicherung wird neu geregelt, seit
1961 gibt es Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.
Das Fazit ist erstaunlich: Innerhalb von zehn
Jahren entwickelt sich die BRD vom Almosenempfänger zu einer der wichtigsten Industrienationen der Welt!
In den Wahlen von 1953 setzt sich die CDU/
CSU mit 45 % der Stimmen durch und erringt mehr als die Hälfte der Sitze im Parlament. Der Historiker Dolf Sternberger
spricht von einem Wahlwunder, Herausgeber Rudolf Augstein kommentiert im
„Spiegel“: „Noch ein solcher Sieg, und die
deutsche Demokratie ist verloren.“ In den
Wahlen von 1957 wird die CDU/CSU diesen
Erfolg sogar noch übertrumpfen: 50 % der
Stimmen und 54 % der Sitze im Parlament!
Mit den sog. Pariser Verträgen von 1955
wird Deutschland souverän, wird Mitglied
der NATO und darf ein Jahr später sogar –
gegen den innenpolitischen Widerstand der
SPD – wieder eine eigene Verteidigungsarmee aufbauen.
1955 besucht Adenauer Moskau und erreicht, dass die letzten Kriegsgefangenen
nach Deutschland heimkehren dürfen. Die
Popularitätskurve Adenauers steht 1955 im
Zenit: Der alte Mann, der durch seine Zähigkeit die Gefangenen in Russland befreit hat
– dieses Bild gehört fortan zum innersten
Kern des Adenauer-Mythos! Im Mai 1967,
kurz nach seinem Tod, bringt eine Umfrage
nach Adenauers grössten Verdiensten folgendes Ergebnis:

75 % nennen die Heimführung der
Kriegsgefangenen aus Russland

69 % erwähnen die Aussöhnung mit
Frankreich

64 % sagen, dass er Deutschland wieder Ansehen in der Welt verschafft
habe36.
Abb. 17: Ludwig Erhard
37
W o l f g a n g Ko e p p e n , D a s Tr e i b h a u s
Der Autor Wolfgang Koeppen (1906-1996)
emigriert nach seinem Erstling „Eine unglückliche Liebe“ nach Holland. 1953 erscheint der Roman „Das Treibhaus“. Die
Handlung dieses Romans umfasst zwei
Tage in Bonn, und zwar zur Zeit der Debatten um die – insgeheim längst beschlossene – Wiederaufrüstung. Hauptfigur ist
der sozialdemokratische Abgeordnete Keetenheuve: Dieser ist während des Dritten
Reiches emigriert, kehrt 1945 zurück und
wird im Bundestag „des Kanzlers getreuer
Abgeordneter und Oppositioneller in Ergebenheit“. Keetenheuve ist als radikaler
Pazifist auch Aussenseiter in seiner eigenen Partei und fühlt sich im Bonner Parlamentsbetrieb völlig überfordert und verlo-
Abb. 18: Wolfgang Koeppen
38
ren. Der Roman schildert sein politisches
und privates Versagen. Während er im Parlament nicht den geringsten Einfluss nehmen kann, gibt sich zu Hause seine Frau in
Langeweile einer Lesbierin hin, verfällt der
Trunksucht und stirbt schliesslich. Auf der
letzten Seite des Romans begeht Keetenheuve Selbstmord – aus Verzweiflung über
die deutschen Zustände.
Koeppen gibt hier ein Bild der neuen Hauptstadt Bonn, und welch ein tristes Bild! Durch
die Augen des Abgeordneten Keetenheuve
erleben wir die Öde, die Leere, die Fragwürdigkeit des neu erstandenen Deutschland. Das tönt dann etwa so: „Schulkinder
hockten am runden Tisch, reizlos angezogene Mädchen, Jungen, die schon Beamtengesichter hatten, verstohlen rauchten,
auch sie waren fleissig, wie der Kanzler, hatten Bücher aufgeschlagen, lernten, strebten
(wie der Kanzler?), eine Jugend verbissenen
Gesichts, was für vernünftig galt, was dem
Vorankommen diente, steuerte ihr Herz, sie
dachten an den Stundenplan und nicht an
die Sterne. ... Sie gähnten. Ihr Mund wurde
ein rundes Loch, der Eingang eines Tunnels, in dem die Leere aus und ein ging.
Sie steckten Zigaretten in das Loch, stopften die Leere, bissen die Lippen über dem
Tabak und bekamen hämische wichtigtuerische Gesichter. Sie konnten einmal Abgeordnete werden; aber wahrscheinlich würde
sie vorher das Militär holen.“37
„Die Öde hatte sich ihm gezeigt, sie hatte
sich mit ihm bekannt gemacht, und nun waren ihm die Augen geöffnet, nun sah er sie,
überall, und nie würde die Öde verschwinden, nie wieder würde sie seinen Augen unsichtbar werden. Wer war sie? Wie sah sie
aus? Sie war das Nichts, und sie hatte kein
Aussehen. Sie sah wie alle Dinge aus. Sie
sah wie der Ausschuss aus, wie das Parlament, wie die Stadt, wie der Rhein, wie das
Land, alles war die Öde, war das Nichts in
einer schrecklichen Unendlichkeit, die unzerstörbar schien.“38 Zentral ist dem Koeppen-Roman die Kritik an der restaurativen
Entwicklung der BRD, an der Fortdauer einer nicht einmal im Ansatz bewältigten Vergangenheit und der Warnruf vor allen drohenden Gefahren einer Restauration.39 Mit
dieser Kritik kommt Koeppen gewissermassen zu früh, also zu einem Zeitpunkt, zu
dem die Deutschen weder zur Vergangenheitsbewältigung noch zur Gegenwartsbewältigung bereit sind. „Ich komme immer
zu früh, ich habe mein ganzes Leben lang
darunter gelitten, dass ich zu früh komme“,
sagt der Autor in „Ich bin gern in Venedig warum“.40 So wird „Das Treibhaus“ zu
einem kleineren Skandal, man liest den Roman als Schlüsselroman und wirft dem Autor Misanthropie und Überzeichnung vor;
in Keetenheuve sieht man den SPD-Abgeordneten Carlo Schmid, in Knurrehahn den
Oppositionsführer Kurt Schumacher und in
Frost-Forestier den Chef des Auslandsnachrichtendienstes, Reinhard Gehlen. „Das
Treibhaus“ stellt die Kritiker endgültig vor
die Frage „pro oder contra Koeppen“ – und
nur ganz wenige entscheiden sich für Koeppen. Von einem „Zerrbild“ ist die Rede, von
„Ruinen-Existenzialismus“ und von „Abtritt-Poesie“. 41 Auch Marcel Reich-Ranicki,
einer der entschiedensten Bewunderer Koeppens, ist der Ansicht, dass die Wahl des
Protagonisten nicht sehr glücklich sei: Es ist
keine besonders geschickte Idee, die Bonner
Welt, die Koeppen entlarven will, durch die
Augen einer Figur darzustellen, die an ihrer
eigenen Unzulänglichkeit zugrunde geht.
„Ich dachte, du seist tot“ – so begrüsst eine
andere Figur Keetenheuve, wie sie ihn zum
ersten Mal aufsucht. Nicht ein Kämpfer des
Guten in der Welt der Bösen ist dieser Keetenheuve, sondern ein von des Gedankens
Blässe angekränkelter Träumer und Spintisierer, ein törichter Ritter gegen die Macht,
von dem es schon von Anfang an heisst:
„Er hatte den Kampf verloren. Die Verhältnisse hatten ihn besiegt, nicht die Gegner.
Die Gegner hatten ihn kaum beachtet.“42
Anders urteilen Günter und Hiltrud Hänztschel: „Keetenheuve erweist sich als eine
ebenso interessante wie komplizierte Figur.
Denn einerseits vergegenwärtigt Koeppen
ihn, romantischer Psychologie folgend, als
beinahe kindlich und naiv, spontan und unkonventionell, andererseits zeigt er ihn als
einen Überlegenen, der aufgrund seiner
langjährigen Exilerfahrung die deutschen
Verhältnisse an seinen politischen Überzeugungen misst und damit von den parlamentarischen Gepflogenheiten abweicht.
Dieses Spannungsverhältnis fokussiert die
Bonner Politik in ungewöhnlicher Weise
aus der Sicht eines Aussenseiters, so dass
ihre Fragwürdigkeiten und Schwächen, ihre
Anfälligkeiten und Inkonsequenzen in das
Zentrum rücken. ... Als Dilettant im positiven Sinne kann er immer wieder die Handlungsweise der Politiker, aus Regierung wie
Opposition, als leere Rituale, als Symptome
von Intrigen und Korruption aufdecken.“43
Wenn wir auch eher Reich-Ranicki zustimmen und die Romananlage für unglücklich
halten: Was die Lektüre von „Das Treibhaus“ auch heute noch anregend macht,
sind die treffenden Charakterisierungen von
Parlamentsabgeordneten, mit denen die
antriebsschwache Hauptfigur zusammentrifft. Diese Charakterisierungen braucht
man heute nicht mehr als verschlüsselte
Porträts realer Politiker zu lesen, sondern
darf sie als Satiren verstehen, deren sprachliche Brillanz lächeln macht. So sei hier hingewiesen auf die Schilderungen von Philip
Dana und Frost-Forestier.44 Wird „Das Treibhaus“ vor allem als Schlüsselroman gelesen, so stösst Koeppens letzter Roman „Der
Tod in Rom“ von 1954 weitgehend auf Unverständnis. Koeppen hat darauf hin keinen weiteren Roman mehr veröffentlicht,
sondern sich ins Schweigen zurückgezogen
oder harmlose Reiseberichte verfasst. Diesen Rückzug lasten viele der harschen Literaturkritik an. 1966 hat Reich-Ranicki sogar
einen „Fall Wolfgang Koeppen“ konstruiert,
von dem dann bis zu Koeppens achtzigstem
Geburtstag immer wieder kontrovers zu hören und zu lesen war.
Abb. 19: Ausschnitt aus Koeppen,
Das Treibhaus
39
Stimmung der fünfziger Jahre
Vor ausführlicheren Angaben hier ein paar
Streiflichter:
Der „Playboy“ erscheint erstmals

1953.
Der Existenzialismus ist die herr
schende Philosophie der fünfziger
Jahre.
1956 kommt Elvis Presley nach Hol
lywood.
Jackson Pollock gilt als wichtigster

Maler der fünfziger Jahre; seine Anerkennung setzt sich aber nur langsam durch (in Illustrierten wird er als
„Jack the dripper“ verulkt).
Der „Sissi“-Film mit Romy Schneider

kommt 1955 in die Kinos.
1957 fliegt der Sputnik ins All.

