Schmerztherapie 2/2007 - Deutsche Gesellschaft für
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Schmerztherapie 2/2007 - Deutsche Gesellschaft für
SCHMERZTHERAPIE Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie e. V. – DGS 23. Jahrgang 2007 2I2007 Ehemals StK Inhalt Editorial Geht´s Ihnen auch gut?.................. 2 Myofasziales Schmerzsyndrom Der Genitalschmerz – genital, perineal oder myofaszial?.............. 3 Regionalblockaden Infiltration der Triggerpunkte des M. piriformis................................... 5 DGS-Veranstaltungen/Interna..... 7 Der Deutsche Schmerztag 2007 Der Patient im Mittelpunkt.............. 8 Onkologie Update: Therapie von Tumorschmerzen.................................... 12 Palliativmedizin Die neue spezialisierte ambulante Palliativversorgung....................... 17 Was kostet die Versorgung am Lebensende?................................ 19 Infotelegramm/Internationale Presse ......................................... 21 Schmerzbehandlung und DRG Finanzierung stationärer Schmerztherapie und Palliativmedizin........ 22 Medizin und Recht Endgültiges Aus für die Erstattung von Cannabinol auf Kosten der GKV?............................................ 24 Bücherecke................................. 26 Kasuistik Postzosterneuralgie......................27 Gesundheitsreform − kalte Dusche für Schmerzpatienten www.dgschmerztherapie.de ISSN 1613-9968 Editorial Geht’s Ihnen auch gut? 1,67 Milliarden Euro Überschuss haben die gesetzlichen Krankenversicherungen im Jahr 2005 erzielt, im Jahr 2006 gar 1,73 Milliarden. Ohne Zweifel geht es den gesetzlichen Krankenkassen gut. Sinkende Arbeitslosenzahlen, Leistungseinschränkungen in dem Katalog der gesetzlichen Krankenversicherung wie auch Ihre eigenen anhaltenden Sparbemühungen bei der Verordnung von Medikamenten haben zu satten Überschüssen in der gesetzlichen Krankenversicherung geführt. Damit waren nach Auskunft des Bundesgesundheitsministeriums Ende 2006 189 der 250 Kassen schuldenfrei. Sind Sie selbst es auch? Ärzte subventionieren Gesundheitssystem weiter Jahrelang wurde Ärzten die kalkulatorisch für richtig erachtete Honorierung von 71,00 Euro/Stunde (basierend auf einem Punktwert von 5,11 Cent) verweigert mit dem Hinweis, dies wäre nicht bezahlbar. Damit liegt der Stundensatz von Ärzten vielerorts nicht einmal bei der Hälfte dessen, was Flaschner, Elektriker oder EDV-Spezialisten, die wir immer wieder in unseren Praxen brauchen, selbstverständlich erhalten. Nicht mit eingerechnet hierbei sind die 30% und mehr Arbeit, die Ärzte nach Erschöpfen ihres Budgets auf eigene Rechnung und Kosten erbringen. Obwohl Ärzte im geltenden Antidiskriminierungsgesetz nicht expressis verbis erwähnt sind, entspricht dies ohne Zweifel dem Tatbestand der Diskriminierung, wenn die Leistung eines ganzen Berufsstandes derart herabgewürdigt wird. Dass Machwerke wie das „Ärztehasser Buch“ auf diesem Boden eine breite Medienresonanz finden, ist nur eine der Folgen. Schmerztherapie light? Unter dem Eindruck leerer Kassen wurde im EBM 2000plus und in der dazugehörigen Qualitätssicherungsvereinbarung nach § 135 Abs. 2 SGB V der besondere Aufwand der Schmerztherapie bei schwerstchroni- Gerhard Müllerfizierten Patienten Schwefe, Göppingen bekanntermaßen mit einem nicht einmal annähernd kostendeckenden Betrag abgebildet. Diejenigen Kassenärztlichen Vereinigungen, die diese Regelung 1:1 umgesetzt haben, nahmen in Kauf, dass viele qualifizierte Schmerztherapeuten sich anderen Aufgaben aus ihrem ursprünglichen Fachgebiet wieder zugewandt haben und nicht mehr für die Schmerztherapie zur Verfügung stehen. Bereits mit Einführung der Qualitätssicherungsvereinbarung zur Schmerztherapie hat die Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie e. V. moniert, dass die in § 5 Abs. 7 SGB V definierte Beschränkung schmerztherapeutischer Behandlung nach dieser Vereinbarung den Zeitraum von zwei Jahren nicht überschreiten soll. Hier wird einmal mehr deutlich, dass die Vertragspartner, die diese Vereinbarung abgeschlossen haben, Situation und Therapienotwendigkeit chronisch schmerzkranker Patienten zu keinem Zeitpunkt richtig einschätzen konnten. Patienten und Ärzte stehen im Regen Zwei Jahre nach Inkrafttreten des EBM 2000plus und der dazugehörigen Qualitätssicherungsvereinbarung wird diese Regelung jetzt von einzelnen Kassenärztlichen Vereinigungen „scharfgeschaltet“. Die Konsequenzen sind klar: 1.Ein massiver Mehraufwand für schmerztherapeutisch tätige Ärzte, die ihren Kassenärztlichen Vereinigungen Patienten auflisten sollen, die zwei Jahre in schmerztherapeutischer Behandlung sind und länger dieser Behandlung bedürfen – mit einer entsprechenden Begründung. Der Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung (z. B. Nordrhein) leidet offensichtlich an Arbeitsmangel und möchte sich dann mit diesem Vorgang beschäftigen und entscheiden, welche Patienten nach der Schmerztherapie-Qualitätssicherungsvereinbarung weiterhin in schmerztherapeutischer Behandlung bleiben können. Man stelle sich vor, ähnliches Vorgehen würde auch bei Diabetikern und Rheumatikern eingeführt und Vorstände von Kassenärztlichen Vereinigungen müssten entscheiden, wer nach Ablauf von zwei Jahren weiterhin zum Diabetologen oder Rheumatologen gehen kann … 2. Schmerzpatienten, die im Rahmen dieser Vereinbarung eine für sie hilfreiche Schmerztherapie gefunden haben, stehen plötzlich im Regen. Zahlreiche Schreiben von Patienten an die Deutsche Schmerzliga belegen, dass die Weiterbehandlung durch Hausärzte gerade nicht gewährleistet ist, da diese mit Hinweis auf die teuren Medikamentenverordnungen und Budgetgrenzen eine Weiterbehandlung verweigern. So schreibt zum Beispiel eine Patientin aus Nürnberg am 31.03.2007: „Mein Hausarzt ist nicht in der Lage, mich als chronische Schmerzpatientin zu behandeln, da, was mir auch einleuchtet, sein Budget für eine solch teure Be- SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.) Myofasziales Schmerzsyndrom handlung im Hinblick auf seine übrigen Patienten nicht ausreicht.“ „Kluge“ Kassenärztliche Vereinigungen haben die Durchführung dieser Regelung aus gutem Grund ausgesetzt. eines Medizinstudiums möchte wirklich ärztlich in der Versorgung von Patienten tätig werden. In weiten Teilen Deutschlands – nicht nur in den neuen Bundesländern – sind vakante Arztsitze nicht mehr zu besetzen. Prävention und Therapie statt Wellness Für die oben zitierte Patientin wie auch für viele andere wäre es wichtiger, eine für sie effektive Therapie auch langfristig zu erhalten, als von ihrer Krankenkasse Zuschüsse für Wellness-Angebote auf Mallorca offeriert zu bekommen. Die verfehlte Gesundheitsund Vergütungspolitik trägt bereits umfassende Früchte: Nur jeder zweite Absolvent Gesundheitspolitik – Thema des Deutschen Schmerztages 2007 Viele dieser gesundheitspolitischen Probleme waren Inhalte von Vorträgen und Workshops während des Deutschen Schmerztages 2007. Einen Teil davon finden Sie in dieser Ausgabe der SCHMERZTHERAPIE wiedergegeben, darüber hinaus viele Aspekte schmerztherapeutischer Diagnostik und Therapie. Ich wünsche Ihnen viel Freude bei der Lektü- re dieses Heftes und auch Kraft und Energie für den beginnenden heißen Sommer, um klar und deutlich gegen die Diskriminierung ärztlicher Tätigkeit anzugehen, um ihren Beruf weiterhin mit Freude ausüben zu können. Darin wird Sie die Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie e. V. mit aller Kraft unterstützen. Ich grüße Sie herzlich Ihr Dr. med. Gerhard Müller-Schwefe, Präsident Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie e. V. Der Genitalschmerz – genital, perineal oder myofaszial? Hartnäckige Beschwerden im Urogenitalbereich ohne pathologische Befunde sind oft myofasziale Kettensyndrome, bei denen der Projektionsschmerz typischerweise in andere Körperregionen ausstrahlt. Anhand einer eindrucksvollen Kasuistik schildert Dr. med. Olaf Günther, Magdeburg, Vizepräsident der DGS, das diagnostische und therapeutische Vorgehen beim myofaszialen Schmerzsyndrom. chmerzen im Genitalbereich führen Frauen in erster Linie zum Frauenarzt und Männer zum Urologen. Am häufigsten werden dabei entzündliche Erkrankungen, deren Folgezustände oder mechanische Störungen diagnostiziert, z.B. nach operativen Eingriffen Tabelle 1: Differenzialdiagnosen (Auswahl) Genese Diagnose Entzündlich Adnexitis Appendizitis Endometritis Zystitis Epididymitis Prostatitis Mechanisch/ postoperativ Adhäsionen Granulome Irritationen, z.B. des Nervus ilioinguinalis oder Nervus genitofemoralis Chronisches Prostataschmerzsyndrom Prostatahyperplasie Endometriose Pudendus-Tunnel-Syndrom Tumor SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.) (Tab. 1). Dennoch gibt es eine große Anzahl von urogenitalen Beschwerden, bei denen bei der Routineuntersuchung keine äußeren Auffälligkeiten gefunden werden, die Entzündungsparameter unauffällig sind und keine richtungsweisende Erklärung festgestellt wird. Hierbei durchlaufen die Patienten dann oft einen langen Diagnoseweg mit teilweise aufwendigen und unangenehmen Untersuchungen. Sehr oft findet man in den Krankenakten dieser Patienten Diagnosen wie chronische Adnexitis und Appendizitis. Es wird aber auch eine idiopathische oder psychogene Genese angenommen. Fallbeispiel: Eine 27-jährige Patientin, anfänglich mit spontan auftretendem, ziehendem stechendem Schmerz im Scheideneingang und intravaginal. Die Schmerzattacken dauern Minuten bis Stunden. Die Schmerzstärke wird mit VAS 5 angegeben. Die gynäkologische Untersuchung einschließlich Vulva-Probeexzision war unauffällig. Es erfolgte eine medikamentöse Therapie mit Paracetamol, Ibuprofen und probatorisch mit Tramadol, die jedoch zu keiner Besserung führte. Lediglich warme Bäder brachten Entspannung und Linderung. Daraufhin wurden ein MRT, eine Zystoskopie und eine Laparoskopie (Abb.1) veranlasst. Auch hier zeigten Bildarchiv Olaf Günther S Olaf Günther, Magdeburg Abb. 1: Laparoskopie bei unklaren Schmerzen im Genitalbereich. Bildarchiv Olaf Günther Bildarchiv Olaf Günther Myofasziales Schmerzsyndrom Abb. 2: Selbstdehnung des M. psoas. Lokaler Druckschmerz Die Untersuchung zeigte einen deutlichen Druckschmerz des M. obturatorius internus, M. levator ani, einen Druck- und Dehnungsschmerz des M. psoas rechts und M. quadratus lumborum rechts. Der M. iliacus dagegen war nur gering druckschmerzempfindlich. Der Dehnungstest des M. rectus femoris und der Adduktoren war ebenfalls positiv. Darüber hinaus fanden wir eine Seitneigeblockierung im thorakolumbalen Übergang-Bereich rechts und eine Seitneigeblockierung L2/3 links. Die vaginale Untersuchung zeigte einen auffälligen Druckschmerz im kranialen und mittleren Drittel der Vagina rechts. Auf weitere Befragung gab die Patientin an, dass sie früher intensiv Laufsport betrieben und bis vor eineinhalb Jahren zweimal wöchentlich getanzt hätte. Aus beruflichen Gründen musste sie diese Aktivitäten einstellen. Kurz danach hätten auch die Schmerzen eingesetzt. Postisometrisches Training und manuelle Mobilisierung Es erfolgten eine manuelle Mobilisierung, eine Unterweisung in postisometrischer Re- laxation, einer Selbstdehnung der verkürzten Muskelgruppen (Abb. 2 und 3) und eine medikamentöse Verordnung von Flupirtin. Darüber hinaus wurden eine physiotherapeutische Triggerpunktbehandlung des M. psoas und eine Triggerpunktinfiltration im M. obturatorius durchgeführt. Hierunter kam es in den folgenden vier Monaten zu einer spürbaren Verbesserung der Schmerzsymptomatik. Spontane Schmerzattacken treten nur noch vereinzelt (ein- bis zweimal im Monat) auf. Schmerzen beim Geschlechtsverkehr sind ebenfalls nur noch selten. Diskussion Myofasziale Schmerzsyndrome gehören zu den häufigsten Schmerzsyndromen überhaupt. Problematisch hierbei ist, dass die Muskeln, die zu Spannungsstörungen und ggf. auch zu Verkürzungen neigen, wozu auch der M. obturatorius internus, M. iliopsoas und M. rectus femoris gehören, zu Projektions- Bildarchiv Olaf Günther sich keine pathologischen Veränderungen. Da es in den folgenden Monaten zu einer Zunahme des Schmerzbildes kam und die Patientin zusätzlich erhebliche Schmerzen beim Geschlechtsverkehr verspürte, wurde sie zur speziellen Schmerztherapie überwiesen. Bei der Vorstellung in unserer Schmerzambulanz sahen wir eine junge, aufgeschlossene und sicher auftretende Patientin. Die Partnerschaft sei harmonisch und die psychologischen Fragetests ergaben keine Auffälligkeiten. Anamnestisch gab sie starke Schmerzen beim Koitus und spontane Schmerzen an, insbesondere beim Sitzen und Aufstehen. Abb 3: Selbstdehnung des M. rectus femoris. Abb. 4: M. obturatorius mit Triggerpunkten. schmerzen in anderen Körperregionen führen. Dadurch kommt es oft zu einer Missdeutung und unzureichender, mit Chronifizierung einhergehender Therapie des Krankheitsbildes. Alle drei Muskeln sind für den Bewegungsablauf der Hüftgelenks- und Beinmuskulatur wichtig. So ist der M. iliopsoas ein kräftiger Hüftbeuger, der M. rectus femoris extendiert im Kniegelenk und flexiert im Hüftgelenk, während der M. obturatorius (Abb. 4) ein starker Außenrotator am extendierten Oberschenkel ist, Funktionen, die insbesondere beim Laufen und Tanzen intensiv beansprucht werden. Typisch für ein myofasziales Schmerzsyndrom sind brennende, zum Teil sehr heftige blitzartige, nicht segmentale, in Ruhe auftretende – besonders nachts – und auf WHO-Stufe-II- und -III-Opioide nicht ansprechende Schmerzen. Aber auch ein bewegungsunabhängiger Dauerschmerz kann für eine muskuläre Ursache sprechen. Eine optimale Therapie setzt eine optimale Diagnose voraus:Anamnese – Anfassen – Begreifen. Myofasziale Schmerzsyndrome sind Kettensyndrome, das heißt, bei genauer Untersuchung werden sich immer funktionelle Störungen in mehreren Muskelgruppen finden, die zum Ablauf eines Bewegungsmusters notwendig sind. Insbesondere beim myofaszialen Schmerzsyndrom ist eine multimodale Schmerztherapie notwendig. Therapeutisch sollten Korrekturen des muskulären Dysfunktionssyndroms, aber auch der Einsatz von Muskelrelaxanzien, Trizyklika und physiotherapeutische Maßnahmen wie feuchte Wärme, detonisierende Ströme, neuraltherapeutische und/oder manualtherapeutische Triggerpunktbehandlungen, progressive Muskelentspannung und ggf. psychotherapeutische Interventionen zur Anwendung kommen. SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.) Originalie Infiltration der Triggerpunkte des M. piriformis Das M.-piriformis-Syndrom ist durch bizarre, diffus in Kreuz, Leiste und Perineum ausstrahlende Schmerzen charakterisiert und kann mit einer Infiltrationstherapie des betroffenen Außenrotatorenmuskels gezielt behandelt werden, schildert der Ehrenpreisträger des Deutschen Schmerzpreises 2007, Dr. med. Danilo Jankovic, DGS-Leiter Köln-Hürth, im folgenden Beitrag. Einleitung Durch die Aktivierung von Triggerpunkten im M. piriformis („double devil“ – „doppelter Teufel“) sowie anderen fünf kleinen Außenrotatorenmuskeln (Mm. gemelus superior, obturatorius internus, gemelus inferior, obturatorius externus und M. quadratus femoris) und die dadurch verursachte Irritation der benachbarten Nerven entstehen Schmerzen mit klassischem Ausstrahlungsmuster [14]. Der Name des M. piriformis leitet sich ab vom lateinischen pirum (Birne) und forma (Form). Der Muskel erhielt seine Bezeichnung von dem belgischen Anatom Adrian Spigelius, der im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert lebte. Anatomie Der M. piriformis, ein dicker, fleischiger Muskel, hat seinen Ursprung im Becken an der Kreuzbeinvorderfläche zwischen den Foramina sacralia pelvica 1–4 und durchzieht auf dem Weg zu seiner Insertion am Oberrand des Trochanter major das Foramen ischiadicum majus. Diese starre Öffnung wird anterior und superior vom Os ilium, posterior vom Ligamentum sacrotuberale und inferior vom Ligamentum sacrospinale gebildet (Abb. 1). Der M. piriformis wirkt als Außenrotator des Oberschenkels und unterstützt auch dessen Abduktion. Die Innervation stammt meistens vom ersten und zweiten Sakralnerven. Die nervalen Strukturen im Foramen ischiadicum majus umfassen: N. glutaeus superior, N. ischiadicus, N. pudendus mit den Vasae pudendae, N. glutaeus inferior sowie N. cutaneus femoris posterior (Abb. 2). Diese Nerven sind gemeinsam verantwortlich für die Sensibilität und Funktion aller Glutealmuskeln, für die sensiblen und motorischen Funktionen im Perineum sowie für fast die gesamte sensible und motorische Funktion im rückseitigen Oberschenkel und in der Wade. Die wichtigsten Blutgefäße dieser Region sind: A. glutaealis superior und A. glutaealis inferior. Schmerzmechanismus Schon in der Vergangenheit haben zahlreiche Autoren erkannt, dass eine Kontraktur des M. piriformis für die Nerven und Gefäße, die durch das Foramen ischiadicum majus ziehen, einen Engpass darstellen kann. Die darauf folgende inadäquate Blutversorgung des Muskels führt – durch Akkumulierung von metabolischen Abbauprodukten, die normalerweise durch zirkulierendes Blut entsorgt werden – Danilo Jankovic, Köln zu einem myofaszialen Übertragungsschmerz sowie öfter zu einer Blockade des Iliosakralgelenkes. Symptome Triggerpunkte im M. piriformis steuern erheblich zu komplexen myofaszialen Schmerzsyndromen im Becken- und Hüftbereich bei. Das Piriformissyndrom ist häufig durch bizarre, auf den ersten Blick nicht zusammenhängende Symptome charakterisiert [11, 14]. Die Patienten klagen über Schmerzen (und Parästhesien) in Kreuz, Leiste, Perineum, Gesäß, Hüfte, Rückseite von Ober- und Unterschenkel, Fuß sowie im Rektum (beim Stuhlgang) und in der Steißbeingegend. Manche Autoren vermuten die Kontraktion des M. piriformis als oft übersehene Ursache einer Kokzygodynie [2, 13]. Edwards beschreibt dieses Syndrom als „Neuritis der Äste des N. ischiadicus“ [11], Te Poorten vermutet die Beteiligung des N. peroneus [11]. Schwellungen im betroffenen Bein und sexu- 1 Abb. 1: Anatomie. (1) Foramen ischiadicum majus, (2) Ligamentum sacrospinale, (3) Ligamentum sacrotuberale, (4) Foramen ischiadicum minus SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.) 