Trutz, Blanke Hans!
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Trutz, Blanke Hans!
REPORTAGE Trutz, Blanke Hans! Watt, viel Wind und weite See: Die zweite Hälfte unseres Abenteuertörns führt über die Nordsee nach Sylt, nach Helgoland und zu den Inseln Ostfrieslands. Ziel der Reise: Von der Ems kommend, laufen wir in den Hafen von Emden ein. Auf den Piers warten derweil Tausende von Neuwagen auf ihren Transport im Spezialfrachter nach Übersee. S eit dem Auslaufen schieben wir das Wetter vor uns her.Zwar ist der Himmel über uns frei,doch vor dem Nordhorizont scheint ein feiner Schleier zu liegen. Dahinter wachsen bedrohliche Haufenwolken in die Höhe. Auf den Sänden südwestlich von Amrum liegt das gebrochene Gerippe des vor zehn Jahren havarierten Frachters „Pallas“. Klar ist der Kiel im Fernglas zu erkennen. In Gleitfahrt passieren wir die Tonne „Vortrapptief“. List ist noch knapp zwei Stunden entfernt. Endlich sind wir auf der Nordsee! Über knapp 600 See- 18 boote 4/08 Auslaufen mit der Flut: Von Wangerooge aus geht es bei Hochwasser im Schatten der Inseln durch das Watt Richtung Norderney (gr. Bild). Im sicheren Hafen: Im Schutz des Seenotkreuzers „Minden“ liegt „Fenrir“ in List auf Sylt. boote 4/08 19 REPORTAGE Freie Fahrt: Das Schleusentor des Eidersperrwerkes hat sich geöffnet. In Gleitfahrt geht es auf die Nordsee hinaus. meilen hat unser Abenteuertörn im offenen Festrumpfschlauchboot schon geführt, von der polnischen Grenze an der deutschen Ostseeküste entlang (siehe BOOTE 1/2008), über Nord-Ostsee-Kanal und Eider zur Westküste SchleswigHolsteins. Am Morgen verließen wir Tönning, und hinter den Toren des Eidersperrwerks wartete die Nordsee auf uns. Der Plan ist einfach: An der nordfriesischen Küste entlang Sylter Institution: Im Fischlokal „Gösch“ in List geht es hoch her, während draußen der Wind durch den Hafen pfeift. 20 boote 4/08 boo nach Norden bis zu Deutschlands nördlichstem Hafen nach List auf Sylt, danach mit Zwischenstopp in Helgoland quer über die Deutsche Bucht zu den Ostfriesischen Inseln und Deutschlands westlichstem Ha- fen auf Borkum, bevor wir den Törn in Emden abschließen. 13. Tag: Tanzende Blitze Über dem Ellenbogen an der Nordspitze von Sylt wird es so dunkel wie im Tunnel: Das Abendstimmung: zwei Jogger auf der langen Westmole von Helgoland. Im Hintergrund das Oberland mit dem Leuchtturm. Tanz am Abgrund: Zwei Basstölpel auf dem Helgoländer Vogelfelsen. Ihre Nester bauen die großen Seevögel direkt in die Steilwand. spiegelglatte Wasser wechselt die Farbe zu öligem Schwarz, und aus der der mächtigen Ambosswolke über uns hämmert von einem Augenblick auf den anderen der Platzregen auf uns herab. Dann kommen die Gewitterböen – und der rollende Donner. Zwischen Gezeitenstrudeln jagen wir im Zickzack weiter durch das Lister Tief, bloß schnell in den Hafen! Keine halbe Stunde später haben wir sicher im Schatten des Seenotkreuzers festgemacht, der hinter uns an der wuchtigen Mole von List in Bereitschaft liegt.Als wir zum Ha- fenmeister stiefeln, ruft ein Skipper von seinem Angelboot zu uns herüber: „Ich hab euch draußen gesehen! Wahnsinn,wenn die Blitze auf dem Wasser tanzen, was?