Hollywood ohne Schranken

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Hollywood ohne Schranken
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Hollywood ohne Schranken
RED DuST
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Filme der Jahre 1931–1934 vor der Einführung
des Production Code
Vom Anbeginn des Kinos hatten die Hüter der Moral in
den USA ein wachsames Auge auf den Film und dessen Beitrag zum Kulturverfall. Die Mächtigen in der
Filmindustrie dagegen befürchteten, dass Proteste
»von unten« letztlich ihren Weg in die Gesetzgebung finden und in einer staatlichen Zensur münden könnten –
mit katastrophalen Auswirkungen auf das Filmgeschäft.
Daher strebten sie stets eine Selbstregulierung an. Hierfür wurden im Lauf der Zeit diverse Institutionen ins
Leben gerufen, so die Motion Picture Producers and
Distributors of America (MPPDA, 1922), der Hays Code
(1930), die Motion Picture Association of America
(MPAA, 1968). Die drastischsten Folgen für Hollywood
ergaben sich aber aus der Einrichtung der Production
Code Administration (PCA) im Jahr 1934.
Der Begriff »Pre-Code« bezeichnet nicht ein Genre,
sondern den Zeitraum zwischen der Annahme des
Hays Code, die ohne größere Auswirkungen blieb, und
der Einführung der PCA, die den Code tatsächlich wirksam durchsetzen konnte. Dieser Abschnitt umfasst
einige wenige äußerst fruchtbare Jahre, in denen die
Studios immer offener und mutiger die Grenzen von
Anstand und Schicklichkeit erweiterten und auf die
Probe stellten. Es wäre jedoch wenig sinnvoll, jeden
Film, der zwischen 1930 und 1934 entstand, als »PreCode« zu bezeichnen; dazu ist noch etwas mehr nötig.
Das Kino der Weltwirtschaftskrise wird gerne als ein Ort
betrachtet, an dem das Publikum kurz die Alltagssorgen vergessen konnte, doch die Filme dieser Reihe
widerlegen diese Sichtweise eindeutig. Vielmehr zeichneten die Studios damals ein wesentlich realistischeres
Amerikabild als je zuvor. An erster Stelle ist hier Warner
Bros. mit tagesaktuellen Stoffen zu nennen, doch auch
bei der glamourösen MGM ließ man die unerbittliche
Realität des Alltags in die Traumfabrik hinein. Die Filme
lösten einen Entscheidungskampf über die Filmzensur
aus, der im Grunde auf einen Skandal aus früheren
Jahren zurückging.
Um die Jahreswende 1921/1922 war das Image der
Filmindustrie schwer angeschlagen. Wenige Monate
zuvor hatte ein Skandal um den beliebten Komiker Roscoe ›Fatty‹ Arbuckle die Industrie erschüttert. Weitere
über die Verzögerungen alles andere als erfreut waren.
Gerade die Unbeweglichkeit des bürokratischen Verfahrens in einer wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Krise wie der Great Depression ermöglichte also
ganz direkt eine besonders lebendige und kreative
Phase der Filmgeschichte, aus der zahlreiche Stars hervorgingen, deren Leinwandpersönlichkeiten für immer
in ihren Pre-Code-Filmen wurzelten.
Kein Hollywoodstudio fing den Zeitgeist so schwungvoll
und mitreißend ein wie Warner Bros. Unser Bild von diesem Studio ist so stark durch dessen sozial engagierte
Filme geprägt (Gangsterfilme, Gefängnisfilme, gesellschaftskritische Filme und so fort), dass die Annahme
nahe liegt, man hätte dort nur knallharte Gegenwartsstoffe aufgegriffen. Aber wir dürfen nicht vergessen,
dass die Warner Bros. der Weltwirtschaftskrise jede
Menge Fließbandware produzierten: Die Filme, die wir
mit dem Studio verbinden und die das Image heute prägen, stellen nur einen kleinen Anteil der Gesamtproduktion dar, doch diese wirklichkeitsnahen Dramen waren
dem Studio besonders wichtig, sie sind im kollektiven
Gedächtnis verankert, und ihnen widmet man Retrospektiven. Die Liste der Warner-Filme, die 1933 im
Strand Theater in New York und im Hollywood Theater
in Los Angeles liefen (den größten Warner-Kinos mit
jeweils 2800 Plätzen), spricht Bände. Neben gelegentlichen Ausreißern wie MARY STEVENS, M.D. mit Kay
Francis dominieren ganz andere Filme: 20,000 YEARS
IN SING SING mit Spencer Tracy, THE MAYOR OF HELL
mit James Cagney, WILD BOYS OF THE ROAD mit Frankie Darro, THE WORLD CHANGES mit Paul Muni und
die drei sagenhaften Musicals, die die Wirtschaftskrise
ins Zentrum stellen, 42ND STREET, GOLD DIGGERS OF
1933, FOOTLIGHT PARADE.
Bleibt die Frage: Warum? Wieso stellte Warner Bros.
diese Art Filme besonders heraus? Manche Gründe
waren wirtschaftlicher Natur: Gegenwartsstoffe verlangten nicht nach aufwändigen Kostümen oder Bauten. Es gab auch einen Rückkopplungseffekt: Biss das
Publikum bei bestimmten Stoffen oder Werbekampagnen an, dann produzierte das Studio mehr davon. Im
Warner-Universum wurde den Zuschauern eine Welt
gezeigt, die sie kannten (oder die sie zumindest über
Elemente wie moderne Städte, Kleidung, Moralvorstellungen wiedererkannten), und die Reaktion fiel durch
die Bank positiv aus. Der Kreis drehte sich weiter.
Außerdem waren Warner Bros. unter den Hollywoodstudios die stärksten Befürworter des New Deal. Die progressive Wirtschaftspolitik, die unter Franklin D. Roosevelt ab März 1933 ein vielfältiges Maßnahmenbündel
gegen die Wirtschaftskrise aufbot, baute auf Förderung,
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Geschichten von Orgien mit Drogen- und Alkoholexzessen füllten die Skandalblätter. Im Februar wurde der
Regisseur William Desmond Taylor ermordet; der Fall
ist bis heute nicht aufgeklärt.
Der US-Kongress berief einen Untersuchungsausschuss ein. Nichts bringt Industriebarone so schnell auf
Linie wie die Drohung staatlicher Aufsicht, und das galt
auch für die Filmmogule des Jahres 1922. Sie beriefen
einen unangreifbaren Vertreter der Wohlanständigkeit
zum Vorstand einer neu zu schaffenden Institution: Will
Hays, Diakon der presbyterianischen Kirche, ehemaliger Parteivorsitzender der Republikaner, Wahlkampfmanager des amtierenden Präsidenten Harding und zuletzt Postminister.
Als Leiter der Motion Picture Producers and Distributors of America (MPPDA) sollte Hays die drohende
staatliche Einmischung abwenden. Keine einfache Aufgabe, denn die Einzelstaaten hatten alle ihre eigenen
Zensurbehörden mit weit divergierenden Vorgaben.
