Geschichte und Gegenwart der Ruhr
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Geschichte und Gegenwart der Ruhr
A2ghijklmnopqrstu2 T 12 Geschichte und Gegenwart der Ruhr Vor- und frühindustrielle Zeit Die Ruhr gehört zu den Flüssen, die bis heute Le- viers“ und ein beliebtes Ausflugsziel. Aber nicht Heute ist das Ruhrtal die „grüne Lunge des Re- ben und Werden der Menschen an ihren Ufern nur landschaftliche Reize faszinieren den Besu- vielfach beeinflusst haben, die Landschaft und cher, er kann sich auf Spurensuche begeben, die Bewohner prägten, die einer Region einen Na- ihn in die Zeit der Industrialisierung und an eini- men gaben. gen Orten sogar noch weiter in die Vergangenheit führt. An der Ruhr wurden schon im frühen Mittelalter Wehranlagen und Burgen gebaut, gab Die Ruhr, eingebettet in viele steile Talhänge, frühindustriellen Zeit siedelten sich die verschie- dar. Um die Flussübergänge der Handelsstraßen es bedeutende Klöster und Schlösser. Seit der stellte schon immer ein natürliches Hindernis densten Handwerke und Fertigungen an, blühte zwischen dem Bergischen Land im Süden und der Handel begünstigt durch die durchgehende der Hellwegzone im Norden zu sichern, entstan- Schiffbarmachung der Ruhr. den an den Hängen des Ruhrtals zahlreiche Burgen und Adelssitze. Zu den bedeutendsten noch Mit der industriellen Revolution kamen Fabriken, erhaltenen Befestigungsanlagen gehört Schloss Tiefbauzechen, Kraftwerke und Eisenbahnverbin- Broich in Mülheim, das Ende des 9. Jahrhunderts dungen hinzu, die die Flusslandschaft stark ver- als Sperrfort gegen die Raubzüge der Wikinger ge- änderten und neue Herausforderungen stellten. baut wurde. Heute noch genutzt oder als Ruinen erhalten sind unter anderen in Dortmund die Industrie und Städte mussten mit Wasser ver- Hohensyburg, die Burgen Wetter und Harden- sorgt werden, die Abwässer entsorgt und wieder stein, das Haus Herbede in Witten sowie die Burg aufbereitet werden. Kläranlagen, Stauseen und Blankenstein und die Isenburg. Das bereits im Talsperren wurden gebaut um eine saubere und 9. Jahrhundert nachweisbare Gut Schede dien- kontinuierliche Wasserversorgung des Ruhr- te ab dem 18. Jahrhundert der Familie Harkort als gebiets sicherzustellen. Auch als Spender für re- Wohnsitz. Die Grabstätte des bedeutenden In- generative Energie spielt die Ruhr bis heute eine dustriepioniers Friedrich Harkort (1793-1880) be- wichtige Rolle, wie es die zahlreichen Wasserkraft- findet sich heute immer noch auf dem Areal von werke an vielen Stellen des Flusses bezeugen. Haus Schede in Herdecke. Wer sich auf die Tour „Von der Quelle bis zur Mündung“ begibt, sei es zu Fuß, mit dem Fahrrad oder per Schiff, wird sich dem einzigartigen Reiz dieser Flusslandschaft nicht entziehen können. Behrensraum im Haus Schede Quelle: Bildarchiv Marburg 1 A2ghijklmnopqrstu2 T 12 Frühneuzeitliche Bauwerke der Kirchengeschich- originalen Standort befindliche Deiler Eisen- dition finden sich in Mülheim-Saarn und in Kupferhammer. hammer sowie der bereits um 1550 gegründete te mit weit bis in das Mittelalter reichende Tra- Essen-Werden. Das Kloster Saarn des Zisterzien- serordens spielte nicht nur eine wesentliche Rolle bei der Besiedlung und Kultivierung der Regi- Textil- und Lederindustrie Ausgangspunkt gewerblicher Produktion. Bis sam war das Textilgewerbe in den ehemals selb- on, sondern war nach der Säkularisation auch Über viele Generationen wirtschaftlich bedeut- 1862 diente es als Produktionsstätte für könig- ständigen Ortschaften (Essen-)Werden und (Es- lich-preußische Gewehre, danach wurde es Sitz sen-)Kettwig. Tuchfabrikanten ließen wegen der einer Tapetenfabrik. besseren Transportanbindung an die Schifffahrt ihre Fabrikgebäude direkt an der Ruhr errichten. Als Keimzelle von (Essen-)Werden lässt sich die In Werden eröffnete 1757 eine erste Tuchfabrik, 799 von dem friesischen Missionar Liudger ge- 1858 gab es bereits neun solcher Betriebe, außer- gründete Benediktinerabtei bezeichnen. Nicht dem fünf Wollspinnereien und Seidenweberei in nur bei der Entwicklung des heutigen Stadtteils Heimarbeit. In der Werdener Altstadt existieren spielte die Abtei eine entscheidende Rolle; als in den kleinen Gassen immer noch Weberhäu- Grundbesitzer stand ihr das Verfügungsrecht ser mit unterschiedlichen Geschosshöhen. Auf über die Bodenschätze zu und sie war außerdem den höheren Etagen waren Webstühle unterge- beim Abbau an den Einnahmen beteiligt (Kohle- bracht. Straßennamen wie Leinewebergasse er- zehnt). Auch beim Schleusenbau im Zusammen- innern heute noch an diese Tradition. Nach dem hang mit der Schiffbarmachung der Ruhr gegen Zweiten Weltkrieg war die deutsche Textilproduk- Ende des 18. Jahrhunderts war die Abtei initiativ. tion zunehmend nicht mehr konkurrenzfähig. In Werden endete die Textilproduktion 1964 mit der Bereits vor der industriellen Revolution waren Schließung der Werdener Feintuchwerke AG. im Ruhrtal die verschiedensten Handwerke und Fertigungen