“ Wir können nur nicken. Die Blitze hatten wir nicht bemerkt – vielleicht zum Glück ... Die Abendvorstellung wird ähnlich dramatisch: brennender Himmel im Westen mit Wolken, deren Konturen ebenfalls Feuer fangen,als die Sonne sinkt. Sonst tiefste Schwärze, von Blitzen zerrissen. Und dennoch: Highlife an Deutschlands sandigem Nordpol! Während sich draußen das Unwetter austobt und das Strandgras an die Dünen drückt, wird drinnen gefeiert. Der herbstliche Hochsommer ist ausgesperrt. In der rammelvollen Nobel-Fischbude von „Gösch“, längst eine Sylter Institution, gehen die halben Hummer über den Tresen, und die Reichen mischen sich mit den nicht ganz so Reichen. Nebenan gibt eine gewaltige Stimme eine hier oben gut bekannte Ballade zum Besten: „Heut bin ich über Rungholt gefahren, die Stadt ging unter vor fünfhundert Jahren. Noch schlagen die Wellen da Hinter den Toren des Sperrwerkes wartet die Nordsee auf uns Planen unter Planen: Bei schlechtem Wetter findet die Vorbereitung der Etappen „drinnen“ statt. Zur Sicherheit spannen wir unter der durchlässigen Originalpersenning ein grünes Innenzelt auf. boote 4/08 21 REPORTAGE wild und empört, wie damals, als sie die Marschen zerstört. Die Maschine des Dampfers schütterte, stöhnte, aus den Wassern rief es unheimlich und höhnte: Trutz, Blanke Hans!“ Zum Akkordeon hören wir die Geschichte vom Untergang der reichen Stadt, deren Bewohner in größenwahnsinnigem Übermut das machtvolle Meer vor ihrer Haustür verspotten – bis der „Blanke Hans“ genug hat und mit einer einzigen Sturmflut alle ersäuft ... 14. Tag: „Heiliges Land“ Ruhig und gleichmäßig atmet das Meer am nächsten Morgen. „Fenrir“ liegt gestoppt neben der Untiefentonne „Amrumbank-Süd“, die mit rostigen Flanken kurz zuvor gespenstisch aus dem Seenebel aufgetaucht ist und nun ihr Toppzei- Wegweisend: Der Leuchtturm „Roter Sand“ begrüßt uns in der Außenweser. chen im Takt der alten Dünung träge über uns pendeln lässt.Auf halbem Weg nach Helgoland haben wir uns zu einer kurzen Pause entschlossen, und auch wenn die Sicht schlecht ist,sorgt der gehauchte Nordost wenigstens für einen ruhigen Ritt. Während wir belegte Brötchen und Thermosflasche aus Gespenstisch taucht voraus die große Tonne aus dem Nebel auf dem Staufach unter der Sitzbank ziehen,das längst nach einer Mischung aus Benzin und Pfefferminztee duftet, taucht neben dem Boot plötzlich ein runder Kopf aus dem Wasser. Aus großen,dunklen Augen beobachtet uns der Seehund neugierig, offenbar genauso überrascht wie wir. Leider scheint das angebotene Makrelenfilet nicht sein Fall zu sein – er taucht wieder ab. Weiter geht es durch den Nebel, der immer transparenter wird,bis schließlich schon dicht vor uns die Düne zu sehen ist, Helgolands flache, östliche Hälfte. Und dann hebt sich wie auf Kommando der weiße Schleier und enthüllt den roten Felsen selbst. Es ist ein unwirklicher, fast mystischer Anblick. Helgoland – hieß das nicht „Heiliges Land“? Über dem Eingang des Wassersportclubs, an dessen Stegseite wir im Südhafen einen freien Platz gefunden haben, begrüßt uns ein „pralles, nordisches Weib“. Wie eine Krone Reif für die Insel: Mit der Fähre eingetroffene Urlauber besteigen im Hafen von Wangerooge die Inselbahn, die sie in den Ort bringt. Wie die meisten ostfriesischen Inseln, ist Wangerooge autofrei. 