Persönliche PDF-Datei für Stefan Weinschenk
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Persönliche PDF-Datei für Stefan Weinschenk Mit den besten Grüßen vom Georg Thieme Verlag www.thieme.de Neuraltherapie in der Frauenheilkunde – Update 2016 10.1055/s-0042-106799 Geburtsh Frauenheilk 2016; 76 Dieser elektronische Sonderdruck ist nur für die Nutzung zu nicht-kommerziellen, persönlichen Zwecken bestimmt (z. B. im Rahmen des fachlichen Austauschs mit einzelnen Kollegen und zur Verwendung auf der privaten Homepage des Autors). Diese PDF-Datei ist nicht für die Einstellung in Repositorien vorgesehen, dies gilt auch für soziale und wissenschaftliche Netzwerke und Plattformen. Verlag und Copyright: © 2016 by Georg Thieme Verlag KG Rüdigerstraße 14 70469 Stuttgart ISSN 0016-5751 Nachdruck nur mit Genehmigung des Verlags Aktuell diskutiert 507 Allgemeine Gynäkologie Neuraltherapie in der Frauenheilkunde – Update 2016 Haben Sie Patientinnen mit Wechseljahresbeschwerden, die keine Hormone nehmen wollen oder dürfen? Leiden einige Ihrer Patientinnen unter unerklärlichen Unterbauchschmerzen oder therapieresistenten Entzündungen? Für diese Patientinnen könnte die Neuraltherapie die richtige Behandlung sein. Definition und Bedeutung in der Frauenheilkunde ▼▼ Unter Neuraltherapie verstehen wir die therapeutische Anwendung von Lokalanästhetika. Sie hat in der Frauenheilkunde eine lange Tradition [1] und wurde in jüngster Zeit, befördert durch Daten aus der Grundlagenforschung, wieder neu entdeckt. Auf Grund der vielfältigen molekularen Effekte der Lokalanästhetika stellt die Methode einen umfassenden und vielversprechenden Therapieansatz dar. Die frauenärztliche Tätigkeit profitiert aus mehreren Gründen von der Einbindung der Neuraltherapie: gynäkologische Krankheitsbilder sind häufig funktioneller Natur (ohne organisches Substrat) oder mit vielfältigen vegetativen Symptomen verbunden. Sie sind damit einer komplexen Intervention wie der Neuraltherapie gut zugänglich. In der Frauenheilkunde lassen sich praktisch alle Therapieebenen der Neuraltherapie nutzen: Lokale, segmentale, regionale (Ganglien-) und systemische Behandlung. Die meisten dieser Injektionstechniken sind dem Frauenarzt bereits vertraut oder leicht erlernbar. Studienlage und Evidenz ▼▼ In den vergangenen Jahren beobachten wir einen erheblichen Erkenntnisgewinn zur molekularen Wirkungsweise von Lokalanästhetika. Sie besitzen nicht nur die bekannten Wirkungen auf den Na+-Ionen-Kanal bei erregbaren Zellen, sondern haben auch antiinflammatorische [2], antithrombotische [3], demethylierende und damit potentiell Krebs hemmende Wirkungen [4–5]. Sie haben einen starken Einfluss auf das Vegetative Nervensystem im Sinne einer Sympathikolyse [6], haben zentralnervöse Wirkungen und greifen in verschiedene weitere Stoffwechselwege bei nicht-erregbaren Zellen ein (Übersicht und Literatur bei [7]). Diese molekulare Pleotropie der Lokalanästhetika weist auf ein breites therapeutisches Potential dieser Substanzgruppe hin. Evidenz für die Wirksamkeit der Neuraltherapie Klinische Studien zur therapeutischen Anwendung von Lokalanästhetika in der Frauenheilkunde sind bislang noch die Tab. 1 Die 5 Indikationsbereiche der Neuraltherapie. Indikationsgruppe Beispiele aus anderen Fachgebieten Beispiele aus der Frauenheilkunde chronischer Schmerz muskuloskelettale Schmerzen