Miroslav Klose
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Miroslav Klose
DAS FUSSBALLMAGAZIN #10 05 2006 Deutschland 2,80€ Schweiz 5,50sfr Österreich 3,20€ Luxemburg 3,20€ Spanien 3,80€ RUND WWW.RUND-MAGAZIN.DE RUND DAS FUSSBALLMAGAZIN #10 05 2006 RUND DAS FUSSBALLMAGAZIN Attentat auf WM Beckham erneut im Visier von Bin Laden? Die Nummer Eins Was Klinsmann von Lehmann erwartet Miroslav Klose Wo der Bremer Nationalstürmer zum Freak wird 1. FC Köln Overath kriegt das Chaos nicht in Griff rund_001_titel_Final.indd 1 10.04.2006 12:28:34 Uhr RUND Einlaufen LIEBE LESERINNEN, LIEBE LESER, ausgeschlafen wirkte Miroslav Klose nicht, als er an einem Montagvormittag zum Termin in einem Bremer Autohaus erschien, um uns in seine heimliche Leidenschaft, das Rallyefahren, einzuführen. Nein, der Stürmerstar von Werder Bremen und der deutschen Nationalmannschaft war in den Nachtstunden nicht auf der Piste gewesen, seine Zwillinge Luan und Noah hatten ihrem Papa weniger Schlaf gegönnt als erhofft. Hellwach war der an der Wand sitzende Klose aber, als unser Fotograf Dirk Messner ihm über seine Beine stieg. Messner musste noch einmal die Beine des Torjägers überqueren, weil das unter Fußballern sonst Unglück bringe. Und das kann das Nationalteam nun im Moment überhaupt nicht brauchen (ab Seite 60). Wer in den Zeiten des so genannten Kulturkampfs Farsi in eine Sprache des Westens übersetzen muss, ist nicht zu beneiden. Als der iranische Regisseur Jafar Panahi mit seinem Fußballfilm „Offside“ den Silbernen Bären gewann, wurde bei der Pressekonferenz scharf nachgefragt, ob der Dolmetscher bei politischen Fragen auch genau übersetze. Nach wochenlangen Anfragen war Fußballfan Panahi in Teheran zum RUND-Interview bereit, nur das Dolmetscherproblem blieb. Schließlich hatten wir Glück, ein perfekt Deutsch sprechender Iraner übersetzte: der Tontechniker von „Offside“. Panahi war einer der Gesprächspartner für unsere Titelgeschichte: Welche Rolle der Fußball im Kampf der Kulturen spielt und wie groß die Gefahr von Terroranschlägen bei der WM in Deutschland tatsächlich ist, lesen Sie ab Seite 20. Ende April, wenn das sehnsüchtig erwartete Panini-Sammelalbum zur Fußballweltmeisterschaft erscheint, wird auch die RUND-Redaktion ihre Arbeit einstellen und sich auf die wirklich wichtigen Dinge des Lebens konzentrieren. Unserem Autor Eberhard Schade und Fotograf Christian Jungeblodt gelang das, was vielen bislang verwehrt geblieben ist: Sie durften sich einen ganzen Tag im Panini-Werk in Modena umsehen, wo derzeit täglich bis zu 65 Millionen Fußballabziehbilder gefertigt werden. Massimo Felicani, für die Qualitätskontrolle verantwortlich, ließ keine Frage unbeantwortet und keine Tür verschlossen. Nur in einem Punkt blieb Felicani bis zum Schluss hartnäckig: Eine Sammeltüte wollte er nicht herausgeben. Die werden bis Monatsende unter Verschluss gehalten (ab Seite 88). Viel Spaß beim Lesen wünscht IHRE RUND-REDAKTION ILLUSTRATION ANNE-KATRIN ELLERKAMP RUND 3 rund_002_003_Einlaufen 3 03.04.2006 10:38:26 Uhr RUND Aufstellung 60 Inhalt 05 06 AM BALL 08 14 20 30 36 38 40 SCHNELLSCHUSS FELDSALAT DER HEILIGE KICK KÖLSCHER BOCK KOMMENTAR STARGAST LAGE DER LIGA Das große Michael-Ballack-Quiz. Rätseln Sie mit! Die elf kuriosesten Trainerentlassungen Fußball im Visier des Terrors – Attentate bei der WM? Der 1. FC Köln steht mal wieder vor dem Abgrund Gras zu fressen ist keine gute WM-Vorbereitung Zu Gast bei Nationalspieler Joe Cole vom FC Chelsea So läuft es bei Ihrem Lieblingsverein und den anderen GLEICHE HÖHE 46 52 56 59 60 64 68 46 DER PROFI SPRICHT TORWARTTAKTIK WM-TRAINER FUNDSTÜCK HEIMSPIEL MENSCHENHANDEL ERBSENZÄHLER Rafael van der Vaart will nicht Hamburger König sein Warum Jens Lehmann der Richtige für die WM ist Japans Nationalcoach Zico im exklusiven Interview Heiner Stuhlfauths Mütze und ein besonderes Finale Miroslav Klose gibt Vollgas als Rallyefahrer Boris Ngouo und sein Buch über Afrikas Beratermafia 10.000 Besucher in der Allianz Arena. Aber kein Spiel IM ABSEITS !!! ’s gibt Hier inne Ge w !! !!! 08 72 75 76 78 80 85 87 88 94 LÜGENDETEKTOR SPIEL MIT PUPPEN SAARLANDFERRARI WAS WÄRE WENN SEELSORGER RICARDOS WELT DER GROSSE WM-COUP AUSLANDSREPORTAGE WELTKLASSE Ist Thomas Brdaric die größte Nervensäge der Liga? Eine Schar Flitzer macht Ronaldinho total verrückt Mustafa Hadji erkundet seine Heimat: Saarbrücken Bayern München stellt den vierten Schiedsrichter Bruder Jauri ist Gottesmann für Bundesligaprofis Im trinkfreudigen England nüchtern bleiben? Nico Patschinski soll bei der WM für Polen stürmen Aus Modena kommen die berühmten Fußballbildchen Ein Engländer mit Arthritis will Nationaltrainer werden SPIELKULTUR 98 98 103 104 106 107 108 110 111 112 114 115 116 INTERVIEW AUSSTELLUNG ESSEN WIE DIE STARS TV-SERIE CD-TIPP KICK IM KINO FILM KURZFILM BUCH LESERBRIEFE/RUNDE PRESSE IMPRESSUM/VORSCHAU AUSLAUFEN MIT THADEUSZ Daniel Cohn-Bendit hat was gegen Franz Beckenbauer Fußball und Migration im Spiegel der Jahrzehnte Fabian Ernsts Mutter buk Puffer fürs ganze Team Stefan Feddersen-Claussen hat die Arschkarte: Torwart RUND und Bear Family präsentieren „Ein Tor im Ohr“ Schauspielerin Nora Tschirner küsste miserabel Im animierten Kurzfilm sind Lego-Figuren die Stars In Berlin werden die besten Werke prämiert Schmutziges Spiel, iPods und vieles andere mehr Das sagen Sie über die neunte runde Ausgabe Worauf dürfen Sie sich im Juni freuen? Jörg Thadeusz weiß, warum rote Trikots nichts helfen RUND 4 rund_004_005_Inhalt.indd 4 10.04.2006 12:31:16 Uhr RUND Aufstellung 20 30 KÖLSCHER BOCK: WENN LIEBE KRANK MACHT Der 1. FC Köln steht mal wieder kurz vor dem Sturz in die Zweite Liga. Für Misstöne sorgt nicht nur die sportliche Malaise, auch das Umfeld von Präsident Wolfgang Overath macht sich immer wieder angreifbar. Schade für die wohl leidenschaftlichsten Fans der Liga DER HEILIGE KICK: TRIBÜNE DES TERRORS Schon bei der Weltmeisterschaft 1998 wollte Osama Bin Laden einen Anschlag auf die englische Nationalmannschaft um David Beckham verüben lassen. Der 11. September und der Karikaturenstreit haben das Kräftemessen zwischen Islamismus und westlichen Werten nur verstärkt. Spielt auch der Fußball im so genannten Kampf der Kulturen eine Rolle? 56 AUSLANDSREPORTAGE: STARS AUS DER TÜTE Modena in Norditalien ist berühmt für Mortadella, BalsamicoEssig und als Erzeuger des Sammelfiebers. Im Panini-Werk werden täglich bis zu 65 Millionen Fußballabziehbilder hergestellt. Ende April kommen sie tütenweise auf den Markt. Endlich! WM-TRAINER: „PROBLEME IM DEUTSCHEN LAGER“ Als Spieler ist er eine Legende, als Trainer kommt Zico mit Japans Nationalelf zur WM nach Deutschland. Im Interview nennt er seine WM-Favoriten und verrät, was das Klinsmann-Team für Probleme und Chancen hat 88 RUND 5 rund_004_005_Inhalt.indd 5 10.04.2006 12:31:22 Uhr RUND Am Ball AM BALL Am Ball ist dort, wo etwas passiert. Und wo es wirklich wichtig ist. Hier wird getreten, gegrätscht und geschossen: „Die Mullahs können ein ganzes Land unter Druck setzen. Aber wenn 100.000 im Stadion zusammenkommen, dann haben die Mullahs Angst“ PARVIZ GHELICHKHANI 8 SCHNELLSCHUSS Alles Ballack …? – Testen Sie, wie viel Sie über den wichtigsten deutschen Spieler wissen 20 DER HEILIGE KRIEG Tribüne des Terrors – al-Qaida und die WM: Ein Report über Fußball und Fundamentalismus 30 KÖLSCHER BOCK Wenn Liebe krank macht – Köln steigt ab, wieder einmal. Ein Konzept ist nicht erkennbar 40 LAGE DER LIGA Spannung von München bis Hamburg – RUND testet 18 Bundesligisten auf Herz und Nieren RUND 7 rund_006_007_Vorschalt.indd 7 04.04.2006 15:38:41 Uhr AM BALL Schnellschuss ALLES BALLACK ...? Hier kö nnen gewinn Sie en !!! DIE ANTWORT, WER DER MOMENTAN WICHTIGSTE DEUTSCHE NATIONALSPIELER IST, FÄLLT AUCH FUSSBALLLAIEN NICHT SCHWER. DAS RIESIGE MICHAEL-BALLACK-QUIZ VON RUND IST DAGEGEN SO SCHWER, DASS ES AUCH HARDCOREFANS RÄTSELN LÄSST FOTOS MICHAEL DANNER, SEBASTIAN VOLLMERT, BENNE OCHS, DPA, STRENESSE, SAMPICS, AP, IMAGO, WAGNER, WITTERS RUND 8 rund_008_013_Schnellsch.indd 8 05.04.2006 17:22:56 Uhr AM BALL Schnellschuss Michaels Hebamme: Heidemarie Bukow FRAGE 1: Was soll Ballack in der Kabine gebrüllt haben, als er von Günter Netzers Kritik an ihm („Er ist charakterlich ungeeignet, ein Team zu großen Siegen zu führen, denn in der DDR zählte das Kollektiv“) im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gehört hatte? f „Scheiß ARD!“ FRAGE 2: Welcher Fußballstar ist einen Tag nach Ballack geboren? a „Scheiß Kapitalist!“ g u „Scheiß Besserwessi!“ Francesco Totti i Ruud van Nistelrooy s Andrij Schewtschenko FRAGE 4: FRAGE 3: Was sagte Ballack über seine Schulzeit, das auch Chelsea-Besitzer und Öl-Magnat Roman Abramowitsch interessieren könnte? Wofür hat Ballack, mittlerweile ein gefragter Werbepartner, noch nicht geworben? t h Pepsi-Cola e u L’Oréal b „Ich kann viel besser Russisch als Englisch.“ „Rechnen war nicht so mein Ding.“ a Müslibrot „Erneuerbare Energien haben mich immer interessiert.“ RUND 9 rund_008_013_Schnellsch.indd 9 05.04.2006 17:23:11 Uhr AM BALL Schnellschuss FRAGE 5: FRAGE 6: Wen foulte Ballack im WM-Halbfinale 2002 und sah dafür die gelbe Karte? Nach welchem Spiel sollen bei Ballack keine Tränen geflossen sein? n a Lee Woon-jae r nach dem WM-Halbfinale 2002 u Lee Chun-soo a Lee Dong-gook nach dem Champions-League-Finale 2002 a nach dem Meisterschaftsfinale 2000 RUND 10 rund_008_013_Schnellsch.indd 10 05.04.2006 17:23:34 Uhr AM BALL Schnellschuss FRAGE 7: Ab wann war Ballacks zweites Jugendteam, der FC Karl-Marx-Stadt, plötzlich der Chemnitzer FC? a 1. Juni 1990 n 13. Juni 1990 a 3. Oktober 1990 Karl-Marx-Städter: Michael und Mitspieler FRAGE 8: In welchem Alter kam Ballack zu seinem ersten Fußballverein, der BSG Motor Karl-MarxStadt? o mit vier Jahren b g mit sechs Jahren mit sieben Jahren FRAGE 9: Welchen Beruf übt Ballacks Vater aus? Stephan Ballack ist … x … Unternehmensberater w … Spielerberater s Jugend in Görlitz: Hier wuchs Michael auf … Bauingenieur Noch unbemalt: Ballack-Figur RUND 11 rund_008_013_Schnellsch.indd 11 05.04.2006 17:23:43 Uhr AM BALL Schnellschuss Geburtsort: Städtisches Krankenhaus Görlitz FRAGE 12: FRAGE 10: Im früheren „Café am Markt“ in Kaiserslautern lernte Ballack seine heutige Lebensgefährtin Simone kennen, die damals dort kellnerte. Wie heißt die Gaststätte heute? n FRAGE 11: Ballack ist gebürtiger Görlitzer. Wer nicht? a i Ballackbar Michael Ballack selbst ist stattliche 1,89 Meter groß. Wie hoch war das Werbebanner mit seinem Konterfei, das im Oktober 2005 am Hamburger Radisson-Hotel hing? Jens Jeremies s p Brauhaus am Markt 20,06m b Jörg Berger p 50m i c Marktschänke Dixie Dörner 70m FRAGE 13: Zu einer großen Karriere gehören auch große Versprecher. Welche Aussage Ballacks sorgte für Schmunzeln? e „So etwas kann man nicht trainieren, nur üben.“ b „Ich bleibe bei Bayer München, äh, Leverkusen.“ r „Die Hand war heute der dritte Fuß.“ RUND 12 rund_008_013_Schnellsch.indd 12 05.04.2006 17:24:00 Uhr AM BALL Schnellschuss FRAGE 14: Welchen Song spielte die SpVgg Unterhaching als Torhymne nach Ballacks Eigentor? l s u „Anton aus Tirol“ „FC Bayern – Forever Nr.1“ „In München steht ein Hofbräuhaus“ Super-Fan: Katharina Lang, Wilhelmshaven FRAGE 15: FRAGE 16: Franz Beckenbauers Golf-Handicap liegt bei acht. Welches Handicap hat Ballack, der den Spitznamen „Kleiner Kaiser“ trägt? Was machten 15 Mitglieder eines BallackFanclubs vor dessen Haustür? Ihm Gartenzwerge schenken 12 11 10 4 3 1 LÖ 2 SU NG SW OR T: 5 UND SO KÖNNEN SIE GEWINNEN: Sind Sie schon in WM-Form? Die Beantwortung unseres großen Michael-Ballack-Quiz hat Ihnen hoffentlich alles abverlangt. Aber auch kleine Fehler können ausgebügelt werden, denn alle 16 Buchstaben sollen ein Lösungswort ergeben. Antworten bitte bis zum 23.05.2006 an: Redaktion RUND, Pinneberger Weg 22-24, 20257 Hamburg, Fax: 040/808 06 86-99, [email protected], Stichwort: Michael Ballack 14 Wollten ihn überzeugen, bei Bayern zu bleiben 13 r 7 55 6 a 16 b Wollten mit ihm ins Wirtshaus gehen 15 31 a 8 b 22 9 e Der Pre Michi B is: Trikot - allacks handsig niert !!! RUND 13 rund_008_013_Schnellsch.indd 13 05.04.2006 17:24:14 Uhr AM BALL Feldsalat „UND WENN DIE MANNSCHAFT INS ENDSPIEL KOMMEN SOLLTE, GIBT ES NOCH MAL EIN PROZENT MEHR ZINSEN!“ Eine Postangestellte versucht einen Tag nach dem 1:4 der deutschen Nationalmannschaft gegen Italien das Postbank-Fifa-WM-2006-Weltmeister-Zertifikat als lukrativen Geldanlagetipp zu verkaufen WAS MACHT HELMES? „Einmal weglaufen, immer weglaufen“ PATRICK HELMES gilt als eine der größten Offensivhoffnungen im deutschen Fußball. RUND begleitet den 21-jährigen Stürmer vom ersten Profitag an auf seinem Weg mit dem 1. FC Köln in der Bundesliga. Wir fragen jeden Monat: Was macht Helmes? Stolze 185 Spielminuten stand Patrick Helmes bis zum 29. Spieltag in der Bundesliga auf dem Rasen. Über acht Partien verteilen sich diese wenigen Fußballaugenblicke, und in der kurzen Zeit sind Helmes drei Tore gelungen. Unter den Spielern, die in der laufenden Saison öfter als einmal getroffen haben, gibt es keinen effektiveren – beim 1. FC Köln muss man gegenwärtig eine erfreulichere Statistik sehr lange suchen. „Das klingt schon beeindruckend“, sagt Gerd vom Bruch, der Berater des jungen Stürmers. Wären die Dinge doch nur immer so eindeutig wie das nüchterne Zahlenwerk. Angesichts der ganzen Fußballwahrheit sei die Saison „insgesamt nicht so glücklich gelaufen“, findet vom Bruch. „Zwei Trainer, zwei Philosophien, dazu Verletzungen im falschen Moment“, resümiert der Mann mit voluminöser Stimme, „das war eine wichtige Erfahrung.“ Es gehört zur Beraterrhetorik, die Situation der eigenen Spieler in rosasamtene Worte zu hüllen. Deshalb gefällt vom Bruch die Rechnung mit der Effektivität sehr gut, sieht er Fortschritte „im fußballerischen und im Mentalbereich“ und formuliert Sätze wie „in der Zweiten Liga hängt der Brotkorb gleich hoch“, oder „ich sage meinen Jungs immer: einmal weggelaufen, immer weggelaufen“. Das soll heißen, Helmes möge doch in Köln bleiben, auch wenn er dort in der kommenden Saison wieder einen renommierten Konkurrenten vorgesetzt bekommt. Auch Helmes denkt, derart beraten, positiv: „Für mich war es kein schlechtes Jahr. Natürlich haben mich einige Verletzungen zurückgeworfen, aber ich gehörte fast immer zum Kader. Dazu die drei Tore in acht Spielen, das ist schon ganz okay.“ Natürlich brodelt er, hat Blut geleckt, schießt Zu selten in Fahrt: Patrick Helmes fährt zur U21-EM, im Training unzählige kann in Köln aber kaum zeigen, was er kann Tore, strotzt dabei vor Energie – darf aber nicht in den Ring. Erst in der Zweiten Liga trauen Trainer Hanspeter Latour und Manager Michael Meier dem Stürmer einen Durchbruch zu. Im Mai darf Helmes sich wohl bei der U21-Europameisterschaft profilieren und alle eines besseren belehren. Nur den 1. FC Köln wird er dann nicht mehr retten. Wer weiß, vielleicht hat der Klub seinen Klassenerhalt auf der Bank versauern lassen. DANIEL THEWELEIT, FOTO JEAN BALKE RUND 14 rund_014_019_Feldsalat.indd 14 10.04.2006 12:32:53 Uhr AM BALL Feldsalat INTERVIEW „ICH BESIEGE DIE KRANKHEIT“ DIETER TRZOLEK setzt auf Zwiebelsocken und Blutegeltherapie statt auf die Produkte seines Arbeitgebers Bayer Leverkusen. Seit kurzem weiß der Physiotherapeut, dass er schwer an Krebs erkrankt ist. Dennoch ist er beim Interview fröhlich wie eh und je INTERVIEW PETER PUTZING, FOTO VLADIMIR KADLEC Herr Trzolek, was passiert eigentlich, wenn Sie und der Mannschaftsarzt unterschiedlicher Meinung sind? DIETER TRZOLEK Dann setze ich mich durch. Als Jens Nowotny das Syndesmoseband riss, war die Alternative Operation oder Natur. Ich habe mich in Abstimmung mit Jens durchgesetzt. Er war schneller fit als nach einer OP. Dann sind Sie auch gegen das „Fitspritzen“? Das ist Körperverletzung. Man kann den Schmerz einmal verdrängen – aber nie, wenn es in die Muskulatur gespritzt oder mit Cortison gearbeitet wird. Wenn Sie Ihr Pendel auspacken, ernten Sie doch sicher Skepsis. Da stehe ich drüber. Ein Spieler hatte permanent muskuläre und Achillessehnenprobleme. Ich nahm das Pendel – und sofort war klar, dass das an den Zähnen liegt. Einer wurde gezogen, der Junge spielt seither beschwerdefrei. Einmal sagte ich einem Fotografen, den ich nie zuvor gesehen hatte, nach dem Pendeln sein Geburtsdatum. Der war total perplex. Wie kamen Sie zur Naturheilkunde? Als gelernter Krankenpfleger bot sich das an. Die Heilpraktikerausbildung machte ich dann, um von den Ärzten unabhängiger zu werden. Das ist auch alles nichts Neues. Es gab schon früher die Blutegeltherapie. Heilt eine Wunde schlecht, muss man Kirschsaft trinken, oder man isst Weißkohlsuppe, die wurde schon früher zur Behandlung der Pest genommen. Kein Wunder, dass man Sie „Miraculix“ nennt. Bei mir kann jeder in die Schränke gucken. Die Erfolge sind der Lohn für harte Arbeit. Ich musste auch erst lernen, wie man Blutegel anlegt oder Zwiebelsocken präpariert. Apropos Blutegel: Paulo Rink ist wegen der kleinen Tierchen mal umgekippt. Mit Südkorea waren Sie dreimal bei einer WM. Werden Sie diesen Sommer wieder für die Asiaten zuständig sein? Leider nicht. Ich erhalte im Moment Bestrahlungen, die schlauchen ganz schön. Aber wenn das vorbei ist, werde ich meinem Freund Klaus Toppmöller bei der EM-Qualifikation mit dem georgischen Team helfen. Wie ist Ihr Gesundheitszustand im Augenblick? Zuerst einmal hatte ich fast 59 schöne Jahre. Jetzt kam dieser Tumor am Hals, der wurde weggeschnitten. Aber die Schmerztabletten machen mich ganz kirre im Kopf. Das Schlucken macht Probleme. Das ist auch ein Grund, warum ich im Moment nicht zu Auswärtsspielen von Bayer fahre. Da es nicht sehr ansehnlich ist, wenn ich esse, muss ich das niemandem zumuten. Aber das wird wieder. Ich kämpfe, ich besiege diese Krankheit. BILDERRÄTSEL WESSEN BEINE SIND DAS? FOTO IMAGO !!! ’s gibt Hier inne Ge w !! !!! Welcher Bundesligaspieler hat so kräftige Beine, die noch dazu so behaart sind? Antworten bis zum 22. Mai 2006 an: Redaktion RUND, Pinneberger Weg 22-24, 20257 Hamburg, Fax: 040-8080686-99, [email protected], Stichwort: Beine. Wir verlosen ein Lipton-WM-Set (www.lipton.de), bestehend aus fünf Fußballsesseln, einem Grill, einem Sonnenschrim, sowie einem Minikühlschrank, in dem Lipton Ice Tea Green gekühlt werden kann. Die Antwort des April-Rätsels lautet: Klaus Augenthaler. Die Gewinner des März-Rätsels (Hörbücher von Hoffmann & Campe) sind: F. Kukies, Mainz; Ch. Penzler, Tonna; J. König, Gütersloh; S. Katzenberg, Hamburg; T. Müller, Chemnitz. Die Gewinner werden verständigt. ++KLEINKLEIN++ SHANGHAI – Ein Dutzend Eltern von Spielern des im Nordosten von China angesiedelten Liaoning FC der chinesischen Super League veranstaltete ein Sit-in vor den Büros des Klubeigentümers in Shanghai. Acht Stunden täglich soll protestiert werden – bis die Gehälter der Profis endlich überwiesen werden. Die Lohnschulden betragen umgerechnet ungefähr 200.000 Euro. +++++++++++ ROTHERHAM – Ein Marsch zur Rettung von Rotherham United sollte es werden, finanziert von einem Sponsor. 180 Fans des in eine Finanzkrise gerutschten englischen Drittligisten gingen zu Fuß über 43 Kilometer zum Auswärtsspiel nach Hudersfield. Nach 30 Kilometern kollabierten drei Fans. Schuld war nach einer Meldung der „Yorkshire Post“ das beißende Märzwetter. Das Spiel konnten die drei dennoch anschauen. +++++++++++ LONDON – Mit 7:0 gewann der Stonewall FC über eine Auswahl des britischen Unterhauses. Der Stonewall FC ist der größte homosexuelle Fußballklub der Welt. Auf Parlamentarierseite nahmen Abgeordnete aus allen Fraktionen teil. +++KLEINKLEIN+ MANZINI – Die ASE-Investmentgruppe mit Sitz in Singapur investiert in den Fußball in Swasiland. Einer Meldung des „Swazi Observer“ zufolge stiftete die Gruppe dem Zweitligisten Fairview Chiefs acht Paar Fußballschuhe. Der Klubmanager Mandla Ndzinisa bedankte sich bei dem großzügigen Sponsor. +++++++++++ BERLIN – Eine Pressemitteilung der Deutschen Bahn AG: „BERLIN (ots) – (Berlin, 28. Februar 2006). Die japanische Fußballnationalmannschaft musste leider aus organisatorischen Gründen ihre für heute geplante Fahrt mit dem ICE von Essen nach Frankfurt/Main absagen.“ Konnte der Anschlusszug nicht warten? Wurde in Essen über den Gleiswechsel zu spät informiert? +KLEINKLEIN+++ LONDON – Die BBC gerät jetzt unter Druck, weil sie für einen vom ehemaligen Nationalspieler Gary Lineker moderierten Dokumentarfilm über die WM 1986 der in England ohnehin nicht beliebten Fußballlegende Diego Maradona umgerechnet 70.000 Euro Honorar gezahlt hat. Hugo Swire, kulturpolitischer Sprecher der Konservativen, wandte sich gegen die „sensationalistische und populistische Story“. RUND 15 rund_014_019_Feldsalat.indd 15 10.04.2006 12:33:01 Uhr AM BALL Feldsalat KARL-HEINZ HEDDERGOTT RINUS MICHELS Der letzte große Erfolg lag erst drei Pflichtspiele zurück: der Gewinn des DFB-Pokals mit dem 1. FC Köln. Zu Beginn der Saison 1983/84 genoss Rinus Michels das Vertrauen des Vorstands. Doch zunächst eine knappe Heimniederlage gegen Bielefeld, dann eine Auswärtsschlappe in Düsseldorf – am 21. August 1983 wurde Michels entlassen. Nach dem zweiten Bundesligaspieltag. In seinem Buch „Neue Fußball-Lehre“ hatte der Dozent den Fußball modernisiert. Der Theoretiker sollte in Köln das Erbe von Hennes Weisweiler antreten. Doch Heddergott ließ die Profis „Hipp-Hipp-Hurra“ schreien und „spielte uns Lieder auf der Klampfe vor“, klagte Bernd Schuster. Heddergott schmiss ihn raus. Nach dem sechsten Spieltag der Saison 1980/81 war auch für ihn Schluss. OTTO REHHAGEL Es war keine gute Idee von Otto Rehhagel, 1995/96 zum selbst ernannten FC Hollywood zu wechseln. „Otto, warst du zu weich?“, grübelte er, während Gattin Beate die Koffer packte. Platz zwei in der Bundesliga und das Erreichen des Uefa-Cup-Finales zählten nicht. Franz Beckenbauer übernahm die Bayern und gewann den „Cup der Verlierer“, der doch eigentlich Rehhagel gebührt hätte. DIE KURIOSESTEN TRAINERENTLASSUNGEN IHR KÖNNT NACH HAUSE FAHREN HORST BUHTZ ∫ FOTOS IMAGO, DPA Da führt einer Borussia Dortmund nach Jahren des Leidens wieder an die Tür zur Bundesliga und fliegt dann raus: Weil Buhtz bereits in Nürnberg unterschrieben hatte, dem Gegner in den Relegationsspielen 1976, musste er vorzeitig das Westfalenstadion verlassen. Über Nacht wurde Otto Rehhagel verpflichtet, der die Ernte einfuhr. ROLF SCHAFSTALL „Dreck, wo du hinguckst. In der Kabine steht keiner auf, hört keiner zu. Kein Anstand. Alles Ossis.“ Das Eiserne Kreuz des deutschen Fußballs wird Rolf Schafstall wegen besonderer menschlicher Härte angeheftet. Seine vorletzte Trainerstation bei Dynamo Dresden endete nach 56 Tagen, nachdem Eisen-Rolf zwanghaft die Überlegenheit des Westdeutschen gegenüber dem Ostdeutschen beweisen wollte. CHRISTOPH DAUM TONI SCHUMACHER Gegen Mannheim spielte Fortuna Köln eine Halbzeit so schlecht „wie vor Christi Geburt“, rief Präsident Jean Löring den Fans auf dem Weg in die Kabine erregt zu. In der Umkleide handelte der „Schäng“ und warf den „Tünn“ noch in der Pause raus. „Löring war nicht mehr Herr seiner Sinne“, erinnert sich Toni Schumacher an diesen 15. Dezember 1999. „Ich bin so traurig“, stammelte Löring. Der Einzige in der Runde, der zwei Trainerposten auf einmal verlor: Nachdem er sich selbst des Gebrauchs von NasenAta überführte, saß er weder bei Leverkusen auf der Bank noch durfte er die Bundesbuben zur WM coachen. Legendär bleiben die Haarprobe und die Verzweiflung seines Bodyguards Calmund. Aber inzwischen ist das alles „Schnee von gestern, ich hab’ die Nase voll davon“. (Rainer Zobel) HERBERT WIDMAYER Trotz Meisterschaft und Pokalsieg mit dem Nürnberger Club war Herbert Widmayer der erste Trainer, der nach Gründung der Bundesliga entlassen wurde. Fünf Jahre später kam es für ihn noch dicker: Als nordbadischer Verbandstrainer sprang er beim abstiegsbedrohten Aufsteiger Karlsruher SC ein – um nach acht Tagen, zwei Spielen und 0:7 Toren wieder die Papiere zu bekommen. BRANKO ZEBEC WILLI ENTENMANN Wenn es stimmt, dass man auf dem Gipfel des Erfolges abtreten soll, dann wurde der Schwabe genau im richtigen Moment geschasst: Am 6. November 1993 schenkte er dem 1. FC Nürnberg einen glücklichen Moment, als die Clubberer die Bayern mit 2:0 schlagen konnten. Am 9. November entließ ihn Präsident Gerd Voack. Wahrscheinlich, weil Entenmann beliebter war als er. * Verhasster Teufel Alkohol. Ein Bild des Jammers, wie Branko Zebec volltrunken auf der Trainerbank wegsackte und mit schwerer Zunge unverständliche Anweisungen gab. Der Hamburger SV entließ seinen alkoholkranken Meistertrainer am 16. Dezember 1980, obwohl der Kroate die Rothosen an die Tabellenspitze geführt hatte. Meister wurde Bayern München mit dem trockenen Ungarn Pal Csernai. REINHOLD FANZ „Umgangen und tief enttäuscht“, ja „überrumpelt und geradezu brüskiert“ fühlte sich Ende 2004 der Sponsor des Karlsruher SC. Weil der Klub einen Trainer eingestellt hatte, mit dem sich EnBW-Boss Utz Claaßen schon bei Hannover 96 nicht einigen konnte, wer die größere Sandburg bauen darf. Reinhold Fanz musste gehen. Und wechselte hoffentlich seinen Stromanbieter. Wir suchen die Männer des Kreidepunkts: Helden und Versager bei Elfmeterschießen der WM-Vergwangenheit. Schreiben Sie an: [email protected]. Stichwort: Elfmeterschießen. Wir möchten uns an dieser Stelle bei allen Lesern bedanken, die uns Monat für Monat mit guten Hinweisen unterstützen. RUND 16 rund_014_019_Feldsalat.indd 16 10.04.2006 12:33:13 Uhr AM BALL Feldsalat UMFRAGE 5 WAS HAT DEM DEUTSCHEN FUSSBALL AM MEISTEN GESCHADET (die RUND-Online-Umfrage im März) Brasilien, Argentinien, Holland, England, weil sie den deutschen WM-Sieg gefährden – 37,7% HEUTE: RONALDINHO – das Formtief des Lukas Podolski – 9,9% und seine Privatbibliothek FOTO IMAGO Christian Wörns – 22,1% 1_ Zähne zeigen (Zadie Smith) die Vogelgrippe und Bärbel Höhn – 12,5% 2_ Mein Katalonien (George Orwell) die Fifa – 17,8% 3_ Blau und Rot (Wieland Herzfelde) 4_ Jeden Monat stellen wir Ihnen auf unserer Homepage eine RUND-Frage zum aktuellen Fußballgeschehen. Das Ergebnis folgt im Heft darauf. Unter www.rund-magazin.de/voting können Sie jederzeit abstimmen. Im vergangenen Monat nahmen 1206 Personen teil. No Logo! (Naomi Klein) 5_ Die Rabbit-Romane (John Updike) UNTER DER ZEITLUPE CHRISTIAN WÖRNS Mannheimer Schnitt: Nur der Leberfleck von Christian Wörns hat sich nicht verändert – 14 Jahre liegen zwischen diesen Aufnahmen. FOTOS IMAGO RUND 17 rund_014_019_Feldsalat.indd 17 10.04.2006 12:33:26 Uhr AM BALL Der heilige Kick Tribüne des Terrors Nach Karikaturenstreit und 11. September: Kann der Fußball von dem verschont bleiben, was „Kampf der Kulturen“ genannt wird? Auf dem Platz findet er bisher nicht statt. Doch schon 1998 plante Osama Bin Laden ein Attentat auf ein WM-Spiel VON MATTHIAS GREULICH, MARTIN KRAUSS, MALTE OBERSCHELP, RICO RIZZITELLI UND CHRISTOPH RUF, ILLUSTRATIONEN ESKÅH, FOTO MUSTAFA DENIZOGLU, DPA, PIXATHLON, GETTY, IMAGO RUND 20 rund_020_028_Titelgesch.indd 20 05.04.2006 21:27:14 Uhr AM BALL Der heilige Kick RUND 21 rund_020_028_Titelgesch.indd 21 05.04.2006 21:27:26 Uhr AM BALL Der heilige Kick Grausames Attentat auf die Fußballweltmeisterschaft: Bis heute ist es der Weltöffentlichkeit kaum bekannt, dass radikale Islamisten im Stadion von Olympique Marseille mehrere englische Nationalspieler töten wollten. Das war 1998, England spielte gegen Tunesien, und die Terroristen wollten als Ordner verkleidet in den Innenraum des Stadions gelangen. Zeitgleich sollte auch die Nationalmannschaft der USA in ihrem Mannschaftsquartier in Paris angegriffen und getötet werden. Das Attentat wurde vereitelt RUND 22 rund_020_028_Titelgesch.indd 22 05.04.2006 21:27:30 Uhr AM BALL 15. Juni 1998. Fußball-WM in Frankreich. Vor 54.000 Zuschauern findet im Marseiller Stade Vélodrome das Vorrundenspiel England gegen Tunesien statt. Bereits an diesem Tag hätte die Welt das erleben können, was sie drei Jahre später, am 11. September 2001 in New York, atemlos ansehen musste: einen Terroranschlag bislang ungeahnten Ausmaßes. In Marseille wollte die Groupe Islamique Armé (GIA) in den Innenraum des Stadions eindringen und zunächst den englischen Torwart David Seaman erschießen. „Das wird das Signal für die anderen Glaubensbrüder sein, mit der weiteren Aktion zu beginnen“, heißt es in dem schriftlich niedergelegten Plan. „Der zweite Bruder soll eine Granate in Richtung der Reservespieler am Rande des Feldes werfen. Der dritte Bruder soll eine Waffe tragen und Shearer erschießen, der auf der Seaman gegenüberliegenden Seite steht.“ Zeitgleich wollten Terroristen der mit al-Qaida verwobenen GIA in Paris das Hotel stürmen, in dem das Team der USA logierte und sich gerade gemeinsam im Fernsehen das EnglandSpiel ansah. Die französischen Behörden hielten den Fall damals unter der Decke, die Polizei ließ lediglich verlauten, sie habe bei Razzien Material gefunden, das „auf eine terroristische Operation während der WM“ hindeute. Zwei Wochen vor Beginn der WM konnten Interpol und Europol die Täter fassen, die Olympique-Marseille-Dauerkarten besaßen und sich als Ordner Zutritt zum Stadion verschaffen wollten. Das schwächte die Organisation, die bereits 1996 in der Pariser U-Bahn Bomben gezündet und so mehrere Menschen getötet hatte, so sehr, dass sie von einem Anschlag auf die englischen Fußballer absehen musste. Der große Schlag der islamistischen Terroristen erfolgte erst am 11. September 2001. Jürg Altwegg, Autor des Buches „Ein Tor, in Gottes Namen!“, hält den Anschlag auf das World Trade Center gar für ein „Ersatzattentat“, nachdem der Anschlag auf die englische Mannschaft 1998 gescheitert war. Auch für die WM 2002 in Japan und Südkorea plante al-Qaida einen Angriff, wie Scheich Der heilige Kick „Kanake“ oder „Nazi“: Provokationen beim Fußball Schalid Mohammed, ein in den USA verhafteter Hintermann des 11. September, zugab. Zu Anschlägen sei es deshalb nicht gekommen, weil al-Qaida in Asien zu schwach organisiert sei und nicht auf lokale Netzwerke zurückgreifen konnte. Die Bühne Fußballweltmeisterschaft lag nahe, schließlich sind Osama Bin Laden und seine Mitstreiter seit jeher vom Fußball fasziniert (siehe Zeitleiste Seite 24), Bin Laden selbst wurde mehrfach bei Arsenal London gesehen. 1998 befahl er persönlich der GIA, auch an den englischen Trainer Glenn Hoddle sowie „zwei jüngere Spieler, die bald sehr bekannt sein werden, David Beckham und Michael Owen“, zu denken. „Bin Laden ist Fußballfan und hat doch jahrelang daran gearbeitet, dessen größtes Event zur Plattform seiner Version von Apokalypse zu machen“, schreibt der britische Autor Adam Robinson in seinem Buch „Terror on the Pitch“. Was das für das anstehende WM-Turnier 2006 in Deutschland bedeutet, lässt sich kaum sagen: Auf der einen Seite warnt der Iran die deutschen Behörden vor möglichen Anschlägen auf seine Mannschaft. „Wir nehmen entsprechende Hinweise ernst“, erklärte Bayerns Innenminister Günther Beckstein. Die „Süddeutsche Zeitung“ vermerkt andererseits, dass eher „im Gefolge des Teams Personen nach Deutschland kommen, die hier politisch aktiv werden wollen und mit denen sich dann hiesige Sicherheitsbehörden beschäftigen müssten“. „Ich hatte unverhofft die Ehre, die iranische Fußballnationalmannschaft getroffen zu haben“, sagt Klaus Stuttmann. Der Berliner Karikaturist veröffentlichte im „Tagesspiegel“ ei- ne Zeichnung zur Diskussion um den Einsatz der Bundeswehr während der WM. Sie zeigte ein deutsches Team in Bundeswehruniform und eine iranische Mannschaft, die Sprengstoffgürtel umgeschnallt hat. „Meine Karikatur hat nichts mit dem Iran oder dem Islam zu tun“, sagt Stuttmann, „sondern mit Wolfgang Schäuble“, dem Innenminister. Gleichwohl erhielt Stuttmann Morddrohungen und musste untertauchen. Die meisten der Drohungen kamen von Exiliranern. „Das geht aus allen E-Mails, die ich erhalten habe, hervor. Aus Südafrika, aus Kanada, von überall.“ Stuttmann glaubt, dass „für die Exiliraner die Nationalmannschaft das einzige Identifikationsmittel mit ihrer Heimat ist. Mit der Regierung können sie sich nicht identifizieren, da bleibt nur der Fußball. Daher ist die Fußballnationalmannschaft der eigentliche Repräsentant des iranischen Volkes.“ „Der 11. September war ein Ersatzattentat“ JÜRG ALTWEGG, AUTOR Durch Karikaturen, die im September 2005 in der dänischen Zeitung „Jyllands Posten“ erschienen und den Propheten Mohammed zeigten, fühlten sich nicht nur Iraner und nicht nur Fundamentalisten beleidigt. Mohammed Zidan spielt bei Mainz 05 in der Bundesliga, er ist ägyptischer Nationalspieler und besitzt auch die dänische Staatsbürgerschaft. „Einerseits weiß ich, dass die Zeitungen die Freiheit haben, solche Karikaturen zu veröffentlichen“, sagt Zidan, „andererseits sind sie vielleicht auch zu weit gegangen, weil sie die Gefühle RUND 23 rund_020_028_Titelgesch.indd 23 05.04.2006 21:28:10 Uhr AM BALL Der heilige Kick { Fußball oder Islam? ?malsI redo llabßuF } der Menschen nicht respektiert haben.“ Zidan distanziert sich von den hasserfüllten Reaktionen. Er will mit der Sache nichts zu tun haben. „Ich war traurig, dass die Karikaturen ausgerechnet aus Dänemark kamen, wo ich ja einige Jahre gelebt habe“. Die Empörung über die dänischen Karikaturen kann an ein oft anzutreffendes Gefühl der Demütigung anknüpfen. „Man darf nicht vergessen, dass die Bilder aus Abu Ghraib im Gedächtnis aller Muslime sind“, sagt der Fußballtrainer und Journalist Holger Obermann. „Auch was in Guantánamo passiert, geht den Menschen sehr unter die Haut.“ Der amerikanische Politologe Samuel Huntington hat vor Jahren den „Clash of Civilizations“ ausgerufen, den Zusammenprall der Zivilisationen. Die Globalisierung bringe Menschen unterschiedlicher Religionen und Kulturen näher zusammen, das bewirke Konflikte. „Wir werden deshalb in Zukunft wohl noch häufiger erleben“, prognostiziert Huntington heute, „dass die Völker sich gegen das auflehnen, was sie als negative Konsequenzen der wirtschaftlichen Globalisierung empfinden.