angesiedelt, zu deren Betrieb Was- Seit dem 15. Jahrhundert ist auch in Kettwig das der sehr günstige naturräumliche Voraussetzun- die ehemaligen Weberhäuser und Unterneh- ser oder Wasserkraft notwendig waren. Ein Ort, Textilgewerbe nachweisbar. Heute noch prägen gen für unterschiedliche vor- und frühindustri- mervillen das Stadtbild. Die Scheidtschen Hallen, elle Gewerbezweige bot, war das Deilbachtal in früher imposante Tuchfabrik der Familie Scheidt, Essen-Kupferdreh, das sich heute als Museums- heute Standort von Luxuswohnungen, beherr- landschaft präsentiert. Der Deilbach mit seiner schen zusammen mit der im 19. Jahrhundert er- hohen Fließgeschwindigkeit im Mündungsbe- bauten klassizistischen Villa von Julius Scheidt im- reich zur Ruhr eignete sich in hervorragender mer noch das Panorama am Kettwiger Ruhrufer. Weise zum Antrieb von Wasserrädern für Müh- len und Hammerwerke. Kernobjekte des sehens- In Mülheim entwickelte sich ab Mitte des 17. Jahr- Kornmühle als älteste noch erhaltene Wasser- samen Wirtschaftsfaktor und machte die Stadt werten Museums-Ensembles sind die Deiler hunderts die Lederherstellung zu einem bedeut- mühle auf Essener Stadtgebiet, der noch am weltbekannt. Vor Beginn der Industrialisierung 2 A2ghijklmnopqrstu2 T 12 belieferten die Gerber fast ausschließlich den lo- Zwischen 1850 und 1924 stieg die Zahl der Le- also Schuhleder und Zaumleder für die Zugtie- Mit dem Rückgang der industriellen Produktion der verarbeitenden Betriebe von zehn auf 54 an. kalen Markt mit Leder für den täglichen Bedarf, verschwand auch die einst so bedeutende Le- re der Bauern. Als die Gerbereien im späten 19. derbranche, nachdem sie zwischenzeitlich noch Jahrhundert zu Fabriken wurden und ihr Was- einmal enorm von der Kriegswirtschaft profi- serbedarf enorm anstieg, siedelte sich die Le- tiert hatte. Einst waren es bedeutende Namen in derindustrie direkt am Ruhrufer an. Durch die Mülheim: Rühl, Coupienne, Möhlenbeck, Ham- Industrialisierung im Ruhrgebiet war die Nach- mann, Lindgens oder Abel. Die Firma Lindgens, frage nach Leder mit den herkömmlichen hand- 1861 bis 1994 Familienbetrieb, ist heute die einzi- werklichen Produktionsmethoden nicht mehr zu ge noch existierende Lederfabrik in Mülheim. Als bewältigen. Ein “Lederboom” entstand, nachdem Teil eines internationalen Konzerns ist sie Zulie- riesige Mengen an Geschirrleder für die Pferde ferer für die Automobilindustrie. In der ehemali- gebraucht wurden, die die Kohlenschiffe zogen. gen Lederfabrik Abel wurde 2003 das Leder-und Auch im Bergbau gab es eine große Nachfrage. Gerbermuseum eröffnet. Das interaktive Muse- Sitzleder, Schürzen und Transportbänder wurden um zeigt Lederprodukte vom Sattel bis zur Pi- gebraucht. Die Eisen- und Hüttenindustrie be- ckelhaube, Werkzeuge, industrielle Abläufe und nötigte Schutzkleidung für ihre Hochofenarbei- Familiengeschichten. ter. Die Dampfmaschinen übertrugen ihre Kraft auf die Maschinen in den Fabriken durch lederne Transmissionsriemen. Historischer Firmenbriefbogen Lederwerke Lindgens Quelle: Stadtarchiv Mülheim 3 A2ghijklmnopqrstu2 T 12 Steinkohleabbau Prototypisch lässt sich die Entwicklung des frü- weit in das Mittelalter zurück. Im Süden des Re- che Nachtigall im Muttental verfolgen. Bereits hen Kohleabbaus am Beispiel der Wittener Ze- Der Abbau von Steinkohle an der Ruhr reicht bis 1714 urkundlich erwähnt, entwickelte sie sich zu viers trat die Steinkohle an den steilen Abhän- eine der größten Anlagen ihrer Zeit und gehör- gen zum Flussufer hin direkt zutage und konnte te 1832 zu den ersten Tiefbauzechen an der Ruhr. daher zunächst im Tagebau gewonnen werden. Heute ist sie dem Verbund der Industriemuseen Bereits früh entwickelten sich „Gewerkschaf- des Westfälischen Landschaftsverbandes ange- ten“, die genossenschaftlich den Kohleabbau schlossen und bietet als Teil des neun Kilometer betrieben und Erträge sowie Kosten unter den langen Bergbaurundweges Muttental neben ei- Mitgliedern aufteilten. Man grub die Kohle mit nem musealen Besucherbergwerk auch Einbli- einfachen Geräten im „Brunnen-“ und „Stollen- cke in die Geschichte der Kohlenschifffahrt auf bau“ ab, wobei der Grundwasserspiegel der Tie- der Ruhr. Attraktiver Bestandteil des Bergbau- fe des Abbaus Grenzen setzte. Der Beginn des 18. wanderweges ist auch das benachbarte Gruben- Jahrhunderts markiert die erste wichtige Wen- und Feldbahnmuseum Zeche Theresia mit sei- demarke in der technischen und rechtlichen nen 62 Lokomotiven und 230 Waggons. Entwicklung des Kohlebergbaus. Mit Hilfe von „Erbstollen“ war man jetzt in der Lage, die Gru- ben zu entwässern und zu entlüften (bewettern). Weitere beschilderte Bergbauwanderwege gibt für den Bergbau als Einnahmequelle. Lange Zeit Bergbauwanderweg) und in Bochum-Dahlhau- es in Dortmund an der Hohensyburg (Syburger Auch der Staat interessierte sich zunehmend sen. Spuren des Bergbaus finden sich noch in Es- hatte die Kohleförderung in Händen von Bauern sen-Horst (Zeche Wohlverwahrt) und am Balde- und Kleinunternehmern gelegen. 