Vulvodynie [13], Pelvipathie [15] chronische Entzündungen chronische Sinusitis chronische Zystitis, Kolpitis vegetative Beschwerden Hitzewallungen (bei Kontraindikation von Hormonen) [16] CRPS (Morbus Sudeck) funktionelle Störungen Reizdarmsyndrom ohne organischen Befund Mikroangiopathien, Durchblutungsstörungen u. a. Dysurie [17] Tinnitus, Raynaud-Syndrom, Trigemi- unklare Unterbauchbeschwerden nusneuralgie [18] (chronic pelvic pain syndrome) [12] Ausnahme. Gute Evidenz besteht beispielsweise bei der Behandlung der akuten Pankreatitis [8], der postherpetischen Neuralgie [9] oder bei muskuloskelettalen Beschwerden bei Patienten mit Multipler Sklerose [10]. Auch die postoperative Phase nach Bauchoperationen wird durch den therapeutischen Einsatz von Lokalanästhetika erheblich verbessert [11]. Indikationen in der Frauenheilkunde ▼▼ Typische Indikationen sind: ▶▶Chronischer Unterbauchschmerz ohne organischen Befund [12], ▶▶Narbenschmerzen nach Geburts verletzungen, ▶▶Vulvodynie [13], ▶▶chronisch-rezidivierende Cystitis und Kolpitis, ▶▶zyklusabhängige Beschwerden wie p erimenstrueller Migräne oder Ischialgien. Auch für Dysmenorrhoe, Endometriose und Infertilität besteht inzwischen Evidenz der Wirksamkeit [14]. Die meisten Indikationen lassen sich 5 verschiedenen Gruppen zuordnen: Chronischer Schmerz, rezidivierende (abak terielle) Entzündungen, vegetative Beschwerdebilder, funktionelle Störungen ohne organischen Befund, und Mikro angiopathien (q Tab. 1). Vielfach über lagern sich die Symptome, so dass die Zuordnung eher theoretisch-wissen schaftlicher Natur ist. In der Praxis steht der ganze Mensch im Zentrum, mit seinen vielfältigen, in sich zusammen hängenden Beschwerden. Geburtsh Frauenheilk 2016; 76 Elektronischer Sonderdruck zur persönlichen Verwendung Stefan Weinschenk GebFra Magazin Es erscheint auf den ersten Blick verwunderlich, warum das Indikationsspektrum einer einzigen Methode so weitreichend ist. Entstehung und Ablauf von chronischen Schmerzen und Funktionsstörungen beruhen jedoch auf allgemeinen Mechanismen, unabhängig vom Ort des Geschehens; an diesen zentralen Schaltstellen setzt die Therapie mit Lokalanästhetika an. Die Ergebnisse aus der Grundlagenforschung liefern inzwischen einige Erklärungen, warum gerade chronische Krankheitsbilder einer Neuraltherapie gut zugänglich sind (vgl. Übersicht bei [7]). „Wie können denn so viele verschiedene Krankheiten mit demselben Mittel geheilt werden?“ In der Frauenheilkunde finden wir häufig eine enge Verknüpfung zwischen Psyche und Körper. Viele hier auftretende funktionelle Störungen lassen sich nicht durch Operationen, Medikamente oder Hormone, sondern eher durch ganzheitliche Verfahren behandeln. Hierzu zählt die Psychosomatik, aber auch komplexe Interventionen wie die Neuraltherapie. Im Folgenden wird die Evidenz für typische Indikationen in der Frauenheilkunde näher beleuchtet. Chronische Unterbauch beschwerden Unterbauchbeschwerden ohne organischen Befund lassen sich mit Triggerpunkt-Injektionen in den Lumbalseg- menten [12] bzw. in Narben im Genitalgebiet [19] erfolgreich behandeln. Es wird angenommen, dass Unterbauchbeschwerden durch eine inadäquate Faszienspannung verursacht oder verstärkt werden kann, die sich in bildgebenden Verfahren nicht nachweisen lässt. Eine Entlastung der Spannung durch Lockerung der „Knoten im Netz“ (Triggerpunkte, Narben) führt nach diesem Modell zu einer Verringerung des abdominalen Schmerzgeschehens [20]. Endometriose, Dysmenorrhö, Infertilität Erfahrungen mit der Anwendung von Injektionen an den Plexus uterovaginalis bei Dysmenorrhö führen uns zu einem Erklärungsmodell auf der Basis der Beteiligung des Vegetativen Nervensystems [21]. Injektionen an das Ganglion pterygopalatinum bei der Therapie von chronischem Gesichtsschmerz ergeben als „Nebeneffekt“ eine Besserung von Menstruationsbeschwerden [22]. Ebenfalls wirksam scheint die Pertubation mit Lidocain zu sein [14]. Die gleiche Arbeitsgruppe am Karolinska-Institut in Schweden konnte zeigen, dass sich selbst die Fertilitätsrate bei Patientinnen mit Endometriose nach intrauteriner Applikation von Lokalanästhetika verbessern lässt [23]. Dysurie Eine Arbeitsgruppe der Universitätsfrauenklinik Wien untersuchte die Wirkung von wiederholten paraurethralen Injektionen bei therapieresistenter Dysurie und konnte signifikante Verbesserungen urodynamischer Parameter Abb. 1 Narbeninfiltration im Unterbauch. © S. Weinschenk 2005 Elektronischer Sonderdruck zur persönlichen Verwendung 508 Geburtsh Frauenheilk 2016; 76 nachweisen [17]. Die behandelten Patientinnen profitierten dauerhaft (> 6 Monate). Hier dürfte der „reset“-Effekt auf die vegetativen Zentren im Trigonum vesicae eine wesentliche Rolle für die Besserung gespielt haben. Vulvodynie, rezidivierende Vulvitis Bei Vulvodynie – chronische Schmerzen des äußeren Genitale ohne organischen oder mikrobiologischen Befund – sehen wir gute Erfolge mit regionalen Techniken wie z. B. die Infiltration des N. genitofemoralis, des N. pudendus und des Plexus uterovaginalis. Eine erste Kasuistik haben wir dazu publiziert [13]. Wir haben für die Behandlung der Vulvodynie an unserer Abteilung eine schonende und nebenwirkungsarme Injektion an den N. pudendus entwickelt. Sie eignet sich auch für diagnostische Eingriffe an der Vulva. Diese Methode lehren wir in Kursen an der Universität Heidelberg [24] (siehe Infokasten). Wir überblicken mittlerweile viele Patientinnen mit Vulvodynie bei einer Krankheitsdauer von 1–12 Jahren, bei denen nach Anwendung der Neuraltherapie die meisten (> 70 %) dauerhaft (6– 38 Monate) beschwerdefrei sind [13]. Die therapeutische Wirkung resultiert vermutlich auch hier nicht aus der Blockade erregbarer Zellen, sondern aus einer verbesserten Perfusion mit der Folge eines neurologischen „Reset“, entsprechend dem Konzept der „Schmerzferien“ [7]. Klimakterische Beschwerden bei Kontraindikation Hormontherapie Bei Frauen mit Hitzewallungen und Schweißausbrüchen bei Kontraindikation gegen eine Hormontherapie kann die Neuraltherapie als Erfolg versprechende Alternative versucht werden. In plazebokontrollierten, randomisierten Studien mit wiederholten Injektionen an das Ganglion stellatum fanden sich Besserungen von > 50 % auch noch ein halbes Jahr nach Therapieende [16, 25-27]. Perioperative Schmerzprophylaxe Randomisierte Studien zur perioperativen Reduzierung des Schmerzmittelverbrauchs [11] erlauben eine Anwendung auch bei der Schmerzprophylaxe nach Aktuell diskutiert Die Verbesserung der Wundheilung wird bereits in der Brustchirurgie angewandt [29]. Die Neuraltherapie wird außerdem erfolgreich bei Kreuzschmerzen und bei Narbenbeschwerden nach Geburtsverletzungen [30] praktiziert, ohne dass allerdings hierfür