“ Amr Khaled ist ein ägyptischer Prediger. Er lebt seit vier Jahren in England, da er in seiner Heimat als Islamist gilt und nicht mehr auftreten darf. Nun verschickt er im Internet Briefe an seine immer größer werdende Gemeinde, die ihn als „islamischen Superstar“ („Die Zeit“) verehrt. „Das größte Problem ist der Import von etwas, was uns nichts angeht, was nichts mit unserer Kultur zu tun hat“, sagt er. Viele Anhänger von Khaled und anderen Islamisten empfinden den Fußball als kulturelles Angebot des Westens, als ein kapitalistisches Gift, das die muslimische Jugend verdirbt. „Fußball ist ein Ziel der Anschläge“, sagt Jürg Altwegg, „zum einen wegen der Aufmerksamkeit, zum anderen weil er unbestritten der Sport der Globalisierung ist. Und es hat mit dem generellen Kampf der Fundamentalisten gegen den Fußball zu tun. Die Taliban haben ihn in Afghanistan verboten.“ Holger Obermann, der in Afghanistan jahrelang fußballerische Entwicklungshilfe leistete, beschreibt das Verbot als „eine Schikane, um Kinder in die Moschee zu bringen. Die Taliban waren gegen alles, was die Fröhlichkeit bei Kindern ausmacht.“ Obermann nennt Beispiele: „Im Bezirk Parwan, 60 Kilometer nördlich von Kabul, spielten etwa 30 Kinder ein Straßenfußballturnier aus. Die Taliban sind mit Hubschraubern gekommen, haben auf sie geschossen und einige der Kinder getötet. Das haben mir Überlebende erzählt.“ Der deutsche Trainer Rainer Zobel arbeitete bis Juni 2005 bei Persepolis Teheran, dem 1967 FAN BIN LADEN 1994 1992 1974 1957 Bin Laden wird in Dschidda geboren. Als kleiner Junge spielt er mit einigen seiner 24 Brüder Fußball, auf Grund seiner Größe meist als Torhüter. populärsten Klub im Iran. Er verließ den Verein, unter anderem, weil mit Mahmud Ahmadinedschad ein fundamentalistischer Hardliner Präsident des Iran wurde. „Es gibt keine Organisation, die nicht von der Regierung kontrolliert wird“, sagt Zobel. „Man weiß ja nicht, wer da alles im Verein sitzt und mitredet und berichtet. Das kann auch Geheimpolizei sein.“ Der Fußball im Iran ist ein umkämpftes Feld. Das weiß auch der Präsident, der als passabler Fußballspieler gilt: Fotos zeigen ihn beim Schusstraining, allerdings mit langen Hosen und langen Ärmeln, so wie es seine Lesart des Koran verlangt. „Vor Länderspielen geht Ahmadinedschad in die Kabine und gibt der Mannschaft Anweisungen“, sagt Zobel. Schon in seiner Zeit als Teheraner Bürgermeister hatte er angeordnet, dass keine David-Beckham-Poster aushängen dürfen. „Er versucht alles, was unter westlichem Einfluss steht, zu verbieten.“ Parviz Ghelichkhani war von 1964 bis 1978 im damaligen Persien Nationalspieler, zuletzt Kapitän. Aus Protest gegen das Schahregime weigerte er sich 1978 bei der WM in Argentinien anzutreten. Nach der Islamischen Revolution 1979 verließ er sein Land und ging nach Paris, wo er die Exilzeitschrift „Arasch“ herausgibt. In einem Interview sagte er: „Die Mullahs können ein ganzes Land unter Druck setzen, alles kontrollieren. Aber wenn 100.000 Zuschauer bei einem Fußballspiel zusammenkommen, haben sie keine Chance. Fußball macht den Mullahs Angst.“ Mit zehn Jahren tritt Bin Laden in die Jugend von al-Ittihad Dschidda ein, des ältesten Klubs in Saudi-Arabien. Er spielt dort bis zur U16 und macht sich Hoffnungen auf einen Vertrag. Sein Vater Mohammed, ein reicher Bauunternehmer, unterstützt al-Ittihad. Bin Laden geht im Libanon auf die Highschool und trainiert beim amtierenden Meister Nejmeh Sporting Club Beirut. Als Pelé den Verein besucht, schüttelt er auch Bin Laden die Hand. Der hat das Foto davon noch Jahre später in seinem Büro stehen. In Saudi-Arabien unerwünscht, findet Bin Laden Zuflucht im Sudan. Mit seinem Sohn schaut er in Khartoum Spiele des Erstligisten al-Ahli an. Bin Ladens Baufirma sponsert den Klub mit Bandenwerbung. Bei einem Aufenthalt in London besucht Bin Laden Arsenal-Spiele gegen ManU und Liverpool sowie zwei Partien im Pokal der Pokalsieger gegen AC Turin und Paris St. Germain. Einem Sohn bringt er ein Trikot von Ian Wright mit. RUND 24 rund_020_028_Titelgesch.indd 24 05.04.2006 21:28:13 Uhr AM BALL Der heilige Kick Nach diesem Anschlag ist zwischen den Kulturen nichts mehr wie es war: Auf Befehl von Osama Bin Laden flogen die Todespiloten von al-Qaida in die Twin Towers in New York. Zwei Monate nach den Anschlägen erzählte Bin Laden auf einem Video, dass sein Kampfgefährte Abu al-Hasan al-Masri ein Jahr zuvor von einem Fußballspiel geträumt hatte, bei dem seine Leute in Pilotenuniformen gegen US-Amerikaner angetreten waren. „Das war für uns ein gutes Omen“, beschloss Bin Laden seine Rede RUND 25 rund_020_028_Titelgesch.indd 25 05.04.2006 21:28:21 Uhr AM BALL Der heilige Kick Wilder Chant auf den weltweit meist gesuchten Anhänger von Arsenal London: Im Highbury-Stadion sangen die Heimfans nach dem 11. September 2001 des Öfteren: „He’s hiding near Kabul / He loves the Arsenal / Osama, oh, oh, oh“ RUND 26 rund_020_028_Titelgesch.indd 26 05.04.2006 21:30:40 Uhr AM BALL Der heilige Kick Gerade weibliche Fußballfans sind im Iran ein Politikum. „Immer wieder versuchen vor allem junge Frauen ins Stadion zu kommen, meist indem sie sich als Jungen verkleiden“, berichtet Zobel. „Einmal allerdings, bei einem Spiel Bahrain gegen Iran, waren 300 Frauen im Stadion: Schauspielerinnen oder verdiente Sportlerinnen.“ Auch als 2004 Deutschland im Iran spielte, waren Frauen ausnahmsweise zugelassen. Seit Ahmadinedschads Amtsantritt wird das Frauenverbot in den Stadien allerdings wieder schärfer gefasst. Der Film „Offside“ des iranischen Regisseurs Jafar Panahi, der auf der Berlinale 2006 gezeigt wurde, behandelt das Thema streckenweise mit bissigem Humor: Die von jungen Soldaten festgenommenen weiblichen Fußballfans werden bei einem Länderspiel vor dem Stadion festgenommen und warten auf den Abtransport ins Gefängnis. Als einer der Soldaten das Spiel kommentiert und den berühmten Khodadad Azizi auf dem Platz gesehen haben will, lachen sich die Frauen kaputt. Er hat keine Ahnung vom Fußball. Der Kölner Exprofi Azizi spielt gar nicht mit (siehe das Interview mit Panahi, Seite 28). „Die Jugend ist sehr westlich orientiert“, sagt Rainer Zobel, „auch die iranischen Fußballer.“ Die Stars, die in den Westen wechseln, werden verehrt. „Auf Spieler wie Ali Karimi sind alle sehr stolz“, sagt Zobel. „Den beneiden alle dafür, dass der es bei den Bayern geschafft hat.“ Der marokkanische Nationalspieler Walid Regragui wuchs in Paris auf und spielt derzeit beim spanischen Erstligisten Racing Santander. „In meinem Leben spielt die Religion eine wesentliche Rolle“, sagt Regragui. „Das Von einem „Kampf der Kulturen“ will Regragui aber nichts wissen. Dass etwa muslimische Autoritäten Einfluss auf Spieler hätten, „davon habe ich noch nie etwas gehört“. So ganz kann man Fußball und Politik aber doch nicht trennen, wie das Beispiel des Iraners Vahid Hashemian von Hannover 96 verdeutlicht. Als sein damaliger Verein Bayern München in der Champions League zu Maccabi Tel Aviv musste, sagte er wegen Rückenproblemen ab. Das iranische Regime erwartet von Sportlern, dass sie Israelis bei Wettkämpfen aus dem Weg gehen. Ja, die Verletzung sei ihm gelegen gekommen, bekannte Hashemian, „aber ich hatte wirklich Rückenprobleme“. Zwei Welten? Kein Bier in der Teestube Von den 15 Millionen Muslimen, die in Europa leben, seien höchstens drei bis fünf Prozent organisierte Islamisten, sagt der GöttinImmer wieder testet das iranische Regime, ger Islamforscher Bassam Tibi. In den Fußball wie weit es gehen kann. Während der Welttragen sie ihre Aggressionen aber nicht. „Die meisterschaft 1998 in Frankreich drohte es türkischen und arabischen Vereine sind nicht mit der Abreise seiner Mannschaft, weil ein das Problem“, sagt Gerd Liesegang, Vizechef französischer Privatsender den Film „Nicht des Berliner Fußballverbands. Auch Günter ohne meine Tochter“ zeigen wollte. Ob der Hartmann, Jugendleiter und früherer Sicherjüngst ausgetragene Karikaturenstreit oder heitsbeauftragter des Berliner Vereins Türkidie im Januar bei einem Freundschaftsspiel yemspor meint: „Der Extremismus ist zwar im von Bayern München in Teheran vorgetrageKommen, aber im Fußball merkt man davon nen Forderungen nach einem „natürlichen nichts.“ Eine Einschätzung, die Cemal Güneş, Recht aller Völker auf friedliche Nutzung der Pressesprecher des Klubs Türk SV München Atomenergie“ den Auftakt zu einer ähnlichen und Beisitzer im Kreissportgericht München, Kampagne bilden, bleibt abzuwarten. teilt. „Gott sei Dank hat sich das nicht auf das Fußballfeld übertragen.“ Dennoch hat Güneş „Gott sei Dank hat sich der Kampf der Kulturen nicht auf das Fußballfeld übertragen. Angst vor Fanatikern: „Es Es ist aber schon ein kleines Feuer da, das man schnell schüren kann“ CEMAL GÜNEŞ, SPORTRICHTER ist schon ein kleines Feuer da, das man ganz schnell schüren kann.“ Profifußball ja, sagen die Mullahs, aber un- lässt sich auch in meinem Berufsleben spüren, „Es ist doch eher eine Sache der Medien“, ter Beachtung der Religion. Volle Stadien ja, da ich fünfmal täglich bete.“ Regragui hat als meint Claudio Offenberg, Trainer des Landesaber ohne Frauen. Teilnahme an Weltmeister- in einem westlichen Land aufgewachsener ligisten TuS Makkabi, des einzigen jüdischen schaften ja, aber ohne Fernsehbilder von weib- Muslim die Erfahrung gemacht, dass das nicht Vereins in Berlin. „Unsere zweite Mannschaft lichen Fans. Im Herbst 2001 versuchte das Re- überall gerne gesehen wird. „Alle Menschen spielt in der Kreisliga mit dem SC al-Quds zugime, ein schon seit 1994 bestehendes Verbot mit Migrationshintergrund sind sich bewusst, sammen, einem palästinensischen Klub“, sagt von Satellitenschüsseln durchzusetzen. Grund dass hier auch Ungleichheiten herrschen.“ Spä- Offenberg. „Da rufen die Journalisten vorher war, dass es nach mehreren Länderspielen zu testens seit den Anschlägen von New York hat immer an und fragen, ob ich etwas erwarte. Ausschreitungen gekommen war. Die Macht- sich die Sicht auf die Immigranten noch mehr Ich frage dann immer zurück: Was erwarten haber sahen einen Zusammenhang zwischen verschlechtert: „Was den 11. September an- Sie denn, was ich erwarten soll?“ Offenberg der „Fußballbewegung“ und den Berichten re- geht, gibt es vor allem hinsichtlich meiner berichtet von subtilem Antisemitismus seitens gimekritischer Sender von Exiliranern. Religion ein Vorher und ein Nachher.“ des Verbands und der Zuschauer. Offene RUND 27 rund_020_028_Titelgesch.indd 27 05.04.2006 21:32:26 Uhr AM BALL Anfeindungen hat er zwar auch schon erlebt, aber erstens selten und zweitens nicht von türkischen oder arabischen Vereinen. „Da gab es nie Probleme“, sagt Offenberg. „Vielleicht gibt es da so etwas wie eine Solidarisierung der einen Minderheit mit der anderen.“ Gleichwohl ist auf den Fußballplätzen in Deutschland, vor allem in den unteren Ligen, in den letzten Jahren das Gewaltniveau erschreckend angestiegen. Iris Jensen hat jahrelang Antigewaltseminare angeboten. Dorthin müssen Jugendspieler kommen, wenn sie wegen Tätlichkeiten oder Ähnlichem gesperrt wurden; so können sie ihre Sperre verringern. „Es sind überwiegend Jungs mit migrantischem Hintergrund“, sagt Iris Jensen, „vor allem türkische und arabische Spieler.“ Auch Günter Hartmann findet es „auffallend, dass viele Migrantenklubs an Ausschreitungen beteiligt sind.“ Aber, sagt er, „das sagt nichts über die Ursachen aus.“ Vor dem Sportgericht wird selten nach dem Grund der Tätlichkeit gefragt. „In den Seminaren können die endlich mal erzählen“, sagt Gerd Liesegang, „dass sie sich 70 Der heilige Kick Nimmt Nimmt die die Gewalt Gewalt zu? zu? Minuten lang vom Gegenspieler ganz leise ‚Scheißkanake‘ haben anhören müssen, ehe sie ausgerastet sind.“ Wenn in einem solchen Klima ein muslimischer Spieler beleidigt wird, sagt Iris Jensen, „dann ist das irgendwie immer auch eine religiöse Beleidigung“. Der Fußball stellt eine Bühne für Konflikte dar, die besonders verletzend wirken. Ein aktuelles Beispiel sind Auseinandersetzungen bei Arsenal London. Der Klub vereinbarte mit dem israelischen Tourismusministerium einen Sponsorvertrag. Israel zahlt umgerechnet un- „Frauen im Iran sind nun selbstbewusster“ „Offside“ gewann bei der Berlinale den Silbernen Bären, Regisseur JAFAR PANAHI über die zwiespältigen Reaktionen im Iran Herr Panahi, warum wollen iranische Frauen trotz Verbots ins Fußballstadion gehen? JAFAR PANAHI Ich glaube, dass der Reiz des Verbotenen die Frauen ins Stadion treibt. Es scheint in der Natur des Menschen verankert, das Verbotene auszutesten. In der iranischen Gesellschaft werden auch andere Dinge trotz Verbot getan, und manchmal weiß keiner so genau, wo die Grenze des Gesetzes entlangführt. Wird „Offside“ in den iranischen Kinos laufen? Noch gibt es keine Erlaubnis, doch wir kämpfen darum, den Film vor der Weltmeisterschaft im Iran zeigen zu können. Dennoch konnten sich einige Menschen im Iran den Film ansehen, da er auf dem Filmfestival in Teheran Ende Januar 2006 gelaufen ist. Wie hat das iranische Publikum auf den Film reagiert? Bei allen fünf Vorstellungen hat das Publikum den Film mit sehr großer Begeisterung aufgenommen. Er thematisiert einen Grenzbereich des iranischen Alltags, der sich zwischen Freiheit und Gesetz abspielt. Dabei kommt es häufig zu sehr humorvollen Szenen. Das erkennen die Menschen im Film wieder und fühlen sich angesprochen, was sich in großer Freude beim Publikum gezeigt hat. Im Film ist der Umgang zwischen den Mädchen und den jungen Soldaten sehr offen. Entspricht das der Realität? gefähr 600.000 Euro und kann dafür zwei Jahre lang mit dem Klub werben. Was scheinbar ein im Spitzensport ganz normaler Deal ist, wächst sich zum Politikum aus. In den britischen Medien gibt es eine Kampagne, in der sich propalästinensische Gruppen gegen das Geschäft aussprechen, da Israel ein „Apartheidstaat“ sei. Durch Öffentlichkeitsarbeit wird versucht, Druck auf den Hauptsponsor von Arsenal, die Fluglinie Emirates aus Dubai auszuüben, die auch jüngst beim Hamburger SV als Trikotsponsor einstieg. Schon dieses Beispiel zeigt, dass der Fußball eine Bühne für viele verschiedene Interessen sein kann. 9. Juni 2006. Die WM kann beginnen.< Seit der Revolution unter Khomeini 1979 sind die Mädchen und Frauen im Iran immer selbstbewusster geworden. Die meisten Frauen wollen ein eigenständiges und unabhängiges Leben führen und verdienen sich ihren eigenen Lebensunterhalt. Inzwischen ist die Hälfte der Studierenden Frauen. Dieses Selbstbewusstsein zeigt sich auch auf der Straße im Verhalten der Jugendlichen untereinander, doch wenn das Verhalten der Jugendlichen zu locker wird, schreitet die Polizei schon einmal ein. Am Ende des Films zeigen Sie eine ausgelassene Party auf den Straßen von Teheran. Sind das dokumentarische Aufnahmen nach dem Sieg des Iran gegen Bahrain, der im vergangenen Sommer die Qualifikation des Iran für die WM bedeutete? Die Szenen sind dokumentarisch, wie der übrige Film auch. Doch wegen eines Drehverbots für die letzten Szenen mussten wir mit versteckter Kamera drehen, was die Dreharbeiten erschwerte. Wie entstand die Idee zu Ihrem Film? Unter anderem als ich versuchte, meine Tochter in ein Fußballstadion mitzunehmen. Sie verschwand, da keine Chance auf ein Vorbeikommen an den Wachsoldaten bestand. Sehr verwundert war ich dann, als sie im Verlauf des Spiels an meiner Seite auftauchte. Einige Journalisten erkannten mich, schrieben darüber und brachten mein Bild in die Zeitung. Dass mein Film später nicht ohne Folge blieb, zeigte sich nach meiner Rückkehr von der Berlinale vor einem Monat. Zu einem Fußballspiel versammelte sich eine Gruppe von Frauen vor dem Stadion mit Plakaten in den Händen, die besagten, dass sie nicht weiter im Abseits – „Offside“ – stehen wollen. INTERVIEW CAMILLA VON BUDDENBROCK RUND 28 rund_020_028_Titelgesch.indd 28 05.04.2006 21:32:31 Uhr AM BALL Kölscher Bock NACHDEM DER FINANZIELLE RUIN ZUNÄCHST ABGEWENDET IST, KÄMPFT DER 1. FC KAISERSLAUTERN JETZT UM DAS SPORTLICHE ÜBERLEBEN IN DER ERSTEN LIGA. FAST GENAU SO WICHTIG IST DEN VEREINSOBEREN, DIE ABHANDEN GEKOMMENE EINHEIT MIT DEN FANS WIEDERHERZUSTELLEN. DA TRIFFT ES SICH GUT, DASS EIN PAAR JUNGSPUNDE AUS DER REGION Zwischen Resignation und Entsetzen: Der FC verliert mal wieder RUND 30 rund_030_035_Report_Koe.indd 30 10.04.2006 12:40:10 Uhr WENN LIEBE KRANK MACHT VON CHRISTOPH RUF UND DANIEL THEWELEIT, FOTOS MAREIKE FOECKING, IMAGO DER 1. FC KÖLN STEHT MAL WIEDER VOR DEM STURZ IN DIE ZWEITKLASSIGKEIT. WIE EH UND JE WERDEN DIE TRAINER SCHNELL ZUR DISPOSITION GESTELLT, EIN MITTELFRISTIGES KONZEPT IST NICHT ZU ERKENNEN. DASS DER VEREIN NICHT ZUR RUHE KOMMT, SEI DIE SCHULD DER MEDIEN, HEISST ES. DOCH DIESE ERKLÄRUNG GREIFT ZU KURZ In den Jahren 2002 bis 2004 muss der Verleger Alfred Neven DuMont beim Blick in seine Zeitungen nachdenklich geworden sein. Sein Boulevard-Flaggschiff „Express“, dessen Wohl und Wehe eng mit dem des 1. FC Köln verwoben ist, tat sich schwer damit, jeden Tag eine hübsche Schlagzeile aus dem Klub zu liefern. Es gab keinen Podolski, keinen Overath, nur den wenig boulevardesken Manager Andreas Rettig, den zurückhaltenden Präsidenten Albert Caspers und eine Mannschaft, deren Gesicht Dirk Lottner war. Also schrieb DuMont im September 2003 einen offenen Brief, den er in zwei seiner drei Lokalblätter – „Kölner Stadtanzeiger“, „Kölnische Rundschau“ und die Boulevardzeitung „Express“ bringen es zusammen auf knapp 580.000 Exemplare täglich – veröffentlichen ließ. Darin forderte der wohl mächtigste Mann Kölns den Altinternationalen Wolfgang Overath auf, endlich Präsident des Vereins zu werden „Sie sagen, dass Sie ohne Fußball und den 1. FC nicht leben könnten. Machen Sie diesen Spruch wahr, und helfen Sie, dass der 1. FC wieder das wird, was er war zu Ihren Zeiten. Schenken Sie sich und uns zum 60., dass dieser Traum wahr wird!“ Overath, der über Jahre zum Messias für den darbenden Klub empor geschrieben worden war und das süffisant kommentiert hatte, – „Das Spiel ging die letzten Jahre doch immer so: Kaum hatte der FC fünfmal verloren, hieß es, der Overath muss ran“ –, war geschmeichelt. Lange hatte er jeden Posten im Klub abgelehnt, doch der offene Brief und ein persönliches Gespräch mit DuMont bestärkten ihn, sich für die Präsidentschaft zu entscheiden. Es gibt nicht viele, zu denen der charismatische Machtmensch aufblickt – DuMont gehört seit jeher dazu. Es waren die Wochen, in denen der Grundstein für den 1. FC Köln von heute gelegt wurde. RUND 31 rund_030_035_Report_Koe.indd 31 10.04.2006 12:40:27 Uhr AM BALL Kölscher Bock Zuschauermagnet FC: Egal was passiert, die Fans wachsen nach Der heutige Manager Michael Meier wundert sich nicht über die unorthodoxe verlegerische Intervention. Der FC habe „eine unglaubliche Bedeutung in dieser Stadt“. Da sei Alfred Neven DuMont eben „in ernsthafter Sorge“ gewesen. Ob seine Sorge tatsächlich dem Klub und seinen Fans oder eher dem Verkaufsargument FC-Schlagzeile galt, ist nicht überliefert. Vermutlich stimmt beides. Außerhalb Kölns hält man die dortige Medienlandschaft für die brutalste des Landes. Das ist stark übertrieben. Dennoch ist der Boulevard in Köln mitverantwortlich für die fehlende personelle Kontinuität. Der amtierende Präsident Albert Caspers, der eigentlich noch ein Jahr im Amt bleiben sollte, wäre kaum ohne den medial erzeugten Druck vorzeitig zurückgetreten. So aber musste er den Weg für Overath frei machen. Die Jahreshauptversammlung im Sommer 2004 zeigte dann eindrucksvoll, welche Wirkung eine Berichterstattung mit eindeutiger Haltung entfalten kann. Overaths erste Amtshandlung war, Trainer Marcel Koller zu entlassen, den Mann, der Lukas Podolski und Lukas Sinkiewicz entdeckte und vom Vorgängerpräsidium den Auftrag hatte, eine junge Mannschaft mit Perspektive aufzubauen. Die Klubmitglieder lagen sich nach dieser Nachricht in den Armen, als wäre gerade die Meisterschaft gewonnen worden. Doch trotz mancher Exzesse wie der vorangegangenen medialen Hinrichtung Kollers, vor allem durch die „Bild“ – in Hamburg, Berlin oder München läuft das Geschäft genauso, auch dort gibt es mindestens zwei konkurrierende Boulevardzeitungen. Ein Beleg für die oft gehörte Behauptung, in Köln sei die Presselandschaft schwieriger als in anderen Metro- polen lässt sich jedenfalls nicht finden. Die Hauptursache für den jahrelangen Niedergang des Klubs kann unmöglich allein in diesem Umfeld liegen, zumal die Medien zuletzt merklich sanfter mit dem FC umgingen. Wenn der Verein nicht zur Ruhe kommt, liegt das vermutlich eher an der Wechselwirkung zwischen den medialen Gepflogenheiten einer Großstadt und der in Köln grassierenden fiebrigen Leidenschaft für den Klub. „Der Kölner hat ein anderes Empfinden, wie er mit Freud und Leid umgeht. Hier schlägt die Nadel immer ausgesprochen stark aus, in alle Richtungen“, versucht Torhüter Alexander Bade zu erklären. „Dabei müsste man hier eigentlich mit Ruhe etwas aufbauen, ein RUND 32 rund_030_035_Report_Koe.indd 32 10.04.2006 12:40:35 Uhr AM BALL Kölscher Bock Einer von Tausenden Schals: Die Zigarette ist für danach Tiefe Schmach: Auch gegen das verhasste Leverkusen verlor der FC „MAN MÜSSTE HIER EIGENTLICH MIT RUHE ETWAS AUFBAUEN, EIN KONZEPT ENTWICKELN UND DURCHZIEHEN – AUCH IN SCHLECHTEN ZEITEN“ ALEXANDER BADE Konzept entwickeln und durchziehen – auch in schlechten Zeiten.“ Gibt es also eine einzigartige Kölner Fußballmentalität? Wer einmal bei einem Heimspiel war oder in einer x-beliebigen Kölner Altstadtpinte das Thema 1. FC Köln zur Sprache brachte, kann das nur bejahen. Nicht nur Fußballfans lassen sich in Köln vom Zauber des FC berühren, auch Kölner und Kölnerinnen, die noch nie in einem Stadion waren, fiebern mit dem Klub. Was andernorts auf die 30 Sekunden vor dem Einlaufen der Teams beschränkt bleibt, dehnt sich im Rheinenergie- stadion auf eine halbe Stunde aus: 30 Minuten vor Anpfiff schallt Hymne auf Hymne durch die Boxen, das Stadion bebt. Sind das, was mit tausendfachem Schalwedeln lautstark mitgesungen wird, nun Karnevalschlager oder Fußballlieder? In dieser Stadt, in die viele aus ganz Deutschland reisen, wenn sie einmal gepflegt feiern wollen, kommt das aufs Gleiche heraus. „Das Eintrittsgeld bezahlt man hier für die Zeit von drei bis halb vier“, hatte Rudi Völler nach dem 3:0-Sieg vom verhassten Nachbarn Bayer Leverkusen in Köln gewitzelt. Geschäftsführer Claus Horstmann, der 2000 auch deshalb nach Köln kam, weil er das Anforderungsprofil „kein Kölner, kein Fußballhintergrund“ erfüllte, ist natürlich ebenfalls infiziert und spricht von einer „unglaublichen Emotionalität“. Der große Mann mit der sanften Stimme kleidet den Klub in Zahlen: Bundesweit 1,8 Millionen Menschen geben den FC als Lieblingsverein an, Fanpotenzial, Fanklubs, Mitglieder, der sportlich so launische Klub rangiert überall stabil auf den Plätzen drei bis fünf. Ein Ende des Booms ist nicht in Sicht: Mit 34.000 Fans hatte man in der vergangenen Saison den besten Zuschauerschnitt der Vereinsgeschichte – ausgerechnet in einer Zweitligasaison. Und in der aktuellen, sportlich so desaströsen Spielzeit war das 50.000 Zuschauer fassende Stadion fast immer rappelvoll. Kein Wunder, dass man auch im Falle eines Abstiegs ohne allzu große Sorgen in die Zukunft blickt: Hauptsponsor, Ausrüster und das Gros der Logenkunden haben sich unabhängig von der Ligazugehörigkeit an den Traditionsverein gebunden. Mit einem Etat von 34 Millionen Euro wäre man mal wieder Krösus in Liga zwei. 80 Prozent der Kölner fühlen sich dem FC emotional verbunden, sagt eine Umfrage – nicht zuletzt wegen vieler Verbindungen zwischen FC und Karneval. Einen solchen Wert bekommt wohl kein anderer Verein in seiner Stadt. Eine Kölner Zeitungsredaktion hat RUND 33 rund_030_035_Report_Koe.indd 33 10.04.2006 12:40:42 Uhr AM BALL Kölscher Bock Quälende Erfahrungen: Albert Streit leidet stellvertretend für sein Team mal überlegt, verstärkt über Bayer Leverkusen zu schreiben. Es war die Zeit, als der direkte Nachbar in der Champions League, der FC aber nur zweitklassig spielte. Nach einem Kneipenbesuch in Leverkusen vergaß man aber das Vorhaben schnell wieder, wie sich ein Redakteur erinnert: „Sogar dort wurde über die Verletzung von Kölns Alexander Voigt diskutiert.“ Wolfgang Overath ist sich dieser Besonderheit jedenfalls bewusst. „Wenn es gut läuft, schwebt man hier auf Wolke sieben, die Mentalität des Rheinländers sorgt aber auch dafür, dass nach zwei Siegen vom Uefa-Cup geredet wird.“ Mit ihm verstärkte sich das kölsche Element im Klub: Im Schlepptau Overaths haben gleich mehrere Kölner Urgesteine an Einfluss gewonnen: Vizepräsident Jürgen Glowacz, Stefan Engels, Hannes Löhr, Herbert Zimmermann und in deren Peripherie die Spielerberater Bernd Cullmann und Wolfgang Fahrian. Vielen im Klubumfeld bereitet der Einfluss der FC-Altvorderen seit längerer Zeit Kopfschmerzen. Auf die Qualifikation seiner engsten Berater angesprochen, bleibt der Präsident nebulös: „Die hängen mit Leib und Seele an diesem Klub.“ Mancher von ihnen hängt offenbar auch an der Publicity: Als Stefan Engels an der Seite Uwe Rapolders auf dem Trainingsplatz auftauchte, rief er vorher einen Boule- „WIR WAREN DAS, WAS DIE BAYERN HEUTE SIND. WIR HATTEN BEREITS DAS GEISSBOCKHEIM, DA HABEN SICH DIE ANDEREN KLUBS NOCH IN DER GARAGE UMGEZOGEN“ WOLFGANG OVERATH RUND 34 rund_030_035_Report_Koe.indd 34 10.04.2006 12:41:00 Uhr AM BALL vardfotografen an. Der Mannschaft half er damit nicht. Und Herbert Zimmermann, der als Scout arbeitet, buchte seine Reise zum Afrika-Cup so spät, dass er keinen Platz mehr im Marriott Hotel in Kairo bekam, wo die Szene ihre Deals abwickelte. Bei den Partien hatte er bisweilen keine Listen mit den Kadern, viel zu viele Spieler waren ihm unbekannt. Overath arbeitet akribischer für den Verein – umso beachtlicher, als er sein Amt ehrenamtlich ausübt. Sein Ziel ist, an die großen Zeiten anzuknüpfen, die er als Spieler mitprägte. „Wir waren das, was die Bayern heute sind. Wir hatten schon das Geißbockheim, da haben sich die anderen Klubs noch in der Garage umgezogen.“ Wenn Overath berichtet, wie er sich mit seinen Trainern über Taktik unterhält, leuchten seine Augen. Uwe Rapolder und Marcel Koller lobt er als „exzellente Fachleute“. Entlassen hat er sie trotzdem. Der letzte Trainer, der in Köln langfristig arbeiten durfte, war Christoph Daum von 1986 bis 1990. An ihm, dessen Name wie ein Heilsversprechen über der Stadt schwebt, werden seither alle Nachfolger gemessen – auch das erhöht den Druck. Ewald Lienen war nicht mehr zu halten, weil er sich in einen heftig emotionalisierten Konflikt mit den Medien eingelassen hatte, Friedhelm Funkel ging mit der Begründung „der Hass in den Augen der Fans“ habe ihm die Aussichtslosigkeit seiner Situation aufgezeigt. Und Uwe Rapolders Abschied war unausweichlich, weil er es trotz unbestrittener fachlicher Kompetenz nicht schaffte, sein Verhältnis zur Mannschaft zu humanisieren. Man könnte diese Reihe beliebig fortsetzen, nur Huub Stevens ging aus freien Stücken. Ob Hanspeter Latour, der im Januar die Nachfolge von Rapolder antrat, in Köln das Ende seines bis 2007 datierten Vertrages erleben wird, ist wieder einmal fraglich. Michael Meier ist dafür, notfalls auch in der Zweiten Liga, den Neuanfang mit dem Schweizer anzugehen, der derzeit mit einem 29-Mann-Kader auf verlorenem Posten steht. Doch Overath mag sich da nicht festlegen: „Wenn Sie als Trainer viermal verlieren, ist es mit der Ruhe vorbei.“< Kölscher Bock Kölner Kater danach: Die Party ist aus REVOLUTION DER LATINOS Michael Meier hat einen großen Plan. „Kontinuität“ heißt das Zauberwort. Er wird derzeit arg strapaziert, wenn der Manager des 1. FC Köln über die Zukunft seines Vereins redet. Das Wort beschreibt den Kern einer Kölner Revolution, deren Anführer Meier gerne wäre. „Das wichtigste Ziel ist, dass ein Koordinatenkreuz stehen muss, das Kontinuität heißt. Wir müssen im sportlichen und im operativen Bereich Konstanz hineinbekommen. Es gibt einfach eherne Grundsätze, da muss man Stehvermögen beweisen“, sagt der Manager und sieht sehr entschlossen dabei aus. Hanspeter Latour ist der fünfte Trainer, der den FC seit dem Aufstieg 2003 trainiert. Hier sieht Meier eine Chance, im Klub grundsätzlich etwas zu verändern: „Man sollte nicht einfach umknicken, auch, wenn einem der Sturm ins Gesicht bläst“, sagt Meier. Latour darf also ernsthaft hoffen, länger fristig in Köln arbeiten zu können. Andreas Rettig, der aus Freiburg, der Stadt des ewigen Volker Finke, nach Köln wechselte, hatte einst ähnliches vor, doch in seiner Zeit gerieten die Trainer immer wieder in ein auswegloses Spannungsfeld zwischen Medien, Fans und Klub – die Entlassungen waren nach Kölner Lesart beim besten Willen unausweichlich. Am Ende trat er zurück, weil er selbst in die Zwänge dieses Mechanismus geraten war. Es geht also nicht nur um eine Haltungsfrage im Management. Meier weiß das, glaubt aber, etwas andere Voraussetzungen vorzufinden. „Die Medien sind gezeichnet durch die Abstiege. Die sind demütiger geworden“, sagt er und diese Aussage trifft wohl auch auf die Befindlichkeit der Fans zu. Seit Rettig und Uwe Rapolder weg sind, ist die Gehässigkeit aus dem Umfeld fast verschwunden. Das ist tatsächlich eine gute Basis für den Paradigmenwechsel. Außerdem will Meier sich nicht mehr so schnell dem überwältigenden irrationalen Element, den wilden Auswüchsen der Kölner Leidenschaft beugen. „Köln ist eine römische Siedlung, das sind alles Latinos hier“, sagt er, aber das sei zunächst einmal sehr positiv, nur dürften die heftigen Emotionen nicht immer so schnell zum Handlungsgrundsatz der Klubführung werden. Präsident Overath klagt schon länger darüber, dass die Trainerentlassungen seiner Amtszeit – Marcel Koller und Uwe Rapolder – weniger aus dem Klubinneren als auf der Grundlage eines zerstörten öffentlichen Images basierten. „Man muss das mediale Umfeld als Herausforderung begreifen“, sagt Meier. Als er nach Dortmund kam, sei die Borussia auch so ein Standort der ständig wechselnden Trainer gewesen, dann folgten sechs Jahre Ottmar Hitzfeld. Den hat Meier wie Latour vom Grasshopper-Club Zürich geholt. Noch spannender als die sportliche Entwicklung wird daher, ob Köln sich nun endlich in der Lage zeigt, das zu tun, was längst alle Elemente des legendären Umfeldes für überfällig halten: kontinuierlich zu arbeiten. CHRISTOPH RUF UND DANIEL THEWELEIT, FOTO IMAGO RUND 35 rund_030_035_Report_Koe.indd 35 10.04.2006 12:41:14 Uhr AM BALL Kommentar IM NEANDERTAL DES FUSSBALLS VON RAINER SCHÄFER, ILLUSTRATION ANNE-KATRIN ELLERKAMP MIT DER KAMPAGNE GEGEN BUNDESTRAINER JÜRGEN KLINSMANN SOLL ANGEBLICH DER DEUTSCHE FUSSBALL VOR SCHADEN BEWAHRT WERDEN. TATSÄCHLICH WERDEN DAMIT LÄNGST ÜBERFÄLLIGE PROZESSE VERHINDERT, DIE NOTWENDIG SIND, UM MAL WIEDER WELTMEISTER WERDEN ZU KÖNNEN Unsere Nachbarn wundern sich. Ein niederländischer Fernsehsender fragt an, was denn nur im deutschen Fußball los ist, kurz vor der Weltmeisterschaft: „Warum schreibt die ,Bild‘: ,Bayern schlecht wie Klinsi‘, nachdem die in Mailand verloren haben? Ist Klinsmann an allem Schuld, geht es noch um Fußball?“ Nein, es geht um Auflage, Intrigen und Macht. Darum, sich das zurückzuholen, was man jahrzehntelang hatte: ein Informationsprivileg. Von Turnier zu Turnier hatte die größte deutsche Boulevardzeitung informelle Mitarbeiter im deutschen Nationalteam. Manchmal waren es Spieler, meist lieferte sogar der Bundestrainer ergeben die gewünschten Exklusivschlagzeilen. Wer sich gut stellte, wurde protegiert, auch wenn er noch so fehl am Platz wirkte, wie Erich Ribbeck, an dem sämtliche Entwicklungen im modernen Fußball unbemerkt vorübergezogen waren. Während andere Nationen längst mit Raumdeckung und Viererkette spielten, durfte bei uns Libero Matthäus im Jahr 2000 noch hinter zwei Manndeckern ausputzen. Der deutsche Fußball hatte hoffnungslos den Anschluss an die Weltspitze verloren. Den wieder herzustellen ist das erklärte Ziel von Jürgen Klinsmann. Eine Aufgabe, die er seit Juli 2004 so angeht, wie er es anders nicht kann: radikal, dickköpfig, kaum zu Kompromissen bereit. Klinsmann wollte die Revolution, den konservativen DFB auseinandernehmen und ihn ohne Rücksicht modernisieren. Für die Verlierer dieser Reformen ist Klinsmann eine Katastrophe. Um den ungeliebten Bundestrainer loszuwerden, ist fast jedes Mittel recht. Ein miserables Länderspiel reicht aus, um „Grinsi-Klinsi“ zum Abschuss freizugeben. Die größten Reaktionäre des Fußballs, sie alle dürfen im Zentralorgan deutscher Miesmacherei draufhauen: vor allem Franz Beckenbauer natürlich. Stefan Effenberg darf offen zum Klinsmann-Putsch aufrufen. Und der ehemalige Revoluzzer Paul Breitner entblödet sich nicht, noch einmal die Rückkehr des Liberos zu fordern. Sogar Christian Wörns soll plötzlich das Versprechen auf Erfolg sein. Willkommen im Neandertal des Fußballs. Die Sehnsucht nach Wörns, dem limiterten Manndecker alter Schule, muss ein Zeichen des tiefen Selbsthasses sein, der uns Deutsche quält. Es läuft eine absurde und zynische Kampagne gegen Klinsmann: Angeblich will man den deutschen Fußball vor einer Blamage bewahren, tatsächlich verhindert man, dass endlich seine Schwächen angegangen werden. Warum eigentlich sollen Deutsche nicht so Fußball spielen können wie Holländer oder Franzosen? Seit wann ist spielerische Qualität genetisch verankert? Sie ist eine Frage der Nachwuchsausbildung, nur hier können die eklatanten Fehlentwicklungen korrigiert werden. Einmal hat Klinsmann gegen seine Widersacher verloren: Statt Hockeybundestrainer Bernhard Peters wurde Matthias Sammer zum Sportdirektor erkoren, Kolumnist der „Welt am Sonntag“ und beraten von einem früheren „Bild“-Chefreporter. Sammer, in dessen Bereich auch der Umbau der Nachwuchsförderung fällt, spricht von deutschen Tugenden, davon, den Gegner wieder auf die Tribüne zu grätschen. Sätze so schlicht, dass selbst ein Hockeytrainer sie nie zu sagen wagen würde. Die Besinnung auf deutsche Tugenden ist das selbstverfasste Eingeständnis, dass Deutschland auf Dauer nicht mehr zu den führenden Fußballnationen gehören wird. Sie ist die Kapitulation vor den spielerischen Möglichkeiten des Fußballs. Indem man Gras frisst und die Arschbacken zusammenkneift, wird man nicht Weltmeister. Vermutlich nie wieder. RUND 36 rund_036_037_Kommentar 36 03.04.2006 12:43:24 Uhr AM BALL Stargast KOPF HOCH, FUCKING JOE! DER NATIONALSPIELER JOE COLE GALT LANGE ALS SELBSTVERLIEBTER FUMMLER, WEIL ER NICHT SO SPIELTE, WIE DIE ENGLÄNDER SICH FUSSBALL VORSTELLEN. DANK JOSÉ MOURINHO UND VIEL DISZIPLIN IST ER HEUTE EINER DER BESTEN MITTELFELDSPIELER DER WELT VON RAPHAEL HONIGSTEIN, ILLUSTRATION THS Einige versuchen es immer wieder. Diesmal sind es zwei bleiche Jungs in Trainingsanzügen, die sich nach Spielschluss irgendwo im Stadion versteckt haben, um ihren Helden in der improvisierten Mixed-Zone am Spielfeldrand Autogramme abzujagen. Es dauert nicht lange, bis das Sicherheitspersonal die Eindringlinge bemerkt, sie am Kragen packt und hinausbefördert. Gut, dass Joe Cole auf der anderen Seite der Barriere steht, sonst könnte er vielleicht versehentlich mit rausgeschmissen werden. Bedeutend kleiner als die offiziell gemessenen 1,75 Meter sieht er aus, auch jünger als seine 24 Jahre und vor allem ziemlich unscheinbar für einen Chelsea-Profi. Ziemlich unfrisiert steht er im weiten Sweatshirt da. „Mode? Nein, das ist nicht mein Ding“, sagt er und kratzt sich etwas verlegen am Hinterkopf. „Ich sehe nicht ein, warum ich mich so aufdonnern soll.