22 boote 4/08 Zurück zum Festland: Bei blauem Himmel verlassen wir Deutschlands einzige Hochseeinsel und nehmen von Helgoland Kurs auf Bremerhaven. trägt die große Holzfigur eine Inselminiatur auf dem geschnitzten blonden Scheitel, während sich zwei verschmitzte Fischer im Ölzeug an ihre phänomenale, blanke Brust schmiegen:„Welkoam iip Lun!“ – Willkommen auf Helgoland! In den Läden gibt es Schiffsausrüstung mal anders: In Erwartung der Tagestouristen werden Regale voller Schnaps und Zigaretten nach draußen gerollt. Im Angebot: „Smuggler Whis- Ruhe nach dem Sturm: Nachdem das Gewitter abgezogen ist, wirkt das Wasser vor Sylts Ellenbogen am Morgen wie aus Glas. key“ für 8 € pro Liter. Grund zum Trinken gibt’s nebenan: Eine der kleinen, bunten Hummerbuden ist als Standesamt eingerichtet. Der Bräutigam, viel zu früh, tritt mit eingewickeltem Brautstrauß nervös von einem Fuß auf den anderen. Ein zerknitterter Fischer in orangeroter Latzhose rät trocken: „Mensch, hau ab, solange du noch kannst!“ Wir klettern hinauf zum Oberland: Stille,kein Wind und Alles im Blick: Durch die erst vor wenigen Jahren neu gebaute Schleuse geht es in den Neuen Hafen von Bremerhaven. boote 4/08 23 REPORTAGE N o r d f r i e s i s c h e SYLT R D S E Flensburg FÖHR AMRUM SCHLESWIGHOLSTEIN P E L LWO RM Süderstapel Tönning E Eid Kiel er a -K an see H E LG O L A N D D eu t s ch e Bucht Brunsbüttel W es er Emden 20 sm NIEDERLANDE Em s 0 Die Etappen 11. Laboe – Süderstapel (über NOK und Eider): 59 sm, 12. Süderstapel – Tönning: 20 sm, 13. Tönning – List (Sylt): 79 sm, 14. List – Helgoland: 66 sm, 15. Helgoland – Bremerhaven: 52 sm, 16. Bremerhaven – Wangerooge: 38 sm, 17. Wangerooge – Norderney: 32 sm, 18. Norderney – Greetsiel: 19 sm, 19. Greetsiel – Borkum – Emden: 42 sm. Das Boot Formenti „Zar 53“ (Italien): Länge 5,35 m, Breite 2,39 m, Leergewicht 480 kg, 4-Takt-Außenborder Honda BF 135 (135 PS), 120-l-Tank, 80-l-Er- „Fenrir“: unser RIB vom Typ Formenti „Zar 53“ mit 135 PS am Heck. 24 boote 4/08 Blau bis zum Horizont. Weit draußen sind tatsächlich zwei Kajaks unterwegs. Rechts von uns ragen die patinagrüne Nadel der Kirche und der grobschlächtige Leuchtturm in den Himmel.Vorbei an überwucherten Bombentrichtern und Bunkerplatten, den verwitternden Zeugen von Helgolands verhängnisvoller Vergangenheit als Hochseefestung Mit gemischten Gefühlen machen wir das Boot seeklar Hamburg Bremerhaven Wilhelmshaven Groningen be Greetsiel El l n h e I n s e N E UW E R K s i s c S P I E K E RO O G r i e f t O s LANGEOOG Cuxhaven N OR D ER N EY WA N G E RO O GE J U IST BALTR UM B O R KUM N ord -Os t l O DÄNEMARK List l n s e I n N ZEICHNUNG: HEINZ HUCHTMANN DEUTSCHE NORDSEEKÜSTE satzkanister (Test in BOOTE 7/2005). Vertrieb: Nautikpro GmbH, Am Sandzug 6, 67122 LudwigshafenAltrip. Internet: www.nautikpro.de Sportbootkarten BSH-Sportbootkartenserien: 3009 – Nord-Ostsee-Kanal und Eider, 56 €; 3011 – Die Weser bis Bremen, 56 €; 3012 – Die Ems von Borkum bis zum Küstenkanal, 36,50 €; 3013 – Nordfriesische