Antwort auf die Fragen von Ortwin Runde, MdB, an die
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Antwort auf die Fragen von Ortwin Runde, MdB, an die
Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung Kommissionsdrucksache 0073-d Professor Dr. Dr. h.c. Rüdiger Pohl Antwort auf die Fragen von Ortwin Runde, MdB, an die Sachverständigen der Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung zum Themenkomplex "Mischfinanzierungen" Professor Dr. Dr. h.c. Rüdiger Pohl Halle (Saale), den 16.9.2004 Antwort auf Fragen von O. Runde, MdB, vom 2.9.2004 (Kommissionsdrucksache 0073) Ich nehme Stellung zur zweiten Frage von Ortwin Runde zum Themenkomplex Mischfinanzierung und Finanzverfassung: Mit Blick auf die gesamtwirtschaftlichen Wirkungen finanzpolitischer Maßnahmen (Staatsausgaben, Staatseinnahmen, Kreditaufnahme) ist es unerheblich, ob diese Maßnahmen vom Bund oder den Ländern getätigt werden. Es kommt auf die Gesamthöhe der Staatsausgaben, Staatseinnahmen und Kreditaufnahme an. Daher ist es sachgerecht, dass Bund und Länder gleichermaßen bei ihrer Haushaltswirtschaft (Art. 109 Abs. 2 GG) bzw. bei ihren wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen (§ 1 Stabilitäts- und Wachstumsgesetz) den Erfordernissen „des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ Rechnung zu tragen haben (Art. 109 Abs. 2 GG, § 1 Stabilitäts- und Wachstumsgesetz). „Gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht“ wird im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz als ein Zustand mit den folgenden Merkmalen verstanden: Stabilität des Preisniveaus, hoher Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht, stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum. Besondere Vorschriften bestehen für die öffentliche Kreditaufnahme. Zur „Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ können Vorschriften über die Aufnahme von Krediten (oder die Bildung von Konjunkturausgleichsrücklagen) nach Art. 109 Abs. 4 GG erlassen werden, und es können Ausnahmen von dem Gebot, dass die Kreditaufnahme die Investitionen nicht übersteigen darf, zugelassen werden (Art. 115 GG). Würde man die Haushaltswirtschaft des Bundes und der einzelnen Länder vollständig voneinander trennen, sodass jede Gebietskörperschaft ihren Haushalt ohne Berücksichtigung der anderen Gebietskörperschaften festlegen könnte, wäre es nicht mehr gewährleistet, dass in der Summe eine dem „gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht“ angemessene Haushaltspolitik resultiert. Um dem Erfordernis des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts gerecht zu werden, müssen sich daher Bund und die einzelnen Länder in ihrer Haushaltspolitik abstimmen. Die Autonomie der einzelnen Gebietskörperschaft muss insoweit beschränkt bleiben. Der Abstimmungsbedarf besteht nicht nur für die Kreditaufnahme (die insgesamt nicht „zu hoch“ sein darf), sondern beispielsweise auch für die Staatsausgaben. Die im Rahmen der wirtschaftlichen Erneuerung Deutschlands gebotene Absenkung der Staatsquote (Relation der Staatsausgaben zum Bruttoinlandsprodukt) lässt sich nicht von einer Gebietskörperschaft allein realisieren, sondern nur von allen gemeinsam. Allerdings verpflichtet die deutsche Finanzverfassung Bund und Länder hier bisher zu keiner konkreten Abstimmung; vielmehr findet allenfalls eine informelle, letztlich unverbindliche Abstimmung (Finanzplanungsrat) statt. Aber zu jeder Koordination oder Kooperation bedarf es vieler vergleichbarer Begriffe und Abgrenzungen. Diese wurden durch das für den Bund und alle Länder geltende Haushaltsgrundsätzegesetz erst geschaffen; und zwar auf der Grundlage des Art. 109 Abs. 3 GG. Man kann diese getrennte und nur der lockeren Koordination unterworfene föderative Haushaltspolitik von 17 Gebietskörperschaften mit Blick auf die gesamtwirtschaftlichen Erfordernisse als einen Mangel ansehen, zumal der Begriff des 2 „gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ einen weiten Beurteilungsspielraum zulässt, dass es schwer fällt, darüber ein gleichgerichtetes Verhalten von Bund und Ländern zu normieren. Jede Stärkung der Autonomie der einzelnen Gebietskörperschaften muss aus gesamtwirtschaftlicher Sicht mit einer stärkeren Verpflichtung zu koordiniertem oder solidarischen Verhalten einhergehen. Doch wie soll Rücksichtnahme ohne Sanktionen erreicht werden? Es wäre keineswegs überraschend, wenn die Stärkung der finanzwirtschaftlicher Autonomie in einem föderativen Staatsgebilde gleichzeitig mit der Einführung rigider Grenzen und Einschränkungen der Haushaltsautonomie der Länder durch den Bundesgesetzgeber (beispielsweise Bezifferung von Verschuldungsgrenzen mit einer Zuteilung von Sanktionen) verbunden würde. In jedem, auch dem lockersten föderativen Gebilde muss es bei gesamtwirtschaftlichen Notwendigkeiten Koordinierung geben, die verzahntes Verhalten bewirkt. Zwar kommt es zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts auf der Ausgabenseite des Staatsbudgets zunächst auf die Gesamthöhe der Staatsausgaben an. Jedoch kommt einzelnen Ausgabenkategorien, insbesondere den Investitionen, eine besondere Bedeutung für die Stärkung des Wirtschaftswachstums zu. Der inzwischen dramatisch zu nennende Rückgang der öffentlichen Investitionen (verdrängt durch steigende