1737 ordnete neysee mit dem noch erhaltenen Fördergerüst die preußische Regierung das märkische Berg- der 1973 stillgelegten Schachtanlage Carl Fun- recht neu. Die Grubenfelder wurden neu ver- ke/Pörtingsiepen. In Essen-Überruhr steht noch messen und verteilt und unterstanden seither das Fördergerüst der Zeche Heinrich, heute ein der Kontrolle des 1738 gegründeten Bergamtes in Standort der Grubenwasserhaltung der Ruhr- Bochum. kohle AG. Eisen, Stahl und Maschinenbau Die technische Entwicklung der Steinkohlenförderung begünstigte die Eisenverhüttung und den Maschinenbau, die ihrerseits die Nachfrage nach Kohle steigerten. Bereits um 1812 gelang es dem Unternehmer Johann Friedrich Lohmann in seiner „Stahlfabrik“ in Witten-Herbede hoch- wertigen Tiegelgussstahl zu erzeugen und damit eine nunmehr fast 200jährige Ära der Stahlpro- Zeche Wohlverwahrt, 1950er Jahre Quelle: Ruhr Museum Essen, Bestand Josef Stoffels duktion zu begründen. Nicht nur die direkt ge- 4 A2ghijklmnopqrstu2 T 12 genüber der heute noch produzierenden Edel- brik Berger & Co, heute unter dem Namen Deut- Villa Ernst Lohmann von 1882, heute Verwal- Werkzeughersteller der Welt. sche Edelstahlwerke Witten einer der führenden stahlfabrik Lohmann befindliche repräsentative tungssitz des Unternehmens, zeugt von Macht und Einfluss der Wittener Unternehmensdynas- Im Ruhrtal finden sich aber nicht nur die noch milie Lohmann entstanden in der zweiten Hälfte nutzten Produktionsstätten der Eisen- und Stahl- produzierenden oder mittlerweile anders ge- tie. Weitere qualitätsvolle Wohnbauten der Fa- industrie auch die ehemaligen Wohnsitze der des 19. Jahrhunderts an der Ruhrstraße. Firmeninhaber legen beeindruckendes Zeugnis einer vergangenen Epoche ab. Auf den Ruhrhö- Um die gleiche Zeit begann mit der Gründung hen über dem Baldeneysee liegt die Villa Hügel, einer mechanischen Werkstatt und Schmiede der ehemalige Wohnort der Familie Krupp. Im 19. zur Produktion von Dampfmaschinen auch die Jahrhundert Stammsitz von Alfred Krupp und Geschichte eines der bedeutendsten Unter- Mittelpunkt seines Firmenimperiums, ist das nehmen der Industriegeschichte des Ruhrge- Gebäude, umgeben von einem repräsentativen biets: der Friedrich Wilhelms-Hütte in Mülheim. Park, heute Dauer- und Wechselausstellungs- 1849/50 erfolgte hier erstmals im Ruhrgebiet die haus und Sitz des Unternehmensarchivs. Ähn- Roheisenherstellung in einem Kokshochofen – lich repräsentativ, aber der Öffentlichkeit nicht ein großer qualitativer Fortschritt gegenüber der zugänglich, ist Schloss Landsberg in Essen-Kett- zuvor üblichen Roheisenherstellung auf Holz- wig, der ehemalige Wohnsitz des Industriellen kohlenbasis. Federführend bei dieser Entwick- August Thyssen. Das 1903 von ihm erworbene lung war der an der Horster Mühle geborene In- Stammschloss dient heute als Tagungsstätte der dustriepionier Franz Dinnendahl. Er war es auch, ThyssenKrupp-Unternehmensgruppe. der in seiner Essener Fabrik die erste Dampfmaschine konstruierte, die im Ruhrbergbau eingesetzt wurde. Zu der Kategorie „Tüftler“, Erfinder und risikofreudige Unternehmer gehörten zu dieser Zeit auch Familiennamen wie Hakort, Haniel, Jacobi, Krupp und etwas später auch Mannesmann. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren aus den eher kleinbetrieblichen Anfängen Raum greifende Großunternehmen entstanden, die jahrzehntelang die Wirtschafts- und Infrastruk- Industriemuseum Henrichshütte Foto: Guntram Walter tur ganzer Städte an der Ruhr prägten. Zu diesen Betrieben gehörten zum Beispiel die Henrichs- hütte in Hattingen, heute Industriemuseum zur Geschichte der Eisenverhüttung, oder die von Carl Ludwig Berger 1854 gegründete Gussstahlfa- 5 A2ghijklmnopqrstu2 T 12 Schifffahrt auf der Ruhr Erschwernisse wie Stromschnellen, wandernde das 17. Jahrhundert zurück. Zu dieser Zeit ver- rende Hochfluten machten die Schifffahrt mit- Die Geschichte der Ruhrschifffahrt reicht bis in Kies- und Sandbänke oder periodisch wiederkeh- kehrten zwischen Mülheim und Duisburg so- unter zu einem gefährlichen Abenteuer. Aber genannte Ruhraaken. Das waren Holzschiffe, vor allem die politische Zersplitterung des Hei- gebaut für Massengüter wie Kohle und Erz. Sie ligen Römischen Reiches Deutscher Nationen in konnten Nutzlasten bis zu 100 Tonnen ziehen. eine Unzahl von Hoheitsgebieten mit trennen- Während der Talfahrt ließen sich die Ruhrschiffer den Zollschranken stellte ein Haupthindernis mit der Strömung treiben. Flussaufwärts wurde dar. Erst die entschlossene Haltung der preußi- das leere Schiff von zwei bis acht Pferden müh- schen Regierung die durchgehende Schiffbar- sam mittels eines über den Mast gespannten machung der Ruhr mit einem Schleusen-Neu- Seils gezogen(getreidelt). Bei günstigen Winden bauprogramm gegen die vielen regionalen und unterstützten Segel die Bergfahrt. Keine Origi- lokalen Widerstände durchzusetzen, führte 1780 nale, aber Modelle solcher Schiffe befinden sich zum Erfolg. 