Inseln, 56 €; 3014 – Zwischen Elbe, Weser und Helgoland, 56 €; 3015 – Ostfriesische Inseln, 56 €. Törnführer Nord-Ostsee-Kanal: Durchfahrtsregeln, DSV-Verlag, ISBN: 9783-88412-369-0, 16,80 €. Nordseeküste 1: Cuxhaven bis Den Helder, Delius Klasing Verlag, ISBN: 978-3-7688-0608-4, 29,90 €. Nordseeküste 2: Elbe bis Sylt, Delius Klasing Verlag, ISBN: 978-37688-0644-2, 29,90 €. (Bestellung aller Titel: www.delius-klasing.de ) Außerdem unverzichtbar: der aktuelle Gezeitenkalender des BSH, 2,40 €. www.bsh.de auf verlorenem Posten, geht es weiter zum Lummenfelsen, wo Hobby-Ornithologen mit dem 1000er-Tele hart an der Abbruchkante auf das perfekte Foto warten. Die schreienden Vögel in der lotrechten Wand kümmert es kaum. „Da hinten liegt irgendwo Schottland“, sagt Morten und nickt an der Langen Anna vorbei in die blaue Ferne. 16. Tag: Achterbahn! Lange brüten wir über Wetterbericht, Seekarten und Tidenkalender. Seit vier Tagen sitzen wir wegen schlechten Wetters schon im Neuen Hafen von Bremerhaven fest. Eigentlich kein Problem, nur müssen wir bereits in einer guten Woche unser Boot zurückgeben. Zwar hat der Nordwest etwas abgeflaut und weht „nur noch“ mit 4-5 Beaufort, doch die Prognose für die nächsten Tage sieht wieder schlechter aus.Was für ein Sommer! Dabei lief die Überfahrt von Helgoland am Leuchtturm Roter Sand vorbei und die Weser aufwärts noch wie am Schnürchen. Allee auf dem Wasser: Pricken in Dreiergruppen markieren Anfang und Ende der Wattfahrwasser, einzelne Pricken den Verlauf. Aber Jammern nützt nichts. Wir müssen es versuchen, und zwar heute. Der erste Schritt führt nach Wangerooge. Mit gemischten Gefühlen machen wir das Boot seeklar, den Tank voll und passieren die Schleuse hinaus zur kabbeligen Weser. Das Wetter lässt nicht lange auf sich warten: Sofort kommt uns aus Nordwesten die erste dunkle Wolkenwand entgegen, schwarz und solide wie aus Schiefer. Obwohl wir nur acht Knoten laufen,müssen wir schon querab des Containerterminals herunter mit der Fahrt, so peitscht der Regen ins Gesicht. Danach öffnet sich der Trichter der Flussmündung im- mer weiter, verwandelt sich in eine unstete Wüste aus Grau und Braun, bis die Küsten nur noch zu ahnen sind. Und immer höher steigt die Flut.Bis auf die höchsten Sände hat das Wasser bereits alle wieder überspült, auch wenn sie noch wie Bollwerke auf beiden Seiten des Fahrwassers wirken und das Schlimmste abhalten. Vor uns ist ein alter Kreuzfahrer ausgelaufen. Schnell wird die ölige Dieselfahne an seinem Schornstein in schmutzigen Fetzen nach Osten geweht, bevor er bald darauf querab des Leuchtturms Hohe Weg ganz hinter der nächsten Regenbö verschwindet. Plötzlich spüren wir den langen Atem der Nordsee. Noch gestern betrug die gemeldete Wellenhöhe in der Deutschen Kompetenz an Bord: Unsere WassersportExperten hängen sich für Sie rein. Wir wissen, worauf es ankommt, denn unsere Berater sind selbst aktive Wassersportler. Profitieren Sie von dieser Erfahrung und von maßgeschneiderten Versicherungslösungen mit kostenlosen wassersportspezifischen Zusatzleistungen. Unsere Wassersport-Experten stehen Ihnen persönlich vor Ort für kompetente Beratung und Services zur