12 U 165/03 Brandenburgisches Oberlandesgericht

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12 U 165/03 Brandenburgisches Oberlandesgericht
12 U 165/03 Brandenburgisches Oberlandesgericht
4 O 289/02 Landgericht Cottbus
Anlage zum Protokoll vom 07.09.2006
Verkündet am 07.09.2006
…
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Brandenburgisches Oberlandesgericht
Im Namen des Volkes
U r t e il
In dem Rechtsstreit
der A… W…,
Klägerin und Berufungsklägerin,
- Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt …
gegen
die … Lebensversicherung AG,
Beklagte und Berufungsbeklagte,
- Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte …
hat der 12. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 3. August 2006 durch
ZP 650
Urteil OLG allgemein - MEGA
-2den Richter am Oberlandesgericht Beckmann,
den Richter am Oberlandesgericht Funder und
den Richter am Oberlandesgericht van den Bosch
für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 22. September 2003 verkündete Urteil der
4. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Cottbus, Az.: 4 O 289/02, abgeändert.
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.368,58 € nebst Zinsen in Höhe
von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins der Europäischen Zentralbank auf
jeweils 766,94 € seit dem 01.12.2001, 01.01.2002, 01.02.2002, 01.03.2002,
01.04.2002, 01.05.2002, 01.06.2002 zu zahlen.
2.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin beginnend mit dem 01.07.2002
bis längstens 01.07.2027 monatlich im Voraus 766,94 € zu zahlen.
3.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Überschussanteile
aus der Versicherung der Klägerin zur Vertragsnummer 1286738 beginnend
mit dem Kalenderjahr 2001 bis längstens zum Kalenderjahr 2027 zum Ende eines jeden Versicherungsjahres der Klägerin zuzuteilen.
4.
Es wird festgestellt, dass der Beklagten aus der Versicherung der Klägerin zur
Vertragsnummer 1286738 für die Zeit vom 01.12.2001 bis längstens zum
01.07.2027 keine Versicherungsprämien zustehen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor
der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
-3-
I.
Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung in Anspruch.
Wegen der Einzelheiten wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Dieser ist dahingehend richtig zu stellen, dass zwischen den Parteien auch Streit darüber
bestand, ob die Klägerin auf die Ausübung eines anderen Berufes verwiesen werden kann. Die
Beklagte hat eine Reihe anderweitiger Berufsbilder aufgezeigt. Diesbezüglich wird auf Seite
21 f der Klageerwiderung vom 16.09.2002 (Bl. 139 f d. A.) sowie Seite 2 f des Schriftsatzes
vom 23.01.2003 (Bl. 265 f d. A.) verwiesen. Im Hinblick auf ihre Vorerkrankungen hat sich
die Klägerin unter anderem auch darauf berufen, sie habe die von der Beklagten nach Einsichtnahme in die ärztlichen Unterlagen aufgezählten Krankheiten teilweise nicht gehabt bzw.
deren Schwere als Laie nicht erkannt und sei in einigen Fällen lediglich vom Vorliegen von
Erkältungs- bzw. Durchfallerkrankungen ausgegangen. Wegen der Einzelheiten wird auf die
Ausführungen auf den Seiten 2 ff im Schriftsatz vom 01.10.2002 (Bl. 225 d. A.) Bezug genommen. Zu vor dem Unfall der Klägerin aufgetretenen Rückenproblemen hat diese behauptet, anlässlich anderer Beschwerden am 22.07.1999 ihre Hausärztin aufgesucht und von Rückenschmerzen gesprochen zu haben, die sie auf die Benutzung ihres neuen Autos mit Sportsitzen zurückgeführt habe. Die Ärztin habe ihr insoweit mitgeteilt, dass alles in Ordnung sei.
Mit am 22.09.2003 verkündeten Urteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Versicherungsleistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung bestünde nicht, da der entsprechende Vertrag
von der Beklagten mit Schreiben vom 21.03.2002 wegen arglistiger Täuschung wirksam angefochten worden sei. Die Klägerin habe die in dem Antrag vom 18.06.1999 unter Ziffer 2 b - j
aufgeführten Fragen nicht zutreffend beantwortet, insbesondere eine Reihe ihr bekannter Gesundheitsstörungen nicht angegeben. Die Klägerin habe nicht beweisen können, dass sie insoweit schuldlos gehandelt habe. Ihr sei nicht der Nachweis gelungen, dass der Versicherungsagent H… ihr auf Nachfrage mitgeteilt habe, es seien nur chronische oder nicht ausgeheilte Krankheiten anzugeben. Der Zeuge habe diese Behauptung bei seiner Vernehmung
nicht bestätigt. Auch wenn der Zeuge im Hinblick auf die von ihm am 26.09.2002 abgegebene
schriftliche Erklärung gewisse Widersprüche nicht habe ausräumen können, so könne ihm
-4seine jetzige Zeugenaussage nicht widerlegt werden. Es könne im Ergebnis nicht festgestellt
werden, ob die schriftliche Erklärung vom 26.09.2002 der Wahrheit entspreche oder die Angaben in der gerichtlichen Vernehmung. Die Klägerin habe auch arglistig gehandelt. Ihr falle
Vorsatz zur Last, denn ihr sei die Unrichtigkeit der Angaben bekannt gewesen. Dabei sei zu
berücksichtigen, dass die Klägerin den Zeugen danach gefragt haben wolle, welche Erkrankungen anzugeben seien. Da die Klägerin nicht habe beweisen können, dass sie nur chronische oder noch nicht ausgeheilte Erkrankungen habe angeben sollen, sei auch kein anderer
Grund für das Verschweigen ersichtlich als der, auf die Entscheidung der Beklagten Einfluss
zu nehmen. Aus der Vielzahl der verschwiegenen Vorerkrankungen sei zu schließen, dass die
Klägerin bewusst alle Hinweise habe vermeiden wollen, die Bedenken hinsichtlich ihres Gesundheitszustandes hätten aufkommen und damit eine ärztliche Untersuchung hätten nach sich
ziehen lassen. Die Täuschung sei schließlich ursächlich für die Annahme des Antrages durch
die Beklagte geworden. Die Anfechtungsfrist sei gewahrt. Wegen der Begründung im Übrigen
wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.