16 Schleusen ermöglichten jetzt die im Museum der Deutschen Binnenschifffahrt in durchgehende Befahrung von Langschede bis Duisburg-Ruhrort. Für die Pferde wurde im Zu- (Duisburg-)Ruhrort. Zwischen Witten und Ruhr- ge der Schiffbarmachung der Ruhr ein 3,70 Me- ort erlangte die Ruhr in der ersten Hälfte des ter breiter Weg, der sogenannte Leinpfad ange- 19. Jahrhunderts enorme Bedeutung als Trans- legt, der den Fluss mal auf der einen, mal auf der portweg für Steinkohle. 1858 war der Höhepunkt anderen Seite begleitete. Spuren des Leinpfades mit rund 10.500 Schiffsladungen erreicht. Der findet man heute immer noch an einigen Stel- Ausbau der Ruhr zur Wasserstraße begünstigte len der Ruhr wie etwa am Isenberg in Hattingen aber nicht nur das produzierende Gewerbe son- oder am Holteyer Hafen in Essen. dern auch den Handel. Insbesondere die Mühlheimer und Ruhrorter Kaufleute bildeten eine Anfänglich war die Schifffahrt auf der Ruhr ein wirtschaftlich starke Schicht. Sie verdienten ihr durchaus schwieriges Unterfangen. Natürliche Geld mit Binnen- und Fernhandel von Kohle und die Ruhr um 1813, im Hintergrund die Abtei Werden Quelle: Stadtbildstelle Essen 6 A2ghijklmnopqrstu2 T 12 Metallprodukten, aber auch mit dem von Leder- Düsseldorf und dem Wasser- und Schifffahrts- Noch heute zeugen etliche denkmalgeschützte Sauerland bis zur Mündung in den Rhein ist die amt (WSA) Duisburg. Von der Ruhrquelle im und Kolonialwaren, Textilien, Getreide und Wein. Schifffahrt heute in drei Abschnitte eingeteilt: Schleusenanlagen von dem einst bedeutsamen Bis Essen-Rellinghausen sind keine Boote mit Schifffahrtsweg. Mit der Schiffbarmachung der Maschinenantrieb erlaubt, außer auf den Stau- Ruhr und dem späteren Eisenbahnbau verloren seen. Zwischen Essen-Rellinghausen und Mül- dann auch so wichtige Landtransportwege für heim dürfen nur (Motor-)Schiffe mit einem ma- die an der Ruhr geförderte Steinkohle an wirt- ximalen Tiefgang von 1,70 Meter, einer Länge von schaftlicher Bedeutung wie der 1766 angelegte höchstens 38 Metern und einer Breite von 5,20 Gahlensche Kohlenweg zwischen Hattingen und Metern verkehren. Ab der Mülheimer Schloss- dem im Norden gelegenen Lippe-Hafen Gahlen. brücke dürfen seit 1927 auch große Frachtschiffe fahren. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts be- gann sich allerdings der Niedergang der Ruhrschifffahrt abzuzeichnen. Die Konkurrentin Eisenbahn war schneller, flexibler und witte- Eisenbahn im Ruhrtal Ruhrtalbahn 1874 brach der Frachtmarkt für die wachsende Nachfrage nach Transportkapazitä- rungsunabhängiger. Mit der Fertigstellung der Die mit der zunehmenden Industrialisierung Ruhrschifffahrt dramatisch ein. Wurden 1873 ten konnte die Eisenbahn langfristig besser be- noch rund 327.000 Tonnen Kohle verschifft, wa- friedigen als die Schifffahrt oder der Straßen- ren es ein Jahr später gerade noch knapp 78.000 verkehr. Seit etwa 1767 wurden im englischen Tonnen. Die zunehmende Nordwanderung des Kohlebergbau Pferdebahnen auf eisernen Schie- Bergbaus wirkt sich ebenfalls zuungunsten der nen eingesetzt. Dieses „englische System“ wurde Ruhrschifffahrt aus. Die ab 1860 entstehenden auch im Ruhrgebiet zum Transport der Kohle von Großzechen in der Emscherniederung führten zu den Zechen zu den Schiffen auf der Ruhr einge- einer nördlichen Verlagerung des Transportflus- setzt. 1787 wurde die älteste Kohlenbahn gebaut. ses. 1890 kam das vorläufige Ende für die Trans- Sie verband die vier Zechen Dicke Bäckerbank, portschifffahrt auf der Ruhr. Erst mit dem Bau Nockerbank, Johann Friedrich und St. Mathias des Ruhrschifffahrtkanals zwischen Duisburg mit der Rauendahler Kohlenniederlage (Kohlen- und dem neuen Hafen Mülheim 1927 erlebte die lagerplatz) bei Hattingen auf etwa 1.600 Meter Ruhr auf diesem kurzen Abschnitt eine Renais- Länge. Die Wagen entsprachen „englischer Bau- sance als Großschifffahrtsstraße. Größerer Erfolg art“ und wurden von Pferden gezogen. Bis 1827 auf lange Sicht war der Personenschifffahrt auf wurde diese Bahn bis zur Hattinger Ruhrbrücke der Ruhr zwischen (Essen-)Kettwig und Duisburg verlängert. Im Muttental wurde 1829 eine etwa beschieden. 1928 zählte man über 500.000 Fahr- sechs Kilometer lange Kohlenbahn in Betrieb ge- gäste, die am Mülheimer Wasserbahnhof zur nommen, die den hier ansässigen Zechen den Weiterfahrt das Schiff wechselten. Abtransport der Kohle zur Ruhr und ins Hinterland zur Chaussee ins Bergische Land erleich- Heute liegt die Verantwortung für die Ruhr- terte. In der Folgezeit entstanden weitere solche schifffahrt in den Händen der Bezirksregierung Schienenwege, die von den Schachtanlagen zu 7 A2ghijklmnopqrstu2 T 12 den Hochwasser geschützten Kohlenniederlagen Mülheim-Speldorf bis nach Essen. In Mülheim- fe umgeladen wurde. Reste einer solchen Anlage einen großen Betriebshof zur Wartung ihrer Speldorf errichtete die Bahngesellschaft 1874 an der Ruhr führten, wo die Kohle dann in Schif- Lokomotiven und