Verfügung – auch im Schadenfall. Unsere Service-Hotline erreichen Sie unter 05 51- 701 542 88. Oder informieren Sie sich bei Ihrem regionalen Gothaer Wassersport Service Center: Bayern 0 89- 89 31 10 57 Berlin/Brandenburg 0 30-2 14 08 20 Bodensee 0 75 51- 9 47 09 35 Flensburg 04 61-5 05 35 20 Rheinland 0 21 51- 62 59 70 Rhein/Ruhr 02 02-30 00 14 www.gothaer.de/segeln Bucht drei Meter. Und auch wenn der Wind etwas nachgelassen hat, eine stattliche Dünung hat überlebt – über der Mellumplate steht eine weiße Wand aus Brandung. Nun sind wir mitten in der Wesermündung und auf einmal sehr allein. Keine Spur mehr von anderen Fahrzeugen. Nur noch weiter draußen leuchtet ein einzelner, unbeweglicher Farbpunkt: Roter Sand. Zeit für uns, nach Westen abzubiegen! Auch wenn wir nur wenige Meilen von der Küste entfernt sind, Land bedeutet nun nicht mehr automatisch Sicherheit. Mit gehörigem Abstand geht es deshalb um die jetzt in Lee liegende, tückische Mellumplate herum. Über den flacheren Stellen brodelt,bricht und schäumt die REPORTAGE zum Motor geht. Läuft das Kühlwasser, sind alle Kabel noch dran? Wenn der Honda jetzt den Geist aufgibt ... Minsener Oog kommt backbords querab. Vielleicht hätten wir in Bremerhaven doch auf ausreichend Wasser warten sollen, um über den Hohen Weg hinüber zur Jade zu kreuzen. Von dort wäre es dann relativ geschützt über die Wattfahrwasser im Lee der Inseln nach steht das Boot, dann surfen wir schlingernd mit 15 Knoten die weiß marmorierten Brecher hinunter in Richtung Land. Endlich sind wir um die Buhne herum, und der Hafen kommt in Sicht.Schlagartig beruhigt sich das Wasser und lässt den Strom nur noch lustlos an uns zerren. Einlaufen, festmachen, abschalten. Geschafft. Jetzt eine Belohnung! Morten kramt im Staufach in der Steu- Über der Mellumplate steht eine weiße Wand aus Brandung Auf dem Trockenen: Die Tideeider ist Gezeitenrevier; daher fällt der Hafen von Tönning während des Niedrigwassers zum Teil trocken. See von allen Seiten. Wir kommen uns im offenen Boot mit den Füßen auf Wasserhöhe und gefühlten zehn Zentimetern Freibord vor wie in der Waschmaschine, hin- und hergeworfen im Schleudergang. Kaltwäsche, versteht sich. Immer wieder kippen wir über Kanten und setzen so hart ein, dass uns die Gischt ins Gesicht klatscht. Man gewöhnt sich schnell daran, die Abstände zwischen den grauen Rücken zu lesen: 26 boote 4/08 „Mehr Gas! Gas weg!“ Die Nadel des Drehzahlmessers zuckt über das Ziffernblatt. Aus Luv rollen die Kämme wie Berge heran, mit Graten und Gipfeln vor der Kimm, unaufhaltsam, als würden sie im nächsten Augenblick an Bord steigen. „Oh Mann“,ruft Morten,„die Tonnen verschwinden komplett hinter den Wellen!“ Aber „Fenrir“ reitet alles ab, auch wenn der Blick mehr als einmal nervös nach achtern Wangerooge gegangen. Weniger Wind, weniger Wellen ... Ruckartig werden wir aus allen Träumereien gerissen: Direkt voraus ein Baumstamm, kaum zu sehen! Hart weichen wir aus. Schwarz glänzend wie ein Torpedo, schießt er vorbei. Das war knapp! Aber Wangerooge ist jetzt ganz nah,der dunkle Strich,der die Insel noch vor einer halben Stunde war, hat sich aufgehellt. Man sieht Strandkörbe am