schon Studienergebnisse veröffentlicht sind. Mögliche weitere Indikationen in der Frauenheilkunde Arbeiten zur Therapie akuter intestinaler Entzündungen wie der Pankreatitis [8] mit Procain-Infusionen legen eine analoge Anwendung zum Beispiel bei perakuter Dysmenorrhö im Notfalldienst nahe. Daten zur Behandlung von Kopfschmerz und Migräne [31] lassen sich direkt auf die Therapie der perimenstruellen Migräne übertragen. Die Praxis ▼▼ Die tägliche Praxis ist durch einen pragmatischen Ansatz gekennzeichnet; es wird gespritzt, wo es hilft. Für unkomplizierte Beschwerden werden lokale (Trigger punkte) und segmentale Injektionstechniken (Quaddeln) verwendet. Sie sind auch ohne vertiefte Kenntnisse der Methode anwendbar. Die geringe intuitiv Nebenwirkungsrate erlaubt eine Anwendung ex juvantibus im Sinne einer diagnostischen Testbehandlung (q Tab. 2). Der behandelnde Arzt in Praxis oder Ambulanz sieht das nüchtern und pragmatisch: Wenn die ersten 1–2 Behandlungen nicht geholfen haben, kann im nächsten Schritt immer noch eine umfangreichere und kostspielige Diagnostik durchgeführt werden. Eine sorgfältige Therapieplanung, umfangreiche Vordiagnostik und ausführliche Aufklärung kennzeichnet die Spezialbehandlung chronischer Krankheitsbilder. In der Regel werden hier Patienten behandelt, die bereits über eine langjährige „Patientenkarriere“ verfügen. Entsprechend sorgfältig müssen auch psychosomatische Zusammenhänge beachtet werden. Allerdings beobachtet man oft eine Tab. 2 Therapiestrategien für akute und chronische Krankheitsbilder. Methode Krankheitsbild und Vorgehen Indikationen (Beispiele) schnell und einfach: Der Alltag akut ▶▶ einfache Injektionstechniken ▶▶ standardisiertes Vorgehen ▶▶ 1–2 ×: „trial and error“ ▶▶ weitere Abklärung bei Misserfolg ▶▶ akutes HWS-Syndrom ▶▶ unkomplizierter Hexenschuss ▶▶ Muskelzerrung, Bänderdehnung ▶▶ akute Gallenkolik aufwändig und ggf. kompliziert: Die hohe Schule chronisch ▶▶ umfangreiche vorausgegangene Diagnostik und Therapie ▶▶ Anwendung aller Ebenen und Injektionstechniken ▶▶ 8–15 Termine, größere Abstände ▶▶ Trigeminusneuralgie ▶▶ chron.-rezidivierende Kolpitis, Cystitis ▶▶ Postherpetisches Syndrom ▶▶ Kopfschmerz, Migräne ▶▶ chronische unklare Unterbauchschmerzen deutliche psychische Entspannung nach Besserung der Beschwerden durch eine somatische (hier: neuraltherapeutische) Therapie. Therapieebenen der Neuraltherapie Injektionen können auf verschiedenen Ebenen angewandt werden (q Tab. 3): am einfachsten direkt lokal, also „da wo es weh tut“, oder segmental, also an den Beschwerden zugehörigen Dermatomen, die gequaddelt werden (intrakutane Injektion). Ein Beispiel: Bei chronischer Cystitis spritzt man nicht direkt in die Blase, sondern quaddelt die zugehörigen Hautareale, hier also Th12–L3. Quaddeln wirken über den cutiviszeralen Reflex relaxierend und perfusionssteigernd auf alle viszeralen Organe des gleichen Segments. Regionale Injektionen direkt an den Nerv sind für Frauenärzte einfach anzuwenden, da sie diese Technik in der Regel schon beherrschen, z. B. Injektionen an den Plexus uterovaginalis von der Anäs- thesie bei Einlage einer Intrauterinspirale, oder an den Nervus pudendus. Fünf Möglichkeiten der Behandlung Die Injektion an so genannte Störfelder ist eine bislang wenig erforschte Anwendungsweise. Störfelder, auch Fokus oder neurovegetatives Irritationszentrum