Güterwagen. Zwischen 1874 sind heute noch an der Kohlenniederlage Nachti- und 1879 wurde die Strecke über (Bochum-)Lan- gall erkennbar. gendreer, Dortmund, Herdecke, Hagen, Barmen, Elberfeld bis nach Düsseldorf verlängert. Die Allmählich begann sich die Erkenntnis durchzu- Verbindung zwischen Herdecke und Hagen setzen, dass die Eisenbahn sich nicht nur als Zu- stellte man mit einem über 300 Meter langen, bringer für die Ruhrschifffahrt eignete, sondern über die Ruhr führenden Eisenbahnviadukt unabhängig von dieser den kompletten Trans- her, der heute noch imposant ist, und zu seiner port von Kohle auf dem Landweg übernehmen Zeit als technische Pionierleistung galt. könnte. Daher wurde bereits 1828 auf Betreiben des Industriepioniers Friedrich Harkort die erste deutsche Eisenbahnaktiengesellschaft zum Bau Für das Ruhrtal von besonderer Bedeutung war tengründen wurde diese Bahn zunächst nicht Märkischen Eisenbahn (BME). Ab 1862 war die das Streckennetz der 1843 gegründeten Bergisch- der „Deilthaler Eisenbahn“ gegründet. Aus Kos- BME-Strecke von Dortmund und Witten über für Lokomotiven, sondern als schmalspurige Bochum, Essen und Mülheim nach Oberhausen Pferdebahn von Hinsbeck (heute Kupferdreh) bis und Duisburg durchgängig befahrbar. 1863 wur- Nierenhof angelegt. In Anwesenheit des preu- de die in der Zwischenzeit in eine normalspuri- ßischen Kronprinzen Wilhelm wurde die Bahn ge Lokomotiv-Eisenbahnstrecke und bis Vohwin- 1831 eingeweiht und durfte danach den Namen kel verlängerte Prinz-Wilhelm-Eisenbahn von der Prinz-Wilhelm-Bahn tragen. Die heute als Fuß- BME übernommen. Im Jahr 1866 erhielt die BME und Radweg genutzte „Hunte“-Brücke der Prinz- die Konzession für die Ruhrtalbahn, deren ers- Wilhelm-Bahn im Deilbachtal erinnert an den tes Teilstück zwischen Düsseldorf und Kupfer- Kohlentransport mit Loren (Hunte) in der dama- dreh 1872 eröffnet wurde. In der Folgezeit wur- ligen Zeit. de die Ruhrtalbahn über (Bochum-)Dahlhausen bis Hagen verlängert und zugleich von dort der Ab dem Jahre 1847 begann für das Ruhrgebiet Anschluss über Schwerte, Bestwig und Warburg das große „Eisenbahn-Zeitalter“, d. h der regel- Richtung Kassel hergestellt. Auf der Ruhrtalbahn spurige Bahnbetrieb mit Dampflokomotiven. wurde früher der Großteil des Güterverkehrs zwi- Den Anfang machte die Köln-Mindener schen Hagen, Bochum und Essen abgewickelt. Eisenbahn 1846 mit ihrer Strecke von Düssel- Betrieblicher Mittelpunkt war von Anfang an der dorf nach Duisburg, die ein Jahr später über Bahnhof (Bochum-)Dahlhausen. Nach der Verlän- Oberhausen, Dortmund und Hamm bis nach gerung der Strecke bis Hattingen 1870 und später Minden verlängert wurde. Die etwas ältere, aber nach Herdecke (heute Hagen-Vorhalle) gewann bedeutendere Rheinische Eisenbahngesellschaft auch der Personenverkehr an Bedeutung. Daher baute zwischen 1863 und 1866 ihr zunächst erhielt Dahlhausen 1870 ein erstes Stationsge- nur linksrheinisches Streckennetz bis in das bäude und eine Güterabfertigung. Ruhrgebiet aus. Die Strecke führte jetzt von Osterath bei Krefeld über Duisburg-Hochfeld und 8 A2ghijklmnopqrstu2 T 12 Empfangsgebäude Bochum-Dahlhausen, Entwurf von 1913 Quelle: Sammlung Vogelsang Heute wird die Strecke nicht mehr durchgehend sen (Deiler und Horster Mühle). Manche Mühle teil zwischen Herbede und Wengern Ost wurde Ölsaaten, zum Zerkleinern von Farbhölzern für diente aber auch zum Mahlen und Pressen von von der Deutschen Bahn betrieben. Der Strecken- die Färbereien, von Eichenrinde für die Gerberei- nach der Stilllegung in den 1980er Jahren an den en oder von Lumpen für die Papierherstellung. damaligen Kommunalverband Ruhrgebiet ver- Wasserräder trieben Schleifsteine und Hammer- kauft und ein fahrplanmäßiger Museumszug- werke an. Die ersten Fabriken ließen ihre Maschi- verkehr zwischen Hattingen und Wengern Ost nen mit Wasserkraft laufen. eingerichtet. Mit der 2005 gegründeten RuhrTal- bahn Betriebsgesellschaft wurde der Grundstein für einen erweiterten Verkehr auf der Strecke Seit Beginn der Elektrifizierung dient die Ruhr seumszügen genutzte Strecke wurde von 18 auf gibt es zahlreiche kommunale aber auch priva- auch als Energielieferant. Entlang des Flusses gelegt. Die von regelmäßig verkehrenden Mu- te Laufwasserkraftwerke wie in Mülheim, Essen- 36 Kilometer verdoppelt. Start- bzw. Endpunk- Kettwig, Witten, Wetter, Schwerte oder im Raum te der historischen Bahnfahrten sind das Eisen- Fröndenberg. bahnmuseum in Bochum-Dahlhausen und der Hauptbahnhof Hagen. Technisch ausgestattet sind die Laufwasserkraftwerke entweder mit Francis- oder Kaplan-Turbi- Wasserkraft nen. Die Francis-Turbine ist eine im Jahre 1849 in den USA von dem Ingenieur James B. Francis Eine lange Geschichte hat auch die Nutzung der entwickelte, technisch verbesserte Wassertur- Wasserkraft an der Ruhr und ihren Nebenflüs- bine. Sie ist heute die in Laufwasserkraftwerken sen. Nachweislich wurden Wassermühlen seit am häufigsten eingesetzte Turbinenart. Bei der dem 