vereinsamten Strand und die Häuser der Siedlung, die sich hinter die Dünen ducken. Weiter im Westen auf der Hörn, die wir noch wettern müssen,stemmen sich „Alter Turm“ und neues Leuchtfeuer mit Backstein und Stahl den Elementen entgegen. Bald haben wir die Ansteuerung der Harle erreicht,die zwischen Wangerooge und Spiekeroog ins Watt und zu den Häfen führt. Wir atmen auf, doch das betonnte Fahrwasser durch die schnell veränderlichen Sände stimmt überhaupt nicht mit dem Bild des Kartenplotters überein; wir hangeln uns lieber auf Sicht von Tonne zu Tonne. Und jetzt geht es erst richtig los! Die nachlaufende See schiebt uns förmlich in die Harle. In einem Augenblick erkonsole: Eine plattgedrückte Rolle Klopapier wird zutage gefördert, ein Stadtplan von Schleswig und eine leere Keksschachtel, aus der nur noch einige verschimmelte Ecken krümeln. Sieht nicht gut aus mit unseren Vorräten nach knapp drei Wochen! Doch dann der Hauptgewinn: Triumphierend hält er einen zerknautschten Müsli-Riegel in die Höhe, von der leckeren Sorte, mit weißer Schokolade! Wir machen halbe-halbe und strecken uns im Ölzeug auf einer Bank aus. Wangerooges Hafen wirkt verlassen: Keine Menschen,nur eine einsame Plastiktüte dreht im Wind Pirouetten über den sandigen Beton.Auch die abgestellte Inselbahn steht leer und mit offenen Türen auf der langen Mole, wartend, wie die wenigen Dienstgebäude auf ihren bleichen Hochwasserstelzen am Dünenrand. Wir lassen uns im Ölzeug auf einer Bank nieder. Plötzlich kommt Leben in die Szenerie: Die Fähre vom Festland legt an! Schon kurz darauf wimmelt die Pier von abgehärteten Urlaubern aus Bayern und dem Rheinland. Oben herum wasserfest und atmungsaktiv verpackt, unten nackte Waden. Mit forschem Schritt und Kno- Wenn das Licht schwindet: Schon dick in Ölzeug eingepackt, steuern wir in die dunklen Wolken einer Gewitterfront hinein. tenstock wird die Insel in Besitz genommen, Sack und Pack im Schlepp. Doch schon eine halbe Stunde später ist der Spuk vorbei, die Fähre auf dem Rückweg zum Festland und die Menge zerstreut. Wir lehnen uns zurück – der Hafenmeister soll erst am Abend aufkreuzen. 17. Tag: Über das Watt Zusammengekauert wie zwei Wanderer im Hochgebirge hocken wir in unserem weißen Zelt an Bord und planen die nächste Etappe. Noch stecken wir halb in unseren warmen Schlafsäcken,während draußen der Westwind ums Boot heult, die Persenning durchboxt und die Flagge peitschen lässt. Am Nordstrand Wangerooges rennen die grauen Brecher gegen die Küste an. Heute hätten wir dort draußen auf der offenen Nordsee wahrlich nichts zu suchen,außen herum um die Inseln weiter nach Westen, wie gestern noch – undenkbar. Aber zum Glück gibt es ja eine andere Route: im Schutz der Inseln übers Watt. Die Wattfahrwasser machen sich die Priele zunutze, die von den tiefen Wasserläufen zwischen den Inseln im Süden wie Arme um sie herumgreifen,um sich fast zu berühren. Sie fallen auch bei Ebbe meist nicht trocken. Kritisch sind die Stellen dazwischen: Die Wattenhochs fallen trocken und können nur um die Hochwasserzeit herum passiert werden. Wir haben uns ein schönes Stück vorgenommen: Gleich drei dieser Wattenhochs wollen