genannt, sind symptomlose Strukturen des Körpers, die eine pathologische Störwirkung auf andere Bereiche entfalten, ohne dass ein anatomischer Bezug zwischen beiden erkennbar wäre. Beispiele sind Narben oder entzündete Zähne, die einen pathologischen Einfluss auf ein entferntes Krankheitsgeschehen haben. Untersuchungen hierzu sind spärlich. Studien, die den neuroanatomischen Zusammenhang zwischen Zahnherden und Wirbelsäulenbeschwerden (Nackenreflexpunkten) untersuchen, werden derzeit an den Universitäten Essen und Heidelberg durchgeführt [32]. Ein Überblick zu diesem wis- Tab. 3 Verschiedene Ebenen der Neuraltherapie. Ebene vorwiegender Effekt Indikationen in anderen Fachgebieten Indikationen in der Gynäkologie lokal antiinflammatorisch, analgetisch Gelenkbeschwerden ohne organischen Befund, z.B. Tennisellenbogen postoperativer Wundschmerz; Wundinfiltration [28] segmental reflektorisch (cutiviszeraler Reflex) im spinalen Segment chronische Gastritis ohne Befund; Reizdarmsyndrom [35] chronische Cystitis [36], Kolpitis regional nerval („Blockade“, Durchblutungsstörungen, „reset“), Sympathikolyse CRPS [37] menstruelle Kopfschmerzen [31], Vulvodynie[13] systemisch siehe lokal akute Pankreatitis [8], Kopfschmerz [38] postoperative Analgesie [11] Störfeld Fernwirkung (Fascial? Fibroblastennetzwerk? Reflektorisch via VNS?) muskuloskelettale Beschwerden [39] chronische Unterbauchbeschwerden ohne organischen Befund [40] Geburtsh Frauenheilk 2016; 76 Elektronischer Sonderdruck zur persönlichen Verwendung Sectio [28]. Aufgrund der kurzen Halbwertszeit der Lokalanästhetika stellt diese Therapie kein Hindernis für das Stillen dar. Durch Erkenntnisse zur Tumor hemmenden Wirkung von Lokalanästhetika [5] ergeben sich neue Indikationen in der gynäkologischen Onkologie. 509 510 GebFra Magazin senschaftlich sehr interessanten Phänomen und zu den 5 Anwendungsebenen findet sich bei [7] oder im Handbuch Neuraltherapie [33]. Abb. 2 Injektion an den Plexus uterovaginalis von abdominal. © S. Weinschenk 2005 Elektronischer Sonderdruck zur persönlichen Verwendung Die systemische Anwendung als Injektion oder Infusion eignet sich zur Anwendung bei multilokulären oder wandernden Schmerzen, generalisierter Hyperalgesie und in Zukunft vielleicht auch in der Sekundärprävention von Tumoren [34]. Vorgehensweise in der Frauenheilkunde Es existieren bislang sehr wenige Studien über die Wirksamkeit der Neuraltherapie. Eine Add-on-Feldstudie in der Schweiz verglich das Outcome von Patienten mit chronischem Rückenschmerz, die in Praxen mit und ohne ausgebildeten Neuraltherapeuten behandelt wurden, und fand u. a. einen erheblich geringeren Schmerzmittelverbrauch, eine frühere Wiedereingliederung ins Berufsleben und eine höhere Patientenzufriedenheit mit dem Therapieergebnis [41]. Empirisch hohe Erfolgsquote Erfahrungen mit der Neuraltherapie in der täglichen Praxis lassen sich wie folgt zusammenfassen: Jede 2. Patientin, die bei einfachen Krankheitsbildern neuraltherapeutisch behandelt wird, ist nach INFO Neuraltherapie-Kurse für Frauenärzte: HUNTER Group (Heidelberg University Neural Therapy Education and Research Group) der Universität Heidelberg jährlich im Juli. Die nächsten Kurse werden vom 01.