Die Klägerin hat gegen das am 30.09.2003 zugestellte Urteil mit am 30.10.2003 beim Oberlandesgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und das Rechtsmittel innerhalb
verlängerter Frist mit am 29.12.2003 eingegangenem Schriftsatz begründet.
Die Klägerin bezieht sich auf ihren erstinstanzlichen Vortrag nebst den dortigen Beweisangeboten. Sie ist der Ansicht, der Beklagten sei keine Anfechtung des Versicherungsvertrages
wegen arglistiger Täuschung, sondern lediglich ein Rücktritt nach § 21 VVG möglich gewesen. Eine Leistungsfreiheit der Beklagten sei danach nicht eingetreten, weil die nicht angegebenen Vorerkrankungen mit dem Unfallereignis in keinem Zusammenhang stünden. Im Rahmen der Prüfung der Täuschungsanfechtung habe das Landgericht die Beweislast verkannt,
zudem sei ein Hinweis des Gerichts dazu geboten gewesen, dass es seine Auffassung zu einer
unzureichenden Darlegung der Beklagten betreffend die Arglist nicht mehr aufrecht erhalten
habe. Im Rahmen der Beweiswürdigung habe das Landgericht § 416 ZPO verletzt. Danach sei
aus der Erklärung des Zeugen H… vom 26.09.2002 auch auf deren inhaltliche Richtigkeit zu
schließen. Weiterhin habe das Landgericht im Rahmen der Beweiswürdigung gegen § 286
ZPO bzw. gegen §§ 284 ff ZPO verstoßen. Schließlich hat die Klägerin eine umfassende Arbeitsplatzbeschreibung vorgelegt. Wegen der – von der Beklagten bestrittenen – Einzelheiten
-5wird verwiesen auf die Darlegungen auf Seite 2 ff des Schriftsatzes vom 06.04.2004 (Bl. 496
ff d. A.).
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des am 22.09.2003 verkündeten und am 30.09.2003 zugestellten Urteils des Landgerichts Cottbus, Az.: 4 O 289/02, die Beklagte zu verurteilen,
1.
an sie 5.368,58 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszins der
Europäischen Zentralbank auf jeweils 766,94 € seit dem 01.12.2001,
01.01.2002, 01.02.2002, 01.03.2002, 01.04.2002, 01.05.2002, 01.06.2002 zu
zahlen,
2.
an sie beginnend mit dem 01.07.2002 bis längstens 01.07.2027 monatlich im
Voraus 766,94 € zu zahlen,
3.
festzustellen, dass die Beklagte zusätzlich verpflichtet ist, die Überschussanteile aus dem Vertrag Nr. 1286738 beginnend mit dem Monat Dezember 2001 bis
längstens zum Monat Juli 2027 an sie zu zahlen,
4.
festzustellen, dass der Beklagten aus der Versicherung der Klägerin zur Nr.
1286738 für die Zeit vom 01.12.2001 bis längstens zum 01.07.2027 keine Versicherungsprämien zustehen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte bezieht sich ebenfalls auf ihren erstinstanzlichen Vortrag einschließlich der dortigen Beweisangebote und verteidigt im Übrigen das landgerichtliche Urteil. Sie wendet sich
gegen die von der Klägerin gerügten Verfahrensfehler und verweist darauf, dass von der Klägerin nicht dargelegt worden sei, was sie auf den von ihr vermissten Hinweis des Gerichts hin
vorgetragen hätte. Ferner greift sie ihren Vortrag zu etwaigen Verweisungsberufen für die
-6Klägerin teilweise auf und vertieft diesen. Auch bestreitet sie, dass bei der Klägerin bis zu
ihrem Sturz keine Rückenleiden vorgelegen hätten. Hiergegen spräche, dass sich die Klägerin
im Juli 1999 im unmittelbaren Anschluss an den Vertragsschluss in ärztliche Behandlung wegen LWS-Beschwerden begeben habe.
Der Senat hat Beweis erhoben gemäß den Beschlüssen vom 02. und 23.09.2004, 25.08.2005
sowie 12.04. und 09.05.2006 durch Vernehmung der Zeugen M… M… und N… S… und die
Einholung von Sachverständigengutachten. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird
auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 02.09.2004 und 03.08.2006 sowie auf
die Gutachten des Sc vom 22.05.2005 und 29.05.2006 und die Gutachten der DiplomVerwaltungswirtin S… Ho… vom 05.12.2005 und vom 26.06.2006 Bezug genommen.
II.
1.
Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 511, 513, 517, 519, 520 ZPO. Die Berufungsbegründung genügt den Anforderungen
des § 520 Abs. 3 ZPO. Die Klägerin stützt ihr Rechtsmittel unter anderem darauf, das Landgericht habe die Beweislast betreffend den Anfechtungsgrund verkannt, zudem hätte der Inhalt
der schriftlichen Erklärung des Zeugen H… vom 26.09.2002 im Wege des Urkundsbeweis
gem. § 416 ZPO zu ihren Gunsten verwertet werden müssen. Die Klägerin macht damit eine
Rechtsverletzung geltend, auf der das Urteil beruhen kann, §§ 513, 546 ZPO.
