stark im kommen: hamburgs biotechnologie
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stark im kommen: hamburgs biotechnologie
STARK IM KOMMEN: HAMBURGS BIOTECHNOLOGIE-BRANCHE BOOMT von Arne Rössel, Handelskammer Hamburg in HAMBURGER WIRTSCHAFT 5/99 Die Biotechnologiebranche gewinnt auch in Hamburg an wirtschaftlicher Bedeutung. Bestehende Medizintechnik- und Pharma-Unternehmen sowie Analytiklabore setzen verstärkt auf biotechnologische Produkte und Anwendungen. Zudem siedeln sich immer mehr BioTech-Unternehmen in Hamburg an oder werden aus den Hamburger biotechnologischen Forschungseinrichtungen heraus gegründet. Eine Hamburger Stärke besteht in den biotechnologischen Bereichen der Medizin (Therapeutika und Diagnostika) – korrespondierend zur traditionellen Bedeutung der Medizintechnik- und Pharma-Unternehmen. Diese Unternehmen profitieren von der Nähe zu den anwendungsnahen Forschungsinstituten wie dem Bernhardt-Nocht-Institut für Tropenkrankheiten, dem Heinrich-Pette-Institut für experimentelle Virulogie und Immunlogie oder dem Institut für Hormon- und Fortpflanzungsmedizin an der Universität Hamburg (IHF) sowie dem Universitäts-Krankenhaus-Eppendorf (UKE). Die EVOTEC BioSystems AG beispielsweise will ein führendes Unternehmen der Wirkstoffforschung werden – mit High-Tech und Innovation durch interdisziplinäre Teams in enger Kooperation unter anderem mit dem IHF. Der Börsengang dieses 1993 gegründeten und auch vom Bundesforschungsministerium geförderten Unternehmens ist für Mitte diesen Jahres geplant*. Mit EVOscreen, einer industriell automatisierten Prüfanlage, soll die Pharmaforschung revolutioniert werden. Durch die konsequente Umsetzung wissenschaftlicher Entwicklungsleistungen auf den Gebieten der Einzelmolekül-Spektroskopie, Optik, Signalverarbeitung, Mikrosystemtechnik, Robotik und Automatisierung werden Maßstäbe im miniaturisierten, hocheffizienten Screening gesetzt. Hierfür waren z.B. die Entwicklung miniaturisierter und hochverdichteter Probenträger und die Konstruktion von Verteilerelementen für kleinste Flüssigkeitsmengen im Bereich von milliardstel Litern notwendig. Diese Aufgabe ist nur durch ein interdisziplinäres, mittlerweile mehr als 150köpfiges Team aus Biologen, Chemikern, Physikern, Ingenieuren, Informatikern, Mathematikern, Feinmechanikern und Robotikexperten zu bewältigen. Mitgeholfen hat aber auch die F&B Automation GmbH, eine Spezialmaschinenbaufirma von zwei Absolventen der Fachhochschule Hamburg. Neben dem IHF sind auch die anderen Forschungseinrichtungen Impulsgeber. Die artus Gesellschaft für molekularbiologische Diagnostik und Entwicklung mbH ist 1998 von Mitarbeitern des Bernhard-Nocht-Instituts gegründet worden. Sie beschäftigt sich mit neuen Verfahren zum schnellen und hochempfindlichen Nachweis von Krankheitserregern. Einsatzmöglichkeiten liegen vor allem im Bereich der menschlichen Erregerdiagnostik, der Lebensmittel- und Umweltuntersuchungen. 1 Das 1900 gegründete Hamburger Tropeninstitut selbst entwickelt in Kooperation mit verschieden Unternehmen der pharmazeutischen Industrie Systeme zur Bekämpfung von Tropen- und anderen seltenen Infektionskrankheiten. Hierzu werden moderne Methoden der Gen- und Biotechnologie angewandt. Die Ende 1997 von Wissenschaftlern und Ärzten vom Heinrich-Pette-Institut und vom UKE zusammen mit dem Pharma-Unternehmer Dr. Strathmann als Risikokapitalgeber gegründete CellTec GmbH ist das erste Zentrum für innovative Zell- und Gentherapie in Norddeutschland. Ziel ist die Umsetzung biotechnologischer Ergebnisse aus der Grundlagenforschung in die Praxis für die Behandlung von Krebs-, Stoffwechselerkrankungen und AIDS. Das Investitionsvolumen für die rund 250 qm Laborfläche beträgt rund 10 Millionen DM. Die im Herbst 1998 gegründete mice&more GbR ist derzeit noch am Heinrich-Pette-Insitut angesiedelt. Ihre Geschäftsidee besteht in dem Vermarkten von Dienstleistungen, die in dem Einführen eines neuen Gens oder dem gezielten Ausschalten eines spezifischen Gens im Erbgut der Maus und der sich daraus ergebenden Einsatzmöglichkeiten in der Krebsforschung bestehen. Bis Ende diesen Jahres wird diese Firma 12 Mitarbeiter beschäftigen. Die BioTech-Branche zeichnet sich auch durch forschungsintensive Unternehmen aus. In Hamburg zählen hierzu beispielsweise: Die Genion Forschungsgesellschaft mbH. Sie betreibt in der Nähe des Zentrums für Molekulare Neurobiologie des UKE Auftragsforschung auf den Gebieten der Molekularbiologie, Elektrophysiologie und der Entwicklung von innovativen Testsystemen zur Gewinnung neuer Arzneistoffe z.B. auf