Was in manchen Staaten locker durchging, war in anderen streng verboten. Oft waren Filmkopien, wenn sie
beispielsweise aus Kentucky zurückkamen, so zerstückelt, dass sie nicht mehr brauchbar waren. Dieses
Vorgehen kostete die Studios jedes Jahr viele Millionen
Dollar – ein weiteres gewichtiges Argument zugunsten
einer gemeinsamen Linie.
Man muss Hays zugute halten, dass er die ganzen
1920er-Jahre hindurch den Einfluss der strengsten
Puritaner wirksam eindämmte. Gemeinsam mit den
Studios, den Kirchen und etlichen Reformbewegungen
konnte er am Ende des Jahrzehnts ein Regelwerk vorlegen, das offiziell als »Motion Picture Production Code«
bezeichnet wurde, im Volksmund den Namen »Hays
Code« trug und umgangssprachlich unter »Don’ts and
Be Carefuls« lief. »Don’ts« waren Inhalte wie Empfängnisverhütung, Geschlechtskrankheiten, Homosexualität,
»Rassenmischung«, Gotteslästerung oder »Verhöhnung
von Geistlichen«. Weitaus länger war die Liste der »Be
Carefuls«, darunter so unterschiedliche Dinge wir
Brandstiftung, chirurgische Eingriffe oder auch Verständnis für Kriminelle. Ferner galt: »Die Flagge ist
stets respektvoll zu behandeln« und »Die Arbeit der Gerichte sollte nicht als ungerecht dargestellt werden«.
Angesichts des Zusammenspiels von Production Code
und Zensurbehörden der Einzelstaaten möchte man annehmen, dass Filme ab 1930 Muster an Sauberkeit
und Anstand wären. Tatsächlich konnte die MPPDA rein
gar nichts ausrichten, hatte sie doch viel zu wenig Personal zur Überprüfung der Massen an Treatments,
Drehbüchern und fertigen Filmen, geschweige denn
zum Aushandeln von Kompromissen mit Studios, die
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Aufschwung und Umgestaltung (»relief, recovery, and
reform«). Die Unterstützung des New Deal mag teilweise mit den vergleichsweise linken Neigungen der
Gebrüder Warner zusammenhängen – höchst ungewöhnlich für Eigentümer an Produktionsmitteln – aber
auch wenn Roosevelts Kritiker seine Politik gerne als
»sozialistisch« zu diffamieren versuchten, stand in der
Warner-Variante des New Deal doch stets mehr die
Initiative des Einzelnen im Zentrum als die nationale
Einheit oder die gemeinsame Anstrengung eines Kollektivs. FIVE STAR FINAL (1931) und EMPLOYEES’ ENTRANCE (1933) üben beißende Kritik an Unternehmern
und Meinungsmachern, doch mit Aufrufen zur Revolution wird man sie kaum verwechseln. Letzten Endes
sind sie so pro-amerikanisch wie YANKEE DOODLE
DANDY (1943).
Warren William, der Hauptdarsteller in EMPLOYEES’
ENTRANCE, spielte oft lässig-amoralische, tyrannische
Unternehmertypen mit großem Geschäftssinn und
brachte in diesen Rollen den Hang der Zeit zum Zynismus perfekt zum Ausdruck. Anders als etwa bei
Edward G. Robinson, James Cagney, Barbara Stanwyck, William Powell oder Carole Lombard, deren
bleibende Leinwandpersönlichkeiten ebenfalls in der
Pre-Code-Ära etabliert wurden, ging es mit Williams
Karriere nach 1934 steil abwärts. Ein ähnliches Schicksal ereilte Ruth Chatterton (die in FEMALE die weibliche
Variante eines Warren-William-Tycoons verkörperte)
und, in etwas milderer Form, Miriam Hopkins (DR. JEKYLL & MR. HYDE, 1932, DESIGN FOR LIVING, 1933).
In der Post-Code-Ära fand Warner Bros. keine geeigneten Vehikel mehr für William und Chatterton, während
Hopkins ihre Karriere primär selber durch ihre Rollenwahl sabotierte – und durch ihre schwierige Persönlichkeit im wirklichen Leben.
Als DESIGN FOR LIVING im Dezember 1933 herauskam, wurde der Hays Code bereits offen missachtet,
was nicht jedem gefiel. Manche verzweifelten angesichts des verbotenen Treibens, das auf der Leinwand
verherrlicht wurde, und der Zorn auf eine Industrie, die
in ihren Augen aus Perversion Profit schlug, wuchs.
Etliche Volksbewegungen sollten Druck auf die Filmindustrie ausüben, die mächtigste und einflussreichste
unter ihnen war die Catholic Legion of Decency (CLOD,
»Katholische Tugendliga«), die der Erzbischof von Cincinnati einige Monate zuvor ins Leben gerufen hatte.
Ihr Ziel war die Reinigung des Kinos, dafür verlangte sie
von ihren Mitgliedern ein feierliches Versprechen, nur
wahrhaft tugendsame Filme zu besuchen, die durch ein
eigenes Einstufungssystem klassifiziert wurden. Da die
Mitglieder tatsächlich ihr Gelübde hielten, wuchs der
Einfluss der CLOD exponentiell: Erhielt ein Film das vernichtende »C« (»condemned«), so war sein Schicksal
an der Kinokasse besiegelt. (Sechs Filme in dieser
Reihe wurden so eingestuft.)
War im Jahr 1932 THE SIGN OF THE CROSS noch komplett darauf angelegt gewesen, die Zensoren zu provozieren (und auch in dieser Hinsicht ein Riesenerfolg),
so löste nun 1933 BABY FACE einen landesweiten
Ansturm der Entrüsteten auf die Legion of Decency aus,
die durchsetzen konnte, dass der Film komplett sinnentstellend umgearbeitet wurde. Erst vor wenigen Jahren wurde die ursprüngliche Fassung wiederentdeckt,
die in dieser Reihe läuft.
Schon 1934 befanden sich in den Reihen der CLOD so
viele protestantische Mitglieder, dass sich die Organisation in National Legion of Decency umbenannte. Auch
die MPPDA merkte, woher der Wind wehte. Mitte 1934
wurde Joseph Breen Vorsitzender der neu gebildeten
Production Code Administration, deren Code er mit
strenger Hand durchsetzte. Schon unter dem Hays
Code mussten die Studios Drehbücher einreichen, aber
nun war die PCA unnachgiebig in ihren Änderungswünschen. Jeder Film eines MPPDA-Mitglieds musste eine
Zulassung erwirken, ehe er in die Kinos gebracht werden konnte. Wer das Gros der Filme mit Zulassung
spielen wollte, musste sich verpflichten, keine Filme
ohne Zulassung zu spielen.