2 Abb. 2: Anatomie. (1) M. piriformis und benachbarte Muskeln, Nerven und Gefäße: (2) M. glutaeus minimus, (3) M. glutaeus medius, (4) M. glu-taeus maximus, (5) M. quadratus femoris, (6) N. glutaeus superior, (7) N. glutaeus inferior, (8) N. cutaneus femoris posterior, (9) A. glutealis superior, (10) A. und V. gluteae inferiores, (11) A. pudenda interna Originalie elle Funktionsstörungen (Dyspareunie bei Frauen und Potenzstörungen bei Männern) sind sehr oft als Begleiterscheinungen vorhanden. Die Aktivierung und Provokation von Triggerpunkten im M. piriformis kann durch folgende Faktoren ausgelöst werden: starke Belastung, Trauma, längere Ruhigstellung des Muskels, lange Autofahrten, chronische Infektionen (Beckenraum, infektiöse Sakroiliitis, Arthritis des Hüftgelenks), Morton-Anomalie des Fußes, Körperasymmetrie u. a. [14]. Differenzialdiagnostisch kommen infrage: „Postlaminektomiesyndrom“, Bandscheibenprolaps, Kokzygodynie, Facettensyndrom, Spinalstenose (beidseitiger Schmerz), Sakroiliitis, maligne Neoplasmen, lokale Infektionen u. a. Die Therapie dieses Syndroms umfasst: therapeutische Injektionen mit Lokalanästhetika und Kortikosteroiden [2, 3, 4, 5, 8, 10], Injektion von Botulinumtoxin [16], osteopathische Manipulationen [10, 11], intermittierendes Kühlen und Dehnen [14], korrigierende Maßnahmen [10, 11, 14], Selbstdehnung [14], transrektale oder transvaginale Massage des Muskels [13] und schließlich operative Dekompression [2, 11, 14]. ieser Beitrag entstammt dem Buch von Danilo D Jankovic: Regionalblockaden und Infiltrationstherapie und erfolgt mit freundlicher Genehmigung des ABW Wissenschaftsverlag. 2004, geb., 444 S., 500 Abb., ISBN 978-3-936072-16-7, 138,00 �, ABW Verlag, Berlin. Literatur beim Autor oder im Buch. Abb. 3: Lagerung zur Injektion (Sims-Position). Durchführung Ein Aufklärungsgespräch mit dem Patienten muss unbedingt erfolgen. Technik Die Lagerung wird in Abb. 3 dargestellt. Lokalisation Wichtige Orientierungspunkte sind: Trochanter major und Spina iliaca posterior superior. Vom Mittelpunkt der Verbindungslinie wird eine Linie nach medial gezogen und nach 5 cm die Einstichstelle markiert (Abb. 3). Injektionstechnik Transgluteale Technik Die Punktionskanüle wird senkrecht zur Hautoberfläche eingeführt (Abb. 4). Gewählt wird ein Reizstrom von 1 mA und 2 Hz bei einer Reizdauer von 0,1 ms. In einer Tiefe von ca. 6–8 cm kommt es zur Plantar- und Dorsalflexion des Fußes als Reizantwort des tibialen bzw. des peronealen Teils des N. ischiadicus. Die Kanüle wird dann etwas zurückgezogen, bis zum völligen Verschwinden der Zuckungen. Nach Aspirationstest erfolgt die Injektion der Hälfte der vorgesehenen Menge der Injektionslösung. Die Kanüle wird dann bis zur Subkutis zurückgezogen und nach lateral in Richtung des Trochanter major blind vorgeschoben, um den lateralen Triggerpunkt des Muskels zu erreichen. Nach Aspiration erfolgt die Injektion der restlichen Menge der Injektionslösung. Transgluteale Technik nach Pace Die Lokalisation der Triggerpunkte des M. piriformis erfolgt durch transrektale Palpation. Der palpierende Zeigefinger der linken Hand dient als Führung für eine 80 mm lange 22G-Spinalkanüle, die dorsal transgluteal eingeführt wird [10, 13]. Der Muskelbauch wird fächerförmig infiltriert. Diese Methode ist meistens schmerzhaft und unangenehm für den Patienten. Dosierung [2, 4, 5, 6, 10] 5–10 ml Lokalanästhetikum, z. B. 0,5% Procain oder 0,5% Lidocain. 5–10 ml 0,2% Ropivacain oder 0,08– 0,25% Bupivacain. Eine Mischung mit 20–40 mg Depot-Kortikosteroid (z. B. Depot-Methylprednisolon) wird auch empfohlen. Erfahrungsgemäß bieten lang wirkende Lokalanästhetika keine wesentlichen Vorteile zu kurz wirkenden Lokalanästhetika [2, 6, 14]. Der Patient muss unbedingt darauf hingewiesen werden, dass es durch Ausbreitung des Lokalanästhetikums (insbesondere bei lang wirkenden) im Bereich des N. ischiadicus zu einem späteren Umknicken des Beines kommen kann: Komplikationen – Nervenschädigungen (eine Injektion des Kortikosteroids an den N. ischiadicus muss vermieden werden), – intravasale Injektion, – ZNS-Intoxikation, – Infektion, – Hämatombildung, –Rektumperforation (transgluteale Technik nach intrarektaler Palpation der Triggerpunkte). Danilo Jankovic, Köln Abb. 4: TP1 – Die Punktionskanüle wird senkrecht zur Hautoberfläche eingeführt; TP2 – Zurückziehen der Kanüle, dann Vorschieben nach lateral in Richtung des Trochanter major. SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.) DGS-Veranstaltungen DGS-Veranstaltungen Weitere Informationen zu den Seminaren erhalten Sie über die Geschäftsstelle des DGS Oberursel, Tel.: 0 6171/ 28 60 60 · Fax: 0 6171/ 28 60 69 · E-Mail: [email protected]. Die aktuellsten Informationen zu den Veranstaltungen und den Details finden Sie im Internet unter www.dgschmerztherapie.de mit der Möglichkeit der Online-Anmeldung. Juni 2007 Multimodale Schmerztherapie – Workshop Teil 2 27.06.2007 in Potsdam; Regionales Schmerzzentrum DGS-Potsdam 40-Stunden-Aufbaukurs Palliativmedizin (Modul 2) 06.06.–10.06.2007 in Hamburg; Regionales Schmerzzentrum DGS-Bremen Patientenvorstellung 27.06.2007 in Halle; Regionales Schmerzzentrum DGS-Halle/Saale Schmerz und Psychotrauma – EMDR-Hypnose-Traumatherapie 06.06.2007 in Duisburg; Regionales Schmerzzentrum DGS-Duisburg Curriculum Algesiologische Fachassistenz – Kursteil 3 – 1. Wochenende (Veranstaltungsreihe über drei Termine) 08.06.–10.06.2007 in Mülheim/Ruhr; Geschäftsstelle DGS Curriculum Neuraltherapie DAfNA/DGS diagnostisch-therapeutische Lokalanästhesie und TENS-Kurs D, Aufbaukurs III (20 Stunden) 09.06.–10.06.2007 in Speyer; Geschäftsstelle der DAfNA Curriculum Psychosomatische Grundversorgung, 2. Wochenende 15.06.–17.06.2007 in Heidelberg; Geschäftsstelle DGS Neuropathischer Schmerz – Syndrome und aktuelle Therapie 16.06.2007 in Calw; Regionales Schmerzzentrum DGS-Calw Möglichkeiten und Grenzen präoperativer Schmerztherapie 16.06.2007 in Neustadt; Regionales Schmerzzentrum DGS-Neustadt Holstein Myofasziale Lösung mit Akupunktur, TLA und Yoga 16.06.2007 in Köln; Regionales Schmerzzentrum DGS-Köln 8. Wiesbadener Schmerztag – Patientenforum „Rheuma & Schmerz” 16.06.2007 in Wiesbaden; Regionales Schmerzzentrum DGS-Wiesbaden Praxissemniar – TENS und Lasertherapie in der Schmerzbehandlung 20.06.2007 in Leipzig; Regionales Schmerzzentrum DGS-Leipzig Fußerkrankungen – Konservative und operative Therapieoptionen 20.06.2007 in Gießen; Regionales Schmerzzentrum DGS-Gießen Curriculum Spezielle Schmerztherapie, Teil 1 21.06.–24.06.2007 in Kassel; Geschäftsstelle DGS 40-Stunden-Aufbaukurs Palliativmedizin (Modul 1) 30.05.–03.06.2007 in Celle; Regionales Schmerzzentrum DGS-Celle Schmerzen und endokrine Erkrankungen 21.06.2007 in Bad Säckingen; Regionales Schmerzzentrum DGS-Bad Säckingen Zervikalsyndrom / KISS / Orofaziales Syndrom 22.06.–24.06.2007 in Rostock; GGMM e.V. Curriculum Palliativmedizin – Modul 3 für Ärzte 27.06.–01.07.2007 in Wiesbaden; Regionales Schmerzzentrum DGS-Wiesbaden Qualifikation Schwerpunkt Palliativmedizin Alexandra Milutin-Lanzi, Ingolstadt Qualifikation Algesiologe DGS/ DgfA Dr. med. Peter Beckers, Wassenberg Dipl.-Med. Andrea Bredel, Leipzig Dr. med. Mahin Farid, Frankfurt Dr. med. Andreas Frei, Ettenheim Dr. med. Marianne Kessler, Haslach Dr. med. Victoria Klinge, Bad Münster Akupunktur-Kurs 17 – Chinesische Arzneimittel für Akupunkteure II – Praxisseminar 30.06.–01.07.2007 in Bad Bergzabern; Geschäftsstelle der DAfNA Juli 2007 Praxisseminar – Stoßwellentherapie bei akuten und chronischen Schmerzzuständen 18.07.2007 in Leipzig; Regionales Schmerzzentrum DGS-Leipzig Biofeedback I 19.07.2007 in Bad Säckingen; Regionales Schmerzzentrum DGS-Bad Säckingen August 2007 Sommerakademie Palliativmedizin – Aufbaukurs 1 08.08.–12.08.2007 in Dierhagen; Regionales Schmerzzentrum DGS-Lünen Sommerakademie Palliativmedizin – Aufbaukurs 2 13.08.–17.08.2007 in Dierhagen; Regionales Schmerzzentrum DGS-Lünen Mahrokh Rousta, Frankfurt Curriculum Chirotherapie / Manuelle Medizin DAfNA/DGS – Kurs 2 (60 Stunden) 24.–26.08.2007 und 31.08.–02.09.2007 in Speyer; Geschäftsstelle der DAfNA Dr. med. Thorsten E. Wieden, Celle Oktober 2007 Dr. med. Bernhard Lange, Miltenberg Qualifikation Schwerpunkt Spezielle Schmerztherapie Dr. med. Erich Mützel, Goldbach SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.) Curriculum Psychosomatische Grundversorgung, 3. Wochenende 30.06.–01.07.2007 in Heidelberg; Geschäftsstelle DGS Curriculum Spezielle Schmerztherapie – 80 Stunden interdisziplinäres Kompaktseminar 26.10.–04.11.2007 Mallorca /Spanien Anmeldung über Geschäftsstelle DGS Anmeldefrist: 10.06.2007 Der Deutsche Schmerztag 2007 Der Patient im Mittelpunkt Mit über 2500 Teilnehmern war der 18. Deutsche interdisziplinäre Schmerzkongress vom 15.–17. März im Frankfurter Congress Center wieder ein voller Erfolg. Neue Trends in der Apparatemedizin – vom Infrarotlaser über SCS-Pumpen bis hin zur Magnetfeldtherapie – wurden dort an den Industrieständen hautnah demonstriert. Über pharmakologische Innovationen und neue Therapieformen informierten zahlreiche Handson-Workshops und Plenarvorträge. Bei allen Themen stand gemäß dem Kongressmotto der individuelle Patient im Mittelpunkt. Z irkadiane Biorhythmen beeinflussen auch die Schmerztherapie und müssen bei der täglichen Praxis berücksichtigt werden, erklärte Dr. med. Uwe Junker, Remscheid. Patienten mit Osteoarthroseschmerzen haben abends den höchsten Substanzverbrauch, Patienten mit rheumatoider Arthritis morgens und tagsüber und die Tumorschmerzpatienten in der Regel zwischen 10 und 22 Uhr, also in dem Zeitraum ihrer höchsten körperlichen Aktivität. Diese Schwankungen erfordern eine orale und flexible Therapie und können daher nicht mit starren Pflastersystemen behandelt werden. Ideal für multimorbide ältere Patienten ist dagegen die Behandlung mit Hydromorphon, das aufgrund seiner verschiedenen Dosierungen und der möglichen Gabe des nicht retardierten Hydromorphons für Durchbruchschmerzen gut geeignet ist. Klagen die Tumorkranken dagegen vor allem über nächtliche Schmerzen, sollten sie am Abend die höhere Dosis von Hydromorphon erhalten. Mit einer zweimaligen Gabe dieses Basisopioids, ggf. in unterschiedlicher Dosis und in Kombination mit einem schnell freisetzenden Hydromorphon, lässt sich die Schmerztherapie flexibel gestalten. Aufgrund seiner vom Zytochrom-450Enzymsystem unabhängigen Metabolisierung und geringen Plasmaeiweißbindung stellt laut Junker Hydromorphon das Mittel der ersten Wahl bei Tumorkranken dar. Bei Knochenmetastasen, die eine stärkere antiphlogistische Komponente erfordern, können Opioide mit Cox-2-Hemmern kombiniert werden und bei neuropathischen Schmerzen mit modernen Antikonvulsiva wie dem Pregabalin. Stufenschema überholt Das Stufenschema der WHO ist nach Ansicht der Algesiologen eher ein Hindernis für eine effiziente Schmerztherapie bei Tumorkranken, warnte Dr. Thomas Nolte, Wiesbaden. Gefordert ist bei Tumorschmerz eine mechanismenorientierte Behandlungsstrategie, die meist den frühzeitigen Einsatz eines Basisopioids der Stufe III beinhaltet. Überholt ist auch Morphin als Goldstandard der Therapie, da die modernen oralen Retardpräparate wie Hydromorphon und Oxycodon ein günstigeres Nutzen-Nebenwirkungs-Verhältnis aufweisen und keine aktiven Metaboliten bilden, die eine gefährliche Akkumulation auslösen können. Wichtig ist auch eine möglichst maßgeschneiderte und individuell schmerzadaptierte Behandlung, um Dosiseskalationen zu vermeiden. Dabei ist das weitgehende Fehlen aktiver Metabolite ein zusätzlicher Schutz vor Dosiseskalation und Überdosierung. Kommt es unter Morphin zur Dosiseskalation, droht dagegen eine opioidinduzierte Neurotoxizität durch die hohe Dosis und eine zu lange Opioidexposition durch die aktiven Metaboliten. Dadurch können Hyperalgesie, Benommenheit, paradoxe Schmerzen, Halluzinationen, Sedierung und/oder Myoklonien und Krampfanfälle ausgelöst werden. Ideal ist es nach den Ausführungen des Wiesbadener Experten, die Schmerztherapie individuell multimodal einzustellen, mit den Stufe-III-Opioiden als Basis, die je nach Schmerzart mechanismenorientiert mit Coxiben oder Koanalgetika wie z. B. Antikonvulsiva tagesverlaufadaptiert und zeitnah oral behandelt werden. Palladon® injekt zur bedarfsadaptierten Invasivtherapie Bei Unwirksamkeit der oralen Therapie, sehr hohem Opioidbedarf und schweren gastroin- Kölner Schmerzarzt Danilo Jankovic auf dem Deutschen Schmerztag ausgezeichnet verfasst, das in seiner inhaltlichen Form perfekt ist und in sehr aufwendigen Abbildungen diesen Bereich bestens für den Erfahrenen, aber auch für den Anfänger deutlich macht (siehe dazu Beitrag S. 5–6).“ Bildfolio Bostelmann Dr. med. Danilo Jankovic, Schmerztherapeut und Anästhesiologe aus Hürth, wurde mit dem Ehrenpreis des Deutschen Schmerzpreises 2007 ausgezeichnet. Der niedergelassene Schmerztherapeut und Leiter des regionalen Schmerzzentrums Köln-Hürth erhielt den mit 3 000 Euro dotierten Ehrenpreis des Deutschen Schmerzpreises – Deutscher Förderpreis 2007 für Schmerzforschung und Schmerztherapie. Der Preis wird jährlich an Persönlichkeiten verliehen, die sich durch wissenschaftliche Arbeiten über Diagnostik und Therapie akuter und chronischer Schmerzzustände verdient gemacht oder die durch ihre Arbeit oder ihr öffentliches Wirken entscheidend zum Verständnis des Problemkreises Schmerz und der davon betroffenen Personen beigetragen haben. Der wissenschaftliche Träger des Ehrenpreises ist die Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie e.V. Gestiftet wird der Preis von der Firma AWD.pharma GmbH, Dresden. In der Urkunde heißt es: „Dr. Danilo Jankovic hat sich seit vielen Jahren um eine Integration der therapeutischen Lokalanästhesie in die Schmerztherapie bemüht und in sehr anschaulicher Weise hierzu ein Lehrbuch V. l.: Uwe Junker, Danilo Jankovic, Gerhard Müller-Schwefe. SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.) testinalen Problemen wie Nausea, Emesis oder Schluckstörung bietet sich mit dem neuen injizierbaren Hydromorphon eine weitere Alternative, z.B. für die Finalphase von Palliativpatienten, ergänzte Dr. med. Bernhard Sittig, Geesthacht. Bei subkutaner Injektion tritt die Wirkung rascher ein und bietet eine höhere maximale Analgesie. Mit einer subkutanen Dauerkanüle, die bei guter Pflege bis zu sieben Tage verbleiben kann, stellt dies eine komplikationsarme, komfortable und sichere Schmerztherapie dar. Alternativ kann auch noch die intravenöse Opioidapplikation bei absehbarer längerfristiger Behandlung in Form eines intravenösen Portsystems diskutiert werden. Diese Therapieformen, auch in Kombination mit einem PCA-Pumpensystem, sind in der palliativen Schmerztherapie heute ein wichtiger Standard. Seit April 2007 gibt es für diese Situationen Hydromorphon in der 2-mg/1-ml-, 10-mg/1-ml- und 100-mg/10-mlDosierung. Letztere eignet sich bei der Dauerbehandlung mit Pumpen- und Portsystemen gut als durchschnittlicher Wochenbedarf (siehe dazu auch Heft 1, 2007, S. 13–14). Speziell zur Therapie der Durchbruchschmerzen ist der schnelle Wirkeintritt von Hydromorphon innerhalb von fünf bis zehn Minuten und einer Wirkdauer von drei bis vier Stunden ideal und günstiger als z.B. bei Morphin, bei dem es nach subkutaner Gabe 15–30 Minuten dauert, bis die Wirkung eintritt. Schmerztherapie mit retardiertem Oxycodon und Naloxon Patienten mit starken Schmerzen profitieren von einer Basistherapie mit einem stark wirksamen Opioid der Stufe III wie Oxycodon: Nach einer Studie an 4295 Patienten erreichten mit diesem Opioid 86% ihr individuell gewünschtes Behandlungsziel und gaben auch an, dass ihr globales Wohlbefinden dadurch deutlich besser war. Allerdings ist die opioidinduzierte Obstipation der Pferdefuß der Behandlung mit Opioiden, an dem die Patienten auch