“ Cole hat sich vor langem entschlossen, nur noch auf dem Rasen aufzufallen. Flash, also modisch laut, extravagant zu sein ziemt sich nämlich nicht für englische Nachwuchskönner, schon gar nicht, wenn sie von der Kunst am Ball leben und nicht von der Kraft. Diese Angriffsfläche darf man den Kritikern nicht auch noch bieten. Sein technisches Talent stand dabei stets außer Frage. Schon mit 17 sah man in ihm den neuen Paul Gascoigne, nur ein gebrochenes Bein verhinderte seine Nominierung für die EM 2000. Doch der beim Traditionsklub West Ham United groß gewordene Londoner galt als unbelehrbarer showboater und luxury player, als verspielter Individualist und selbstverliebter Fummler. In England werden solche Spielertypen traditionell misstrauisch beäugt. Ihnen fehle die nötige Härte und der Mannschaftsgeist, heißt es, darüber hinaus passen sie auch nicht so recht ins landläufige 4-4-2-System. Cole, der Sohn eines Markthändlers aus Camden im Norden der Stadt, musste als hängende Spitze spielen, im rechten und im linken Mittelfeld, aber so richtig kam er dabei nirgendwo zurecht. Noch vor wenigen Monaten glaubte man, er würde es nie schaffen, seine gewaltigen Fähigkeiten wirklich Gewinn bringend auf den Rasen zu bringen. SPIELERTYPEN WIE COLE WERDEN IN ENGLAND MISSTRAUISCH BEÄUGT. WEIL IHNEN DIE HÄRTE FEHLE Der Italiener Claudio Ranieri holte ihn für 6,6 Millionen Pfund, rund 10 Millionen Euro, zum FC Chelsea, fand aber wenig Verwendung für ihn. In José Mourinhos erster Saison wurde er ständig einund ausgewechselt. Unnötige Hackentricks im Mittelkreis und Ballverluste in der gegnerischen Hälfte brachten Mourinho zur Weißglut. Die Fußballreporter in der Pressebox hinter der Chelsea-Bank konnten ihn laut fluchen hören: „Can you believe that? Joe Cole. Fucking Joe Cole!“ Mittlerweile verwünschen den allerdings nur noch seine Gegenspieler. In der laufenden Spielzeit ist Cole zum Stammspieler und absoluten Leistungsträger geworden. Ein Mann, der vorne die entscheidenden Ideen auspackt und hinten mithilft, wenn es die Situa- tion verlangt. Und Mourinho hat trotz all seiner Macken und Mätzchen endlich einen dicken Stein im Brett bei den englischen Zeitungen – er hat aus Cole einen einzigartigen Spieler gemacht. Mit stundenlangem Taktikdrill im Training, einem rigorosen Fitnessregime und gezielter öffentlicher Kritik. „Joe Cole wird schnell zum Helden und auf den Mond hochgeschrieben“, sagt Chelseas Meistermacher, „dann muss ich ihn ein wenig treten, damit er wieder runterkommt.“ „Mourinho hat hervorragende Arbeit geleistet“, freut sich auch Nationaltrainer Sven-Göran Eriksson. „Joe spielt jetzt Fußball, wie man spielen muss. Er verteidigt nun auch im eigenen Strafraum. Ich habe ein paar fantastische Grätschen von ihm gesehen. Und natürlich kann er Gegner ausspielen und Tore schießen.“ Letzteres konnte der HobbyBulldoggenzüchter schon immer. Mit Mourinho hat sein Spiel die nötige Effektivität und Disziplin bekommen; bei der WM müsste er einer der ganz großen Stars sein. Wenn Eriksson ihn denn lässt. Cole hat das große Pech, das Frank Lampard, David Beckham und Steven Gerrard drei von vier Mittelfeldplätzen belegen und der nicht gerade zu bedingungsloser Offensive neigende Schwede derzeit einen defensiven Zerstörer als vierten Mann bevorzugt. Englands bester Dribbler seit Sir Stanley Matthews wird wohl erst dann seine Chance bekommen, wenn es nicht gut läuft und ein Spiel gedreht werden muss. „Ich weiß, dass das Mittelfeld Englands stärkster Mannschaftsteil ist, aber ich bin zu 100 Prozent überzeugt, dass ich da hinein gehöre“, sagt er mit einem Lächeln, als ob ihm sein Selbstbewusstsein etwas peinlich ist, „ich denke, ich bin einer der vier besten Mittelfeldspieler. Aber das muss natürlich Eriksson entscheiden.“ Bei Chelsea zumindest weiß man, was man an ihm hat. Als Cole Mitte Januar von einem Rivalen in flagranti mit dem vollbusigen Seite-drei-Model Keely Hazell erwischt, dafür verprügelt und aus dem Fenster geschmissen wurde, hielt der Verein zu ihm und verhängte keine Sanktionen. Cole war ja schon genug gestraft: Blutüberströmt und mit einem blauen Auge hatte er mitten in der Nacht ohne Schuhe und Hemd in ein Taxi flüchten müssen; sein Vater musste die Fahrt auslegen, denn das Portemonnaie hatte er auch noch verloren. Seine Verlobte Carla Zucker, eine Physiotherapeutin, fand die Geschichte nicht ganz so lustig wie die Öffentlichkeit. Aber auch sie hat ihm schließlich vergeben. Man kann Joey nicht lange böse sei, dafür ist er einfach zu sympathisch. Obwohl er sich an der Stamford Bridge sehr wohl fühlt, träumt er noch davon, eines Tages in der Primera División zu spielen. Vorsichtshalber hat er schon mal angefangen, Spanisch zu lernen. Barcelona und Madrid werden sich jedoch noch gedulden müssen. Joe Cole hat gerade erst angefangen, sein Versprechen zu erfüllen. So schnell gibt sich England nicht zufrieden. RUND 38 rund_038_039_PortraitIn 38 04.04.2006 18:43:09 Uhr AM BALL Stargast RUND 39 rund_038_039_PortraitIn 39 04.04.2006 18:43:09 Uhr rund_040_043_Lage_der_L.indd 40 05.04.2006 21:22:40 Uhr ZITAT DES MONATS DIESER SPIELER FEHLT MITARBEITER DES MONATS WAR SONST NOCH WAS? FANZUFRIEDENHEIT 1 2 3 4 5 FOTOS GERALD V. FORIS UND BENNE OCHS Was ist los beim Lieblingsklub, was bei der Konkurrenz? Unsere Experten haben allen 18 BUNDESLIGISTEN ganz genau auf die Füße geschaut und beantworten die Fragen, die den Fan bewegen DIE LAGE DER LIGA AM BALL Lage der Liga rund_040_043_Lage_der_L.indd 41 05.04.2006 21:22:46 Uhr fokussierte man sich umgehend auf die nationalen Gegebenheiten. Aber auch einem Bayern-Fan fällt es schwer, den gefühlten 150. Meistertitel oder den 90. DFBPokal-Sieg noch zu einem Ereignis werden zu lassen. Die internationale Pleite tut weh. Auch weil sie klar machte, wie weit man weg ist von den oberen zehn Teams in Europa. DETLEF DRESSLEIN 5 Fanzufriedenheit: Natürlich 4 War sonst noch was? Die seltsame, vermeintliche Sensationsmeldung der „tz“ um Bastian Schweinsteigers Verwicklung in einen Wettskandal irritierte nachhaltig. Hasan Salihamidzic. Der ideale Spieler: Links wie rechts, vorne wie hinten zu gebrauchen, loyal dem Verein ergeben, immer ein Quell des Frohsinns. Nach langer Verletzungszeit ist er jetzt wieder fit und zurück in der Mannschaft. 3 Mitarbeiter des Monats: Beispiel Dida, Stam, Nesta, Kaladze, Serginho, Pirlo, Vogel, Kaká (Rui Costa), Seedorf, Schewtschenko, Inzaghi (Gilardino). National reicht’s locker, international fehlen vier bis sechs Weltklassespieler, wie das jüngste 1:4 gegen oben genannte Herren offenbarte. Die sportliche Leitung observiert derzeit wieder Kandidaten für alle Positionen: Innenverteidigung, Mittelfeld offensiv, Mittelfeld defensiv und Sturm. Vier Klasseleute wolle er holen, sagt Hoeneß. 2 Dieser Spieler fehlt: Zum 1 Zitat des Monats: „Schlaflos.“ MSV-Chef Walter Hellmich auf die Frage, wie er die Nächte nach den Spielen verbringt. 1 Zitat des Monats: „Ich halte mich daran, die Realitäten abzuklopfen. Ronaldinho werden wir nicht kriegen.“ Felix Magath ist und bleibt auch auf der Suche nach Ballacks Nachfolger natürlich Pragmatiker. Jammertal. Immer wieder beschwören die durchaus kreativen Zebra-Fans mit aufwändigen Transparenten die glorreiche Vergangenheit und appellieren an die Ehre der Spieler. Zum Boykott diverser Fanklubs, die während der ersten zehn Spielminuten schwiegen, kam es zuletzt mehrfach. Gemerkt haben das die Profis allerdings auch nicht. ROLAND LEROI 5 Fanzufriedenheit: Es ist ein 4 War sonst noch was? Zumindest der Sommer ist gerettet. Damit in Duisburg keine schlechte Stimmung aufkommt, wurden Trainingsgelände und Arena kurzerhand an die italienische Nationalmannschaft vermietet. Boss Hellmich hatte ja 2005 angekündigt, bald internationales Flair beim MSV zu haben. Er meinte allerdings die Champions League. Uwe Schubert ist der einzige MSV-Trainer, der in diesen Monaten weiß, wie es ist, ein Sieger zu sein. Schubert betreut die A-Jugend und steigt sogar in die Nachwuchsbundesliga auf. Womit der MSV wenigstens ein erstklassiges Team hat. 3 Mitarbeiter des Monats: 2 Dieser Spieler fehlt: Dem Trainingsgelände in Meiderich Rasenheizung und Flutlicht. Das meinte zumindest Extrainer Kohler, der sich an bessere Bedingungen bei seinen Exklubs Bayern, Juventus Turin und Dortmund erinnerte. In Wahrheit fehlte dem MSV ein entsprechender Coach, um auf das Niveau der eben genannten Vereine zu kommen. MSV DUISBURG BAYERN MÜNCHEN schwäche macht den reiselustigen Fans immer mehr zu schaffen. Ob unter Ewald Lienen, Holger Fach, Dick Advocaat oder aktuell Horst Köppel: die Trainer wechseln, die Spieler auch, das Phänomen bleibt. Selbst unter Hans Meyer wurde nur attraktiver verloren. BERND SCHNEIDERS 5 Fanzufriedenheit: Die Auswärts- 4 War sonst noch was? In den USA hätte Kasper Bögelund Kasey Keller sicherlich auf Schadensersatz verklagt: Nach dem Sieg gegen Bielefeld hatte der US-Keeper in seiner Funktion als Zeremonienmeister der Feierlichkeiten vor der Nordkurve dem Dänen die Hose runtergezogen. In der Woche drauf schlug sich Bögelund prompt mit Problemen in der Gesäßmuskulatur herum. 3 Mitarbeiter des Monats: Muss gekauft werden! Immer wenn es mit einem Erfolg gegen einen vermeintlich stärkeren Gegner im Kampf um einen Uefa-Cup-Platz nicht klappte, hieß es von Horst Köppel: „Wir sind noch nicht so weit.“ Beim 0:3 in Kaiserslautern wiederholte es der verzweifelte Trainer, mit der Ergänzung: „Uns fehlt die Qualität.“ Wie gesagt: in Kaiserslautern. lautern probierte Horst Köppel die Viererkette im Mittelfeld aus. Der Versuch ging gerade wegen der Lücken in der Doppelabsicherung vor der Abwehr fürchterlich schief. Der Sechser fehlt nach wie vor, ein Dauerthema nach dem Weggang von Peter Nielsen. 2 Dieser Spieler fehlt: In Kaisers- 1 Zitat des Monats: „Ich bin nicht der Carpe-diem-Typ. Ich fahre lieber ein Leben lang E-Klasse als drei Jahre Ferrari.“ Torhüter Kasey Keller bleibt auf dem Boden. BORUSSIA MÖNCHENGLADBACH RUND 41 einem Puls von 160 „Zufriedenheit“ die richtige Vokabel ist? Mancher Fan muss wohl am Saisonende ins Sauerstoffzelt. So oder so. CHRISTOPH RUF 5 Fanzufriedenheit: Ob bei „Haasekessel“, das Restaurant im Schatten der Haupttribüne, gibt im Abstiegskampf Vollgas und beeindruckt Trainer Klopp: „Manchmal glaube ich, die würden auch nachts um drei in den Wald zum Pilze holen rennen, wenn ich die Mannschaft zum Essen ankündige.“ 4 War sonst noch was? Der 3 Mitarbeiter des Monats: Manuel Friedrich, wer sonst? Wurde als erster Mainzer überhaupt in den Nationalmannschaftskader berufen. Warum er dann nicht einmal beim Stand von 4:0 eingewechselt wurde, fragten sich in Dortmund vor allem die Journalisten, die es richtig fanden, dass Klinsmann auf Wörns verzichtete. Mohammed Zidan, der sich verletzt hat. Und das ausgerechnet auf dem Höhepunkt seiner bisherigen Entwicklung. Anfangs setzte Klopp ihn aufgrund taktischer Defizite auf die Bank. Ehe der Innenmeniskusriss seiner Sturm- und Drangphase ein Ende setzte, traf der Ägypter, wie er wollte. 2 Dieser Spieler fehlt: und Hahn spielen beide in der Ersten Liga.“ Ein vergiftetes Kompliment aus dem Munde der Marketingchefin des Flughafens Frankfurt-Hahn. Zur Erläuterung: Es handelt sich hierbei um ein Rollfeld mit angeschlossener Miniaturwellblechhalle dort, wo im Hunsrück der Hund begraben ist. 1 Zitat des Monats: „Mainz 05 FSV MAINZ 05 Zufriedenheit dürfte für die VfB-Fans in der Saison wohl ein Fremdwort bleiben, und man sehnt sich dem Ende entgegen. ELKE RUTSCHMANN 5 Fanzufriedenheit: Das Wort Angesichts der letzten Auftritte darf man berechtigt daran zweifeln, ob man sich von einem fünftplatzierten VfB so richtig guten Gewissens europäisch vertreten lassen möchte. Deshalb sollte sich auch Dauerkandidat Christoph Daum einen Wechsel gut überlegen. Bei weiteren Pleiten ist auch Rang sechs gefährdet. Dann wäre der VfB nicht einmal im UI-Cup vertreten, denn man hat nur für den ersten Platz gemeldet. 4 War sonst noch was? Markus Babbel. Der gebürtige Bayer ist wieder fester Bestandteil des Ensembles und darf sich noch Hoffnungen auf ein WM-Ticket machen. Hinkel und Hitzlsperger hingegen sind von akuter Streichung bedroht. 3 Mitarbeiter des Monats: 2 Dieser Spieler fehlt: Zunächst Martin Stranzl. Der Österreicher spielt jetzt bei Spartak Moskau und bescherte dem VfB rund 4,5 Millionen Euro. Davon kann der Verein ja einen Spieler verpflichten, der mal wieder das Tor trifft. Die Stuttgarter sind unter den Uefa-Cup-Aspiranten das torungefährlichste Team. von den Spielern gerne wissen, was wieder nicht gestimmt hat. War zu wenig Luft im Ball, war es zu warm oder zu kalt oder waren zu wenige Leute im Stadion?“ Sportdirektor Horst Heldt nach dem 0:2 gegen Leverkusen. 1 Zitat des Monats: „Ich möchte VFB STUTTGART weil man sich im Vereinsforum so schön die Köpfe heiß reden kann über Brdaric. Kostprobe: „Um meine persönliche Abneigung gegen diesen völlig überschätzten Angestellten des Vereins nicht ausarten zu lassen, halte ich ab sofort meine Klappe.“ Gegenkostprobe: „Er macht mehr Wind als die übrigen Offensivspieler zusammen und ist unverzichtbar.“ JÖRG MARWEDEL 5 Fanzufriedenheit: Hoch, 4 War sonst noch was? 96 schloss einen Vertrag mit Toni Schumacher. Wie das? Der frühere Nationaltorwart ist jetzt Mitinhaber der Firma b+d sports GmbH und soll „maßgeschneiderte Sponsoren-Konzepte“ für die Roten entwerfen. Der Fußballgott. In menschlicher Gestalt heißt er in Hannover Carsten Linke, war als Spieler ein 96-Idol und ist nach dreijähriger Managementlehre vom Assistenten der Geschäftsführung zum Sportmanager aufgestiegen. Linke will dafür sorgen, dass nur noch Profis mit Mannschaftsgeist kommen. 3 Mitarbeiter des Monats: 2 Dieser Spieler fehlt: Ein Thomas Brdaric, der auch mal die Klappe halten kann. Er würde sich viele Freunde damit machen in Mannschafts- und Fankreisen, aber das werden sie in Hannover wohl nicht mehr erleben. 1 Zitat des Monats: „Wenn ich nicht treffe, haben wir es schwer zu gewinnen.“ Thomas Brdaric will damit sagen: Ohne mich und meine Tore wäre Hannover 96 ein Abstiegskandidat, und meine Stürmerkollegen sind sowieso alle blind. HANNOVER 96 rund_040_043_Lage_der_L.indd 42 05.04.2006 21:22:48 Uhr 3:0 gegen Gladbach vorsichtig optimistisch in der Abstiegsfrage. Den Evergreen all derer, die nicht absteigen wollen – „Nie mehr Zweite Liga“ – wollten aber doch noch lange nicht alle auf der Tribüne mit Inbrunst singen. TOBIAS SCHÄCHTER 5 Fanzufriedenheit: Nach dem 4 War sonst noch was? Jancker, 31, tauchte gegen Gladbach erstmals in der Ära Wolf auf der Ersatzbank auf. Der FCK muss der Fußballwelt ja schließlich zeigen, dass der kahlköpfige Stürmer diesen Sport noch ausübt. Kaufmännisches Eigeninteresse nennt man das wohl. 3 Mitarbeiter des Monats: Torhüter Florian Fromlowitz. Der erst 19-jährige Torhüter vertritt den verletzten Jürgen Macho so souverän wie ein Veteran. Carsten Jancker der Bundesliga. Der Exvizeweltmeister mit der chronischen Allergie gegen das Toreschießen bot dem Verein jüngst noch ganz selbstlos an, mit in die Zweite Liga gehen zu wollen. Trainer Wolfgang Wolf hat darüber noch nicht einmal gelächelt. Jancker, Vertrag bis 2007, kann gehen. 2 Dieser Spieler fehlt: 5 Fanzufriedenheit: Thomas Breitkopf vom Fanclub „Vahraonen“ war sehr zufrieden. Er wurde zum „Fan des Jahres“ ernannt. Und was hat „Breiti“ nun davon? Eine Dauerkarte sowie eine lebensgroße Abbildung im Werder-Museum. SVEN BREMER auch wenn die Ansprüche offenbar ständig steigen. Pfiffe einiger Zuschauer schon nach sehr wenigen Fehlpässen hat es bisher im ehrwürdigen Parkstadion so gut wie nie gegeben. JÖRG STROHSCHEIN wurde Ferrari-Pilot Johan Micoud mit Tempo 135 geblitzt. Naldo und Tim Borowski gingen jetzt mit 136 Stundenkilometern in die Radarfalle. Allerdings völlig legal. Denn gemessen wurde auf dem Trainingsplatz. Und zwar die Schussgeschwindigkeit der beiden. Zweitbester Wert der Liga übrigens. 4 War sonst noch was? Unlängst Jens Höfer ist nicht nur Leiter der Vereins- und Amateurangelegenheiten – er ist auch für die Kids zuständig, die an der Hand der Profis ins Stadion einlaufen. Ein Flohzirkus ist nichts dagegen. Zuletzt war es besonders arg. Einer der Zwerge machte sich vor Aufregung in die Hose, einer musste sich übergeben und ein dritter sagte plötzlich: „Mit dem darf ich nicht auflaufen. Das hat mein Papa gesagt.“ Höfer bleibt stets cool und bringt die 22 Zwerge auf den Platz. Egal, was passiert. 3 Mitarbeiter des Monats: 5 Fanzufriedenheit: Alles bestens, 4 War sonst noch was? Frank Rost bleibt eisern. Zumindest was seine persönliche Öffentlichkeitsarbeit angeht. Die hat er bereits seit Dezember 2005 vollends eingestellt. Der Grund: Der 32-Jährige fühlte sich von der Presse einfach zu oft un- und missverstanden. Die Konsequenz: Kaum jemandem fällt es auf. Trainer Mirko Slomka scheint den richtigen Dreh gefunden zu haben, die Schalker Mannschaft, die oft als schwierig im Handling charakterisiert wird, auf ihre Ziele einzustimmen. Schon dafür gebührt ihm Anerkennung. Schließlich scheiterten schon einige Fußballlehrer an dieser Aufgabe. 3 Mitarbeiter des Monats: Rückrunde präsentieren sich die Schalker Spieler eigentlich alle in ansprechender Form. An dieser Stelle immer wieder Fabian Ernst zu nennen, der weiterhin nicht das alte Bremer Niveau erreicht, ist ja niemandem zuzumuten und wird langsam langweilig. 2 Dieser Spieler fehlt: In der vor einem weißen Schild. Und weil die ja auch weiße Trikots anhatten, habe ich den gar nicht gesehen.“ Tim Wiese nach dem verpatzten Abwurf zu einem Hannoveraner Gegenspieler. wir von der Hand in den Mund.“ Schalkes „Finanzminister“ Josef Schnusenberg zur aktuellen wirtschaftlichen Situation, die sich offenbar nur sehr langsam durch die Einnahmen aus den internationalen Wettbewerben zu bessern scheint. Schalke drückt weiterhin ein Schuldenberg von rund 90 Millionen Euro. 2 Dieser Spieler fehlt: Der ausgeliehene Stürmer Mohammed Zidan. Er trifft, wenn er gerade nicht verletzt ist, nicht nur bei Mainz 05, er spielt auch noch großartig. Während der K&K-Sturm derzeit auf Sparflamme läuft. 1 Zitat des Monats: „Der stand 1 Zitat des Monats: „Noch leben 1 Zitat des Monats: „Die Öffentlichkeit sucht ja immer nach Paradiesvögeln“, so der FCK-Vorstandsvorsitzende René C. Jäggi bei der Vorstellung seines Nachfolgers Erwin Göbel. Der FCK unterstrich mit der Inthronisierung Göbels, sich in diesem Punkt von den Medien aber rein gar nichts diktieren lassen zu wollen. Wenn der knochentrockene derzeitige Finanzvorstand Göbel ein Paradiesvogel ist, ist Rambo eine Plaudertasche. SV WERDER BREMEN FC SCHALKE 04 1. FC KAISERSLAUTERN AM BALL sind die Fans mit der Fifa. Zwar geht die Saison „im Wohnzimmer des deutschen Fußballs“ (Günter Netzer) bis zum 4. Juli, dem WM-Halbfinale, das vor allem wegen der Borussen-Fans in Dortmund stattfindet. Aber für die meisten Borussen heißt es dann „bitte draußen bleiben!“ – keine Karten. Das stiftet Unmut. OLAF SUNDERMEYER 5 Fanzufriedenheit: Unversöhnlich soll Jan Koller noch seine eigene Lücke füllen. Immerhin will er sich noch für die WM und für einen neuen Klub empfehlen. 4 War sonst noch was? Vorerst 3 Mitarbeiter des Monats: Für seinen Einsatz um den Fußballfrieden gebührt Sebastian Kehl diese Anerkennung. Sein gutes Comeback beim Heimspiel gegen die USA in der Nationalelf hat die Südtribüne mit dem Bundesklinsmann versöhnt. Stürmer, der sich langfristig binden will. Deshalb sind allerlei hochkarätige Kandidaten im Gespräch. Ebenfalls abgängig ist Strucks Parteikollege, der ehemalige Mittelstürmer Gerhard Schröder. Als er im besagten Stadion noch Wählerstimmen abstauben konnte, war er auch mal BVB-Fan und regelmäßig im Stadion. Seit Merkel ward er nicht mehr gesehen. 2 Dieser Spieler fehlt: Ein 1 Zitat des Monats: „Sehen Sie mir nach, dass ich mich an diesen neuen Namen nicht gewöhnen mag. Für mich bleibt das immer das Westfalenstadion.“ Peter Struck, Mitglied des BVB-Wirtschaftsrats und Fraktionsvorsitzender der SPD im Deutschen Bundestag, akzeptiert den neuen Stadionnamen nicht. BORUSSIA DORTMUND Lage der Liga Bielefelder ist bodenständig. Auch musikalisch ein Kämpfertyp. In Leverkusen spielen sie beim Eintritt der Fußballer die Star-WarsHymne. In Duisburg spielen sie „Gladiator“. In Bielefeld ist Pathos verpönt. Hier animieren kurz vor dem Spiel die grölenden Beastie Boys: „You gotta fight for your right – to party!“ ULI HARTMANN 5 Fanzufriedenheit: Der 4 War sonst noch was? „Dammi sagt Danke!“ Das Ende einer Karriere ist terminiert. Am 19. Mai spielt Detlev Dammeier letztmals. Dann trifft der 37-Jährige mit seiner Selektion „Dammi & Friends“ auf die Arminia. Ein Platz in Dammeiers Truppe wird bei Ebay versteigert. Für den guten Zweck. 3 Mitarbeiter des Monats: Roland Kentsch, Finanzchef der Arminia. Im Jahr 2005, dem 100. der Klubhistorie, hat der Verein 3,3 Millionen Euro verdient. Möglich machte das der Vorstoß ins Halbfinale des DFB-Pokals. „Was den Bayern die Champions League, ist für uns der Pokal“, sagt Kentsch. So lässt sich auch mit kleinen Brötchen Geld verdienen. jäger. Was, das hatten wir schon? Hat sich aber leider nicht geändert. Ladehemmung bei Zuma, Verletzung bei Boakye, und „König Artur“ Wichniarek hat so gut wie abgedankt. Thronfolger gesucht! 2 Dieser Spieler fehlt: Ein Tor- 1 Zitat des Monats: „Der Trainer, die Mannschaft und die gemeinsame Spielidee.“ Mit diesem Thema setzt Arminias Cotrainer Frank Geideck am 27. April im Hörsaal 16 der Uni Bielefeld die Vorlesungsreihe „Kopf-Ball“ fort. Was der Titel leider nicht verrät: Das könnte sogar spannend werden. ARMINIA BIELEFELD Unterschriftenjäger hoch. Das „Bayer-04-Autogrammkartenset“ in edel roter Box gibt es aktuell zum Sonderpreis: 3,90 Euro blanko, mit Namenskritzeleien 8,90. Pro Autogramm 40 Cent: ein Schnäppchen. BERND MÜLLENDER 5 Fanzufriedenheit: Für 4 War sonst noch was? Bei einer strategischen Ehe von Bayer & Schering kommt es nicht zu einem Fusionsligisten Bayering Berlin oder Scherer 06 Leverkusen. Aber: Statt eines Werksklubs spielt fortan, vielleicht doch noch im Uefa-Cup, eine Elefantenhochzeitsgesellschaft auf. Stadionsprecher Klaus Schenkmann stolpert weiter eifrig über fremdländische Spielernamen, was schon in der Champions League begeisterte und heute auch vor deutschen WM-Hoffnungen nicht halt macht: Bremens Patrick Owomoyela kündigte er fröhlich als Owomayala an, als handele es sich um eine süße Mischung aus Ovomaltine und Majala-Pudding. 3 Mitarbeiter des Monats: 2 Dieser Spieler fehlt: Eine Type wie Ansgar Brinkmann. Ein Zauberer mit solch spielentscheidender Flexibilität in den eigenen Reihen hätte womöglich Ärger und Investitionen erspart. Sie die Zeiten des Elf-FreundeImages. Fußball ist zu einem Geschäft geworden, das oftmals auch seine düsteren Seiten zeigt. Ich weiß das aus persönlicher Erfahrung.“ Bargeldjongleur Reiner Calmund in seinem – aus aktueller Sicht – höchst vergnüglichen Vorwort zum HanserFachbuch „Geld schießt Tore“. 1 Zitat des Monats: „Vergessen BAYER 04 LEVERKUSEN rund_040_043_Lage_der_L.indd 43 05.04.2006 21:22:51 Uhr Umbenennung der heimischen Arena in Easycredit-Stadion hat im Umfeld des einstigen SchuldenKrösus für Zoff gesorgt. Vor dem Heimspiel gegen Mainz am 1. April wollten die Ultras mit Club-Idol Max Morlock als Namensgeber kontern. Wenigstens ist der Stadionbetreiber mit seinem Vorschlag abgeblitzt, die langjährige Fahrstuhlmannschaft künftig in der Hochtief-Arena spielen zu lassen. WOLFGANG LAASS 5 Fanzufriedenheit: Die 4 War sonst noch was? Beim Oberligaspiel der Reserve gegen Quelle Fürth sorgte eigentlich nur die Rasenheizung für Spannung. Wegen einer undichten Abdeckung des Wärmespenders auf Höhe der Mittellinie fingen sich etliche Kicker kernige Stromschläge ein. Zum Glück ist nun Frühling. 3 Mitarbeiter des Monats: Eindeutig die Mannschaft, deren beeindruckender Zwischenspurt prima Voraussetzungen für den Klassenverbleib schuf. Unvergessen auch die „Elf des Tages“ im „Kicker“ vom 26. Spieltag, als nach dem 3:1 gegen Werder Bremen gleich fünf Nürnberger nominiert waren. Ob das Bayern schon mal geschafft hat? noch ein geeigneter Sturmpartner für Robert Vittek – am besten natürlich mit ähnlicher Trefferquote wie der Slowake im März. Seine acht Tore in vier Partien ließen selbst Landsmann Marek Mintal vor Neid erblassen. Heimniederlagen und Aus im Uefa-Pokal stehen die Anhänger zu ihrem Klub. Keine Pfiffe trotz schwacher Spiele und später Gegentore. Die Fans merken, dass sie jetzt mehr denn je gebraucht werden. FRANK HEIKE 5 Fanzufriedenheit: Trotz 4 War sonst noch was? Als Thimothee Atouba im Fernsehen erzählte, dass er als Jugendlicher fast verhungert wäre, weil die Familie in Kamerun so arm war, glaubte man zu verstehen, warum er sich inzwischen einfach nur des Lebens erfreut. Auf dem Spielfeld und daneben. Es kann nur einen geben – Benjamin Lauth. Der Stürmer hat in dieser Rubrik über die Monate so viel Prügel bezogen, dass einen nun jedes Tor, jeder gewonnene Zweikampf freut. Es bleibt ein Rätsel, warum er so lange versagte. Prima, dass die Dürre beendet ist. 3 Mitarbeiter des Monats: Torwart mit guten Paraden wie Robert Enke oder Roman Weidenfeller. Ob Wächter oder Kirschstein, der HSV hat die schwächsten Keeper unter den Topklubs. 2 Dieser Spieler fehlt: Ein solider 1 Zitat des Monats: „Oben zu bleiben ist schwieriger als hochzukommen.“ Sicher ist es eine Banalität, die Dietmar Beiersdorfer in einem langen Gespräch von sich gab. Deutlich wurde die Sorge des Sportchefs, ob der durchgestartete HSV dieses Niveau wird halten können. Die Serie darf kein Ausreißer nach oben bleiben: Der Weg soll dauerhaft in die Champions League führen. Beiersdorfer muss starke, neue Spieler finden, um den HSV in der deutschen Spitze zu etablieren. 1 Zitat des Monats: „Ich kenne keinen Trainer, der aus Scheiße Butter machen kann.“ Trainer Hans Meyer über sein Erfolgsgeheimnis, das seiner Meinung nach keines ist. 2 Dieser Spieler fehlt: Vielleicht HAMBURGER SV 1. FC NÜRNBERG ist arg gequält, weil sich andeutet, dass es mit dem Abstiegskampf, anders als gedacht, mal wieder bis zum Saisonende dauert. Das letzte Spiel gegen Gladbach ist übrigens ausverkauft – seit einem halben Jahr schon. Frankfurter wissen, wann Wunder zu geschehen haben. THOMAS KILCHENSTEIN 5 Fanzufriedenheit: Die Fanseele 4 War sonst noch was? Präsident Peter Fischer wurde 50 Jahre alt. Auf der Bühne vor etwa 300 geladenen Gästen verriet das Geburtstagskind, dass er und seine Frau Sabine zwar seit 17 Jahren verheiratet seien, aber trotzdem „noch Sex“ hätten – und das alles ohne die blauen Pillen. „Und, Baby“, sagte Fischer ins Mikrofon und alle hörten es, „es wird sich nichts ändern.“ Gut, dass wir das jetzt auch wissen. 3 Mitarbeiter des Monats: Friedhelm Funkel. Wenigstens er wird einfach nicht nervös. „Wir werden die Spiele gewinnen, die wir gewinnen müssen“, sagt er herrlich unaufgeregt. Das kennt man in Frankfurt gar nicht: Ruhe, Gelassenheit, Bescheidenheit. Angst vor dem Tor. Einer, der aus drei hundertprozentigen Chancen auch mal ein Tor macht. Einer, der mal auf den Ball tritt. Einer, der trotz einer 1:0-Führung nicht nervös wird. 2 Dieser Spieler fehlt: Einer ohne 1 Zitat des Monats: „Die sind meilenweit von der ersten Mannschaft entfernt.“ Heribert Bruchhagen über die Spieler Marco Russ und Daniyel Cimen, die er bei einem Oberligaspiel beobachtet hatte. Nur Tage später spielten beide in der ersten Mannschaft gegen die Kölner Lukas Podolski und Marco Streller in der Bundesliga. Und das ziemlich gut. EINTRACHT FRANKFURT RUND 43 Verantwortlichen Augenthaler und Fuchs propagierten lange, dass das Team immer „stabiler“ werde, dass die Leistung stimme – wofür es Argumente gab. Doch derweil rutschte der VfL immer näher an die Abstiegszone. Das Problem ist: Einen Zweitligisten VfL brauchen nur wenige Menschen. VW braucht ihn sicher nicht. PETER UNFRIED 5 Fanzufriedenheit: Na ja. Die Marian Hristov kehrt nach 15 monatiger Verletzungspause zurück und sagt (der „WAZ“): „Ich will mit Bulgarien Europameister 2008 werden.“ Uli Hoeneß testet die Currywurst im Wolfsburger Presseraum und sagt später: „Die liegt mir jetzt noch im Magen.“ 4 War sonst noch was? 3 Mitarbeiter des Monats: Juan Carlos Menseguez. Der argentinische Dribbler kam 2003 von River Plate und galt lange als einer, der es nicht schaffen wird. Nun ist er 22 und hat eine ordentliche Rückrunde gespielt. Arbeitet brav nach hinten, läuft sehr viel, kann sich gegen Kaliber wie Salihamidzic oder Atouba behaupten und durchsetzen. Als Kreativer aber oft zu sehr auf sich gestellt. Hat versprochen nachzusehen, ob sein Vertrag auch für die Zweite Liga gilt. überdurchschnittlicher offensiver Mittelfeldspieler, der Offensivzweikämpfe gewinnt und dadurch starre Spielsituationen aufbricht. Und ein dritter Spieler neben Klimowicz und Hanke, der verlässlich Tore schießen kann. 2 Dieser Spieler fehlt: Ein 1 Zitat des Monats: „Es stehen zwar zwei Tore auf dem Platz, aber das reicht nicht. Man muss auch welche schießen.“ VfL-Kapitän Kevin Hofland benennt den Kern des Rückrundenproblems. VFL WOLFSBURG 5 Fanzufriedenheit: Deprimiert, erschöpft und weiterhin dem Bock verfallen. Ein Journalist bezeichnete die Anhänger treffend als „resignierte Liebhaber“. DANIEL THEWELEIT 4 War sonst noch was? Richtig viele aufregende Spiele. Köln mag ja ein Absteiger sein, ginge es allerdings um den Unterhaltungswert, würde der Klub bestimmt nicht ganz unten stehen. Die Partien im Rheinenergiestadion waren oft viel ansehnlicher als das Gekicke der besser platzierten Nachbarn aus Gladbach oder Leverkusen. Die Fans, die Menschen der Stadt, die Journalisten. Trotz fast sicherem Abstieg und einer epochalen Serie ohne Heimsieg ist das Stadion immer voll, die gewohnten Hass- und Gewaltreaktionen bleiben aus, und selbst die Zeitungen fassen den FC sehr vorsichtig an. Am berüchtigten Umfeld liegt es diesmal nicht. 3 Mitarbeiter des Monats: kein einzelner Spieler, es fehlt Struktur in der Mannschaft. Die ist für die sportliche Leitung oft noch schwerer zu finden als gute Einzelkönner. In Köln ging das Zimmern eines Gerüsts aus Zwischenmenschlichem und spielerischer Harmonie gründlich daneben. Im Winter wiederholte man offenbar die Fehler des Sommers. Thema reden wir in der Spielzeit 2006/2007 mal wieder. PETER AHRENS 5 Fanzufriedenheit: Über dieses 4 War sonst noch was? Angreifer Marko Pantelic trifft jetzt auch auswärts. Zwei Wochen vor dem offiziellen Termin treten bei Hertha die ersten Osterwunder auf. Coach Falko Götz hatte eigenem Bekunden zufolge dem Serben zuvor „nahegelegt, auch auf fremdem Terrain mal ein Tor zu machen“ – und schon passierte es. Was hat Götz eigentlich all die Monate davor zu Pantelic gesagt? Präsident Bernd Schiphorst. Als es ganz schlimm um die Hertha stand und man selbst gegen den 1. FC Köln verloren hatte, hat der Boss – mutmaßlich nach einem Blick in die Vereinskasse – der Versuchung widerstanden, seine leitenden Angestellten Götz und Hoeneß mit hohen Abfindungen auszustatten. Der anschließende Lohn: drei Spiele ohne Niederlage in Serie. 3 Mitarbeiter des Monats: Hertha- 2 Dieser Spieler fehlt: Es sind immer noch zu viele, um einen veritablen Spitzenklub abzugeben. Zumindest fehlten zuletzt nicht mehr die Punkte. Demnach, was soll es? Schön zu spielen verlangt von diesem Team in der ablaufenden Saison sowieso niemand mehr. erst mal aufatmen.“ Ein Satz aus dem Schwarzbuch der deutschen Sportlerrhetorik. Aber Mittelfeldchef Yildiray Bastürk ist es damit immerhin gelungen, die gesamte Befindlichkeit rund um Hertha BSC im Frühling auf fünf schlanke Worte zu reduzieren. Dies zu vermögen ist schon beinahe Literatur. 