Der Code hielt sich im Wesentlichen bis Mitte der
1950er, ehe er unter der Last der Paranoia und des
Überdrusses der Nachkriegszeit zusammenbrach. Ein
weiteres Jahrzehnt bestand er wirkungslos fort, bis
Mitte der 1960er-Jahre das MPAA Rating System mit
Altersfreigaben an seine Stelle trat, das mit geringfügigen Modernisierungen noch heute gilt. Mike Mashon
Der Preis der Freiheit
The Sin of Nora Moran (Die Sünde der Nora Moran)
| USA 1933 | R: Phil Goldstone | B: W. Maxwell Goodhue, Frances Hyland | K: Ira Morgan | M: Heinz Roemheld | D: Zita Johann, John Miljan, Alan Dinehart, Paul
Cavanagh, Claire Du Brey | 65 min | OF | Nora Moran
erwartet die Hinrichtung für einen Mord, den sie nicht
begangen hat. Ihr schweres, tragisches Leben entfaltet
sich in widersprüchlichen Rückblenden verschiedener
Beteiligter, in Erinnerungen, Träumen, Erzählungen. Die
Grenzen zwischen Selbstaufopferung und Manipulation
verschwimmen, aus Erotik wird sexualisierte Gewalt,
hinter scheinbar hehren Idealen steht nichts als Doppelmoral. Der Film nutzt seine Rückblenden und mehr-
Elaine sorgen sich um ihre haltlose 20-jährige Tochter
Monica, die eine Affäre mit einem verheirateten Mann
hat. Dann lernen sie die berühmte Fliegerin Cynthia
Darrington kennen, deren Selbstsicherheit zuerst auch
Monica mitreißt. Das Plakat versprach: »Higher and
higher! Faster and faster! She gave herself to the great
God Speed, and tried to run away from the fires within
her!« Die Regisseurin Dorothy Arzner hatte die längste,
stabilste und erfolgreichste Karriere einer Regisseurin
im von Männern dominierten Hollywood. Sie hatte sich
zunächst beim Produzenten David O. Selznick für
Katharine Hepburn eingesetzt, deren zweiter Filmauftritt und erste Hauptrolle dies war. Später drohte sie
Selznick, sie werde die Regie niederlegen, wenn die
eigensinnige Hepburn weiterhin ihre Regieanweisungen ignoriere.
▶ Sonntag, 13. September 2015, 21.00 Uhr
geformt und fließenden Veränderungen unterworfen.
Mal erscheint Noras Freundin und verkündet, »diesmal«
werde sie Nora nicht mit Geld aushelfen, vielleicht gehe
»es« dann anders aus. Dann wieder stellt Nora nach
einer traumatischen Szene die Frage »habe ich es diesmal richtig gemacht?«
▶ Freitag, 11. September 2015, 21.00 Uhr
Night Nurse (Nachtschwester) | USA 1931 | R: William A. Wellman | B: Oliver H. P. Garrett | K: Barney
McGill | D: Barbara Stanwyck, Ben Lyon, Joan Blondell,
Clark Gable, Blanche Friderici | 72 min | OF | Die Krankenschwester Lora Hart befolgt den Rat ihrer besten
Freundin Maloney: »Such Dir einen reichen Patienten
mit hohem Fieber und niedrigem Puls«. Sie findet eine
private Stellung in einem Haushalt mit zwei kranken
Kindern, deren Mutter ständig betrunken ist. Der brutale Chauffeur Nick scheint mit dem dubiosen Hausarzt
unter einer Decke zu stecken. Zu ihr hält neben ihrer
Freundin einzig ein Gangster, den sie während ihrer
Ausbildung in der Notaufnahme versorgt hatte. William
Wellman führt den Film durch drei grundverschiedene
Stimmungen: Zu Anfang scheint es vorwiegend darum
zu gehen, die Krankenschwestern beim An- und Auskleiden zu beobachten. Dann wird ein ernster Thriller
mit gesellschaftskritischen Untertönen daraus, und die
Auflösung mit leichter Hand ist gänzlich subversiv.
Verdrängte Wünsche
Dr. Jekyll and Mr. Hyde (Dr. Jekyll und Mr. Hyde) |
USA 1932 | R: Rouben Mamoulian | B: Samuel Hoffenstein, Percy Heath nach der Novelle von Robert Louis
Stevenson | K: Karl Struss | D: Fredric March, Miriam
Hopkins, Rose Hobart, Holmes Herbert, Halliwell Hobbes, Edgar Norton | 96 min | OF | Dr. Jekyll versucht,
»dunkle«, verdrängte Seiten der Psyche mittels einer
Droge an die Oberfläche zu bringen, um sich von ihnen
»reinigen« zu können. Als Mr. Hyde kann er endlich
alles ausleben, was dem braven Dr. Jekyll versagt war.
Mit subjektiver Kamera und sensationellen Verwandlungen in atmosphärischen Sets bindet Rouben Mamoulian uns unmittelbar ins Geschehen ein, doch dass wir
die Geschichte akzeptieren, ist primär das Verdienst
der Darsteller, allen voran Miriam Hopkins und Fredric
March. Mit drei Dutzend Sets, über 80 Schauspielern
und 500 Statisten drehte Mamoulian eine echte Prestigeproduktion, keinen kleinen Horrorfilm. Die Proteste
des Hays Office über »brutale und allzu suggestive«
Passagen wurden abgewiegelt, erst später wurde insgesamt eine Viertelstunde für Wiederaufführungen entfernt. Diese Szenen sind heute wieder vorhanden.
▶ Samstag, 12. September 2015, 21.00 Uhr
▶ Freitag, 18. September 2015, 21.00 Uhr ▶▶ Dienstag,
22. September 2015, 18.30 Uhr
Christopher Strong | USA 1933 | R: Dorothy Arzner |
B: Zoe Akins | K: Bert Glennon | M: Max Steiner | D:
Katharine Hepburn, Colin Clive, Billie Burke, Helen
Chandler, Ralph Forbes | 78 min | OF | Der Parlamentsabgeordnete Sir Christopher Strong und seine Gattin
Red Dust (Dschungel im Sturm) | USA 1932 | R:
Victor Fleming | B: John Lee Mahin | K: Harold Rosson |
D: Clark Gable, Jean Harlow, Mary Astor, Gene Raymond, Donald Crisp | 83 min | OF | Eine Kautschukplantage im schwülen Dschungel Indochinas. Das Verhält-
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fachen Erzählebenen zu einem unvergleichlich offenen
Blick auf seine Figuren; die Rückschau ist nie »objektiv«, sondern immer vom Bewusstsein der Gegenwart
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nis zwischen der Prostituierten Vantine und dem Plantagenbetreiber Dennis ist locker und unverbindlich. Die
Situation ändert sich mit dem Eintreffen seines neuen
Ingenieurs Gary, der unerwarteterweise von seiner Frau
Barbara begleitet wird. Die elegante, damenhafte Barbara ist für Dennis wie eine Verheißung. Er schickt Gary
prompt in die Wildnis, um Barbara für sich zu haben.
Eine kleine, enge, heiße Welt: Außer dem Beziehungsgeflecht existiert nur die Arbeit auf der Plantage und
das tropische Klima; selbst die Kautschukproduktion
wird zur sinnlichen Erfahrung. Monsun, Stürme, Tiger
im Dschungel – die erotischen Spannungen manifestieren sich in expressionistischer Form. RED DUST ist
einerseits ausgesprochen progressiv und verurteilt
keine seiner Hauptfiguren für ihre »unsittlichen« Handlungen; andererseits ist der Blick auf die Einheimischen
offen rassistisch und kolonialistisch.