wir in einer Flut passieren.Etwa vier Stunden müssen wir für die 35 Seemeilen nach Norderney einplanen. Kann das klappen? Ich zeichne eine Skizze ins Log- Wir tauschen alles gegen alles aus unserem riesigen Angebot: Auf 24.000 m2 finden Sie über 650 neue und gebrauchte PKW, Sportwagen, Cabrios, Geländewagen, Vans, Transporter, Sportboote, Daycruiser, Kajütboote, Motoryachten, Trailer, Reisemobile, Wohnwagen, Motorräder und viel Zubehör für Auto, Boot, Camping und Freizeit. Die Exclusivität des mobilen Reisens 44809 Bochum · Herner Str. 259 (B 51) · Telefon 02 34 / 9 04 32-25 oder -35 · Fax 9 04 32 30 · [email protected] Samstags und sonntags freie Besichtigung bis 18.00 Uhr (Beratung, Verkauf u. Probefahrt nur während der gesetzl. Öffnungszeiten) wir Ihr Gerne nehmen g– Boot in Zahlun s bar an ! oder kaufen e REPORTAGE Fette Beute: Von Möwen verfolgt, steuert ein Kutter nach dem Fang durch das aufgewühlte Riffgat Richtung Norderney. buch mit allen wichtigen Punkten. Mit dem Tidenkalender und den Bezugswerten rechnen wir hin und her, wann wir wo sein müssen, stellen einen regelrechten „Fahrplan“ auf. Das Ergebnis: Wir sollten es schaffen, auch wenn wir am Ende vielleicht gerade so über den Schlick rutschen. Noch mit auflaufendem Wasser geht es also hinaus. Die Flut schießt und schäumt wie wild über die dunklen Watten und zerrt an den Tonnen in den Tiefs, denen wir jetzt nach Westen folgen. Dort, die ersten Pricken! Immer in Dreiergruppen markieren die kahlen, dürren Stämme mit ihren Toppzeichen aus Reisig Beginn und Ende der Wattfahrwasser. Wir folgen der trostlosen Allee,die teils gerade, teils gewunden verläuft. So „klettern“ wir über das Harlesieler Wattenhoch wieder zurück in das tiefe Wasser der Otzumer Balje, durch die die Nordsee zwischen Spiekeroog und Langeoog hereindrängt. An Backbord liegt die unterbrochene niedrige Deichlinie des Festlandes mit ihren Sielor- Veteran im Ruhestand: Das Feuerschiff „Borkum Riff“ kann jetzt im Burkana Hafen von Borkum besichtigt werden. 28 boote 4/08 ten, an Steuerbord ziehen die Inseln vorbei: helle Dünenstreifen in aufgebrachter,grauer See. Langeoog und Baltrum werden genau nach Plan passiert. Doch als wir über das letzte Wattfahrwasser schon dicht unter der Ostspitze Norderneys kommen, kentert der Strom. Im tiefen Riffgat südlich der Insel stemmt sich das ablaufen- de Wasser gegen den Wind, der uns seine 6 Beaufort jetzt um die roten Ohren schlägt. „Fenrir“ bockt wie wild und schmettert so durch die Kämme, dass es die vollgesogenen Polster fast von den Bänken reißt. Aber auch wenn wir auf unserem kleinen Boot wiederum eine Salzdusche nach der anderen bekommen, sicher sind wir hier, im Schutz der Inseln. Direkt am Hafen von Norderney stößt man gleich neben dem Tonnenhof auf ein ganz besonderes Kunstwerk: Über hundert Meter hinweg ist die Mauer eines Bauhofes mit den Leuchttürmen und anderen maritimen Szenen der gesamten deutschen Küste bemalt.Als wir mit dem Bollerwagen vom Yachthafen und einer Ladung leerer Ersatzkanister auf dem Weg zur Tankstelle daran entlangrumpeln, wiederholen wir unsere ganze Tour so noch einmal im Zeitraffer, von Kap Arkona bis ins