2 Dieser Spieler fehlt: Es fehlt 1 Zitat des Monats: „Wir können haben keine Schulden, das ist der entscheidende Faktor“, sagt Wolfgang Overath. Genau wegen solcher Statements wurde Andreas Rettig von den Kölner Fans verachtet. Endlich einmal Kontinuität in Köln. HERTHA BSC BERLIN 1 Zitat des Monats: „Wir 1. FC KÖLN GEWINNSPIEL Wann fand die erste Live-Übertragung eines Fußballspiels im deutschen Fernsehen statt? Und wer hat da gegeneinander gespielt? ER SUP EHER NS FER ZU EN INN W GE Beantworten Sie die oben stehende Frage richtig, und mit etwas Glück gewinnen Sie einen großformatigen Xephia-42-Fernseher der Firma Grundig im Wert von über 2000 Euro. Er bietet beste Tonqualität, und mit einem 106-cm-Plasmatron-Plasma-Display erfüllt er auch höchste Ansprüche an Bildqualität. COUPON Bitte hier schneiden! (bitte einsenden an RUND, Leser-Service, 90327 Nürnberg) Antwort: Name: Vorname: Straße: PLZ/Ort: Telefon: Ich bin einverstanden, dass mir die Olympia-Verlag GmbH telefonisch weitere interessante Angebote macht (ggf. bitte streichen). Teilnahmebedingungen: Unter allen richtigen Einsendern entscheidet das Los. Die Gewinner werden schriftlich benachrichtigt. Eine Barablösung des Gewinns ist nicht möglich. Mitarbeiter des Olympia-Verlages und deren Angehörige dürfen an dem Gewinnspiel nicht teilnehmen. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. rund_044_045_Vorschalt.indd 44 04.04.2006 19:09:18 Uhr RUND Gleiche Höhe GLEICHE HÖHE Gleiche Höhe ist kein Abseits. Man ist weiter im Spiel. Auf Augenhöhe mit den Stars: „Wenn ich die Tore sehe, die ich gemacht habe, da habe ich nicht nachgedacht, nur geschossen. Und ein paar Monate ging alles rein – unglaublich“ RAFAEL VAN DER VAART 46 DER PROFI SPRICHT „Ich bin kein König, verstehen Sie?“ – Rafael van der Vaart ist ein Star, will aber keiner sein 52 TORWARTTAKTIK Der Kampf der letzten Männer – alle reden über Kahn und Lehmann, aber wer passt ins System? 56 WM-TRAINER „Es gibt viele Probleme im deutschen Lager“ – Japans Nationalcoach Zico über WM-Favoriten 60 HEIMSPIEL „Das haut dir den Kopf weg“ – Miroslav Klose ist fast so schnell wie sein Hobby: Rallye-Autos RUND 45 rund_044_045_Vorschalt.indd 45 04.04.2006 19:09:23 Uhr GLEICHE HÖHE Der Profi spricht „ICH BIN KEIN KÖNIG, V E R ST E H E N SIE?“ RAFAEL VAN DER VAART HAT IN WENIGEN MONATEN UND MIT ERST 23 JAHREN DAS GESCHAFFT, WAS VOR IHM NUR KEVIN KEEGAN GELUNGEN IST: DEM HAMBURGER SV STIL, GLANZ UND INTERNATIONALE KLASSE ZU VERLEIHEN. WAHRNEHMEN WILL DER MITTELFELDGENIUS DAS ALLERDINGS NICHT. IN BESTEM RUDI-CARRELL-DEUTSCH VERSUCHT ER SICH UND SEINE FÄHIGKEITEN KLEIN ZU REDEN INTERVIEW MALTE OBERSCHELP UND RAINER SCHÄFER, FOTOS DIRK MESSNER RUND 46 rund_046_051_Interview.indd 46 05.04.2006 19:33:35 Uhr GLEICHE HÖHE Der Profi spricht Ganz normal: Rafael van der Vaart will kein neuer Beckham sein RUND 47 rund_046_051_Interview.indd 47 05.04.2006 19:33:36 Uhr GLEICHE HÖHE Herr van der Vaart, Sie sind noch nicht lange in Hamburg, aber haben schon den gesamten HSV verändert, verleihen ihm Stil und Glanz. Wie kriegen Sie das hin? RAFAEL VAN DER VAART Ich habe hier immer ein gutes Gefühl gehabt. Bei Ajax hatte ich Probleme, ich habe nicht mehr so gut gespielt. Ich wollte etwas anderes, und da ist Hamburg gekommen. Für mich ist wichtig, dass im ganzen Verein sehr gute Leute arbeiten. Dann kann ich gut spielen. Ich allein kann nicht viel ausrichten, wenn ich in einer Gurkentruppe spiele. Sie weichen aus. Wir haben den Eindruck, dass Sie das gewisse Etwas sind, das dem HSV bislang gefehlt hat. Wissen Sie überhaupt, dass Sie besondere Fähigkeiten haben? Vielleicht, vielleicht. Darum bin ich auch nach Hamburg gekommen und habe lange mit dem Trainer gesprochen. Der hat gesagt, dass ich ein Spieler bin, den es in seiner Mannschaft noch nicht gibt. Da habe ich ihm gesagt: Natürlich will ich kommen. Man vergleicht Sie und Ihre Frau Sylvie gerne mit den Beckhams. Sie legen nicht viel Wert auf solche Vergleiche. Ich bin immer ganz normal gewesen. Ich habe eine Frau, die in Holland sehr bekannt ist und jetzt auch ein bisschen in Deutschland. Dass wir da zu den neuen Beckhams gemacht werden, ist normal. Aber ich will Fußball spielen und Spiele gewinnen. Es ist nicht so wichtig für mich, was andere Leute sagen. Sie wollen keine Privilegien wie Beckham haben? Natürlich will ich ein Führungsspieler sein. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass ich der Superstar bin. Ich bin nicht mehr wert als ein anderer Spieler. Wenn die anderen im Wald laufen, laufe ich auch im Wald. Ich bin kein König, verstehen Sie? Wie hat der Trainer Ihre Aufgaben im HSV definiert? Geben Sie dem Spiel den Rhythmus? Er möchte, dass ich hinter den Stürmern spiele, aber auch selbst torgefährlich bin und viele Vorlagen gebe. Aber vor allem hat Thomas Doll gesagt: Du kannst nach rechts gehen, nach links, du hast eine freie Rolle. Das ist für mich und mein Gefühl sehr wichtig. Mögen Sie es nicht, in einem Korsett zu spielen? Brauchen Sie Platz, um sich zu bewegen? Ja. Für mein Spiel ist es wichtig, dass ich im- Der Profi spricht mer etwas machen kann und wir nicht ständig stehen, die zwei Stürmer und ich dahinter. Wenn wir rochieren, ist es für unsere Gegner schwer zu verteidigen. Vom holländischen Fußball heißt es, dass die Spieler immer sehr auf ihre Positionen im System fi xiert sind. Hier wird anders gespielt, mit mehr Freiheit. In Holland gibt es diese Rolle nicht, die Marcelinho, Michael Ballack oder ich spielen. Da spielst du auf einer festen Position. Für mich ist das Spiel in Deutschland besser, seit ich mich daran gewöhnt habe, dass hier sehr viel gelaufen wird. Als ich herkam, sind wir erst mal nur gelaufen. Ich habe irgendwann gefragt: Machen wir noch was mit dem Ball? Ich hatte gar kein Gefühl mehr im Fuß. Beim HSV gibt es eine holländische Achse: Boulahrouz, de Jong, van der Vaart. Fast wie früher bei Milan. Ich hoffe, dass wir auch so viel erreichen. Die holländische Fraktion spielt gut, ist aber auch locker. Tut das dem HSV gut? Das ist immer wichtig. Man muss viel arbeiten im Training, aber in der Kabine geht es locker zu. Natürlich ist es nicht so, dass wir drei Holländer immer zusammen sind, wir öffnen uns und sprechen viel mit den anderen. Sie haben beim HSV viele Freiheiten auf dem Platz. Wie ist es in der Nationalmannschaft? Wir haben jetzt unter Marco van Basten etwas mehr Freiheit. Das ist viel besser. Aber das 4-3-3 in der holländischen Nationalmannschaft ist doch eine Glaubensfrage, die die ganze Nation bewegt. Nicht mehr. Die Leute sehen jetzt auch, dass 4-3-3 nicht immer gut ist. Jedes Spiel verläuft anders. Wenn der Gegner mit einem Stürmer spielt, wozu brauchst du da vier Verteidiger? Also setzt sich in Holland langsam die Erkenntnis durch, dass man verschiedene Systeme spielen können muss. Ja, man muss flexibel sein. Ajax hat gemerkt, dass sie mit ihrem 4-3-3 keinen guten Fußball mehr spielen, weil sie keine Rechts- und Linksaußen mehr haben. Die guten Flügelstürmer sind im Ausland, Ajax muss jetzt mit zwei Spitzen spielen. Eindhoven spielt auch 4-4-2. Hat 4-4-2 Vorteile? Beim HSV haben wir dadurch mehr Grip im Mittelfeld. Normal bist du da zu dritt. Von meinem Gefühl her ist das besser. Aber wenn Holland mit drei Stürmern spielt, mit Außenstürmern wie Arjen Robben, dann bekommt nicht nur Deutschland große Probleme. Bei der WM spielt die holländische Mannschaft also 4-3-3. Ja. Van Basten vertraut auf das 4-3-3. Aber wenn unser Spiel nicht läuft, probieren wir es anders. Mit zwei großen Stürmern und langen Bällen. Beschäftigen Sie sich viel mit Taktik? Nein. Es geht elf gegen elf, du musst gewinnen und ein schönes Spiel machen. Wie das läuft, ist mir egal. Ihre WM-Gruppe hat es in sich. Argentinien, Elfenbeinküste, Serbien und Montenegro. In Holland wurde bei der Auslosung viel über Lothar Matthäus geredet. Die Leute waren etwas sauer. Matthäus hat eine Kugel zurückgelegt und eine andere dafür genommen. ALS ICH HERKAM, SIND WIR ERST MAL NUR GELAUFEN. ICH HATTE GAR KEIN GEFÜHL MEHR IM FUSS Das macht er immer so. Die Nationalmannschaft hat immer Klassespieler, aber ist sie auch ein Klasseteam? Jetzt spielen wir gut zusammen. Ich habe das Gefühl, dass wir gute Spieler haben, aber auch Spieler für die Kraft, wie Boulahrouz. Eine gute Mischung, nicht nur Spieler, die alle nur am Ball gut sind. In der Vergangenheit gab es viele Probleme zwischen den Spielern aus den ehemaligen Kolonien und den Weißen. Läuft es jetzt besser, weil weniger Spieler von dort dabei sind? Das kann möglicherweise sein, aber damals war ich nicht dabei. Van Basten legt wenig Wert auf Egozentriker. Ich glaube, dass er danach guckt. Aber es ist nicht schwierig mit Kluivert, er ist ein sehr guter Typ. Auch Seedorf ist ein großer Spieler, er hat dreimal die Champions League gewonnen. Aber in der Nationalmannschaft geht es nicht zusammen. Warum, weiß ich nicht. Sie sind wichtig, weil Sie einer der wenigen Spielmacher sind, die dazu noch torgefährlich sind. Woher kommt das? Ich habe wohl eine Nase für das Tor. Das ist ein Gefühl für diese Position, das habe ich RUND 48 rund_046_051_Interview.indd 48 05.04.2006 19:33:43 Uhr GLEICHE HÖHE schon mein ganzes Leben gehabt. Das mag auch an der Ausbildung liegen. In Holland wird man ermutigt, etwas Besonderes mit dem Ball anzufangen: Hier ist ein Ball, spiele, mach ein paar schöne Tricks. Bei den Tricks sagen die deutschen Trainer, Sie sollen nicht zaubern. Das kann man später sagen. Wenn du in der ersten Mannschaft spielst, dann kannst du ein-, zweimal im Spiel einen Trick machen, nur nicht zu oft. Aber wenn du klein bist, lassen die Trainer dich machen. Waren Sie auch in der Jugend ein Gewinnertyp, der Spiele entscheiden konnte? Ja, ich konnte Spiele entscheiden, aber ich war nicht der Torkönig. Seit zwei, drei Jahren bin ich torgefährlicher geworden. Haben Sie schon immer im Mittelfeld gespielt? Früher war ich ein Stürmer. Als ich klein war, war Romario mein Vorbild. Ich wollte immer Tore schießen wie er. Was hat Ihnen an Romario so gefallen? Er war oft aus dem Spiel. Und dann gab es einen Moment, zack, und er macht das Tor. Wenn ich ihn mit Eindhoven im Fernsehen geschaut habe, war er mein Lieblingsspieler. Wegen Romario wollte ich Profi werden. 1994 bei der WM hat er gegen Holland getroffen, seitdem ist er nicht mehr Lieblingsspieler. Sie haben im UI-Cup ein fantastisches Tor mit geschlossenen Augen geschossen. Spüren Sie, wenn etwas Besonderes passiert? Das nicht. Aber du darfst auch nicht viel nachdenken. Wenn du das tust, ist es zum Schießen zu spät. Wenn ich die Tore sehe, die ich gemacht habe, da habe ich nicht nachgedacht – nur geschossen. Und ein paar Monate ging alles rein, unglaublich. Ich bekomme den Ball und weiß, da ist das Tor. Sie müssen nicht schauen, wo genau Sie hinschießen wollen? Ich habe das Gefühl, da ungefähr ist das Tor, dann schieße ich. Wenn der Ball den Fuß verlässt, spüre ich, ob der Schuss für ein Tor reicht oder nicht. Sie treffen oft aus der Distanz. Üben Sie das speziell? Freistöße trainiere ich, das gibt mir ein gutes Gefühl. Dann bin ich auch torgefährlicher aus 20 Metern. Wie kann man sich ein solches Ballgefühl antrainieren? Ich habe als kleines Kind mit meinem Vater trainiert, ich wohnte damals auf einem Cam- Der Profi spricht pingplatz. Wenn mein Vater von der Arbeit kam – er hat in einer Waagenfabrik gearbeitet – dann hat er immer zwei Flaschen Bier getrunken. Danach sind wir nach draußen gegangen und haben die beiden Flaschen aufgestellt, vielleicht 30 Meter entfernt. Dann habe ich versucht, die Flaschen umzuschießen. So habe ich das immer gemacht. Es hat mir offenbar geholfen. Ihr Vater war fußballinteressiert. Ja, er hat gut gespielt, aber er hatte nicht die Mentalität für einen großen Verein. Mein kleiner Bruder Fernando spielt auch auf einem hohen Niveau. Aber wenn du in einem professionellen Klub spielst, dann geht es nicht allein um Talent. Dann geht es auch um den Kopf: Ich will nicht mit den Freunden in die Diskothek gehen. Ist Ihnen das schwer gefallen? Nein, mir nicht. Ich wusste, das hat auch mein Vater immer wieder gesagt, dass ich so viel Talent habe, dass ich alles geben muss. Wo stehen Sie in Ihrer Entwicklung? Uli Hoeneß hält Sie für einen guten Spieler, aber Sie hätten noch kein internationales Format. Woran müssen Sie arbeiten? Vielleicht mein rechtes Bein, vielleicht muss ich meinen Körper etwas stärker machen. Aber ich stehe erst am Anfang meiner Karriere, ich bin 23. Ich glaube, wenn ich 26 bin, dann muss ich bei 100 Prozent sein. Aber Sie sind zufrieden, wie es bisher gelaufen ist. Natürlich! Ich bin 23, ich habe 35 Länderspiele mit sechs Toren gemacht, in Holland über 50 Tore, das ist ein Traum. Aber Zidane oder Ronaldinho, das sind Spieler, die sind so gut. Wollen Sie werden wie Zidane? Er ist mein Favorit. Wenn er spielt, sieht alles so einfach aus, das mag ich. Ist Deutschland die richtige Station zu einer Weltkarriere? In Holland waren viele überrascht, dass Sie nach Hamburg gegangen sind. Alle! Der HSV hat Ihnen auch die schönen Seiten Hamburgs gezeigt, um Sie zu überzeugen. Sie haben Sylvie die Stadt gezeigt, ich habe mir das Spiel gegen Gladbach angeschaut. Wenn die Leute in Holland Hamburg sagen, denken sie an eine regnerische Stadt. Aber als ich herkam, war es eine Superstadt. Ich habe mich sofort in unser Stadion verliebt. Und wer hat die Wohnung eingerichtet? Meine Frau guckt immer auf solche Sachen, dass die Decken hoch genug sind, damit unsere Schränke reinpassen. Dazu habe ich keine Lust. Ich habe gesagt, mach es ein bisschen schön, mit einem guten Fernseher. Das ist wichtig für mich, um Fußballspiele gucken zu können. Meine Frau ist mehr zu Hause als ich, sie muss sich wohl fühlen. Ihre Mutter ist Spanierin. Können Sie sich vorstellen, dort zu spielen? Einmal in Spanien Fußball zu spielen ist ein Traum von mir. Aber dann würde ich nur in eine Topmannschaft wollen. Aber ich will hier alles für den HSV geben. Sprechen Sie Spanisch? Ich verstehe ganz viel, sprechen tue ich nicht so viel. Als ich klein war, konnte ich es besser. Aber wenn man zwei Monate da ist, geht es wieder. Meine Familie wohnt noch da, Großvater, Großmutter, in der Nähe von Cádiz. Wir fahren jedes Jahr dahin. DU DARFST BEIM SCHIESSEN NICHT NACHDENKEN. WENN DU DAS TUST, IST ES SCHON ZU SPÄT Holland ist überall für Toleranz und Liberalität bekannt. Wie kommt es da, dass es im Fußball unter den Fans einen Hass gibt, den man anderswo nicht kennt? Ich weiß es nicht. Ist das in Deutschland nicht so schlimm? Nein. Niemand macht ein Transparent oder initiiert einen Sprechchor, weil Sebastian Deisler in psychiatrischer Behandlung war. Oder ruft „Judenklub“. Das mag ich an Deutschland. Aber in Holland ist es anders. Ich habe schon gespielt, und das ganze Stadion hat gerufen, dass Sylvie eine Hure ist. Da frage ich mich: Was ist hier los? Holland hat viele gute Seiten. Aber der Fußball bringt etwas Negatives in die Leute. Wenn Feyenoord gegen Ajax spielt, dann ist überall Polizei, Helikopter, das ist kein Fußballspiel mehr. Man denkt fast, dass die Leute zum Kämpfen ins Stadion gehen. RUND 49 rund_046_051_Interview.indd 49 05.04.2006 19:33:44 Uhr GLEICHE HÖHE Der Profi spricht Aber woran liegt das? Die verschiedenen Kulturen leben in Holland doch ganz gut zusammen. In Deutschland kann man eher ein Star sein. Ballack ist der große Star. Niemand sagt, er sei arrogant. Wenn du bei uns in Holland zu gut bist, dann fangen die Leute an zu reden. Das wollen sie nicht. Sie wollen, dass du normal bist. Ich bin normal, Seedorf ist normal. Aber die Leute wissen das nicht, sie kennen uns Spieler nicht. WENN DU IN HOLLAND EIN STAR BIST, DANN REDEN DIE LEUTE. SIE WOLLEN, DASS DU NORMAL BIST Sie sind auf dem Platz manchmal ein Hitzkopf, es gab auch schon eine rote Karte. Was muss man tun, um Sie zu reizen? Gegen uns gewinnen! Wenn ich verliere, dann bin ich richtig böse. Aber nur auf dem Platz. Wenn ich danach nach Hause komme, ist es wieder vorbei. Eine Stunde nach dem Spiel bin ich wieder normal. Sie brauchen ein ruhiges Umfeld. Ohne Ihre Frau, sagen Sie, können Sie nicht ruhig Fußball spielen. Meine Frau ist wichtig. Ich kann mit Sylvie gut über alles sprechen. Wenn zu Hause alles gut läuft und stabil ist, kann ich optimal Fußball spielen. Sie werden im Juni Vater. Es wird ein Junge. Sind Sie auch bei der Schwangerschaftsgymnastik, um richtig atmen zu lernen? Dafür habe ich nicht genug Zeit. Ich hoffe, das Baby kommt noch vor der WM, sonst kann es schwierig sein, bei der Geburt dabei zu sein. Ich möchte unbedingt dabei sein. Sylvie hat aber schon gesagt: Wenn ein wichtiges Spiel ist, dann musst du spielen, Rafael. Verliebt ins Stadion: Rafael van der Vaart in der AOL Arena Rafael van der Vaart wurde am 11. Februar 1983 im holländischen Heemskerk geboren. Mit zehn Jahren trat er in die Jugendabteilung von Ajax Amsterdam ein. Bei den Profis debütierte van der Vaart als 17-Jähriger und schoss bis zu seinem Wechsel zum HSV in 117 Erstligaspielen 52 Tore für den Klub. Mit 18 Jahren war er Nationalspieler und hat bis Ende März 2006 sechsmal in 35 Einsätzen getroffen. Seit dieser Saison spielt van der Vaart in Hamburg und wurde sofort Leistungsträger. In der Meisterschaft erzielte er sieben Tore in 17 Spielen, in UI- und Uefa-Cup ebenfalls sieben Tore. Mit Ehefrau Sylvie, die in den Niederlanden als Fotomodell und MTV-Moderatorin arbeitete, lebt van der Vaart in Hamburg-Eppendorf. RUND 50 rund_046_051_Interview.indd 50 05.04.2006 19:33:45 Uhr GLEICHE HÖHE Torwarttaktik „Block Zement mit Charisma“: Oliver Kahn Spitzname Mad Jens: Nummer eins Lehmann DER KAMPF DER LETZTEN MÄNNER VON MALTE OBERSCHELP, FOTOS GETTY, IMAGO, DPA, AP RUND 52 rund_052_055_Taktik_Rep.indd 52 10.04.2006 12:51:37 Uhr GLEICHE HÖHE Torwarttaktik Die Entscheidung ist gefallen: Jens Lehmann steht bei der Weltmeisterschaft im deutschen Tor. Damit findet eine monatelange Diskussion ihr Ende, in der es um alles ging, nur nicht um eines: Welcher TORHÜTER eigentlich am besten in das Spielsystem von Jürgen Klinsmann passt Eine schwierige Entscheidung. Die Weltmeisterschaft in Deutschland steht vor der Tür, und das ganze Land rätselt, wer im Tor der Nationalelf stehen wird. Die Mehrheit ist für den langjährigen Stammkeeper, dessen große Taten der Vergangenheit allen noch im Gedächtnis sind. Sein Konkurrent besitzt weniger Fürsprecher, aber auch er bekommt seine Spiele. Je näher die WM rückt, desto mehr nimmt die Nominierung Züge einer Staatsaffäre an. Doch am Ende entscheidet sich der Trainer für keinen der Kandidaten: Bei der WM 1974 stellte Rinus Michels einen Keeper ins Tor der Niederländer, dessen einziges Länderspiel zwölf Jahre zurücklag – Jan Jongbloed. 1974 bescherte Rinus Michels der Welt den totalen Fußball. Die Abwehr spielte auf einer Linie und rückte geschlossen vor, wann immer die Spielsituation es erlaubte, um die gegnerischen Stürmer abseits zu stellen und die Räume eng zu machen. Genau wie Klinsmann es mit dem deutschen Nationalteam vorschwebt – auch wenn das beim 1:4 gegen Italien glorreich danebenging. Für dieses System wollte Michels einen Torhüter, der Fußball spielen konnte und nicht vor der Welt außerhalb des Strafraums zurückschreckte. Nur hatten die etatmäßigen Keeper Jan van Beveren und Piet Schrijvers ihre Stärken auf der Linie. Genau wie Oliver Kahn. „Das System von Bayern München braucht einen anderen Torhüter als das System von Ajax Amsterdam und vom FC Barcelona – oder als das der deutschen Nationalmannschaft“ FRANS HOEK Was das mit der deutschen Torhüterdiskussion zu tun hat? Einiges, zum Beispiel, dass es nicht selten vorkommt, die Nummer eins erst kurz vor dem Turnier zu nominieren. Oder auch, dass die Debatte mit der viel beschworenen Wahrheit auf dem Platz kaum etwas zu tun hatte. Denn die Deutschen stritten über ihre letzten Männer, als müssten diese die WM im Alleingang gewinnen, als wäre Fußball kein Mannschaftssport. Alle redeten von Kahn oder Lehmann. Aber keiner fragte, welcher Torwart am besten in das System passt, das Klinsmann spielen lassen will. „Michels hat damals unglaublich viel Kritik einstecken müssen“, sagt der holländische Torwarttrainer Frans Hoek. „Aber am Ende hat er Recht gehabt, weil Jongbloed im gesamten Raum zwischen Tor und Abwehr verteidigt hat.“ Hoek ist Fachmann für das Zusammenspiel von Torhüter und Taktik. 1985 holte ihn Johan Cruyff, der Jongbloeds Nominierung als Spieler entscheidend unterstützt hatte, zu seiner ersten Trainerstation Ajax Amsterdam. Hoek erstellte ein Profil, was für einen Keeper Cruyff wollte, und stellte das Training um. Eines der Ergebnisse ist Edwin van der Sar, den Hoek jahrelang betreute. „Der könnte bei fast jedem Bundesligisten Libero spielen“, staunte einst Trainer Klaus Toppmöller nach einem Uefa-Cup-Spiel gegen Ajax. Fragt man ihn nach Klinsmanns Votum für Lehmann, hat auch Frans Hoek eine Meinung. „Wenn Klinsmann die Abwehr nach vorne rücken lässt, benötigt er einen anderen Torhüter als Oliver Kahn“, bestätigt er. „Mit der Abwehr nahe am Tor ist er einer der besten der Welt, aber wenn die Viererkette die Räume eng macht, ist das nicht seine Stärke.“ Oliver Kahn war 23, als 1992 die Rückpassregel eingeführt wurde. Sein Spiel hat er danach nicht mehr grundsätzlich verändert. Selbst wenn er nach einem Rückpass einen zurückgelaufenen Außenverteidiger anspielen könnte, drischt Kahn den Ball meistens blindlings nach vorne. Dann entscheidet nur der Zufall, wer in Ballbesitz bleibt. „Reaktionstorhüter“ nennt Frans Hoek diese Sorte Keeper: exzellent auf der Linie, willensstark, physisch beeindruckend, aber fußballerisch limitiert und mit durchschnittlichem Stellungsspiel bei Steilpässen in den Rücken der Abwehr. Das Gegenstück heißt Antizipationskeeper, Prototyp: Edwin van der Sar. Das Begriffspaar entwickelte Hoek, als er mit Louis van Gaal nach Barcelona ging und sich wunderte, warum anerkannte Torleute wie Vítor Baía und Robert Enke nicht mit der Spielweise der Mannschaft klar kamen. Daraus gelernt hat er, dass jeder Trainer die Konsequenzen kennen muss, die ein Torhüter für das Spielsystem hat. „Das System von Bayern braucht RUND 53 rund_052_055_Taktik_Rep.indd 53 10.04.2006 12:51:44 Uhr GLEICHE HÖHE Torwarttaktik RADENKOVIC TAUGTE HIER ZU LANDE NUR ZUR WITZFIGUR, NICHT ALS GEGENENTWURF einen anderen Torwart als das System von Ajax und Barcelona – oder das der deutschen Nationalelf.“ Aber welcher Torhüter passt denn ins System Klinsmann? Jens Lehmann gilt als fußballerisch passabel, häufiger als Oliver Kahn wandelt er Rückpässe in Spieleröffnung um. Seit 2003 läuft er bei Arsenal London nahezu genau so wie in der Nationalelf auf. Taktisch ist er individuell schon weiter als die Mannschaft als Kollektiv. Allerdings erlebte auch die neue Nummer eins entscheidende Ausbildungsjahre in der Zeit vor der Rückpassregel. Bei den Arsenal-Fans hat Lehmann wegen teils bizarrer Ausflüge aus dem Strafraum den Spitznamen Mad Jens weg. Seinen folgenschwersten Fehler, der 2004 gegen Chelsea zum Ausscheiden in der Champions League führte, beging er bei einem Rückpass. „Wenn Jürgen Klinsmann die Abwehr nach vorn rücken lassen will, braucht er einen anderen Torwart als Oliver Kahn“ FRANS HOEK „Er antizipiert etwas besser als Kahn, aber viel weniger als zum Beispiel van der Sar“, urteilt Frans Hoek. „Kahn ist zu 100 Prozent Reaktionstorhüter, Lehmann zu 80 Prozent.“ Der holländische Torwarttrainer hielte daher Timo Hildebrand für die optimale Lösung. „Er kann beides, deshalb hat er im Spiel viele Möglichkeiten.“ Das Idealbild eines Antizipationstorhüters, wie Hoek es im Fachmagazin „Soccer Coaching International“ beschrieben hat, könnte Hildebrand sein: weniger muskulös, weniger lautstark, aber geduldig in Einsgegen-eins-Situationen und mit sehr guten Fähigkeiten, das Spiel im Raum zu lesen. Doch Hildebrands Zeit wird erst bei der nächsten WM kommen. Jürgen Klinsmann hat sich für Jens Lehmann entschieden, und das durchaus konsequent – schließlich hatte der Bundestrainer schon im Fall Christian Wörns bewiesen, dass seine neue Art Fußball zu spielen nicht vor alten Namen Halt macht. „Wir sind überzeugt, dass Lehmann besser zu unserer Spielphilosophie passt“, begründete Torwarttrainer Andreas Köpke. Dabei scheute Klinsmann auch nicht den öffentlichen Druck. Denn die Deutschen pflegen ein besonderes Verhältnis zu ihren Nationalkeepern. Viele Fans und das Gros der Medien empfanden es als Majestätsbeleidigung, Kahn überhaupt einem Wettbewerb auszusetzen. Wobei es für den tragischen Helden der WM 2002 durchaus Argumente gab, denn natürlich hängt die Wahl des Torhüters nicht nur vom System ab: Er muss erfahren sein. Die Abwehrspieler müssen das Gefühl haben, einen Fehler machen zu können. Und die Gegner müssen Respekt haben. Mit „einem Block Zement mit großem Charisma“ vergleicht Frans Hoek den typischen Reaktionstorhüter. Viel- leicht ist das der Grund, warum in einer Umfrage des „Kicker“ die Mehrheit der Bundesligaprofis bei der WM Oliver Kahn im Tor sehen wollte – aber die gleiche Mehrheit Robert Enke für den besten Keeper hält. „Robert ist ein hervorragender Torwart, aber auch mehr der Typ Reaktion“, sagt Hoek über seinen ehemaligen Spieler. „Das Problem bei Barcelona war: Wenn du 25 bist, ist es schwer, noch die Antizipation zu lernen – obwohl er da bereits besser ist als Kahn und Lehmann.“ Vermutlich hätte Sepp Maier bei Gerd Müllers 2:1 im Endspiel 1974 besser reagiert als Jan Jongbloed, der einfach stehen blieb. Oliver Kahn hätte den Ball vielleicht gehalten, dafür aber in der zweiten Halbzeit alt ausgesehen. „Kopfballabwehr eines Torhüters in einem WM-Finale“, staunte da TV-Kommentator Rudi Michel. Später ernannte er Jongbloed zum „Weltmeister im Herauslaufen“. Die Deutschen halten es eher mit den Helden auf der Linie. Die holländische Spielauffassung nivelliert die Unterschiede zwischen Torhüter und Feldspieler, die deutsche hingegen überhöht die Nummer eins zum Turm in der Schlacht – von Toni Turek Fußballgott bis King Kahn. Ein Radi Radenkovic taugte da nur zur Witzfigur, nicht zum Gegenentwurf. Dass Jürgen Klinsmann durch die Nominierung Jens Lehmanns mit dieser Tradition zu brechen beginnt, tut dem deutschen Fußball gut. Denn wer eine Mannschaft neu ausrichten will, muss ganz hinten damit anfangen. RUND 54 rund_052_055_Taktik_Rep.indd 54 10.04.2006 12:51:45 Uhr GLEICHE HÖHE Torwarttaktik Stark in der Antizipation: Timo Hildebrand Für die Kollegen der Beste: Robert Enke RUND 55 rund_052_055_Taktik_Rep.indd 55 10.04.2006 12:51:45 Uhr GLEICHE HÖHE WM-Trainer „Stark sein“: Zico und das japanische Team RUND 56 rund_056_059_WM_Intervi.indd 56 05.04.2006 19:42:14 Uhr GLEICHE HÖHE WM-Trainer e: -Seri D -WM wir einen N U Die R at bitten m Mon ch zu d Je en ationalcoa erview N Int siven exklu „ES GIBT VIELE PROBLEME IM DEUTSCHEN LAGER“ DER SPIELER ZICO IST EINE LEGENDE. ALS TRAINER DER JAPANISCHEN NATIONALELF KEHRT ER NUN ZUR WM 2006 AUF DIE GROSSE FUSSBALLBÜHNE ZURÜCK. UND MUSS AUSGERECHNET GEGEN SEIN HEIMATLAND BRASILIEN ANTRETEN. DER 53-JÄHRIGE ÜBER WM-FAVORITEN, DEN STOLZ DER DEUTSCHEN UND WARUM ER NIE BRASILIEN TRAINIEREN KÖNNTE INTERVIEW RICARDO SETYON, COLLAGE SONJA KÖRDEL, FOTOS DPA, IMAGO, PIXATHLON Senhor Zico, Sie haben mal gesagt, dass Sie nie Trainer werden wollten. Warum haben Sie Ihre Meinung geändert? ZICO Wegen meiner Beziehung zu Japan, die eine ganz besondere ist. Ich werde dort wie ein Star behandelt. Mehr, weit mehr als in Brasilien. Mein Spitzname in Japan lautet Kamisama, was Fußballgott bedeutet. All das hat meine Entscheidung, den Job weiterzumachen, stark beeinflusst. Ich werde als eine Art Erlöser gesehen. Wo immer ich auftauche, machen die Leute Fotos mit mir, die sie auf ihren Handys oder zu Hause aufbewahren, als wäre ich ein Rockstar. Obwohl Sie nicht Japanisch sprechen? Kein Japanisch. Und bevor ich herkam, war auch mein Englisch lausig. Es ist immer noch nicht so gut, wie ich es gerne hätte, aber inzwischen kann ich ausdrücken, was ich sagen möchte. Aber hier in Japan braucht jeder Trainer, überhaupt jeder Ausländer auf einem wichtigen Posten, einen Übersetzer. Ich habe einen, der mir manchmal näher ist als meine Frau. Er ist meine rechte Hand, und da ich nicht möchte, dass er seinen Job verliert, lerne ich kein Japanisch. Wenn die Leute schnell sprechen, verstehe ich gar nichts. Wenn sie langsam sprechen, begreife ich, was gemeint ist. Das habe ich gelernt, als ich nach Japan kam. Aber mit dem Alter werde ich wohl ein wenig faul, was manche Dinge angeht. Sprache ist so ein Problem, doch wir sorgen dafür, dass es auch ohne sie funktioniert. Und glauben Sie mir: Wenn mich meine Spieler hören oder sehen, wissen sie, was ich will. Was wollen Sie denn? Sehen Sie, ich war über 25 Jahre lang Spieler. Und als Trainer kann ich jetzt diese fast drei Jahre in Kashima und drei Jahre als Nationaltrainer vorweisen. Ich versuche, so offen und demokratisch wie möglich zu sein. Ich verhalte mich immer so, wie ich auch möchte, dass sich die Leute mir und meiner Familie gegenüber verhalten. Das Problem ist, dass man wegen der kulturellen Unterschiede kein sofortiges Verständnis erwarten kann. In Tokio waren die Nationalpieler nicht an einen so aufgeschlossenen und demokratischen Trainer gewöhnt. Zu Beginn der WM-Qualifikation hatten wir einige ernste Probleme, als acht Spieler während der Vorbereitung auf ein Spiel beschlossen, nachts auszugehen. Danach habe ich sie nicht mehr für die Nationalmannschaft nominiert. Es war mir egal, ob sie Stars waren oder nicht. Das hat keinem gefallen, den Medien nicht, den Verbandsmanagern nicht und den Spielern erst recht nicht. Aber ich habe ihnen gesagt, dass Demokratie Respekt bedeutet. Es geht nicht darum, dass sie ausgehen und trinken oder Frauen treffen. Das ist ihr Problem. Mein Problem ist, dass sie begreifen müssen, dass wir als Trainer Verantwortung haben und dass sie uns informieren müssen, wenn sie ausgehen. Danach gab es ein besseres Gefühl, was das Demokratische angeht, und ich gehe sogar mit ihnen aus, wenn mir danach ist. Carlos Alberto Parreira wird die brasilianische Nationalmannschaft nach der WM verlassen. Viele sehen Sie schon als den nächsten Trainer. Es hört sich verrückt an, aber ich würde diesen Posten wirklich niemals übernehmen. Ich verlasse Japan auch nach der WM, mein Vertrag läuft aus. Aber sobald man den europäischen Markt kennt und an einem ernsthaften und organisierten Ort wie Japan arbeitet, beginnt man auch, über andere Optionen nachzudenken. Und Europa ist definitiv eine Option, die ich ernsthaft in Erwägung ziehe. Ein Verein in Europa, das hört sich für mich nach einer gewissen Fortführung an. Wenn ich in Europa nichts finde, werde ich zurück zu meiner Familie nach Brasilien gehen und vielleicht die Mannschaft meines Vereins Clube de Futebol Zico trainieren. Ich will das Team in die oberste Liga Brasiliens bringen. Das ist mein Traum als Trainer – natürlich nachdem ich eine Weltmeisterschaft gewonnen habe. Wer sind Ihre Favoriten auf den Titel? Für mich ist klarer denn je, dass eine Weltmeisterschaft keine Meisterschaft ist, sondern ein Rennen, bei dem nicht immer der Beste gewinnt. Es ist ein kurzes und sehr emotionales Turnier unter großem Druck. Jeder kann jederzeit alles Mögliche tun. Ich habe bei drei Weltmeisterschaften gespielt, Brasilien war immer die beste Mannschaft, ich war, wie es hieß, der beste Spieler der Welt, doch ich habe niemals eine WM gewonnen. Daran sieht man: Selbst wenn es Favoriten auf den Titel gibt, sollten sie aufpassen, da die so genannten kleineren Mannschaften sie überraschen können. Einige Teams schlafen seit der Auslosung nicht mehr so entspannt wie vorher, schätze ich. Der Fußball verändert sich sehr schnell, und die großen Fußballnationen sind einfach nur Favoriten. Favorit zu sein heißt aber nicht gleich, Spiele auch zu gewinnen. Sind Brasilien, Argentinien, England und Deutschland für Sie keine Mannschaften mit größeren Chancen? Brasilien steht über allen und jedem. In dieser Mannschaft spielen so viele fantastische Spieler wie seit Jahren nicht mehr, aber diese Favoritenrolle wird ihnen wie eine 200 Kilo schwere Eisenkugel an den Füßen hängen. Dennoch stehen sie eine Stufe über allen anderen und sind meine Favoriten auf den Titel. Wenn ich die Karte des modernen Fußballs richtig lese, zeigen die Niederlande derzeit den effizientesten und intelligentesten Fußball der Welt. Ich kann auch nicht verhehlen, dass ich das Spiel der Tschechischen Republik bei der EM 2004 sehr aufregend fand. Brillant. Und sie haben die richtigen Spieler, um manch einen zu schockieren. Mexiko ist stark und hat Persönlichkeiten. Ich glaube, dass diese Weltmeisterschaft ein Krieg ist, RUND 57 rund_056_059_WM_Intervi.indd 57 05.04.2006 19:42:36 Uhr GLEICHE HÖHE WM-Trainer „ES SIND STARKE UND GEMISCHTE GEFÜHLE, MIT JAPAN GEGEN DAS EIGENE LAND ZU SPIELEN“ und Argentinien hat die richtigen Spieler, um es im Krieg weit zu bringen. Ich glaube zwar nicht, dass England, Italien, Deutschland und Frankreich viel ausrichten können, aber in der Gruppenphase wird es Überraschungen geben. Und ich weiß, dass Japan großartige, positive Ergebnisse erzielen wird. Ihre Mannschaft tritt in der Vorrunde gegen Australien, Kroatien und Brasilien an. Der Begriff Globalisierung ist heute sehr in Mode, auch im Fußball. Die WM in Deutschland wird die erste überhaupt sein, in dem es dieses extreme Gleichgewicht zwischen den Formen, wie die meisten qualifizierten Teams Fußball spielen, gibt. In meiner Gruppe wird dies noch klarer als in jeder anderen. Zweifelsohne ist Brasilien der Favorit auf den ersten Platz. Was aber den zweiten Platz angeht, werden viele über den heftigen Kampf überrascht sein. Mein Plan ist es, mit Japan diesen Platz zu erreichen. Wir wollen einen Sieg gegen Australien und ein Unentschieden gegen Kroatien, um entspannt gegen Brasilien antreten zu können. Und ich glaube, dass wir auch gegen Brasilien einen Punkt schaffen können. Das ist natürlich ein besonderes Spiel für Sie. Brasilien gegen Japan – als ich sah, wie Lothar Matthäus bei der Auslosung diesen kleinen Ball in seine Hände nahm und plötzlich klar war, dass wir mit Brasilien in einer Gruppe sind, sahen viele eine Art von Lächeln in meinem Gesicht. Das war aber kein Lächeln. Es war der Moment, in dem mir bewusst wurde, wie stark ich sein muss, weil ich bei einer WM gegen mein Heimatland spiele. Ich habe mich gefragt, wie es mich, meine Freunde, meine Familie, meine Arbeit beeinflussen wird. Es sind starke und gemischte Gefühle. Im Juli 2005 sind wir Brasilien schon einmal beim Confederations Cup in Deutschland begegnet. Die Medien sind weltweit verrückt geworden; sie haben jeden in meinem Umfeld dazu befragt, sogar meine drei Söhne. Brasilien hatte es schwer gegen uns. Bei der WM werde ich meinen Spielern zeigen, dass sie es schaffen können, das großartige Brasilien zu schlagen. Viele fragen sich, was Sie mit diesem japanischen Team anstellen, das sich als erste Elf für die WM qualifiziert hat, das den Asien-Cup so deutlich wie noch nie gewonnen hat und das zu den besten 20 Mannschaften der Welt gehört. Haben die Japaner plötzlich gelernt, auf Weltniveau zu spielen? Japaner haben ein großes Problem: Sie glauben nicht an sich. Und dann gibt es noch kleinere Probleme wie die Tatsache, dass sie sich der Verantwortung nicht stellen, dass sie Konfrontationen aus dem Weg gehen. Sie sind sehr theoretisch und sehen oft die Alternativen nicht. Aber wenn sie all dies überwinden, kann Japan ein Gigant mit dem Ball vor den Füßen sein, das sage ich Ihnen. Sie haben nach viel Schweiß und Arbeit verstanden, dass sie sich nicht an der europäischen Spielweise orientieren, sondern von den Südamerikanern lernen sollten. Ob es nun um den Körperbau oder ihren technischen Stil geht: Sie sind definitiv nicht europäisch. Wir arbeiten mit ihnen an Dingen, an denen kein anderes Land arbeitet, zumindest keines derjenigen, die bei der Weltmeisterschaft sein werden. Sie sind darauf trainiert, mit dem Schiedsrichter zu sprechen, sich nicht vor hässlichen Gesichtern oder dem rauen Stil einiger Gegner zu fürchten. Sie haben gelernt, wie man damit fertig wird, zurückzuliegen und wieder auf die Füße zu kommen. Ihnen wird sogar beigebracht, wie man auf brasilia- nische Art geschickt ist. Es gibt ein brasilianisches Wort, Malícia, was geschicktes, gewieftes, einfallsreiches und schnelles Denken bedeutet, das schon zu einem japanischen Wort geworden ist. Entweder man hat es oder man hat ein Problem. Glauben Sie, dass der Heimvorteil den Deutschen helfen kann? Deutschland war wie Italien, England, Argentinien und Brasilien immer ein Titelfavorit. Das Problem ist nur, dass Mannschaften nicht allein aufgrund ihrer Fußballgeschichte als Favoriten gelten können. Wenn ich ehrlich sein darf, gibt es viele Probleme im deutschen Lager. Vom Trainer bis zum Torhüter ist in Deutschland alles Gegenstand von Diskussionen und Streitigkeiten. Andererseits glaube ich ernsthaft, dass Deutschland ein zuverlässiger Kandidat für den Titel ist, vor allem weil die Geschichte lehrt, dass sie zu Hause selten verlieren. Die Stärke Deutschlands ist, dass sie vor ihren eigenen Leuten im eigenen Land spielen. Und wie ich schon sagte: Um eine Weltmeisterschaft zu gewinnen, reicht es nicht aus, der Beste zu sein. Deutschland hat also diesen Vorteil der Heimspiele. Das kann zusammen mit ein paar anderen Faktoren tatsächlich reichen, um Weltmeister zu werden. Denken Sie beispielsweise an den Stolz, der bei den Deutschen immer sehr stark ausgeprägt ist, die Erfahrung einiger Spieler wie Kahn und Ballack, aber vor allem die unglaubliche Kenntnis Klinsmanns als Trainer. Wenn man dazu noch berücksichtigt, dass die deutschen Medien ihre Mannschaft bei der Weltmeisterschaft nicht mehr länger kritisieren werden und dass es im ganzen Land große Unterstützung gibt, hat man einen wirklich ernst zu nehmenden Anwärter auf den Titel.