am stärksten leiden. Auch wenn die opioidinduzierte Obstipation mit Laxanzien behandelt wird, kann es zu massiven Beschwerden wie Reflux, Ösophagitis, Krämpfen, Blähungen, Durchfällen, Darmatonie und Darmentleerungsstörungen kommen. Diese Beschwerden peinigen alle Patienten unter einem Opioid der Stufe III, gleichgültig um welches Präparat und welche Applikationsform (transdermal oder oral) es sich handelt. Lebensqualität, Stimmung, soziale Aktivitäten und Nachtschlaf werden beeinträchtigt. Wie eine Umfrage mit 13 000 Schmerzkranken, von denen 4 613 Patienten unter SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.) Bildfolio Bostelmann Der Deutsche Schmerztag 2007 Infrarotlaser und Magnetfeldtherapie wurden an den Industrieständen demonstriert. einem Opioid der Stufe III standen, zeigte, ist dies unabhängig von der Applikationsart des Opioids. Präventionsopioid ermöglicht Paradigmenwechsel Mit der Fixkombination aus retardiertem Oxycodon und retardiertem, nur peripher und prähepatisch wirksamem Naloxon wird die Obstipation erstmals von Anfang an verhütet, da die µ-Opiatrezeptoren am Darm selektiv von dem Antagonisten Naloxon blockiert werden. Naloxon wird danach im First-Pass in der Leber zu mehr als 97% abgebaut.Die systemische Wirkung des Oxycodons und damit die analgetische Potenz bleiben erhalten. Somit erlaubt es dieses Präventionsopioid erstmals, die Schmerzen zu lindern ohne therapeutischen Schaden, so Michael Überall, Nürnberg. Aufgrund des hohen therapeutischen Nutzens erhielt dieses Präparat im Herbst 2006 eine Fast-Track-Zulassung. Es ermöglicht eine starke Schmerzlinderung bei gleichzeitiger Regulierung der Darmfunktion. Bei Umstellung von anderen Opioiden auf die Fixkombination aus retardiertem Oxycodon und Naloxon wird eine bereits bestehende opioidinduzierte Obstipation reduziert. Nach einer neuen Anwendungsbeobachtung mit Targin® wird diese Fixkombination als wirksamer und verträglicher bewertet als Oxycodon allein. „Diesen therapeutische Nutzen der hochintelligenten mechanismen orientierten Opioidtherapie dürfen wir unseren Patienten nicht vorenthalten“, appellierte Gerhard Müller-Schwefe. Zu bedenken ist auch, dass allein die Laxanzientherapie bei herkömmlichen Opioiden mit 700 bis 1000 Euro pro Jahr und Patient teuer ist und durch die Fixkombination eingespart wird. Rückenschmerzen: Bandscheiben nicht überbewerten! Nach wie vor werden bei Rückenschmerzen die Befunde an den Bandscheiben überbewertet, kritisierte Dr. Alois Franz, Siegen. In vielen Fällen steckt bei Rückenschmerzen auch eine neuropathische Schmerzkomponente dahinter, die zum Beispiel mit dem von der Firma Pfizer entwickelten PainDETECTFragebogen gut abgegrenzt werden kann. Pseudoradikuläre Rückenschmerzen haben ihre Ursache oft in Instabilitätsarthrosen, aktivierten Spondylarthrosen oder arthrogenen Facettensyndromen. Lediglich beim akuten Rückenschmerz findet sich auch eine inflammatorische Schmerzkomponente. Bei den unspezifischen Rückenschmerzen handelt es sich dagegen um ein dynamisches Geschehen, bei dem sich die Schmerzen verselbstständigen und auch die kognitiv-emotionale Komponente zu berücksichtigen ist. Das multimodale Therapiekonzept bei chronischem Rückenschmerz berücksichtigt bei der Medikation NSAR/Coxibe, Antidepressiva und Antikonvulsiva, die Physiotherapie (Krankengymnastik, Stufenbett, Traktion, Elektrotherapie) ebenso wie die Infiltrationstherapie (paravertebral, an den Facettgelenken oder in Form einer Nervenwurzelblockade). Nach wie vor werden nach Ansicht von Franz viel zu viele Bandscheibenoperationen durchgeführt. Auch bei den Bandscheibenprothesen ist äußerste Zurückhaltung geboten. So bilden sich bei den Prothesen häufig Narben und eine Ummauerung des Rückenmarks führt zu neurologischen Ausfällen, was dann zu Zweiteingriffen zwingt. Im Zeitalter der Kernspintomografen ist mehr denn je Zurückhaltung bei der bildgebenden Diagnostik geboten. „Wir Der Deutsche Schmerztag 2007 dürfen gerade bei Rückenschmerzen den Patienten nicht an der bildgebenden Diagnostik aufhängen“, warnte der Siegener Orthopäde. Die Güte eines Neurochirurgen ist nicht an der Anzahl der an der Wirbelsäule durchgeführten Operationen, sondern an der Anzahl der vermiedenen Operationen zu messen. Rückenschmerzen, so Gerhard Müller-Schwefe, entstehen auch häufig aus unterschwelligen Schmerzsignalen aus der Muskulatur, die zur Sensibilisierung der Nervenzellen im Rückenmark führen. Entzündungen in der Muskulatur spielen dagegen eine untergeordnete Rolle. Daher fordert der Göppinger Algesiologe ein Umdenken in der Schmerztherapie, weniger NSAR und mehr Einsatz von Membranstabilisatoren wie dem retardierten Flupirtin. Nach einer großen Studie mit über 2000 Patienten wirkt Flupirtin sowohl schmerzlindernd als auch myotonolytisch. kranken findet sich somit keine spezifische Schlafstörung. Posterpreise Erstmals in diesem Jahr wurden die drei besten Poster ausgezeichnet. Den ersten Preis erhielt Dr. med. Bodo Kress, Frankfurt/M., für die Arbeit „Quantitative MR-Messverfahren bei Patienten mit Trigeminusneuralgie”. Bislang vermuteten die Ärzte, dass der Blitzschmerz entsteht, weil ein Blutgefäß kurz hinter der Austrittsstelle des Trigeminus aus dem Gehirn auf den Nerven drückt. (Nur in sehr seltenen Fällen wird diese Neuralgie durch andere Erkrankungen, etwa eine multiple Sklerose oder einen Tumor verursacht.) Nun zeigen die MR-Untersuchungen der Frankfurter Arbeitsgruppe, dass die Nähe zwischen Blutgefäß und Nerv nicht die alleinige Ursache der Schmerzen ist. Wie der Neuroradiologe Dr. Bodo Kress vom Krankenhaus Frankfurt Nordwest und der Neurochirurg Dr. Dirk Rasche vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, auf dem Deutschen Schmerztag berichteten, lässt sich diese Nähe zwischen Blutgefäß und Nerv auch bei zwei von drei gesunden Probanden sowie bei der gesunden Gesichtsseite von Patienten mit Trigeminusneuralgie nachweisen. Schmerz und Schlaf Schlaf ist ein Seismograf für den körperlichen und seelischen Zustand des Menschen, erklärte Prof. Göran Hajak, Regensburg. Bei Schmerzen und/oder Angst leiden die Betroffenen häufig zugleich an Schlafstörungen, sodass Angst, Schmerz und Schlafstörungen häufige komorbide Störungen sind, die auch therapeutisch mit berücksichtigt werden müssen. Bei peripheren neuropathischen Schmerzen leiden 60–70% zugleich an Schlafstörungen, ergab eine Befragung von 126 Patienten. Je älter wir werden, desto empfindlicher reagieren wir auf Störungen und desto vulnerabler sind wir für Schlafstörungen, warnte der Regensburger Psychiater. Die Art der Schlafstörung ist bei Schmerzkranken sehr vielseitig. Es zeigen sich bei 75% Einschlafstörungen, bei 65% schmerzbedingtes Aufwachen und bei 62% verfrühtes Erwachen. Bei Schmerz- Bildfolio Bostelmann Rückenschmerzen manuell untersuchen Rückenschmerzen können viele Ursachen haben und müssen stets nach der Vier-A-Diagnostik (Anamnese, Ausziehen, Anschauen, Anfassen) untersucht werden und keineswegs nur nach der Dawos-Methode („da wo es weh tut“), mahnte Dr. med. Wolfgang Bartel, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Manuelle Medizin. Für eine erfolgreiche Behandlung müssen die funktionellen Zusammenhänge und die Verkettungssyndrome erkannt werden. Sträflich überbewertet wird hierzulande die bildgebende Diagnostik und vernachlässigt wird die körperliche Untersuchung. Fehlhaltungen werden hierzulande schon in der Schule durch unergonomische Sitzmöbel gefördert und durch falsche Freizeitgewohnheiten (Fernsehen, Computer, fehlender Sport) weiter provoziert. Fehlhaltungen wie Beckenschiefstand und hohlrunde Rücken lösen schon bei Kindern und Jugendlichen Rückenschmerzen aus. Hier sind für die Therapie Koordinationsschulungen wie der kurze Fuß von Janda oder die propriozeptive sensomotorische Faszilitation geeignet. Um diese Zivilisationskrankheiten zu vermeiden, wäre viel Barfußlaufen gesund. Alternativ dazu könne man bei Stadtkindern empfehlen, die Kinder beim Zähneputzen barfuß in einer Mais- oder Weizenkiste treten zu lassen, berichtete der Manualtherapeut aus Halberstadt. Großer Andrang herrschte bei den manualtherapeutischen Kursen von Wolfgang Bartel. 10 Veränderte Strukturen Allerdings fanden die Ärzte bei ihren Untersuchungen an 62 Patienten, deren Trigeminusneuralgie durch Medikamente nicht (mehr) gelindert werden konnte, und an 48 schmerzfreien Probanden heraus, dass die anatomische Situation in dem Bereich (Zisterne) verändert ist, wo der Nerv das Gehirn verlässt. „Beispielsweise ist das Volumen dieser Zisterne, durch welche der Nerv zieht, auf der betroffenen Gesichtsseite kleiner“, erklärte Dirk Rasche. Dadurch nimmt der Nerv in diesem Abschnitt einen anderen Verlauf. Erst diese Veränderungen sorgen dafür, dass sich Blutgefäß und Nerv näher kommen als dem Nerven gut tut. Dieser ist in der betroffenen Gesichtshälfte auch dünner als normal. Rasche interpretiert dies als ein Zeichen dafür, dass der Nerv infolge der Druckschädigung durch den Pulsschlag des Blutgefäßes atrophiert, also schrumpft. Um zu überprüfen, ob ihre Beobachtungen tatsächlich klinisch bedeutsam sind, boten die Ärzte betroffenen Patienten eine Operation an. Bei diesem Eingriff wird ein Polster aus Goretex oder Teflon zwischen Nerv und Blutgefäß geschoben. Diese Operation ist die Ultima Ratio, wenn die medikamentöse Therapie versagt. 85–95% der SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.) Der Deutsche Schmerztag 2007 Die drei besten Poster wurden erstmals ausgezeichnet. Patienten werden dadurch ihre Schmerzen los. „Darum sollte die bildgebende Routinediagnostik vor einer möglichen Operation um bestimmte Bildsequenzen erweitert werden, auf denen der betroffene Nervenabschnitt dargestellt ist“, rät Rasche. SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.) Retardiertes Hydromorphon in der Praxis Den dritten Posterpreis erhielt Dr. med. Wolfgang Sohn, Schwalmtal, für die Arbeit „Retardiertes Hydromorphon in der Praxis: zuverlässige Schmerzlinderung und Verbesserung der Lebensqualität bei multimorbiden, älteren Patienten”. An einer Studie mit insgesamt 1 615 Patienten hatte Sohn geprüft, inwieweit Hydromorphon in der Lage ist, bei multimorbiden älteren Patienten die Schmerzen zuverlässig zu lindern. Über 70% der Patienten, die ein Durchschnittsalter von 65 Jahren hatten, litten unter mindestens zwei, über 40% sogar unter drei verschiedenen Erkrankungen. Im Durchschnitt bekamen die Patienten in der dreiwöchigen Studie initial 13,5 mg orales Hydromorphon, in der Regel auf eine zweimal tägliche Gabe verteilt, und wurden bis zum Therapieende auf 19,6 mg eingestellt. Unter dieser Therapie nahm die Schmerzintensität von durchschnittlich 7,1 auf 2,7 VAS ab, was einer Reduktion von 62% entspricht. Parallel dazu besserte sich der Summenscore der Beeinträchtigung verschiedener Parameter der Lebensqualität innerhalb von drei Wochen von 45,7 auf 21,4, also um 53,2%. Die opioidtypischen Nebenwirkungen waren in der ambulanten Studie während der dreiwöchigen Behandlung rückläufig: Müdigkeit von 42% auf 6,7%, Übelkeit von 33,1% auf 6,2%, Obstipation von 26,1% auf 5,6% und Erbrechen von 15% auf 2,7%. Insgesamt ist Hydromorphon nach den Erfahrungen von Sohn ein wirksames, effektives und sicheres Medikament für die Behandlung starker Schmerzen. Patientenforum Gut besucht war die Patientenveranstaltung, bei der Experten sachkundig Fragen der beStK troffenen Patienten beantworteten. Bildfolio Bostelmann Schmerz bei Schülern Der zweite Posterpreis ging an Dr. med. Angela Roth-Isigkeit et al., Lübeck, für die Arbeit „Schmerzbeschwerden bei Kindern und Jugendlichen – Altersspezifische Unterschiede in Prävalenz und Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen”. Die Lübecker Arbeitsgruppe hatte mit dem LübeckerSchmerz-Screening-Fragebogen die Prävalenz der Schmerzbeschwerden bei 11 568 Schülern zwischen 10 und 21 Jahren der Hansestadt Lübeck untersucht. 80,2% (9266) beantworteten den Test und davon konnten 98,7% (9148) ausgewertet werden. 86% der Kinder und Jugendlichen berichteten, dass sie in den vergangenen drei Monaten Schmerzen hatten. Am häufigsten waren Kopfschmerzen (63,7%) gefolgt von Bauchschmerzen (41,7%). Mehr als die Hälfte der Zehnjährigen hatte bereits Kopfschmerzen. Bis zum Alter von 18 Jahren stieg dieser Prozentsatz auf 74% an. Über Rückenschmerzen klagten 36,6% der Kinder, wobei die Häufigkeit dieser Schmerzen mit dem Alter stieg: Bei den Zehnjährigen ist jedes fünfte Kind betroffen, bei den über 18-Jährigen bereits mehr als die Hälfte (58%). Mehr als ein Drittel der Kinder litt bereits länger als sechs Monate unter ihren Beschwerden. Ein Fünftel der Kinder hat mehrmals im Monat Schmerzen, weitere 22% sogar mehrmals pro Woche. Die Prävalenz von Schmerzen ist bereits bei Kindern und Jugendlichen sehr hoch: 37,9% der Befragten hatten deswegen schon einen Arzt aufgesucht und 37% nahmen dagegen Medikamente ein. Diese Zahlen sind umso brisanter, als andere Studien zeigten, dass betroffene Kinder ihre Beschwerden bis zum Erwachsenenalter keineswegs verlieren. Vielmehr beobachteten Wissenschaftler bei den Betroffenen ein erhöhtes Risiko für eine Vielzahl körperlicher und psychischer Probleme. Die Patientenveranstaltung bildet den Abschluss des Deutschen Schmerztages. 11 Onkologie/Palliativmedizin Update: Therapie von Tumorschmerzen Effektive Therapie von Schmerzen und die Lebensqualität beeinträchtigenden Symptomen sind entscheidende Herausforderungen in der Betreuung von Patienten mit fortgeschrittenem Krebsleiden, insbesondere in der Terminalphase. Mit den heute zur Verfügung stehenden Analgetika und Koanalgetika und deren Einsatz nach den Richtlinien der WHO könnte eine zufriedenstellende Schmerzlinderung erreicht werden. Im folgenden gekürzten Beitrag* schildern Priv.-Doz. Dr. Rainer Freynhagen, Dr. med. Andrea Schmitz, Dr. med. Peter Busche, Universitätsklinikum Düsseldorf, und Dr. med. Uwe Junker, Vizepräsident DGS, Sanaklinikum Remscheid, die Schmerztherapie und die konsequente Therapie belastender Symptome. J eder Dritte erkrankt derzeit in Deutschland an einem Tumorleiden und jeder Vierte verstirbt daran. Basierend auf den Zahlen des deutschen Krebsregisters ist von jährlich etwa 400 000 neuen Tumorerkrankungen auszugehen [1]. Nicht selten finden sich Schmerzen sogar als erstes Symptom, wobei die Häufigkeit behandlungsbedürftiger Schmerzprobleme sowohl von der Lokalisation als auch von der Pathophysiologie des Tumors abhängt. Die Einhaltung des WHOStufenschemas führt bei weit mehr als 90% der Patienten zu einer suffizienten SchmerzRainer Freynhagen, Düsseldorf palliation und die Behandlung verliert auch in der Endphase der Erkrankung nicht ihre Wirksamkeit [7, 15, 34, 39]. Nur eine Minderheit der von tumorbedingten Schmerzen betroffenen Patienten b e n ö t i g t i nva s i ve schmerztherapeutische Verfahren. Trotzdem leiden Uwe Junker, Remscheid aktuellen Schätzungen zufolge jeden Tag etwa 220 000 Menschen in Deutschland unnötigerweise an Tumorschmerzen [18, 22], gleichbedeutend mit mehr als 80 Millionen Tumorschmerz-Patiententagen pro Jahr. Eine erfolgreiche analgetische Therapie allein bringt in Bezug auf die Lebensqualität *Literatur bei den Autoren bzw. im ungekürzten Originalbeitrag Gynäkologe 2007; 40:168–177 12 keinen hinreichenden Gewinn für die Patienten, wenn dadurch andere Symptome induziert oder verstärkt werden. Nur durch eine exzellente Schmerztherapie kombiniert mit guter Symptomkontrolle und einer möglichst ganzheitlichen Betreuung von Patienten und Angehörigen (eingebettet in ein umfassendes biopsychosoziales Behandlungskonzept) wird es gelingen, die Lebensqualität und Würde der Betroffenen bis zuletzt zu erhalten. Schmerztypen und ihre Ursachen Die Differenzierung der verschiedenen Facetten von Tumorschmerzen ist wichtig, da sie die Therapie entscheidend beeinflusst. Der vom Patienten beschriebene Schmerzcharakter ist ein wesentliches Kriterium, um nozizeptive und/oder neuropathische Schmerzanteile zu erkennen. Dumpfe, reißende, kolik- oder krampfartige Schmerzen, die in der Tiefe empfunden werden und schlecht lokalisierbar sind, werden zumeist durch Erregung viszeraler Nozizeptoren in Brust-, Bauch- und Peritonealraum verursacht. Sie können mit vegetativen und gastrointestinalen Symptomen einhergehen. Diese sog. Nozizeptorschmerzen im Bereich von Haut, Bindegewebe, Periost, Skelettmuskulatur, Sehnen, inneren Organen oder z. B. der parietalen Pleura sind meist gut lokalisierbar und häufig belastungsabhängig. Brennende, elektrisierende, durch Kälte- und/oder durch Berührungsreize auslösbare Schmerzen, häufig mit einschießenden Schmerzattacken kombiniert, sind Hinweise auf sog. neuropathische Schmerzen, die im Rahmen einer Schädigung des peripheren oder zentralen Nervensystems auftreten können. In diesem Zusammenhang sollte auf eine neurologische Minus- oder Plussymptomatik geachtet werden, z. B. Paresen, Hypästhesien, Dysästhesien