H. Selye führt 1952 den Begriff

„Stress“ ein.
1953 wird die DNS-Struktur entdeckt

und die erste Antibaby-Pille produziert.
1958 veröffentlicht C.N. Parkin
son das Gesetz des bürokratischen
Wachstums.
Der Schah muss 1953 den Iran ein

erstes Mal verlassen (mit Soraya).
Hillary und Sherpa Tensing besteigen

1953 den Mount Everest.
Fürst Rainier von Monaco heiratet

Grace Kelly und die Hochzeit wird
weltweit als erste Eurovisions-Show
übertragen.
1957 bekommt Camus den Literatur
Nobelpreis.
40

James Dean wird mit „Jenseits von
Eden“ 1955 zur Identifikationsfigur
des Jahrzehnts.
Swing und Jazz, Blues und Bigband-Musik sind in: Ella Fitzgerald, Frank Sinatra,
Louis Armstrong. Und vor allem: Glenn Miller. Wie ein Schwall geht diese Musik über
junge Leute nieder, macht sie zu Fans des
„American way of life“. Während die Älteren immer noch auf Operette schwören,
sind die jungen Leute begeistert von dem,
was die Älteren Krach, Lärm oder Negermusik nennen.
1945 setzt zunächst ein grosses Staunen
ein, dass der Krieg aufgehört hat und dass
man selbst zufällig noch am Leben ist.
Dieses Staunen hält eine Weile an, bis es
in eine Art Trümmermentalität übergeht,
mit der man sich in der primitiven Situation einzurichten versucht.45 Nach dem Zusammenbruch, der Stunde Null und dem
beginnenden Wiederaufbau kann es nur
aufwärts gehen. Und in den fünfziger Jahren geht es stürmisch bergauf. Die erste
Etappe ist die Fresswelle: Der Kuchen mit
Sahne wird wiederentdeckt, wiedererobert.
Eine Genusswelle erfasst Deutschland: Butterkuchen mit Sahnebergen, Libby’s übersüsste Dosenfrüchte. Der aus dem Osten
stammende Hellmuth Karasek erzählt, wie
er immer wieder von Stuttgarter Verwandten stolz in ein Café geschleppt wird, wo
man ihn mit Crèmeschnitten und Obst-
kuchen verwöhnt.46 Der spätere Udo-Jürgens-Hit „Aber bitte mit Sahne“ erinnert
an diese glückliche Zeit, als Essen noch kein
Diätproblem, sondern Kalorienbeschaffung
war.
Die Modernisierung wird positiv aufgenommen. Man freut sich an der technischen Eleganz der Autobahnführungen, an den Wolkenkratzern aus Stahl und Glas, an den
neuen Fabrikanlagen, während die negativen Begleiterscheinungen der Modernisierung als tragbar erscheinen. Skeptische
Warner wie etwa Ortega y Gasset werden
überhört. Autos gibt es nur wenige, und die
meisten stammen aus der Zeit vor 1940.
In der BRD mit ihren 47 Millionen Einwohnern gibt es nur gerade 335‘000 Personenwagen, aber 1953 schon 2 Millionen Motorräder. Man liebt das Auto, weil man den
Stau noch nicht kennt. Man fährt am Sonntag über Land, mit Kindern, denen auf dem
Rücksitz schlecht wird, mit Frauen, die kritisieren („Pass doch auf, Walter!“), mit Fahrern, die andere beschimpfen („Sonntagsfahrer!“). Folgender Witz ist typisch für die
fünfziger Jahre: Eine VW-Fahrerin steht ratlos auf der Kreuzung, ihr Käfer streikt. Eine
andere VW-Fahrerin fragt, ob sie helfen
könne. „Ja“, sagt die mit der Panne, „ich
mache die Kühlerhaube auf. Und was sehe
ich? Kein Motor drin!“ Entgegnet die andere: „Wenn es weiter nichts ist, da kann
ich Ihnen helfen. Ich habe neulich zufällig
hinten den Kofferraum bei meinem Käfer
aufgemacht. Und was sehe ich? Da war ein
Ersatzmotor drin.“47
Sitten, Gebräuche und Sprachregelungen
sind allerdings noch rigid. Der Krawattenzwang ist noch lange nicht die schlimmste
Zumutung, und dass sich Studenten siezen, lässt sich ebenfalls verschmerzen. Ärgerlicher ist, dass über jeder Familie noch
ein sogenannter Haushaltvorstand thront,
der von Gesetzes wegen nicht nur über sein
eigenes Vermögen, sondern auch über das
seiner Frau verfügt. Unbekleidete Damen
sind nur im Museum zu besichtigen, andernfalls kommt der Staatsanwalt. Für unverheiratete Paare gilt der Kuppelei-Paragraph. Kondome gibt es nur für Volljährige
und nur in der Apotheke. In der Schule gibt
es Tatzen mit der Rute. Und so weiter und
so fort.48
Die Kauflust steigt, „kauf, kauf, kauf“ heisst
das Motto. „Kauf dies und das, dann bist
du sexy; bist du sexy. Wenn du sexy bist,
hast du Erfolg; wenn du Erfolg hast, hast du
Geld; wenn du Geld hast, kannst du kaufen;
wenn du kaufst, bist du sexy - und so weiter
im Kreise.“49 Die Werbung ist noch in den
Kinderschuhen, wirkt oft infantil und belehrend und entlockt uns heute nach fünfzig
Jahren schon ein leichtes Lächeln:
Abb. 20: Plakat der Auto-Ausstellung 1950
41
Stimmung der fünfziger Jahre
Ei, die schönen Birkel-Nudeln
Wie sie in dem Kochtopf sprudeln
Birkel-Nudeln ein Gedicht
Geliebt, gelobt als Leibgericht.
Lebewohl bringt Trennungsschmerz
Doch auch Trennungsfreuden
Das eine Mal betrifft’s das Herz
Das andere Mal Hornhautleiden.
Und aus der Schweiz ist vielleicht noch bekannt:
Jede Hausfrau weiss:
Wenn Öl und Fett, dann Sais.
Trotz Frauenstimmrecht seit 1919 und Einsatz der Frau in beiden Weltkriegen ist das
Frauenbild in den fünfziger Jahren zunächst
noch ein sehr konventionelles. Adenauers
grosse Tat Mitte der fünfziger Jahre ist ja
die Rückholung der Kriegsgefangenen. Wie
allerdings die Männer, lange vermisst und
oft für tot gehalten, zurückkommen, haben
sich ihre Frauen längst emanzipiert: sie führen den Haushalt, sie ernähren die Kinder,
sie reparieren die zerbrochenen Rohre, sie
schleppen Kohlen. Wie die Männer zurückkehren, erhalten sie meistens ihren Job, ihre
Vormacht, ihren Status wieder – und die
Frauen finden sich damit ab, sie kehren an
den Herd zurück. Nach der grossen Niederlage bekommt die klassische Familie wieder
einen hohen Stellenwert, gemäss Familienminister Franz-Josef Wuermeling, bis 1962
im Amt, ist einzig die kinderreiche Familie
42
die richtige Familie. „Ich bleibe zu Hause
und freue mich, dass seine Augen leuchten, wenn er mich sieht“, so etwa versteht
die Frau in den fünfziger Jahren ihre Rolle.
Die Emanzipation braucht ganz offensichtlich mehr als einen Anlauf, um Gleichberechtigung durchzusetzen.
Die Wohnungslage ist zunächst bedrückend. 1950 stehen für die 16,4 Millionen
Haushalte nur 10 Millionen Wohnungen
zur Verfügung, und von diesen sind mindestens 2 Millionen durch den Krieg zerstört. Bei den meisten Wohnungen handelt
es sich zudem um Häuser aus der Zeit vor
dem Ersten Weltkrieg. Der Wohnküchenmief, dem man heute nur noch im frühen
Werk von Heinrich Böll begegnet, ist die
Lebensluft von Millionen Menschen. In einer gewaltigen Aufbruchleistung werden
bis 1957 vier Millionen Wohnungen buchstäblich aus dem Boden gestampft. Eine
Befragung von 1954 zeigt, dass nur 44%
der Wohnungen eine Badegelegenheit haben. Waschmaschinen kommen erst in den
sechziger Jahren in die Haushalte, Geschirrspüler erst in den siebziger Jahren.
Die Wohnungen wirken noch seltsam leer,
obwohl sie klein, eng und niedrig sind.
Ausser ein paar Büchern für das Büchergestell „String“ (einzelne Bretter in lockerer Anordnung an die Wand gehängt) hat
man erst eine spartanische Wohnungseinrichtung. Jede Anschaffung ist ein Ereignis.
Die drahtverbundenen Schalensitze mit ih-
ren schlaffen Schaumgummifüllungen, die
Nierentische mit ihren widerlichen Resopalplatten, die gewaltigen Grundig-Musiktruhen, das Kofferradio im Plastiklook
aus Bakelit täuschen eine Moderne vor, die
uns heute uralt erscheint. Teakholz ist der
letzte Schrei, und nichts ist so verhasst und
so suspekt wie das ausgehende 19. Jahrhundert, das als plüschig und verschnörkelt
gilt. Jetzt ist alles abwaschbar, „Staubfänger“ ist das schlimmste Schimpfwort. Und
in die gute Stube halten die bewegten Bilder Einzug.
Im Rückblick wirken Schalensitze und Nierentische hoffnungslos veraltet. Man muss
sich einmal anhören, wie hasserfüllt der
Kunsthistoriker Thomas Zaunschirm sich
darüber äussert: Der Nierentisch ist „eine
trivialisierte, an die seichte Oberfläche der
Kunst gespülte Gestalt, deren Wurzeln weit
zurückreichen. ... Die organoide Form, aus
der Plastik eines Brancusi oder Arp schon
früher wohl vertraut, ist in ihrer auf die
zweidimensionale Optik reduzierten Plattheit eine Synthese aus Anpassung (nur nicht
anecken), scheinbarer Offenheit (der Boden
ist für den Blick frei) und dynamischem
Schwung. Diesem outrierten Optimismus
entsprechen die über Stahlrohren schwebenden Sitzmöbel mit ihrem Bedürfnis, alles dem Besucher freizulegen.“50
Nach dem Krieg wird Reisen wieder möglich. Zunächst ergiesst sich die deutsche Rei-
selust ins Nachbarland Österreich. Das Salzkammergut, der Wörthersee, die Wachau
mit Wein, Weib und Gesang sowie Wien,
Wien, nur du allein sind die nahen Ziele des
deutschen Fernwehs und liegen erst noch
in einem Land, für das man keine fremde
Sprache erlernen muss. 1955 vereinen sich
Österreich und Deutschland nach 1938 ein
zweites Mal, zumindest im Film. Ernst Marischka dreht den Schmachtfetzen „Sissi“,
die Liebesgeschichte des jungen Kaisers
Franz Joseph und der bayrischen Prinzessin Elisabeth. Sissi mit Korkenzieherlocken,
in Dirndlkleider gesteckt wie ein Praliné in
eine Konfektschachtel, und der junge Kaiser mit akkuratem Scheitel in weisser Uniform mit rot-weiss-roter Schärpe – Millio-
nen von Zuschauern haben die Süsse des
Films genossen und die Bitternis der Vergangenheit vergessen.
Die zweite Reisewelle ergiesst sich über
Gotthard und Brenner nach Italien. Die
Deutschen wollen Sonne, Nichtstun und
Gesang. Übervater Adenauer macht Ferien
am Comersee, und Millionen von Deutschen machen es ihm nach. Eine Umfrage
aus dem Jahr 1952 zeigt, dass nur ein Viertel der erwachsenen Bevölkerung in den
letzten Jahren eine Urlaubsreise gemacht
hat. 1955 sind immerhin schon die Hälfte
der Befragten in den Ferien verreist, aber
erst ein Fünftel hat überhaupt einen Reisepass. Grosse Reiseunternehmen wir Tour-
Abb. 21: Der Fernseher hält Einzug in die gute Stube
opa, Hummel oder Scharnhorst setzen sich
erfolgreich auf dem Markt durch. Die ersten
Auslandreisen werden zu den prägenden
Erlebnissen der fünfziger Jahre; die Kriegsjahre, in denen man von Reisen nur träumen konnte, gehören endgültig der Vergangenheit an. Rudi Schuricke besingt die
Capri-Fischer - wahrscheinlich der erfolgreichste Schlager der fünfziger Jahre.
Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt und vom Himmel die bleiche Sichel
des Mondes winkt, ziehn die Fischer mit ihren Booten ins Meer hinaus und sie werfen
in weitem Bogen die Netze aus:
Bella bella bella Marie, bleib mir treu, ich
kehr zurück morgen früh,
Bella bella bella Marie, vergiss mich nie!
Nach 1945 gibt es auch politische Filme wie
„Canaris“ oder „Es geschah am 20. Juli“.
Sie lassen erkennen, wie die Bevölkerung die
jüngste Zeit sieht und dargestellt sehen will:
ritterliche, idealistische deutsche Soldaten
und Offiziere im Widerstand, tapfere junge
Frauen stehen dämonisch-schurkischen SSOffizieren gegenüber. Viel grösseren Erfolg
aber haben Filme über gekrönte Häupter;
es ist, als befinde sich Deutschland auf dem
Rückweg zur Monarchie. Die Gesellschaft
ist weitgehend apolitisch, als würden sie
so auf die politische Mobilisierung durch
den Nationalsozialismus reagieren. 1952
wird erstmals ein Fernsehprogramm gesendet, und zwar von NWDR. Die erste grosse
43
Stimmung der fünfziger Jahre
Direktübertragung erfolgt bei der Krönung
von Elisabeth II. am 2. Juni 1953, die von