den Gebieten der Neuro- und der Herz-KreislaufPharmakologie. Die BioSkin GmbH. Sie wurde 1992 gegründet und hat sich als unabhängiges Auftragsforschungsinstitut etabliert. Das Leistungsprofil ist auf den Bereich Haut spezialisiert und auf die Anforderungen pharmazeutischer und kosmetischer Unternehmen abgestimmt, die externe Forschungs- und Entwicklungskapazität nutzen wollen. Die Dr. Brill+Partner GmbH. Sie bietet mit ihrem Labor für Hygiene und Mikrobiologie Problemlösung aus einer Hand an. Der Firmengründer Dr. Holger Brill hat sich 1995 nach mehr als 20 Jahren Industrieerfahrung selbständig gemacht und beschäftigt mittlerweile 4 Mitarbeiter Die Natec GmbH. Sie prüft seit mehr als 25 Jahren Lebensmittel, Kosmetika, Pharmazeutika, Gebrauchsgegenstände und Medzinprodukte nach mikrobiologischen, sensorischen, chemisch/ physikalischen Kriterien und genetischen Veränderungen. Das Natec-Team besteht aus Chemikern, Mikrobiologen und Biologen und gehört zur SGS-Gruppe, der weltgrößten Organisation für Inspektion, Überprüfung und Qualitätssicherung. Neben Produktion und Forschung spielt auch der Handel mit Grundstoffen für biotechnologische Prozesse und Entwicklungen eine wichtige Rolle. Die 1968 gegründete und seit 1988 in Hamburg ansässige Biomol Feinchemikalien GmbH vertreibt über 4.500 Spezialprodukte für die biotechnologische Forschung. Die Spezialität der 1990 geründeten BIOZYM Gesellschaft für Enzymtechnologie mbH sind der Handel mit Enzymen der Bauchspeicheldrüse. Die norwegische Firma Dynal, die biotechnologische Verfahren zur schnellen und einfachen Zellisolierung entwickelt hat ihre deutsche Vertriebsniederlassung in Hamburg. Von hier aus werden neben den Dynal-Produkten der technische Kundenservice, Literaturrecherche und Produktschulungen angeboten. Die Dr. Thomas Luessmann Marketing Services Biotechnology bietet seit 1995 spezielle Marketing-Dienstleistungen im Biotechnologie-Bereich an. 2 Die Firma DCS-Innovative Diagnostik-Systeme hat sich auf die Einführung und den Vertrieb von innovativen Produkten für die Labor-Analytik konzentriert. Mit ihrem ersten eigenen Produkt, dem ATP-Tumorchemosensitivitäts-Assay, wurden bereits erste Behandlungserfolge bei Krebspatienten erzielt. Hamburger BioTech-Unternehmen der ersten Stunde sind Sequenom und IBL. Die Sequenom GmbH hat eine Technologie entwickelt, die im Bereich der vergleichenden Genomforschung Anwendung findet. Hiervon erhofft sich insbesondere die pharmazeutische Industrie neue, effizientere Identifizierungs- und Entwicklungsmöglichkeiten von Arzneistoffen, Diagnosestellungen und Behandlungsformen. Die IBL Gesellschaft für Immunchemie und Biologie mbH entwickelt, produziert und vertreibt seit 1983 immunologische Reagenzien für medizinische-diagnostische Laboratorien und für Forschungseinrichtungen. Viele IBL-Produkte entstammen unterschiedlichen Kooperationen mit führenden Kliniken oder Forschungsinstituten. Die meisten IBL-Mitarbeiter sind Biochemiker. In Hamburg sind zudem mehrere Unternehmen angesiedelt, die verstärkt auch biotechnologisches Know-How einsetzen. Beispiele hierfür: Der Anlagenbauer Norddeutsche-FilterVertriebs-GmbH ist auf die physikalisch-mechanische Mehrphasentrennung insbesondere ölhaltiger Abwässer mit feinsten Filtrationstechniken spezialisiert, die mikrobiologischen Stufen enthalten. Die 1945 aus dem UKE hervorgegangene Medizintechnikfirma EppendorfNetheler-Hinz GmbH ist heute mit mehr als 1.000 Mitarbeitern weltweit Zulieferant von Biotechnologielabors. Zum Programm gehören Geräte und Verbrauchsmaterialien zum Pipettieren, Dispensieren, Zentrifugieren und Konzentrieren sowie verstärkt die Produktlinie DNA-Handling mit Bereichen wie Nukleinsäureisolierung oder Markierung und Detektion. Die medac Gesellschaft für klinische Spezialpräparate mbH ist ein in die Bereiche Therapeutika und Diagnostika gegliedertes Pharma-Unternehmen. 1970 gegründet, besteht seit 1997 eine Allianz mit der Schering AG, geforscht und produziert wird in Hamburg. Mit den Geschäftsfeldern Onkologie, Basistherapeutika, Urologie und Hämatologie konnte 1997 mit rund 300 Mitarbeitern ein Umsatz von 133,5 Millionen DM erzielt werden. Hamburgs boomende Biotechnologiebranche hat gute Zukunftsausssichten. Eine noch stärker auf Interdisziplinarität und Projektmanagement ausgerichtete Hochschulausbildung können den Personalnachwuchs verbessern. Ein biotechnologisches Gründer- und Projektentwicklungszentrum, wie es mit der BioAgency derzeit vorbereitet wird, kann mithelfen, den Rückstand Hamburgs bei der Anzahl der Firmenansiedlungen abzubauen. 3