oder eine Allodynie [9, 11]. Bei etwa einem Drittel der Patienten findet sich das kombinierte Auftreten beider Schmerztypen, welches heute durchweg als Mixed Pain bezeichnet wird [23]. Bei einer solchen Symptomatik wird die Schmerztherapie nur dann erfolgreich sein, wenn sie von vornherein beide Komponenten gleichberechtigt berücksichtigt. Meist gelingt eine Differenzierung bereits aufgrund der Schmerzanamnese und der klinischen Untersuchung. Zum einfachen Screening auf neuropathische Schmerzkomponenten steht neuerdings neben simplen Bedside-Tests auch ein validierter, kurzer und aussagekräftiger Fragebogen in deutscher Sprache zur Verfügung (painDETECT), der nicht vom Untersucher, sondern allein durch den Patienten ausgefüllt werden kann [13]. Medikamentöse Schmerztherapie Im Jahr 1986 wurde von der WHO in Genf das WHO-Stufenschema verabschiedet mit dem Ziel, der damaligen dramatischen Unterversorgung von Tumorpatienten mit potenten Analgetika gezielt entgegenzuwirken (Abb. 1) [37]. Auf Stufe I finden sich alle NichtopioidAnalgetika wie z. B. traditionelle nicht steroidale Antirheumatika (NSAR), Zyklooxygenase-2-Hemmer (Coxibe) oder Pyrazolonderivate (z. B. Metamizol). Für alle Substanzen der Stufe I gelten Maximaldosierungen, die zur Vermeidung von organtoxischen Nebenwirkungen streng eingehalten werden müssen. In der Regel reicht die analgetische Wirkung der Nichtopioid-Analgetika bei Tumorpatienten allein nicht aus, sodass mit schwachen bzw. mittelstarken Opioiden der nächsten Stufe oder starken Opioiden der Stufe III kombiniert werden muss. Ausgewählte Nichtopioidanalgetika Metamizol Metamizol ist das stärkste Analgetikum aus der Gruppe der nicht sauren antipyretischen Analgetika, zu denen auch Azetylsalizylsäure und Paracetamol gehören. Aufgrund seiner ausgezeichneten spasmolytischen Komponente eignet sich Metamizol insbesondere für die Behandlung krampfartiger Viszeralschmerzen. Nach oraler Verabreichung wird die Substanz gut resorbiert und erreicht nach etwa einer Stunde maximale Plasmaspiegel. Die Wirkung hält etwa vier Stunden an. Ganz anders als sein Ruf gehört Metamizol zu den sichersten und am besten verträglichen Schmerzmitteln. Zwar führt es häufiger als andere Analgetika zu einer Agranulozytose; SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.) Onkologie/Palliativmedizin Traditionelle nicht steroidale Antirheumatika und Cox-2-Inhibitoren Zyklooxygenasen sind Isoenzyme, die die Umwandlung von Arachidonsäure in Prostaglandine und Thromboxane katalysieren. Im Rahmen der Cox-1-Aktivität werden Substanzen mit physiologischen Funktionen für die Magen-Darm-Schleimhautprotektion, Thrombozytenfunktion, Nierendurchblutung und Elektrolytregulation produziert. Die Cox-2-Aktivität katalysiert Prostaglandine, die Schmerzen und Entzündungen vermitteln. Während Cox-2 nur bei Stress, Schmerz und Entzündung innerhalb weniger Stunden gebildet wird, wird Cox-1 fast überall im Organismus exprimiert. Kardiovaskuläre Risiken Nach heutigem Kenntnisstand haben sich die in Cox-2-Hemmer (Coxibe, z. B. Celecoxib, Etoricoxib) gesetzten Hoffnungen hinsichtlich einer dramatischen Reduktion der durch traditionelle nicht steroidale Antirheumatika (NSAR, z. B. Diclofenac) bedingten unerwünschten Wirkungen nur bedingt erfüllt. Seit der Marktrücknahme von Vioxx® (Wirkstoff: der selektive Cox-2-Hemmer Rofecoxib) aufgrund der erhöhten Rate von kardiovaskulären thrombotischen Ereignissen vor etwas mehr als zwei Jahren sind aber die meisten Experten heute der Überzeugung, dass auch viele der nicht selektiven NSAR mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko einhergehen [27]. Nach den Ergebnissen einer kürzlich publizierten Metaanalyse gehört z. B. Diclofenac zu den eher risikobehafteten Substanzen: Die Einnahme erhöht das kardiovaskuläre Risiko um 44% (und die Einnahme von Ibuprofen verändert es immerhin noch um plus 7%). Die Einnahme von Naproxen wurde demgegenüber mit minus 2% und die von Celecoxib mit minus 4% neutral bewertet [19]. Eine aktuelle Lancet-Publikation (MEDAL-Studie) zeigt, das Etoricoxib und Diclofenac vom kardiovaskulären Sicherheitsprofil her gleichwertig sind [5]. Weiterhin muss also gelten, dass sich der unkritische Einsatz sowohl von NSAR als auch von Coxiben bei SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.) + starkes Opioid + schwaches Opioid Nichtopioidanalgetikum ± Adjuvanz Nichtopioidanalgetikum ± Adjuvanz Nichtopioidanalgetikum ± Adjuvanz Stufe I Stufe II Stufe III Bildarchiv Freynhagen doch insgesamt tritt diese Komplikation nur sehr selten auf und endet nur in wenigen Fällen tödlich. Berechnet man aus allen schweren Nebenwirkungen die sogenannte globale Zusatzmortalität, schneiden Metamizol mit 0,08 und Paracetamol mit 0,05 günstiger ab als z. B. ASS mit 1,57 und Diclofenac mit 1,43 Todesfällen pro einer Million Behandelter bei einer Behandlungsdauer von einer Woche. + invasive/nicht invasive Therapieoptionen Abb. 1: WHO-Stufenschema. kardiovaskulären Risikopatienten und Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion verbietet. Indikationen für diese Substanzen ergeben sich in der Tumorschmerztherapie immer dann, wenn eine antiphlogistische Komponente benötigt wird, also z. B. bei metastatisch induzierten Knochen- und Weichteilschmerzen. Daher sind sie wertvolle und häufig unverzichtbare Substanzen. Flupirtin Dieses Analgetikum ist ähnlich potent wie schwache Opioide. Es verhindert vermutlich den NMDA-vermittelten überschießenden Kalziumeinstrom in die Zelle über eine Membranstabilisierung durch Eröffnung von Kaliumkanälen. Seine guten muskelrelaxierenden Eigenschaften sind auf zusätzliche GABAagonistische Wirkungen zurückzuführen. Flupirtin wird schnell und fast vollständig resorbiert (oral 90%, rektal 70%). Die Einzeldosen liegen zwischen 100–200 mg, die Gesamttagesdosis wird mit 600–900 mg angegeben. Indiziert ist die Substanz in der Tumorschmerztherapie z. B. bei allen Schmerzphänomenen, bei denen Muskelverspannungen eine wesentliche Rolle spielen [14, 38]. Ausgewählte Opioidanalgetika Der optimale Applikationsweg, auch in der palliativen Situation, ist der orale. Idealerweise werden zwei Applikationsformen von Opioiden benötigt: eine mit normaler Freisetzung zur Dosisfindung und eine Form mit modifizierter Freisetzung zur Erhaltungstherapie. Die einfachste Methode der Dosistitration ist die Gabe einer Morphindosis mit normaler Freisetzung alle vier Stunden und zusätzlich die gleiche Dosis bei Durchbruchschmerzen. Diese Zusatzmedikation kann so oft wie benötigt verabreicht werden (bis zu stündlich). Opioide der WHO-Stufe II Die Bedeutung der schwachen (Tramadol) bzw. mittelstarken (Tilidin/Naloxon) Opioide der WHO-Stufe II nimmt im Indikationsbereich Tumorschmerz gegenwärtig ab. Neuere Untersuchungen und daraus resultierende Empfehlungen stellen das starre Festhalten am Stufenschema von 1986 im Allgemeinen und den Nutzen der WHO-II-Opioidanalgetika im Speziellen infrage [6, 8]. Die aktuellen Empfehlungen der internationalen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes (IASP) gehen sogar dahin, auch beim opioidnaiven Tumorpatienten bereits initial mit der Einstellung auf starke Opioide in niedriger Dosis zu beginnen und dann bei Bedarf die Dosis der ausgewählten Substanz schrittweise zu steigern [6]. In der fixen Kombination mit Naloxon untersteht Tilidin ebenso wie die Substanz Tramadol nicht der Betäubungsmittelverschreibungsverordnung. Das macht beide Substanzen vor allem für die ambulante Versorgung von Tumorschmerzpatienten in Deutschland weiterhin interessant. Tilidin/Naloxon und Tramadol Tilidin/Naloxon zeichnet sich gegenüber Tramadol nicht nur durch seine höhere analgetische Potenz aus, sondern auch dadurch, dass bei Niereninsuffizienz keine Kumulation auftritt. Außerdem wirkt die Substanz weniger obstipierend als Tramadol, was sich wahrscheinlich auf eine periphere-prähepatische Wirkung des Opioidantagonisten Naloxon auf Opioidrezeptoren im Darm aufgrund des First-Pass-Effekts zurückführen lässt. Bei manifester Leberinsuffizienz ist Tilidin/Naloxon kontraindiziert, da die Aktivierung des Pro-Drugs Tilidin zum analgetisch wirksamen Nortilidin einer intakten hepatischen Metabolisierung bedarf. Tramadol ist kein reiner µ-Rezeptoragonist und infolge serotonerger 13 Onkologie/Palliativmedizin Begleiteffekte treten deutlich häufiger Übelkeit und Erbrechen auf [24]. Bei Patienten mit Leberzirrhose ist die Metabolisierung von Tramadol eingeschränkt, sodass sich die Eliminationshalbwertszeiten von Tramadol und des aktiven Metaboliten M1 etwa verdoppeln. Auch bei Niereninsuffizienz kann sich die Eliminationshalbwertszeit verlängern. Tramadol ist in Deutschland zusätzlich als fixe Kombination mit Paracetamol erhältlich. Opioide der WHO-Stufe III Statt bei starkem Schmerz grundsätzlich eine Opioidtherapie mit Standardmorphin zu beginnen, sollten heute individuelle Faktoren wie Schmerzcharakter und -rhythmus sowie die begleitenden Komorbiditäten der einzelnen Patienten in den Mittelpunkt gerückt werden, bevor man sich für das eine oder andere Opioidanalgetikum entscheidet. In Tabelle 1 sind Dosierungen ausgewählter Analgetika , in Tabelle 2 Beispiele möglicher Differenzialindikationen von Opioiden gegeben. Morphin galt lange als Goldstandard in der Therapie mit starken Opioiden der WHOStufe III. Inzwischen sind jedoch moderne Retardopioide mit deutlich besserer Galenik verfügbar. Sie sind analgetisch potenter, wirken weniger obstipierend und ihre Metaboliten kumulieren weniger oder gar nicht. In letzter Zeit mehren sich zudem die Hinweise auf eine immunsuppressive Wirkung von Morphin [17, 30, 36]. Morphin ist in zahlreichen retardierten Zubereitungen einsetzbar. Für Durchbruchschmerzen stehen sowohl schnell freisetzende Morphinsulfattabletten, als auch Morphinlösungen zur Verfügung. Bei der intravenösen Verabreichung gilt es, die relativ lange Transferzeit der Substanz in das ZNS zu beachten, da es dadurch zu einem ver- Tabelle 1: Dosierungen von Nichtopioid- und Opioidanalgetika Wirkstoff Einzel-/Tagesdosis (mg) Wirkdauer (h) WHO-Stufe I Paracetamol Ibuprofen Celecoxib Etoricoxib Parecoxib Metamizol Flupirtin 500–1000/6000 200–800/2400 100–200/200–400 60,90,120/120 40/80 500–1000/6000 100/600 4–6 8 12 24 12 6 8–12 WHO-Stufe II/III Opioide oral Tilidin/Naloxon retard Tramadol retard Morphin retard Oxycodon retard Oxycodon/Naloxon ret. Hydromorphon retard Hydromorphon retard (osmotisches System) Buprenorphin s.l. L-Methadon 50–200/600 50–300/600 10–500/individuell 5, 10, 20 ,40, 80/individuell 10, 20/derzeit 40 mg 4, 8, 16, 24/individuell 8, 16, 32, 64/individuell 8–12 8–12 8–12 (–24) 8–12 8–12 8–12 12 0,2–1,2/individuell 5–100/individuell 24 6–8–12 (variabel!) WHO-Stufe III Fentanyl-TTS Opioide transdermal Buprenorphin-TTS (TTS = Transdermales Pflastersystem) Ab 0,3 (12,5 µg/h) individuell 72 Ab 0,84 (35 µg/h) individuell 96 Tabelle 2: Beispiele einer differenzierten Opioidauswahl Symptom/Erkrankung Opioid Obstipation Fentanyl-TTS, Buprenorphin-TTS, Oxycodon/Naloxon Übelkeit, Erbrechen Fentanyl-TTS, Methadon Dysphagie (sondengängig) TTS, Morphingranulate (sondengängig), Hydromorphon Juckreiz „Trial and Error“ nach analgetischer Wirksamkeit Verwirrtheit, Schwindel Dosisreduktion, Oxycodon ± Naloxon, Tilidin/Naloxon Histaminliberation, Analgetikaasthma Dosisreduktion, Methadon Polymedikation Hochdosisbereich Hydromorphon, Fentanyl-TTS, Buprenorphin-TTS Niereninsuffizienz Tilidin/Naloxon, Buprenorphin, Hydromorphon Leberfunktionsstörung Fentanyl-TTS, Hydromorphon 14 zögerten Auftreten potenziell gefährlicher Nebenwirkungen kommen kann [29]. Oxycodon ist doppelt so stark wirksam wie Morphin. Aufgrund einer biphasischen Resorptionsgalenik kommt es zu einem raschen Wirkeintritt bei zugleich langer Wirkdauer von bis zu zwölf Stunden. Neuere Arbeiten legen nahe, dass Oxycodon anderen Opioiden bei viszeralen und neuropathischen Schmerzen überlegen zu sein scheint. Bei beiden Schmerzarten kommt es zu einer Hochregulation von κ-Opioidrezeptoren, zu denen Oxycodon eine hohe Affinität besitzt [25]. Oxycodon ist in zahlreichen Wirkstärken verfügbar, neuerdings auch in der Kombination mit dem Opioidantagonisten Naloxon, der peripher-prähepatisch an Opioidrezeptoren im Darm wirkt. Erste Studienergebnisse zeigen unter dem Kombinationspräparat eine signifikant geringere Obstipationstendenz bei gleicher analgetischer Wirkung [20]. Hydromorphon Ähnlich wie Oxycodon zeichnet sich Hydromorphon durch eine hohe orale Bioverfügbarkeit aus (etwa 60%). Es ist etwa achtmal so stark wirksam wie Morphin. Hydromorphon hat bei multimorbiden Patienten unter Polymedikation entscheidende Vorteile, die auch im Hochdosisbereich erhalten bleiben: Die Metabolisierung erfolgt weitestgehend unabhängig vom Cytochrom-P450-Enzymsystem, dem Hauptkatalysator des Arzneistoffwechsels. Darüber hinaus trägt auch die sehr geringe Plasmaeiweißbindung dazu bei, Kumulation und Interaktion mit anderen Medikamenten zu vermeiden. Aktuelle Arbeiten deuten darauf hin, dass diese Vorteile insbesondere bei alten, multimorbiden Patienten zum Tragen kommen [16]. Hydromorphon ist in verschiedenen Wirkstärken verfügbar, sowohl als zweimal täglich zu applizierende Retardkapsel als neuerdings auch als Langzeit-Retardtablette, die den Wirkstoff mittels eines neuen osmotischen Systems gleichmäßig über 24 Stunden freisetzt. Vorteile der zweimal zu applizierenden Retardkapsel sind einerseits, dass man die erforderliche Dosis dem individuellen Bedarf des Patienten im Tagesverlauf besser anpassen und andererseits die Kapsel bei schluckunfähigen Patienten aufbrechen und die darin erhaltenen Pellets ohne Verlust von Wirkung und Retardierung über eine Sonde verabreichen kann. Die neue 24-Stunden-Galenik hingegen bietet Patienten größtmögliche Unabhängigkeit. Für Durchbruchschmerzen steht schnell freisetzendes Hydromorphon in zwei verschiedenen Wirkstärken zur Verfügung. SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.) Onkologie/Palliativmedizin Transdermale Systeme In Pflasterform befinden sich in Deutschland derzeit zwei verschiedene Opioide auf dem Markt. Fentanyl ist etwa 80- bis 100-fach stärker analgetisch wirksam als Morphin, Buprenorphin (partieller Opioidantagonist) etwa 30- bis 50-fach. Mittels moderner Matrixsysteme werden beide Wirkstoffe gleichmäßig über einen langen Zeitraum freigesetzt, Fentanyl über 72, Buprenorphin über 96 Stunden. Stabile Plasmaspiegel werden mit Buprenorphin nach etwa zwölf, mit Fentanyl nach etwa 24 Stunden erreicht. Beide Systeme führen in etwas geringerem Ausmaß zu Obstipation als die starken oralen Opioide. Im Gegensatz zu Fentanyl kumuliert Buprenorphin nicht bei Niereninsuffizienz und bindet nicht an Serumalbumin, sondern ganz überwiegend an α- oder β-Globuline, wodurch das Arzneimittelinteraktionsrisiko reduziert wird [31]. Als wirkstoffgleiche Medikation für Durchbruchschmerzen stehen transmukosales Fentanyl als Lutschtablette bzw. Buprenorphin als Sublingualtablette zur Verfügung. Beide Pflastersysteme stellen eine wertvolle Bereicherung des therapeutischen Arsenals bei Tumorschmerzen dar. Sie sind vor allem bei Schluck- und/oder Passagestörungen indiziert. Bedingt durch ihre träge Kinetik sind sie allerdings weniger geeignet für die Therapie von instabilen Schmerzen mit häufigen Durchbruchschmerzen. Levomethadon Levomethadon ist als Reservesubstanz bei therapieresistenten Opioidnebenwirkungen wie z. B. Juckreiz, Morphinasthma, opioidbedingter Hyperalgesie oder ansonsten nicht zu beherrschenden neuropathischen Schmerzsyndromen einzustufen. Methadon ist eine effektive Alternative, allerdings kann die Anwendung komplizierter sein als die anderer Opioide. Die Besonderheiten der Substanz lässt Levomethadon für die Hand des schmerztherapeutisch Unerfahrenen eher ungeeignet erscheinen. Die stark variable Eliminationshalbwertszeit – zwischen 4 und über 100 Stunden – überdauert die zwischen sechs und zwölf Stunden variierende analgetische Wirksamkeit deutlich. Die interindividuell stark unterschiedlichen Plasmaspiegel aktiver Metaboliten bergen das Risiko einer Kumulation, so dass nach drei bis sieben Tagen eine Dosisreduktion um 20–30% versucht werden sollte. Eine retardierte Zubereitung von Levomethadon gibt es nicht [24]. Individuelle Dosierung und Durchbruchschmerzen In der Regel haben Tumorschmerzpatienten zwischen 10.00 und 22.00 Uhr ihren höchsten Analgetikabedarf. Dennoch hat jeder Patient seinen eigenen Schmerzrhythmus der in der Einstellungsphase gut dokumentiert werden sollte, um dann möglichst an diesen angepasst zu therapieren. Darüber hinaus haben viele Krebspatienten trotz guter Therapieeinstellung vorübergehende Schmerzspitzen (Durchbruchschmerzen), zum Beispiel ausgelöst durch Bewegung oder Husten. Sie treten in diesem Patientenkollektiv mit einer geschätzten Prävalenz von über 60% auf. Tabelle 3: Koanalgetika (Auswahl) Wirkstoffklasse Indikation Wirkung