▶ Samstag, 19. September 2015, 21.00 Uhr
King Kong (King Kong und die weiße Frau) | USA
1933 | R: Merian C. Cooper, Ernest B. Schoedsack | B:
James Creelman, Ruth Rose | K: Eddie Linden, Vernon
Walker, J. O. Taylor | M: Max Steiner | D: Fay Wray, Robert Armstrong, Bruce Cabot, Frank Reicher, Noble
Johnson | 100 min | OmU | Eine Filmcrew reist auf eine
abgelegene Insel und entdeckt dort »das achte Weltwunder«: Kong, einen riesigen Affen, der als Gott gefürchtet und verehrt wird. KING KONG ist durchdrungen
vom Geist der Weltwirtschaftskrise: Ein Filmemacher
unternimmt eine beschwerliche Expedition, weil den
Kinogängern das Geld nicht mehr so locker sitzt. Seine
Darstellerin entdeckt er, als sie vor Hunger kurz davor
ist, einen Apfel zu stehlen. Die Dschungelwelt der Insel
wirkt wie eine Allegorie auf sozialdarwinistische Thesen
der 1930er. Die rücksichtslose Jagd auf den Dollar
reduziert sogar eine Gottheit auf eine Ware. Die reichen
erotischen Anspielungen und die teils erstaunlich drastische Gewaltdarstellung wurden 1933 akzeptiert; erst
für Wiederaufführungen wurden mehrere Szenen entfernt, die dann für Jahrzehnte verloren waren und
heute wieder Teil des Films sind.
▶ Sonntag, 20. September 2015, 21.00 Uhr ▶▶ Mitt-
woch, 23. September 2015, 18.30 Uhr
Verlockung des Verbrechens
Little Caesar (Der kleine Cäsar) | USA 1931 | R:
Mervyn LeRoy | B: Francis Edwards Faragoh, Robert N.
Lee nach dem Roman von W. R. Burnett | K: Tony Gaudio | M: Erno Rapee | D: Edward G. Robinson, Douglas
Fairbanks Jr., Glenda Farrell, William Collier Jr., Sidney
Blackmer | 79 min | OF | Aufstieg und Niedergang des
rücksichtslosen Gangsters Rico Bandello. »Erstes großes Werk des amerikanischen Gangsterfilmkinos der
1930er-Jahre. Die herausragende Gestaltung der Titelrolle, der wache Blick für soziale Hintergründe und der
temporeiche, sachlich-knappe Inszenierungsstil machten den Film zum Prototyp eines Genres, in dem die gesellschaftlichen Umbrüche zur Zeit der Weltwirtschaftskrise beispielhaft zum Ausdruck kommen: Wo Politik
und Verwaltung versagen, wird der Gesetzlose zum
Antihelden, dessen Selbsthilfemaßnahmen wie eine
doppelbödige Umkehrung unternehmerischer Ideale erscheinen.« (Lexikon des Internationalen Films) Das
Hays Office war empört über die beiläufige Gewalt und
die erotische Zweideutigkeit, gab sich aber letztlich mit
ein paar Euphemismen zufrieden: Statt »Mother of
God« stöhnt Rico nun »Mother of Mercy«.
▶ Freitag, 25. September 2015, 21.00 Uhr
Scarface (Narbengesicht) | USA 1932 | R: Howard
Hawks | B: Ben Hecht, Seton I. Miller, John Lee Mahin,
W. R. Burnett | K: Lee Garmes, L. W. O’Connell | M:
Adolph Tandler | D: Paul Muni, Ann Dvorak, Karen
Morley, George Raft, Boris Karloff | 99 min | OmU | Tony
Camonte erkennt, dass Entschlossenheit und Konsequenz die Schlüssel zum Erfolg sind – auch im Organisierten Verbrechen: »Do it first, do it yourself, and keep
doing it.« Für SCARFACE, ein Amalgam aus dem
Capone-Mob und den Borgias, holten die Schöpfer Rat
bei echten Gangstern ein. Das Resultat war der formal
und stilistisch einflussreichste Gangsterfilm überhaupt,
seine strukturellen Mittel finden sich noch in Coppolas
THE GODFATHER. Für George Raft war die Rolle als
Tonys Partner Guino das Filmdebüt und zugleich der
Höhepunkt seiner Karriere. Dreh- und Angelpunkt der
Geschichte ist Tonys neurotische Beziehung zu seiner
Schwester Cesca. Dem Hays Office entging der in-
▶ Samstag, 26. September 2015, 21.00 Uhr
The Public Enemy (Der öffentliche Feind) | USA
1931 | R: William A. Wellman | B: Harvey Thew, Kubec
Glasmon, John Bright | K: Dev Jennings | D: James
Cagney, Jean Harlow, Edward Woods, Joan Blondell,
Mae Clarke, Beryl Mercer | 84 min | OF | Tom Powers
und Matt Doyle machen von klein auf krumme Geschäfte. Ihre große Chance kommt mit der Prohibition:
Sie steigen ins illegale Biergeschäft ein, bald ist Tom
ein gefürchteter Gangster. Tom und Matt waren ursprünglich umgekehrt besetzt; Cagney wurde während
der Dreharbeiten »befördert« und war eine Sensation
als Tom Powers. THE PUBLIC ENEMY schildert die Prohibitionszeit in ungekünstelten, authentisch wirkenden
Szenen und ist vielleicht nicht nur der ehrlichste, direkteste Film der Gangsterwelle, sondern auch – obwohl
die Gewalttaten allesamt außerhalb des Bildes stattfinden – der härteste, weil Cagney sich so in die Figur des
entbrannten Soziopathen Tom hineinwirft, dass er in
seiner Unerbittlichkeit unaufhaltsam wirkt: »Cagney
steps on the screen and modern screen acting begins.«
(Martin Scorsese)
determinierte und urteilsfreie Richtung weiterstrebt, die
Pflichtvorgaben der PCA von Schuld und Sühne als vollkommen irrelevant verwirft. Premiere einer neuen Restaurierung der Library of Congress.
▶ Donnerstag, 1. Oktober 2015, 19.00 Uhr | Einführungsvortrag: Mike Mashon
Baby Face | USA 1933 | R: Alfred E. Green | B: Gene
Markey, Kathryn Scola | K: James Van Trees | D: Barbara Stanwyck, George Brent, Donald Cook, Margaret
Lindsay, Alphonse Ethier, John Wayne | 76 min | OF |
Nick Powers betreibt eine Flüsterkneipe in einer Arbeiterstadt. Seine Tochter Lily vermietet er an seine
Kunden. Lily flieht nach Manhattan und beginnt, sich in
einer Großbank buchstäblich »hochzuschlafen«. Das
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▶ Sonntag, 27. September 2015, 21.00 Uhr
Aufsteiger und Abhängige
A Modern Hero | USA 1934 | R: G. W. Pabst | B: Gene
Markey, Kathryn Scola nach dem Roman von Louis
Bromfield | K: William Rees | M: Heinz Roemheld | D:
Richard Barthelmess, Jean Muir, Marjorie Rambeau,
Verree Teasdale, Hobart Cavanaugh | 71 min | OF | Der
Kunstreiter und Frauenschwarm Pierre Radier verlässt
den Zirkus und folgt seinem unternehmerischen Ehrgeiz. Als Paul Rader wird er dank einer Reihe von Gönnerinnen, die seine Ideen finanzieren, zum erfolgreichen Geschäftsmann. Er lernt den Sohn der Frau kennen, die ihn nicht halten wollte, als sie schwanger
wurde, und versucht dessen »selbstloser« Mentor und
Förderer zu werden. Eine Geschichte von Ausbeutung
und Missbrauch (sowohl anderer als auch seiner
selbst) im Namen von Zielen, die sich als leer erweisen.