vielen mit so grosser Anteilnahme verfolgt
wird, als ginge es um die eigene Monarchin.
Wenn auch die ersten Fernseher selten, enorm gross und teuer sind, so gibt es doch
schon 1960 vier Millionen Fernsehteilnehmer, und als Adenauer zurücktritt, da sind
es schon acht Millionen.
Am 4. Juli 1954 siegt die deutsche Fussballmannschaft im Berner Wankdorf-Stadion über die favorisierten Ungarn. Der
Triumph ruft in Deutschland grosse Begeisterung hervor. Die legendäre Radioreportage Herbert Zimmermanns („Toni, du bist
ein Fussballgott“) zieht Millionen in den
Bann. Es kommen „Wir sind wieder wer“Gefühle auf, die Menschen freuen sich unbändig, das Tor des Rechtsaussen Helmut
Rahn zum 3:2 verändert das Land, und
das, obwohl Fussball noch nicht die Massenwirkung späterer Jahre hat und vielfach
als „Proletensport“ diffamiert wird. 1954
erhält jeder Spieler nur gerade 1000 Mark
für den Gewinn des Titels sowie 200 Mark
pro Einsatz (1990 werden es 125‘000 Mark
sein). Der Kultfilm „Das Wunder von Bern“
von 2003 übertreibt allerdings, wenn er die
Gründung der BRD ins Wankdorf-Stadion
von Bern verlegt.
In einer Nachkriegszeit wird nichts weggeworfen. Der erste Wegwerfartikel ist das Papiertaschentuch. Die Nürnberger Vereinig
ten Papierwerke schaffen es, dass ihr Arti-
44
kelname „Tempo“ zum Sachbegriff avanciert. Vertreter tragen glänzend weisse
Nyltest-Hemden, die man nur über die Badewanne zu hängen braucht, ohne sie bügeln zu müssen. Hygiene gleich Moral. Die
Werbung preist das weisseste Weiss, die
Anti-Akne-Crème verspricht, ein leidzerfurchtes, akneübersätes Gesicht glatt und
glücklich zu machen. Nach den wilden
zwanziger Jahren sorgt jetzt der Film „Die
Sünderin“ des Wiener Routiniers Willi Forst
für einen Skandal. Hildegard Knef spielt
darin ein von der Nazi-Herrschaft verstörtes Mädchen, das Prostituierte wird, aber
durch die Liebe zu einem todkranken Mann
ihre wahren Gefühle wiederentdeckt. Der
Skandal, den der Film auslöst, obwohl er
eigentlich keinen Skandal verdient, ist eine
winzige Szene, in der die Knef für Sekundenbruchteile nackt zu sehen ist – so prüde
ist die vom Nazi-Wahn traumatisierte Gesellschaft.
So schätzt man auch eine gewisse Verruchtheit, wie sie etwa die Cissy Kraner sich erlaubt hat (1953):
Ich habe einen Mann, den viele möchten,
Der immer mich bewahrt vor allem Schlechten.
Ein jeder kennt ihn, Nowak ist sein Name,
Ihm dank’ ich es, dass heut’ ich eine
Dame.
Ob angezogen oder als ein Nackter,
Der Nowak hat am ganzen Leib Charakter.
Ich hätte längst ein böses End’ genommen,
Aber der Nowak lässt mich nicht verkommen.
Ich hätt’ an vielen Dingen mein Vergnügen,
Ich möcht’ so gerne in der Gosse liegen,
Ich möchte einmal sinnlos mich besaufen,
Ich möcht’ mit einem Freudenmädchen raufen,
Ich möchte einmal Männer toll verbrauchen,
Ich möcht’ statt „Memphis“ Marihuana rauchen,
Ich hätt’ auch längst schon Morphium genommen,
Aber der Nowak lässt mich nicht verkommen.
Ich möcht’ einmal bei Vollmond ein Vampir sein,
Ich möcht’ Geliebte von einem Fakir sein,
Damit mich, wenn ich lieg’ ohne Matratzen,
Von hinten noch die Nagelspitzen kratzen!
Ich möchte Austern mit der Schale essen,
Ich möcht’ mit einem Walfisch mich vergessen,
Ich hab’ mir das schon alles vorgenommen,
Aber der Nowak lässt mich nicht verkommen.
Der Nowak ist zwar einerseits ein Segen,
Doch andrerseits lässt er mich nicht bewegen.
Da stand ein Inserat in einer Zeitung.
Es sucht von einem Nachtlokal die Leitung
Ein junges Mädchen, brav, mit nettem Wesen,
Das nackert tanzt vor Negern und Chinesen.
Den Posten hätt’ sofort ich angenommen,
Aber der Nowak lässt mich nicht verkommen.
Und eine Liste der beliebtesten Schlager
veranlasst uns im Rückblick ebenfalls zu
einem Lächeln:
1951 Gerhard Wendland, Das machen die
Beine von Dolores
1952 Fred Rauch, Schützenliesel
1953 René Carol, Rote Rosen, rote Lippen,
roter Wein
1954 Paul Kuhn, Der Mann am Klavier
1955 Caterina Valente, Chanson d’amour
1956 Freddy Quinn, Heimweh
1957 Margot Eskens, Cindy, oh Cindy
1958 Mich Miller und sein Orchester, The
River Kwai March
1959 Freddy Quinn, Die Gitarre und das
Meer
fistisch, die Verherrlichung des Heldentods,
nach dem Ersten Weltkrieg noch obligatorisch, macht einem verlegenen Wegsehen
Platz. 1958 erreichen die Münchner Studenten, dass die alte Inschrift an der Uni
„Dulce et decorum est pro patria mori“ im
Gedenken an die Geschwister Scholl durch
den Spruch „Mortui viventes obligant“51 ersetzt wird.
Auf die Frage, wann es Deutschland am
besten gegangen sei, erhält man folgende
Antworten:52
1951
1959
1963
Zwischen 1933 und 1939 42%
18%
10%
In der Gegenwart
2%
42%
62%
Vor 1914
45%
28%
17%
Gesamthaft gesehen sind die fünfziger
Jahre von der Industrialisierung geprägt.
Die Landwirtschaft nimmt ab, die preussische Elite verliert ihre Führungsfunktion,
der Mittelstand gewinnt. Es fehlen heftige
politische Ideenbewegungen und Ideenkämpfe, aber sind die fünfziger Jahre wirklich durch Stagnation und Langeweile gekennzeichnet? Fest steht, dass das totalitäre
System diskreditiert und dass deshalb politischer Extremismus nicht mehr gefragt ist,
und zwar sowohl bei den rechten wie bei
den linken Kreisen. Pragmatismus und Kompromiss sind die Stichworte. Die Demokratie
erscheint, ganz im Gegensatz zur Weimarer Republik, den meisten in einem gewissen Glanz. Die fünfziger Jahre sind pazi-
45
Heinrich Böll, Der Zug war pünktlich
Wer an Romane aus der Nachkriegszeit
denkt, dem kommt als erstes der Name
Heinrich Böll (1919-1985) in den Sinn,
gefolgt von den Namen Siegfried Lenz
und Günter Grass. Andere Nachkriegsautoren, wie Borchert oder Schnurre, sind vor
allem mit ihren Kurzgeschichten noch präsent. Keine Abhandlung über Böll kann auf
das Zitieren der folgenden Sätze verzichten, die Bölls Intention so prägnant umreissen: „Wenige Jahre nach Hitlers Machtübernahme waren die Arbeitslosen untergebracht, sie wurden Polizisten, Soldaten,
Henker, Rüstungsarbeiter - der Rest zog
in die Konzentrationslager; die Statistik
stimmte, die Reichsmark floss in Strömen;
bezahlt wurden die Rechnungen später, von
Abb. 22: Heinrich Böll
46
uns, als wir, inzwischen unversehens Männer geworden, das Unheil zu entziffern versuchten und die Formel nicht fanden; die
Summe des Leidens war zu gross für die
wenigen, die eindeutig als schuldig zu erkennen waren; es blieb ein Rest, der bis
heute nicht verteilt ist. - Schreiben wollte
ich immer, versuchte es schon früh, fand
aber die Worte erst später.“53
Die Grundposition von Bölls Erzählen ist
immer dieselbe: Es ist die eines konventionell realistischen Erzählers, der sich bemüht, lebensnah, sorgfältig und wahrhaftig von dem zu erzählen, was das Leben
mit sich bringt. Was er erzählt, ist den Leuten verständlich und wird ihnen von Buch
zu Buch verständlicher. Böll erzählt mit dem
Akzent auf Gefühl, auf Mitleid, er erzählt
Geschichten, wie sie jeder erlebt hat oder
hätte erleben können. Böll ist Kleinbürger,
Christ, Katholik, und die einzige Haltung
den Menschen gegenüber ist die des Mitleidens, Mitleiden bis hin zur Gefühligkeit und
Sentimentalität.54 Abgesehen von einzelnen
Kurzgeschichten, meint Marcel Reich-Ranicki, habe Böll nichts geschrieben, was
auch nur annähernd als vollkommen gelten könnte; seine Romane hätten ärgerliche
Schönheitsfehler und Schwächen, die selbst
seine treuesten Anhänger schwerlich verteidigen möchten. Aber von keinem deutschen
Schriftsteller könne mit gleichem Recht behauptet werden, dass alle seine Arbeiten,
die grossen und die kleinen, die geglückten und die missglückten, Fragmente einer
einzigen, in sich geschlossenen Konfession
seien.55
In „Der Zug war pünktlich“ von 1949 erzählt Böll von Andreas, der zurück an die
Front in Galizien muss und ahnt, dass er
sterben wird. Nach einer Nacht in einem
Bordell in Lemberg, bei der es zu keinem sexuellen Kontakt kommt, werden er und das
Freudenmädchen von einer Bombe getroffen und getötet. Dieser Andreas und seine
Kameraden, sie tragen die ganze Last der
Welt auf sich, eine Last und einen Schmerz,
der sich ins Kosmische ausdehnt: „Er wälzt
sich auf den Bauch, verbirgt den Kopf unter
den Händen und schluchzt, schluchzt. Es ist
ein Schluchzen, als müsse die Erde bersten
und sich öffnen, und über diesem Schluchzen lächelt der Himmel, über den Baracken,
über den vielen Baracken und über den Türmen von Przemysl am San…“. Da ist nichts
zu spüren von Kahlschlag und Stunde Null,
da ist Pathos ganz unverhüllt, kein heldenhaftes Pathos, nein, aber ein nach Mitleid
schreiendes Pathos, das heute nur noch
als wehleidig empfunden werden kann
und in dem die Scheu, grosse Worte wie
„Schmerz“ nur mit einer gewissen Reserve
zu brauchen, leicht lächerlich wirkt. Was mit
der Skepsis gewissen grossen Worten gegenüber gemeint ist, soll an einem Beispiel
aus Bölls Roman „Und sagte kein einziges
Wort“ erläutert werden: „Die Verschalung
steht weit genug ab, dass ich hineinkriechen kann, und unten ist eine breite Stelle,
dort ist es dunkel und warm, und ich fühle
Ruhe, wenn ich dort liege, habe Frieden im
Herzen, der Schnaps kreist in meinen Adern,
das dumpfe Grollen der ein- und ausfahrenden Züge, das Bumsen der Gepäckkarren
oben, das Surren der Aufzüge – Geräusche,
die mir im Dunkeln noch dunkler erscheinen, schläfern mich schnell ein. Manchmal
auch weine ich dort unten, wenn mir Käte
einfällt und die Kinder, ich weine, wissend,
dass die Tränen eines Säufers nicht zählen,
kein Gewicht haben – und ich spüre etwas,
das ich nicht Gewissensbisse, sondern einfach Schmerz nennen möchte.“
Von Andreas heisst es am Ende von „Der
Zug war pünktlich“: „Mein Gott, denkt Andreas, sind sie denn alle tot? ... Und meine
Beine ... meine Arme, bin ich nur noch Kopf
... ist denn niemand da ... ich liege auf dieser nackten Strasse, auf meiner Brust liegt
das Gewicht der Welt so schwer, dass ich
keine Worte finde zu beten ...“ Mit dem
Tod der Hauptfigur endet auch Bölls bekannteste Kurzgeschichte „Wanderer,
kommst du nach Spa...“, mit dem Tod der
Hauptfigur endet auch sein Roman „Wo
warst du, Adam“. Bölls Helden werden getreten und getrieben, sie schreien und verzweifeln, sie beten (oder möchten beten)
und sterben. Und sie kosten ihr Leid aus,
feiern ihr Leid, zelebrieren ihr Leid und tragen auf ihrer Brust das Gewicht der ganzen
Welt.
Bölls Botschaft lautet: Der Mensch ist gut,
aber die Welt ist schlecht. Seine Hauptfiguren sind Opfer höherer Gewalten, der
Krieg erscheint hier nicht als Folge menschlicher Handlungen, die sich erfassen und
analysieren lassen, sondern als ein undurchschaubares und grausames Phänomen, als
eine furchtbare Krankheit, als ein Schicksal
jenseits des Erklärbaren. Für Krieg und Verheerung können Bölls Figuren nichts, aber
sie fühlen sich schuldig: Schuldig, dass sie
leben, schuldig, dass sie essen, schuldig an
allem und jedem. Ein nennenswerter Unterschied zwischen der Perspektive des Verfassers und derjenigen seiner Helden scheint
übrigens nicht vorhanden zu sein. Wie bei
Zuckmayer ist der Krieg Schicksal und damit
der verstandesmässigen Analyse entzogen,
aber anders als Zuckmayer nehmen Bölls