Dosierung/Hinweise Kortikosteroide Hirndruck, Inappetenz Antiödematös, antiphlogistisch, roborierend, appetit- steigernd, stimmungs- aufhellend Dosierung abhängig von Indikation Orale oder parenteral z. B.: Dexamethason 2–40 mg/Tag Antidepressiva Neuropathische Schmerzen, Schmerz- distanzierung Schmerzdistanzierend, Verstärkung der körper- eigenen Schmerzhem- mung, stimmungsauf- hellend, sedierend/ antriebsteigernd Amitriptylin: 10–150 mg/Tag Venlafaxin: 37,5–225 mg/Tag Duloxetin: 30–60 mg/Tag Mirtazapin: 15–45 mg/Tag Antikonvulsiva Neuropathische Verbesserung des Schlafs, Schmerzen anxiolytisch Langsame Dosistitration, da oft sedierende Nebenwirkung Gabapentin ab 300 mg/Tag [bis 3600 mg/Tag] Pregabalin ab 75 mg/Tag [bis 600 mg/Tag] Bisphosphonate Knochenmetastasen Tumorosteopathie Hyperkalzämie Orale und parenterale Therapie möglich z. B. Alendronsäure: 70 mg einmal wöchentlich SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.) Durchbruchschmerzen können mit etwa einem Sechstel der Opioidtagesdosis in schnell freisetzender Form behandelt werden, wobei aber auch mit einem starken Nichtopioid (wie z. B. Metamizol) kombiniert werden kann. Das hierzu verwendete Opioid muss nicht wirkstoffgleich mit dem Retardpräparat sein, dies gilt nach klinischen Erfahrungen auch für den Partialagonisten Buprenorphin, der im Regelfall problemlos mit z. B. schnell freisetzendem Morphin kombinierbar ist. Wenn die Schmerzen immer wieder auftreten, bevor die nächste Dosis fällig ist, muss die Dauermedikation angepasst werden. Dabei sollte eine Dosiserhöhung und nicht die Verkürzung der pharmakologisch sinnvollen Applikationsintervalle angestrebt werden. Koanalgetika Koanalgetika sind keine Schmerzmittel im engeren Sinne. Sie wirken jedoch über verschiedene Mechanismen, die die Schmerzleitung und Verarbeitung beeinflussen und führen damit zu einer zusätzlichen Schmerzlinderung. Durch ihren gezielten Einsatz kann eine additive analgetische Wirkung erreicht und ggf. eine verbesserte Analgesie bzw. eine Dosisreduktion der bislang eingesetzten Analgetika (und eine Abnahme dosisabhängiger Nebenwirkungen) ermöglicht werden. Eine Auswahl der wichtigsten Wirkstoffklassen zeigt Tabelle 3. Es muss aber darauf hingewiesen werden, dass zahlreiche der aufgeführten Substanzen für diesen Zweck nicht explizit zugelassen sind. Bei neuropathischen Schmerzen zeichnen sich die modernen Antikonvulsiva Gabapentin und Pregabalin gegenüber Carbamazepin und den trizyklischen Antidepressiva durch ein günstigeres Nebenwirkungsprofil aus. Beide werden nicht hepatisch metabolisiert und unverändert renal ausgeschieden (cave: Niereninsuffizienz, dann Dosis reduzieren), was das Risiko von Arzneimittelinteraktionen minimiert. Pregabalin hat im Vergleich zu Gabapentin die Vorteile eines signifikant schnelleren Wirkungseintritts, einer spürbaren anxiolytischen Wirkung und einer Vertiefung der erholsamen Schlafphasen [4, 10, 12, 26, 28]. Aufgrund der deutlich besseren Verträglichkeit im Vergleich zu den alten trizyklischen Antidepressiva sind heute die modernen dual wirksamen Substanzen zu bevorzugen. Medikamentöse Symptomtherapie mit Adjuvanzien Neben Schmerzen sind u. a. therapieresistente Übelkeit, Erbrechen, Obstipation, Atemnot, 15 Onkologie/Palliativmedizin Tabelle 4: Antiemetika (Auswahl) Substanzgruppe 6 5 4 3 Bildarchiv Freynhagen 2 1 Wirkort Hinweis Aufhebung der prokinetischen Wirkung von Metoclopramid und Neuroleptika Neuroleptika Butyrophenon 0,3–0,5–1 8–12 C Zentralnervöse Nebenwirkungen Anticholinergika Scopolamin-TTS 1,5 72–96 B (1 Pflaster) Verstärkte Obstipationsneigung Prokinetika Extrapyramidale NW Metoclopramid 10 4–5 G, C 4–8 4–8 B 5-HT3-Antagonist Ondansetron Bei chemotherapieinduzierter Übelkeit, verstärkter Obstipationsneigung Glukokortikoide Dexamethason 4–8 B Ulkusprophylaxe Cannabinoide Tetrahydro- cannabinol Individuell 8–12 ZNS BTM-pflichtig Symptome, die immer zwingend berücksichtigt werden muss. Hier sind meist nicht nur Medikamente, sondern darüber hinaus persönliche Zuwendung und empathische Begleitung wesentliche Voraussetzungen für den Therapieerfolg. Invasive Tumorschmerztherapie Jede Behandlung sollte gleichzeitig so effektiv und so wenig invasiv wie möglich sein. Invasive Behandlungsverfahren sind, schöpft man die zur Verfügung stehenden konservativen Verfahren rational aus, nur bei sehr wenigen Tumorschmerzpatienten indiziert. In der Finalphase eines Tumorleidens ist die Resorption oral oder transdermal zugeführter Pharmaka oft nicht mehr gewährleistet. Manuelle Ausräumung Rizinusöl Macrogol & Senna Macrogol & Natriumpicosulfat PHN postherpetische Neuralgie Macrogol Nach: Klaschik E et al., Support Care Cancer 2003;11:679–685 16 Wirkdauer (h) Antihistaminika Dimenhydrinat 100–200 8 B, C Senna & Paraffin & Amidotrizoesäure Macrogol & Senna & Paraffin & Suppositorien & Einlauf Macrogol & Senna & Paraffin Abb. 2 Stufenschema der Laxanzientherapie. Dosis (mg) 6–24 B Brechzentrum, C Chemorezeptortriggerzone, G Gastrointestinaltrakt; TTS Transdermales Therapiesystem 8 7 Substanz (Beispiel) Mod. nach [4] Angst, Depression, Appetitlosigkeit, Dehydratation, Gewichtsverlust, Juckreiz oder unwillkürlicher Speichelfluss häufige und die Lebensqualität extrem einschränkende Symptome bei fortgeschrittenen Tumorerkrankungen. Diese werden vielfach unterschätzt, ihre Behandlung wird vernachlässigt oder nur unstrukturiert durchgeführt. Durch ein differenziertes Therapiekonzept lässt sich bei den meisten Patienten auch bei diesen Symptomen eine zufriedenstellende Symptomkontrolle erzielen. Zum Einsatz kommen meist sog. Adjuvanzien. Sie richten sich gegen Symptome des Tumors bzw. der Grunderkrankung oder auch gegen Nebenwirkungen der Therapie. So ist z. B. im Rahmen einer Opioidtherapie initial in einer Häufigkeit von 20–30% mit dem Auftreten von Übelkeit und Erbrechen zu rechnen. Gegen die rein opioidbedingte Übelkeit entwickelt sich nach etwa zehn Tagen eine Toleranz. Während dieser Zeit ist eine entsprechende antiemetische Prophylaxe für die Lebensqualität sehr wichtig. Übelkeit und Erbrechen beim Tumorpatienten können abgesehen von der Behandlung mit Opioiden vielfältige andere Ursachen haben. Eine Auswahl an therapeutischen Optionen zeigt Tabelle 4. Auch wenn sich die verschiedenen Opioide in ihrer obstipierenden Wirkung tendenziell unterscheiden (umfangreiche Erfahrungen mit der neuen Kombination Oxycodon/Naloxon stehen noch aus), stellt Obstipation die hartnäckigste Nebenwirkung von Opioiden dar, gegen die sich auch keine Toleranz entwickelt. Eine adjuvante Behandlung mit Laxanzien muss also in aller Regel kontinuierlich erfolgen [4, 26]. Dabei kann z. B. nach dem in Abb. 2 gezeigten Stufenschema vorgegangen werden. Die Angst vor dem Sterben oder nur die Angst davor, im Sterben allein gelassen zu werden, ist ein häufiger Trigger auftretender Dann sollte die Applikationsform entsprechend geändert werden. Dabei sind die Äquivalenzdosierungen verschiedener Applikationsformen zu beachten (Tab. 5). Mittlerweile werden neben der subkutanen Medikamentengabe häufig tragbare batteriegetriebene Spritzenpumpen eingesetzt, um Patienten mit fortgeschrittener Tumorerkrankung, die eine orale Medikation nicht mehr zu sich nehmen können, mit einer kontinuierlichen Infusion (z. B. als patientenkontrollierte Analgesie, PCA) zu versorgen. Auch die epidurale oder intrathekale Applikation von Opioidanalgetika in Kombination mit Lokalanästhetika oder Clonidin kann im Einzelfall erwogen werden. Klassische Indikationen bestehen in der Therapie viszeraler Abdominalschmerzen und neuropathischer Schmerzen. Invasive Verfahren können eingesetzt werden bei speziellen Tumorentitäten wie z. B. die Neurolyse des Plexus coeliacus als Ultima ratio beim fortgeschrittenen Pankreaskarzinom oder bei ausgeprägter abdomineller Metastasierung eines Ovarialkarzinoms. Weitere Optionen sind u. a. Sympathikusblockaden bei therapierefraktären neuropathischen Schmerzen, z. B. durch Infiltration von Nervenplexus oder -wurzeln (u. a. bei Mammakarzinomen mit Infiltration des Plexus brachialis) oder durch Einbruch von Tumoren oder Filiae in den Spinalkanal. Auch Begleiterkrankungen wie z. B. eine ausgeprägte Lymphabflussstörung mit sympathisch unterhaltenem Schmerz oder eine Zosterneuralgie können den Einsatz invasiver Verfahren SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.) Onkologie/Palliativmedizin Fazit für die Praxis Eine differenzierte, am Schmerztyp und den Komorbiditäten orientierte Schmerztherapie und Symptomkontrolle kann sehr effektiv sein und die Lebensqualität von Tumorpatienten deutlich verbessern [3, 21]. Die Wünsche der Patienten und ihr Gewinn an Lebensqualität haben dabei höchste Priorität. Dies wird umso besser gelingen, wenn die Therapie in ein ganzheitliches Behandlungskonzept integriert ist, das auch die psychosozialen und spirituellen Bedürfnisse der einzelnen Patienten intensiv berücksichtigt. Hierzu gehört Tabelle 5: Applikationswege und Äquivalenzdosierungen von Morphin Applikationsform Morphin Oral 30 mg Subkutan 15 mg = 50% der oralen Dosis Intravenös 10 mg = 30% der oralen Dosis Epidural 1–3 mg = 10–30% der intravenösen Dosis Intrathekal 0,1–0,3 mg = 10% der epiduralen Dosis die enge Zusammenarbeit mit Pflege, Seelsorgern, Sozialarbeitern, Psychologen und Physio-/Ergotherapeuten – im Sinne einer Palliative Care. Eine offene, einfühlsame und ehrliche Kommunikation mit den Patienten und ihren Angehörigen, die Erstellung eines individuellen Therapieplans sowie die regel- Mod. nach [4] in seltenen Fällen erforderlich machen. Sie sollten aber ausschließlich von dafür speziell ausgebildeten und erfahrenen Therapeuten durchgeführt werden. mäßige Untersuchung vor und während der Behandlung tragen zur Zufriedenheit beider Seiten bei. Rainer Freynhagen, Andrea Schmitz, Peter Busche, Düsseldorf Uwe Junker, Remscheid Die neue spezialisierte ambulante Palliativversorgung Hoffnung auf eine flächendeckende Versorgung von unheilbar Kranken am Lebensende gibt das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG), kommentiert Dr. med. Thomas Nolte, DGS-Vizepräsident Wiesbaden. B ei aller Kritik am GKV-WSG sind die Neuregelungen zur Verbesserung der Versorgung unheilbar Kranker am Lebensende, die ab 1. April 2007 Gültigkeit haben, ein Durchbruch und Paradigmenwechsel. In konsequenter und entschlossener Haltung hat die Gesundheitspolitik den Krankenkassen und Leistungserbringern den Auftrag erteilt, die seit Jahren beklagten und von der Hospizund Palliativbewegung immer wieder vorgetragenen Defizite durch neu zu schaffende Versorgungsstrukturen zu minimieren und eine würdevolle und qualifizierte Behandlung von Sterbenden zur Regel zu machen. Hierfür gebührt unserer Gesundheitsministerin Respekt und Anerkennung! 2007 durch den Gemeinsamen Bundesausschuss zu erwarten. Und hier lauern die ersten Gefahren! In allen angesprochenen Bereichen ist eine hektische Betriebsamkeit ausgebrochen, um für die neue Situation gerüstet zu sein! Die Fachverbände stricken an ihren Vorstellungen zur Ausgestaltung, die Krankenkassen haben wieder andere Vorstellungen, die Interessen anderer scheinen gänzlich unberücksichtigt. Ein besonderes Anliegen des Gesetzgebers ist die Berücksichtigung gewachsener Versorgungsstrukturen, die in den letzten Jahren maßgeblich durch ihr Engagement und ihren Idealismus zu der positiven Entwicklung beigetragen haben. Risiken vorprogrammiert Sicher haben auch die sehr positiven Erfahrungen aus den integrierten Versorgungsprojekten einer koordinierten interdisziplinären und multiprofessionellen Hospiz- und Palliativversorgung zu dieser Entwicklung beigetragen. Diese sind in die neu geschaffenen § 37b und §132d eingeflossen. Allerdings sind hier nur die Rahmenbedingungen festgehalten, eine definitive Ausgestaltung der Ausführungsbestimmungen ist bis September Doppelstrukturen in Hessen Bereits hier zeigen sich einige besorgniserregende Tendenzen! Nach den jahrelangen Bemühungen aus dem Ehrenamt der Hospizbewegung heraus und dem ideellen Engagement im Bereich der Pflege und Ärzteschaft droht diesen Pionieren, von der Gestaltung der zukünftigen Versorgungsstrukturen ausgeschlossen zu werden. Zurzeit werden an sechs Standorten in Hessen Doppelstrukturen zu den gewachsenen Hospiz- und Pallia- SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.) Thomas Nolte, Wiesbaden tivstrukturen vor Ort aufgebaut. Mit Vorverträgen nach § 140 SGB V haben sich die sogenannten großen Versorgerkassen AOK, DAK, BEK und IKK eine Option auf eine krankenhauskoordinierte ambulante Palliativversorgung gesichert, ohne dass diese Kliniken zum Teil über die notwendige fachliche Qualifikation noch über Erfahrungen in der ambulanten Versorgung verfügen. Diese sollen aber nach Aussage der beteiligten Krankenkassen nach dem 1. April 2007 als „vorbestehende“ Einrichtungen die vom Gesetzgeber geschaffene spezialisierte ambulante Palliativversorgung im Rahmen der integrierten Versorgung nach § 140 unter Umgehung der Regularien nach dem GKV-WSG übernehmen. Für die beteiligten Krankenkassen geht es hier vorrangig um Kosteneinsparungen, während der Gesetzgeber ausdrücklich die Notwendigkeit der Bereitstellung von neuen Geldern eingefordert hat! Hier werden also jetzt bereits deutlich erkennbar in der Schutzzone des § 140 SGB V zwei wesentliche Forderungen des § 32b und 132d ausgehebelt. Bevor jetzt in aller Eile Fakten geschaffen 17 Kommentar werden, wäre es ein Gebot der Vernunft, bestehende Initiativen, gewachsene Strukturen wie auch Modellprojekte im Rahmen der integrierten Versorgung zu evaluieren, um diese wertvollen Erfahrungen in der Ausgestaltung bundesweiter Strukturen zur speziellen ambulanten Palliativversorgung zu berücksichtigen! Ambulante Versorgung sektorenübergreifend Leider nimmt das Gesetzeswerk zu der Situation der allgemeinen ambulanten Palliativversorgung keine Stellung, da sie, obwohl nicht existent, als gegeben vorausgesetzt wird. Dabei ist nur durch Überwindung der stark sektoralisierten Strukturen in der Regelversorgung, die mit zu der beklagten Fehl- und Unterversorgung für Schwerstkranke am Lebensende geführt haben, ein organischer Aufbau der allgemeinen wie auch spezialisierten ambulanten Palliativversorgung zu erreichen. Die Aufgabe der spezialisierten ambulanten Palliativteams muss deshalb auch in der Koordination und Stützung der allgemeinen (hospizlichen und palliativen) Versorgung bestehen. Nur so ist der zentrale Gedanke im GKV-WSG der verbesserten ambulanten Versorgung für unheilbar Kranke am Lebensende realisierbar. Rein interventionelle Konzepte spezieller Teams, die sich, ergänzend zur Regelversorgung außerdem als Krisenmanagement am Lebensende verstehen, ohne die strukturellen und ökonomischen Mängel der Regelversorgung zu beheben, sind eindeutig abzulehnen. Mehr Transparenz Transparenz und Offenheit sind obligat. Hierzu gehört, dass die verschiedenen Berufsgruppen im Palliativ-Care-Team zwar den hospizlichen und palliativen Inhalten verpflichtet sind, in ihren ethischen Entscheidungen und ihrer Meinungsfreiheit aber müssen sie unbelastet sein von wirtschaftlicher Einflussnahme und Abhängigkeiten. Spezialisierte ambulante Palliativteams mit allen beteiligten Berufsgruppen in einer Trägerschaft erfüllen dieses Kriterium nicht! Qualitätszirkel und Palliativkonferenzen müssen für alle Leistungserbringer offen sein. Mittelfristig müssen die verschiedenen Modelle auf ihre Stärken und Schwächen hin überprüft werden. Deshalb müssen alle bereits geschlossenen Ver träge offengelegt und allen Leistungserbringern die Mitwirkung ermöglicht werden. Eine Monopolisierung der Versorgung ist unbedingt zu vermeiden. Verträge, die dezidiert Leistungserbringer ausschließen, sind abzulehnen. Die Kooperation regionaler Palliativteams sowie eine einrichtungsübergreifende Qualitätssicherung sind unverzichtbar. Bildarchiv Deutsches Ärzteblatt, modifiziert Abgestufte Versorgung weiterhin Fiktion! Damit fehlt einmal mehr (siehe allgemeine und spezielle Schmerztherapie) ein Funda- ment für eine abgestufte Versorgungsstruktur. Deshalb sind alle Neuerungen im Bereich der „spezialisierten ambulanten Palliativversorgung“ nur Stückwerk, wenn nicht auch im Bereich der „allgemeinen ambulanten Palliativversorgung“ angemessene Regularien gefunden werden. Der Hessische Hausärzteverband hat sich bereits von Konzepten distanziert, die „top down“ das Verordnungsrisiko und die Leistungserbringung beim Hausarzt belassen. Durch die erhöhten Anforderungen an die ambulante Versorgung sind hier ausreichend Finanzmittel zur Behebung der Unterfinanzierung bereitzustellen, um Hindernisse in Form von fehlenden Arznei-, Heil- und Hilfsmittelbudgets zu überwinden. Konzepte, die diese Defizite ausklammern, zäumen einmal mehr das Pferd von hinten auf und bauen auf insuffizienten Basisstrukturen auf. Alle Verträge müssen für alle zugänglich sein. Es dürfen keine Verträge mit Ausschließlichkeitsregelungen zugelassen werden: Entscheidend ist die fallbezogene Leistungserbringung unter Zugrundelegung der für alle verbindlichen Qualitätsanforderungen. 