A MODERN HERO hätte wenig später nicht mehr so realisiert werden können, weil die Geschichte, die an
ihrem vermeintlichen Schlusspunkt in eine gänzlich un-
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zestuöse Unterton nicht; der Film wurde in mehreren
Bearbeitungen abgelehnt und hatte endlose Schwierigkeiten, da einzelne Bundesstaaten dazu übergegangen
waren, Gangsterfilme automatisch aus den Kinos zu
verbannen.
Hays Office war fassungslos und verlangte massive Eingriffe. Kürzungen und die Anfügung eines reumütigen
»Endes nach dem Ende« waren nicht genug. Es wurden
auch sinnentstellende Nachbearbeitungen vorgenommen. Mit minimalem Aufwand wurde so aus dem Nietzsche-besessenen Schuster Cragg, der Lily fit für die
Großstadt macht (»You must use men, not let them use
you! Be strong, defiant! Use men to get the things you
want!«) ein wohlmeinender älterer Herr (»There is a
right and a wrong way. Remember the price of the
wrong way is too great! Be clean, be strong, defiant!«).
Gezeigt wird die verloren geglaubte ursprüngliche Fassung des Films, Mike Mashon wird in seiner Einführung
zeigen, wie der Film seinerzeit verändert wurde.
▶ Freitag, 2. Oktober 2015, 21.00 Uhr | Einführung: Mike
Mashon
Red-Headed Woman (Feuerkopf) | USA 1932 | R:
Jack Conway | B: Anita Loos | K: Harold Rosson | D:
Jean Harlow, Chester Morris, Lewis Stone, Leila Hyams,
Una Merkel, Charles Boyer | 79 min | OF | Lil Andrews
arbeitet als Stenographin, weil sie es auf ihren Chef Bill
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Legendre jr. abgesehen hat. Es gelingt ihr, ihn herumzukriegen und sogar seine Ehe zu ruinieren, aber obwohl sie ihn heiratet, bleibt ihr die feine Gesellschaft
verschlossen. Als sie einen geachteten älteren Unternehmer verführt und erpresst, um Zugang zu den »besseren Kreisen« zu erhalten, setzt ihr Mann einen Detektiv auf sie an. Wäre RED-HEADED WOMAN keine Komödie (der erste Entwurf stammte von F. Scott Fitzgerald),
dann wäre Jean Harlows durchtriebene, selbstsüchtige
Lil ein abscheuliches Geschöpf. So aber ist sie gerissen, schlagfertig und nahezu unzerstörbar. Sie ist kein
Lustobjekt, sie hat den Männern etwas entgegenzusetzen, und was sie mit ihrer Sexualität anfängt, ist ihre
eigene Entscheidung. Erst nach 17 Schnitten wurde
der Film in den USA zugelassen; in Großbritannien und
in Deutschland war er seinerzeit verboten.
▶ Samstag, 3. Oktober 2015, 21.00 Uhr
Of Human Bondage (Der Menschen Hörigkeit) | USA
1934 | R: John Cromwell | B: Lester Cohen, nach dem
Roman von W. Somerset Maugham | K: Henry W. Gerrard | M: Max Steiner | D: Leslie Howard, Bette Davis,
Frances Dee, Reginald Owen, Reginald Denny | 83 min
| OF | Der Brite Philip ist als Maler in Paris gescheitert.
Er nimmt ein Medizinstudium in London auf und verliebt sich in die ordinäre Kellnerin Mildred, die ihn verachtet und ausnimmt. Eine faszinierende Studie in
Abhängigkeit. Mildred ist nicht etwa die Stärkere der
beiden, wir merken deutlich, dass sie nach Aufmerksamkeit und Zuwendung mindestens ebenso hungert
wie nach dem Geld, das sie Philip abpresst. Nach
22 Rollen für verschiedene Studios bescherte OF
HUMAN BONDAGE Bette Davis endlich den Durchbruch
bei der Kritik. Ihre furchtlose Darstellung ist eine absolut überzeugende tour de force. Die frisch eingesetzte
PCA erteilte OF HUMAN BONDAGE das Zertifikat mit
der Nummer 34. »Nicht akzeptable« Elemente in Maughams autobiographisch gefärbtem Roman (Prostitution,
Syphilis) sind im Film trotzdem vorhanden, freilich in
kodierter Form (Obdachlosigkeit, Tuberkulose).
▶ Sonntag, 4. Oktober 2015, 21.00 Uhr
Soziale Klüfte
I Am a Fugitive from a Chain Gang (Jagd auf James
A.) | USA 1932 | R: Mervyn LeRoy | B: Robert E. Burns,
Howard J. Green, Brown Holmes | K: Sol Polito | M:
Bernhard Kaun | D: Paul Muni, Glenda Farrell, Helen
Vinson, Preston Foster, Allen Jenkins | 92 min | OF | Der
Weltkriegsheimkehrer James Allen hofft Ingenieur zu
werden und Karriere zu machen. Doch er findet nur Ablehnung und Gleichgültigkeit. Arbeitslos und bettelarm,
wird er unschuldig in einen Raubüberfall verwickelt und
zu zehn Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Er durchlebt
als Kettensträfling die Hölle auf Erden. Die unmenschlichen Zustände in den Strafeinrichtungen des Südens
waren keine Hollywood-Fantasie; das Drehbuch beruht
auf den realen Erfahrungen des Autors Robert E. Burns,
der das brutale System der Chain Gang in Georgia einzig durch Flucht überlebte. Diesmal entzündete sich die
Kontroverse um einen Film nicht an Sex oder Gewalt,
sondern an der ungeschönten Darstellung der Realität
im Strafvollzug. Mervyn LeRoys Film ist eines der wenigen Werke, die tatsächlich etwas bewegten: Die Proteststürme mündeten letztlich nach fünf Jahren in einer
Gefängnisreform.