Figuren ihre Schuld an, und indem sie diese Schuld ins Gigantische vergrössern, entschulden sie auch die Leser, die ihre Schuldgefühle den Figuren delegieren können.
Es ist Böll, der den Mief der Nachkriegszeit
mit ihrem Mangel, ihrer Not, ihrem Dreck
ein für alle mal in Worte gefasst hat, wie
eine Passage aus „Und sagte kein einziges
Wort“ von 1953 zeigen mag: „Der rechts
von ihm hat ein Fenster geöffnet und hält einen Becher hinaus, in den ein mageres, müdes Mädchen Kaffee eingiesst. Der Geruch
des Kaffees ist fürchterlich, dünne Hitze, die
ihm flau im Magen macht; es ist der Geruch der Kaserne, der Kasernenküche, der
über ganz Europa verbreitet ist … und der
über die ganze Welt verbreitet werden soll.
Und doch (so tief sitzen die Wurzeln der Gewohnheit), doch hält auch er seinen Becher
hinaus und lässt sich einschenken; diesen
grauen Kaffee, der so grau ist wie die Uniform. Er riecht die matten Ausdünstungen
des Mädchens, dem man anmerkt, dass es
in den Kleidern geschlafen hat, von Zug zu
Zug gegangen ist in der Nacht, Kaffee geschleppt hat, Kaffee geschleppt hat… Er
nimmt ein Butterbrot und beginnt ruhig und
langsam zu kauen. Das ist furchtbar, dass
man kurz vor seinem Tod noch essen muss.
Bald werde ich sterben, und doch muss ich
noch essen. Butterbrote mit Wurst, Fliegerangriffsbutterbrote, die ihm sein Freund, der
Kaplan, eingepackt hat, einen ganzen Packen dickbeschmierter Butterbrote, und das
Schreckliche ist, dass sie schmecken.“
Bekanntlich hat sich Böll auch als Humorist
versucht, etwa in „Doktor Murkes gesammeltes Schweigen“, aber zentral ist seine
Verortung in der Nachkriegszeit, der er mit
seinen gebeutelten und gequälten Figuren
literarisch ein Gesicht gegeben hat; sein
Bekenntnis zum Humor wirkt nicht ganz
überzeugend: „Die Literatur kann offenbar nur zum Gegenstand wählen, was von
der Gesellschaft zum Abfall, als abfällig erklärt wird. Soweit es überhaupt noch eine
Rechtfertigung des Humors in der Literatur
gibt, könnte seine Humanität darin bestehen, das von der Gesellschaft als abfällig
Behandelte in seiner Erhabenheit darzustellen.“
47
Die Entstehung der DDR
Am 30. April 1945 begeht Hitler Selbstmord. Am gleichen Tag landet in Frankfurt
an der Oder ein sowjetisches Flugzeug, das
eine erste Gruppe von kommunistischen
Funktionären aus Moskau nach Deutschland zurückbringt. Der Leiter dieser Gruppe
ist Walter Ulbricht (1893-1973), Tischlergeselle aus Leipzig und kommunistischer
Reichstagsabgeordneter in der Weimarer
Republik. Unter Ulbricht wird die sowjetische Besatzungszone innerhalb von vier
Jahren zu einem der gehorsamsten Ostblockstaaten umgebaut. Ulbricht bekommt
Übernamen wie „Buchhalter des Terrors“
oder „Kettenhund der Sowjetunion“ und ist
ebenso verhasst wie später sein Nachfolger
Erich Honecker (1912-1994). In seiner ausführlichen Biographie bezeichnet ihn Mario
Frank als „belanglose und abstossende Persönlichkeit“.56
Bereits 1945 erlaubt die Sowjetunion in ihrer Besatzungszone die Gründung von Parteien. Den Gründungsaufruf für die Kommunistische Partei bringt Ulbricht bereits
fixfertig aus Moskau mit:
Abb. 23: Plakat aus der sowjetischen Besatzungszone
48
„Wir sind der Auffassung, dass der Weg,
Deutschland das Sowjetsystem aufzuzwingen, falsch wäre, denn dieser Weg entspricht nicht den gegenwärtigen Entwicklungsbedingungen in Deutschland. Wir sind
vielmehr der Auffassung, dass die entscheidenden Interessen des deutschen Volkes in
der gegenwärtigen Lage einen anderen
Weg vorschreiben, und zwar den Weg der
Aufrichtung eines antifaschistischen, demokratischen Regimes, einer parlamentarischdemokratischen Republik mit allen demokratischen Rechten und Freiheiten für das
Volk.“
Dazu kommentiert Ulbricht: „Es ist doch
klar, es muss demokratisch aussehen, aber
wir müssen alles in der Hand haben.“ So
werden denn schon 1946 die KPD und
die SPD zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands zwangsvereint und 1948
Wahlen zum Volkskongress nach Einheitslisten durchgeführt. Das heisst, dass im Fall
der DDR die Sowjetunion die gleiche Methode angewandt hat wie in Ungarn, Polen,
in der Tschechoslowakei, in Bulgarien und
Rumänien, nämlich die sogenannte Salamitaktik. Diese Methode verschafft der Sowjetunion die vollständige Kontrolle über diese
Staaten, allerdings nicht in einem einzigen
Schritt, sondern in mehreren Schritten und
auch nicht sofort, sondern im Laufe von vier
Jahren.
Stalin zum jugoslawischen Partisanengeneral Milovan Djilas 1945:: „Dieser Krieg ist
nicht wie frühere. Wer immer ein Gebiet besetzt, legt ihm auch sein gesellschaftliches
System auf. Jeder führt sein eigenes System
ein, soweit seine Armee vordringen kann.
Es kann gar nicht anders sein!“
Hier die verschiedenen Schritte zur Sowjetisierung der Satellitenstaaten
7.
Kommunistische Gruppen fassen die
gegen Hitler kämpfenden Widerstandsorganisationen in „patriotischen
Fronten“ zusammen, die später von
der Roten Armee unterstützt werden
(fehlt im Fall der späteren DDR).
Provisorische Regierungen werden
eingesetzt. Darin nehmen in Moskau
geschulte Exilkommunisten führende
Stellungen ein.
Freie Gründung von Parteien. Mit den
Bürgerlichen zusammen bilden die
Kommunisten Koalitionsregierungen,
wobei sie sich das Innenministerium
sichern.
Ausschalten der bürgerlichen Parteien durch Terror, Verleumdung, Anklagen.
Zusammenschluss der Linksparteien
zu sozialistischen Einheitsparteien (erfolgt in der DDR früher als in andern
Satellitenstaaten).
Gelenkte Volkswahlen, in denen kommunistische Regierungen aufgrund
von Einheitslisten bestätigt werden.
8.
1.
2.
3.
4.
5.
6.
Verfolgungen und Säuberungen;
Schauprozesse.
Angleichung der Wirtschaft an das
sowjetische Muster: Kollektivierung
der Landwirtschaft, Verstaatlichung
der Industrie, Fünfjahrespläne.
So kann 1949, fast gleichzeitig mit der
BRD, die DDR gegründet werden. Der
neue Staat macht sich daran, den Sozialismus umfassend aufzubauen oder, wie es
im Wirtschaftsprogramm der SED von 1951
heisst:57 „Jetzt kommt es darauf an, die Prinzipien der sowjetischen Wirtschaftsführung
und ihre Methoden gründlich zu studieren
und aus ihnen Schlussfolgerungen für die
Führung der volkseigenen Wirtschaft zu ziehen. Dazu ist vor allem das Studium und die
entsprechende Anwendung der vom Genossen Stalin entwickelten Prinzipien der
volkswirtschaftlichen Planung sowie der
bolschewistischen Methoden der Anleitung
der Wirtschaftsorgane durch die Partei erforderlich.“ In der Landwirtschaft – „Junkernland in Bauernhand“ – werden Landwirtschaftliche Produktionsgesellschaften
gegründet, in der Industrie entstehen die
sog. Volkseigenen Betriebe.
Eine ganze Generation, die die Diktatur der
Nazis und den Krieg überlebt hat, muss nun
zusehen, wie sich Kapitalismus und Kommunismus zu neuen Schlachten formieren
und wie in der DDR eine Diktatur entsteht,
die an Beschränktheit und Tristesse nicht
zu überbieten ist. Flüsterwitze geben Einblick in den grauen Alltag von vierzig Jahren SED-Herrschaft.
Plakat: Monat der deutsch-sowjetischen
Freundschaft. Kommentar: Okay, aber keine
................ länger.
Ein Kunde fragt im Fleischerladen zuerst
nach Rouladen, dann nach Schweinelende,
dann nach Kalbsschnitzel. Immer ist die
Antwort: Haben wir nicht. Wie der Kunde
den Laden verlässt, da meint der Verkäufer: „Der Mann hat aber ein tolles .........
................“
Abb. 24: SED – Logo
49
Die Entstehung der DDR
Abb. 25: Stimmzettel aus der SBZ
50
Zum Jahr des Elefanten beschliesst jedes
Land, ein Buch zu publizieren. England veröffentlicht „Der Elefant und das Empire“, in
Frankreich erscheint „Das Liebesleben der
Elefanten“, die Sowjetunion bringt eine
zwölfbändige Enzyklopädie heraus: „Die
Rolle des Elefanten in den grossen proletarischen Revolutionen“. In der DDR erscheint eine schmale Broschüre: „Was wir
von ............................ über den Elefanten
lernen können“.
Gleich nach dem 40. Jahrestag der DDR
fährt Honecker mit einem Traktor kreuz
und quer durch die DDR. Er sucht ..........
................
len, eine ist ein Smarty.
DDR-Roulette: Sechs erzählen einen politischen Witz, und keiner weiss, ..............
Auf einem internationalen Medizinerkongress werden Mandeloperationen durchgeführt. Die der Amerikaner dauert 20 Minuten, die der Franzosen 30 Minuten, die der
DDR-Ärzte acht Stunden. „Sie müssen das
verstehen“, räumen die Ärzte beschämt ein,
„wir müssen rektal ran. Bei uns macht doch
keiner ............“
Ein Flugzeug mit Gorbatschow, Jaruselski,
Husak und Kadar stürzt ab. Keiner überlebt.
Wer trauert am meisten? Die DDR-Bevölkerung, weil ...................
Margot Honecker trifft eine alte Freundin.
„Ich bin ganz glücklich“, sagt sie mit roten
Wangen, „ich habe eine Erstausgabe des
„Kapitals“ für meinen Erich bekommen.“
- „Oh“, sagt die Freundin, „das ist aber
.......................“
Ein DDR-Bürger will seinen Namen ändern
lassen. „Wie heissen Sie?“ fragt der Beamte. „Erich Dummkopf.“ - „Da kann ich
Sie verstehen. Wer möchte schon .... heissen.“
Gipfeltreffen der Parteichefs. „Wie viele politische Gegner habt ihr bei euch in China?“
fragt Honecker. „Ich schätze so um die siebzehn Millionen“, antwortet Deng, „und bei
euch in der DDR?“ „.................werden es
auch nicht sein“, meint Honecker.
Honecker verspricht der bekannten DDREiskunstläuferin Gabriele Seyfert einen
Wunsch zu erfüllen. „Öffnen Sie für einen
einzigen Tag die Berliner Mauer“, bittet sie.
Darauf Honecker: „Du möchtest wohl mit
mir ............“
Russisches Roulette: Ein Revolver, den man
sich an die Schläfe setzt und abdrückt, eine
der sechs Kammern ist geladen.
Französisches Roulette: Sechs Antibabypil-
Thatcher, Kohl, Honecker und Breschnew an
einem Gipfeltreffen. Spät abends in der Bar
reisst sich Breschnew das Hemd auf, zeigt
seine behaarte Brust und meint stolz: „Das
ist russische Taiga.“ Frau Thatcher möchte
nicht zurückstehen, tut das Gleiche und
sagt: „Und hier sehen Sie zwei gute englische Pfund.“ Kohl zieht die Hose runter,
zeigt sein Hinterteil und meint: „Hier sehen
Sie das geteilte Deutschland.“ Die andern
staunen, denn niemand hat bisher gewusst,
dass Deutschland so gross ist. Jetzt fühlt
sich Honecker im Zugzwang, knöpft seine
Hose auf und meint: „Und das hier ist der
Schlagbaum, und der wird nie wieder ......
.........................“
Gorbatschow will sich mit der VR China aussöhnen und bietet Deng die Erfüllung dreier
Wünsche an. Deng wünscht sich 10‘000
Fahrräder, was Gorbatschow bewilligt. Auch
Dengs Wunsch nach 10‘000 Radios wird erfüllt. Als drittes wünscht sich Deng 10‘000
Tonnen Reis. Gorbatschow schüttelt den
Kopf: „Unmöglich, Genosse, Reis wächst
nicht ................“
Mitten in der Nacht klopft es an der Tür
eines alten Mütterchens. „Wer ist da?“
fragt die Alte. „Der Tod“, tönt es dumpf.“
Gott sei Dank“, seufzt das Mütterchen, „ich
dachte schon, es sei die ......“
Tagesordnung des Parteitages
1. Hereintragen der Politbüro-Mitglieder.
2. Synchronisation der Herzschrittmacher
3. Gemeinsames Lied: Wir sind die ..........
Garde.
51
Die Entstehung der DDR
Die Beziehungen der BRD zur DDR sind
während vierzig Jahren sehr spezielle gewesen, und das aufgrund der Präambel im
Grundgesetz:

Die BRD betrachtet die DDR nicht als
Ausland, darum ist nicht der Aussenminister, sondern der „Minister für
innerdeutsche Beziehungen“ zuständig.
52

In Ost-Berlin gibt es keine Botschaft,
sondern eine „ständige Vertretung“.

Die BRD anerkennt nur eine einzige
deutsche Staatsbürgerschaft; Ausreisende aus der DDR erhalten deshalb
automatisch Pass, Wohnsitz und Sozialleistungen (Auffanglager Giessen).

Der Handel mit DDR ist zollfrei; die
DDR kann ihre Agrar-Produkte in die
BRD exportieren und unterliegt nicht
den rigorosen EG-Bestimmungen.

Wenn ein ausländischer Aussenminister eine Bemerkung macht, man
müsse davon ausgehen, dass es zwei
Deutschlands gebe, wird sein Botschafter sofort ins Kanzleramt zitiert.
Das Ausland hat eben wenig Interesse
an Wiedervereinigung: De Gaulle:
„Zwei Deutschlands sind nicht genug; wir haben stets eine grössere
Zahl unabhängiger Deutschlands vorgezogen.“

Die BRD hat lange Zeit die DDR nicht
DDR genannt, sondern besondere und
phantasievolle Bezeichnungen dafür
erfunden: Drüben, Mitteldeutschland,
der andere Teil Deutschlands, sogenannte DDR, Gänsefüsschen-DDR.