18 Vielfältige Versorgungsmodelle obligat Die Vielfalt der Versorgungsstrukturen ist dabei unbedingt zu erhalten. Deshalb stimmen wir der im Eckpunktepapier genannten Vielzahl von Szenarien zu. Nur so wird mittelfristig eine ansatzweise flächendeckende, dezentrale, hospizliche und ambulante Struktur auf dem Boden einer hausärztlich gesteuerten Versorgung unter Berücksichtigung der unterschiedlichen regionalen Rahmenbedingungen möglich sein. Der Ausbau einer spezialisierten ambulanten Palliativversorgung würde von der Kenntnis der aktuell anfallenden Kosten in der Versorgung von Patienten am Lebensende sehr profitieren. Die aktuelle Diskussion wird davon geprägt, dass die Krankenkassen glauben, diese neu zu schaffenden Strukturen seien zu teuer, während die Leistungserbringer das Gefühl haben, durch eine verbesserte Versorgung am Lebensende real Kosten einzusparen und dafür noch schlecht bezahlt zu werden. Bei der im Gesundheitssurvey nachgewiesenen Über- und Fehlversorgung von Patienten am Lebensende ermöglicht eine Umlenkung der bisherigen Ausgaben in ein Palliativversorgungsnetz eine optimale hospizliche und palliative Versorgung ohne Mehrkosten in Relation zu der bisher fehlgesteuerten Versorgungssituation. Erste Ergebnisse aus dem PalliativNetz Wiesbaden Taunus und Osthessen/Fulda belegen dies. Eine zusätzliche Finanzierung von spezialisierten ambulanten Palliative-Care-Teams wäre so nicht notwendig und ein weiteres Beispiel, wie durch Integration und Netzwerkbildung optimale Versorgungsstrukturen kostenneutral zur Regelversorgung umgesetzt werden können. Leider liegen nur von einer Krankenkasse valide Daten für die globalen Versorgungskosten bei unheilbar Kranken in den letzten drei Lebensmonaten vor. Tagespauschale Für eine langfristig verantwortungsvolle Finanzierung der Leistungserbringung sind deshalb tagesbasierte Pauschalen mit globaler Budgetverantwortung zu fordern. Diese sollten alle Leistungen in der Versorgung von Schwerstkranken am Lebensende umfassen. Dies würde eine qualitätsgesicherte Versorgung mit leistungsgerechter Honorierung aller Leistungserbringer bei voller Kostentransparenz und Vergleichbarkeit der Projektregionen ermöglichen. Außerdem bestünden Anreize für eine optimale Leistungserbringung mit 24-Stunden-Erreichbarkeit und dem Vermeiden von unnötigen stationären Einwei- SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.) Kommentar sungen. Die einzelnen Projektregionen hätten durch dieses Finanzierungskonzept die Möglichkeit, ihre bereits bestehenden Strukturen weiterzuentwickeln und den Anforderungen vor Ort anzupassen. Auch wenn der Wunsch nach schnellen Schritten verlockend ist, ist jetzt eine wohlüberlegte Strategie mit langfristig tragenden Strukturen und einer organischen Entwicklung eindeutig vorzuziehen. Imperiale Ten- denzen nach dem Motto „Divide et impera“, wie in Hessen erkennbar, sind mit den Inhalten der Hospiz- und Palliativversorgung wie auch den neuen gesetzlichen Grundlagen nicht vereinbar und inakzeptabel. Eine Politik der kleinen Schritte, die insbesondere auch die Erfahrungen aus den laufenden IV-Palliativverträgen berücksichtigen, bieten eine gute Grundlage für eine qualitätsgesicherte und harmonische Entwicklung einer flächen- deckenden Hospiz- und Palliativversorgung! Beispiele aus Verträgen mit der Techniker Krankenkasse und dem Landesverband der Betriebskrankenkassen für die integrierte Versorgung von Palliativpatienten IVP in Wiesbaden und Fulda belegen dies (siehe Schmerztherapie 4/06). Thomas Nolte, Wiesbaden Was kostet die Versorgung am Lebensende? Eine Analyse der Kosten in der Regelversorgung sowie von allgemeiner und spezieller Palliativversorgung beschreibt Dr. med. Thomas Nolte, Vizepräsident DGS und 1. Vorsitzender PalliativNetz Wiesbaden-Taunus. len aus bereits laufenden integrierten Versorgungskonzepten gegenübergestellt. 1. Auswertung der Kosten in der Regelversorgung as gesetzliche KrankenversicherungsDieser Auswertung liegen die Daten einer (2500/30) für eine SAP! Leider stehen die Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV Erhebung der Techniker Krankenkasse aus Fragen zu den Ausführungsbestimmungen WSG) hat sich zum Ziel gesetzt, die ambudem Jahr 2004 zugrunde (Daten beim Verfasund insbesondere auch zur Finanzierung unlante Palliativversorgung in Deutschland fläser). Eingeschlossen in diese Erhebung wurbeantwortet im Raum. chendeckend zu verbessern. den 6280 Versicherte der TK, die in jenem Zum Vergleich werden in der Folge die In einer Pressemitteilung der ÄrztezeiJahr an einer Karzinomerkrankung verstorbisher anfallenden Kosten in der Regelvertung am 21.10.2005 ließ Frau Schmidt, Geben sind. Erhoben wurden die Kosten je Versorgung mit ihrer nachgewiesenen Fehl- und sundheitsministerin, bereits verlauten, dass sicherten in den letzten drei Lebensmonaten, Überversorgung denen einer AAP/SAP und aus spezialisierten Ärzten und Pflegekräfaufgeschlüsselt nach den Bereichen „statioden unterschiedlichen Finanzierungsmodelten bundesweit 330 Palliativteams näre Versorgung“, „Medikamentengebildet werden sollen, die eine kosten“ sowie dem „ambulanten BeTabelle 1: Geschätzte Kosten AAP und SAP flächendeckende ambulante Versorreich inklusive Pflege, Heil- und gung Schmerzkranker sicherstellen Hilfsmitteln“, der nur mit einem • Palliative-Care-Teams 100 Millionen € sollen. Schätzwert in die Berechnungen ein• Medikamente, Heil- und Hilfsmittel 110 Millionen € geflossen ist, da hier Daten aufgrund • Mehrkosten hausärztliche Versorgung 40 Millionen € Kostenschätzung der sektoralisierten Budgets nicht zu Summe 250 Millionen € Die Kosten für diese Teams, die noterheben waren und sind. wendige Medikamente, Heil- und Bei einem Auswertungszeitraum Tabelle 2: Kostenaufstellung und -verteilung Hilfsmittel sowie für eine „optimale über drei Monate entstehen für die hausärztliche Versorgung“ schätzte Durchschnittskosten ambulante Versorgung gesamte medizinische Versorgung (Arzt/Pflege/Transport/Heil-,/Hilfsmittel) geschätzt 3 500,00 € Frau Schmidt auf 250 Millionen Euro pro Patient am Lebensende in der Durchschnittskosten Krankenhaus 9 482,62 € pro Jahr. Daraus geht hervor, dass Regelversorgung aktuell Kosten in Durchschnittskosten Medikamente 3 009,67 € Gelder in dieser Höhe sowohl für die Höhe von 178 € pro Tag (16 000 € allgemeine (AAP) als auch die spegeteilt durch 90 Tage)(Tab. 2). Durchschnittskosten gesamt 15 992,29 € zialisierte ambulante Versorgung Pro Monat 5 330,00 € 2. Modellrechnung zur (SAP) von den Krankenkassen zur spezialisierten ambulanten Verfügung zu stellen sind (Tab.1). Tabelle 3: Kosten beim KAP Palliativversorgung Erwartet wird, dass etwa a) Add-on zur Regelversorgung 100 000 Patienten pro Jahr ne• Fallpauschale für das Krankenhaus 1 200 € einmalig Bei den aktuell anfallenden Durchben einer AAP auch einer SAP • Hausarzt 40 €/Mo. schnittskosten in der Regelversorgung bedürfen. Dadurch entstehen hier • Pflege 20 €/Mo. in Höhe von 178 € plus des Mehrbeeinmalig Mehrkosten von 2500 € • Ambulante Hospizversorgung 20 €/Mo. trages für eine SAP in Höhe von 84 € (250 000 000/100 000) pro Pal5 330 €/Mo. • Kosten in der Regelversorgung pro Monat gem. Tab.2 für die Versorgung in den letzten vier liativpatient für die Versorgung Lebenswochen entstünden Kosten in am Lebensende. Bei einer durchSumme 6 610 €/Mo. Höhe von 262 € pro Tag. schnittlichen Behandlungsdauer Die Tagestherapiekosten im KAP-Modell belaufen sich hierb) Mit Berücksichtigung der realivon vier Wochen bis zum Lebensbei auf 220 € pro Patient pro Tag bei einer vierwöchigen sierbaren Einsparungen ende ergeben sich Mehrkosten pro Versorgung. Allerdings sind die zu erwartenden Palliativpatient von 84 € pro Tag D SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.) 19 Finanzanalyse Einsparungen durch eine verbesserte Versorgung (weniger Krankenhausaufenthalte, weniger Transporte etc.) nicht berücksichtigt. Bei AAP und SAP ist bei konservativer Schätzung eine Reduktion der Krankenhausbehandlungskosten um zwei Drittel zu erwarten und realistisch. Unter Zugrundelegung der Durchschnittskrankenhauskosten aus der TK-Analyse in Höhe von 9482,62 € pro drei Monate (geteilt durch 90) entspricht dies durchschnittlichen Tageskosten von 105 € für stationäre Behandlung am Lebensende. Bei einer Einsparung von zwei Drittel der Krankenhauskosten durch eine spezialisierte ambulante Palliativversorgung entstehen Einsparungen von 70 € (2/3 von 105 €) pro Tag. Die Tagestherapiekosten würden sich auf 192 € (Tagestherapiepauschale 262 € minus 70 € Einsparungen) reduzieren. Tagestherapiekostenpauschale AAP/SAP mit Einsparungen Tagestherapiekosten Regelversorgung bisher Differenz Mehrkosten pro Monat 192 € 178 € +14 € 420 € Bei einer zu geschätzten zu versorgenden Zahl von 100 000 Patienten pro Jahr entstehen hier bei Berücksichtigung der realisierbaren Einsparungen Mehrkosten in Höhe von 42 Millionen € für eine verbesserte Versorgung mit AAP und SAP am Lebensende. 3. Kostenstruktur integrierte Versorgung palliativ Dieses flächendeckende dezentrale integrierte Versorgungskonzept (IVP) versorgt seit Februar 2006 unheilbar Kranke in der Lebensendphase in Wiesbaden und Umgebung. Die mit der TK vereinbarte Tagespauschale im PalliativNetz Wiesbaden-Taunus beläuft sich auf 185 € für die komplette Versorgung am Lebensende und wird ab Einschreibung des Patienten in das Konzept berechnet. Diese umfasst alle medizinischen, pflegerischen, medikamentösen und auch stationären Maßnahmen inklusive Palliativstation oder stationäres Hospiz. Dem Versorgungsnetz obliegt demnach die komplette Budgetverantwortung im Sinne des Managed-Care-Prinzips. Die in der Regelversorgung anfallenden Kosten am Lebensende, wie oben bereits aufgeführt, belaufen sich auf 178 € pro Tag in den letzten drei Lebensmonaten. Die Mehrkosten pro Patient pro Tag im IPV-Konzept im Verhältnis zu den Kosten in der Regelversorgung belaufen sich demnach auf 7 € für eine 20 optimale Versorgung unheilbar Kranker am Lebensende. Tagesbasiertes Globalbudget IVP-Modell Tagestherapiekosten Regelversorgung Differenz Mehrkosten pro Monat 185 € 178 € +7€ 210 € Bei einer geschätzten zu versorgenden Zahl von 100 000 Patienten pro Jahr entstehen hier bei kompletter Budgetverantwortung Mehrkosten in Höhe von 21 Millionen € für eine verbesserte Versorgung am Lebensende. 4. Kostenstruktur krankenhauskoordiniertes ambulantes Palliativkonzept (KAP) Dieses krankenhauskoordinierte integrierte Versorgungskonzept (KAP) versorgt seit August 2006 unheilbar Kranke in der Lebensendphase in Wiesbaden und Umgebung. Die dort anfallenden Honorare und Kosten pro Patient setzen sich wie folgt zusammen: Bei einer zu erwartenden Verminderung von zwei Drittel der Krankenhauskosten durch diese spezialisierte ambulante Palliativversorgung entstehen analoge Einsparungen von 70 € pro Tag und Patient, die Tagestherapiepauschale vermindert sich auf 150 € (220 € minus 70 € Einsparungen). Tagestherapiekosten KAP-Modell Tagestherapiekosten Regelversorgung Differenz Einsparungen pro Monat 150 € 178 € –28 € 840 € Bei einer geschätzten zu versorgenden Zahl von 100 000 Patienten pro Jahr entstehen hier Einsparungen von 84 Millionen € für die Versorgung am Lebensende. Vergleich der Kostenstrukturen Zusammengefasst hier die verschiedenen Kostenberechnungen: Aktuelle Tagestherapiekosten Regelversorgung Tagestherapiekostenpauschale mit AAP/SAP ohne Einsparungen Tagestherapiekostenpauschale mit AAP/SAP mit Einsparungen Tagestherapiekostenpauschale IVP Tagestherapiekostenpauschale KAP 178 € 262 € 192 € 185 € 150 € Zusammenfassung Die Mehrkosten einer verbesserten allgemeinen (AAP) und spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAP) werden weitgehend kompensiert durch die zu erwartenden Einsparungen von Fehl- und Überversorgung am Lebensende. Das Modellprojekt „integrierte Versorgung am Lebensende (IVP)“ des PalliativNetzes Wiesbaden-Taunus umfasst alle Elemente einer AAP und SAP und ist weitgehend kostenneutral zu den bisher in der Regelversorgung entstehenden Kosten. Erste Auswertungen belegen, dass die tagesbasierte Kostenpauschale mit globaler Budgetverantwortung in dieser Höhe der zu lösenden Aufgabe gerecht wird. De facto ist mit einer Umleitung der bisher anfallenden Kosten in eine strukturierte Palliativversorgung eine flächendeckende Betreuung unheilbar Kranker am Lebensende möglich! Die verbesserte Palliativversorgung im KAP-Modell wird erkauft auf dem Boden der sogar verschärften Fortsetzung der Unterfinanzierung und der fortgesetzten Selbstausbeutung aller Mitwirkenden in der Regelversorgung! Die AAP wird nicht nur nicht gefördert, sondern dezidiert geschwächt, indem der ambulanten Versorgung bei höheren Anforderungen keine substanziellen zusätzlichen Geldmittel zur Verfügung gestellt werden. Eingesparte Gelder fließen an die beteiligten Krankenkassen! Sparmodell droht! Der Abschluss von Vorverträgen mit weiteren onkologischen Kliniken an Schwerpunktkrankenhäusern in Hessen, die zum Teil weder über eine palliative Qualifikation noch eine Anbindung an ambulante Versorgungsstrukturen verfügen, düpiert die dort vor Ort seit Jahren hospizlich und palliativ Tätigen wie auch die gesamte hausärztliche Versorgung, die bei dieser Regelung einmal mehr leer ausgehen! Aus einer angekündigten verbesserten ambulanten Versorgung wird ein Sparmodell der beteiligten Krankenkassen in Hessen (AOK/DAK/BEK/IKK)! Die Intention der Politik, Geldmittel für eine verbesserte allgemeine und spezialisierte ambulante Palliativversorgung zur Verfügung zu stellen, wird von diesen Krankenkassen, wie am Beispiel KAP-Modell gezeigt, durch erhebliche Einsparungen auf Kosten der ambulanten Regelversorgung in ihr Gegenteil verkehrt. Auch der integrative Ansatz, bestehende Strukturen mit in die Ausgestaltung einzubeziehen, wie im GKVWSG gefordert, wird mit diesem rein krankenhausbasierten Ansatz ausgehebelt. Thomas Nolte, Wiesbaden [email protected] SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.) Internationale Presse Mit Massagen gegen Nackenschmerzen? notherapie und in einem multimodalen Interventionsprogramm geklärt werden. Erst wenn standardisierte Studiendesigns entwickelt wurden und bei den multifaktoriellen Behandlungsprogrammen der relative Anteil der Massage an dem Ergebnis evaluiert sei, müssten in weiteren Studien der Kurzzeit- und auch der Langzeiterfolg der Massagen weiter abgeklärt StK werden, folgerten die Autoren. Massage hilfreich bei Nackenschmerzen? Peridurales Methylprednisolon und Wundinfiltration mit Bupivacain Nach einer posterioren lumbosakralen Spinaloperation lassen sich die postoperativen Schmerzen durch eine peridurale Methylprednisolontherapie und die Wundinfiltration mit Bupivacain signifikant senken. In einer placebokontrolllierten Doppelblindstudie an insgesamt 103 Patienten mit elektiver posteriorer Lumbaldiskektomie und einer entlastenden Laminektomie überprüfte der thailändische Experte dieses multimodale analgetische Konzept. Die Schmerzwerte wurden nach ein, zwei, drei, sechs zwölf, 24 und 48 Stunden gemessen. Darüber hinaus wurde der Oswestry-Index und die Kurzform des SF-36Werts vor dem Eingriff sowie ein und drei Monate nach der Operation erhoben. Die demografischen Ausgangswerte waren in beiden Gruppen vergleichbar. Die Verumgruppe benötigte signifikant weniger SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.) SSRI statt Gabapentin? Antidepressiva wie Citalopram und Paroxetin lindern bei Patienten mit diabetischer Neuropathie die Schmerzen besser und mit weniger Nebenwirkungen als Gabapentin, das bisher als eines der bevorzugten Antikonvulsiva gilt. Dies ergab eine griechische Studie an 101 Patienten, die prospektiv über sechs Monate einen selektiven Serotonin-Reuptakehemmer oder Gabapentin bekamen (Clin J Pain 2007; 23:267–269). Memantine lindert CRPS-Schmerz Der N-Methyl-D-Aspartat-Rezeptorantagonist Memantine linderte nach einer achtwöchigen Therapie bei sechs Patienten mit einem komplexen regionalen Schmerzsyndrom (CRPS) der oberen Extremität die Schmerzen und führte zu einer Verbesserung der Motorik und autonomen Veränderungen (Clin J Pain 2007; 23: 237–243). Bildarchiv U&V Was leistet die Massage bei chronischen Nackenschmerzen? Wie wirkt sie auf Schmerzen, Funktion, Zufriedenheit des Patienten? Welche Kosten und Nebenwirkungen entstehen dadurch? Diese Fragen versuchte J. Ezzo, Baltimore, in einer randomisierten Metaanalyse zu klären. Ausgewertet wurden 19 Studien von zwei unabhängigen Reviewern. Dabei erfüllten zwölf der 19 Studien nur die Mindestanforderungen auf einem sehr niedrigen Niveau. Häufig fehlten die Angaben über die Massagetechnik, die Ausbildung der Masseure oder die Erfahrungen damit. Daher wundert es nicht, dass die Studienergebnisse sehr widersprüchliche Ergebnisse lieferten. Zum Teil wurde die Massage als Monotherapie, bei 14 Studien als ein Baustein in einem multimodalen Gesamtkonzept eingesetzt. Aufgrund der wenig validen Daten zur Massage kann derzeit keine Empfehlung über den Stellenwert der Massagen bei Nackenschmerzen gegeben werden. In Pilotstudien müsste erst geklärt werden, in welcher Frequenz, Dauer und Anzahl der Massagesitzungen und mit welcher Massagetechnik am besten gearbeitet werden sollte. In weiteren größeren klinischen Studien müsste anschließend der Stellenwert als Mo- Infotelegramm Morphin postoperativ und auch die angegebenen Schmerzen waren weniger stark ausgeprägt. Beide Substanzen verursachten keine perioperativen Komplikationen, sodass die Autoren folgern, dass die Kombination von Methylprednisolon und Bupivacain, unmittelbar nach der Spinaloperation appliziert, einen günstigen Effekt auf den Verlauf nach posterioren lumbosakralen Eingriffen wie Diskektomien, Dekompressionen und/oder Spinalfusionen haben – ohne Gefahr zusätzlicher Komplikationen. K. Jirarattana, Phochai, et al. Peridural methylprednisolone and wound infiltration with bupivacacin for postoperative pain control after posterior lumbar spine surgery: a randomized double-blind placebo-controlled trial. Spine 2007; 32:609–616. Neues High-Tech-Gerät für das SCS Das Precision TM Spinal Cord System wurde von Dr A. Koulousakis, Köln, erstmals auch in Europa eingesetzt. Das revolutionäre System zur Neurostimulation erlaubt eine genau dosierbare Stromabgabe und verfügt über eine wiederaufladbare Batterie (News Release, Boston Scientific Corporation, März 2007). Reizstrom gegen das Reizdarmsyndrom Reizstromimpulse aus dem Medigjord-Gürtel bringen, wenn sie zweimal täglich für etwa 15 Minuten eingesetzt werden, den Darm auf Trab (Info bei dem Hersteller www.medigjord.de). Adenosin-Agonist GR79236X – ein Flop? In einer multizentrischen randomisierten Kontrollstudie an 79 Patienten nach Extraktion der dritten Molaren in Vollnarkose prüfte die britische Arbeitsgrupppe von J. R. Sneyd et al., Plymouth, den Adenosinagonist in den beiden Dosierungen 4 µg/kg KG oder 10 µg/kg KG gegen Placebo oder die Infusion von 50 mg Diclofenac. Beide Dosierungen des Adenosinagonisten in einer 15-minütigen Infusion waren nicht effektiver als Placebo und nur Diclofenac reduzierte die postoperativen Beschwerden signifikant (Br J Anaesth. 