13. Jahrhundert betrieben, vielfach um Ge- Francis-Spiralturbine wird das Wasser durch ein treide zu mahlen. Noch erhaltene Restanlagen schneckenförmiges Rohr, die Spirale in zusätzli- solcher Mühlen befinden sich in Hattingen (Bir- chen Drall versetzt und anschließend durch ein schel-Mühle), Hagen (Buschmühle) und in Es- 9 T 12 A2ghijklmnopqrstu2 feststehendes „Leitrad“ mit verstellbaren Schau- feln auf die gegenläufig gekrümmten Schaufeln des Laufrads gelenkt. Durch ein als Diffusor wir- kendes Saugrohr an der Verlängerung der Turbinenachse wird das Wasser nach Durchströmen des Laufrads abgeleitet. Die Francis-Turbinen waren direkt mit Drehstromgeneratoren gekoppelt. Die Erfindung der Kaplan-Turbine stellt eine Stauwehr, Schleuse und Laufwasserkraftwerk Kettwig Foto: Ruhrverband Weiterentwicklung der Francis-Turbine dar und geht auf den gleichnamigen österreichischen Ingenieur zurück. 1913 entwickelte Viktor Kaplan (1878-1934) eine Wasserturbine mit einstellbaren Wasserwirtschaft sermengen und geringen bis mittleren Gefällen sachte im 19. Jahrhundert eine enorme Wasser- Laufschaufeln, die für Flüsse mit großen Was- Das industrielle Wachstum im Ruhrgebiet verur- bestimmt war. Das Wasser wird dabei durch eine nachfrage. Die Montanindustrie benötigte Was- Spirale in Drall versetzt und das Leitwerk, auch ser in riesigen Mengen. Um eine Tonne Kohle zu als Leitschaufeln bezeichnet, sorgt dafür, dass fördern, brauchte man 1,75 Kubikmeter Wasser, das Wasser parallel zur Welle auf die Laufschau- für die Produktion einer Tonne Stahl sogar fünf feln trifft und dabei die Energie überträgt. Der Kubikmeter. Aber nicht nur Industrie und Ge- Wasserdruck nimmt vom Eintritt in das Laufrad werbe mussten versorgt werden, auch die Städte bis zum Austritt stetig ab. mit ihren sprunghaft wachsenden Einwohner- zahlen benötigten große Wassermengen. Das al- Zum Teil sind die Kraftwerke denkmalwürdige te Versorgungssystem mit Grundwasserbrunnen Zeugen vergangener Wasserkraftnutzung, die und Quellen reichte nicht mehr aus, zumal viele modernisiert aber immer noch ihren Dienst ver- Brunnen infolge des Bergbaus versiegt waren. sehen und zur heutigen regenerativen Energie- So wurde die Ruhr zur Haupt-Wasserversorge- versorgung ihren nicht unerheblichen Teil beitra- rin des Reviers. Als erste Stadt des Ruhrgebietes gen. Auch die Talsperrenkraftwerke an der Ruhr errichtete Essen 1864 ein zentrales Wasserwerk, und ihren Nebenflüssen wie zum Beispiel an der das Trinkwasser aus dem Grundwasserleiter der Möhne und Bigge sind in dieses System einge- Ruhr gewann. Weitere Revierstädte folgten. bunden. Historische Bauwerke der Wasserversorgung fin- Einen hohen Bekanntheitsgrad hat das Pump- det man noch an etlichen Stellen der Ruhr, die speicherwerk Herdecke erlangt, das in den Jah- sich aber heute zum Teil mit anderen „Inhalten“ ren 1927 bis 1930 vom Rheinisch-Westfälischen darstellen. In ehemaligen Mülheimer Wasser- Elektrizitätswerk am Hengsteyer Ruhrstausee als türmen untergebracht sind beispielsweise das erstes Pumpspeicherwerk der Welt errichtet und Aquarius Wassermuseum, das sich umfassend später nach seinem Begründer Professor Arthur dem Thema Wasser widmet und das Museum Koepchen, „Koepchenwerk“ genannt wurde. Camera Obscura, das sich ausführlich mit der 10 A2ghijklmnopqrstu2 T 12 Vorgeschichte des Films befasst. Eine ehemalige (Schlammbelebungsverfahren) und führte es teil des regionalen Trinkwasserversorgungssys- linghausen ein. In der Folgezeit baute der Ruhr- 1925 prototypisch in der Kläranlage Essen-Rel- Pumpstation in Schwerte, ursprünglich Bestand- verband sein System der Kläranlagen immer tems, später wegen der Folgenutzung als Rohr- weiter aus. 1931 hatte er bereits 60 solcher Anla- meisterei bezeichnet, hat sich inzwischen mit gen im Betrieb. Heute betreibt der Verband über viel bürgerschaftlichem Engagement zu einem 100 Kläranlagen. bekannten städtischen Kulturzentrum entwickelt. Allerdings erfassten die Kläranlagen nicht alle Abwässer im Flussgebiet der Ruhr und be- Problematisch an dem damaligen System der schränkten sich zudem überwiegend auf mecha- Wasserversorgung war, dass die Wasserwer- nische Reinigungsverfahren. Imhoff entwickelte ke dem Fluss weitaus mehr Wasser entzogen, deshalb ein Konzept zur Anlage von Stauseen als als ihm zurückgegeben wurde. Ein Großteil des Flusskläranlagen. Durch das Anstauen des Flus- Trink- und Brauchwassers floss nach Norden und ses wurde dessen Fließgeschwindigkeit so ver- gelangte in die Emscher. 