2.
Auch in der Sache hat das Rechtsmittel Erfolg.
a)
Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch aus § 1 Nr. 1 a der Allgemeinen
Bedingung für die Berufsunfähigkeitsversicherung (EBO 199) in Verbindung mit dem zwischen den Parteien geschlossenen Versicherungsvertrag vom 18.06./09.07.1999 auf Zahlung
der versicherten Berufsunfähigkeitsrente zu.
-7aa)
Die Leistungspflicht der Beklagten ist nicht aufgrund der Anfechtung des Vertrages
durch Schreiben vom 21.03.2002 entfallen. Eine wirksame Anfechtung gem. § 9 Nr. 4 EBO
199 in Verbindung mit § 22 VVG wegen arglistiger Täuschung ist nicht gegeben.
Allerdings sind die Angaben der Klägerin jedenfalls hinsichtlich der im Versicherungsantrag
unter den Ziffern 2 b) und e) aufgeworfenen Fragen unrichtig im Sinne von § 16 VVG. Nach
§ 16 VVG hat der Versicherungsnehmer bei Vertragsschluss alle ihm bekannten Umstände,
die für die Übernahme des versicherten Risikos erheblich sind, dem Versicherer anzuzeigen.
Gem. § 16 Abs. 1 S. 3 VVG gilt dabei ein Umstand, nach welchem der Versicherer ausdrücklich und schriftlich gefragt hat, im Zweifel als erheblich. Es ist insoweit der Entscheidung des
Versicherers überlassen, ob und in welchem Umfang er von der Möglichkeit Gebrauch macht,
schriftlich Fragen nach gefahrerheblichen Umständen zu stellen (BGH VersR 1996, 1529).
Fehl geht von daher die Auffassung der Klägerin, die von der Beklagten im Fragenkatalog
aufgeworfenen Gesundheitsfragen seien zu weit gefasst. Unzutreffend hat die Klägerin zum
einen die unter Ziffer 2 b) aufgeführte Frage beantwortet, ob Beschwerden, Störungen,
Krankheiten oder Vergiftungen (beispielsweise Krankheiten an Nerven, Psyche sowie Depressionen) bestehen oder bestanden. Jedenfalls wäre hier die Behandlung wegen psychischer
Probleme im Jahre 1998 anzugeben gewesen, die mindestens 14 Termine umfasste. Ebenfalls
falsch beantwortet ist die unter Ziffer 2 e) aufgeführte Frage zu früheren Krankenhausaufenthalten, Operationen, besonderen Untersuchungen oder ärztlichen Behandlungen. Mindestens
der Krankenhausaufenthalt der Klägerin im Jahre 1998 zur Entfernung einer Ovarialzyste hätte insoweit angeben werden müssen.
Der Klägerin ist jedoch die für eine arglistige Täuschung notwendige wissentliche falsche
Angabe nicht vorzuwerfen. Erforderlich ist insoweit, dass der Versicherungsnehmer auf die
Entschließung des Versicherers Einfluss nehmen wollte. Dies ist der Fall, wenn er sich jedenfalls bewusst ist, dass der Versicherer möglicherweise den Antrag nicht oder nur unter abgeänderten Bedingungen annimmt, wenn er wahrheitsgemäße Angaben macht. Beweisbelastet
ist hierfür der Versicherer, wobei der Kausalitätsnachweis auch prima facie geführt werden
kann. Weiter ist der Rückgriff auf Indizien möglich, wobei Art, Schwere und Zweckrichtung
der Falschangaben besondere Bedeutung zukommt (OLG Karlsruhe VersR 1992, 1250,
Prölls/Martin-Prölls, VVG, Kommentar, 27. Aufl., § 22, Rn. 4 ff; Römer/Langheid, VVG,
Kommentar, 2. Aufl., § 22, Rn. 3, 5 f;). Liegen objektive Falschangaben vor, ist es Sache des
-8Versicherungsnehmers substantiiert plausibel zu machen, warum und wie es zu diesen Angaben gekommen ist; ihn trifft insoweit eine erhöhte Substantiierungslast (BGH VersR 1971,
142 ff, 144; OLG Frankfurt VersR 2001, 1097; OLG München r+s 2001, 84; OLG Hamm
VersR 1990, 765; Baumgärtel, Handbuch der Beweislast im Privatrecht, § 22 VVG, Rn. 7;
Prölls/Martin-Prölls, a.a.O., Rn. 5; a. A. OLG Oldenburg r+s 1988, 31; Römer/Langheid,
a.a.O., Rn. 6, die eine Umkehr der Beweislast annehmen, sich zur Begründung jedoch auf die
genannte Entscheidung des BGH beziehen, in der eine Beweislastumkehr - die auch nach Sinn
und Zweck nicht geboten erscheint - nicht postuliert wird). Vorliegend hat die Klägerin die
Unrichtigkeit ihrer Angaben damit erklärt, der Zeuge A… H…, der den Vertrag für die Agentur W… & Partner vermittelt hat, habe ihr gegenüber geäußert, nur chronische und noch nicht
ausgeheilte Krankheiten seien anzugeben. Im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung im Termin zur mündlichen Verhandlung am 26.02.2004 hat die Klägerin ihren Vortrag dahingehend
weiter präzisiert, dass der Zeuge H… den Versicherungsantrag bei einem Gespräch auf der
Bank vor dem Haus ihrer Eltern ausgefüllt habe. Der Zeuge habe ihr in diesem Rahmen die
Fragen vorgelesen. Sie habe daraufhin angefangen die Krankheiten und auch die Krankenhausaufenthalte zu schildern, worauf der Zeuge sie unterbrochen habe und gesagt habe, es
seien nur chronische und nicht ausgeheilte Krankheiten aufzuführen. Die Klägerin hat damit