< ZICO wurde am 3. März 1953 in Rio de Janeiro geboren. Als Mittelfeldregisseur war Arthur Antunes Coimbra bei CR Flamengo sowie Udinese Calcio aktiv. Als einer der ersten ausländischen Profis der J-League missionierte er bei den Kashima Antlers als Spieler, technischer Direktor und Trainer den Fußball in Japan. Mit der Seleção nahm er an drei Weltmeisterschaften teil und wurde der „weiße Pelé“ genannt. Kurze Zeit fungierte er als Sportminister Brasiliens. Nach der WM 2002 übernahm er das Amt des japanischen Nationalcoaches. www.ziconarede.com.br RUND 58 rund_056_059_WM_Intervi.indd 58 05.04.2006 19:42:39 Uhr GLEICHE HÖHE Fundstück FRÄNKISCHE RIVALEN VON ANFANG AN 1924 traf die deutsche Nationalmannschaft in einem legendären Spiel auf die Niederlande. Im Tor war der Mann mit der MÜTZE: Heiner Stuhlfauth. Die Mannschaft setzte sich ausschließlich aus Nürnbergern und Fürthern zusammen, die den Fußball in Deutschland dominierten – und sich partout nicht ausstehen konnten VON CHRISTIAN DOTTERWEICH, FOTO OLAF TIEDJE >„Ringkampf, Boxkampf, Schlägerei, ja Rauferei möchte man nennen, was die beiden Mannschaften vorgeführt haben.“ Was der Reporter der „Nürnberger Zeitung“ am Sonntag nach dem Hinspiel um die Süddeutsche Meisterschaft in Nürnberg zwischen dem 1. FCN und der SpVgg Fürth kommentieren muss, erschüttert ihn. Das äußerst rau geführte 0:0 der verfeindeten Nachbarn am 13. April 1924 macht auch dem DFB schwer zu schaffen. In einer Woche ist ein Länderspiel gegen die übermächtigen Holländer angesetzt – eine deutsche Mannschaft ohne die Fußballhochburg Nürnberg/Fürth ist undenkbar. „Wir trafen uns in Nürnberg und sahen, dass die Fürther in einen der hinteren Waggons des D-Zugs einstiegen“, erinnerte sich Torwartlegende Heiner Stuhlfauth, der Mann mit der Mütze, die inzwischen sogar im Nürnberger Industriemuseum gelandet ist. „Als wir das gesehen haben, sind wir in einen der vorderen Waggons eingestiegen.“ Zwischenstopp in Düsseldorf beim DFB. Die Nürnberger steigen aus. Der Betreuer der Nationalmannschaft vom DFB, Paul „Papa“ Blaschke, runzelt die Stirn: „Wo sind denn die Fürther?“ Schulter zuckend erwidern die Club-Spieler, sie wissen es nicht. Blaschkes Sorgenfalten graben sich tiefer. Da steigen die Fürther aus einem der hinteren Waggons aus. „Was ist denn los mit euch“, ruft der entsetzte DFBMann, „ihr müsst doch Freunde sein. Ihr habt doch morgen ein Spiel gegen Holland!“ Man geht getrennt ins Hotel und fährt am nächsten Tag wieder in getrennten Waggons gen Holland. In Amsterdam dasselbe Bild, selbst in der Kabine, kurz vor Spielbeginn: Die fünf Nürnberger Stuhlfauth, Kugler, Kalb, Schmidt und Träg ziehen sich in einer Ecke um. In der gegenüberliegenden die sechs Fürther Müller, Hagen, Auer, Franz, Seiderer und Ascherl. Eisern schweigen sich beide Parteien an. Sichtlich nervös nimmt sich Blaschke Torwart Stuhlfauth kurz vor Spielbeginn zur Brust: „Ihr müsst euch einig werden. Das macht sich im Spiel bemerkbar, wenn ihr streitet!“ „Ihr müsst doch Freunde sein. Ihr habt doch morgen ein Spiel gegen Holland!“ PAUL „PAPA“ BLASCHKE, BETREUER DER NATIONALMANNSCHAFT Die fränkische Nationalelf läuft vor 26.000 Zuschauern am Ostermontag, dem 21. April 1924, ins holländische Stadion ein. Die Antwort auf Blaschkes Sorgen geben Stuhlfauth und die Mannschaft auf dem Platz: Sie spielen, als ob sie eine Mannschaft sind. Die zerstrittenen Franken zeigen zur Überraschung der Holländer und der DFBVerantwortlichen eine gute Partie. In der 14. Minute bricht Träg auf links durch, flankt über Torwart De Boer, dahinter köpft der allein stehende Auer ins Netz. Die Fürther jubeln mit ihrem Torschützen, die Nürnberger – für die Vorlage verantwortlich – drehen ab und zeigen die kalte Schulter. Endstand 1:0, der erste Länderspielsieg der Deutschen gegen die Holländer ist errungen. Die Nationalmannschaft pfeift aufs Feiern. Die Spieler ziehen ihre weiß-schwarzen Trikots wieder getrennt in den Kabinenecken aus und fahren in getrennten Waggons zurück. Sie haben nur eines im Kopf: das Rückspiel um die Süddeutsche Meisterschaft sechs Tage später. Das ruhige Match vor 20.000 Zuschauern und vorsorglich 80 im Stadion verteilten Kriminalbeamten endet 1:1unentschieden. Da die Clubberer in der Endrunde nur ein Spiel, die Fürther aber zwei Spiele verloren hatten, ist für den FCN der Weg zur deutschen Meisterschaft frei. Und bis heute ist die Rivalität ungebrochen: „Lieber Fünfter als Fürther“, hallt noch heute ein beliebter Schlachtruf aus der Noris in Richtung Ronhof.< RUND 59 rund_056_059_WM_Intervi.indd 59 05.04.2006 19:42:41 Uhr GLEICHE HÖHE Heimspiel „Das ist irre“: Miroslav Klose hinterm Steuer RUND 60 rund_060_063_Heimspiel.indd 60 04.04.2006 19:52:00 Uhr GLEICHE HÖHE Heimspiel „DAS HAUT DIR DEN KOPF WEG“ AUFGEZEICHNET VON SVEN BREMER, FOTOS DIRK MESSNER Ein schneller Stürmer ist er auf jeden Fall. Doch MIROSLAV KLOSE hat auch ein Faible für schnelle Autos: Der Bremer Nationaltorjäger ist fasziniert vom Rallyesport Für schnelle Autos hatte ich schon immer eine Schwäche. Gar nicht mal so für die Formel 1, sondern für den Rallyesport. Dieses Sliden und Driften der Autos hat mich stets fasziniert. Wir haben bei uns in der Pfalz, in der Nähe meines Heimatorts, eine Rallyestrecke. Da habe ich mal zugeschaut – von dem Tag an war ich infiziert. Seitdem hatte ich auch den Wunsch, einmal in so einem Auto mitzufahren. Im vergangenen Jahr ist über meinen Sponsor Skoda dann der Kontakt zu Matthias Kahle, einem der besten deutschen Rallyepiloten, zu Stande gekommen. Mit ihm durfte ich auf dem Lausitzring das erste Mal mitfahren. Das hat einen Riesenspaß gemacht, und es ist wirklich absolut faszinierend, wie diese Sportler ihr Auto beherrschen. Ich sollte versuchen, so weit es geht, die Funktionen des Copiloten zu übernehmen. Der Beifahrer hat diverse Pedale, mit denen er zum Beispiel die Scheibenwischer betätigen kann. Es hat etwas genieselt beim Start, und als wir gleich nach ein paar Minuten mit dem Auto zwanzig bis dreißig Meter weit geflogen und voll in einer Pfütze gelandet sind, da habe ich echt nicht mehr an den Scheibenwischer gedacht. Bei den Sprüngen siehst du plötzlich nur noch den Himmel. In den Kur- ven fliegen Dreck und kleine Steinchen gegen die Windschutzscheibe, der Motor dröhnt. Auf den Geraden kommen die bestimmt auf über 200 Stundenkilometer, auch auf den schmalen Straßen, auf denen die unterwegs sind. Überhaupt wirst du schon beim Start so dermaßen in den Sitz gedrückt, das ist irre. Die Rallyefahrzeuge sollen ja eine schnellere Beschleunigung haben als die Formel-1-Rennwagen. Die Fahrt war absolut faszinierend. Die Fahrer bremsen keine Zehntelsekunde zu früh oder spät, sie fahren wirklich Millimeter an Pfosten oder Mauern vorbei. Und wenn sie zum Beispiel in eine Rechtskurve fahren, dann lenken sie zuerst links ein. Ich habe zuerst gedacht: Hoppla, was macht der denn da. Angst hatte ich überhaupt keine. Obwohl ich im normalen Leben ein wirklich schlechter Beifahrer bin. Egal bei wem, bei Freunden, bei meiner Frau, ich kann keine Sekunde schlafen als Beifahrer, egal wie müde ich bin. Aber zu Matthias Kahle hatte ich absolutes Vertrauen, obwohl er fast 100 Prozent gefahren ist. Wenn ich das Gefühl gehabt hätte, dass es ein echtes Risiko ist, dann wäre ich auch nicht eingestiegen. Man sitzt da übrigens nicht so wie in einem normalen Auto drin. Diese Schalensitze sind ganz anders konzipiert, dann gibt es die Überrollbügel, so dass selbst im Fall eines Überschlags meistens nichts passiert. Auch die Gurtkonstruktion ist eine andere. Ich glaube, man sitzt fast ein bisschen so wie in einem Kindersitz. Vielleicht fahren meine Zwillinge Luan und Noah deswegen so gerne Auto. Auch der Copilot im Rallyeauto trägt einen feuerfesten Anzug und logischerweise auch diesen Helm mit dem Mikrofon, über das er sich mit dem Fahrer verständigt. Aber ich frage mich immer noch, wie es der Beifahrer schafft, bei diesem Wahnsinnstempo noch auf die Karte zu schauen und seinem Piloten alle wichtigen Infos zu geben. Ich habe so ein bisschen Einblick bekommen, wie sie kommunizieren. „Fünf links“ bedeutet zum Beispiel: Es kommt eine lang gezogene Linke. „Eins links“ heißt: Es folgt eine scharfe Kurve. Das finde ich auch so gut an diesem Sport, diese absolut perfekte Teamarbeit und das Vertrauensverhältnis zwischen Copilot und Pilot. Da gibt es dann schon Vergleichsmöglichkeiten zum Fußball. Da funktioniert es ja auch nur dann wirklich gut, wenn du zusammenarbeitest und wenn du dich auf den anderen verlassen kannst. Okay, im Fußball kannst RUND 61 rund_060_063_Heimspiel.indd 61 04.04.2006 19:52:08 Uhr GLEICHE HÖHE Heimspiel „Mir reicht der Wagen, den ich fahre. Hauptsache, der Kinderwagen für die Zwillinge passt rein“ MIRO KLOSE „Schon mal ans Limit gehen“: Als er noch für den FCK spielte, ist Miro Klose bisweilen auch auf Sieg gefahren, um es zum Training zu schaffen du mal einen Fehler machen, den bügelt ein anderer aus, und man wird nicht sofort bestraft. Das ist in der Rallye schon anders. Deswegen sind die auch so wahnsinnig konzentriert. Die Anspannung des Piloten spürt man ganz gut. Die bekommen dann so einen Tunnelblick. Diese totale Konzentration, aber auch gleichzeitig diese Ruhe dabei, diese Sicherheit, das imponiert mir. Außerdem sind die Jungs richtig gut trainiert. Gerade die Rücken- und die Nackenmuskulatur, die muss ganz schön was aushalten bei den Stößen, die man abbekommt. Matthias Kahle ist zum Beispiel eher ein ruhiger Typ. Wenn der privat unterwegs ist, dann fährt er sehr, sehr langsam. Aber das ist auch wichtig, dass man gerade als Rennfahrer Beruf und Privates trennt. Die können ja schließlich nicht durch den normalen Verkehr heizen wie ein Verrückter. Das wäre viel zu gefährlich und unverantwortlich. Außerdem müsste Mat- thias dann den Führerschein abgeben – und dürfte auch nicht mehr Rallye fahren. Die Rallye Paris-Dakar finde ich übrigens nicht so gut. Das ist mir zu grausam – mit den Todesfällen, die es da jedes Jahr gibt. Wenn ich privat unterwegs bin, fahre ich inzwischen auch nicht mehr so schnell. Ist doch klar, als Familienvater. Es ist auch nicht so, dass ich die letzte Kurve zu Hause in die Einfahrt rallyemäßig nehme. Das würde nicht gut gehen. Früher, als ich noch in Kaiserslautern gespielt habe und es knapp war auf dem Weg zum Training, dann musste ich schon mal draufdrücken, schon mal ans Limit gehen. Ich hatte auch einige Freunde, die Kfz-Mechaniker waren. Die wussten schon, wie sie an ihren Autos die eine oder andere PS rausholen können. Klar, die Autos waren tiefer gelegt, ein Sportauspuff musste auch her. Bei mir war das nicht so übertrieben, aber Geräusche hat’s schon gemacht. Ich muss nicht protzen mit einem dicken Auto. Ob ich aus einem Ferrari oder aus meinem Skoda steige, das ist doch egal. Mir reicht der Wagen, den ich fahre, Hauptsache der Zwillingskinderwagen passt rein. Es ist nicht wichtig, was andere über mich denken. Klar, es gibt wirklich schöne Autos. Mein Lieblingsauto ist der Bentley Continental GT. Das ist nicht eins dieser Schiffe, sondern schon ein sehr sportliches Modell (das Auto hat 560 PS und erreicht eine Höchstgeschwindigkeit von 340 km/h. Kostenpunkt des Basismodells: 159.000 Euro; Anm. d. Red.). Auf Oldtimer oder auch diese Youngtimer steh’ ich auch nicht so. Mit denen musst Du ja immer in die Werkstatt. Und meine Qualitäten als Autoschrauber sind eher bescheiden: Ich kann gerade so einen Reifen wechseln. Ansonsten bin ich ab und zu auf meinem Quad unterwegs, ein Motorrad auf vier Rädern. Eine Kawasaki KFX 700 ist das. Am liebsten fahre ich, wenn Schnee liegt. So 130 bis 160 Stundenkilometer kann man damit schon draufkriegen. Aber bei diesem Tempo haut’s dir dann schon fast den Kopf weg, du hast ja keine Windschutzscheibe. Noch ein Vorteil beim Rallyesport. Der, wie gesagt, fasziniert mich absolut. Ich bin noch ein zweites Mal mitgefahren und werde das auch noch öfter machen, wenn es von der Zeit passt. Wenn ich selbst gefahren wäre, würde ich wahrscheinlich nur noch Rallyesport machen und gar nicht mehr Fußball spielen. Nein, natürlich nicht im Ernst. Ich würde nie selbst fahren. Wenn, dann ganz langsam. Aber dann macht es ja keinen Spaß mehr. Ich plane auch keine Rallyefahrerkarriere nach dem Fußball. Das, was die Jungs draufhaben, das werde ich nie erreichen. Wie die in die Kurven gehen – da bin ich 50, bis ich das raus habe. RUND 62 rund_060_063_Heimspiel.indd 62 04.04.2006 19:52:09 Uhr GLEICHE HÖHE Heimspiel „Die Anspannung des Piloten“: Miro Klose RUND 63 rund_060_063_Heimspiel.indd 63 04.04.2006 19:52:16 Uhr GLEICHE HÖHE Menschenhandel „DAS IST MODERNE SKLAVEREI“ Die Odyssee des Kameruners BORIS NGOUO sorgt in Frankreich für Aufsehen. Der 22-Jährige beschreibt in seinem Buch „Terrain miné“ (Vermintes Spielfeld), wie ein Netzwerk dubioser Spielerberater afrikanische Talente mit dem Versprechen auf eine große Karriere nach Europa lockt, wo die meisten scheitern INTERVIEW JOACHIM BARBIER, FOTOS AXL JANSEN UND NICOLE HARDT RUND 64 rund_064_067_Interview.indd 64 10.04.2006 12:52:59 Uhr GLEICHE HÖHE Herr Ngouo, was hat Ihr Buch bewirkt? BORIS NGOUO Ich bin da absolut gespalten. Einerseits haben es das Buch und die Arbeit der Organisation Culture Foot Solidaire, die in Frankreich gestrandeten jungen afrikanischen Fußballern hilft, ermöglicht, die Behörden zu alarmieren. Vor einigen Monaten hat man uns in der Nationalversammlung empfangen, wo sich die Parlamentarier die Berichte derjenigen angehört haben, die diesen Weg hinter sich haben, darunter auch meinen. Sie bereiten nun ein Gesetz vor, um das Betätigungsfeld der Agenten einzugrenzen und den Machenschaften gewisser Leute ein Ende zu setzen. Andererseits war dieses Phänomen noch nie so ausgeprägt wie jetzt. Trotz aller vorbeugenden Maßnahmen wird es immer schlimmer. In Frankreich wird über die Werbung des Ausrüsters Puma diskutiert, die zuerst während des Afrika-Cups ausgestrahlt wurde. Die von Ihnen erwähnte Organisation Culture Foot Solidaire hat in einer Presserklärung gar verlangt, dass Puma den Spot zurückziehen solle. Was haben Sie empfunden, als Sie die Werbung mit dem Jugendlichen Léon sahen? Ich bin über diesen Werbespot schockiert, denn er schadet den Bemühungen der Verbände und der Leute, die wie ich versuchen, gegen dieses Phänomen anzukämpfen. Einen Agenten in Szene zu setzen, der ein Kind einen Vertrag unterzeichnen lässt, ist äußerst Menschenhandel schockierend. Das Szenario des Spots schlachtet die gleichen Argumente aus, die auch all die Vermittler nutzen, die ständig um die jungen Afrikaner kreisen. Es wird auf die Fata Morgana Fußball gesetzt. Vor allem wird auf eine Übersteigerung gesetzt. Ja, ich bin mir nur nicht sicher, ob die Kinder oder Jugendlichen in Afrika über die notwendige Distanz verfügen, um diese Übersteigerung wahrzunehmen. Denken Sie, dass das Fernsehen, insbesondere das europäische, in Afrika zu diesem Verlangen nach einem Exil um jeden Preis beiträgt? Der Einfluss ist beachtlich. Vor 20 Jahren gab es in einigen Ländern Afrikas noch kein Fernsehen. Man hat vom europäischen Fußball gehört, ihn aber niemals gesehen. Heute sehen die Afrikaner per Satellit oder Kabel häufiger die europäischen Sender als ihr eigenes nationales Fernsehen. Und was wird da gezeigt? Volle Stadien, perfekte Plätze, afrikanische Spieler, die dank phantastischer Gehälter alle Attribute des gesellschaftlichen Erfolgs aufweisen. Und neben dieser Traumfabrik gibt es die Realität des afrikanischen Fußballs: buckelige Plätze, veraltete oder sogar nichtexistente Strukturen, Amateurhaftigkeit. Wie soll denn ein junger Afrikaner, der davon träumt, Profispieler zu werden, seine Zukunft auch nur einen Moment lang in seinem eigenen Land sehen? Man hat das Gefühl, dass dieses Phänomen eine gewisse Ähnlichkeit mit Shows vom Typ „Deutschland sucht den Superstar“ aufweist. In Afrika scheint Fußball der kürzeste Weg zu Erfolg, Berühmtheit, Geld und gesellschaftlicher Anerkennung zu sein. Absolut. Das funktioniert wie ein Köder. Allerdings kann ein junger Europäer einfach nach Hause zurückkehren, wenn er es nicht schafft, Karriere zu machen. Er profitiert von einem Umfeld, in dem ihm die gesellschaftlichen Strukturen eine Rückkehr ermöglichen. Ein minderjähriger Afrikaner, der scheitert, ist allein, 6000 Kilometer von zu Hause entfernt, häufig im Untergrund, ohne Papiere. Er steht vor einer Mauer, einer vollkommen verworrenen Situation, aus der er sich nicht selbst befreien kann. Welche Verantwortung haben die europäischen Vereine? Die Vereine berücksichtigen selten, welche Auswirkungen ihre Entscheidungen haben. Die Schäden bei den Jugendlichen sind enorm. Für mich ist das eine Art moderner Sklaverei. Die Anwerber, die Vermittler bringen ihnen die Jugendlichen, die Familie und Umfeld verlassen haben. Man nimmt sie und wirft sie weg! Für einen jungen Afrikaner, der über Jahre des Trainings hinweg von Thierry Henry geträumt hat und dann aus einem Trainingszentrum geworfen wird, ist es schwer, sich zu sagen: „Okay, dann werde ich mich eben auf einen anderen Job bewerben.“ Dieser Jugendliche wird also zur leichten Beute für jeden beliebigen Vermittler, der ihm das Blaue vom Himmel herunter verspricht. In Frankreich werden sie von einem Klub zum DAS BUCH Boris Ngouo verließ mit 16 Jahren und dem Kopf voller Fußballträume seine Heimat Kamerun. In seinem Buch „Terrain miné“ erzählt er seine Odyssee durch Europa. Es sorgt in Frankreich nach wie vor für Wirbel. Der 22-Jährige lebt inzwischen in Paris, seit Oktober 2004 hat er die Fußballschuhe nicht wieder angezogen. Der älteste Sohn eines Bauunternehmers, der sich für seinen Sprössling eher eine akademische Laufbahn gewünscht hätte, macht mit seinem Talent im Umgang mit dem Ball schnell auf sich aufmerksam. Mit 14 Jahren tritt er in die berühmte Kadji Sport Academy in Douala ein, aus der auch Samuel Eto’o hervorgegangen ist. Danach kommt er an die Fußballschule Future Soccer, wo Ngouo viele Versprechungen für eine Profikarriere in Europa gemacht werden. Sein Leidensweg begann in Deutschland: Ein kamerunischer Vermittler lässt den gerade 16-Jährigen nach Berlin zu Hertha BSC fliegen. Dort rät man ihm trotz guter Tests, sich beim Verbandsligisten SV Lichtenberg 47 abzuhärten. Bei jedem Fehlpass brüllt das Publikum: „Du dreckiger Neger!“ Eines Tages wird er von sechs Skinheads angegriffen und kommt nur wie durch ein Wunder davon. Ein Vertrag mit Arminia Bielefeld platzt, weil ein anderer Berater eine überzogene Provision verlangt. In Frankreich macht er Testspiele bei den Zweitligisten Amiens und Guingamp. Die Transaktionen scheitern, Schuld hat ein Vermittler, der eine zu hohe Provision verlangt. Er fliegt nach Madrid, einen noch ungewissen Vertrag bei Rayo Vallecano vor Augen. Noch ein Fehlschlag. Dennoch geht er zur Ciudad Deportiva, dem Trainingszentrum von Real Madrid, wo er einigen Galaktischen über den Weg läuft. Zurück in Frankreich, spielt er dank Luis Fernandez, den er beim Radio kennen gelernt hat, bei Red Star in Paris. Er bekommt nur Auflaufprämien für jedes absolvierte Spiel und hat neben seinen Aktivitäten als Fußballer noch einen Vollzeitjob als kaufmännischer Angestellter: Handyverkauf an der Haustür. 2003 haben es von 750 afrikanischen Spielern in Europa nur 35 zu einem Profivertrag gebracht. Wie so viele andere, hat Boris Ngouo nie die Gelegenheit bekommen, auf dieser „Liste der 35“ aufzutauchen. JOACHIM BARBIER RUND 65 rund_064_067_Interview.indd 65 10.04.2006 12:53:08 Uhr GLEICHE HÖHE Menschenhandel „Erfolg ist eine lähmende Pflicht“: Boris Ngouo nächsten geschleppt und scheitern dann. Ich glaube also, dass die Klubs mitschuldig sind. Warum gibt es keinerlei Zweifel bei all den Jugendlichen, die das Land verlassen wollen? In Afrika stehen die Jugendlichen unter enormem familiärem Druck, sie sind dazu bestimmt wegzugehen, und umso mehr, als sie vom leichten Erfolg überzeugt sind. Sie sagen sich: „Wir werden uns körperlich durchsetzen und dadurch Erfolg haben. Die Jungen in Europa können nicht spielen. Okay, technisch sind sie nicht schlecht, aber sie sind lahm. Wir sind besser als die!“ Es ist unmöglich, all diesen Jugendlichen zu erklären, dass es hier noch viele andere junge Talente gibt. Sie haben einen Überlegenheitskomplex, glauben, dass sie sich auf den Weg machen, einen Vertrag ergattern und dann problemlos eine Unterkunft finden können dank jemandem, den sie auf der Straße getroffen haben: Ein Lächeln reicht, das geht automatisch. Wie konnte dieser Mythos entstehen? Letztlich hat der Erfolg einiger weniger ausgereicht. George Weah aus Liberia beispielsweise war einer der Ersten. Bevor er beim AC Mailand der beste Stürmer der Welt wurde, hat er bei Tonnerre de Yaoundé gespielt. Dann kam die Generation von M’Boma und Song, die sportlich erfolgreich war, und jetzt der Starrummel um Fußballspieler wie Samuel Eto’o. Wenn diese wenigen Spieler nach Afrika zurückkehren, bringen sie alle Attribute ihres sportlichen, vor allem aber ihres gesellschaftlichen Erfolgs mit: teure Klamotten und Autos. Das ist der große Unterschied zur Generation von Roger Milla. Die haben noch zum Vergnügen gespielt, und am Anfang haben sie kein Geld mit dem Fußball verdient. Der Erfolg von Eto’o in Barcelona wirkt wie ein Sog. Er könnte drei Millionen Kinder dazu bringen, das Land zu verlassen. Dabei wird vergessen, dass der Erfolg nicht nur an den fußballerischen Qualitäten hängt. Ein Junge aus Kamerun, der nach Europa geht, ist verpflichtet, Erfolg zu haben. Daher ist auch in der Regel das Erste, was er bei seiner Ankunft hier macht, sich ein Trikot eines Profiklubs mit seinem Namen auf dem Rücken zu kaufen. In dem lässt er sich vor einem hübschen Stadion in einem Pariser Vorort fotografieren und schickt das Foto dann seiner Familie, um zu beweisen, dass es schon losgeht mit seinem Traum. Der Erfolg ist eine Pflicht. Eine lähmende Pflicht. Denn zu versagen bedeutet, die Familie, den Clan zu verraten. Solltest du es jemals wagen, nach Hause zurückzukehren, wird man dich wie einen Nichtsnutz behandeln: Gesellschaftlich existierst du nicht mehr. Mit einem solchen sozialen und wirtschaftlichen Druck spielt der junge Kameruner, der nach Europa geht, nicht mehr Fußball, wie es noch ein Milla konnte. Jetzt soll Ihr Buch verfilmt werden? Ja, die Rechte wurden verkauft. Im Moment wird gerade das Drehbuch auf der Grundlage des Buches geschrieben. Mehr weiß ich im Moment noch nicht, aber ja, meine Geschichte wird ins Kino kommen. DER SPOT Puma-Sprecher Ulf Santjer versteht die Aufregung um die aktuelle TV-Kampagne „Gets you there faster“, die zu Beginn des Afrika-Cups im Januar gestartet wurde und die Pumas neuen Fußballschuh v1.06 bewirbt, nicht: „Im Mittelpunkt des in Afrika spielenden TV-Spots steht der Geschwindigkeitsvorteil, den die Spieler aufgrund des neuen Produkts erzielen. Diese Geschwindigkeit wird auch bildlich aufgegriffen: Im Zeitraffer wird gezeigt, wie ein junger afrikanischer Nachwuchsspieler, Léon, ein Paar neue Puma v1.06 Fußballschuhe geschenkt bekommt, mit deren Hilfe er seinen Traum verwirklichen kann: Innerhalb kürzester Zeit gibt er für sein Heimatland Kamerun sein internationales Debüt. In dem Spot finden alle diese Ereignisse innerhalb eines Tages statt, während Leon immer gleich alt bleibt. Der Talentsucher spielt im Spot lediglich eine Nebenrolle, um den Traum des jungen Léons zu verdeutlichen und ihm einen Rahmen zu geben – im Fokus steht das Produkt. Gleichzeitig bewirbt diese Kampagne nicht nur die neue Kollektion, sondern betont auch das langfristige Engagement des Unternehmens zur Stärkung des Fußballs in Afrika, was nicht zuletzt in der offiziellen Partnerschaft mit insgesamt zehn afrikanischen Nationalmannschaften zum Ausdruck kommt. Die Kampagne ist nicht nur bei unseren Kunden und Verbrauchern sehr gut aufgenommen worden. Vor allem auch von unseren Partnern in Afrika, mit denen wir seit vielen Jahren intensiv zusammenarbeiten, haben wir sehr viel positive Resonanz bekommen. Dies zeigt, dass der Spot, der als Startschuss für die vielfältigen WM-Aktivitäten von Puma diente, insgesamt auf hohe Akzeptanz gestoßen ist.“ Jean-Claude Mbvoumin, Präsident von Culture Foot Solidaire hat viele gegenteilige Reaktionen aus Afrika bekommen. Seine Organisation, die gegen den Exodus minderjähriger Afrikaner nach Europa kämpft, will weiter das Gespräch mit Puma suchen. „Wir sind keine Polizisten, die überwachen wollen. Aber der Ausrüster vieler afrikanischer Nationalmannschaften sollte seine Werbung überdenken“, sagt der ehemalige Nationalspieler Kameruns. MATTHIAS GREULICH RUND 66 rund_064_067_Interview.indd 66 10.04.2006 12:53:09 Uhr GLEICHE HÖHE Erbsenzähler Die Augenbrauendichte der Bundesligaprofis RUND hat den Profis über die Augen geschaut und aus jedem Klub den Spieler mit den markantesten Brauen ausgewählt. Interessant: Die Theo-Waigel-Wertung von RUND erinnert entfernt an die aktuelle Bundesligatabelle, die Hälfte der Auserwählten sind Abwehrspieler. Die Bundesliga braucht Brauen des Grauens FOTOS IMAGO 29 (Buschigkeit 10, Bedrohlichkeit 10, Balken 9) LUCIO, BAYERN MÜNCHEN, Abwehr 28 (10, 8, 10) MEHDI MAHDAVIKIA, HSV, Mittelfeld 27 (10, 10, 7) KLAUS AUGENTHALER, VFL WOLFSBURG, Trainer 26 (7, 10, 9) JAOUHAR MNARI, 1. FC NÜRNBERG, Mittelfeld 25 (8, 8, 9) AHMED MADOUNI, BAYER LEVERKUSEN, Abwehr 24 (6, 9, 9) ZÉ ANTONIO, BORUSSIA M’GLADBACH, Abwehr 23 (9, 5, 9) HAMIT ALTINTOP, SCHALKE 04, Mittelfeld 22 (9, 4, 9) PATRICK OWOMOYELA, WERDER BREMEN, Abwehr 21 (8, 7, 6) MARKUS BABBEL, VFB STUTTGART, Abwehr 20 (8, 6, 6) ANDREAS NEUENDORF, HERTHA BSC, Mittelfeld 18 (5, 7, 6) CHRIS, EINTRACHT FRANKFURT, Abwehr 17 (9, 1, 7) CHRISTIAN WÖRNS, BORUSSIA DORTMUND, Abwehr 16 (8, 5, 3) PATRICK WEISER, 1.FC KÖLN, Abwehr 15 (6, 2, 7) VAHID HASHEMIAN, HANNOVER 96, Angriff 14 (7, 2, 5) TOBIAS RAU, ARMINIA BIELEFELD, Mittelfeld: 13 (6, 2, 5) OTTO ADDO, MAINZ 05, Mittelfeld 12 (6, 2, 4) FABIAN SCHÖNHEIM, 1.FC KAISERSLAUTERN, Abwehr 11 (3, 1, 7) AHN JUNG-HWAN, MSV DUISBURG, Angriff Legende: Die Summe von Buschigkeits-Faktor, Bedrohlichkeits-Faktor und Balken-Faktor ergibt die Theo-Waigel-Wertung von 1 bis 30. RUND 68 rund_068_069_Erbsenzäh.indd 68 04.04.2006 20:30:35 Uhr GLEICHE HÖHE Erbsenzähler Führungen durch Bundesligastadien Auf dem Platz werden Führungsspieler verlangt, Führungen gibt es aber genauso durch Katakomben, Kabinen und VIP-Logen. RUND hat gefragt, wie viele Besucher in der Woche die Stadien abseits der Spieltage haben. Ergebnis: Bayern München führt auch in dieser Statistik haushoch, der Umbau beim 1. FC Kaiserslautern macht sich auch hier negativ bemerkbar FOTOS HOCHZWEI, PIXATHLON, IMAGO, FIRO BAYERN MÜNCHEN ALLIANZ ARENA 10.000 Besucher, tägliche Führungen, 4-8 € BORUSSIA M’GLADBACH BORUSSIA-PARK 250-300 Besucher, freitags bis sonntags, 3-6 € HERTHA BSC BERLIN OLYMPIASTADION 5-150 Besucher, tägliche Führungen, 5-10 € 1. FC NÜRNBERG EASYCREDIT-STADION 50-300 Besucher, 3 Mal pro Woche. n. Vereinb., 4 € FC SCHALKE 04 VELTINS-ARENA 2.000 Besucher, nach Vereinbarung, 4-8 € 1. FC KÖLN RHEINENERGIESTADION 210 Besucher, nach Vereinbarung, 3-6 € HAMBURGER SV AOL ARENA 600 Besucher, tägliche Führungen, 3-5 € BAYER 04 LEVERKUSEN BAYARENA 200-400 Besucher, nach Vereinbarung, 2-15 € VFB STUTTGART G.