1893 förderten die Was- ringert, dass sich Schmutzpartikel am Grund serwerke an der Ruhr 90 Millionen Kubikmeter absetzen konnten. Durch die Vergrößerung der Wasser. Davon wurden 75 Prozent in benachbar- Wasseroberfläche wurde außerdem die Einwir- te Flussgebiete gepumpt. Dieser Wasserexport kung von Sonnenlicht verstärkt und die Sauer- hatte vor allem in Trockenzeiten erheblichen Ein- stoffaufnahme begünstigt. Dies förderte den Ab- fluss auf die Wasserführung der mittleren und lauf der biologischen Abbauprozesse im Wasser. unteren Ruhr. Es kam zu ernsthaften Streitigkei- Auch beim heutigen Stand der Abwasserreini- ten ums Wasser. Triebwerksbesitzer verklagten gung kann auf die Stauseen als wichtige Fein- Wasserwerke auf Schadenersatz wegen entgan- reinigungsstufe, insbesondere für eingeleitetes gener Energiegewinnung. Ein weiteres Problem Regenwasser, nicht verzichtet werden. Folgende stellten die Abwässer dar, die ungeklärt zurück Stauseen werden deshalb heute vom Ruhrver- in die Ruhr gelangten und sich in Brutstätten für Krankheitserreger verwandelten. 1901 starben im band betrieben: Hengsteysee (Hagen), Harkort- 1911 führte die Krankheit in Mülheim zu einer Baldeneysee (Essen) und Kettwiger See (Essen). see (Wetter), Kemnader See (Witten/Bochum), Raum Gelsenkirchen 500 Menschen an Typhus, Epidemie mit 1.500 Infizierten. Die kontinuierliche Wasserversorgung des Bal- lungsraumes Ruhrgebiet erfolgt durch Entnah- Um dieses Problem zu lösen begann der Ruhr- me von Wasser aus der Ruhr. Um diese Verlus- verband ab 1914 Kläranlagen zu bauen. Feder- te auszugleichen wurden bereits Ende des 19. führend war dabei der Ingenieur Dr. Karl Imhoff, Jahrhunderts im Bergischen Land und im Sau- der neue Methoden der Abwasserreinigung ent- erland Talsperren an den Nebenflüssen der Ruhr wickelte. Neben der mechanischen Abwasser- gebaut. In regenreichen Zeiten speichern sie das reinigung setzte sich Imhoff intensiv mit den Wasser und geben es in Trockenperioden in das Möglichkeiten der biologischen Reinigung aus- Flusssystem ab. Damit wird der Abfluss der Ruhr einander. Er erprobte ein bakteriologisches Ab- erhöht und die Wasserversorgung sichergestellt bauverfahren für organische Schmutzstoffe 11 A2ghijklmnopqrstu2 T 12 sowie zusätzlich die Wasserqualität verbessert. des leben heute 4,6 Millionen Menschen. Acht Niederschlägen beträchtliche Wassermengen insgesamt 473 Millionen Liter. Zu den größten Talsperren speichern riesige Mengen an Wasser: Zusätzlich können die Talsperren bei starken Talsperren, die im Einzugsgebiet der Ruhr liegen zurückhalten und somit Hochwasserspitzen und heute vom Ruhrverband betrieben werden, mindern. gehören die Bigge-, Möhne-, und Sorpe-Talsperre. Initiator und Planer vieler dieser Talsperren war Professor Otto Intze (1843-1904), der bereits 1875 für die Idee des Talsperrenbaus warb und mit Kulturlandschaft Ruhr Wasserwirtschaft in Deutschland schuf. Seine nehmend an Bedeutung. Museale Neugründun- seinen Arbeiten die Grundlagen der modernen Auch als Kulturlandschaft gewinnt die Ruhr zu- Anstöße trugen letztlich 1899 zur Gründung des gen, insbesondere seit den 1990er Jahren gehö- Ruhrtalsperrenvereins bei, dessen Hauptaufgabe ren ebenso dazu wie skulpturale Inszenierungen darin bestand den Bau von Talsperren vor allem im Umfeld des Flusses. im Bergischen Land und im Sauerland zu för- dern. 1913 schuf schließlich das Ruhrtalsperren- Zu den größeren musealen Einrichtungen zählen Ruhrtalsperrenvereins in eine Körperschaft des gen) und Zeche Nachtigall (Witten), das Aquari- gesetz die Grundlage für die Umwandlung des die LWL-Industriemuseen Henrichshütte (Hattin- öffentlichen Rechtes, die bis zum Zusammen- us Wassermuseum (Mülheim), das Museum der schluss mit dem Ruhrverband 1990 die Was- Deutschen Binnenschifffahrt (Duisburg) sowie sermengenwirtschaft als hoheitliche Aufgabe das Eisenbahnmuseum in Bochum-Dahlhausen übernahm. Im Einzugsgebiet des Ruhrverban- mit seiner einzigartigen Sammlung von histo- Biggetalsperre Foto: Ruhrverband 12 A2ghijklmnopqrstu2 T 12 Innenhafen Duisburg Foto: G. Walter rischen Schienenfahrzeugen. Als Kombination gattaturm von Christoph Hildebrand) und spek- sich die ehemalige Mühlen- und Speicherstadt Meter hohe und sieben Meter breite Monumen- takulär an der Rheinmündung der Ruhr die 25 von Kultur, Geschichte und Kunst präsentiert talskulptur „Rheinorange“ des Kölner Bildhauers des Duisburger Innenhafens mit seinem Kultur- Lutz Fritsch. und stadtgeschichtlichen Museum, dem „Hafenforum“ des Stararchitekten Norman Foster, dem Schöne Künste werden auch am Fluss gelehrt: In Museum Küppersmühle und dem Altstadtpark den barocken Klostergebäuden der Abtei Werden des Landschaftskünstlers Dani Karavan. hat die Folkwang-Universität nach 1945 ihre Heimat gefunden. In der Weißen Mühle oberhalb Neben diesen Standorten, die auch überregio- der Abtei, direkt am Fluss, bietet die Universität nale Ausstrahlungskraft besitzen, gibt es noch den Studiengang „Musical“ an. Avantgardisti- eine Reihe kleinerer, aber durchaus attraktiver sches Theater inszeniert seit 1981 das „Theater an Sehenswürdigkeiten an der Ruhr. Dazu gehören der Ruhr“ unter der Leitung von Roberto Ciulli im das Besucherbergwerk Ramsbeck zur Geschichte historischen Ambiente des ehemaligen Solbades des frühen Blei-, Zink- und Erzabbaus, das Ketten- Raffelberg in Mülheim. Seit August 2006 hat die schmiedemuseum in Fröndenberg, das Gruben- Freie