–02.07.2016 in Heidelberg angeboten. Informationen: ▶▶www.hunter-heidelberg.com Allgemeine Grundkurse in Neuraltherapie in Heidelberg jeden Juli, in Essen jeden Oktober, Klinik für Naturheilkunde und Integrative Medizin. Informationen: ▶▶www.kliniken-essen-mitte.de/ naturheilkunde Geburtsh Frauenheilk 2016; 76 der Behandlung beschwerdefrei. Nach einer Wiederholung der Behandlung hat die Patientin erneut eine 40 %ige Besserungschance und damit insgesamt eine Erfolgsquote von ca. 70 %. Nach dem 3. Besuch sind ungefähr 75 % der Patienten beschwerdefrei. Wenn nicht, sollten erweiterte Techniken angewandt, oder die Indikationsstellung der Methode neu geprüft werden. In der Regel kommt bereits der Anfänger mit einfachen Techniken zu guten Erfolgen. Das gilt auch für Symptome, die ansonsten als therapieresistent gelten, wie zum Beispiel chronisch-rezidivierende Cystitis ohne bakteriellen Befund, oder postpartale Narbenschmerzen. Spezielle Techniken in der Gynäkologie In der gynäkologischen Praxis werden zunächst alle allgemein verwendbaren Injektionstechniken praktiziert, wie Quaddeln, Triggerpunkt-Injektionen oder Infiltrationen an den Ort des Schmerzes. Darüber hinaus existieren spezifische Injektionstechniken, die im Wesentlichen dem Frauenarzt vorbehalten sind: ▶▶Infiltrationen an regionale Nerven (N. pudendus) und Ganglien (Plexus uterovaginalis, s. q Abb. 2), ▶▶Narben-Injektionen in der Genital region, ▶▶paraurethrale Infiltrationen ▶▶Injektion an das Trigonum vesicae sowie ▶▶die Technik der intrauterinen Instillation. Hieraus ergeben sich zukünftig interessante Tätigkeitsfelder für gynäkologische Ambulanzen oder Praxen in Zusammenarbeit mit Neuraltherapeuten anderer Fachgebiete, die Patientinnen gezielt zur Durchführung dieser Injektionen an den Frauenarzt überweisen können. Weitere für Gynäkologen wichtige Techniken sind die Infiltration des Sakroiliakalgelenks und des Nabels. Alle diese Injektionen sind für den erfahrenen Frauenarzt leicht durchführbar, sollten aber in Kursen gelernt und in der Praxis regelmäßig geübt werden [24]. Kontraindikationen und Nebenwirkungen ▼▼ Eine ausführliche Aufklärung über Wirkungen und Nebenwirkungen und eine schriftliche Einwilligung sind ratsam. Die häufigste und wichtigste Nebenwirkung sind kurzzeitig auftretende Kreislauf beschwerden [44]. An Kontraindikationen ist die Gerinnungsstörung und ggf. eine extreme Spritzenangst zu beachten. In der Schwangerschaft sollte aus forensischen Gründen vor der 12. Woche nicht neuraltherapeutisch behandelt werden. Weitere Kontraindikationen und Nebenwirkungen können den einschlägigen L ehrbüchern [33] entnommen werden und werden ausführlich in den Weiterbildungskursen behandelt. Häufigste Nebenwirkung: Leichte Kreislaufbeschwerden Es existiert derzeit noch keine umfassende Evidenz zur Methodensicherheit. Klinische Studien befassen sich mit Wir- kungen und Nebenwirkungen der Procain-Infusion (Universität Essen) und mit der Allergierate kurzwirksamer Lokalanästhetika [42] (Universität Heidelberg). Die Rate an unerwünschten Ereignissen kann derzeit noch nicht beziffert werden. Die Inzidenz von Nebenwirkungen bei Anwendung von langwirksamen Lokalanästhetika in der Regionalanästhesie lässt sich nur bedingt auf die therapeutische Anwendung übertragen, da letztere in der Regel mit kurzwirksamen Lokalanästhetika und kleinsten Mengen auskommt. Einzelfallberichte über schwere Komplikationen lassen keine Aussage über die Rate an Nebenwirkungen zu. Einige wenige retrospektive