Sozialleistungen und Zinsausgaben) ist einer der Gründe für die wirtschaftliche Misere, in der sich Deutschland seit vielen Jahren befindet. Eine nachhaltige Anhebung der öffentlichen Investitionen ist geboten. Nun könnten und sollten Bund und Länder ihre Investitionsquote zunächst unabhängig voneinander erhöhen. Doch sind in diesem Zusammenhang auch Mischfinanzierungen zu erwägen. Die finanzielle Beteiligung des Bundes an Maßnahmen der Länder ist wirtschaftlich gerechtfertigt, wenn • es sich um Maßnahmen handelt, die im gesamtdeutschen Interesse liegen (ein solcher Tatbestand liegt mit der Erhöhung der öffentlichen Investitionen vor) und wenn • einzelne Länder die finanzielle Last der Maßnahme nicht alleine tragen können. Die gemeinschaftlichen Finanzierung trägt dem durch eine Umverteilung Rechnung. Eine Unterbindung der Mischfinanzierung würde in einem solchen Fall bedeuten, dass eine gesamtwirtschaftlich erforderliche finanzpolitische Aktivität unterbleibt, zum Schaden des ganzen Landes. Die Alternative zur Mischfinanzierung – Umverteilung des Steueraufkommens zugunsten der Länder – ist nicht anzuraten. Sie würde zu Mehreinnahmen auch bei Ländern führen, die die gesamtwirtschaftlich gebotenen Aktivitäten ohne Hilfe vom Bund finanzieren können. Die Mischfinanzierung ist überlegen, weil sie die Mittel zu jenen Ländern lenkt, die ohne sie überfordert wären. Fazit: Insbesondere die Finanzhilfen des Bundes an die Länder nach Art. 104a IV GG (für Investitionen, Zielrichtung Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts) sind ein Instrument, mit dem die die Haushaltswirtschaft im Einklang mit den gesamtwirtschaftlichen Erfordernissen gebracht werden kann. Sie sollten daher erhalten bleiben. Ob aus gesamtwirtschaftlicher Sicht Mischfinanzierungen auch in anderen Bereichen (Kataloge aus Art. 91 a,b GG) sinnvoll sind, ist im Einzelfall zu prüfen. Sicherlich gilt dies nicht für die Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes (hier können möglicherweise andere Gründe als die gesamtwirtschaftlichen Wirkungen angeführt werden). Eher scheint es im Bereich der Bildung und Forschung angebracht. Jedenfalls zählen die Qualität des Humankapitals und die Innovationskraft der Wirtschaft international zu den wichtigsten ökono- 3 mischen Wachstumsfaktoren. Mischfinanzierungen sind dann verzichtbar, wenn die Länder auch ohne sie eine international wettbewerbsfähige Bildungs- und Forschungslandschaft sicherstellen können. Mischfinanzierungen sind aber zu erwägen, wenn einzelne (nicht: alle) Länder die finanzielle Last zu Bereitstellung eines international wettbewerbsfähigen Bildungs- und Forschungssystems nicht tragen können. Die Option für Mischfinanzierungen sollte daher auf jeden Fall erhalten bleiben. Ergänzende Anmerkung zur Aktualität des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes: Das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz von 1967 stellt eine Reaktion auf die erste Rezession der deutschen Wirtschaft in der Nachkriegszeit von 1966/67 dar. Es reflektiert die damals vorherrschende wirtschaftspolitische Auffassung, wonach der Staat aktive Konjunktursteuerung betreiben kann und soll. Mittlerweile hat sich die wirtschaftliche Problemlage verändert. Es geht heute nicht mehr in erster Linie um antizyklische Konjunktursteuerung, sondern um die Stärkung der strukturellen Wachstumskraft der Volkswirtschaft in einem immer intensiveren internationalen Wettbewerb der Produktionsstandorte. Das bedeutet jedoch nicht, dass das StWG bzw. das, was davon in das Grundgesetz übernommen wurde, obsolet geworden sei: • Im Grundgesetz ist aus dem StWG nur der Begriff des „gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ übernommen worden, jedoch nicht die Definition des Begriffs wie in § 1 StWG. Das geschah bewusst um zu vermeiden, zeitbedingte wirtschaftswissenschaftliche Lehrmeinungen dauerhaft im Grundgesetz zu verankern. Die Interpretation des „gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ im GG lässt also Interpretationen gemäß der gesamtwirtschaftlichen Lage zu und ist insbesondere nicht auf eine konjunkturorientierte Interpretation (wie sie dem StWG vorschwebt) beschränkt. Es ist daher aus ökonomischer Sicht möglich und sachgerecht, die Bestimmungen des GG für die Haushaltswirtschaft auch mit Blick auf die Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaft anzuwenden. • Die Notwendigkeit der Koordination der Haushaltspolitik zwischen Bund und Ländern besteht der Sache nach auf jeden Fall, also sowohl in konjunkturpolitischer Sicht (wie es das StWG hervorhebt) als auch mit Blick auf die strukturelle Wachstumsstärke des Landes. Beispiele: Eine Absenkung der Staatsausgaben muss koordiniert werden, gleichgültig ob die Absenkung aus konjunkturpolitischen Gründen geschieht oder zur Stärkung der Wachstumskraft via Absenkung der Staatsquote. Die Begrenzung staatlicher Kreditaufnahme hat keineswegs nur eine konjunkturpolitische Dimension, sondern ebenfalls eine wachstumspolitische Dimension. Fazit: Selbst wenn man das StWG wegen seiner konjunkturpolitischen Orientierung nicht heranziehen mag, wenn es um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft geht, bleiben die Bestimmungen des Grundgesetzes zur Haushaltspolitik in den Art. 109, 115 unverändert anwendbar.