Akademie der bildenden Künste in den um- und Feldbahnmuseum Zeche Theresia in Witten, gebauten und modernisierten Räumlichkeiten das stadtgeschichtliche Museum in Hattingen, im Quartier Ku 28, der ehemaligen Zeche Prinz- das Leder- und Gerbermuseum in Mülheim und Friedrich in Essen-Kupferdreh, ihren Campus. Sie das Haniel-Museum in Duisburg-Ruhrort. Se- bietet allen Interessierten ein Studienprogramm henswerte Skulpturen am und im Fluss befin- zu den Schwerpunkten Bildhauerei, Fotografie den sich im Duisburger Innenhafen („U-Boot-In- und Malerei an. szenierung“ von Andreas Kaufmann und Ulrich Reck), am Baldeneysee (die „20 Uhren“ am Re- 13 A2ghijklmnopqrstu2 T 12 Freizeit und Erholung am Ufer für Beach-Volleyball oder als Ausgangs- als attraktiver Naherholungsraum. Die Ruhrufer die Stauseen sind insbesondere im Sommer ein punkte für Windsurfing. Die ebenen Wege um Das Ruhrtal erfüllt heute eine wichtige Aufgabe beliebtes Ziel für Inline-Skater. Sie werden aber sind vielfach unbebaut und von Wiesen geprägt. auch zum Wandern, Joggen, Rollschuhlaufen Entlang der Ufer verlaufen auf den teilweise und Radfahren genutzt. noch erkennbaren ehemaligen Leinpfaden an vielen Stellen Rad- und Fußwege. Entlang der Ruhr führt der etwa 240 Kilometer lange Ruhrhöhenweg des Sauerländischen Ge- birgsvereins (SGV) Wanderer von der Flussquelle bei Winterberg zur Mündung am Rhein. Seit April 2006 kann man dem Flusslauf von Winterberg nach Duisburg auch mit dem Fahrrad auf dem durchgehend beschilderten RuhrtalRadweg folgen. Eine gut entwickelte touristische Infra- struktur hält auf der Route Hotels, Restaurants sowie Ausflugslokale mit Biergärten für jeden Wasserbahnhof Mülheim Foto: Stadt Mülheim Geschmack bereit. Personenschifffahrt gab es bereits 1853 im un- teren Bereich der Ruhr. Danach wurde der Fluss Natur sen. Jährlich erleben Hunderttausende von Men- Verlegung, Vertiefung oder Begradigung massiv immer mehr für die Ausflugsschifffahrt erschlos- In der Vergangenheit wurde die Ruhr durch schen auf der Ruhr und den Stauseen die reizvol- verändert. Wertvolle Auengebiete gingen le Landschaft des Ruhrtals vom Wasser aus. Bei verloren, Wehre wurden errichtet, Staustufen einer Schiffstour mit der „Weißen Flotte“ über verhinderten die Durchgängigkeit des Gewäs- den Baldeneysee, den Kettwiger See, vorbei an sersystems. Mit der Europäischen Wasser- den Altstädten Werden oder Kettwig oder auch rahmenrichtlinie wurde im Jahr 2000 der bei Rundfahrten über den Kemnader Stausee, rechtliche Rahmen für eine neue Wasserpolitik dem Harkort- oder Hengsteysee lassen sich die innerhalb Europas geschaffen. Oberstes Ziel ist Reize der Ruhrnatur genießen. es, die Wasserpolitik stärker auf eine nachhaltige und umweltverträgliche Wassernutzung Auf dem Fluss, den Ruhrseen und den Stause- auszurichten; Flüsse, Seen, Küstengewässer und en an den Talsperren wird vielfältig Wasser- und das Grundwasser sollen bis zum Jahr 2015 in anderer Sport betrieben. Im Laufe der letzten einem „guten Zustand“ sein. Die Umsetzung Jahrzehnte ist die Bedeutung der Ruhr und ih- vieler Maßnahmen hat bewirkt, dass die Ruhr rer Stauseen als Naherholungsgebiet ständig und ihre Nebengewässer heute wieder eine gewachsen. Nicht nur die Wasserflächen selbst, hohe Wasserqualität besitzen und damit die sondern auch die Uferzonen ermöglichen zahl- Voraussetzung für einen qualitativ hochwer- reiche Aktivitäten. Auf den Seen wird gesegelt, tigen ökologischen Zustand insgesamt. gerudert oder gepaddelt. Hinzu kommen Plätze 14 A2ghijklmnopqrstu2 T 12 Blick ins Ruhrtal vom Berger-Denkmal in Witten Foto: K.P. Kappest Heute sorgen an der Ruhr viele Wehranlagen mit An den Rändern der Talsperren besitzt der Ruhr- gehindert flussauf- und flussabwärts wandern schaftet ihn unter ökologischen und forstwirt- separaten Fischwegen dafür, dass die Tiere un- verband fast 3.000 Hektar Wald und bewirt- können, um ihre Laichgebiete zu erreichen. schaftlichen Gesichtspunkten. Die Wälder sind für das Wassermanagement von großer Bedeu- Durch Renaturierungsprojekte entstehen ent- tung. Sie dienen dem Gewässerschutz und tra- lang des Flusses wichtige ökologische Lebens- gen als Niederschlagsspeicher zu einer Ver- und Rückzugsräume. Auenlandschaften mit gleichmäßigung des Wasseraufkommens bei. besten Umweltbedingungen für Tiere und Von internationaler Bedeutung ist das Vogel- Pflanzen haben sich herausgebildet. Seit 2004 schutzgebiet Möhnesee. Das fast 1.200 Hek- ist zum Beispiel die Heisinger Ruhraue ein tar große Gebiet umfasst die gesamte Wasser- Naturschutzgebiet, das auf einem Areal von fläche des Möhnesees und den angrenzenden über 150 Hektar inmitten von Essen liegt und Waldbestand. Der See gilt als das größte Rast- in dem über 60 Brut- und 50 Gastvogelarten gebiet und Winterquartier für Wasservögel in leben. Viele Amphibien bevölkern heute die Alt- Westfalen. ruhrarme und Teiche, die zum Teil durch Bergsenkungen infolge des Kohleabbaus entstanden sind. 15 Michael Clarke