Sogar wenn die beiden Staaten einen
Vertrag schliessen (der sog. Grundlagenvertrag von 1972), liegt nicht einfach eine faktische Anerkennung vor,
sondern - so das Verfassungsgericht in
Karlsruhe - „eine faktische Anerkennung besonderer Art“. Der Grundlagenvertrag ist vom Land Bayern erfolglos vor dem Verfassungsgericht
angefochten worden.
Der Glaube an die Wiedervereinigung wird
allerdings künstlich am Leben erhalten,
und das erst recht nach dem quasi offiziellen Besuch von Erich Honecker in Bonn im
Jahr 1987. Peter Schneider formuliert wie
folgt: „Die deutsche Frage hat also in dreissig Jahren Speck angesetzt, und man kann
nicht behaupten, dass sich die Deutschen
westlich der Elbe sonderlich damit quälen. Es gibt Beauftragte, die sich mit dieser
Frage beschäftigen; sie haben immer mehr
Mühe, ihr Publikum wach zu halten. Zwar
hat die Verfassung eine Lösung der deutschen Frage in Auftrag gegeben, aber die
Erregung in Parlamentsdebatten, das Ringen um Begriffe wie Wiedervereinigung und
Nation wirken künstlich. Man hat den Ein-
druck, der 1011. Aufführung eines Repertoire-Theaters beizuwohnen, bei der sich
Schauspieler wie Zuschauer heimlich das
Gähnen verkneifen. Dass das Stück über die
Leiden des geteilten Deutschland trotzdem
in Bonn immer wieder nachgespielt wird,
scheint sich weniger einem lebendigen Interesse zu verdanken als einer stillen Übereinkunft zwischen Ensemble und Parkett:
man spielt das Stück eigentlich gar nicht für
sich, sondern für andere, die leider nicht anwesend sein können. Und ausserdem: was
sollte man sonst spielen.“58
Sang- und klanglos ist denn die Diktatur
der DDR unter ihrer überalterten und reformunfähigen Führung 1989/90 zusammengebrochen.
Abb. 26: Die DDR-Führung im Jahr 1989
53
Bruno Apitz, Nackt unter Wölfen
Die DDR hat die Schriftsteller von Anfang
an eingebunden, schon unter der sowjetischen Militäradministration. Nur wer später Mitglied des Schriftstellerverbandes ist,
hat Chancen zu publizieren. Die Statuten
(Fassung 1973) formulieren klar, was man
vom Schriftsteller erwartet: „Die Mitglieder
des Schriftstellerverbandes der DDR anerkennen die führende Rolle der Arbeiterklasse und ihrer Partei in der Kulturpolitik.
Sie bekennen sich zur Schaffensmethode
des sozialistischen Realismus.“59 Die Publikationsbedingungen in der DDR sind nicht
schlecht, bringen doch an die 180 Verlage
pro Jahr 6000 Titel heraus, so dass, was die
Pro-Kopf-Produktion von Büchern angeht,
die DDR neben der Sowjetunion und Japan
an der Spitze steht. Gleichzeitig behindert
aber die DDR das Entstehen von Literatur
durch Druckverbote, Aufführungsverbote,
Ausschluss aus Partei und Schriftstellerverband, strafrechtliche Sanktionen und direkt oder indirekt erzwungene Ausbürgerungen. Moderne Klassiker wie Kafka oder
Beckett sind in der DDR verpönt, so dass
die DDR-Literatur von Anfang an von weltliterarischen Entwicklungen abgeschnitten
ist und eine bestimmte Form des Erzählens, die Form mit einem allwissenden und
kommentierenden Erzähler, kanonisiert. Die
DDR-Literatur erweckt, wie schon die aus
den Statuten zitierten Sätze andeuten, den
Eindruck, als ob sich Literatur ausschliesslich optimistisch-bejahend zur Wirklichkeit
verhalte.60
54
Neben dem allgemeinen Zweck verlangt
die SED von ihren Schriftstellern aber auch
ganz konkrete Unterstützung. Bereits 1948
hält Alexander Abusch, später für kurze Zeit
Kulturminister der DDR, in einer Rede Folgendes fest: „Kulturarbeit im Dienste des
Zweijahresplans leisten, das bedeutet in
erster Linie die Entfaltung des Arbeitsenthusiasmus aller ... Schichten des Volkes.“61
Die Tendenz ist deutlich: Die Literatur soll
ganz konkret die Bereitschaft zu materieller Arbeit stimulieren und so dem Sozialismus gegenüber dem Kapitalismus zum
Sieg verhelfen. Die DDR lobt die Schriftsteller, die sich an ihre Vorgaben halten; das
tönt dann so: „Fred Reichwald arbeitet bereits an einem Schauspiel, das die Produktionssteigerung in Zusammenhang mit der
Demokratisierung des Dorfes behandelt.
Heinz Kahlau hat bei seiner vertraglichen
Kulturarbeit im Betrieb den einen Karrieristen kennen gelernt, beobachtet und studiert, der im Betrieb den Fortschrittlichen
mimt, seine Kinder aber reaktionär erzieht.
Wie sich diese Kinder durch ihre Erlebnisse
im Ferienlager und durch die Hilfe der Jungen Pioniere von den Einflüssen ihres doppelgesichtigen Vaters befreien, soll den Inhalt seines Romanes ausmachen.“62 Was
nicht in dieses Schema passt, das dann im
Bitterfelder Weg von 1959 noch eine Verschärfung erfährt (Schriftsteller sollen in
die Betriebe gehen, Arbeiter sollen zur Feder greifen), wird getadelt; so muss 1952
eine Barlach-Ausstellung vorzeitig schlies-
sen, weil die Partei den Werken Barlachs
vorwirft, sie hätten einen düsteren, bedrückenden, pessimistischen Charakter.
Natürlich haben auch die DDR-Schriftsteller
die Problematik von Literatur nach Reglement erkannt. Eduard Claudius meint: „Einige glaubten, der Schriftsteller sei einem
Computer ähnlich, in den man die Programmierungskarte hineinstecken könne,
und blitzschnell, ehe man sich’s versehe,
komme der fertige, nach Wunsch geschneiderte Roman heraus: ein Teil positiver Held
in strahlend heller Sonne, zur notwendigen
Kontrastierung ein wenig gewölkt, ein Teilchen wohldosierter Liebe, wie sie halt üblich ist, natürlich ein Gegenspieler, dieser
aber schwach, schlecht und zuletzt unterliegend.“63
Zu welchen Fragwürdigkeiten sich die Literatur der DDR erniedrigen kann, zeigen
zwei Gedichte von Johannes R. Becher, das
erste von 1939 anlässlich des Hitler-StalinPaktes:
An Stalin
Du schützt mit deiner starken Hand
den Garten der Sowjetunion.
Und jedes Unkraut reisst du aus.
Du, Mutter Russlands grösster Sohn,
nimm diesen Strauss.
Nimm diesen Strauss mit Akelei
zum Zeichen für das Friedensband,
das fest sich spannt zur Reichskanzlei.
Das zweite stammt von 1953:
Es wird ganz Deutschland einstmals Stalin danken;
in jeder Stadt steht Stalins Monument.
Dort wirst du, Stalin, steh‘n, in voller Blüte
der Apfelbäume an dem Bodensee,
und durch den Schwarzwald wandert seine
Güte
und winkt zu sich heran ein scheues Reh.
Und auch Bertolt Brecht – „leider sehr begabt, das Scheusal“, wie Thomas Mann gesagt hat - lobhudelt auf die DDR:
Am ersten Mai
Gehen Vater und Mutter in einer Reih
Kämpfen für bessres Leben.
Fron und Arbeit darf’s nicht geben:
Da sind wir auch dabei.
Grün sind die Zweige
Die Fahne ist rot
Nur der Feige
Duldet Not.
Eigentlich hat es die DDR-Literatur wegen
diesen Bedingungen bedeutend einfacher,
den Nationalsozialismus zu bewältigen,
als die Literatur in der BRD. Bruno Apitz
(1900-1979) war Mitglied der KPD und verbrachte acht Jahre als politischer Häftling
im KZ Buchenwald. 1955 beginnt er den
Roman „Nackt unter Wölfen“, der 1959 erscheint und in dreissig Sprachen übersetzt
Abb. 27: Ausschnitt aus Apitz, Nackt unter Wölfen
55
Bruno Apitz, Nackt unter Wölfen
wird. Der Roman spielt im KZ Buchenwald
im letzten Kriegsjahr: Erzählt wird die Geschichte eines dreijährigen jüdischen Kindes, das von einem polnischen Häftling ins
KZ eingeschmuggelt wird. Ein paar Häftlinge nehmen sich des Kindes an. Sie verstecken es in der Effektenkammer, im Abfalleimer der Krankenbaracke, im Schweinestall.
Die SS terrorisiert und foltert sie dafür, aber
keiner verrät den Aufenthaltsort des Kindes.
Daneben enthält der Roman eine zweite
Handlung: Im Lager hat eine Gruppe von
politischen Häftlingen heimlich Waffen besorgt. Sie hat eine illegale Lagerleitung aufgebaut und arbeitet auf einen bewaffneten
Aufstand und auf Befreiung der Insassen
hin. Ihr Plan wird nun dadurch gefährdet,
dass einige der führenden Genossen in die
Rettungsaktion für das Kind verstrickt sind.
Im Dilemma zwischen Kalkül und Gefühl,
Vernunft und Zuneigung für den kleinen
Jungen nehmen sie alle Gefahren auf sich;
die SS plant sogar, das ganze Lager zu vernichten. Beim Anrücken der Alliierten aber
erheben sich die Häftlinge und retten so
auch das kleine Judenkind.
Es handelt sich bei „Nackt unter Wölfen“