die objektiv falschen Angaben im Versicherungsantrag plausibel erklärt, auch steht ihr Vortrag der Annahme einer wissentlich falschen Angabe entgegen. Der Beklagten ist es schließlich nicht gelungen die Unrichtigkeit der Erklärung der Klägerin zu beweisen. Zwar hat der
Zeuge H… die Behauptung der Beklagten, eine entsprechende Erklärung gegenüber der Klägerin habe er - der Zeuge - nicht abgegeben, im Rahmen seiner Vernehmung vor dem Landgericht bestätigt. Der Senat hält die Aussage des Zeugen H… jedoch nicht für glaubhaft. Den
Angaben des Zeugen bei seiner Vernehmung durch das Landgericht steht der Inhalt seiner
schriftlichen Erklärung vom 26.09.2002 entgegen, in der er die Version der Klägerin bestätigt
hat. Wie bereits das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, sind auch die Ausführungen des
Zeugen H… im Rahmen der Zeugenvernehmung zu seiner am 26.09.2002 abgegebenen Erklärung unklar und widersprüchlich. Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Zeuge ein handschriftlich vorformuliertes Schriftstück, wonach er bestimmte Erklärungen abgegeben haben soll,
unterschreibt und sogar noch handschriftliche Änderungen in dieser Erklärung abzeichnet,
wenn er diese Erklärung nicht lesen kann oder auf ihren Inhalt nicht geachtet hat. Dies umso
mehr als die Erklärung den Rechtsanwalt der Klägerin als Empfänger angibt und erst abgegeben wurde, als der Rechtsstreit zwischen den Parteien schon rechtshängig war, wobei zudem
-9nicht anzunehmen ist, dass der vorhergehende außergerichtliche Streit zwischen den Parteien
dem Zeugen verborgen geblieben ist.
Eine erneute Vernehmung des Zeugen in der Berufungsinstanz war nicht veranlasst. Der Senat
weicht bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussage nicht von der landgerichtlichen
Beurteilung ab. Auch das Landgericht hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass nicht festgestellt werden könne, ob die schriftliche Erklärung des Zeugen vom 26.09.2002 oder die
Aussage des Zeugen im Termin der Wahrheit entsprach, und damit ebenfalls die Unglaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Allein aufgrund der
falschen Beurteilung der Verteilung der Beweislast kam das Landgericht dann dennoch zur
Klageabweisung.
Die Anfechtung der Beklagten greift auch nicht wegen der Angaben der Klägerin zu der unter
Ziffer 2 c) aufgeführten Frage nach bestehenden oder behobenen Krankheitssymptomen an
Wirbelsäule, Bandscheiben, Gelenken und Knochen. Die diesbezüglich beweisbelastete Beklagte (vgl. hierzu Prölss/Martin-Prölss, a.a.O, Rn. 5) hat nicht nachweisen können, dass derartige Beschwerden bei der Klägerin schon bei Vertragsschluss bestanden. Allein der Umstand, dass die Klägerin zeitnah nach Vertragsschluss wegen eines LWS-Syndroms - jedenfalls nach Angaben der Ärztin Dr. G… Me… - behandelt wurde, rechtfertigt nicht den Rückschluss, dass entsprechende Beschwerden auch schon bei Vertragsannahme durch die Beklagte knapp zwei Wochen zuvor gegeben waren.
bb)
Die Beklagte ist auch nicht infolge des gleichfalls im Schreiben vom 21.03.2002 er-
klärten Rücktritts vom Versicherungsvertrag vom 18.06./09.07.1999 leistungsfrei geworden
ist. Eine Leistungsfreiheit des Versicherers tritt trotz Rücktritts gem. § 21 VVG in Verbindung
mit § 9 Nr. 3 EBO 199 dann nicht ein, wenn der Umstand, hinsichtlich dessen die Anzeigepflicht verletzt worden ist, keinen Einfluss auf den Eintritt des Versicherungsfalls und auf den
Umfang der Leistung des Versicherers gehabt hat. Dies ist vorliegend der Fall. Die Klägerin
hat einen unfallbedingten Rückenschaden erlitten. Falsche Angaben zu Vorerkrankungen, die
nicht diese Körperregion betrafen, sind somit ohne Einfluss auf den Versicherungsfall geblieben. Hinsichtlich des damit allenfalls relevanten LWS-Vorfalles, der nach Behauptung der
Beklagten gegeben ist, steht jedoch eine falsche Angabe der Klägerin - wie gezeigt - nicht
- 10 fest, auch verbleibt es insoweit - anders als hinsichtlich der Kausalität einer nachgewiesenen
falschen Angabe - bei der Beweislast des Versicherers.
cc)
Im Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme steht die Berufsunfähigkeit der Klä-
gerin zur Überzeugung des Senats fest, wobei nach § 1 Nr. 1 EBO 199 der Eintritt einer Berufsunfähigkeit in Höhe von mindestens 50 % genügt, um die Ansprüche des Versicherungsnehmers auszulösen. Nach § 2 Nr. 1 EBO 199 liegt eine Berufsunfähigkeit dann vor, wenn der
Versicherte infolge Krankheit oder Verletzung voraussichtlich sechs Monate ununterbrochen
außerstande ist, seinen Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben, die aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und seiner bisherigen Lebensstellung entspricht.