-DAIMLER-STADION 75-100 Besucher, nach Vereinbarung, gratis ARMINIA BIELEFELD SCHÜCO ARENA ca. 30 Besucher, nach Vereinbarung, gratis SV WERDER BREMEN WESERSTADION 200 Besucher, nach Vereinbarung, 2-4 € VFL WOLFSBURG VOLKSWAGEN ARENA 75 Besucher, nach Vereinbarung, 3-5 € FSV MAINZ 05 STADION AM BRUCHWEG 20-100 Besucher, 1-2 Mal/Wo. n. Vereinb., Gruppe 105 € BORUSSIA DORTMUND SIGNAL IDUNA PARK 350 Besucher, nach Vereinbarung, 3-6 € EINTRACHT FRANKFURT COMMERZBANK ARENA 400 Besucher, montags bis freitags, 2-4 € HANNOVER 96 AWD-ARENA 200 Besucher, nach Vereinbarung, 2-5 € MSV DUISBURG MSV ARENA 60 Besucher, nach Vereinbarung, 5 € 1. FC KAISERSLAUTERN FRITZ-WALTER-STADION wegen Umbau im Moment nicht möglich, ab August 1 € Die neue Preisfrage: Welcher Bundesligaverein spielt im ältesten Heimstadion der Ersten oder Zweiten Liga? Antworten bitte bis zum 22. Mai an: Redaktion RUND, Pinneberger Weg 22-24, 20257 Hamburg, [email protected], Stichwort: Kampfbahn. Unter den richtigen Nennungen verlosen wir eine Führung durch ein Stadion nach Wahl plus einen Imbiss mit regionalen Leckereien. Die Lösung aus 4/06 lautet: Gyula Lorant und Jörg Berger (je sechs Mal). Die Gewinner der Billy-Boy-Trikots plus einer Packung der Billy-Boy-11-Edition sind: H. Schmidt, Bestwig; B. Zietlow, Hannover; P. Bohner, Börnsen; H. Friedl, Grossbottwar; S. Krause, Marburg; P. Wagner, Köln; D. Rach, Salmtal; M. Schäfer, Baesweiler; J. Thiemann, Bochum; F. Wegener, Brakel-Erkeln; H. Kreutz, Cochem. !!! Hi e r g ib Gewin t’s ne !!!!! RUND 69 rund_068_069_Erbsenzäh.indd 69 05.04.2006 20:02:44 Uhr RUND Im Abseits IM ABSEITS Abseits ist regelwidrig. Dann ruht das Spiel. Das kann skurril sein und findet überall auf der Welt statt: „Ich bin kein gewalttätiger Mensch. Meine Kinder kriegen mal einen Klaps auf den Hintern, aber da muss man nicht von Gewalt sprechen“ THOMAS BRDARIC 72 LÜGENDETEKTOR „Da müsste ich Gewalt anwenden“ – Angreifer Thomas Brdaric plaudert aus dem Nähkästchen 76 SAARLANDFERRARI Gerüchte aus 1001 Nacht – Mustafa Hadji war Weltstar, nun spielt er in Saarbrücken 80 SEELSORGER „Gott hat mir eine Vorlage gegeben“ – ein Mönch betreibt Seelsorge für Bundesligaprofis 88 AUSLANDSREPORTAGE Stars aus der Tüte – Jedes Kind kennt PaniniBilder. RUND zeigt, wie und wo sie entstehen RUND 71 rund_070_071_Vorschalt 71 03.04.2006 13:30:50 Uhr IM ABSEITS Lügendetektor „Da müsste ich Gewalt anwenden“ Nationalspieler THOMAS BRDARIC gilt als eine der größten Nervensägen des deutschen Fußballs, der überall seinen Senf dazugeben muss. Doch stimmt das überhaupt? Am Lügendetektor erzählt der berühmteste Nürtinger nach Harald Schmidt wie es ist, von Olli Kahn gepackt zu werden, von der Todesangst als Beifahrer und von seinem Wellensittich Hansi INTERVIEW HOLGER HEITMANN, OLIVER LÜCK UND RAINER SCHÄFER, FOTOS BENNE OCHS Können Sie die deutsche Nationalhymne auswendig singen? THOMAS BRDARIC Ja, klar. (++++) Wirklich? Wenn ich mich anstrenge und konzentriere, dann kriege ich sie zusammen. Können Sie singen? Nein! Trotzdem mussten Sie die CD „Die Wilde 13“ besingen. Olli Kahn hat mich von hinten im Genick gepackt, als ich im September 2002 ein Tor gegen ihn gemacht habe, das zu Unrecht nicht anerkannt wurde. Das war ein Vorfall, den ich mit einem simplen Interview nicht aus der Welt schaffen konnte. Davor bin ich schon mit einigen anderen Torhütern wie Jens Lehmann und Frank Rost zusammengerasselt. Ich habe versucht, denen das per Song zurückzugeben. Hat Oliver Kahn Sie darauf angesprochen? Nie, auch Lehmann nicht, die sind ganz cool geblieben, als sie mich bei der Nationalmannschaft getroffen haben. Vielleicht lesen sie keine Zeitung oder sie haben es verdrängt. Wahrscheinlich fanden sie es nicht so lustig. Warum reagieren Torhüter so aggressiv auf Sie? Ich bin ein Stürmer, der immer die gegnerische Mannschaft attackiert, der vorne drauf geht. Das mag kein Torhüter der Welt. Provozieren Sie die Torhüter auch mit Sprüchen? Nein, ich bin kein Sprücheklopfer. (++++) Ich bin kein Typ, der es nötig hat, mit Sprüchen durchs Leben zu kommen. Als Sie von Wolfsburg zurück zu 96 kamen, stand im Fanforum von Hannover: Wenn er seine Klappe hält, soll er bei Null anfangen und Tore schießen. Haben Sie eine große Klappe? Ich meine nein. (++++) Die Leute, denen mein Gesicht oder meine Art nicht passt, werden immer irgendetwas finden. Aber die, die mit mir auskommen müssen, wissen, dass man eine Menge Spaß mit mir haben kann. Was war der peinlichste Moment in Ihrem Leben? Als ich meinen Zivildienst in Düsseldorf in der Psychiatrie gemacht habe, wollte ich abends noch drei Brötchen holen, vor der Bäckerei war aber kein Parkplatz. Also habe ich das Auto direkt davor abgestellt und bin reingerannt. Da standen aber zehn Leute vor mir. Irgendwann hab ich gemerkt, dass draußen Hektik und Aufruhr ist. Ich habe seelenruhig zugeschaut, erst als ich wieder rausging, sah ich, dass ich ewig lang drei Straßenbahnen blockiert hatte. So schnell wie da bin ich noch nie losgefahren. Spielen Sie anderen gerne Streiche? Da waren einige, aber einer war besonders gut: In Hamburg beim Auswärtsspiel habe ich mir eine Karte machen lassen, mit der man in die anderen Hotelzimmer kommt. Während des Essens habe ich das Zimmer von Jan Simak und Jiri Stajner komplett ausgeräumt. Als die aufs Zimmer gekommen sind, waren sie total geschockt. Die dachten, ihre Sachen wären geklaut worden. Was wäre Ihnen lieber: Ein 4:4 und Sie schießen vier Tore oder ein 1:0 und Sie haben nicht getroffen? Als Stürmer hast du so eine Geilheit, das Tor zu schießen. Es gibt nichts Schöneres für mich. Deshalb ist ein 4:4 mit vier Toren wich- LÜGENLEGENDE Pippi Langstrumpf Pinocchio Baron Münchhausen Robert Hoyzer ++++ ++++ ++++ ++++ Lügen sinnlos: Dieses Gerät funktioniert tadellos tiger als ein Sieg der Mannschaft. Ich bin viel zu sehr Stürmer. Verbringen Sie viel Zeit vor dem Spiegel? Nein. (++++) Also, das Training war heute etwas länger als geplant und eine Minute vor dem Spiegel brauche ich auch. (++++) Ich bin ein ästhetischer Typ, mir gefällt die Ästhetik, ich schaue darauf, wie ich aussehe. In den Fanforen kommt Ihre Frisur nicht an. Kümmert Sie das? Überhaupt nicht. Ein gewisses Aussehen ist immer Zielscheibe für Leute, die vielleicht nicht so gut aussehen und neidisch sind, die nichts anderes zu tun haben, als in Foren darüber zu schreiben, wie andere aussehen. Ich achte auf eine gewisse Pflege, wenn man das nicht macht, kriegt man es im Alter zurück. RUND 72 rund_072_075_Luegendete.indd 72 04.04.2006 20:45:50 Uhr IM ABSEITS Lügendetektor „Absichtlich gelogen“: Brdaric beim Schummeln RUND 73 rund_072_075_Luegendete.indd 73 04.04.2006 20:45:52 Uhr IM ABSEITS Lügendetektor „Ästhetischer Typ“: Wo hängt der Spiegel? Wollen Sie denn mit Ihrer Frisur ein Lebensgefühl ausdrücken? Überhaupt nicht. Ich probiere gerne was aus. Aber ich müsste jetzt nicht ausprobieren, wie sich eine Frau fühlt, dafür bin ich zu sehr Mann. Würden Sie ins Big-Brother-Haus einziehen? Nein. Dazu sind mir meine Freunde und Familie viel zu wichtig, als mich in so eine Siedlung reinzuzwängen, damit andere mich durchleuchten. Sehen Sie sich gerne im Fernsehen? Ich habe mich daran gewöhnt. Als ich vor zwölf Jahren meine ersten Interviews gegeben habe, konnte ich mich gar nicht hören. Inzwischen weiß ich, wie man sich präsentieren muss. (++++) „Ich habe nie die Verzweiflung verloren“, einer Ihrer Versprecher, wird immer wieder zitiert. Ärgert Sie das? Ich möchte gerne wissen, wann ich das gesagt haben soll. Dann stört es doch doppelt, wenn man meint, es gar nicht gesagt zu haben. Ach, dafür bin ich doch zu sehr Mensch, zu sehr im Leben, um nicht zu wissen, dass Versprecher dazugehören. Treten Sie häufiger in Fettnäpfchen als andere? Nein, ich bin da nicht besonders begabt. Bei „Verstehen Sie Spaß“ könnte man mich nicht reinlegen, dafür bin ich zu aufmerksam. In welchen Momenten werden Sie sauer? Früher war ich ziemlich ungeduldig. Jetzt habe ich aber gelernt, dass das Leben ein Geduldsspiel ist. (++++) Sie können ein ganz schöner Heißsporn sein, der auch mal mit den eigenen Mitspielern zusammenrasselt. Ich versuche mich zu verteidigen, das ist doch klar. (++++) Ist das nur Verteidigung oder geht das auch von Ihnen aus? Wenn jemand mir Schaden zufügen möchte, dann kann ich mich ganz gut wehren. Könnten Sie Gewalt anwenden? In Notwehr? Ich bin kein gewalttätiger Mensch. Meine Kinder kriegen mal einen Klaps auf den Hintern, wenn es sein muss. Aber da muss man nicht von Gewalt sprechen. Ich versuche, meine Familie so gut wie möglich zu beschützen. Wenn jemand versucht, ihr etwas anzutun, müsste ich Gewalt anwenden. Aber das wäre das letzte Mittel. Haben Sie schon einmal ein Tier gequält? Noch nie. (++++) Mein Wellensittich, der Hansi, der wollte mal nicht so, wie ich wollte, da habe ich ihn ein bisschen hin- und hergeschüttelt. Aber sonst war nie was. Mit unserem Zwergdackel Waldi gibt es keine Probleme. Hatten Sie schon einmal Todesangst? Ich hatte zwei schwere Autounfälle, als Beifahrer eines Freundes, der mit mir beim VfB Stuttgart gespielt hat. Einmal haben wir uns auf der Autobahn überschlagen, und einmal sind wir von der Landstraße abgedriftet. Kurz vorher wurden dort die Bäume gerodet, sonst säße ich heute nicht hier. Seitdem bin ich ein ganz schlechter Beifahrer, meine Füße krallen sich schnell im Autoboden fest. Hatten Sie auch dieses Angstgefühl, als Oliver Kahn Sie gepackt hat? Nein, weil ich nicht gemerkt habe, wie er auf mich zugelaufen ist. Sie sind gerne Mann. Sind Sie ein Macho zu Hause? Ich lasse mich gerne bedienen, aber ich bin kein Macho. (++++) Ihre Frau ist auch Ihre Sekretärin. Meine Frau versucht mir außerhalb des Platzes den Rücken freizuhalten. Das macht sie mit Bravour und das gefällt mir. Aber ich gebe ihr auch sehr gern etwas dafür zurück. Wie verwöhnen Sie Ihre Frau? Materielle Dinge wie Schmuck, Blumen und Klamotten sind nicht entscheidend. Meine Frau weiß es zu schätzen, wenn ich möglichst viel Zeit für sie mitbringe. Wer ist der berühmteste Mensch Nürtingens? Thomas Brdaric? (++++) Jetzt habe ich absichtlich gelogen. Noch bekannter ist doch Harald Schmidt, oder? Haben Sie einen Lieblingswitz? Nein, aber mein Kumpel Michael Ballack erzählt ganz gerne Witze, da schmeiße ich mich immer weg. Erinnern Sie sich an seinen letzten Witz? Ich vergesse die immer. Im Moment kann ich wirklich keinen erzählen. FAZIT: Man sollte nicht alles glauben, was Thomas Brdaric erzählt. Scheinbar harmlos und unbedarft, lullt er einen ein, um dann blitzschnell zuzuschlagen. Alter Stürmertrick. Wetten, dass es das Schlitzohr so doch noch zur Weltmeisterschaft schafft? RUND 74 rund_072_075_Luegendete.indd 74 04.04.2006 20:45:57 Uhr IM ABSEITS Spiel mit Puppen Nackte Botschaften Dieses Mal in der sehr freizügigen RUND-Puppen-Story (ab 18 Jahre): SKANDAL IM ENDSPIEL DER CHAMPIONS LEAGUE – Flitzer überbringen Ronaldhino eine Nachricht FOTOS STEPHAN PFLUG Monat für Monat erleben unsere runden Superhelden die unglaublichsten, wahnsinnigsten Abenteuer des Alltags Ins Finale der Champions League hat es dieses Mal nur der FC Barcelona geschafft. Den Stars ist total langweilig: Gegen sich selbst zu spielen ist blöd! Puta madre, ist das öde hier!!!! Scheiße, ich bin beim falschen Klub! TAPP TAPP TAPP Doch da kommt total plötzlich ein Flitzer auf den Platz gehuscht, und die Langeweile ist vorüber: Aaaaahhh, Hilfe, das werden ja immer mehr!!! Was wollt ihr denn bloß von mir … HUSCH HUSCH HUSCH HUSCH HUSCH HUSCH HUSCH HUSCH HUSCH HUSCH HUSCH HUSCH G Wir danken der Firma Revell für die freundliche Bereitstellung der Kick-O-Mania-Puppen. Im n er äch ••• ve ald st rs A en W ch s M läf am Hef -F t o t: ••• ina das ah le … doch die Flitzer haben eine Botschaft, was Ronaldinho auf eine ganz famose Idee bringt: RUND 75 rund_072_075_Luegendete.indd 75 04.04.2006 20:46:02 Uhr IM ABSEITS Saarlandferrari Gerüchte aus 1001 Nacht VON HOLGER SCHMIDT, FOTO MARTIN SIGMUND „Alle wollen ihn in Rot“: Mustafa Hadji und sein silberfarbener Ferrari RUND 76 rund_076_077_Portraet_H 76 04.04.2006 20:55:20 Uhr IM ABSEITS Saarlandferrari MUSTAFA HADJI WAR AFRIKAS FUSSBALLER DES JAHRES UND SPIELTE IN GANZ EUROPA. SEIT ANFANG DER SAISON IST DER WELTSTAR BEIM AUFSTEIGER 1. FC SAARBRÜCKEN. AM ANFANG EIN MISSVERSTÄNDNIS, HEUTE IST DER 34-JÄHRIGE IN SEINER ALTEN UND NEUEN HEIMAT ANGEKOMMEN Ferrari fahrenden Weltstars begegnet man in einer Bergarbeiterhochburg wie dem Saarland meist mit Distanz. Entsprechend kritische Blicke musterten Mustafa Hadji, als er vor dem ersten Trainingstag beim 1. FC Saarbrücken zwischen den Golfs und Skodas der Mitspieler seinen silberfarbenen Modena Spider abstellte. „Am Anfang gab es große Skepsis“, gesteht der Fanbeauftragte Günter Gerhard. Dass Hadji bei ihnen im Saarland spielen will, wollten sie beim Zweitligisten zunächst gar nicht glauben. Jener Marokkaner, der bei der WM 1998 mit einem sensationellen Tor gegen Norwegen auf sich aufmerksam machte und anschließend zu Afrikas Fußballer des Jahres gewählt wurde. Der damalige Sportdirektor Bernd Coen hielt den Anruf vom Berater des Spielmachers zunächst sogar für einen Scherz. In den ersten Wochen wirkte der Weltenbummler mit der exzentrischen Haarpracht im alten Trainingsgelände der Saarländer wie ein verirrter Paradiesvogel. Umso seltsamer wirkt es, wenn er stolz erzählt, „dass ich endlich zu Hause bin“. Als Hadji vier Jahre alt war, zogen seine Eltern mit seinen vier Brüdern und seiner Schwester nach Creutzwald in Frankreich, zwei Kilometer von der deutschen Grenze und damit dem Saarland entfernt. „Seit ich 14 war, war ich nie mehr als drei, vier Wochen im Jahr hier“, berichtet der Marokkaner traurig, „erst kam ich ins Jugendinternat nach Nancy, danach spielte ich in Portugal, England, Spanien und den Emiraten.“ Nun, da seine Karriere auf die Zielgerade einbiegt und er geschieden ist, legt Mustafa noch mehr Wert auf die Nähe seiner Kinder und seiner Familie. Also beauftragte er seinen Berater, ihm einen Klub in der Nähe der Heimat zu suchen. Doch als der Saisonstart voll daneben ging, wuchs auch die Kritik an Hadji. In Internetforen war vom „Scheiß Millionär“ die Rede, eine Zeitung druckte ein Foto des Marokkaners mit seinem Gefährt und unkte, dass sich die „Abzocker vom FCS“ sogar einen Ferrari leisten könnten. Gerade um Hadjis Lieblingsauto rankten sich in Saarbrücken viele Geschichten wie aus 1001 Nacht. So, dass der Prinz von Marokko dem Superstar das Auto geschenkt habe. „Das stimmt nicht“, versichert Hadji: „Er hat mir zwar einige Dinge geschenkt. Aber darüber spreche ich nicht.“ Von den eigenen Fans angegriffen und von den gegnerischen verhöhnt, fühlte sich Hadji im Herbst wie im falschen Film. „Zeitweise hat er sich sicher gefragt, warum er sich das alles antut“, erzählt Trainer Rudi Bommer und beteuert, dass das Bild vom „Hallodri im Sportwagen“ völlig unangebracht sei: „Mustafa ist technisch der vielleicht beste Spieler, den ich je trainieren durfte. Aber er ist auch ein Musterprofi und charakterlich absolut vorbildlich.“ Mustafa Hadji ist in Creutzwald aufgewachsen. Ein kleines beschauliches Örtchen mit rund 14.000 Einwohnern. Für den Welten- bummler Hadji hat es alles, was er braucht. Seine Familie, Ruhe, einen See, und sogar ein marokkanisches Restaurant mit Namen „Le sud marocain“. „Das kann ich sehr empfehlen. Das Essen schmeckt und der Chef ist ein guter Freund von mir“, meint Hadji augenzwinkernd. Ins Haus lässt er niemanden, „das ist privat“. Dafür öffnet er behutsam die Garage, und es funkelt einem entgegen wie aus einer Schatzkiste. „Ich habe viel Geld verdient in meiner Karriere, aber ich habe nie vergessen, wo ich herkomme.“ Beim FC Saarbrücken ist er, so beteuern alle, nicht einmal der Spitzenverdiener des abstiegsbedrohten Zweitligisten. Trotzdem fährt Hadji fünf Autos. Neben dem Ferrari zum Beispiel noch einen Mercedes 500SL: „Sie sind der Luxus, den ich mir leiste. Das ist nun mal ein Tick von mir. Eine Droge.“ Stolz, aber auch etwas schüchtern präsentiert der zurückhaltende Afrikaner seine Sammlung und seine Augen leuchten wie die eines kleinen Jungen. Neu kostet ein Modena Spider 250.000 Euro, „aber ich habe ihn gebraucht gekauft“. Nur zwei bis drei Monate im Jahr nutzt er die italienische Nobelkarosse. Bis zu 310 Stundenkilometer hat Hadji schon auf dem Tacho seines Ferrari erblickt. „Er fährt auch locker 360“, erzählt er, „aber so ab 300 bekomme ich ein mulmiges Gefühl.“ „ICH MÖCHTE NICHT AUFFALLEN. ES GEHT UM DAS FAHRGEFÜHL“ Den Geschwindigkeitsrausch und den Luxus genießt der Weltenbummler, als Statussymbol sieht Hadji seine Autos nicht. Deshalb wollte er den Ferrari auch unter gar keinen Umständen in Rot. „Leider ist es gar nicht so leicht, ihn silberfarben zu bekommen“, versichert er: „Alle wollen ihn in Rot. Aber mir geht es um das Auto, um das Fahrgefühl. Auffallen möchte ich nicht.“ Vermeiden lässt sich dies nicht. Doch seinen Frieden mit den Fans im Saarland hat Hadji längst geschlossen. Inzwischen mögen sie seine freundliche, offene Art abseits des Feldes. Vor allem der sportliche Aufschwung gegen Ende der Hinrunde, an dem Hadji erheblichen Anteil hatte, sorgte letztlich für die Versöhnung. Und Gerhard sagt heute, „dass wir uns erst an ihn gewöhnen mussten. Denn solch einen Fußballer haben wir hier noch nie gesehen.“ RUND 77 rund_076_077_Portraet_H 77 04.04.2006 20:55:26 Uhr IM ABSEITS Was wäre, wenn … DIE BAYERN-REGEL: Weg mit dem vierten Offiziellen! Den Bayern geht es doch eh gut. Da braucht man eigentlich keine neue Regel einzuführen. Es sei denn, man möchte wie Fan ALEX FEUERHERDTDEN mündige Spieler auf dem Feld haben Als Bayern-Fan hat man es eigentlich gut. Ständig Meister, ab und zu als Dreingabe den DFB-Pokal oder die Champions League. Da lässt man die Fußballregeln wohl besser so, wie sie sind. Noch vor sechseinhalb Jahren habe ich das allerdings ganz anders gesehen. Da war ich ein leidenschaftlicher Gegner der Nachspielzeit. ManU, Sheringham, Solskjær, das in letzter Nachspielzeitsekunde verlorene und vergurkte Champions-League-Finale: Sie wissen schon Bescheid, und ich möchte nicht mehr darüber sprechen. Zwei Jahre später, als Patrik Andersson den „Vier-Minuten-Meister“ ins Tal der Tränen stürzte, hat mich mein Geschwätz von gestern aber nicht mehr interessiert. Als Schiedsrichter bin ich regeltechnisch ohnehin eher konservativ. Schließlich muss man die ganzen Neuerungen nicht bloß auswendig lernen, sondern auch noch um- und durchsetzen. Vergessen Sie das mit den mündigen Spielern! Aber wenn’s schon was sein soll, dann würde ich den vierten Offiziellen am Spielfeldrand wieder abschaffen und ihn durch je einen Spieler pro Mannschaft ersetzen lassen. Gut, das hat gewiss Nachteile. Wegen jeder Auswechslung nach draußen zu rennen und ein Nummerntäfelchen hochzuhalten, ist lästig und sieht albern aus. Auch den eigenen Trainer ständig zurück auf seine Bank schicken zu müssen, hält ein bisschen von der Arbeit ab. Aber die Vorzüge überwiegen doch ganz eindeutig. Das Ganze ist nämlich Demokratie at its best. Nehmen Sie nur mal Michael Ballack. Der diskutiert sowieso jede Entscheidung gegen sein Team mit dem Referee. Künftig bekommt er dafür aber keine gelbe Karten mehr, sondern ein anerkennendes Schulterklopfen vom Unparteiischen für seine guten Argumente. Das stärkt die Moral und ist außerdem gut fürs Herz. Sicher, für die Bundesligaschiedsrichter kann diese Neuerung ausgesprochen nervtötend sein. Aber so ist das halt mit der Mitbestimmung. Außerdem behalten sie ja das letzte Wort. Und wenn’s den Bayern etwas nützt, will ich’s zufrieden sein. Ich muss sie schließlich auch nicht pfeifen. Fans mit Ideen, mit welcher Regeländerung ihr Klub besser dastünde, wenden sich mit ihrem Vorschlag an: [email protected] RUND 78 rund_078_079_Was_waere.indd 78 04.04.2006 20:59:24 Uhr IM ABSEITS Seelsorger „GOTT HAT MIR EINE PRIMA VORLAGE GEGEBEN“ BRUDER JAURI IST DER OFFIZIELLE SEELSORGER DER DEUTSCHEN PROFI-FUSSBALLERGEWERKSCHAFT VDV. GEMEINSAM MIT DREI ORDENSBRÜDERN AUS DEM KLOSTER BAD MÜNSTEREIFEL STEHT DER 25-JÄHRIGE SÜDBRASILIANER DEN BUNDESLIGAPROFIS ZU FRAGEN RUND UM GOTT UND DIE WELT ZUR VERFÜGUNG – UND KICKT AM WOCHENENDE SELBST IM KLOSTER INTERVIEW ANNE-EV USTORF, FOTOS JEAN BALKE RUND 80 rund_080_081_Interview.indd 80 10.04.2006 12:55:41 Uhr IM ABSEITS Bruder Jauri, Sie sind Ordensbruder der Legionäre Christi und kümmern sich außerdem um das Seelenheil der deutschen Fußballprofis. Gibt es da überhaupt Bedarf? BRUDER JAURI Schon. Manche Spieler kommen mit persönlichen Problemen zu mir, andere suchen den religiösen Dialog, wollen mehr über Gott wissen. Einige Spieler sind vom Weltjugendtag und dem neuen Papst berührt worden und haben dadurch ihren Glauben tiefer entdeckt oder sogar neu gefunden. Rufen die Spieler Sie an und sagen: „Ich möchte mal über Gott sprechen?“ So ähnlich. Die Spieler bekommen meine Nummer von der VdV und können mich jederzeit telefonisch erreichen. Die meisten Gespräche werden dann aber persönlich geführt. Für geistliche Themen ist es besser, wenn man sich zusammensetzt und sich in Ruhe unterhält – am Besten in der Muttersprache. Ich stehe aber nicht nur den katholischen Spielern zur Verfügung, sondern allen, unabhängig von Konfession und Glaubensrichtung. Manchmal sprechen wir auch über ganz weltliche Themen. Viele gläubige Spieler sind Brasilianer wie Sie. Es scheint, dass in Ihrer Heimat Fußball und Glaube eng verknüpft sind. In Deutschland ist das aber nicht so, oder? Richtig. Der Glaube ist bei den brasilianischen Spielern eine tiefe innere Überzeugung. Deshalb tun sich viele Brasilianer in Deutschland auch schwer damit, dass die Religion hier einen geringeren Stellenwert hat. Persönlich glaube ich, dass man vieles von den Brasilianern lernen kann – vor allem, die eigene religiöse Überzeugung nicht zu verstecken. Man darf ruhig öffentlich zeigen, wie viel einem der Glaube wert ist und wozu er taugt. Dass der Glaube nicht nur für schwere Momente da ist, um dann Gott zu suchen, sondern auch sich dankbar seiner zu erinnern, wenn es uns gut geht. Ich freue mich immer mit den Erfolgen meiner Landsleute, doppelt sogar: Ihres schönen Spiels wegen und weil sie allen vorgemacht haben, Jesus im Blick zu behalten. Kann der Glaube helfen, auf dem Platz bessere Leistungen zu bringen? Auf dem Fußballplatz spielt der ganze Mensch, mit Leib und Seele. In dem Sinne schon. Mein Ziel ist aber nicht, aus Fußball ein Ritual zu machen, das Stadion zum Tempel und den Ball zu einem Gott. Fußball ist nur Fußball. Ich versuche den Spielern in ihrer Beziehung zu Gott beizustehen und ihnen außerdem die Möglichkeit zu geben, ihre Vorbildfunktion für Jugendliche positiv und attraktiv auszuüben. Gibt es auch manchmal Situationen in Ihrer Tätigkeit als Seelsorger, in denen Sie das Gefühl haben, psychologische Beratung wäre angebrachter? Psychologie und Religion sind prinzipiell zwei Paar Stiefel. Oft ist das Gespräch mit Psychologen wichtig, zum Beispiel bei Motivationsproblemen, zu hohem Druck und so weiter. Aber manche Dinge, Glaubensfragen oder persönliche Probleme zum Beispiel, kann man in einem offenen Gespräch mit einem Priester einfach besser lösen. Wie kam es überhaupt zur Zusammenarbeit mit der Spielergewerkschaft? Durch meine Beziehungen zu diversen Spielern hatte ich schon länger Kontakt mit der VdV. Irgendwann entschied sich die Spielergewerkschaft, auch den religiösen Bedürfnissen der Profis mehr Aufmerksamkeit zu schenken, gerade in Bezug auf die ausländischen Profis. So kam es, dass wir den Mitgliedern unsere geistliche Betreuung anboten. Sie arbeiten mit drei Ordensbrüdern zusammen. Mit Pater Hubert betreue ich das Rheinland, Ruhrgebiet und den Norden. Seit November stehen Pater Clemens und Bruder Daniel für Seelsorger Gottes Spieler: Bruder Jauri mit seiner runden Bibel diesen Dienst im Süden zu Verfügung. Für gegenseitigen Austausch sehen wir uns einmal in der Woche. Manchmal spielen wir dann auch zusammen Fußball. Dass Ordensbrüder sich für Fußball interessieren, liegt ja nicht gerade auf der Hand. Wie kommt es zu Ihrem Interesse am runden Leder? Als Kind wollte ich Missionar oder Fußballprofi werden. Gott hat mir eine prima Vorlage gegeben: Durch den Weg, den ich eingeschlagen habe, kann ich beides kombinieren. Das macht mich sehr glücklich. In der Jugendseelsorge habe ich den Fußball schon immer als Zugpferd benutzt, um die Jungs zu begeistern. Dann kam die Idee, die Fußballer dafür zu gewinnen, sich für die Jugendarbeit zu engagieren, denn Kinder sehen in den Profis oft große Vorbilder. Später habe ich festgestellt, dass die Spieler selbst oft dankbar dafür sind, wichtige Werte im Leben mit den Jugendlichen teilen zu dürfen. Wie oft spielen Sie selbst noch? In Bad Münstereifel jeden Sonntag mit meinen Mitbrüdern. Im Kloster haben wir zwanzig Novizen, alle zwischen 19 und 25 Jahre jung und viele Patres, die gerne kicken. Schauen Sie auch Fußball im Fernsehen? Klar, ich muss ja immer gut über alles informiert sein, was in der Bundesliga geschieht. Wie sieht es mit der WM aus? Werden Sie in dieser Zeit verstärkt als Seelsorger tätig sein? Für die Weltmeisterschaft 2006 hat die Fifa Religionsbeauftragte abgestellt. Jeder Mannschaft, so ist geplant, soll ein Seelsorger zugeteilt werden. Unsere konkrete Aufgabe stellt sich bald heraus. Und freuen Sie sich schon auf die WM? Sehr sogar. Eine Weltmeisterschaft ist immer ein spannendes Ereignis, voller Überraschungen. Ich freue mich ganz besonders, dass ich sie hier in Deutschland miterleben darf. Einige Spiele werde ich schon ansehen, vor allem die von meinen Nationen: Brasilien und Deutschland, hoffentlich beide wieder im Finale. RUND 81 rund_080_081_Interview.indd 81 10.04.2006 12:55:55 Uhr POSTKARTEN ABTRENNEN, VERSENDEN UND FREUDE BEREITEN! rund_083_084_Postkarten.indd 2 04.04.2006 21:35:55 Uhr RUND > DAS FUSSBALLMAGAZIN www.rund-magazin.de NEVIO SCALA „Das Tor ist ein Problem, das jede Mannschaft hat.“ RUND > DAS FUSSBALLMAGAZIN www.rund-magazin.de ALESSANDRO DEL PIERO „Frisch geschnittener Rasen – als Kind war das immer das Größte. Es bedeutete Freiheit, Glück. Wenn ich heute auf dem Rasen liege, fühle ich dasselbe.“ FOTO JAN VON HOLLEBEN FOTO SEBASTIAN VOLLMERT rund_083_084_Postkarten.indd Abs1:4 04.04.2006 21:36:13 Uhr RUND > DAS FUSSBALLMAGAZIN www.rund-magazin.de NILTON SANTOS „Die Lederkugel trat nie gegen mein Schienbein, betrog mich nie. Wenn sie meine Geliebte war, dann war sie mir von allen die Liebste“ RUND > DAS FUSSBALLMAGAZIN www.rund-magazin.de HELLMUTH KARASEK „Fußball ist das erfolgreichste Theater der Neuzeit.“ FOTO MAAK ROBERTS IM ABSEITS Ricardos Welt No Brazilians, please, we’re british Der brasilianische Journalist sieht aus wie Ronaldo in zehn Jahren, war Pressechef der Seleção und erzählt bis Juni in dieser WM-Kolumne von seinen ungewöhnlichen Erlebnissen in der Fußballwelt. Diesen Monat führt ihn seine RUNDreise ins trinkfreudige England ILLUSTRATION ANNE-KATRIN ELLERKAMP „Na, Junge, ein Pint?“ – „Nein danke.“ „Nimmst du ein Bier?“ – „Ich trinke nicht, schon in Ordnung.“ „Treffen wir uns im Pub, ja?“ – „Lieber nicht. Wir könnten ja etwas essen gehen.“ In Publand, Hauptstadt London, nicht zu trinken, kann etwas schwierig sein. Auch über südamerikanischen Fußball zu sprechen, ist in England nicht so angesagt. Ich war dort und habe alles gesehen und gehört. Von Liverpool über Manchester nach London, wo Chelsea und Arsenal spielen, und dann nah dran an der englischen Nationalelf – man kann schon sagen, dass ich ein bisschen was vom Spiel auf englische Art verstehe. Ich respektiere es. Aber es mögen? Hm, schwer zu sagen. Bis dieser Tag kam. Juninho Paulista, einst die Nummer zehn der Seleção, klein, aber so talentiert wie nur wenige, kam von Atlético Madrid nach Middlesbrough. Grund genug, den ersten talentierten Brasilianer überhaupt zu verfolgen, der in den englischen Fußball ging. Wochen habe ich dort verbracht. Und was ich sah, wird mir ewig im Gedächtnis bleiben. Middlesbrough gab sich ganz einfach einen grün-gelben Anstrich. Zehntausende erwarteten Juninho am örtlichen Flughafen und im Fußballstadion. Es war aufregend: Die rauen, kühlen, äußerst höflichen und distanzierten Engländer waren schlicht in Ekstase, als sie einen brasilianischen Spieler kommen und sein Talent zur Schau stellen sahen. Der neue Spitzname des Klubs war „Brasilbrough“ und eine ganz neue Generation von Jungen und Mädchen wuchs heran, die unbedingt die Wunder des brasilianischen Fußballs auf ihrem Rasen sehen wollte. Die Türen standen offen, soviel verstand ich. Nachdem Charles Miller, Sohn eines Engländers, zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Fußball nach Brasilien gebracht hatte, war jede sportliche Verbindung zwischen den beiden Ländern abgebrochen. Der Sport in den beiden Ländern entwickelte sich in ganz unterschiedliche Richtungen. Doch Juninhos Wechsel war ein Wendepunkt, der Türöffner vielleicht für einen absoluten und dramatischen Wandel in den Augen der Menschen. Ein Thema, über das man sich in Middles- brough im Pub unterhielt: War der englische Fußball bereit, sich zu verändern, etwas eleganter zu werden und Raum für Talent statt nur für Kraft zu bieten? Mit einem Shandy in der Hand, einer Mischung aus Light-Bier und Zitronensaft, wurde ich Zeuge einer beginnenden Revolution. Dachte ich. Denn die Dinge haben sich nicht weiter in diese Richtung entwickelt. Die Premier League ist die einzige hochrangige Meisterschaft der Welt, die keinen einzigen brasilianischen Star hat. England hat großartige und heimelige Stadien, großartiges Bier und Fish and Chips, schöne Trikots und fantastische Fans. Aber nachdem Middlesbrough erst mit Juninho Paulista ein berühmtes Team geworden ist, hat es den Anschein, als könnte ein Hauch Brasilien dem Land nicht schaden. Bei der Ehre der Queen glaube ich, dass wir, bevor Big Ben 2012 zur Olympiade schlägt, sehen werden, wie einige Robinhos, Ronaldinhos und Zé Robertos ein wenig Lächeln, Talent und Spielfreude in britische Gefilde bringen. Und wer weiß, vielleicht fange ich ja sogar an, im örtlichen Pub ein Bier zu trinken. RUND 85 rund_085_085_Ricardo 85 03.04.2006 12:42:48 Uhr IM ABSEITS Der große WM-Coup Patsche für Polen (Teil 2) Jetzt kann es ganz schnell gehen: Der polnische Fußballverband hat auf Anfrage von RUND sein grundsätzliches Interesse an Stürmer NICO PATSCHINSKI vom Zweitligisten LR Ahlen bestätigt. Vorausgesetzt, Patsche erfüllt alle Voraussetzungen, um einen polnischen Pass zu bekommen. Dann könnte er am 14. Juni gegen Deutschland auflaufen VON OLIVER LÜCK UND RAINER SCHÄFER, FOTO MARTIN KUNZE „Please let Mr. Patschinski score for Poland“: Das Originalfax an den polnischen Fußballverband könnte der Beginn einer wunderbaren WM-Karriere gewesen sein. Wenn einer Polen hilft, dann Patsche!! Die Polen, die sich um ihren Fußball sorgen, sind lakonische und misstrauische Sportsfreunde, gerade wenn ihnen mal wieder ein besonders guter Spieler aus dem Ausland angeboten wird. „Im Moment findet jeder eine polnische Oma in seinem Stammbaum, um bei der WM dabei sein zu können“, erklärt Daniel Olkowicz von der täglichen Sportzeitung „Przegla˛d Sportowy“ in Warschau die Skepsis der polnischen Fußballfunktionäre. Bei Nico Patschinski liegt der Fall anders. „Der war im Herbst noch ein Thema für die Nationalmannschaft, da haben wir in Polen darüber berichtet“, erzählt Olkowicz. „Ob er es heute noch ist, kann ich nicht einschätzen.“ Anruf bei Krzysztof Rola-Wawrzecki. „Rola“, wie der Teammanager der polnischen Nationalmannschaft gerufen wird, geht gleich in die Offensive. „Wir kennen Patschinski. Wenn seine Papiere in Ordnung sind und er die polnische Staatsangehörigkeit annimmt, dann machen wir weiter. Schicken Sie die Papiere.“ Anruf bei Michał Listkiewicz, dem Präsidenten des polnischen Fußballverbandes, den wir beim Kongress der Uefa in Budapest erreichen. Auch Listkiewicz lässt die wichtigen Geschäfte im Weltfußball für einen Augenblick ruhen. „Ich habe den Namen Patschinski gehört. Wenn wir die richtigen Papiere haben, sehen wir weiter.“ Inzwischen liegen dem Verband in Warschau Schriftstücke vor, mit denen Patschinski zum Polen werden könnte. Seine Großeltern Gerhard und Erika Patschinski stammen aus Rastenburg in Ostpreußen, dem heutigen Ke˛trzyn. Krzysztof Rola-Wawrzecki will bald das Gespräch mit Nationaltrainer Paweł Janas suchen und ihm die frohe Botschaft überbringen, dass Polen wohl beim WM-Turnier über eine weitere und vor allem schillernde Alternative im Angriff verfügen wird. Immerhin hat „Patsche“ in der Bundesliga auch schon gegen Bayern München und Nationaltorhüter Oliver Kahn getroffen. „Es ist egal, wer in der deutschen Abwehr spielt“, sagt Patschinski selbst. „Ich kenne sie alle und auch ihre Schwächen. Wenn ich gegen Deutschland auflaufe, treffe ich auch. Das kann ich versprechen.“ Nur wer weiß, wie sehr es die Polen wurmt, dass Lukas Podolski und Miroslav Klose für Deutschland und nicht für ihr Land stürmen, weiß auch, dass Patsche besser anfangen sollte, polnisch zu lernen. RUND wird nichts unversucht lassen, Patsche zur WM zu bringen. Sie dürfen gespannt sein, wie es weitergeht. Fortsetzung folgt … RUND 87 rund_087_Patsche_zu 87 04.04.2006 21:56:45 Uhr IM ABSEITS Auslandsreportage STARS AUS DER TÜTE VON EBERHARD SCHADE, FOTOS CHRISTIAN JUNGEBLODT RUND 88 rund_088_092_Panini_Rep 88 05.04.2006 20:44:06 Uhr Modena, die Stadt der Schweine, ist berühmt für Mortadella und erstklassigen Aceto Balsamico. Der Fußballklub ist zweitklassig. Dennoch ist Italien hier schon Weltmeister. In einer unscheinbaren Fabrik am Rande der Stadt werden täglich bis zu 65 Millionen FUSSBALLABZIEHBILDER gedruckt Kwasi Nyantakyi – dieser Name bricht Marco Boldrini noch immer die Zunge. Und der Mann, der hinter dem Namen steckt, hätte den Norditaliener beinahe um den Verstand gebracht. Nyantakyi ist Verbandschef des ghanaischen Fußballs und nach der geglückten WM-Qualifikation so etwas wie der Kaiser an der westafrikanischen Goldküste. Nur nicht so allgegenwärtig. Boldrini und seine Mitarbeiter in Nordafrika fanden ihn in keinem Telefonbuch, auf keiner Website, nirgends und hätten ihre Suche nach dem Mann beinahe aufgegeben. Obwohl sie so einen wunderbaren Deal mit ihm abschließen wollten. „Einen, an dessen Ende wir beide gut dastehen“, erklärt der kleine, agile Mann mit dem Bürstenhaarschnitt. Und schiebt gleich noch „eine so genannte win-win-situation“ hinterher. Boldrini kann nicht anders, er liebt solche Ausdrücke. Im Dezember 2005 ist er dann nach Leipzig gefahren, zur WM-Gruppenauslosung. Drei volle Tage lang lungerte er in Hotellobbys herum, sprach jeden Schwarzafrikaner an, ob er Nyantakyi oder so ähnlich heiße. Am dritten Tag schließlich war der Deal perfekt. Seit jenem Tag scheint das Grinsen in Boldrinis Gesicht noch ein wenig breiter. Denn mit der Unterschrift des Ghanaers sind die Verträge komplett. Marco Boldrini, Exportchef beim weltgrößten Abziehbildhersteller Panini in Modena, hat es geschafft. Pünktlich zur WM 2006 beliefert er alle teilnehmenden Länder. Fünf Millionen Tütchen gehen per Schiff nach Ghana. Verglichen mit den über 50 Millionen allein für den deutschen Markt sind das „peanuts“, sagt Boldrini. Aber wer weiß, wie viele Ghana noch nachbestellt, wenn die „Black Stars“ die Vorrunde erfolgreich überstehen. Panini-Abziehbilder liegen in dem kleinen Karton im Kiosk um die Ecke gleich neben der Kasse. Irgendwo zwischen Magenbitter und Schokoriegel. In jeder handtellergroßen Tüte, 50 Cent das Stück, sind fünf Sticker. RUND 89 rund_088_092_Panini_Rep 89 05.04.2006 20:44:16 Uhr IM ABSEITS Auslandsreportage Qualitätskontrolle: Am Leuchttisch überprüft ein Panini-Mitarbeiter die Druckbögen Gute Mischung: 20 unterschiedliche Spieler kommen auf eine Quadrotte (r.) Mit etwas Glück sind in einer Nelson Valdez, Gianluigi Buffon, Francesco Totti und Roque Santa Cruz frontal abgelichtet. Und dazu garantiert noch ein Abwehrspieler aus dem Iran oder die Gesichter von Männern mit Namen wie Abubakari Yakubu oder Asamoah Frimpong, beide übrigens aus Ghana. „Die ersten Bilder wurden mit der Hand eingetütet, in Heimarbeit von unseren Müttern“ MASSIMO FELICANI In Italien gibt es Panini-Fußballsticker seit 1961, das erste Sammelheft in Deutschland erschien 1974. Sticker und Heft gehören stets zusammen. Die meisten Teams haben 17 Sticker, im aktuellen Sammelalbum ist das eine Doppelseite. Vorne auf dem Album steht in fetten Buchstaben „offiziell lizenziertes Produkt“ gedruckt. Das hat mit den Persönlichkeitsrechten der Spieler zu tun, erklärt Boldrini, „aufgrund derer wir mit jedem einzelnen einen Vertrag machen müssen“. 