um einen eindrücklichen und authentischen
Roman – wer, der nicht im KZ gewesen ist,
dürfte Autoren wie Wiechert, Kogon oder
Apitz Echtheit absprechen? -, der allerdings sehr konventionell erzählt ist. Ein allwissender Erzähler gibt, vom auktorialen
Standort aus, Einblick in die Gefühle und
56
Motive aller Figuren und weiss um deren
Schicksal und Zukunft. Nur ein Beispiel:
Der SS-Hauptsturmführer Kluttig hat Interesse an Hortense, der Frau seines Untergebenen Zweiling; Hortense setzt sich in der
untenstehenden Szene für ihren gefährdeten Mann ein.
Jetzt betrachtete er Hortense unversteckt.
„So eine Frau“, sagte er plötzlich erregt,
„so eine Frau...“ Doch Hortense hatte dafür
kein Ohr mehr. In ihr zitterte alles. „Machen
Sie ihn tot?“ Kluttig liess Hortense los und
lächelte schief. Die Angst der Frau bereitete ihm Genuss. Er antwortete nicht. Reineboths Worte über Zweiling: „Der lahmarschige Heini wird noch froh sein, uns beim
Aufspulen zu helfen...“, gaben ihm einen
Gedanken ein, der sich in der Spur von
Reineboths kühnen Kombinationen fortbewegte. „Totmachen“, sagte er schliesslich
nach einer Weile, „das wäre billig für ihn.
Gutmachen soll er seine Schweinerei!“
Hortenses Angst wechselte in Hoffnung
über.64
Diese Erzählstruktur erlaubt es Apitz, gleich
zu Beginn diskret die Wegmarken zu setzen, welche die Richtung und Intention
seiner Schilderung bestimmen: „Auch unter den politischen Häftlingen gab es in allen Blocks und bei allen im Lager befindlichen Nationalitäten unsichere Elemente,
denen die Sorge um das eigene Leben höher stand als das Wohl und die Sicherheit
der Gemeinschaft.“65 Wohl und Sicherheit
der Gemeinschaft, kurz Solidarität, das ist
die Haltung, welche die politischen Gefangenen des KZ Buchenwald zeigen. Diese Gefangenen sind aufgrund ihrer Mitgliedschaft bei der kommunistischen Partei
inhaftiert worden; sie reden und handeln
ganz im Sinn der kommunistischen Partei.
Der Kommunismus ist die Weltanschauung,
die dem Nationalsozialismus nicht erliegt,
die ihn als einzige bekämpfen kann und die
schliesslich über ihn siegen wird. „Ich kann
nicht grosse Worte machen“, sagt einer der
Anführer der Verschwörung, „aber heute
möchte ich es einmal sagen: Was an Menschen den Stacheldraht der Konzentrationslager lebend hinter sich lässt, das wird der
Vortrupp einer gerechtern Welt sein! ... Wir
sind kein Dünger, wir sind keine Märtyrer,
wir sind keine Opfer. Wir sind die Träger der
höchsten Pflicht!“66 Als das Judenkind nicht
den Schergen übergeben, sondern gerettet wird, kritisiert Krämer, der erste Lagerälteste, diese Handlung: „Das ist Disziplinbruch!“ Aber der Gescholtene rechtfertigt
sich: „Wenn wir lebend herauskommen,
dann werde ich es vor der Partei verantworten, verlass dich drauf.“ Krämer sieht
ihm in die Augen: „Die Partei ist hier!“ Damit sind die Leitplanken gesetzt: Die kommunistische Partei, und nur sie, ist in der
Lage, den nationalsozialistischen Terror effizient zu bekämpfen. Bruno Apitz allerdings
relativiert, indem er den Figuren Gewissensbisse zubilligt: „Schuldig fühlte er sich am
Kind und schuldig an der Partei.“67
Damit verfügt die Literatur der DDR von
Anfang an über das, mit dessen Erarbeitung sich die Literatur der BRD so schwer
tut: um einen Bewertungsraster der nationalsozialistischen Vergangenheit und um
positive Gegenkräfte und Helden, die nicht
so zwiespältig wie der Fliegeroffizier Harras bei Zuckmayer sind. Die Ankunft des Judenkindes wirkt in Apitz’ Roman wie ein
Katalysator, der die menschlichen Züge
der kommunistischen Widerstandskämpfer erscheinen lässt und so Helden porträtiert, die frei von jedem Dogmatismus
sind (bezeichnend, dass Apitz’ Roman erst
nach Stalins Tod erschienen ist). Der Kommunismus als Gegenkraft ist dabei – und
das ist geschickt gemacht und glücklich gelungen – eher unterschwellig und niemals
plakativ eingebaut, genau wie das Judenkind, das ja meist so gut versteckt ist, dass
nicht einmal die Aufständischen seinen Aufenthaltsort kennen, nur auf wenigen Seiten erwähnt wird, aber dauernd in den Gedanken der Leser präsent ist. „Nackt unter
Wölfen“ wird denn auch in der DDR als
Inbegriff des sozialistischen Realismus und
Humanismus rezipiert, während die zeitgenössische Kritik in der BRD aggressiv antikommunistisch reagiert. Ein renommierter
Kritiker qualifiziert den Roman (mit seiner
übrigens authentischen Fabel!) als „rührselige Geschichte mit Lesebuch-Didaktik“
ab, dessen „Motiv von offensichtlicher
Sentimentalität“ strotze und dessen Kon-
flikt „so lebensfremd wie unaufrichtig“ sei.
Und eine Frankfurter Zeitung empört sich
über den Rowohlt-Verlag, der 1961 eine
bundesdeutsche Taschenbuchausgabe herausbringt.68 Die spannende Verfilmung aus
dem Jahr 1963 kann in der BRD bis 1968
nur in geschlossenen Vorstellungen gezeigt
werden – so eiskalt ist der Kalte Krieg zwischen den Supermächten in den sechziger
Jahren!
57
Verzeichnisse und Anhang
58
Literaturverzeichnis
Bohn, Volker, Deutsche Literatur seit
1945: Texte und Bilder, Frankfurt a.M.:
Suhrkamp 1993
Die Kultur der 50er Jahre, hrsg. von
Werner Faulstich, München: Fink 2002
Die Literatur der Bundesrepublik
Deutschland, hrsg. von Dieter Lattmann
(= Kindlers Literaturgeschichte der Gegenwart), Zürich und München: Kindler
1973
Smith, Bradley F., Der Jahrhundertprozess: Die Richter von Nürnberg – Anatomie einer Urteilsfindung, Frankfurt a.M.:
Fischer 1977
Steininger, Rolf, Deutsche Geschichte
von 1945 bis zur Gegenwart, vier Bände,
Frankfurt a.M. 2002
Stöver, Bernd, Der Kalte Krieg: Geschichte eines radikalen Zeitalters, München: Beck 2007
Emmerich, Wolfgang, Kleine Literaturgeschichte der DDR, Darmstadt: Luchterhand 1981
Weber, Hermann, Kleine Geschichte der
DDR, Edition Deutschland Archiv, Köln
1980
Harbecke, Ulrich, Abenteuer Bundesrepublik: Die Geschichte unseres Staates,
Bergisch Gladbach: Lübbe 1983
Weinke, Annette, Die Nürnberger Prozesse, München: Beck 2006
Knabe, Hubertus, Die Täter sind unter
uns: Über das Schönreden der SED-Diktatur, Berlin: Propyläen 2007
Zaunschirm, Thomas, Die fünfziger Jahre
(= Heyne Stilkunde Band 21), München:
Heyne 1980
Schröder, Hans Jürgen (Hrsg.), Marshallplan und westdeutscher Wiederaufstieg,
Stuttgart 1990
Schwarz, Hans-Peter, Die Ära Adenauer:
Gründerjahre der Republik 1949-1957 (=
Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Band 2), Stuttgart: DVA und Wiesbaden: Brockhaus, 1981
59
Anmerkungen
Zitiert nach Manfred Görtemaker, Kleine
Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, München: Beck 2002, S. 9
1
Hans Wagener, Carl Zuckmayer, München:
Beck 1983, Seite 103
10
11
Peter Wapnewski, Mit dem anderen Auge:
Erinnerungen, Band 1, Berlin:Berlin-Verlag
2005, Seite 141
Zitiert ebd. Seite 99
2
James Bacque, Verschwiegene Schuld: die
alliierte Besetzungspolitik in Deutschland
nach 1945, Berlin, Frankfurt a.M.: Ullstein
1995
3
Zitiert nach Dieter Lattmann, Die Literatur der Bundesrepublik Deutschland, Seite
220
21
Heinrich Vormweg in Dieter Lattmann in:
Die Literatur der Bundesrepublik Deutschland Seite 175
22
Hellmuth Karasek, Dramatik in der Bundesrepublik seit 1945, in: Die Literatur der
Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Dieter Lattmann, Zürich und München: Kindler
1973, Seite 550
12
13
Zitiert nach Volker Bohn, Deutsche Literatur seit 1945, Frankfurt a.M.: Suhrkamp
1993, Seite 28
23
Zitiert ebd. Seite 549
Dieter Lattmann in: Deutsche Literatur der
Bundesrepublik Deutschland, Seite 11
24
4
Zitiert nach Görtemaker Seite 14
Hildegard Knef, Der geschenkte Gaul: Bericht aus einem Leben, Ullstein 2005, Seiten 125ff (Erstausgabe 1970)
5
Bormanns Spur galt lange als verschollen.
Zu Beginn der siebziger Jahre wurde sein
Tod aufgrund einiger Knochenreste, die sich
in der Nähe des Lehrter Bahnhofs gefunden haben, festgestellt. 1999 wurden die
inzwischen eingeäscherten Rückstände in
die Ostsee verstreut (Joachim C. Fest, Bürgerlichkeit als Lebensform, Reinbek: Rowohlt 2007, Seite 71).
6
Georg Bönisch im „Spiegel“ 2/2006, Seite
49
7
Heinrich Jaenecke, zitiert in Ulrich Harbecke, Abenteuer Bundesrepublik, Bergisch