Entscheidend ist insoweit, wie sich die gesundheitliche Beeinträchtigung in der konkreten
Berufsausübung auswirkt. Dabei ist darauf abzustellen, wie das Arbeitsverhältnis des Versicherten beschaffen ist und welche Anforderungen es an ihn stellt. Hierzu muss der Versicherte
substantiiert vortragen und im Falle des Bestreitens Beweis antreten. Es genügt nicht die Angabe des Berufstyps und der Arbeitszeit, vielmehr ist vom Versicherten zu verlangen, dass er
eine konkrete Arbeitsbeschreibung vorlegt, mit der die für ihn anfallenden Leistungen ihrer
Art, ihrem Umfang und ihrer Häufigkeit nach für einen Außenstehenden nachvollziehbar werden (BGH VersR 1992, 1386; VersR 1988, 234; Behnke/Hirschberg, ALB/BUZ, Kommentar,
§ 2 BUZ, Rn. 40 f). Der Beruf im Sinne des § 2 EBO 199 ist dabei die konkrete Erwerbstätigkeit des Versicherten, auch innerhalb des einzelnen Berufsbildes (Prölss/Martin-Voit/
Knappmann in: Prölss/Martin, a.a.O., § 2 BUZ, Rn. 10). Diesen Anforderungen genügt der
Vortrag der Klägerin in der Berufungsinstanz. Das Vorbringen ist gem. § 531 Abs. 2 Nr. 1
ZPO noch zuzulassen. Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind zu berücksichtigen, wenn
sie einen Gesichtspunkt betreffen, den das Ausgangsgericht für unerheblich gehalten hat, weil
es den Fall materiell abweichend vom Berufungsgericht beurteilt hat (vgl. nur Thomas/PutzoReichold, ZPO, Kommentar, 27. Aufl., § 531, Rn. 14). Dies ist vorliegend der Fall. Der Umstand, dass das Landgericht Beweis (zum Anfechtungsgrund) erhoben hat, verdeutlicht
zugleich, dass es den Vortrag der Klägerin zum Umfang ihrer bisherigen Tätigkeit für ausreichend erachtet hat und eine weitere Substantiierung nicht für notwendig hielt, da anderenfalls
eine Klageabweisung bereits ohne Durchführung der Beweisaufnahme hätte erfolgen müssen.
Auch die von der Beklagten zitierte Entscheidung des OLG Koblenz vom 11.03.2004 (VersR
2004, S. 989) rechtfertigt eine andere Entscheidung nicht. Die dortige Konstellation behandelt
allein den Fall des § 531 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, nämlich die Frage, ob das Gericht auf die unzurei-
- 11 chende Substantiierung hinweisen muss, wenn bereits der Gegner die Anforderungen an einen
schlüssigen Sachvortrag aufgezeigt hat, oder ob bei Unterlassen eines Hinweises ein Verfahrensfehler vorliegt. Auch eine Zulassung der Revision war daher im Hinblick auf die Entscheidung des OLG Koblenz nicht geboten.
Aufgrund der Angaben der Zeugen M… M… und N… S… steht zur Überzeugung des Senats
fest, dass sich die von der Klägerin vor ihrem Unfall verrichtete Tätigkeit von den üblichen
Aufgaben einer im Schichtdienst in einem Krankenhaus eingesetzten Krankenschwester wegen der Besonderheiten des Justizvollzugsdienstes nicht unerheblich unterschieden hat. So hat
die Zeugin M… bekundet, dass in der Krankenabteilung der Justizvollzugsanstalt keine bettlägerigen Patienten behandelt wurden, in dieser Hinsicht körperlich beanspruchende Tätigkeiten daher in erster Linie bei der Behandlung von Notfällen bzw. Durchführung von ErsteHilfe-Maßnahmen anfielen. Weiter kam es zu körperlich anstrengenden Tätigkeiten bei den nach Auskunft der Zeugin - seltenen Fällen der Anwendung unmittelbaren Zwanges. Auch
war die Klägerin nach Angaben des Zeugen S… zur Nacheile bei flüchtenden Gefangenen
verpflichtet. Darüber hinaus steht aufgrund der Angaben der Zeugen fest, dass die Tätigkeiten
der Klägerin häufig auch im Gehen bzw. Stehen zu verrichten waren, da insbesondere Kontrollgänge innerhalb der Justizvollzugsanstalt zu absolvieren waren, wobei eine Vielzahl verschlossener Türen zu passieren war. Der Senat sieht keinen Anlass die Richtigkeit der Aussagen der Zeugen in Zweifel zu ziehen. Beide Zeugen haben sich um detaillierte und genaue
Angaben bemüht und dabei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich ihre Angaben nur auf
die allgemeinen Abläufe bzw. - bei der Zeugin M… - auf die von ihr zu erledigenden Arbeiten
bezogen haben.