596 Bilder pro Album. So viele wie 2006 waren es noch nie in einem Panini-WM-Album. Und diesmal gab es auch keinen Wermutstropfen wie kurz vor der WM 2002, als ein Mitkonkurrent den Italienern in letzter Minute die Lizenzen der dänischen Nationalelf wegschnappte. Keine Zicken einiger Stars wie bei der EM 2004, als Oliver Kahn den Italienern verbot, sein Konterfei zu drucken, weil 1000 Euro Lizenzgebühr angeblich zu niedrig waren. Was allerdings auffällt: Ausgerechnet Ghana hat nur eine Seite im Album, nur Platz für acht Sticker. Als wäre am Ende doch etwas schief gelaufen zwischen Boldrini und seinem neuen afrikanischen Freund. Für einen „Global Player“, wie Boldrini es ausdrückt, sieht das Fabrikgebäude im Nordwesten von Modena wenig repräsentativ aus. Grauer Putz außen, drinnen Schachtelbüros im 70er-Jahre-Design und ein 40 Jahre alter Maschinenpark. Auf den ersten Blick versprüht der ganze Laden den Charme der WMSticker von 1974 – ungefähr der Zeitpunkt, in der die internationale Produktion anlief. Die Italiener waren damals längst infiziert. Unter ihnen: Massimo Felicani. Den 45-Jährigen, verantwortlich für Qualitätskontrolle und alle technischen Abläufe im Werk, erwischte das Sammelfieber mit acht. „Die ersten Fußballer wurden noch per Hand eingetütet“, erinnert er sich, „meist von unseren Müttern in Heimarbeit.“ Massimo half nach der Schule mit und brachte abends die sortierte und eingetütete Ware ins Büro der Panini-Brüder. Dafür gab es ein Taschengeld – ausgezahlt in Sammelbildern. Heute, knapp 40 Jahre später, hat Panini Vertretungen in über 110 Ländern, verkauft Bildchen bis nach Brasilien, längst nicht mehr nur Fußballer. Das Unternehmen reagiert auf den Markt, druckt Pokemon-, Harry-Potterund Tokio-Hotel-Serien je nach Bedarf. Ein Drittel des Umsatzes aber macht der Konzern mit den Kickern. Die WM im Rücken rechnet Felicani 2006 mit 500 Millionen Euro. Dass bestimmte Fußballer in den einzelnen Sammeltüten künstlich rar gemacht werden und andere häufiger vertreten sind, erklärt Felicani zur Legende. „Alle sind in gleicher Stückzahl auf die Tütchen verteilt“, sagt er. Dafür sorgt ein raffiniertes System, dass sich die Firmengründer ausgedacht haben. Die 1,20 mal 1,60 Meter großen Druckbögen werden dabei in so genannte Quadrotten geschnitten. Dieser Mischvorgang soll vermeiden, dass in einer Tüte das gleiche Bild zweimal ist und dazu sicherstellen, dass spätestens mit dem zweiten Karton, den der Kioskbetreiber aufstellt, alle Fußballer einmal vertreten sind. Gegen Ende der Produktionskette: Felicanis Lieblingsmaschine. Vor ihr steht Daniela, 30, und legt alle vier Minuten einen Stapel Nelson Valdez nach. Vier dünne Metallstreben RUND 90 rund_088_092_Panini_Rep 90 05.04.2006 20:44:22 Uhr IM ABSEITS Auslandsreportage RUND 91 rund_088_092_Panini_Rep 91 05.04.2006 20:44:24 Uhr IM ABSEITS sorgen für die Führung der 4,8 mal 6,9 Zentimeter kleinen Bildchen. Ein Greifarm unten am Ende des Stapels zieht alle fünf Sekunden einen Valdez auf ein Fließband, befördert ihn mit vier weiteren Spielern zwischen zwei Walzen mit riesigen Rollen Tütenpapier. Automatisch geschnitten und verklebt fällt das fertige Tütchen Sekunden später mit 99 anderen in den Karton, der später am Kiosk steht. „Alles mechanisch“, schwärmt Felicani, nur die Leistung der Maschine ist computerüberwacht. Deshalb muss Daniela auch immer wieder ran, Nelson Valdez nachlegen, bei Stau die Maschine stoppen. 200 Frauen und Männer arbeiten in Modena, drei Schichten à sieben Stunden. Das sind pro Tag acht bis 13 Millionen Bildertütchen. Am Ende der Kette stapelt dann ein Roboter die in Kartons verpackte Ware auf Euro-Paletten. Lkw leeren inzwischen wieder die Lager. „Täglich neun 24-Tonner“, weiß Felicani. Jeder einzelne mit achtzehnmillionenvierhundertzweiunddreißigtausend Abziehbildchen. Daniela hat sich David Beckham und Patrick Owomoyela an ihre Maschine geklebt. „Zufall“, sagt sie und versucht ein Lächeln. Fußball interessiert sie überhaupt nicht. Ganz Auslandsreportage 2004 verbot Oliver Kahn, sein Konterfei zu benutzen – 1000 Euro Gebühr waren angeblich zu wenig anders Antonio, Andrea und Giovanni schräg gegenüber an der großen Offsetdruckmaschine. Totti und Buffon den ganzen Tag vor Augen, wirken sie ein bisschen wie auf Droge. Ganz schlimm scheint es bei Antonio zu sein. Er glaubt fest daran, dass der Zuschnitt der Quadrotten bei Panini bereits das Finale vorherbestimmt hat. Warum bitte schön sonst, sagt er, sollte die Zufallsmischung ausgerechnet die italienische Elf neben der deutschen platziert haben? „Und wieder“, schickt Antonio hinterher, „gewinnen wir!“ Wie viele hier, die ihr Leben lang bei Panini arbeiten, kann auch er sich gut an die Zeit erinnern, als er selbst noch sammelte. An das Kribbeln beim Öffnen der ersten Tüten, die sich wegkleben wie nichts. Oben eine Ecke abknicken. Folie abziehen. Einkleben. Fertig. Bis der Stapel mit den Doppelten wächst und zwischen den Porträts weiße Felder klaffen, deren Anblick bei echten Sammlern noch Jahre später eine merkwürdige Trauer auslösen. Für solche Fälle gibt es heute im Internet Tauschbörsen. Wem hier nicht geholfen werden kann, um den kümmert sich Francesca. Sie arbeitet im Nachbestellservice. „Allein aus Deutschland kommen 1000 Anfragen im Monat“, schätzt sie. Und das Wochen vor der WM. Ab 9. Juni hat Francesca Urlaubssperre. Ihre Schatzkammer: unspektakulär, wie eigentlich alles auf den ersten Blick bei Panini. Regale mit Ordnern, scheinbar willkürlich an einer Wand befestigte Setzkästen. Die Sammlungen darin aber haben es in sich: Sie sind komplett. Neulich platzte ein älterer Herr herein, ein Sammler aus Lecce in Süditalien. Der Mann hatte zehn Fußballalben unter seinen Arm, wollte endlich die Lücken füllen. „Hat viel Geld hier gelassen“, sagt Francesca und zuckt mit der Schulter. So, als begreife sie noch immer nicht, was dabei eigentlich in solchen Leuten vorgeht. Da muss Felicani plötzlich grinsen. Er versteht den Mann aus Lecce. Und irgendwann, da ist er sich mit seinem Kollegen Marco Boldrini einig, wird das auch Mr. Kwasi Nyantakyi aus Ghana tun. Mona Lisa aus Modena: Daniela, 30, interessiert sich gar nicht für Fußball Eingetütet: Alle fünf Sekunden verschwinden fünf Spieler in der Tüte (r.) RUND 92 rund_088_092_Panini_Rep 92 05.04.2006 20:44:33 Uhr IM ABSEITS Weltklasse NEUES & SKURRILES ausaus der der ganzen runden ganzen WeltWelt des des Fußballs „Es geht um ein nationales Anliegen.“ (Miriam Gruß, FDP) „Jetzt läuft der Countdown zum Arbeiten und nicht zum Zerreden.“ (Peter Struck, SPD) „In diesem Stadium haben wir gar keine andere Chance mehr.“ (Peter Rauen, CDU) „Es wäre schön, wenn Herr Klinsmann mal dem Sportausschuss erklären würde, was seine Konzeption ist und wie er Weltmeister werden will.“ (Norbert Barthle, CDU) „Klinsmann soll endlich sagen, auf wen er setzt.“ (Reinhold Hemker, SPD) „Fußball ist zwar ein nationales Anliegen, aber die Organisation desselben ist Sache des DFB und nicht der Politik.“ (Peter Müller, CDU) „Der DFB hätte sich niemals darauf einlassen dürfen, dass der Bundestrainer ein Megaereignis wie die WM aus Kalifornien betreut.“ (Dieter Wiefelspütz, SPD) „Rückschläge kann man nicht weglächeln.“ (Detlef Parr, FDP) „Herr Klinsmann muss jetzt seine privaten Interessen zurückstellen.“ (Stephan Mayer, CSU) „Es wäre schon angebracht, dass er in dieser Phase der Vorbereitungen hier wäre.“ (Ernst Hinsken, CSU) „Man kann im Moment sagen: Es ist fast alles besser als Fußball.“ (Matthias Platzeck, SPD) GESAMMELT VON MARTIN KRAUSS TRAINERANTIDISKRIMINIERUNGSGESE TZ IN ENGLAND WILL SICH EIN MANN ALS NATIONALTRAINER EINKLAGEN: NUR WEGEN SEINER KRANKHEIT HABE ER DEN JOB NICHT BEKOMMEN Russell Moss leidet an Arthritis. Und er ist Fußballfan. Diese zwei sein Leben bestimmenden Aspekte versucht der Anhänger von Crystal Palace nun zu vereinen: Er klagt darauf, den Posten des englischen Nationaltrainers zu erhalten. Nur wegen seiner Krankheit werde er benachteiligt, sagt er, dabei habe er doch die „perfekte Formel“ ausgearbeitet, wie England Weltmeister werde. Bislang hat Moss zwar noch nie als Trainer gearbeitet, aber das habe nichts zu bedeuten. „Das Problem ist, dass meine Ansichten so kontrovers sind. Da ist es keine Überraschung, dass ich den Durchbruch noch nicht geschafft habe.“ Moss arbeitet auch an einem Buch namens „No Defence“, in dem seine fußballerischen Erkenntnisse niedergelegt werden. In einer ersten Anhörung vor dem Central London Employment Tribunal wurde sein Anliegen wegen zu „wenig begründeter Aussicht auf Erfolg“ zurückgewiesen, berichtet „ioccroydon.co.uk“. Bis zum 30. April hat Moss nun Zeit zu entscheiden, ob er dagegen vorgehen will. MARTIN KRAUSS Platz 74 75 76 77 78 79 Staat Kongo DR Österreich Wales Katar Kuba Estland +/– -1 -5 –2 +13 -1 –2 RUND 94 rund_094_095_Weltklasse 94 04.04.2006 22:15:32 Uhr IM ABSEITS Weltklasse zu viel schwein gehabt In der rumänischen vierten Liga wollte MARIUS CIOARA keine Witze mehr über Fleisch hören n Gegen Ende seiner Karriere ist ein rumänischer Abwehrspieler ziemlich genau 15 Kilogramm Fleisch wert. Für exakt diese Ablösemenge wurde Marius Cioara von seinem Klub UT Arad zum Viertligisten Regal Horia transferiert. UT spielt in der zweiten rumänischen Liga, und entsprechend froh werden die Horia-Manager über den günstigen Deal gewesen sein. Die Freude über den Neuzugang währte jedoch nur knappe 24 Stunden. Cioara erklärte den verdutzten Vereinsverantwortlichen dann nämlich seinen Rückzug aus dem aktiven Sport und fügte hinzu, er würde lieber „als Arbeiter in Spanien auf dem Bau schuften“ als auch „nur eine Minute länger blöde Scherze anzuhören“. Die nunmehr fleisch- und verteidigerlosen Horia-Funktionäre kündigten an, die Tauschware sofort zurückzufordern. Ob die allerdings nicht schon längst bei einem Mannschaftsessen restlos verputzt wurde, ist leider nicht bekannt. ELKE WITTICH Evoloko aus der Demokratischen Republik Kongo ist hauptberuflich Fußballfan FOTO WITTERS Gut zwanzig Jahre ernährte er sich und seine Familie mit neun Kindern als Taxifahrer in der Hauptstadt Kinshasa. Jetzt hat Evoloko endlich seinen Traumjob gefunden: Der eingefleischte Fußballfan – bei jedem Länderspiel der Demokratischen Republik Kongo als mystisch-bunter Fan auf der Tribüne dabei – wurde Busfahrer seines Lieblingsvereins. Seit Februar dieses Jahres fährt der 41-Jährige die Spieler des kongolesischen Meisterklubs Daring Club Motema Pembe de Kinshasa von Spiel zu Spiel. In ziviler Kleidung übrigens – seine Kriegsbemalung legte er im Januar noch einmal beim Afrika-Cup in Ägypten auf, um böse Geister für die Gegner zu beschwören. Das hat nur bis zum Viertelfinale geklappt, dann schied Kongo gegen Ägypten aus. JANSEN OHNE 12.MANN Aus Ärger über Auswärtstickets schickte OLYMPIQUE MARSEILLE nur die Amateure – und holte einen Punkt beim Pariser Erzrivalen FOTO HOCHZWEI Der Stadionsprecher von Paris St. Germain präsentierte das Spiel gegen Olympique Marseille als „Gipfel der Meisterschaft“. Tatsächlich war das folgende 0:0 der ewigen französischen Streithähne nur der Gipfel einer „Woche der Farce und der Provokationen“ („Libération“). PSG hatte „aus Sicherheitsgründen“ nur 1000 der üblichen 2000 Gästetickets nach Marseille geschickt. An die eigenen Anhänger hat PSG allerdings ausgerechnet die Karten für die Tribüne über den Gästefans verkauft. Die weigerten sich nun, die Reise zu wagen. Unter dem Druck der mächtigen OM-Fanklubs beschloss Präsident Pape Diouf, dass seine erste Equipe zu Hause bleibt. „Jetzt ist Diouf wie Gott in Marseille“, meint der Sportjournalist Marc Beaugé. Denn für Olympique lief kurzerhand das B-Team aus der fünften Liga auf und demütigte Paris mit einem Punktgewinn. Dicke Luft dadurch bei PSG: „OM macht aus einem technischen Problem eine Staatsaffäre, aber ich schäme und entschuldige mich für unser Team“, sagte Präsident Pierre Blayau. Als Verlierer des Unentschiedens sah sich der TV-Sender und PSG-Besitzer „Canal+“, der das unseriöse Spiel übertrug und anschließend erfolglos von Schadensersatz schwadronierte. HOLGER HEITMANN RUND 95 rund_094_095_Weltklasse 95 04.04.2006 22:15:42 Uhr RUND Spielkultur SPIELKULTUR Spielkultur muss gepflegt werden. Oder auch zelebriert. Mit ihr werden Blumenpötte gewonnen. Oder die Galerie begeistert: „Fußball ist ein großer Gleichmacher. In den 70er Jahren waren in der Eintracht-Fankurve oft auch linke Intellektuelle anzutreffen, weil sie glaubten, Gleiche unter Gleichen zu sein“ DANIEL COHN-BENDIT 98 INTERVIEW „Fußball ist nicht gerecht“ – Daniel Cohn-Bendit erklärt, was er gegen Franz Beckenbauer hat 108 KICK IM KINO „Ich war keine gute Küsserin“ – Nora Tschirner tunnelt in der Komödie „FC Venus“ die Männer 110 FILM Pfostenbruch im Legostadion – „Helden 06“ zeigt das WM-Finale als Spielzeug-Animation 116 AUSLAUFEN Dieser Mann sieht rot – RUND-Kolumnist Jörg Thadeusz missfallen die Trikots der Nationalelf RUND 97 rund_097_097_Vorschalt 97 03.04.2006 11:07:02 Uhr SPIELKULTUR Interview „FUSSBALL IST NICHT GERECHT“ WENN ES NACH DANIEL COHN-BENDIT GEHT, HEISST DER NÄCHSTE UEFA-PRÄSIDENT NICHT FRANZ BECKENBAUER, SONDERN MICHEL PLATINI. „DANY LE ROUGE“ ERLÄUTERT AUSSERDEM, WAS EINE VERFEHLTE INTEGRATIONSPOLITIK MIT DER KRISE DES DEUTSCHEN FUSSBALLS ZU TUN HAT. SO VIEL VERVE ÜBERRASCHT NICHT, SCHLIESSLICH IST DER FUSSBALL FÜR SEIN GANZHEITLICHES WOHLBEFINDEN SEHR WICHTIG INTERVIEW CHRISTOPH RUF UND TOBIAS SCHÄCHTER, FOTOS PETRA KOHL Herr Cohn-Bendit, als sich am 13. Januar 1980 die Grünen in Karlsruhe als Partei konstituierten, sollen Sie im Frankfurter Ostpark Fußball gespielt haben. DANIEL COHN BENDIT Das kann gut sein. Der Grund war, dass ich noch nicht wusste, ob ich den Grünen überhaupt beitreten wollte. Ich habe oft schwer mit mir gekämpft habe, wenn samstags Veranstaltungen oder Parteitage waren. Fußball war schon immer für mein ganzheitliches Wohlbefinden wichtig. Wie sind Sie fußballerisch sozialisiert? Ich lebte als Jugendlicher in Paris, war aber Fan von Stade de Reims, dem großen alten Meister des französischen Fußballs. Später begeisterte mich St. Etienne, die Mannschaft aus der Arbeiterstadt mit Michel Platini. Ich selber habe bei CAP, einem kleinen Verein in Paris, gespielt und war oft im Prinzenparkstadion an der Porte d’Auteuil. Heute haben Sie Ihren Lebensmittelpunkt in Frankfurt und sind begeistert vom Offensivfußball der Eintracht. César Luis Menotti hat mal gesagt, es gebe einen linken und einen rechten Fußball. Ich finde das auch: Sicherheitsfußball ist rechts, im linken Fußball ist noch ein bisschen Abenteuer, der Versuch, sich mit einem spielerischen Konzept durchzusetzen, also völlig Anti-Rehhagel. Ich war beim Endspiel der EM 2004 in Lissabon: Dass eine Mannschaft, die einfach nur klug verteidigt hat und nur eine Torchance hatte, am Schluss gewinnt, ist unfassbar. Ästhetisch ist das ein Problem. Rechts neben mir saß Karl-Heinz Rummenigge und sagte: So ist Fußball. Fußball ist nicht gerecht. So wenig wie das Leben. Aber wie im Leben kann man sich Gerechtigkeit erkämpfen. Dass Brasilien so oft Weltmeister geworden ist, ist schon gerecht. Man kann das auch pragmatisch sehen. Die griechische Mannschaft hat das gespielt, was sie konnte. Richtig. Aber wenn das die einzige Dimension des Fußballs wäre, würden die Leute bald die Stadien verlassen. Den Sieg durch eine offensive Spielweise zu erreichen, soll also linken Fußball ausmachen? Das linke dabei ist, auf die Qualität und die Entwicklung der Spieler zu setzen, auf ein System, in dem sie ihre Qualität einbringen können. Und nicht ein System, in dem sich der Einzelne unterordnen muss. Bei Menotti muss man die Niederlage in Kauf nehmen, das Risiko eingehen. Nehmen wir das Endspiel des Confederations Cup, Brasilien gegen Argentinien. Die Argentinier waren gar nicht so schlecht. Aber das Risiko, das Brasilien gegangen ist, hat sich ausgezahlt. RUND 98 rund_098_103_Interview.indd 98 05.04.2006 20:22:26 Uhr SPIELKULTUR Interview „Im linken Fußball gibt es noch Abenteuer“: Daniel Cohn-Bendit ist ein Fan der von César Luis Menotti entwickelten Weltsicht RUND 99 rund_098_103_Interview.indd 99 05.04.2006 20:22:27 Uhr SPIELKULTUR Vater-Sohn-Konflikt: Cohn-Bendit junior hat eine Dauerkarte bei der Frankfurter Eintracht und singt dort kräftig mit Linker Fußball orientiert sich also am Individuum? Linker Fußball ist dort, wo die Spieler durch ihre Qualität und dadurch, dass sie das Spiel lesen, das System entwickeln und sich nicht dahinter zurücknehmen müssen. Was fasziniert Sie so am Fußball? Fußball ist ein großer Gleichmacher. In den 70er Jahren waren in Frankfurt linke Intellektuelle oft in der Eintracht-Kurve anzutreffen, auch deshalb, weil sie glaubten, Gleiche unter Gleichen zu sein. Darum bin ich vom Fußball fasziniert. Er entwickelt seine eigene Dramatik. Wie beim WM-Halbfinale Deutschland gegen Frankreich 1982, als Maxime Bossis den letzten Elfer der Franzosen verschoss. Er war der einsamste Mensch der Welt, stand allein im Strafraum herum. Dann kam der kleine Littbarski und umarmte ihn. Das ist für mich eines der schönsten Bilder des Fußballs, da könnte man weinen. Fußball funktioniert aber in den Fankurven vor allem über Polarisierung. Ja, ja, das stimmt schon. Ich hatte schon Diskussionen mit meinem Sohn – der hat eine Dauerkarte bei der Eintracht – über diese verheerenden Sprüche in der Kurve. Er behauptet, dass er die rassistischen nicht mitmacht, die schwulenfeindlichen wohl schon. Das ist ein ständiges Thema, dabei ist Fußball ja eine Ansammlung von schwulen Begebenheiten, vom Massenküssen beim Tor, bis zum Verhalten unter den Fans. Nein, diese unglaubliche verbale Aggression möchte ich nicht runterspielen. Interview Mit Ihrer Initiative „Allianz gegen Franz“ wollen Sie – falls er noch kandidieren will – Franz Beckenbauer als neuen Uefa-Präsidenten verhindern und Michel Platini unterstützen. Warum? Beckenbauer steht für die totale Kommerzialisierung des Fußballs. Er vertritt nur die Interessen der großen Klubs und der Fernsehanstalten, für die er ja auch arbeitet. Platini gilt als Ziehkind Blatters, der die Kommerzialisierung, die Sie beklagen, fest im Fußball verankert hat. Von Blatter hat sich Platini aber losgelöst und eine eigene Position entwickelt. Erst als Platini sagte, dass er Uefa-Präsident werden will, haben die großen Vereine, die großen Länder und unser Zwanziger gesagt, man müsse Platini verhindern. Erst so kam Beckenbauer ins Spiel. Aber wie kann man jemanden mit so einem Charisma wie Platini verhindern wollen? Und ausgerechnet Platini steht für eine andere Politik? Sie kennen ihn nicht. Ich kenne ihn gut. Platini prophezeit amerikanische Verhältnisse, in denen es keine Auf- und Abstiege mehr gibt. Was wir Europäer so schätzen, dass nämlich auch kleine Mannschaften eine Chance haben, geht mit Beckenbauer über die Wupper. Michel Platini will Reformen. Bayern München soll weiter gegen Trondheim in der Champions League spielen. Beckenbauer hingegen hat sich schon als Cokommentator im Fernsehen geärgert, dass seine Bayern gegen Teams wie Trondheim spielen müssen. Franz ist für mich der Vertreter der großen Vereine, der Werbung und der Fernsehanstalten. Das Thema Doping umschiffen beide Kandidaten. Und doch muss irgendetwas passieren. Es ist naiv zu sagen: Wir schaffen eine Welt ohne Doping. Das ist genauso naiv wie die Forderung nach einer drogenfreien Welt. Wo sehen Sie das Problem? Gerade jüngere Spieler verletzen sich ja, weil die Muskeln und Knochen diese hohe Belastung nicht aushalten. Ich wundere mich, dass man sich nicht wundert, wie viele Spieler ständig verletzt sind. Das werden doch immer mehr. Diese Belastungen fördern das Doping, da können die Leute reden, was sie wollen. Was ist die Lösung? Ganz einfach: weniger Spiele. Es muss festgelegte Obergrenzen bei den Spielen geben. Ich glaube einfach, man kann physisch und psychisch kein ganzes Jahr auf höchstem Niveau durchhalten. Das geht einfach nicht. Also was ist die Lösung? Die Uefa könnte sagen: Aus gesundheitlichen Gründen darf ein Spieler nicht mehr als die Zahl X an Pflichtspielen pro Saison absolvieren. Man könnte sagen: Fußballer dürfen nicht mehr als siebeneinhalb Stunden im Monat in Pflichtspielen auf dem Platz stehen. Ich glaube, das wäre machbar. Es gibt in Europa eine gemeinsame Arbeitszeitrichtlinie für Kraftfahrer. Warum sollte man die nicht auch auf Profifußballer ausweiten? RUND 100 rund_098_103_Interview.indd 100 05.04.2006 20:22:33 Uhr SPIELKULTUR Interview „Eine Steuerdebatte in Straßburg ist ein Quotenkiller“: Der Fraktionschef der europäischen Grünen macht sich keine Illusionen Das klingt ein wenig naiv, denn die finanziellen Interessen der Klubs sprechen klar dagegen. Wenn sich ein Spieler verletzt, spielt eben ein anderer. Irgendetwas läuft doch falsch, und jeder spürt das, auch wenn die finanziellen Interessen dagegenstehen. Aber sehen Sie: Die ganze Theorie des Rotierens fußt doch auf diesen Überlegungen. Rotieren heißt ja nichts anderes, als dass nicht jeder Spieler immer hundertprozentig belastet werden kann. Das funktioniert natürlich am besten bei den Bayern, weil die das meiste Geld und den besten Kader haben. Muss der Fußball moralischer sein als die Gesellschaft, in die er eingebettet ist? Nein, aber warum sollte man nicht auch im Fußball moralische Ansprüche formulieren? Auch im Fußball sehen immer mehr Leute, dass etwas schief läuft. Immer mehr Menschen sagen Nein zu dem neoliberalen Dogma, dass man alles dem Markt überlassen muss. Sie haben gemerkt, dass dies eben auch nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Man hat den Eindruck, dass Fußball eine höhere Medienpräsenz besitzt als zum Beispiel die Arbeit im Straßburger Parlament. Stört Sie das als Europapolitiker? Ach, nein, Sport ist im Kampf um Marktanteile unübertreffbar, besonders bei den elektronischen Medien. Die Liveübertragung einer Steuerdebatte im Straßburger Parlament ist eben ein Quotenkiller, selbst gegenüber einem Bundesligaspiel der Eintracht gegen Duisburg. Aber welche Fernsehanstalt würde sich trauen, eine Reportage über gesunde Ernährung und Doping zu machen? Das ist doch ein spannendes Thema. Das Fernsehen gibt viel Geld aus für den Sport, um so an Werbekunden zu kommen. Außerdem heißt es bei den Sendern, Doping und Korruption seien Quotenkiller. Da spielen natürlich wieder die wirtschaftlichen Interessen rein, für die Beckenbauer steht. Aber ich sage trotzdem: Die absolute Kommerzialisierung ist momentan nicht mehr so leicht durchzusetzen. Die RUND 101 rund_098_103_Interview.indd 101 05.04.2006 20:22:35 Uhr SPIELKULTUR Menschen halten die Werbung immer weniger aus. Das Rad ist überdreht. Dass haben die Fußball- und Medienmacher aber noch nicht verstanden, und das ist gefährlich. Welche Leistung kann der Profifußball für das Thema Integration in einer Gesellschaft bringen? Viele haben sich in letzter Zeit über mich lustig gemacht, weil ich 1998, als Frankreich Weltmeister wurde, gesagt habe, Frankreich sei bei der Integration weiter als Deutschland. Der Stolz auf Zidane, Thuram und Desailly wurde von der Mehrheitsgesellschaft geteilt. Was sich bei den Unruhen in den Banlieues zeigt, ist vor allem, dass dies alleine nicht genügt. Was läuft schief in den Vorstädten? Es gibt dort eine gelebte Desintegration. Vor allem Einwanderer aus Nordafrika und deren Kinder erleben permanent eine soziale Benachteiligung und finden sich plötzlich in Ghettos wieder. Hier hat die republikanische Integration ihre Grenzen erfahren. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen mischten sich auch Nationalspieler wie Liliam Thuram in die Diskussion ein. In welchem anderen Land würden Spieler sich zu Wort melden, nachdem der Innenminister die Brandstifter in den Banlieues als „Gesindel“ bezeichnet hat? Thuram sagte: Ich bin schwarz und ich sage euch, ich gehöre zum Gesindel. So wünsche ich mir auch fußballerische deutsche Staatsbürger. Zidanes Eltern sind immer noch Algerier, Zidane wäre trotzdem wohl nie auf die Idee gekommen, für Algerien Fußball zu spielen. In Deutschland war die Staatsangehörigkeit lange das große Problem. Die Gesellschaft muss akzeptieren, dass sich das Bild des Deutschen verändert. In Frankreich ist es absoluter Konsens, dass Zidane Franzose ist. Das Leitmotiv der französischen Revolution, „Ihr werdet wie wir“, ist akzeptiert. Wenn jemand in Deutschland vom deutschen Fußball spricht, spricht er von Fritz Walter. In Frankreich sprechen sie von Kopa, der heißt Kopazewski, Platini oder Zidane – den Söhnen polnischer, italienischer und algerischer Einwanderer. Dass Asamoah im Nationaltrikot aufläuft, ist also mehr als Symbolik? Natürlich. Deutschland ist Fatih, Nando und Asamoah. Es ist doch symptomatisch, wenn plötzlich ganz Deutschland jammert, dass der junge Türke Nuri Şahin sich entscheidet, für die Türkei zu spielen und nicht für Deutschland. Es wurde doch gesagt, der spricht besser Deutsch, und eigentlich ist er Deutscher. Da hat sich doch was getan. Ob er aber die Tests in Baden-Württemberg oder Hessen bestehen würde, bezweifle ich sehr. Şahin hat in einem bestimmten Bereich außergewöhnliches Talent. Aber was ist mit der Integration der weniger qualifizierten Türkischstämmigen? Das sind Hunderttausende. Wenn die Nandos oder Şahins morgen auch für die deutsche Nationalmannschaft stehen, bedeutet das auch für die anderen, die nicht so gut Fußball spielen können, dass sie dazugehören und genau so gefördert werden müssen. Man kann nicht sagen, die Fußballer sind Deutsche, und die weniger Begabten in Berlin-Kreuzberg sind keine Deutschen. Sie haben bei Jugendmannschaften zwei Drittel Migrantenkinder, vor allem in den Städten. Das heißt, der deutsche Fußball wird von unten Interview Frankreich als Vorbild: Ein Grund für die Mittelmäßigkeit der Bundesliga ist eine verfehlte Integrationspolitik her immer multikultureller. Meine ehrliche These ist: Einer der Gründe für die vielen so genannten mittelmäßigen Fußballer in der Bundesliga ist, dass man das Migrantenpotenzial noch nicht richtig erkannt hat, während die Klubs gleichzeitig ausgeklügelte Sichtungssysteme fürs Ausland entwickeln. Da besteht doch ein Widerspruch. Über Integration scheint man hier zu Lande nur zu reden, wenn die Not groß ist. Die Schwäche der Nationalmannschaft … … nun ja, die Franzosen waren auch schwach, als Zidane und Thuram in die Nationalmannschaft kamen. In der Not gibt es einen Reformdruck, das ist immer so. Ich bin sicher: Der nächste Şahin wird für Deutschland spielen. DANIEL COHN-BENDIT wurde am 4. April 1945 als Sohn einer Französin und eines deutschen Juden geboren. Der 61-Jährige, der akzentfrei deutsch und französisch spricht, trägt seinen Spitznamen „Dany le rouge“ seit den Tagen, als er als Anführer die Studentenproteste im Mai 1968 mit prägte. Hatte er damals noch gefordert, Frankreichs Flagge, die Tricolore, durch das rote Banner zu ersetzen, fungiert er nun als Chef der Grünen im Europarlament. RUND 102 rund_098_103_Interview.indd 102 05.04.2006 20:22:40 Uhr SPIELKULTUR Ausstellung SUBTILER RASSISMUS DIE AUSSTELLUNG BALLARBEIT, ZUNÄCHST IN HAMBURG UND BERLIN, BESCHÄFTIGT SICH MIT MIGRATION UND IHRER AUSWIRKUNG AUF DEN FUSSBALL VON RENÉ MARTENS, FOTOS DPA Theo Zwanziger und Jürgen Klinsmann sind sich nicht immer einig, aber zumindest in einer Frage besteht kein Dissens: Nach 1990, also nach dem Kollaps des Sozialismus, hätten zu viele Bundesligaklubs zu viele zweitund drittklassige Osteuropäer verpflichtet, anstatt eigene Talente zu fördern. Profis aus dem Ausland sind mit schuld daran, dass es dem deutschen Fußball schlecht geht. Solch subtiler Rassismus scheint derzeit en vogue zu sein, während die offene Fremdenfeindlichkeit im Fußball in den letzten Jahren zurückgegangen ist. In dieser Situation kommt die Ausstellung „Ballarbeit“, die die Geschichte der Migration in der Fußballwelt rekapituliert, gerade richtig. Sie erinnert daran, dass die Migration ein wesentlicher Motor bei der Entwicklung des Fußballs war. Schließlich waren es beispielsweise englische Schüler einer Schweizer Privatschule, die Ende des 19. Jahrhunderts einen Teenager namens Walther Bensemann mit der Fußballleidenschaft infizierten. Reemigriert nach Deutschland, gründete er später Vereine, organisierte internationale Spiele und wurde so zu einem Pionier des hiesigen Fußballs. Und das Phänomen der so genannten Legionärstruppen ist keineswegs der Globalisierung geschuldet: 1912 standen im 18köpfigen Kader von Inter Mailand lediglich drei Italiener. Die Schau skizziert nicht nur die Rolle von Migranten im Profibetrieb, sondern auch ihren Einfluss auf den Amateurfußball. Organisiert haben die Veranstaltung Gerd Dembowski und Ronald Noack vom Verein Flutlicht e.V., der dem Netzwerk Fare (Football Against Racism in Europe) angehört. Dembowski sagt, das Thema Migration sei „nicht leicht darzustellen, zumindest, wenn man auch 16-Jährige erreichen will“. Fußball kann einerseits dazu dienen, Rassismus abzubauen, andererseits nutzen ihn auch Vorurteilsprediger für ihre Zwecke. Um dem Publikum Sperriges nahe zu bringen, laden die Kuratoren ihre Ausstellung mit Fußballatmosphäre auf: Am Eingang befindet sich beispielsweise eine Art Spielertunnel – hier bekommt man Grundbegriffe wie „Herkunft“ und „Staatsbürgerschaft“ vermittelt. Jüngere Besucher will man unter anderem mit einem Tischfußballspiel ansprechen, an dem MP3Player angebracht sind, sodass man während des Kickerns Vorträge rund ums Ausstellungsthema verfolgen kann. „Ballarbeit“ läuft zwar während der Weltmeisterschaft, ist aber „keine WM-Veranstaltung“, wie Dembowski betont. Und obwohl die Veranstalter ein breites Publikum anvisieren, verzichten sie auf die nächstliegende Strategie: „Wir machen keine Ausstellung über Personen“, sagt Dembowski. So nimmt man die Geschichte Zinédine Zidanes lediglich zum Anlass, „um über den Schmelztiegel Marseille zu berichten“. Immerhin gibt es ein „Ballarbeit“-Dream-Team. Dessen Zusammensetzung spiegelt das Konzept der Ausstellung wider: Sie besteht jeweils zur Hälfte aus migrantischen Profis und Amateuren. „Ballarbeit“ 3. Mai bis 4. Juni Hamburg Knust/Schlachthof 16. Juni bis 25. August Berlin Ethnologisches Museum GALATASARAY IN DER DIASPORA WIDRIGE PLATZVERHÄLTNISSE IMMIGRANT FRITZ SZEPAN RUND 103 rund_098_103_Interview.indd 103 05.04.2006 20:22:42 Uhr SPIELKULTUR Essen wie die Stars Wer Puffer isst, setzt Kinder im Schlauchboot aus RUND 104 rund_104_105_Essen wie 104 04.04.2006 22:24:23 Uhr SPIELKULTUR Essen wie die Stars Kartoffelpuffer à la Ernst Wenn ERIKA ERNST zum Essen pfiff, kam nicht nur Fabian, sondern das halbe Fußballteam. Und der Gerald – auch ein guter Esser INTERVIEW HOLGER HEITMANN, FOTOS BENNE OCHS UND PRIVAT Frau Ernst, Ihr Fabian bei Tisch ... ERIKA ERNST Fabian war ein Allesesser. Sogar Erbsensuppe hat er gern gegessen. Auch seine Pausenbrote? Hat er gegessen, da gab es nichts. Aber ein Lieblingsgericht hatte er? Ja, Kartoffelpuffer mit Apfelmus. Ansonsten alles mit Nudeln, Mett und roter Soße. Und wie ist das heute? Heute kommen bei ihm auch Lachsscheiben an die Nudeln. Früher gab es Fisch nur als Stäbchen. Mittlerweile mag er auch Garnelen in Knoblauchsoße und Krabben mit Avocadomus. Das kocht Fabian auch selbst. War er mal zu dick? Nein, nie. Er hatte einen unglaublichen Energiebedarf. In der Jugend hat sein Trainer, der Mirko, ihm Nudeln empfohlen. Mirko Slomka war damals schon sein Trainer? Ja, genau, in der Jugend bei Hannover 96. Aber Nudeln gab es ja sowieso ständig. Im „Aktuellen Sportstudio“ hat Fabian gestanden, oft Blödsinn gemacht zu haben. Das waren ja Kinder! Er hat oft die halbe BJugend mit zum Essen gebracht. Mit dem Gerald Asamoah ist er ja zur Schule gegangen, und dann haben wir eben im Garten gegrillt. Der Gerald ist ja auch ein guter Esser. Können Sie sich noch an deren Streiche erinnern? Einmal haben sie Gerald im Schlauchboot nebenan auf dem Kiesteich ausgesetzt. Der konnte nämlich nicht schwimmen und musste warten, bis das Boot an Land trieb. Aber Sie haben das locker gesehen? Ich habe drei Söhne, da kann man nicht pingelig sein. Was war Ihr Rezept, die Jungs vom Bolzplatz zum Essen zu bringen? Das war schon schwierig. Ich bin da immer mit der Pfeife hin. Und haben abgepfiffen? Genau. Fabian war meistens gerade im Gebüsch, den Ball holen. Es hieß dann: „Achtung Fabe, deine Mutter kommt!