Wattenmeer. Der Ort selbst, das sind Kurkliniken und Kontraste, modernste Heilmethoden hinter Schlingernd surfen wir die Brecher hinunter in Richtung Land Düstere Aussichten: Kurz hinter der Ansteuerungstonne „Lister Tief“ im Norden von Sylt warten dunkle Gewitterwolken. REPORTAGE Beine hochlegen: Inselurlauber machen im Hafen von Norderney in einem aufgemalten Strandkorb Pause. mondänen Seebäderfassaden aus Kaisers Zeiten. Doch auch in diesem gesunden Umfeld wird „dem Laster gefröhnt“: In den Kneipen sprudeln die Kölsch- und Altbierbrunnen zur BundesligaÜbertragung, und hinter Arkadengängen aus der Gründerzeit lockt die Spielbank zum InselRoulette ... Am Ziel: Nach 95 Motorstunden und 901 Seemeilen erreichen wir nach knapp vier Wochen den Hafen von Emden. 18. Tag: Ziel vor Augen Haben wir uns doch noch verzockt? Treibend beobachten wir aus sicherer Entfernung, was sich bei Nord 6-7 auf dem Busetief abspielt: Eigentlich sind die übereinander stürzenden Brecher für uns nichts Neues mehr, aber bisher mussten wir noch nie direkt hindurch. Immer wieder tauchen mitten in dem weißen Chaos Tonnen im irren Tanz auf. Sie bezeichnen das Fahrwasser, das uns an Juist und Memmert vorbei nach Borkum bringen sollte. Zeit, der Wahrheit ins Auge zu blicken: Bei diesem Wetter wäre es Wahnsinn.Enttäuscht machen wir kehrt. Doch Hilfe naht in Person des Hafenmeisters,dem wir am Morgen von unserem Plan erzählt haben. Im Fernglas hat er unsere Rückkehr in den Hafen beobachtet und kommt mit einem Vorschlag über den Steg: Er zeigt nach Südwesten, auf ruhigeres Wasser: „Geht doch über den Sand. Da steht jetzt 1,20 m Wasser. Kein Problem bei eurem Tiefgang.“ Mit neuer Hoffnung folgen wir seiner Route, die uns dicht unter Land zur Leysielbucht bringt. Malerisch überragt von einem markanten Paar alter Holländer-Windmühlen und von einem modernen Sperrwerk im hohen Deich geschützt, liegt dort das gemütliche Fischerdorf Greetsiel. Es gibt also doch noch eine letzte Nacht an Bord – vielleicht schaffen wir es morgen bis nach Borkum! Wir haben Glück: Während sich der Wind weit im Norden an den Sänden die Zähne ausbeißt, überqueren wir die ausgewühlte Osterems nach Westen und kommen über die Emshörnrinne ins breite Randzelgat. Und dann sind wir tatsächlich am Ziel: Nach 29 Tagen,davon 19 unterwegs, laufen wir langsam in den Schutzhafen von Borkum ein. 878 Seemeilen haben wir auf unserem großen Bogen zurückgelegt, Macht das Wetter kurz vor dem Ziel einen Strich durch die Rechnung? vom östlichsten über den nördlichsten bis zum westlichsten Hafen Deutschlands. Riesige Reifenfender hängen an den hohen, rostigen Spundwänden.Zoll- und Seenotkreuzer liegen an der Pier und weiter hinten, wie zur Bestätigung, entdecken wir den Rumpf des Feuerschiffes „Borkum Riff“. Ein einsamer Berliner Urlauber in Sandalen und wehendem Poncho spricht uns an. Wir erzählen von unserer Reise, ganz knapp, denn wir müssen noch nach Emden, bevor der Strom kentert. Er schaut nach unten auf unser offenes Boot, sieht unser dickes Ölzeug und überlegt lange, bevor er fragt: „War det ne nasse Partie?“ TEXT: CHRISTIAN TIEDT FOTOS: MORTEN STRAUCH (20), WERNER TIEDT (3) 30 boote 4/08