Der Senat folgt den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Sc…, dass die Klägerin auf Dauer nicht in der Lage ist, ihren bisherigen Beruf mit den oben festgestellten Anforderungen auszuüben. Der Sachverständige hat seine Feststellungen im Gutachten vom
22.05.2006, die sich auf eine eingehende Untersuchung der Klägerin stützen, nachvollziehbar
begründet. Der Gutachter hat zwar nicht die Behauptung der Klägerin bestätigt, sie leide an
unvorhersehbaren und sehr schmerzhaften Phasen, die jede konzentrierte Arbeit unmöglich
bzw. unzumutbar machten. Der Sachverständige hat jedoch eine geminderte Trag- und Bewegungsfunktion des Rumpfes der Klägerin auf der Basis einer leichten Wirbelsäulenfehlhaltung, Operationsfolgen und Verschleißerscheinungen mit persistierender Irritation der Ner-
- 12 venwurzel L4 links festgestellt. Der Klägerin sind danach Tätigkeiten, die den Grad einer
„leichten Frauenarbeit“ überschreiten und ausschließlich oder überwiegend im Gehen und
Stehen zu verrichten sind, sowie Arbeiten in hockender, gebückter und kniender Körperhaltung und schließlich das Heben und Tragen von Lasten von mehr als 5 kg Gewicht nicht zumutbar. Die der Klägerin noch zumutbare Arbeit soll nach Ausführung des Gutachters primär
sitzend ausgeübt werden, wobei ein gelegentlicher Haltungswechsel am Arbeitsplatz im Sinne
des kurzfristigen Aufstehens und Umhergehens ermöglicht werden sollte. Ebenso folgt der
Senat den Ausführungen des Sachverständigen Sc… in seiner ergänzenden Stellungnahme
vom 29.05.2006, aus medizinischer Sicht sollte bei einem achtstündigen Arbeitstag die der
Klägerin zuzumutende sitzende Tätigkeit etwa 60 % umfassen, während die übrigen 40 % in
gehender und stehender Körperhaltung verrichtet werden könnten. Soweit die Beklagte die
Feststellung der Berufsunfähigkeit der Klägerin im Hinblick auf deren bisherige Tätigkeit
anzweifelt, überzeugen die Angriffe gegen das Gutachten nicht. Zwar war die Tätigkeit der
Klägerin nach den Bekundungen der Zeugen dem Berufsbild einer Arzthelferin angenähert.
Dies gilt jedoch nicht einschränkungslos. So verhindern die festgestellten Einschränkungen
der Klägerin beim Tragen und Heben eine effektive Leistung erster Hilfe, die Ausübung des
unmittelbaren Zwanges und die Durchführung einer Nacheile; auch sind die erforderlichen
Rundgänge nicht mit der Vorgabe einer überwiegend sitzenden Tätigkeit zu vereinbaren.
Auch die weiteren zunächst erhobenen Einwendungen gegen die Feststellungen des Gutachters betreffend die von diesen angewandten Untersuchungsmethoden (Erfordernis der Anfertigung eines Elektromyogramms) sind nach Auffassung des Senates nicht geeignet, die vom
Sachverständigen getroffenen Feststellungen in Zweifel zu ziehen. Zudem ist die Beklagte
nach Eingang des Ergänzungsgutachtens auf diese Einwände nicht wieder zurückgekommen
und hat auf eine weitergehende Erläuterung durch den Sachverständigen im Rahmen einer
Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat verzichtet.
Eine Berufsunfähigkeit der Klägerin entfällt auch nicht deshalb, weil sich die Klägerin auf
eine andere Tätigkeit verweisen lassen müsste, die sie aufgrund ihrer Ausbildung und Erfahrung ausüben kann und die ihrer bisherigen Lebenserfahrung entspricht, § 2 Nr. 1 EBO 199.
Die von der Beklagten benannten Vergleichsberufe sind der Klägerin nicht zuzumuten. Der
Versicherte darf nicht auf Tätigkeiten verwiesen werden, für die ihm die erforderliche förmliche Qualifikation fehlt, ebenso nicht auf eine Tätigkeit, die üblicherweise nur mit einer - dem
Versicherten fehlenden - Berufsausbildung ausgeübt wird (Prölss/Martin-Voit/Knappmann,
- 13 a.a.O., Rn. 26). Maßgeblich ist dabei der Ausbildungs- und Erfahrungsstand des Versicherten
im Zeitpunkt des Eintritts der Berufsunfähigkeit; nicht zu berücksichtigen sind Kenntnisse,
die sich der Versicherte erst noch verschaffen muss, etwa im Wege einer Umschulung (ebenda, Rn. 28). Weiter muss die Tätigkeit der bisherigen Lebensstellung des Versicherten entsprechen, sie darf weder hinsichtlich ihrer Vergütung noch in ihrer Wertschätzung spürbar
unter das Niveau der bislang ausgeübten Tätigkeit sinken (ebenda, a. a. O., Rn. 30). In welchem Rahmen insoweit ein Einkommensverlust hinzunehmen ist, ist eine Frage des Einzelfalles (BGH NJR-RR 1998, S. 239; Veith/Gräfe-Veith, Der Versicherungsprozess, § 8, Rn. 91).
Bei nicht übermäßig hohen Einkommen wird ein Einkommensverlust von mehr als 20 % tendenziell unzumutbar sein (Terbille-Höra, Münchener Anwaltshandbuch Versicherungsrecht,
§ 25, Rn. 112; Beckmann/Matusche-Beckmann-Rixecker, Versicherungsrechts-Handbuch,
§ 46, Rn. 141). Entgegen der Auffassung der Beklagten ist es dabei zulässig auf den Nettolohn
abzustellen, soweit eine Vergleichbarkeit der Einkommensverhältnisse gegeben ist (vgl. BGH
a.a.O.; Beckmann/Matusche-Beckmann-Rixecker, a.a.O., Rn. 136). Zu berücksichtigen ist
jedenfalls, dass bei einem Beamten nicht in vergleichbarer Weise wie bei einem Angestellten
Arbeitslosen- und Rentenversicherungsbeiträge anfallen (OLG Frankfurt r+s 2000, S. 127;
Veith/Gräfe-Veith, a.a.O., Rn. 94). Ebenfalls in die Betrachtung einzubeziehen sind Zuschläge, die mit hoher Wahrscheinlichkeit vom Versicherten auch in Zukunft erzielt worden wären
(Veith/Gräfe-Veith, a.a.O., Rn. 96; Beckmann/Matusche-Beckmann-Rixecker, a.a.O., Rn.
138). Schließlich ist auch die höhere Sicherheit eines Arbeitsplatzes im öffentlichen Dienst
bei der Beurteilung der Zumutbarkeit des Verweisungsberufes zu berücksichtigen
(Prölss/Martin-Voit/Knappmann, a.a.O., Rn. 32).