▶ Freitag, 16. Oktober 2015, 21.00 Uhr
Man’s Castle (Ein Schloss in New York) | USA 1933
| R: Frank Borzage | B: Jo Swerling, nach dem Stück
von Lawrence Hazard | K: Joseph August | M: Frank
Harling | D: Spencer Tracy, Loretta Young, Marjorie
Rambeau, Glenda Farrell, Walter Connolly | 71 min |
OmU | Zwei Randexistenzen tun sich gegen alle Widrigkeiten zusammen, verlieben sich, versuchen sich mit
allen Mitteln durchzuschlagen und sind nicht bereit,
ihren Lebensmut aufzugeben. In Frank Borzages Film
existiert all das, was der Code als nicht darstellbar deklarierte: Ausbeutung, Not und Obdachlosigkeit, Promiskuität, Verbrechen ohne Sühne. MAN’S CASTLE ist
an Moralurteilen nicht interessiert, denn über allem
schwebt die Liebe: »Eine uneingeschränkte, betont
unbürgerliche Liebe, die zugleich Objekt und Subjekt
von Borzages ganzer Filmografie ist und je nach Story
die Zeit, den Raum, möglicherweise den Tod transzendiert.« (Hervé Dumont). Um den Film, der von der Legion of Decency als »condemned« eingestuft wurde,
1938 mit einer Freigabe der Production Code Adminis-
▶ Samstag, 17. Oktober 2015, 21.00 Uhr ▶▶ Dienstag,
20. Oktober 2015, 18.30 Uhr
Wild Boys of the Road (Kinder auf den Straßen) |
USA 1933 | R: William A. Wellman | B: Earl Baldwin | K:
Arthur L. Todd | D: Frankie Darro, Edwin Phillips,
Rochelle Hudson, Dorothy Coonan, Sterling Holloway |
68 min | OF | »You read in the papers about giving
people help. The banks get it. The soldiers get it. The
breweries get it. And they’re always yelling about giving
it to farmers. What about us? We’re kids.« Obdachlose
Kinder und Jugendliche wurden in der Great Depression ein Massenphänomen. Hunderttausende waren
auf sich gestellt, weil ihre Familien sie nicht ernähren
konnten. Keiner stürzte sich mit so viel Verve und Elan
auf die Themen seiner Tage wie William Wellman: WILD
BOYS OF THE ROAD ist Hollywoods lautester Aufschrei
gegen die Härten und Ungerechtigkeiten im Gefolge
der Wirtschaftskrise. Der Film verdankt seine elementare Wucht und seinen nahezu dokumentarischen Realismus den authentischen Schauplätzen. Als der Production Code kurz darauf wirksam wurde, ließen die
großen Studios die Finger von fundamental gesellschaftskritischen, politisch riskanten Stoffen.
▶ Sonntag, 18. Oktober 2015, 21.00 Uhr
Jenseits der Normen
The Sign of the Cross (Im Zeichen des Kreuzes) |
USA 1932 | R: Cecil B. de Mille | B: Waldemar Young,
Sidney Buchman nach dem Theaterstück von Wilson
bert, Ian Keith | 123 min | OF | Rom in Neros Tagen: Ein
römischer Offizier konvertiert zum Christentum. Wir
nehmen direkt Teil an den verkommenen Vergnügungen bei Hofe und den grauenerregenden Schrecken
der Arena. Aus einem muffigen Stück Erbauungstheater wurde ein unvergleichliches Spektakel, das die Zensur so offen herausforderte wie kein anderer Film: THE
SIGN OF THE CROSS war der unmittelbare Anlass zur
Gründung der Catholic Legion of Decency. Der Circus
Maximus verheißt die amüsante und abwechslungsreiche Hinrichtung von 60 Christen, Kämpfe zwischen
Pygmäen und Amazonen, wilde Raubtiere und einiges
mehr. Eine Orgiensequenz mit einem lesbischen Verführungstanz trug DeMille einen Anruf von Will Hays persönlich ein: »Cecil, what are you going to do about that
dance?« – »Not a damn thing.« DeMille blieb standhaft.
▶ Freitag, 23. Oktober 2015, 21.00 Uhr
Duck Soup (Die Marx Brothers im Krieg) | USA 1933
| R: Leo McCarey | B: Bert Kalmar, Harry Ruby | K: Henry
Sharp | M: John Leipold | D: Groucho Marx, Harpo Marx,
Chico Marx, Zeppo Marx, Margaret Dumont | 66 min |
OF | Auf Druck der reichen Witwe Mrs. Teasdale, die
den Kleinstaat Freedonia finanziert, wird Rufus T. Firefly
zum Präsidenten ernannt. Seine Regierungserklärung
verspricht umfassende Ausbeutung, Korruption und
zynische Selbstbereicherung. Da ist der Krieg nicht
weit. Die Marx Brothers stehen gewöhnlich für anarchischen Witz und absurden Humor, nicht für Satire.
Groucho zufolge war die satirische Ebene zur Gänze
dem Regisseur Leo McCarey zu verdanken, der ursprünglich auf keinen Fall mit den anstrengenden Marxens arbeiten wollte. DUCK SOUP ist von einer völligen
Verachtung für staatliche und gesellschaftliche Institutionen durchdrungen. Selbst die Reflexe der Zensoren
werden vorgeführt: Eine Schlafzimmerszene, vor dem
Bett liegen ein Paar Männerschuhe, ein Paar Frauenschuhe, zwei Paar Hufeisen – Harpo und sein Pferd liegen gemeinsam in einem Bett, die Frau züchtig in
einem anderen Bett daneben.
▶ Samstag, 24. Oktober 2015, 21.00 Uhr
Barrett | K: Karl Struss | M: Frank Harling | D: Fredric
March, Elissa Landi, Charles Laughton, Claudette Col-
It’s a Gift (Das ist geschenkt) | USA 1934 | R: Norman
Z. McLeod | B: Jack Cunningham | K: Henry Sharp | M:
John Leipold | D: W.C. Fields, Kathleen Howard, Jean
Rouverol, Julian Madison, Tommy Bupp, Baby LeRoy |
73 min | OF | Harold Bissonnette ist ein unerschöpflicher Quell der Enttäuschung für seine Gattin. Mit seinem kleinen Tante-Emma-Laden in New Jersey wird
sie nie eine Society-Dame sein, seine Tochter nie eine
gute Partie machen, sein Sohn nie den richtigen Um-
Hollywood ohne Schranken
tration wieder in die Kinos bringen zu können, wurde er
massiv gekürzt. Gezeigt wird die selten aufgeführte
ursprüngliche Fassung des Films.
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Hollywood ohne Schranken
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gang pflegen. Harolds Wunschtraum ist eine Orangenplantage, und so macht sich die Familie auf nach Kalifornien. Fields lieferte die Vorlage für das Drehbuch.
Seine Breitseite auf bürgerliche Wohlanständigkeit
überstand wider Erwarten die Einsetzung der PCA. Die
Zensoren forderten zwar die Streichung des Satzes:
»Father, please stop at the first clean gas station«, weil
er Körperfunktionen suggerierte, doch dass die geheiligten Institutionen von Ehe und Familie als innerster
Kreis der Hölle geschildert werden, fiel ihnen nicht auf.
Am Ziel der Reise wartet die vollständige Demontage
des Amerikanischen Traumes. Fields’ genüssliche Untergrabung aller Anstandsregeln ist geradezu lebensgefährlich komisch.
den Kundinnen Kleider vorführen, sind für ihn gleichzeitig Verfügungsware. EMPLOYEES’ ENTRANCE ist so fazinierend, weil der völlig reuelose Antiheld Anderson
nicht verteufelt wird, obwohl er fraglos ein Mistkerl ist.