Gladbach: Lübbe 1983, S. 28
Walter Uka in Die Kultur der 50er Jahre,
hrsg. von Werner Faulstich, München: Fink
2002, Seite 84
14
Zitiert nach Dieter Lattmann in: Die Literatur der Bundesrepublik Deutschland,
Seite 165
15
Peter Bamm, Die unsichtbare Flagge,
München: Kösel, zehnte Auflage 1963
(Erstausgabe 1952)
Zitiert nach Volker Bohn, Deutsche Literatur seit 1945, Frankfurt a.M.: Suhrkamp
1993, Seite 20
25
Zitiert nach Dieter Bohn, Deutsche Literatur seit 1945, Seite 65
26
16
Günter Blöker in Dieter Lattmann: Die Literatur der Bundesrepublik Deutschland,
Seite 226
17
Golo Mann zitiert nach Edgar Wolfrum,
Die Bundesrepublik Deutschland 1949 bis
1990, Seite 78
Hans Dieter Schäfer, Das gespaltene Bewusstsein: Deutsche Kultur und Lebenswirklichkeit 1933-1945, München: Hanser
1981, Seite 56
27
Dieter Lattmann in: Die Literatur der Bundesrepublik Deutschland, Seite 25
28
18
8
29
Zitiert nach Dieter Lattmann, Die Literatur
der Bundesrepublik Deutschland, Seite 41
30
Zitiert nach Ulrich Harbecke, Abenteuer
Bundesrepublik, Seite 46
19
Dieter Lattmann in: Die Literatur der Bundesrepublik Deutschland, Seite 25
31
Georg Hensel, Spielplan: Schauspielführer
von der Antike bis zur Gegenwart, Deutsche
Buchgemeinschaft 1975, Seite 1404
9
60
Ebd. Seiten 14 und 18
Zitiert nach Volker Bohn, Deutsche Literatur seit 1945, Frankfurt a.M.: Suhrkamp
1993, Seite 74
20
Zitiert nach Ulrich Harbecke, Abenteuer
Bundesrepublik, Seite 37
32
33
Zitiert nach Görtemaker Seite 39
Zitiert nach Ulrich Harbecke, Abenteuer
Bundesrepublik, Seite 47
34
45
Dieter Lattmann in: Die Literatur der Bundesrepublik Deutschland, Seite 10
57
Hellmuth Karasek, Go West! Eine Biographie der 50er Jahre, Hamburg: Hoffmann
und Campe 1996, Seite 29
58
46
47
35
Ebd. Seite 278
Wolfgang Koeppen, Das Treibhaus, München: Süddeutsche Zeitung 2004, Seite 38
und 116
Peter Schneider, Der Mauerspringer, Reinbeck: Rowohlt 2000, Seite 76 (Erstausgabe
1982)
Ebd. Seite 148
Görtemaker Seite 56
Zitiert nach Emmerich, Kleine Literaturgeschichte der DDR, Seite 27
59
Nach Hans Magnus Enzensberger, Die
falschen Fünfziger, in: NZZ vom 16./17.
Juni 2007
48
36
Zitiert nach Hans-Peter Schwarz, Die Ära
Adenauer, Seite 72
60
Ebd. Seite 48
Zitiert nach Sonja Günther, Die fünfziger
Jahre: Innenarchitektur und Wohndesign,
Stuttgart: DVA 1994, Seite 12
61
Ebd. Seite 76
62
Ebd. Seite 77
Thomas Zaunschirm, Die fünfziger Jahre,
Seite 27
63
Ebd. Seite 97
37
Wolfgang Koeppen, Das Treibhaus, München: Süddeutsche Zeitung 2004, Seite 94
49
38
Ralf Schnell, Die Literatur der Bundesrepublik: Autoren, Geschichte, Literaturbetrieb, Stuttgart: Klett 1986, Seite 145
50
39
Zitiert nach Stefan Eggert, Wolfgang Koeppen, Berlin: Edition Colloquium 1998,
Seite 5
Bruno Apitz, Nackt unter Wölfen, Berlin:
Aufbau 1996, Seite 192
64
Zu deutsch: „Süss und ehrenvoll ist es,
fürs Vaterland zu sterben“ resp. „Die Toten
verpflichten/binden die Lebenden“.
51
65
Ebd. Seite 26
66
Ebd. Seite 252
67
Ebd. Seite 96
40
52
Görtemaker Seite 432f.
Zitiert nach Marcel Reich-Ranicki, Deutsche Literatur in West und Ost, München:
DTV 1985, Seite 143
53
41
Ebd. Seite 55
Marcel Reich-Ranicki, Deutsche Literatur in West und Ost, München: DTV 1983,
Seite 45
54
Günter und Hiltrud Hänztschel, Wolfgang
Koeppen, Frankfurt: Suhrkamp 2006, Seiten 94ff
55
42
Wolfgang Emmerich, Kleine Literaturgeschichte der DDR, Seite 93
68
Heinrich Vormweg in: Dieter Lattmann in:
Die Literatur der Bundesrepublik Deutschland, Seiten 217ff
43
Wolfgang Koeppen, Das Treibhaus, Seiten 62ff und 78f
44
Marcel Reich-Ranicki, Deutsche Literatur
in West und Ost, Seite 139
Mario Frank, Walter Ulbricht, München:
Siedler 2001
56
61
Lösungen zu den DDR-Flüsterwitzen
Plakat: Monat der deutsch-sowjetischen
Freundschaft. Kommentar: Okay, aber keine
Minute länger.
Ein Kunde fragt im Fleischerladen zuerst
nach Rouladen, dann nach Schweinelende, dann nach Kalbsschnitzel. Immer
ist die Antwort: Haben wir nicht. Wie der
Kunde den Laden verlässt, da meint der Verkäufer: „Der Mann hat aber ein tolles Gedächtnis“
Zum Jahr des Elefanten beschliesst jedes
Land, ein Buch zu publizieren. England veröffentlicht „Der Elefant und das Empire“, in
Frankreich erscheint „Das Liebesleben der
Elefanten“, die Sowjetunion bringt eine
zwölfbändige Enzyklopädie heraus: „Die
Rolle des Elefanten in den grossen proletarischen Revolutionen“. In der DDR erscheint eine schmale Broschüre: „Was wir
von der Sowjetunion über den Elefanten
lernen können“.
Gleich nach dem 40. Jahrestag der DDR
fährt Honecker mit einem Traktor kreuz und
quer durch die DDR. Er sucht Anhänger.
Margot Honecker trifft eine alte Freundin.
„Ich bin ganz glücklich“, sagt sie mit roten
Wangen, „ich habe eine Erstausgabe des
„Kapitals“ für meinen Erich bekommen.“
- „Oh“, sagt die Freundin, „das ist aber
ein guter Tausch“
Gipfeltreffen der Parteichefs. „Wie viele politische Gegner habt ihr bei euch in China?“
fragt Honecker. „Ich schätze so um die siebzehn Millionen“, antwortet Deng, „und bei
62
euch in der DDR?“ „Mehr werden es auch
nicht sein“, meint Honecker.
Russisches Roulette: Ein Revolver, den man
sich an die Schläfe setzt und abdrückt, eine
der sechs Kammern ist geladen.
Französisches Roulette: Sechs Antibabypillen, eine ist ein Smarty.
DDR-Roulette: Sechs erzählen einen politischen Witz, und keiner weiss, wer der
Stasi-Spitzel ist.
Auf einem internationalen Medizinerkongress werden Mandeloperationen durchgeführt. Die der Amerikaner dauert 20 Minuten, die der Franzosen 30 Minuten, die der
DDR-Ärzte acht Stunden. „Sie müssen das
verstehen“, räumen die Ärzte beschämt ein,
„wir müssen rektal ran. Bei uns macht doch
keiner den Mund auf“.
Ein Flugzeug mit Gorbatschow, Jaruselski,
Husak und Kadar stürzt ab. Keiner überlebt.
Wer trauert am meisten? Die DDR-Bevölkerung, weil Honecker nicht dabei war.
Ein DDR-Bürger will seinen Namen ändern
lassen. „Wie heissen Sie?“ fragt der Beamte. „Erich Dummkopf.“ - „Da kann ich
Sie verstehen. Wer möchte schon Erich heissen.“
Honecker verspricht der bekannten DDREiskunstläuferin Gabriele Seyfert einen
Wunsch zu erfüllen. „Öffnen Sie für einen
einzigen Tag die Berliner Mauer“, bittet sie.
Darauf Honecker: „Du möchtest wohl mit
mir allein sein“.
Thatcher, Kohl, Honecker und Breschnew an
einem Gipfeltreffen. Spät abends in der Bar
reisst sich Breschnew das Hemd auf, zeigt
seine behaarte Brust und meint stolz: „Das
ist russische Taiga.“ Frau Thatcher möchte
nicht zurückstehen, tut das Gleiche und
sagt: „Und hier sehen Sie zwei gute englische Pfund.“ Kohl zieht die Hose runter,
zeigt sein Hinterteil und meint: „Hier sehen
Sie das geteilte Deutschland.“ Die andern
staunen, denn niemand hat bisher gewusst,
dass Deutschland so gross ist. Jetzt fühlt
sich Honecker im Zugzwang, knöpft seine
Hose auf und meint: „Und das hier ist der
Schlagbaum, und der wird nie wieder hochgehen“
Gorbatschow will sich mit der VR China aussöhnen und bietet Deng die Erfüllung dreier
Wünsche an. Deng wünscht sich 10‘000
Fahrräder, was Gorbatschow bewilligt. Auch
Dengs Wunsch nach 10‘000 Radios wird erfüllt. Als drittes wünscht sich Deng 10‘000
Tonnen Reis. Gorbatschow schüttelt den
Kopf: „Unmöglich, Genosse, Reis wächst
nicht in der DDR“
Mitten in der Nacht klopft es an der Tür
eines alten Mütterchens. „Wer ist da?“
fragt die Alter. „Der Tod“, tönt es dumpf.“
Gott sei Dank“, seufzt das Mütterchen, „ich
dachte schon, es sei die Stasi“
Tagesordnung des Parteitages
1. Hereintragen der Politbüro-Mitglieder.
2. Synchronisation der Herzschrittmacher
3. Gemeinsames Lied: Wir sind die junge
Garde.
Impressum
Herrausgeberin
FHS St.Gallen
Hochschule für Angewandte Wissenschaften
Fachbereich Wirtschaft
Kreuzbleicheweg 4
Postfach 70
CH-9013 St.Gallen
Verfasser
Prof. Dr. Peter Faesi
Studiengangsleitung
Prof. Thomas Metzger
Gestaltung
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Druck
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Hauptstrasse 22-22a
CH-9403 Goldach
63
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