2007; Epub ahead of print). 21 DRG-System Finanzierung stationärer Schmerztherapie und Palliativmedizin Das DRG-System gilt auch für Schmerztherapie und Palliativmedizin. Welche aktuellen Möglichkeiten der Abrechnung bei diesem Pauschalvergütungssystem bestehen, schildert Dr. med. Eberhard Lux, Lünen, sehr praxisnah an Fallbeispielen. S eit dem Jahr 2004 erfolgt die Vergütung von stationär erbrachten Leistungen mit Ausnahme psychiatrischer Einrichtungen nach einem System der Pauschalvergütung – dem sog. DRG-System (Diagnosis Related Group). Im Rahmen dieses Vergütungssystems ist spezifisch für jedes Krankenhaus ein dem durchschnittlichen Ressourcenverbrauch pro Fall errechneter Geldwert, die sog. BaseRate, definiert und in den Pflegesatzverhandlungen der Kliniken vereinbart. Die Vergütung im Einzelfall richtet sich nach dem sog. Schweregrad (CW-Wert) des Behandlungsfalles, welcher sich aus der Kombination von Haupt- und Nebendiagnosen (ICD-10) und aus den in einem jährlich aktualisierten OPSKatalog niedergelegten Leistungen ergibt. Für besonders kostenintensive Leistungen sind sog. Zusatzentgelte mit festen Beträgen definiert, welche den Kostenträgern zusätzlich zur DRG berechnet werden können. CW-Wert Elektronische Rechenprogramme (Grouper) berechnen heute nach Eingabe der Diagnosen und OPS (Operationen- und Prozedurenschlüssel) den entsprechenden Schweregrad (CW-Wert). Dieser, multipliziert mit der BaseRate des Krankenhauses, ergibt den Geldbetrag, welcher durch die Kostenträger dem Krankenhaus vergütet wird. Wissenswert ist, dass jedes Krankenhaus jährlich mit den Kostenträgern ein Gesamtbudget verhandelt, sodass durchaus nicht alle erbrachten Leis- Patientenbeispiele 1 und 2 Patientenbeispiel 1: Hauptdiagnose: Nebendiagnosen: Kopfschmerz vom Spannungstyp Medikamentenabhängigkeit Psychogene Gangstörung Lumbale Spondylarthrose Chronischer Schmerz mit psychosozialen Anteilen Aufenthaltsdauer: OPS DRG CW-Wert Gesamtvergütung: 16 Tage 8-918.1 B47Z 1,485 bei einer angenommenen Base-Rate von 2506,00 € 3 722,05 € G44.2 F19.2 F44.4 M47.86 F62.80 Patientenbeispiel 2: Hauptdiagnose: Nebendiagnosen: Polyarthrose Längere depressive Reaktion Diabetes mellitus Typ 2 Lumbale Spinalkanalstenose Chronischer Schmerz mit psychosozialen Anteilen Aufenthaltsdauer: OPS DRG CW-Wert Gesamtvergütung: 24 Tage 8-918.1 I42Z 1,308 bei einer angenommenen Base-Rate von 2506,00 € 3 278,41 € 22 M15.0 F43.2 E11.90 M48.06 F62.80 tungen vergütet werden. Die Vergütung erfährt – Eberhard Lux, Lünen wie man dies auch aus der Vergütung ambulant erbrachter Leistungen kennt – eine Kappungsgrenze. Spezielle OPS-Schlüssel sind für stationäre, multimodale Schmerztherapie (unter 1.), die komplexe Akutschmerztherapie (unter 2.) sowie stationäre palliativmedizinische Leistungen (unter 3.) definiert. Diese sollen im Folgenden vertiefend dargestellt werden. 1. Stationäre Schmerztherapie (OPS 8-918) Stationär können schmerztherapeutische Leistungen im besonderen Maße abgerechnet werden, wenn Mindestmerkmale für eine multimodale Schmerztherapie erbracht worden sind (siehe Tab. 1). Indikationen für die Anwendung des OPS-Schlüssels 8-918 sind Patienten, welche unter chronischem Schmerz leiden und •manifeste oder drohende Beeinträchtigung der Lebensqualität oder der Arbeitsfähigkeit aufweisen, •unimodale Behandlungsversuche ambulant oder stationär fehlgeschlagen sind, •ein bestehender Medikamentenfehlgebrauch, resp. eine Medikamentenabhängigkeit besteht, •gravierende psychiatrische/psychische Komorbiditäten zu beobachten sind oder •eine gravierende somatische Begleiterkrankung besteht, aufgrund derer die Durchführung spezieller Therapiemethoden im ambulanten Setting nicht zu verantworten sind. Die schmerztherapeutische Komplexbehandlung ist nach der Länge der Verweilzeit des Patienten zu dokumentieren, wobei aktuell jedoch die Länge der Behandlungsdauer des Patienten keine Höhergruppierung des Patienten im DRG-System triggert. 2. Komplexe Akutschmerzbehandlung (OPS 8-919) Für die komplexe Akutschmerzbehandlung SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.) DRG-System wurde der OPS 8-919 definiert. Der OPS ist anwendbar für Patienten mit akutem postoperativem, posttraumatischem oder exazerbiertem Tumorschmerz. Die Voraussetzungen zur Definition sind in der Tabelle 2 definiert. Eine Geldleistung folgt der Dokumentation der OPS 8-919 aktuell noch nicht. Ich möchte jedoch alle Kolleginnen und Kollegen dazu motivieren – sofern die o.g. Leistungen erfüllt werden –, den OPS-Schlüssel zu dokumentieren, damit wir dem Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus gGmbH (InEK) nachweisen können, wie häufig die Leistungsinhalte erbracht werden. 3. Palliativmedizin (OPS 8-982) Für die Erbringung komplexer palliativmedizinischer Leistungen ist der OPS 8-982 definiert. Dieser Schlüssel ist bei der komplexen palliativmedizinischen Versorgung von Patienten anwendbar, welche unter einer progredienten und bereits fortgeschrittenen Erkrankung mit begrenzter Lebenserwartung leiden, ohne dass eine kurative Intention der Behandlung besteht. Die Voraussetzungen zur Dokumentation der OPS 8-982 sind in Tab. 3 definiert. Ein Sonderentgelt in Höhe von 1101,46 € ist mit der Dokumentation der OPS 8-982 abzurechnen. Die Organisation palliativmedizinischer Versorgung von Patienten geschieht in deutschen Kliniken zurzeit in zwei Formen. Die optimale Patientenversorgung ist sicher diejenige auf einer Palliativstation – einem abgeschlossenen, eigenständigen Stationsbereich unter ärztlicher Leitung eines Facharztes mit der Zusatzbezeichnung „Palliativmedizin“, – mit speziellen Personalschlüsseln der Pflegekräfte sowie dem regelhaften Tätigwerden psychosozialer Berufsgruppen. Auf Palliativstationen sind vielfach ehrenamtlich Tätige aus regionalen Hospizgruppen im Einsatz. Aufgrund des hohen Ressourceneinsatzes haben bisher viele Kliniken die Organisation einer Palliativstation vermieden, da die erhöhten Ressourcenkosten bisher im DRG-System nicht abgebildet wurden. Eine Vielzahl von Palliativstationen rechnete auch unter Zeiten des DRG-Systems weiter tagesgleiche Pflegesätze ab. Eine zweite Organisationsform ist der sog. palliativmedizinische Konsiliardienst; hier bleiben die Patienten auf den Stationen ihres Fachgebietes und werden zusätzlich durch ein Palliativteam (Palliativmediziner, in Palliativ-Care geschulte Pflegende, Psychologen, Kreativ-Therapeuten sowie Sozialarbeiter) betreut. Diese Organisationsform vermag die Patientenbetreuung deutlich zu verbessern, palliativmedizinische Einstellungen SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.) Patientenbeispiel 3 Hauptdiagnose: Nebendiagnosen: Metastasierendes Pharynxkarzinom C10.2 Schluckstörungen Versorgung über PEG und Port Spinalkanalstenose Längere depressive Reaktion Tumorschmerz R13.9 F43.2 R52.1 Aufenthaltsdauer: 16 Tage OPS 8-982 DRG J61C CW-Wert 0,818 bei einer angenommenen Base-Rate von 2 506,00 € ergab sich bisher für die DRG J61C ein Geldbetrag von 2 526,00 €. Gesamtbetrag von Bei Dokumentation der OPS 8-982 kommt hier ein Zusatzentgelt von 1 101,45 € dazu, sodass jetzt ein 3 627,45 € abgerechnet werden kann. Tabelle 1: 8-918 Multimodale Schmerztherapie, Erläuterung Hier ist eine mindestens siebentägige interdisziplinäre Behandlung von Patienten mit chronischen Schmerzzuständen (einschließlich Tumorschmerzen) unter Einbeziehung von mindestens zwei Fachdisziplinen, davon eine psychiatrische, psychosomatische oder psychologische Disziplin, nach Behandlungsplan mit ärztlicher Behandlungsleitung bei Patienten zu kodieren, die mindestens drei der nachfolgenden Merkmale aufweisen: • Manifeste oder drohende Beeinträchtigung der Lebensqualität und/oder der Arbeitsfähigkeit • Fehlschlag einer vorherigen unimodalen Schmerztherapie, eines schmerzbedingten operativen Eingriffs oder einer Entzugsbehandlung • Bestehende/r Medikamentenabhängigkeit oder Fehlgebrauch • Gravierende psychische Begleiterkrankung • Gravierende somatische Begleiterkrankung Dieser Kode erfordert eine interdisziplinäre Diagnostik durch mindestens zwei Fachdisziplinen (obligatorisch und eine psychiatrische, psychosomatische oder psychologische Disziplin) sowie die gleichzeitige Anwendung von mindestens drei der folgenden aktiven Therapieverfahren: Psychotherapie (Verhaltenstherapie), spezielle Physiotherapie, Entspannungsverfahren, Ergotherapie, medizinische Trainingstherapie, sensomotorisches Training, Arbeitsplatztraining, Kunst- oder Musiktherapie oder sonstige übende Therapien. Er umfasst weiter die Überprüfung des Behandlungsverlaufs durch ein standardisiertes therapeutisches Assessment mit interdisziplinärer Teambesprechung. Die Anwendung dieses Kodes setzt die Zusatzqualifikation „Spezielle Schmerztherapie“ bei der/dem Verantwortlichen voraus. Tabelle 2: 8-919 Komplexe Akutschmerzbehandlung, Erläuterung • Dieser Kode umfasst die Einleitung, Durchführung und Überwachung einer speziellen Schmerztherapie oder Symptomkontrolle bei Patienten mit schweren akuten Schmerzzuständen (z.B. nach Operationen, Unfällen oder schweren, exazerbierten Tumorschmerzen) mit einem der unter 8-910 bis 8.911 genannten Verfahren, mit kontinuierlichen Regionalanästhesieverfahren (z.B. Plexuskatheter) oder parenteraler patientenkontrollierter Analgesie (PCA) durch spezielle Einrichtungen (z.B. Akutschmerzdienst) mit mindestens zweimaliger Visite pro Tag. • Der Kode ist auch bei Tumorschmerzen anzuwenden, bei denen akute Schmerzexazerbationen oder Therapieresistenz von tumorbedingten oder tumorassoziierten Schmerzzuständen im Vordergrund des Krankheitsbildes stehen und den Einsatz spezieller schmerztherapeutischer Verfahren und Techniken erfordern. • Die Anwendung dieses Kodes erfordert die Dokumentation von mindestens drei Aspekten der Effektivität der Therapie (Analgesie, Symptomintensität, Symptomkontrolle, Ermöglichung aktiver Therapie). • Der Kode ist nicht anwendbar bei Schmerztherapie nur am Operationstag. 23 DRG-System und Überzeugungen und daraus abgeleitetes Handeln entwickelt sich auf den Stationen erfahrungsgemäß verzögert. In Modellrechnungen geht man davon aus, dass pro eine Million zu versorgende Einwohner 50 Palliativbetten notwendig sind. Rechnet man die durchschnittliche Versorgungsdichte von 200 000 Einwohnern pro mittlerem Krankenhaus, so würden zehn Palliativbetten für ein derartiges Krankenhaus notwendig sein. Geht man von einer Auslastung von 85% und einer durchschnittlichen Verweildauer von 16 Tagen aus, so kann man mit 250 Fällen pro Jahr und Krankenhaus rechnen. Organisiert das Krankenhaus einen dezentral arbeitenden Palliativdienst (pallia- tivmedizinisches Konsil), dann würden dem Krankenhaus, sofern man von einer zusätzlichen Behandlung der durch die Kostenträger bereitgestellten Mittel bei bisheriger Deckelung der Krankenkasseneinnahmen ausgeht, ca. 250 000,00 € zur Verfügung stehen. Dieses könnte bedeuten, dass dem palliativmedizinischen Konsiliarteam eine Arztstelle (ca. 95 000,00 € pro Jahr), eine Palliativ-Care-ausgebildete Schwester (45000,00 € pro Jahr), ein Psychoonkologe (80 000,00 € pro Jahr) sowie eine halbe Stelle Kreativ-Therapeut (30 000,00 €) oder eine halbe Stelle Sozialarbeiter (30 000,00 €) finanzierbar wären. Zusätzliche physiotherapeutische Leistungen werden benötigt. Aus der praktischen Erfahrung sind die zur Tabelle 3: 8-982 Palliativmedizinische Komplexbehandlung, Mindestmerkmale • Aktive, ganzheitliche Behandlung zur Symptomkontrolle und psychosozialen Stabilisierung ohne kurative Intention und im Allgemeinen ohne Beeinflussung der Grunderkrankung von Patienten mit einer progredienten, fortgeschrittenen Erkrankung und begrenzter Lebenserwartung unter Einbeziehung ihrer Angehörigen und unter Leitung eines Facharztes mit der Zusatzweiterbildung Palliativmedizin (sofern diese noch nicht vorliegt, ist zur Aufrechterhaltung bereits bestehender palliativmedizinischer Versorgungsangebote übergangsweise bis zum Jahresende 2008 eine vergleichbare mindestens einjährige Erfahrung im Bereich Palliativmedizin ausreichend) • Aktivierend- oder begleitend-therapeutische Pflege durch besonders in diesem Bereich geschultes Pflegepersonal • Erstellung und Dokumentation eines individuellen Behandlungsplanes bei Aufnahme • Wöchentliche multidisziplinäre Teambesprechung mit wochenbezogener Dokumentation bisheriger Behandlungsergebnisse und weiterer Behandlungsziele • Einsatz von mindestens zwei der folgenden Therapiebereiche: Sozialarbeit/Sozialpädagogik, Psychologie, Physiotherapie, künstlerische Therapie (Kunst- und Musiktherapie), Entspannungstherapie, Patienten-, Angehörigen- und/oder Familiengespräche mit insgesamt mindestens sechs Stunden pro Patient und Woche in patientenbezogenen unterschiedlichen Kombinationen Abrechnung geforderten und für eine qualitativ hochwertige Patientenversorgung geforderten personellen Voraussetzungen in der beschriebenen Weise notwendig. Ausblick Gesundheitspolitisch ist eine Überwindung der starren Grenzen zwischen stationärer und ambulanter Versorgung ausgemachtes Ziel. Gerade auf dem Gebiet der Schmerztherapie und der Palliativmedizin ist durch enge Zusammenarbeit der stationär und ambulant tätigen Partner ein rationeller Umgang mit vorhandenen Ressourcen bei steigender Behandlungsqualität denkbar. In schmerztherapeutischen Qualitätszirkeln und Schmerzkonferenzen ist eine enge praktische Zusammenarbeit zwischen stationär und ambulant tätigen Kolleginnen und Kollegen längst Tradition. Im Bereich palliativmedizinischer Versorgung streben gerade Palliativstationen nach einer Kontinuität der Betreuung ihrer Patienten, welcher durch das verstärkte ambulante Wirksamwerden von Palliativ-Pflegediensten und Palliativ-Konsiliardiensten im Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbes in der GKV Rechnung getragen wird. Stationäre Schmerz- und Palliativmedizin ist auch unter den oben dargestellten Finanzierungsvoraussetzungen in aller Regel nicht kostendeckend erbringbar. Wollen wir in Krankenhäusern dennoch eine hochwertige Versorgung chronisch Schmerzkranker und palliativ zu versorgender Patienten erreichen, müssen alternative Finanzierungen über Fördervereine etc. genutzt werden. Eberhard Lux, Lünen Cannabinoidhaltige Arzneimittel – endgültiges Aus für die Therapie auf GKV-Basis? Nachdem die sog. Nikolaus-Entscheidung des BVerfG (Az. 1 BvR 347/98) vom 06.12.2005 (vgl. hierzu Heft 4/06, S. 20f.) die Hoffnung auf die Erstattung neuartiger, nicht bereits mit klinischen Studien höchster Evidenzklassen belegter Therapien zulasten der gesetzlichen Krankenkasse geweckt hatte, hat das BSG in