Bei allem bleibt er entwaffnend unverstellt: »Oh, it’s you
▶ Sonntag, 25. Oktober 2015, 21.00 Uhr
Freies Unternehmertum
Five Star Final (Spätausgabe) | USA 1931 | R:
Mervyn LeRoy | B: Robert Lord, Byron Morgan, nach
dem Stück von Louis Weitzenkorn | K: Sol Polito | D:
Edward G. Robinson, Marian Marsh, H. B. Warner, Aline
MacMahon, Boris Karloff | 89 min | OF | Aus Angst um
seinen Job wärmt der Lokalredakteur einer Boulevardzeitung einen 20 Jahre alten Skandal wieder auf,
obwohl er weiß, dass er dadurch Existenzen ruinieren
wird. Sein Reporter gelangt als Geistlicher an intime
Informationen, die die Zeitung weidlich ausschlachtet.
Der Production Code untersagte es ausdrücklich:
»Ministers of religion … should not be used for comedy, as villains, or as unpleasant persons«. FIVE STAR
FINAL verstößt im Grunde gegen alle drei Verbote, doch
die Verfilmung erfüllt den Buchstaben der Vorschrift
dadurch, dass der Reporter kein »echter« Geistlicher
mehr ist, sondern sich nur als solcher ausgibt. In knappen Bildern skizziert der Anfang des Films, wie sich der
Redakteur mit seiner ausbeuterischen Existenz arrangiert hat: Er trinkt, er misshandelt seine Untergebenen,
er versucht sich den Schmutz von den skandalbefleckten Händen zu waschen.
▶ Freitag, 30. Oktober 2015, 21.00 Uhr
Employees’ Entrance (Personaleingang) | USA 1933
| R: Roy Del Ruth | B: Robert Presnell | K: Barney McGill
| D: Warren William, Loretta Young, Alice White, Wallace
Ford, Allen Jenkins | 75 min | OF | Für Kurt Anderson,
den diktatorischen Geschäftsführer eines großen Kaufhauses, steht der Profit stets an erster Stelle. Anderson
fördert neue Talente, aber als sich ein Angestellter das
Leben nimmt, lässt ihn das völlig kalt. Die Models, die
– I didn’t recognize you with all your clothes on.« Seine
drakonischen Maßnahmen funktionieren: Das Kaufhaus kann sich in der Wirtschaftskrise behaupten, ohne
Massenentlassungen vorzunehmen. Dazu bemüht Anderson weder eine pseudophilosophische Verbrämung
à la Ayn Rand, noch die Hassrhetorik neuzeitlicher Deregulierungsfanatiker.
▶ Samstag, 31. Oktober 2015, 21.00 Uhr
Female (Der Boss ist eine schöne Frau) | USA 1933
| R: Michael Curtiz | B: Gene Markey, Kathryn Scola | K:
Sid Hickox | D: Ruth Chatterton, George Brent, Lois
Wilson, Johnny Mack Brown, Ruth Donnelly | 60 min |
OF | Alison Drake wusste schon früh, dass sie die Automobilwerke ihres Vaters übernehmen würde und entschließt sich, mit Männern genauso umzugehen wie
diese mit Frauen. Wenn ihr ein Mitarbeiter gefällt, lässt
sie ihn sich nach Hause kommen. Wenn er lästig wird,
wird er versetzt. »Most women consider a man a household necessity. Myself, I’d rather have a canary.« FEMALE feiert eine Frau, die auf die Konventionen pfeift,
weil sie es sich leisten kann. Der aufgepfropfte Schluss,
der Alison Drake einem plötzlichen Persönlichkeitswandel unterzieht, mochte die Zensur trösten, das Publikum täuschte er nicht. Atmosphärische Schwankungen
sind aber auch Teil des Charmes von FEMALE. Den
Großteil inszenierte William Dieterle; als der erkrankte,
sprang William Wellman ein. Weil der Produzent mit
dem Darsteller eines der jungen Männer unzufrieden
war, drehte Michael Curtiz zwei Sequenzen neu und
wurde der nominelle Regisseur des Films.
▶ Sonntag, 1. November 2015, 21.00 Uhr
Bird of Paradise (Luana) | USA 1932 | R: King Vidor |
B: Wells Root | K: Clyde DeVinna | M: Max Steiner | D:
Joel McCrea, John Halliday, Dolores del Rio, Skeets Gallagher | 82 min | OF | Auf einem Schiff in der polynesischen Inselwelt geht der junge Amerikaner Johnny
über Bord. Die Einheimische Luana rettet ihn, sie verlieben sich ineinander, doch Luana ist nach altem Brauch
dafür bestimmt, dem zürnenden Vulkan geopfert zu
werden. King Vidors Film ist eine Perle unter den zahllosen Südsee-Idyllen Hollywoods. Max Steiners faszinierend-geheimnisvolle Musik unterstützt den gesamten Film fast ununterbrochen, die Photographie ist
stimmungsvoll und vor allem wird die Romanze überraschend unverklemmt dargestellt. Die sexuelle Initiative geht von Luana aus, was Kirche und Zensoren vermutlich mehr störte als der eigentliche sexuelle Gehalt.
Sie lockt Johnny von Bord, indem sie nackt an seinem
Schiff erscheint, sie befiehlt ihm, sie weiter zu küssen.
Die Nacktszenen beim Schwimmen litten am meisten
unter der Zensur. Gezeigt wird eine ungekürzte Fassung des Films.
▶ Freitag, 6. November 2015, 21.00 Uhr
Tarzan and His Mate (Tarzans Vergeltung) | USA
1934 | R: Cedric Gibbons | B: James Kevin McGuinness, frei nach Edgar Rice Burroughs | K: Charles G.
Clarke, Clyde DeVinna | D: Johnny Weissmuller, Maureen O’Sullivan, Neil Hamilton, Paul Cavanagh, Nathan
Curry | 104 min | OF | Von einem großen Eingeborenentross begleitet, suchen zwei Männer nach Elfenbein
und zugleich nach der Tochter eines im Busch verschollenen Jägers, die als Tarzans Geliebte freiwillig bei
ihrem Beschützer geblieben ist. Der Kultstatus des
Films beruht zu einem guten Teil auf der Freizügigkeit,
die Jane lebt. Ihr Kostüm ist knapp, sie schläft nackt
und schwimmt nackt mit Tarzan – und all das unverheiratet und obendrein (anders als in den Romanen) als
Dame englischer Herkunft. Als 1953 eine von der Zensur um 17 Minuten gekürzte deutsche Fassung des
Films in deutsche Kinos kam, meldete der Katholische
Film-Dienst trotzdem heftige Vorbehalte an: »Raffiniert
durchgeführter Urwald-Film, der durch drastische Grausamkeiten, aber auch in erotischer Hinsicht aus dem
Rahmen der üblichen Tarzan-Unterhaltung fällt.« Gezeigt wird die ursprüngliche Fassung des Films.