Nach den ebenfalls nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Diplom-Verwaltungswirtin S… Ho… in ihrem Gutachten vom 05.12.2005 verfügt die
Klägerin hinsichtlich einer Vielzahl der aufgezeigten Verweisungsberufe nicht über die erforderlichen Qualifikationen, es wäre daher zumindest eine längerfristige, der Klägerin nicht
mehr zumutbare Einarbeitungszeit erforderlich. So verfügt die Klägerin nicht über die für die
Tätigkeit als Arztsekretärin und Zahnarztsekretärin sowie Sekretärin im Gesundheitswesen
erforderlichen Schreibmaschinen- und PC-Kenntnisse sowie über Erfahrungen im Abrechnungswesen von Arzt- bzw. Zahnarztpraxen. Die insoweit erforderliche rund sechsmonatige
Einarbeitung bzw. entsprechende Fortbildung übersteigt das zumutbare Maß. Auch die für das
Berufsbild einer EEG-Assistentin erforderliche drei- bis sechsmonatige Einarbeitung ist nicht
- 14 zumutbar, zumal eine entsprechende Tätigkeit üblicherweise von Fachassistenten für neurophysiologische Funktionsdiagnostik oder medizinisch-technische Assistenten für Funktionsdiagnostik ausgeübt wird. Für eine Tätigkeit als Telemedizinische Assistentin verfügt die Klägerin ebenfalls nicht über die erforderlichen EDV-Kenntnisse um die Tätigkeit innerhalb einer
angemessenen Einarbeitungszeit vollwertig verrichten zu können. Für den Beruf der Diabetesberaterin ist eine einjährige Fortbildung erforderlich, die wiederum von der Klägerin nicht
verlangt werden kann. Die Tätigkeit als medizinische Dokumentarin bzw. medizinische Dokumentationsassistentin stellt einen eigenständigen, nichtärztlichen Gesundheitsberuf dar,
hinsichtlich dessen der Klägerin die erforderlichen Grundkenntnisse fehlen. Auch für das Berufsbild der Pharmareferentin ist eine Fortbildung erforderlich, die der Klägerin nicht zugemutet werden kann, da ihre bisherige Tätigkeit weder eine kaufmännische Ausbildung noch Vertriebskompetenz voraussetzte. Der Einsatz als Fachverkäuferin bzw. -beraterin im Bereich
Medizintechnik oder Sanitätshandel sowie als Fachberaterin im Verkaufsaußendienst für Pflegemittel und -geräte erfordert wiederum eine sechsmonatige Einarbeitungszeit, die der Klägerin nicht zugemutet werden kann. Schließlich kann auch eine Tätigkeit als Schulschwester
nach den Ausführungen der Sachverständigen Ho… in ihrem Ergänzungsgutachten vom
26.06.2006 der Klägerin nicht zugemutet werden, weil auch insoweit eine Fortbildung in einem Umfang von 17 bis 23 Monaten erforderlich wäre.
Hinsichtlich einer Tätigkeit als Sprechstundenhelferin (entspricht dem Berufsbild der Arzthelferin und Praxisassistentin), als Werksschwester oder als sozialmedizinische Assistentin ist
nach den Feststellungen der Sachverständigen Ho… hingegen eine hinreichende Qualifikation
der Klägerin gegeben. Gleichwohl muss sich die Klägerin auf eine solche Tätigkeit ebenso
wenig verweisen lassen wie auf eine Tätigkeit als Krankenschwester außerhalb des Justizvollzugsdienstes (etwa in der Zentralen Aufnahme eines Krankenhauses oder in einem Sanatorium oder Kurheim oder in einer Blutspendezentrale). So steht zur Überzeugung des Senates
aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen Sc… fest, dass eine Tätigkeit als Arzthelferin der Klägerin bereits aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich ist, da hierzu in einem
Maß Tätigkeiten im Gehen und Stehen verrichtet werden müssen, der das Restleistungsvermögen der Klägerin übersteigt.
Bezüglich der verbleibenden Berufsbilder ist der Klägerin eine Arbeitsaufnahme nicht zumutbar, weil nach den Ausführungen der Sachverständigen Ho… das zu erwartende Einkommen
- 15 der Klägerin hinter ihren zuletzt erzielten Einkünften in einem nicht mehr erträglichen Maße
zurückbleiben würde. Dabei ist im vorliegenden Fall auf den Nettolohn abzustellen, da die
von der Beklagten aufgezeigten Verweisungsberufe nicht im Beamtenverhältnis ausgeübt
werden, mithin das Bruttoeinkommen durch die Sozialabgaben in einer völlig anderen Weise
belastet wird als bei der ursprünglichen Tätigkeit der Klägerin im Beamtenverhältnis. Auszugehen ist von den von der Sachverständigen Ho… anhand der von der Klägerin mit Schriftsatz
vom 25.04.2006 eingereichten Einkommensnachweise ermittelten monatlichen Nettoeinkünften von 2.312,17 €, bei denen auch die Zulage für die Tätigkeit im Schichtdienst berücksichtigt ist. Abzusetzen ist der monatliche Beitrag der Klägerin zu ihrer privaten Krankenversicherung von unbestritten 160,00 €, sodass ein Betrag von 2.152,17 € verbleibt. Zutreffend hat die
Sachverständige Ho…, wie sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erläutert hat,
sodann die Nettoeinkünfte hinsichtlich der Verweisungsberufe anhand der entsprechenden