“ Aber die konnten mir nichts vormachen. Abends lagen die dreckigen Klamotten im Bad, diese Ekelsachen. Ich habe dann die Sporttaschen einfach nach draußen gestellt. Hat er früher auch mal Mädels mit zum Essen gebracht? Ja, seine jetzige Frau, die Julia. Die beiden kennen sich seit der fünften Klasse. Aber ernst wurde es erst, als er zum HSV ging. Wie ist das, wenn Fabian Sie heute besucht? Er geht immer noch sofort mit seinen Brüdern auf denselben Bolzplatz. Fabian ist ruhiger geworden, aber da ist immer noch das gleiche Kichern wie früher. RUND 105 rund_104_105_Essen wie 105 04.04.2006 22:24:28 Uhr SPIELKULTUR TV-Serie „Im Tor ist die Arschkarte“ Am 2. Mai läuft auf Sat1 Sönke Wortmanns Fußball-TV-Serie „Freunde für immer“ an. Den Torwart der Hobbymannschaft spielt STEFAN FEDDERSEN-CLAUSEN – der durch seine Schauspielerei mit Timo Hildebrandt in Kontakt kam, der ihm wiederum Hilfe bei seiner Rolle anbot INTERVIEW KLAUS TEICHMANN, FOTOS MARTIN SIGMUND „Wollte Profi werden“: Stefan Feddersen-Clausen schaffte es bis in die Schleswig-Holstein-Auswahl Herr Feddersen-Clausen, auf was hat man sich bei der Serie einzustellen? STEFAN FEDDERSEN-CLAUSEN Wir sind sieben Typen, die schon seit 20 Jahren zusammen kicken – früher im Verein und jetzt in der Stadtliga. Ich bin Gärtner und der Torhüter. Mich hat die Serie bewegt, das ist weder ein billiger Haudraufhumor, noch ein komplett ausgedachtes Hochglanzformat. Ich bin sicher, dass die Serie berühren wird. Sieben Folgen sind gedreht, vielleicht gibt es sogar noch weitere Teile. Wir sind in der Serie ein absolutes Loser-Team und bekommen immer nur auf die Mütze. Mich hat die Handlung sehr überzeugt, denn es wird großen Wert auf liebevoll gemachte Feinheiten gelegt. Wie kamen Sie zu der Rolle? Bis jetzt kennt man Sie eher als Theaterschauspieler. Ich war ja bereits für den Sönke-WortmannKinofilm „Das Wunder von Bern“ für die Rolle von Helmut Rahn vorgesehen – das hat dann nicht geklappt, weil ich zu alt war und Rahns Dialekt nicht konnte. Aber da habe ich Sönke Wortmann kennen gelernt. Dann kam der Anruf, ob es meine Film- und Fernsehambitionen noch geben würde. Nach der Inszenierung von Nanni Balestrinis „I Furiosi – die Wütenden“ am Staatstheater in Stuttgart und der Theaterhaus-Produktion „Leben bis Männer“ kommt jetzt also das nächste Fußballprojekt – muss man da auch selbst kicken können? Das ist nicht unbedingt erforderlich, macht es aber leichter. Aber so lange wie bei den Dreharbeiten war ich schon einige Zeit nicht mehr auf dem Bolzplatz. Das Team war absolut nett und intelligent. Das war dann eben auch so ein Männerding – wenn irgendwo eine Pille war, wurde auch in jeder Drehpause Fußball gespielt. Ich selbst habe mit sechs beim SV Enge in einem 300-Einwohnerdorf angefangen, Fußball zu spielen, mit 15, 16 war ich richtig gut – da habe ich in der SchleswigHolstein-Auswahl gespielt und wollte auch Profi werden. Stücke über Fußball scheinen auch beim Theaterpublikum gut anzukommen – mit dem Ein-Personen-Stück „Leben bis Männer“, bei dem es um einen marginalisierten Fußballtrainer geht, wurden ja sogar schon Profis ins Theater gelockt. Ja, stimmt. Zu Stuttgarts Torhüter Timo Hildebrand habe ich Kontakt über das Theaterhaus – er und andere VfB-Spieler waren privat bei einer Vorstellung. Das ist ein sehr nettes Umfeld. Die sind nicht arrogant, sondern halten den Ball sehr angenehm flach. Timo hat mir dann gleich eine SMS geschrieben, dass ich ihn für meine Torhüterrolle jederzeit fragen könnte. Und seit ich den Keeper spielen muss, weiß ich auch erst, wie schwer das ist: Im Tor zu stehen ist schon irgendwie die Arschkarte. RUND 106 rund_106_107_CD_BearFam 106 04.04.2006 22:25:55 Uhr SPIELKULTUR CD-Tipp TÖNE UND TORE Bear Family Records und RUND präsentieren EIN TOR IM OHR – die liebevoll zusammengestellte CD mit Songs aus einer Zeit, als Deutschland noch Weltmeister war Singende Fußballspieler versuchen seit vielen Jahren, die Fans zu erfreuen. Das war oft nicht schön. Die dünnen Stimmchen der Kicker reichten meist nicht aus, um die debilen Texte glaubwürdig durch die simplen Melodien auszudrücken. Schaudernd wendet man sich ab, wenn man die Rap-Versuche von Fredi Bobic, Marco Haber und Gerhard Poschner hört. Auch „Die wilde 13“ von Hannover 96, Thomas Brdaric, ist nicht unbedingt ein Goldkehlchen. Früher, sagen Sie jetzt, früher war alles besser? Das stimmt nicht. Schon Norbert Nigbur trieb mit seinen Disko-Hits die Leute scharenweise von den Tanzflächen. Aber hin und wieder blitzt Genie auf. Egal ob gewollt oder ungewollt. Die Kremers-Zwillinge, damals die Träume aller Mädchen, betörten die Girls ihrer Träume mit schwärmerischen Tönen, die deutsche Nationalmannschaft zeigte 1974 erst sangesstarke mannschaftliche Geschlossenheit, um daraus die Kraft für den WM-Erfolg zu ziehen, Torwart Petar Radenkovic kletterte mit seinem „Bin i Radi, bin i König“ sogar bis auf Platz fünf der Hitparade. Geben wir also zu: Früher war tatsächlich manches besser. Das Label Bear Family Records, bekannt für seine gründlich recherchierten, tontechnisch auf hohem Niveau überarbeiteten und liebevoll gestalteten Wiederveröffentlichungen alter Klassiker, hat sich jetzt mit RUND zusammengetan, um das Beste von früher auf CD zu pressen und neu zu veröffentlichen. Zu den genannten Sängerknaben gesellen sich auf „Ein Tor im Ohr“ unter anderem so illustre „Musiker“ wie Gerd Müller, Jean-Marie Pfaff, Sepp Maier, Hans Schäfer, die Dortmunder Elf von 1966 und natürlich – ohne ihn geht es auch hier nicht – der Kaiser persönlich. Machen Sie mit uns einen Ausflug in eine Vergangenheit, in der Deutschland noch Weltmeister wurde. EBERHARD SPOHD, ILLUSTRATION SONJA KÖRDEL RUND 107 rund_106_107_CD_BearFam 107 04.04.2006 22:25:59 Uhr SPIELKULTUR Kick im Kino „ICH WAR KEINE GUTE KÜSSERIN“ Frauen, Männer und Fußball – geht das zusammen? Der Kinofilm „FC Venus“ versucht in der Tradition von Komödien wie „Ganz oder gar nicht“, alte Klischees zu brechen. RUND traf Hauptdarstellerin in einem Berliner Café, einige Tische entfernt von Christian Ulmen, der mittendrin versuchte, seine Filmpartnerin aus dem Konzept zu bringen INTERVIEW MATTHIAS GREULICH UND HOLGER HEITMANN, ILLUSTRATION ANNE-KATRIN ELLERKAMP, VORLAGE MARCUS HÖHN Frau Tschirner, gehen Sie mit Ihrem Filmpartner Christian Ulmen zum Fußball? NORA TSCHIRNER Nee, mit dem war ich noch nie beim Fußball. Ich wüsste gar nicht, ob das gut ginge. Ich würde zu viel quatschen, und er müsste immer sticheln. Ich war aber oft beim HSV, als wir in Hamburg gedreht haben, das war großes Kino. Ich habe ihn gerade beim Händewaschen auf der Toilette getroffen und mit ihm über den Sieg des FC St. Pauli gegen seinen Lieblingsklub Hertha BSC im DFB-Pokal gesprochen. Ja, da hat er böse gelitten. Ich soll auch schön grüßen. Er hat im RUND-Interview gesagt, er könne sich nicht vorstellen, in einem Fußballfilm mitzuspielen, nun spielt er in „FC Venus“. Euer Interview wurde am Set auch besprochen. Es war spitze, weil es im Nachhinein natürlich klingt wie ein PR-Gag. Und die Vorstellung, dass Christian in solch einem Film mitspielt, war wirklich lustig, zumal wir noch kurz vor dem Film für „Ulmens Auftrag“ bei Hertha gefilmt hatten und die Sendung nicht ganz ausgestrahlt werden konnte, weil Christian so unlustig war, so von Ehrfurcht erfüllt. Mit wem haben Sie die Fußballszenen geübt? In der Vorbereitung mit Trainern des HSVNachwuchszentrums und der Hertha, später am Set mit dem ehemaligen Bundesligatorwart Volker Ippig. Ich glaube, dass Volker ein kleines Problem mit dieser Geschichte hatte. Frauen, die auch nur den Hauch einer Chance haben, gegen Männer zu gewinnen? Das fand er so absurd. Lustig, weil das ja genau unser Thema war. Die Männer mussten oft viel schlechter spielen, als sie wollten. Das war schon eine Frage des Stolzes. Bei uns Mädels fing es dann natürlich erst recht an. Wir wollten es wissen. Volker hat sich viel um uns gekümmert, dabei war er gnadenlos. Einmal schrie er andauernd Anneke (Anneke Kim Sarnau, die im Film die Torhüterin Kim Wagner spielt) an: Anneke, Winkel halbieren! Außerdem wird er auf dem Platz ein bisschen zum Siebtklässler, wenn’s um Gemeinheiten geht. Was für die Sache, ehrlich gesagt, absolut perfekt war. Was war besonders demütigend für die Männermannschaft? Die Jungs im Film mussten sich von uns tunneln lassen. Man sah dann in ihren Gesichtern: „Das … nein! Soweit sollte das mit dem Schauspielern niemals gehen.“ Da dachte ich: Hoppla! Es geht wirklich um Befindlichkei- RUND 108 rund_108_109_Nora_Tschi.indd 108 05.04.2006 20:37:16 Uhr SPIELKULTUR ten. Wir haben uns ab und zu ganz schön abgegrätscht am Set. Einmal, als die Kamera nur so mitlief, rief Volker plötzlich: „So, wir spielen jetzt einfach mal mit Leinen los!“ Was zu einer ziemlich rauen Spielart und einigen Schrammen führte, letztere natürlich eher auf Seiten der Frauen. Hinterher gab es Diskussionen, weil nun wiederum wir Mädchen uns ungerecht behandelt fühlten. Es ging zu wie auf dem Schulhof. Und es war irre zu sehen, wie es allen richtig um etwas ging in diesen Momenten. Abseits der Lügen im Alltag lernen sich Männer und Frauen auf dem Platz ganz anders kennen? Ja, es geht um gegenseitiges Verständnis und Kompromisse in Beziehungen. In unserem Fall am Beispiel Kleinstadtfußball. Die Frauen merken: Fußball macht Spaß, dabei haben wir die ganze Zeit gesagt, dass unsere Männer Vollidioten sind, was ist denn das jetzt. Und plötzlich werden sie ganz gepackt von diesem Fieber. Genau wie die Männer merken, dass es schon uncool ist, die ganze Zeit allein zu Hause mit den Kindern hintenan zu stehen, während der Partner sich nur noch seinem Hobby verschreibt. Plötzlich verstehen sie, dass ihre Frauen sie mit ihrem Gemecker nicht nur schikanieren wollen. Es ist ein Aufeinanderzugehen, bei dem man am Ende weiß, so: Die spielen ab jetzt jede Woche miteinander und alle haben was davon. Das fand ich eine schöne Idee. Wie wird das denn bei der WM sein, schauen Frauen und Männer gemeinsam? Normalerweise gucke ich eher mit Jungs. Diejenigen, die solche Fußballsessions anschieben, sind sowieso immer Jungs. Dass eine Frau zu mir sagt: „Ey, lass’ ma’ heute Spiel gucken, wa?!“ passiert doch eher nie. Aber sobald es so international wird, wie eben bei einer WM, gucken bei uns alle mit. (Christian Ulmen kommt an den Tisch.) CHRISTIAN ULMEN Langweilt euch Nora? Nein, überhaupt nicht. NT Ich geb’ mein Bestes, aber ich bin halt noch nicht so weit wie du. Kick im Kino CU Bis später! (Ulmen geht.) NT Okay, das war der Christian. Er hatte Leistungskurs „Charme“ in der Schule, das wissen viele nicht. Kann es sein, dass er noch schlechter küsst als kickt? Das kann schon sein. Allerdings war ich auch nicht so ein wahnsinnig gute Küsserin beim Drehen. Wir kennen uns gut, wir machen unsere Sendung zusammen, wir reden über private Sachen, wir mögen uns, aber dann vor der Kamera ein ernst gemeintes Liebespärchen zu spielen? Das war sehr merkwürdig. Ich hatte selten so ein Problem damit. Es hat viel Pubertäres, wenn wir zusammen sind. Dann so eine ernsthafte Beziehung zu spielen, war unglaublich schwierig. Der Fußball wird aber auch sehr aufs Korn genommen. Das wurmt euch schon ein bisschen, dass euer Fußball angegriffen wird, oder? Ist nicht so schlimm. Auffällig ist aber, wie der Film mit Klischees spielt. Es gibt einen Schwulen, der ein guter Fußballer ist, Sie spielen eine spröde Bauingenieurin. Ist das nicht zu dick aufgetragen? Es gibt wahrscheinlich keine gute Komödie ohne Klischees. Ich finde es nur wichtig, dass man diese auch bricht. Nervt Sie der Fußball-Hype nicht inzwischen ein wenig? Ja, der nervt mich. Ich hab’ wirklich auch Angst gehabt vor dieser Promo-Tour, weil ich dachte … … alle sitzen hier in Trikots? Ich mag eigentlich Fans in Trikots, aber schon bei „Kebab Connection“ haben wir jedes zweite Foto an einer Dönerbude gemacht. Ich find’ Döner super und ich find’ auch die Türkei toll, aber irgendwann … Und Fußball ist natürlich noch abgegriffener. Immerhin können Sie vom Besuch im HSV-Stadion berichten. Genau. Ich mag „Hamburg, meine Perle“ von Lotto King Karl. Ich finde, das ist das charmanteste Fußballlied der Welt. Es macht es einem sehr leicht, HSV-Fan zu sein. Es ist so ein liebenswürdiger Umgang mit dem Gegner, sich für jeden Klub so ein Ding auszudenken wie: „Wenn du aus Cottbus kommst, dann kommst du eigentlich aus Polen.“ Das ist so eine Art Gestichel, mit der ich mich gut anfreunden kann. Auch Borussia Dortmund finden Sie gut, heißt es. Ich finde erstmal persönlich alles gut, was gegen Schalke ist. Das sind dann auch Hertha, HSV und Dortmund zum Beispiel. Mit Dortmund hat es angefangen, Hertha, natürlich, aber mein Lieblingsverein ist der HSV. Weil ich da trainiert habe, weil ich immer in Rothose rumgerannt bin, weil ich da die meisten Spiele sehe und weil die gerade so gut sind. Haben Sie einen Lieblingsspieler? Ja, Atouba. Ich würde keine Mannschaft auf Atouba gründen wollen, aber das ist auf jeden Fall der unterhaltsamste. In Kombination mit Barbarez ist das immer Popcorn-Kino. Der Choleriker und das Schlitzohr. Wenn Atouba nach zwei Sekunden schon den ersten Gegner tunnelt, das ist so lustig. Über Treffsicherheit und lange Abspiele wollen wir nicht reden, das könnte wahrscheinlich ich besser. Aber wenn es um Finten geht, so à la: Ich wart’ hier jetzt mal, bis fünf Gegenspieler da sind, dann fang’ ich erst an und spiele alle aus, da lach’ ich mich tot. Mögen Sie die Bayern? Die sind wie die Stones. Es ist alles perfekt, die Botschaft lautet: Wir sind eh die Tollsten und die Größten. Das lässt mich kalt. Bei einem Rolling-Stones-Konzert habe ich mich zwei Stunden zu Tode gelangweilt, aber ein wahnsinniges Konzert war Rod Stewart. Rod Stewart! Ich schenke meinen Eltern immer so Karten für die Waldbühne zum Geburtstag, die dann ein bisschen teurer sind und wo deren Heroes auftreten. Rod Stewart in strömendem Regen auf der Waldbühne – das war überraschenderweise hochemotional. Das war wie Fußball. „FC Venus“ von Ute Wieland mit Tschirner, Ulmen, Heinz Hoenig und Ippig läuft ab 27. April RUND 109 rund_108_109_Nora_Tschi.indd 109 05.04.2006 20:38:54 Uhr SPIELKULTUR Kurzfilm Pfostenbruch im Lego-Stadion VON RENÉ MARTENS, FOTOS HENNING BOCK Nach den „Helden von Bern“ haben vier Offenburger Studenten mit „Helden 06“ einen weiteren animierten KURZFILM produziert. Ihre Schauspieler sind Plastikfiguren aus Lego Sönke Wortmanns „Das Wunder von Bern“ wurde 2003 erwartungsgemäß zum Kassenschlager, aber „Die Helden von Bern“ haben mehr Menschen gesehen. Unter diesem Titel hatten Florian Plag, Martin Seibert und Ingo Steidl, Studenten im Bereich Medien und Informationswesen an der Fachhochsschule Offenburg, in einem Lego-Trickfilm die wichtigsten Szenen des WM-Endspiels von 1954 nachgestellt. Die Projektarbeit, die gegenüber dem Realfilm den Vorteil hatte, dass Lego-Figuren bessere Schauspieler sind als Peter Lohmeyer, lief teilweise als Vorfilm zu Wortmanns Wunder, erreichte aber zusätzlich mehrere Millionen Fans via Internet. Als Nachfolgeprojekt haben die Lego-Filmer unter dem Titel „Helden 06“ nun ein WM-Endspiel zwischen Deutschland und einer Weltauswahl mit Ronaldinho, Zinédine Zidane und überraschenden Mitstreitern wie Kameruns Abwehrheros Rigobert Song inszeniert. Warum nicht eine derartige Begegnung imaginieren, wo es doch sowieso unrealistisch ist, dass Deutschland ins Finale kommt? Darüber hinaus, sagt Coregisseur Martin Seibert, sei der Film so „auch nach der WM noch aktuell“ – anders als wenn man sich für ein halbwegs wahrscheinliches Endspiel entschieden hätte. Mit „Helden 06“ wollen die Offenburger, verstärkt durch Daniel Müller, nun ihr Diplom ergattern. Auch beim neuen Film, in der DVD-Fassung 16, in der Kinofassung zehn Minuten lang, haben sie sich wieder der Stop-Motion-Technik bedient: Sie stellen eine Szene, schießen ein Foto, verrücken die Figuren minimal und machen dann das nächste. In einer Sekunde Film steckten sechs verschiedene Bilder, sagt Seibert. In dem neuen Film spielt das Quartett auf zahlreiche fußballhistorische Anekdoten an, wie den Pfostenbruch von Mönchengladbach oder das umgekippte Tor in Madrid. Am vergnüglichsten ist die leichthändige Ironisierung der hiesigen TV-Berichterstattung. In „Die Helden von Bern“ ließen die Macher nach Rahns 3:2 mehrere deutsche Spieler einen historisch kaum verbürgten Diver an der Eckfahne vorführen, jetzt karikieren sie die beliebten Schwenks Richtung VIP-Tribüne und andere kindische Bildklischees. Insofern passt es gut, dass der Film aus Kinderspielzeug erschaffen wurde. Trotz aller Spitzen: Die Autoren nähern sich dem Fußball und seiner Begleitmusik stets liebevoll, Defätismus ist ihnen fremd. Der Ausgang des Spiels wird, so viel darf man verraten, auch Menschen erfreuen, die angesichts der tristen deutschen Perspektiven ein paar aufmunternde Bilder benötigen. Im Mai als Vorfilm im Kino und ab 11. Mai auf DVD (Kurts Filme) Sechs Bilder pro Sekunde: Ingo Steidl, Florian Plag, Daniel Müller, Martin Seibert (im Uhrzeigersinn) Anderthalb Jahre Bauzeit: das Lego-Olympiastadion RUND 110 rund_110_111_Film_Lego 110 04.04.2006 22:41:18 Uhr SPIELKULTUR Kurzfilm 90 Minuten in 90 Sekunden Am letzten Bundesligaspieltag werden in Berlin die besten internationalen FUSSBALLKURZFILME erkoren – RUND verleiht den Short Cup 2006 „Shoot goals, shoot movies“ hieß es im Talentcampus der letzten Berlinale. Regisseure aus der ganzen Welt waren aufgerufen, Kurzfilme zum Thema Fußball zu machen. Das europäische Kurzfilmfestival Emergeandsee, das jedes Jahr zu unterschiedlichen Themenblöcken Wettbewerbe in London, Budapest und Berlin veranstaltet, hat ein ähnliches und doch ganz anderes Projekt gestartet. Anlässlich der WM in Deutschland schrieb Emergeandsee zusätzlich zum diesjährigen interna- tionalen Kurzfilmwettbewerb den Short Cup 2006 für junge Filmemacher und Filmstudenten unter 30 Jahren aus. Einzige Bedingung und anders als auf der Berlinale: Die Beiträge durften nicht länger als 90 Sekunden sein. Ansonsten sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt. Kurzfilm, Videoclip, Animation oder ein anderes Format – Hauptsache es geht um Fußball. Egal ob Real Madrid in der Champions League oder Viktoria Kleestadt in der Bezirksoberliga der Frauen, ob Oliver Kahn als Knetfigur oder die Kinder auf dem Schulhof nebenan als Scherenschnitte. Am 15. April war Einsendeschluss. Die besten, kreativsten und verrücktesten Beiträge werden von einer Jury ausgewählt und beim Emergeandsee Kurzfilmfestival am 12. und 13. Mai im Berliner Kino Babylon präsentiert. Die Fußballfilme laufen am Samstag, dem letzten Bundesligaspieltag der Saison 2005/06. Es gibt es eine Radio-Liveübertragung der aktuellen Spiele, Kicker, Bratwurst und kühles Dosenbier sowie am Abend eine Party. Wie bei der richtigen Weltmeisterschaft gibt es beim Short Cup 2006 natürlich auch etwas zu gewinnen: Der beste Fußballkurzfilm erhält einen mit 500 Euro dotierten Award, der von RUND gestiftet wird. Und durch die guten Beziehungen von Emergeandsee in die internationale Filmszene können sich darüber hinaus wichtige Kontakte ergeben. Wer weiß – vielleicht taucht einer der ausgezeichneten Fußballkurzfilmregisseure ja irgendwann auch auf der Berlinale auf. MALTE OBERSCHELP, FOTO BENNE OCHS www.emergeandsee.org RUND 111 rund_110_111_Film_Lego 111 04.04.2006 22:41:29 Uhr SPIELKULTUR Buch IM RUND-BÜCHERREGAL: Sammelbilder sind etwas Tolles. Erst recht, wenn sie liebevoll von 50 Illustratoren aus aller Welt kreiert wurden – wie im Band „Fußballhelden“ FOTOS BENNE OCHS DAS ALBUM ALLER ALBEN „Fußballhelden“, initiiert von den Schweizer Zeichnern Ashi und Jerzovskaja, ist das Album aller Alben. 50 Illustratoren aus 17 Ländern tragen hier eine Art eigene WM aus: Das achtsprachige Buch ist eine Hommage an alle bisherige Weltmeistermannschaften, andere große Teams sowie die Teilnehmer der WM 2006 – elf Spieler plus Coach sind auf jeweils einer Doppelseite verewigt. Ob die Zeichner die Spieler nun zu futuristischen Popikonen überhöhen wie bei Angolas WM-Kader oder zu Motiven esoterischer Spielkarten, wie Brasiliens Weltmeister von 1970 gestaltet sind, ob sie sie als Horrorfilmfiguren karikieren wie Frankreich 1986 oder als Römer, wie wir sie aus „Asterix“ kennen, bei den Italienern 1934 – stets erwecken die Künstler die Kicker zu unbekanntem Leben. Weil die Vorlagen nach optischen Kriterien ausgewählt wurden, wirken die Aufstellungen manchmal taktisch wild. Desiderio Sanzi etwa hat fürs deutsche Team eine Viererkette entworfen, in der Bastian Schweinsteiger als rechter Verteidiger fungiert. Ist das die Lösung des Abwehrproblems? RENÉ MARTENS Ashi, Jerzovskaja (Hrsg.) Fußballhelden Herzglut-Verlag 160 Seiten 39,90 € RUND 112 rund_112_113_Medien_Bu 112 07.04.2006 19:51:17 Uhr SPIELKULTUR Buch EIN HALBES JAHR Seiten rasen die Reporter um die Welt, oft seZU FRÜH KNIESCHONER AUS BH-POLSTERN Wer im Sportjournalismus investigativ arbeitet, macht sich angreifbar. „Nichts Neues“ schallt es aus der einen, „unbewiesene Gerüchte“ aus der anderen Ecke. Fred Sellin musste sich in mancher Rezension seines Buches „Das schmutzige Spiel“ den ersten Vorwurf gefallen lassen. Das Gros der Leser dürfte das Buch jedoch mit Interesse lesen. Seien es die Machenschaften der Spielerberater, Korruptionsfälle wie beim Bau der Allianz Arena oder obskure Geschäftspraktiken wie beim BVB oder WM-OK – der bislang als Boris-BeckerBiograf in Erscheinung getretene Publizist unterscheidet sauber zwischen nachgewiesenen Schweinereien und nahe liegenden, aber unbewiesenen Zusammenhängen. Ein erhellendes, zuweilen spannendes Buch, das aber die großspurigen Versprechungen des Klappentexts – „legt den Fußballsumpf frei“ – selbstredend nicht einlösen kann und angesichts der neuesten Enthüllungen im Bereich der Sportwetten vielleicht ein halbes Jahr zu früh erschien. CHRISTOPH RUF Fred Sellin Das schmutzige Spiel. Intrigen, Skandale und Machenschaften im deutschen Fußball C. Bertelsmann Verlag 365 Seiten 14,95 € hen sie Bekanntes: ehrgeizige US-Amerikaner, lebensfrohe Brasilianer, von der Karriere träumende Ghettobewohner in Marseille. Die überall gleiche Feelgood-Geschichte vom Fußball als Pille gegen den Weltschmerz ist international belegbar. Interessanter wäre, statt Klischees auch Kritisches zu bieten. Atmosphäre liefern die vielen Fotos, aber spannend werden Arnolds „Abenteuer“ dann, wenn die Autoren bei ihren Beobachtungen bleiben oder Geschichtliches hinter den Geschichten erzählen. HOLGER HEITMANN Martin Arnold (Hrsg.) Abenteuer Fußball. Auf den Bolzplätzen dieser Welt Verlag Die Werkstatt 224 Seiten 19,80 € iPODS FÜR DIE NATIONALMANNSCHAFT IN BOLIVIENS PAMPA, AUF JAPANS DÄCHERN Wunschträume vom Ruhm hat jeder. Wovon träumen aber die, für die es völlig normal ist, in der Zeitung den eigenen Namen zu lesen? Nicht selten vom Kicken, wie der Berliner Autor Torsten Körner herausfand. Für sein Buch „Auch ich war einst Pelé“ interviewte er 27 Prominente von Manuel Andrack bis Anne Will über ihre Fußball-Erlebnisse. Womöglich wacht der Direktor des Grimme-Instituts, Uwe Kammann, nachts immer noch schweißgebadet auf: Mitten in der Pubertät hatten die Kumpels herausgefunden, dass seine Knieschoner aus ausrangierten BH-Polstern der Mutter bestanden. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt hat mehr Stoff für Fußballträume: Der Mittelstürmer von Grasshoppers Zürich beendete seine Karriere 1962 – wehmütig erinnere er sich trotzdem nicht an seine aktive Zeit, sagt er. Denn die war erfolgreich: 18 Saisontore erzielte er und war einst auch ein bisschen Pelé. ELKE WITTICH Torsten Körner Auch ich war einst Pelé. Prominente und ihr Traum vom Fußball Aufbau Verlag 219 Seiten 8,95 € Martin Arnold und andere Autoren sind für ihr „Abenteuer Fußball“ bis zu den Ballkünstlern in Boliviens Pampa und auf Japans Dächern gereist. Stets in Ballnähe, haben sie dennoch klare Chancen vergeben. Zu viele Allgemeinplätze finden sich in den Reportagen über 19 Bolzplätze. „Fußball in Bolivien heißt Fiesta, Freundschaften pflegen und Sport treiben“, steht an einer Stelle. Auf 223 Nach dem „FAZ“-Journalisten Michael Horeni versucht sich nun auch dpa-Kollege Jens Mende an einer Biografie des Bundestrainers. „Wie wir Weltmeister werden“ ist das Buch übertrieben untertitelt, viel Neues bietet es nicht. Mende erzählt, dass Oliver Bierhoff allen Nationalspielern bei Amtsantritt einen iPod überreichte. Bei Horeni war dafür zu erfahren, welche Musik Klinsmann ihnen zur Initiation vorspielte: Eminems „Lose yourself“. Ein Plus sind viele Fotos. Eine wichtige Biografentugend fehlt Mende aber ebenso wie Horeni: Distanz. MALTE OBERSCHELP Jens Mende Jürgen Klinsmann. Wie wir Weltmeister werden Südwest Verlag 168 Seiten 14,95 € LEGENDE Meister UI-Cup Platz 15 RUND 113 rund_112_113_Medien_Bu 113 07.04.2006 19:51:23 Uhr SPIELKULTUR Leserbriefe „Die besten Trainer fallen auf die Nase“, RUND 3/06 ZUHÖREN BITTE: Meyers Mist RUND-Ausgabe 4/06 Allgemein, RUND 4/06 Was anderes! Ich lese seit einiger Zeit eure Zeitschrift und bin echt begeistert! Das ist keine übliche Fußballzeitschrift, sondern man liest bis zu zwei Stunden! Hut ab! Ann-Sophie Haas, per E-Mail Es ist mir unverständlich, wie ihr Herrn Hans Meyer so einen Mist plappern lassen könnt, ohne eine kritische Rückfrage. In Deutschland werden die Trainingseinheiten wie vor Dekaden durchgeführt. Im Fußball kommt es nun mal auch auf Hundertstel Sekunden der Reaktionsfähigkeit an – dies ist trainierbar. Wenn Leute wie er oder Horst Köppel glauben, dass ihnen die Kompetenz abgesprochen wird, die sie ja augenscheinlich wirklich nicht haben, wird Nichtwissen in Diskreditierung umgewandelt. Und ihr macht so was auch noch mit und gebt diesem Scheiß ein Forum. Dirk Howaldt, per E-Mail DIE RUND-REDAKTION GEHT AUF LESEREISE. UND GEFEIERT WIRD AUCH 21. APRIL 2006 HAMBURG, RUND-Party. Wir stellen die Mai-Ausgabe vor und feiern mit DJs und einem Konzert von Onejiru (begleitet von Matthias Arfmann), Nike Futsal Hamburg, Post am Stephansplatz, Dammtorwall 12, 21 Uhr, Eintritt frei 10. MAI HEIDELBERG, Lesung, Karlstorbahnhof, 20 Uhr 11. MAI HAMBURG, Lesung, Klubheim FC St. Pauli, 20 Uhr 24. MAI HAMBURG, Lesung, Hamburger Botschaft, Sternstr. 67, 20 Uhr Spaziergang Ihr behandelt heikle Themen (Hools, WMVermarktung) oder berichtet von den aktuellen Themen aus ganz anderem Blickwinkel als der Mainstream. RUND ist eine Art rebellisches Fachblatt oder fachliches Rebellenblatt. Die Lektüre dieses Heftes ist wie ein Spaziergang an der frischen Luft. RUND ist der heimliche Sportteil der „Zeit“. Fast hätte ich’s vergessen: Bitte, bitte weg mit diesen grässlich grellen Farben auf der ersten Seite. Mario Gugumus, Straßburg, per E-Mail Retter und Klassenkämpfer: St. Pauli gegen Bayern, RUND 4/06 Berichtigt dies! Ein Fehler steht im Magazin Ich frag mich, wie kommt der dort hin Es war nicht Jörg, genannt der „Colt“ Dem seinerzeit das Glück war hold Zu treffen gegen Münchens Bayern Als Pauli-Spieler, dann zu feiern. Es war sein Bruder Ralf, der traf Drittjüngster Sievers-Sproß, meist brav. Ralf war einst Profi auf dem Kiez. Drum bitt’ ich Euch, berichtigt dies! Matthias Kay, Garbsen, per E-Mail RUND und die Kollegen D sch as and reiben ere übe r RUN D BR-online, orange, 2/06 Leonart, 3/06 Runde Presse: Favorit Runde Presse: Eckig Der Favorit der orange-Redaktion. Ein echter Käsekuchen, wie Muttern ihn nicht besser backen könnte. Ein Gesamtkunstwerk ohne Sperenzchen und eindeutig im Geschmack. Von witzig bis hintergründig. Außergewöhnlich? Anders? Ein Fußballmagazin? Ja, definitiv. RUND ist hintergründig, nimmt oft eine ungewohnte Perspektive ein, lässt nicht nur Spieler und Trainer, sondern auch Kulturschaffende zu Wort kommen. Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe nicht oder nur gekürzt zu veröffentlichen. Zuschriften bitte mit Stichwort Leserbrief an: [email protected], Redaktion RUND, Pinneberger Weg 22-24, 20257 Hamburg oder Fax: 040-808 06 86-99 RUND 114 rund_114_115_Leserbrief 114 05.04.2006 20:46:24 Uhr RUND Impressum ARBEITEN IN DER REDAKTION FOTO BENNE OCHS IMPRESSUM RUND #10 05 2006 VERLAG: Olympia-Verlag GmbH, Badstr. 4-6, D-90402 Nürnberg, Tel. 0911/216-0, Fax 0911/216 27 39 REDAKTION: RUND Redaktionsbüro Hamburg GmbH & Co. KG, Pinneberger Weg 22-24, 20257 Hamburg Tel. 040/80 80 686-0, Fax 040/80 80 686-99 REDAKTIONSLEITUNG: Rainer Schäfer (verantwortlich für den Inhalt), Matthias Greulich (geschäftsführender Redakteur), Oliver Lück (stellv. Redaktionsleitung) ART DIREKTION: Anna Clea Skoluda REDAKTION: Martin Krauß (Chef vom Dienst), Eberhard Spohd (Textchef), Malte Oberschelp, Christoph Ruf REDAKTIONSASSISTENZ: Sabine Richter GRAFIK: Anne-Katrin Ellerkamp, Sonja Kördel, Tanja Poralla (stellv. Art Direktion) SCHLUSSGRAFIK/INFOGRAFIK: Sabine Keller BILDREDAKTION: Henning Angerer, Jochen Hagelskamp, [email protected] ILLUSTRATION: Anne-Katrin Ellerkamp, Eskåh, Sonja Kördel, THS AUTOREN: Joachim Barbier, Sven Bremer, Camilla von Buddenbrock, Christian Dotterweich, Detlef Dreßlein, Alex Feuerherdt, Ulrich Hartmann, Frank Heike, Holger Heitmann, Raphael Honigstein, Olaf Jansen, Thomas Kilchenstein, Wolfgang Laaß, Roland Leroi, René Martens, Jörg Marwedel, Bernd Müllender, Peter Putzing, Rico Rizzitelli, Elke Rutschmann, Eberhard Schade, Tobias Schächter, Holger Schmidt, Bernd Schneiders, Ricardo Setyon, Jörg Strohschein, Olaf Sundermeyer, Klaus Teichmann, Jörg Thadeusz, Daniel Theweleit, Anne-Ev Ustorf, Elke Wittich KORREKTORAT: Janina Jentz ÜBERSETZUNGEN: Stefanie Knauer TITELBILD: Dirk Messner FOTOS: Jean Balke, Edward Beierle, Henning Bock, Michael Danner, Mareike Foecking, Nicole Hardt, Markus Höhn, Jan von Holleben, Axl Jansen, Christian Jungeblodt, Vladimir Kadlec, Petra Kohl, Matthias Koslik, Martin Kunze, Dirk Messner, Benne Ochs, Stephan Pflug, Maak Roberts, Martin Sigmund, Olaf Tiedje, Sebastian Vollmert FOTOS INHALTSVERZEICHNIS: Dirk Messner, Imago, Axl Jansen, Petra Kohl, Mareike Foecking, Pixathlon, Christian Jungeblodt SPIELE: Bei Gewinnspielen, die die RUND-Redaktion veranstaltet, ist der Rechtsweg grundsätzlich ausgeschlossen. ANZEIGENLEITUNG: Werner A. Wiedemann (verantwortlich für Anzeigen), Tel. 0911/216 22 12 Ekkehard Pfister, Tel. 0911/216 27 49, Gültige Anzeigenpreisliste Nr. 2 vom 1. 1. 2006 REPRO: Fire Dept. GmbH, Hamburg DRUCK: heckel GmbH, Nürnberg VERTRIEBSLEITUNG: Andreas Bauer, Tel. 0911/216 22 60 ABONNEMENT UND KUNDENDIENST: Deutschland: RUND-Leser-Service, Badstr. 4-6, 90402 Nürnberg, [email protected], Tel. 0911/216 22 22, Preis des Einzelheftes 2,80 Euro, Jahresabonnement 33,60 Euro Österreich: RUND-Abonnenten-Service, Postfach 5, 6960 Wolfurt, [email protected], Tel. 0820/ 00 10 82, Fax 0820/00 10 86, Preis des Einzelheftes 3,20 Euro, Jahresabonnement 38,40 Euro Schweiz: RUND-Leser-Service, Postfach, 6002 Luzern, [email protected], Tel. 041 3292233, Fax 041 3292204, Preis des Einzelheftes 5,40 sFr, Jahresabonnement 64,80 sFr Übriges Ausland: Jahresabonnement 33,60 Euro zzgl. Porto Erscheinungsweise: monatlich Für unverlangt eingesendete Manuskripte, Fotos, Dias, Bücher usw. wird nicht gehaftet. Die gesamte Zeitschrift einschließlich aller ihrer Teile ist urheberrechtlich geschützt, soweit sich aus dem Urheberrechtsgesetz und sonstigen Vorschriften nichts anderes ergibt. Jede Verwertung ohne schriftliche Zustimmung des Verlages ist unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Copyright für Inhalt und Gestaltung – falls nicht ausdrücklich anders vermerkt – by Olympia-Verlag 2006. ISSN 1860-9279 Stets im Bilde: Bildredakteur Jochen Hagelskamp VORSCHAU 06 2006 Am 24. Mai erscheint die erste von zwei RUNDAusgaben, die wir komplett der WM widmen werden: Großer Teamcheck: Alle 32 Mannschaften unter der Lupe, ihre Stars und ihre WM-Chancen. Philipp Lahm: Der kleine Münchner verrät im Interview, warum die deutsche Nationalmannschaft alle überraschen wird. Luiz Felipe Scolari: Portugals Nationalcoach will hoch hinaus und glaubt, dass die WM den Weltfußball verändern wird. Olli Dittrich: Zwischen Dittsche, Grand Prix, WM und HSV. Außerdem: Fabio Cannavaro, Italiens Kapitän, am Lügendetektor. Dazu gibt es einen ganz besonderen WM-Spielplan zum Herausnehmen, so wie Sie ihn sonst nirgendwo sehen werden. FOTO IMAGO RUND 115 rund_114_115_Leserbrief 115 07.04.2006 20:00:32 Uhr SPIELKULTUR Auslaufen mit Thadeusz Dieser Mann sieht rot Jeden Monat terrorisiert TV- und Radiomoderator in RUND liebevoll den Fußball. Dieses Mal wundert er sich sehr über die Debatte um die Farbgebung der Trikotage der deutschen Nationalmannschaft Als Asterix bei den Olympischen Spielen als Athlet so überhaupt nichts vom Teller zieht, haben die mitgereisten Anhänger aus Nordgallien schnell die Schuldigen gefunden: Nicht das Verbot der Einnahme leistungssteigernder Zaubertränke ist schuld, sondern die Wildschweine, die in Griechenland einfach schlecht sind. Mit ähnlicher Sachlichkeit wie die enttäuschten Antik-Bretonen können wir jetzt schon bestimmen, was die deutsche Fußballnationalmannschaft um den WM-Titel bringen wird: die roten Trikots. Rot ist die Farbe der Sieger, weil die angeblich hitzige Couleur den Testosteronspiegel des Trikotträgers erhöht. Sagen die Wissenschaftler der Universität Durham. Bei allem Respekt vor den britischen Forschern: Was ist mit dem Rot in der englischen Liga? ManU, Liverpool? Nicht mehr als kraftlose rote Tupfer im von Anfang an verlorenen Kampf um die Meisterschaft. Und englischen Nationalspielern kann die Farbe ohnehin egal sein. Sie müssen ein Mittel gegen die einschießenden Östrogene finden, wenn ein Elfmeterschießen aufgerufen wird. Damit die Königin nicht wieder gezwungen ist, verärgert den Fernseher abzuschalten, wenn ein englischer Spieler mit drübergedrechseltem Flatterball die Turnierteilnahme seiner Elf vorzeitig beendet. Außerdem hat der Fußball die Wissenschaft schon zigmal widerlegt. Der Lupfer des legendären Paul Gascoigne über seinen südamerikanischen Gegenspieler zum Beispiel war seinerzeit eigentlich unmöglich. Denn eine Ernährungswissenschaftlerin hatte Gascoigne wegen des Verzehrs von mindestens einem Döner pro Tag für nicht wettkampftauglich befunden. Und trotzdem hat er den Verteidiger demütigend düpiert. Wie viel Promille Blutalkohol für eine so hinreißende Überheblichkeit nötig sind, das wäre ein interessanter Studiengegenstand gewesen. Die Farbe Rot hat im deutschen Fußball keiner Mannschaft wirklich weitergeholfen. Ihre schwarz-rote Wäsche haben die Tränen der Leverkusener Spieler nass gefleckt, die in Unterhaching die sichere Meisterschaft vergeigten. Der ehedem rote 1. FC Kaiserslautern kämpft sowohl gegen den Abstieg als auch gegen die Pleite. Als wäre das alles noch nicht schlimm genug, sind sie seit einiger Zeit auch noch ins nahe liegende Bordeaux abgerutscht, die armen Teufel. Und warum wohl experimentiert der FC Bayern mit Gold, wenn die Münchner ihrem traditionellen Rot wirklich vertrauen würden? Deutschland ist nicht rot. Zu viel Testosteron überfordert die Deutschen. Bei uns verabreden sich Frauen und Männer abends zum Reden. Rot an Fußgängerampeln löst bei uns keine Erregung aus, sondern Befehlsstarre, Angst vor der Polizei, Zurücknahme wegen umstehender fremder Kinder. Eine ganz und gar unrote Helmpflicht für Fahrradfahrer ist bei uns jederzeit denkbar. Auf der linken Spur der deutschen Autobahn sieht auch keiner wirklich rot, sondern hat das Weiß des Wahnsinns in den Augen. Schwarz und Weiß, das sind Deutschlands Farben. Schwarz-weiß, wie der Himmel über unserem April-Wetter-Land. Schwarz und Weiß, wie die Kategorien, in die wir am liebsten die Welt einteilen. Schwarz-weiß ist auch die Farbe von Wildschweinen. Jedenfalls wenn sie gut sind. FOTO MATTHIAS KOSLIK LIEBE LESER, WIE HAT IHNEN DIESE RUND-AUSGABE GEFALLEN? BITTE SCHREIBEN SIE UNS: REDAKTION RUND, PINNEBERGER WEG 22-24, 20257 HAMBURG ODER [email protected] – RUND IM INTERNET: WWW.RUND-MAGAZIN.DE RUND 116 rund_116_116_Thadeusz 116 05.04.2006 20:50:44 Uhr