▶ Samstag, 7. November 2015, 21.00 Uhr
The Emperor Jones (Kaiser Jones) | USA 1933 | R:
Dudley Murphy | B: DuBose Heyward, nach dem Thea-
Hollywood ohne Schranken
Das Gesetz des Dschungels
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terstück von Eugene O’Neill | K: Ernest Haller | M: Frank
Tours | D: Paul Robeson, Dudley Digges, Frank Wilson,
Fredi Washington, Ruby Elzy | 105 min | OF | Auf seiner
Flucht verschlägt es den schwarzen Sträfling Brutus
Jones auf eine Insel in der Karibik. Dort ergreift er die
Chance seines Lebens und wird in kürzester Zeit zum
gefürchteten Diktator. Mit zynischer Rücksichtslosigkeit
setzt er die kapitalistischen Lektionen um, die er verinnerlichte, als er noch »ganz unten« war. Eugene O’Neill
knüpfte zwei Bedingungen an die Verfilmung: Paul
Robeson, der in dem Stück auf internationalen Bühnen
triumphiert hatte, müsse die Titelrolle spielen; und der
Name des Darstellers müsse noch über dem Titel stehen. Zum ersten Mal hatte ein schwarzer Darsteller
eine Hauptrolle im Mainstream-Kino. In Nebenrollen treten Billie Holiday und Rex Ingram auf. Vor allem in den
Südstaaten wurde der Film um über eine halbe Stunde
gekürzt. Gezeigt wird eine Rekonstruktion der ursprünglichen Fassung.
▶ Sonntag, 8. November 2015, 21.00 Uhr
Verführung & Verführte
Design for Living (Serenade zu dritt) | USA 1933 | R:
Ernst Lubitsch | B: Ben Hecht nach dem Theaterstück
von Noël Coward | K: Victor Milner | M: John Leipold | D:
Gary Cooper, Fredric March, Miriam Hopkins, Edward
Everett Horton, Franklin Pangborn | 90 min | OF | Eine
Hollywood ohne Schranken
Werbegrafikerin, ein Kunstmaler und ein Schriftsteller
beginnen eine Beziehung zu dritt. »DESIGN FOR LIVING
handelt von ganz direkten Dingen, ohne direkt davon zu
sprechen. Von Sex beispielsweise. Oder von Wut und
Zorn. Als Lubitsch zeigen muss, welche Kämpfe in der
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Frau über die beiden Männer toben, von denen sie keinen aufgeben will, genügen ihm eine Tür und ein Blumentopf, der zwei Blüten trägt. Bei Lubitsch ist immer
das Unsichtbare so wichtig wie das Sichtbare. In den
nebensächlichen Details, die zu sehen sind, schimmert
das Unsichtbare besonders akzentuiert durch, um das
es ihm häufig vor allem anderen geht. Im Grunde bietet
DESIGN FOR LIVING eine der vergnüglichsten Lehren
darüber, was Kino sein kann, darüber, wie hinter dem
Trivialen des oberflächlich Sichtbaren die Kunst der
sichtbaren Oberflächen beginnt.« (Norbert Grob)
▶ Freitag, 13. November 2015, 21.00 Uhr
Jewel Robbery (Ein Dieb mit Klasse) | USA 1932 | R:
William Dieterle | B: Erwin Gelsey | K: Robert Kurrle |
M: Bernhard Kaun | D: William Powell, Kay Francis,
Hardie Albright, André Luguet, Henry Kolker | 68 min |
OF | Die junge Baronin Teri von Hohenfels hat nicht
nur einen reichen langweiligen Gatten und eine Reihe
Liebhaber. In ihrer Residenz im schönen Wien lässt sie
sich von einer Schar von Dienerinnen morgens baden,
massieren, ankleiden und in ihrem privaten Schönheitssalon für einen anstrengenden Mußetag in Form bringen. Ihr erster Termin führt sie zu ihrem Juwelier, wo
sie einen charmanten Fremden trifft, der prompt mit
seiner Bande das Juweliergeschäft ausraubt. Sein Stil
und seine Eleganz bezaubern die Baronin: »This is
becoming delightful!« – »As a matter of fact, I’m opposed to the American school of banditry. I studied in
Paris.« An nervöses Wachpersonal und Polizisten verteilt er zur Entspannung »funny cigarettes« (Joints).
William Dieterle verlieh seiner geistreichen Komödie
ein irrwitziges Tempo mit Regelverstößen im Minutentakt: Die Ehe ist nur ein Witz, Räuber sind besser als
Bankiers, und das Rauchen von »Gras« scheint ein
Wahnsinnsspaß.
▶ Samstag, 14. November 2015, 21.00 Uhr
I’m No Angel (Ich bin kein Engel) | USA 1933 | R:
Wesley Ruggles | B: Mae West | K: Leo Tover | D: Mae
West, Edward Arnold, Cary Grant, Gregory Ratoff, Gertrude Howard | 87 min | OF | Die Tänzerin und Löwenbändigerin Tira macht ihren Weg vom Zirkuszelt ins
Penthouse an der Park Avenue. Die Männer liegen ihr
zu Füßen, denn: »When I’m good I’m very good, but
when I’m bad I’m better.« Schnell, schamlos und unwiderstehlich, ist Tira stets Herrin der Lage. I’M NO
ANGEL verkündet stolz: »Story, Screen Play and all Dialogue by Mae West«. Zensoren konnten das Entfernen
von Wörtern wie »jeez« oder »punk« oder »Lawdy« verlangen, aber gegen Mae Wests Intonation war nichts zu
machen, egal wie harmlos der Wortlaut auf dem Papier
schien. Im Jahr darauf hatte Mae West den 5. Platz auf
der Beliebtheitsskala der Filmstars inne, sie verdiente
mehr Geld als jede andere Frau in den USA. Und was
hielt sie von den Zensurbeflissenen? »Tell them they
made me what I am today. I hope they’re satisfied.«
▶ Samstag, 14. November 2015, 21.00 Uhr
Gold Diggers of 1933 (Goldgräber von 1933) | USA
1933 | R: Mervyn LeRoy | B: Erwin Gelsey, James
Seymour | K: Sol Polito | M: Harry Warren, Al Dubin | D:
Warren William, Joan Blondell, Aline MacMahon, Ruby
Keeler, Dick Powell, Ginger Rogers | 97 min | OF | Das
Musical, in dem die drei Showgirls Carol, Trixie und
Polly auftreten, wird schon vor der Premiere durch den
Gerichtsvollzieher geschlossen. Pollys Freund Brad
schreibt Songs für eine neue Show und finanziert das
Vorhaben – gegen den Widerstand seiner reichen Familie. Die Show, die am Ende herauskommt, ist das genaue Gegenteil von eskapistischer Ablenkung – die
Wirtschaftskrise selbst ist Inhalt des Musicals. Das
harte Los der vergessenen Weltkriegsveteranen in der
Krise bildet das Thema der Schlussnummer »Remember My Forgotten Man«. Besonderen Anteil am Gelingen dieses Meta-Musicalfilms haben die Choreographien von Busby Berkeley. Die junge Ginger Rogers hat
eine herausragende Nebenrolle, in der sie weitaus provokanter und forscher auftritt als später neben Fred
Astaire.
▶ Sonntag, 15. November 2015, 21.00 Uhr
Übersetzungen und Kurztexte: Christoph Michel