persönlichen Parameter der Klägerin - Steuerklasse 2, Kinderfreibetrag 0,5, kein Steuerfreibetrag, Entlohnung nach „Westtarif“ - ermittelt. Danach ergibt sich für die Tätigkeit als Krankenschwester außerhalb des Justizvollzugsdienstes ein Einkommen von 1.573,71 € und damit
eine Einkommensminderung von 26,88 %. Für das Berufsbild der sozialmedizinischen Assistentin errechnet sich ein Einkommen von maximal 1.250,26 €, mithin eine Einkommensminderung von 41,91 %. Die Arbeit als Werksschwester ergibt Einkünfte von 1.633,66 €, führt
also zu einer Einkommensminderung von 24,09 %. Angesichts der hohen Differenzen zum
bisherigen Einkommen der Klägerin bei einem nicht allzu hohen Gehaltsniveau sowie unter
Berücksichtigung des Umstandes, dass die Klägerin zugleich ihre sichere Lebensstellung als
Beamtin verliert, sind die genannten Tätigkeiten der Klägerin nicht zuzumuten. Auch die weiteren Angriffe der Beklagten gegen die Ausführungen der Sachverständigen Ho… rechtfertigen ein anderes Ergebnis nicht. Die Sachverständige hat bei ihrer Anhörung plausibel begründet, warum sie die Klägerin in die Tarifgruppe III bei einer Einstellung als Werksschwester
eingruppiert hat, indem sie auf die Tätigkeitsmerkmale der ausdrücklich im Tarifvertrag aufgeführten Berufe abgestellt hat. Im Übrigen wäre es Sache der Beklagten gewesen, die Einordnung der Klägerin in eine bestimmte (andere) Gehaltsgruppe darzulegen (vgl. OLG München, VersR 1992, S. 1339). Aus ihren weitergehenden Nachfragen und Anmerkungen zu den
von der Sachverständigen verwendeten Berechnungsmethoden hat die Beklagte schließlich
keine dem Senat nachvollziehbaren Folgerungen gezogen, etwa die Sachkunde der Gutachterin angezweifelt.
- 16 dd)
Nach allem ist von einer Berufsunfähigkeit der Klägerin aufgrund des Sturzes vom
28.10.1999 auszugehen, sodass sie die vertraglich vereinbarte Rente von monatlich 766,94 €
(1.500,00 DM) ab Dezember 2001 beanspruchen kann, wobei die Zahlung monatlich im Voraus zu erfolgen hat (§ 1 Nr. 2 EBO 199) und nach Maßgabe des § 1 Nr. 7 EBO 199 entsprechend der Absprache zwischen den Parteien längstens bis zum 01.07.2027 zu leisten ist.
b)
Zinsen kann die Klägerin aus §§ 288 Abs. 1, 284, 285 BGB a. F. verlangen. Einer ver-
zugsbegründenden Mahnung der Klägerin bedurfte es nicht, da für die Leistung der Klägerin
eine Zeit nach dem Kalender bestimmt war, § 284 Abs. 2 BGB a. F.
c)
Weiter war auf den Antrag zu 3. festzustellen, dass die Beklagte zusätzlich verpflichtet
ist, die Überschussanteile aus dem Vertrag Nr. 1286738 beginnend mit dem Kalenderjahr
2001 bis längstens zum Kalenderjahr 2027 zum Ende eines jeden Versicherungsjahres zuzuteilen, § 24 B Nr. 2 EBO 199. Der Senat hat insoweit den Antrag der Klägerin, der ersichtlich
auf die Klausel in § 24 B Nr. 2 EBO 199 abzielt, an den Wortlaut der Bestimmung angepasst
aufgefasst.
Schließlich war die Feststellung auszusprechen, dass die Klägerin während der Dauer der Berufsunfähigkeit – nach Maßgabe des § 1 Nr. 7 EBO 199 - von der Beitragszahlungspflicht für
die Hauptversicherung befreit ist, § 1 Nr. 1 b EBO 199.
3.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 1,
708 Nr. 10, 711 S. 1, 2 ZPO.
Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO rechtfertigen würden, sind
nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von
der höchstgerichtlichen oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der
Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts
oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Entgegen der Auffassung der Beklagten weicht der Senat nicht von den angeführten
Entscheidungen des Bundesgerichtshofes vom 22.10.1997 (NJW-RR 1998, S. 239) und des
OLG München vom 08.05.1991 (VersR 1992, S. 1339) ab. Beiden Entscheidungen lag nicht
die hier gegebenen Sonderkonstellation zugrunde, dass die ursprüngliche Tätigkeit des Versi-
- 17 cherten im Beamtenverhältnis erbracht wurde, mithin die anfallenden Lohnnebenkosten sich
bei der Bestimmung des Nettolohnes völlig anderes auswirken als bei einer Tätigkeit im Angestelltenverhältnis, die den Verweisungsberufen zugrunde lag.
Wert der Beschwer für die Beklagte:
40.459,08 €.
Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 40.459,08 € festgesetzt
[Antrag zu 1. (bezifferter Zahlungsantrag): 5.368,58 €;
Antrag zu 2. (wiederkehrende Rentenzahlungen: 3,5 x 12 x 766,94 =) 32.211,48 €, §§ 9 ZPO,
17 Abs. 2 Satz 2 GKG a. F., vgl. BGH VersR 2001, S. 600;
Antrag zu 3. (Feststellung der Auszahlungspflicht hinsichtlich der Überschussanteile; jährliche Überschussanteile geschätzt auf 3 Monatsbeiträge, 20 %iger Abschlag, da positive Feststellungsklage): 546,50 €,
Antrag zu 4. (Feststellung des Fehlens der Verpflichtung zur Zahlung der Versicherungsprämie: 3,5 x 12 x 65,06 =) 2.732,52 €, §§ 9 ZPO, 17 Abs. 2 Satz 2 GKG a. F., vgl. BGH VersR
2001, S. 600].
Beckmann
Funder
van den Bosch