einer aktuellen Entscheidung vom 27.03.2007 (Az. B 1 KR 30/06) nun die Erstattungsfähigkeit der Therapie eines chronisch schmerzkranken Patienten mit Cannabinol verneint. Dieses Urteil und die Hintergründe stellt Rechtsanwältin Heike Müller, Sindelfingen, vor. Der Fall Gegenstand der Entscheidung des Bundessozialgerichts war die Therapie eines durch 24 einen Motorradunfall querschnittsgelähmten und infolgedessen an einem chronischen Schmerzsyndrom leidenden Klägers. Auf- Heike Müller, Sindelfingen grund seines erheblichen Leidensdrucks hatte dieser bereits ernsthaft einen Suizid ins Auge gefasst. Der den Kläger behandelnde Arzt für SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.) Medizin und Recht Anästhesie und Spezielle Schmerztherapie hielt einen Therapieversuch mit Cannabinol für indiziert, nachdem die bisherige Schmerztherapie mit Opioiden keine ausreichende Reduktion der neuropathischen Schmerzen bewirken konnte. Die Entscheidung Der für die Krankenversicherung zuständige Erste Senat des Bundessozialgerichts lehnte einen Anspruch des Klägers auf Kostenerstattung für das cannabinoidhaltige Arzneimittel mit der Begründung ab, ein in Deutschland zugelassenes cannabinoidhaltiges Fertigarzneimittel existiere nicht. Die – allerdings nicht für den Bereich der Schmerztherapie – bestehende Arzneimittelzulassung des Fertigarzneimittels Marinol in den USA entfalte keine Rechtswirkungen für Deutschland und rechtfertige trotz des arzneimittelrechtlich zulässigen Arzneimittelimports nach § 73 Abs. 3 AMG keine Erstattungsfähigkeit des Arzneimittels. Auch als cannabinoidhaltiges Rezepturarzneimittel könne der Kläger die Erstattung nicht begehren, da es an der erforderlichen Anerkennung des Gemeinsamen Bundesausschusses gemäß § 135 Abs. 1 S. 1 SGB V für neue Therapiemethoden fehle. Ein Ausnahmefall, in dem trotz fehlender Empfehlung eine neuartige Therapie beansprucht werden könne, liege nicht vor, da es sich weder um einen sog. systematisch nicht erforschbaren Seltenheitsfall handle noch die fehlende Anerkennung des Gemeinsamen Bundesausschusses auf sachfremde oder willkürliche Erwägungen zurückzuführen sei. Die Voraussetzungen einer erweiterten Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für neuartige Therapiemethoden nach der Rechtsprechung des BVerfG verneinte der Senat mit der Begründung, das chronische Schmerzsyndrom des Klägers sei nicht mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden oder wertmäßig vergleichbaren Erkrankung gleichzustellen. Hintergründe Das Urteil des BSG lässt sich ohne Weiteres in die Reihe der in den letzten beiden Jahren ergangenen Urteile des BSG zur Erstattungsfähigkeit neuartiger Therapiemethoden einordnen und ist insoweit auch konsequent. Grundlage des den Erstattungsanspruch verneinenden Urteils ist die bislang noch ungenügende wissenschaftliche Erkenntnislage bezüglich der Wirksamkeit von Cannabinol zur Therapie chronischer Schmerzen. Insoweit handelt es sich bei der Therapie mit dem Arzneimittel noch um eine sich im Prüfstadium befindliche Behandlungsmethode. Gemäß § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V haben Qualität und Wirksamkeit der Leistungen im Rahmen der GKV jedoch dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen. Die Finanzierung der medizinischen Forschung ist demgegenüber nicht Gegenstand des Leistungskataloges der gesetzlichen Krankenversicherung. Insoweit ist jedoch zu beachten, dass durch einen Heilversuch im Einzelfall an sich keine medizinische Forschung betrieben wird. Deshalb hat das BVerfG einen Leistungsanspruch des Versicherten aus verfassungsrechtlicher Sicht auch dann anerkannt, wenn •eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vorliegt, •bezüglich dieser Krankheit keine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung zur Verfügung steht und •bezüglich der beim Versicherten ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode eine auf „Indizien gestützte“, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Vorliegend scheiterte ein Anspruch auf Kostenerstattung jedoch deshalb, da die chronische Schmerzkrankheit nach Auffassung des BSG nicht mit der vonseiten des BVerfG geforderten lebensbedrohlichen bzw. regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung auf eine Stufe gestellt werden kann. Nach Auffassung des BSG kann eine solche Gleichstellung allenfalls für den nicht kompensierten Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion erfolgen. Ausblick Es ist zu vermuten, dass auch das BVerfG in dem zu entscheidenden Fall einen Kostenerstattungsanspruch des Klägers ablehnen wird, möchte es nicht riskieren, dass die vom Gesetzgeber bewusst gezogenen Grenzen der Erstattungsfähigkeit von neuartigen Therapiemethoden im Rahmen der GKV weiter verwässert werden und damit die Leistungsfähigkeit des gesetzlichen Krankenversicherungssystems gefährdet wäre. Der behandelnde Arzt steht in diesen Fällen vor einem ethischen Dilemma. Rechtlich kann aus der Entscheidung jedoch nur die Konsequenz gezogen werden, Cannabinol auf Privatrezept zu verordnen und den Patienten über die fehende Erstattungsfähigkeit durch die gesetzliche Krankenversicherung aufzuklären. Insoweit befindet sich der behandelnde Arzt sowohl haftungsrechtlich als auch strafrechtlich auf der sicheren Seite, da er nicht verpflichtet ist, ein sich noch im Erprobungsstadium befindendes Arzneimittel einzusetzen. Heike Müller, Sindelfingen SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.) 25 Bücherecke Schmerzen am Bewegungsapparat Mit Biofeedback gegen Kinderschmerzen Schmerztherapie am Bewegungsapparat Markus Schiltenwolf/Peter Henningsen: Muskuloskelettale Schmerzen – Diagnostizieren und Therapieren nach biopsychosozialem Konzept; XVII, 321 S., m. 95 Abb., geb., € 59,95, 2006, ISBN 978-3-7691-0475-2, Deutscher Ärzte-Verlag, Köln. Ingrid Pirker-Binder: Biofeedback in der Praxis. Band 1 Kinder. XVIII, 182 S., 50 Abb., brosch., € 29,90, 2006, ISBN 3-211-29190-3, Springer Wien, New York. Jürgen Heisel, Jörg Jerosch: Schmerztherapie der Halte- und Bewegungsorgane. Allgemeine und spezielle Schmerztherapie. 2007, XV, 390 S., 247 illustr., geb., ISBN: 978-3-540-29890-8, Springer Verlag, Heidelberg. Bereits die unterschiedlichen Fachgebiete der beiden Herausgeber Prof. Dr. med. Marcus Schiltenwolf, Orthopäde und Schmerztherapeut, sowie Prof. Dr. med. Peter Henningsen, Neurologe und Psychiater sowie Direktor der psychosomatischen Medizin der TU München, garantieren, dass die Schmerzen am Bewegungsapparat in diesem Buch biopsychosozial diagnostiziert und multimodal therapiert werden. In eigenen Kapiteln werden die Behandlungsformen zuerst isoliert und dann gemeinsam im multimodalen Konzept erörtert. Abgerundet wird das Buch von einer Leitlinie zur Begutachtung von Schmerzen. Sicher für Schmerztherapeuten eine Bereicherung, um bei der multimodalen Therapie alle Möglichkeiten vor AuStK gen zu haben. Biofeedback ist in der Pädiatrie beileibe nicht nur bei Kopfschmerzen ein probates Verfahren. Die Wiener Biofeedbackexpertin Ingrid Pirker-Binder beschreibt in diesem Buch die breiten Indikationsgebiete des Biofeedbacktrainings. Ausgehend von dem Stellenwert im Schmerzmanagement und bei kindlichen Kopfschmerzen widmen sich weitere Kapitel dem Neurofeedback und Indikationen wie dem ADHS. Selbst für kleine Künstler und Sportler bietet sich mit dem Biofeedbacktraining eine elegante Methode, dem Leistungsdruck besser gewachsen zu sein. Dieses Buch ermuntert dazu, die präventiven Potenziale dieser Techniken bei Kindern mehr zu nutzen und richtet sich daher nicht nur an Biofeedbacktherapeuten, sondern auch an StK Pädiater, Lehrer und Eltern. Impressum Organ der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie Herausgeber Gerhard Müller-Schwefe, Schillerplatz 8/1, D-73033 Göppingen Tel. 07161/976476 · Fax 07161/976477 E-Mail: [email protected] Schriftleitung Thomas Flöter, Frankfurt; Olaf Günther, Magdeburg; Dietrich Jungck, Hamburg; Uwe Junker, Remscheid; Stephanie Kraus (verantw.), Stephanskirchen; Thomas Nolte, Wiesbaden; Reinhard Thoma, Tutzing; Michael Überall, Nürnberg Beirat Joachim Barthels, Bad Salzungen; Christoph Baerwald, Leipzig; Wolfgang Bartel, Halberstadt; Heinz-Dieter Basler, Marburg; Günter Baust, Halle/ Saale; Klaus Borchert, Greifswald; Burkhard Bromm, Hamburg; Kay Brune, Erlangen; Mathias Dunkel, Wiesbaden; Oliver Emrich, Ludwigshafen; Gerd Geisslinger, Frankfurt; Hartmut Göbel, Kiel; Henning Harke, Krefeld; Ulrich Hankemeier, Bielefeld; Winfried Hoerster, 26 Gießen; Stein Husebø, Bergen; Klaus Jork, Frankfurt; Edwin Klaus, Würzburg; Eberhard Klaschik, Bonn; Lothar Klimpel, Ludwigshafen; Bruno Kniesel, Hamburg; Marianne Koch, Tutzing; Bernd Koßmann, Wangen; Peter Lotz, Bad Lippspringe; Christoph Müller-Busch, Berlin; Robert Reining, Passau; Robert F. Schmidt, Würzburg; Günter Schütze, Iserlohn; Hanne Seemann, Heidelberg; Ralph Spintge, Lüdenscheid; Birgit Steinhauer, Limburg; Georgi Tontschev, Bernau; Roland Wörz, Bad Schönborn; Henning Zeidler, Hannover; Walter Zieglgänsberger, München; Manfred Zimmermann, Heidelberg In Zusammenarbeit mit dem Fachverband Schmerz, Verband Deutscher Ärzte für Algesiologie e.V., Deutsche Gesellschaft für Algesiologie e.V., Deutsche Gesellschaft für Algesiologische Fachassistenz e. V., Deutsche Akademie für Algesiologie, GAF Gesellschaft für algesiologische Fortbildung mbH, Deutsche Schmerz liga e.V., Verband ambulant tätiger Anästhesisten e.V., Gesamtdeutsche Gesellschaft für Manuelle Medizin e.V., Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes e.V. und Deutsche Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Mit der Annahme eines Beitrags zur Veröffentlichung erwirbt der Verlag vom Autor alle Rechte, insbesondere Bei diesem Lehrbuch über die Schmerztherapie der Halte- und Bewegungsorgane haben sich zwei Orthopäden aus dem konservativen und operativen Bereich zusammengetan, um die komplexe Schmerztherapie praxisnah darzustellen. Anschauliche Abbildungen und Tabellen erleichtern das Verständnis. Die Orthopädie verlangt ein funktionelles Denken. Daher ist es das erklärte Ziel der beiden Autoren, mögliche auslösende Ursachen akuter und chronischer Schmerzsyndrome im Bereich der Extremitäten und Wirbelsäule zu beleuchten und Richtlinien für eine sinnvolle Behandlung zu vermitteln. Für jeden Arzt, der sich mit den Schmerzsyndromen am Bewegungsapparat tagtäglich auseinandersetzen muss, eine empStK fehlenswerte Lektüre. das Recht der weiteren Vervielfältigung zu gewerblichen Zwecken mithilfe fotomechanischer oder anderer Verfahren. Die Zeitschrift sowie alle in ihr enthaltenen einzelnen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Bezugspreis: Einzelheft 12,– Euro Abonnement für 4 Ausgaben pro Jahr 40,– Euro (zzgl. Versand, inkl. MwSt.). Der Mitgliedsbeitrag des DGS schließt den Bezugspreis der Zeitschrift mit ein. Die Zeitschrift erscheint im 23. Jahrgang. Verlag © URBAN & VOGEL GmbH, München, Juni 2007 Leitung Medical Communication: Ulrich Huber (verantw.) Schlussredaktion: Dr. Brigitte Schalhorn Herstellung/Layout: Maren Krapp Druck: Vogel Druck und Medienservice GmbH & Co. KG, Höchberg Titelbild: GettyImages SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.) Der Fall aus der Schmerzpraxis Postzosterneuralgie Neuropathische Schmerzen nach Herpes zoster stellen oft eine besondere therapeutische Herausforderung dar. Neuere Studien belegen, dass das Stufe-III-Opioid Oxycodon den „klassischen“ Antikonvulsiva und Antidepressiva deutlich überlegen ist. Der Gabe von Oxycodon als FirstLine-Therapie standen bisher die gastrointestinalen Nebenwirkungen im Weg. Durch die Kombination von Oxycodon mit Naloxon in Targin® können diese Nebenwirkungen effektiv vermieden werden und damit steht für Postzosterneuralgie-Patienten eine gut verträgliche und hocheffi ziente Langzeittherapie zur Verfügung, zeigt der Fall aus der Göppinger Schmerzpraxis von Dr. Gerhard Müller-Schwefe. Der Praxisfall Die 72-jährige Patienten stellt sich im Frühjahr 2006 mit brennenden Schmerzen im Bereich des ersten und zweiten Trigeminusastes vor. Vorausgegangen war dort eineinhalb Jahre zuvor ein Herpes zoster. Die Medikation bei Erstvorstellung besteht aus Diclofenac achtstündlich 75 mg, Omeprazol 20 mg, Carbamazepin achtstündlich 400 mg, Gabapentin achtstündlich 800 mg und Amitriptylin 75 mg. Hierunter seien die Schmerzen auf der 100-Punkte-Scala VAS von 90 auf 70 zurückgegangen. Als Nebenwirkung störte die Patientin, dass sie tagsüber müde und gedämpft war, ohne nachts einen erholsamen Schlaf finden zu können. Daneben massive Obstipation. gang der Schmerzintensität auf 55 auf der visuellen Analogskala). Die Patientin litt jedoch von Beginn der Therapie an unter ausgeprägten Gleichgewichts- und Konzentrationsstörungen sowie Wortfindungsstörungen. Im Verlauf der darauf folgenden drei Monate kam es auch zu einer massiven Gewichtszunahme von insgesamt 8,5 kg bei deutlicher Flüssigkeitseinlagerung. Trotz diuretischer Zusatzmedikation weiterhin massive Flüssigkeitseinlagerung. Daneben auch unter Laxanzientherapie anhaltende Obstipation. Angesichts der ausgeprägten Verträglichkeitsprobleme wurde Pregabalin abgesetzt und durch Oxycodon in einschleichender Dosierung ersetzt, anfangs zwölfstündlich 5 mg, bei unzureichender Wirkung zwölfstündlich 10 mg und nach zehn Tagen in einer Dosis von zweimal täglich 20 mg. Hierunter trat eine deutliche Verbesserung der Schmerzsituation ein mit durchschnittlichen Schmerzintensitätswerten von 10 auf der VAS (Erträglichkeitsniveau 12). Die Gleichgewichts- und Konzentrationsstörun- Befund Im Bereich des ersten und zweiten Trigeminusastes rechts fand sich eine ausgeprägte Berührungs- und Druckempfindlichkeit (dynamische und statische Allodynie), im betroffenen Areal narbige Veränderungen nach abgelaufenem Herpes zoster. Die müde und depressiv wirkende Patientin konnte dem Anamnesegespräch nur mühsam folgen, weil ihr immer wieder die Augen zufielen. Therapie und Verlauf Zunächst wurde nach Absetzen von Diclofenac Gabapentin gegen Pregabalin ausgetauscht mit einer Zieldosis von zwölfstündlich 300 mg. Hierunter kam es zu einer deutlichen Besserung der Schmerzsymptomatik (Rück- SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/2007 (23. Jg.) Müller-Schwefe Diagnose Die Patientin litt an einem über eineinhalb Jahre chronifizierten Schmerzsyndrom (Chronifizierungsstadium II) bei Postzosterneuralgie im ersten und zweiten Trigeminusast rechts sowie unter einem massiven algogenen Psychosyndrom, daneben unter medikamenteninduzierter Obstipation. Narben im Bereich Trigeminusast 1 und 2. gen waren innerhalb einer Woche vollständig verschwunden, der Nachtschlaf deutlich verbessert, sodass nach zwei Wochen Carbamazepin zusätzlich ausgeschlichen werden konnte. Die bei der Patientin vorbestehenden gastrointestinalen Nebenwirkungen bestanden allerdings weiterhin und konnten trotz der Gabe von Macrogol sowie täglich 15 mg Bisacodyl nicht zufriedenstellend beherrscht werden. Im Oktober 2006 bestand unter noch zwölfstündlich 20 mg Oxycodon weiterhin eine gute und für die Patientin ausreichende Schmerzlinderung, die gastrointestinale Situation hatte sich allerdings keineswegs entschärft. Deshalb erfolgte die Umstellung auf Oxycodon 20 mg/Naloxon 10 mg zwölfstündlich. Innerhalb der ersten Woche nach der Umstellung kam es bei der Patientin zu massiven Diarrhöen. Auf intensives Nachfragen stellte sich heraus, dass die Patientin aus Angst vor der ihr bekannten Obstipation weiter Macrogol und Natriumpicosulfat eingenommen hatte. Nach Absetzen der Laxanzien kam es unter Targin® in den darauf folgenden sieben Tagen zu einer vollständigen Normalisierung der Darmfunktion mit jetzt normal geformten Stuhlgängen alle zwei Tage. Die Schmerzintensität der neuropathischen Schmerzen blieb weiterhin bei 10–12 und entsprach damit dem individuellen Behandlungsziel der Patientin. Diskussion Gastrointestinale Nebenwirkungen wie Darmatonie, Obstipation, Blähungen und Krämpfe sind nicht nur eine Nebenwirkung von stark wirksamen Opioiden, sondern ebenso von anderen Substanzen, die zur Behandlung neuropathischer Schmerzen eingesetzt werden. Dies trifft sowohl für Carbamazepin als auch für Pregabalin und trizyklische Antidepressiva zu. Daneben können Einschränkungen kognitiver Funktionen wie auch Flüssigkeitsretention die Langzeittherapie mit diesen Substanzen einschränken. Durch die Umstellung auf die innovative Kombination von Oxycodon mit Naloxon in Targin® kann ohne Verlust der Wirksamkeit bei neuropathischen Schmerzen eine Langzeitbehandlung durchgeführt werden, bei der Nebenwirkungen des Magen-Darm-Traktes die Therapie nicht mehr einschränken. Zudem können Kosten eingespart werden für jetzt nicht mehr notwendige Laxanzien (durchschnittlich am Tag 2,77 Euro). Targin® gewährleistet somit eine hervorragende Analgesie bei deutlich reduzierten Nebenwirkungen sowie wesentlich günstigeren Tagestherapiekosten. 27