Erhebungen mit nur sehr wenigen, allesamt reversiblen Nebenwirkungen legen den Schluss nahe, dass die Methode insgesamt sehr sicher ist [43]. Dies entspricht auch der klinischen Erfahrung vieler weltweiter Anwender. Für genaue Aussagen zur Methoden sicherheit sind prospektive Erhebungen erforderlich. Hierzu läuft derzeit eine Multizentren-Studie, welche die unmittelbaren Soforteffekte nach neuraltherapeutischer Intervention untersucht [44]. Aus- und Weiterbildung ▼▼ Im Studentenunterricht ist die Neuraltherapie derzeit an den Universitäten Bern, Essen, Graz und Heidelberg implementiert. Heidelberg war die erste europäische Universität, die Neuraltherapie als Pflicht- und Prüfungsfach im klinischen Studienabschnitt einführte [45]. Seit 2011 existiert eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe Neuraltherapie (www. hunter-heidelberg.com), die 2014 den ersten Kongress zur Neuraltherapie an einer europäischen Universität organisierte. Diese Tagung findet Anfang Juli alle 2 Jahre statt. Für den interessierten Frauenarzt bietet die Universität Heidelberg gynäkolo gische Spezialkurse an (siehe Kasten). Allgemeine Basiskurse können an den Universitäten Essen und Heidelberg belegt werden. Außeruniversitäre Kurse bieten die Neuraltherapie-Gesellschaften www.dgfan.de und www.ignh.de, in Österreich www.neuraltherapie.at an, wobei jeweils ein Fortgeschrittenenkurs dem Fachgebiet Gynäkologie / Urologie gewidmet ist. Fazit für die gynäkologische Praxis ▼▼ ▶▶Die Neuraltherapie ist eine einfach zu erlernende, wirksame und nebenwirkungsarme Methode zur Behebung vieler banaler Alltagsbeschwerden in der gynäkologischen Praxis. ▶▶Die Neuraltherapie kann auch bei unklaren Krankheitsbildern ohne organischen Befund angewandt werden, setzt aber eine vorherige umfangreiche Ausschlussdiagnostik voraus. ▶▶Sie ist bei Beachtung der Kontraindikationen sicher und nebenwirkungsarm. ▶▶Typische gynäkologische Indikationen sind Injektionen an Narben, Nerven und Ganglien im Bereich des inneren und äußeren Genitale. ▶▶Die Weiterbildung in fachspezifischen Kursen für Neuraltherapie erlaubt eine sichere und erfolgreiche Indikationsstellung und Durchführung der Methode. 10 Interessenkonflikt ▼▼ 14 Der Autor erklärt, dass keine Interessenkonflikte bestehen. Korrespondenz Dr. Stefan Weinschenk Praxis für Frauenheilkunde und Naturheilverfahren, Dres. Weinschenk, Scherer & Kollegen, Lehrbeauftragter der Universität Heidelberg stefan.weinschenk@ med.uni-heidelberg.de Literatur 1 Weinschenk S. Neuraltherapie in der Gynäkologie. Evidenz und Perspektiven der Therapie mit Lokalanästhetika. Gynäkologe 2015; 48: 20–27 2 Hollmann MW and Durieux ME. Local anesthetics and the inflammatory response: a new therapeutic indication? Anesthesiology 2000; 93: 858–875 3 Lo B et al. Local anesthetic actions on thromboxane-induced platelet aggregation. Anesth Analg 2001; 93: 1240–1245 4 Villar-Garea A et al. Procaine is a DNA-demethylating agent with growth-inhibitory effects in human cancer cells. Cancer Res 2003; 63: 4984–4989 5 Lirk P et al. Lidocaine time- and dose-dependently demethylates deoxyribonucleic acid in breast cancer cell lines in vitro. Br J Anaesth 2012; 109: 200–207 6 Wisseler H. Change of heart rate variability during different medical interventions in a CAM practice in Germany. 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