Meine Kriegserinnerungen von Leopold Korndeuer Erzählt von
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Meine Kriegserinnerungen von Leopold Korndeuer Erzählt von
Meine Kriegserinnerungen von Leopold Korndeuer Erzählt von Leopold Korndeuer, geschrieben von seiner Enkelin Melanie Feigl. Entstanden ist dieses Buch zwischen Herbst 2007 und Frühjahr 2008 Gewidmet meinen Großeltern Johanna und Leopold Korndeuer Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 1 Inhalt Vorwort Meine Kindheit und Knechtzeit Unser Haus in der Au Meine Kriegserinnerungen nach über 60 Jahren Die Gefangenschaft Mein Leben nach dem Krieg 3 4 7 12 30 45 Großvaters 80. Geburtstag Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 2 Vorwort Mein Großvater ist heute im 95. Lebensjahr und für dieses Alter „fit wie ein Turnschuh“. Ich bin unendlich stolz auf meinen Opa, dass er sein oft so schweres Leben so gut gemeistert hat. Er ist ein herzensguter, genügsamer und arbeitsamer Mensch. Ich bin ihm dankbar für seine Niederschriften, die ich für dieses Buch verwenden konnte, und seine Zeit, die er über dies noch für Gespräche mit mir aufgebracht hat. Dazu muss ich erwähnen, dass Zeit für meinen Großvater schwer zu entbehren ist, da er laufend beschäftigt ist, und jede freie Minute draußen verbringt. Beispielsweise musste ich ihm für ein Schulprojekt drei Tage nachlaufen, bis er endlich Zeit für mich fand. Ich möchte mit dieser Geschichte das Leben meines Großvaters für die Nachwelt festhalten, schließlich ist er einer der letzten Zeitzeugen dieser grausamen Zeit, des Zweiten Weltkrieges. Es wird in absehbarer Zukunft keine Zeugen dieser Zeit mehr geben, die uns von ihren Erlebnissen erzählen können. Vor allem möchte ich nicht, dass diese Ereignisse in Vergessenheit geraten, sie sollen ein Mahnmal bleiben. Mein Großvater hat immer betont, dass er gegen das Hitlerregiem war, doch es half alles nichts, jeder wurde eingezogen um in den Krieg zu ziehen, und viele mussten ihr Leben auf dem Schlachtfeld lassen. Opa ist ein sehr intelligenter Mann, der viel liest und an allem Interesse findet. So kennt er noch alle Ortsnamen ohne im Atlas nachlesen zu müssen und kann noch einige Worte russisch sprechen. Daran kann man jedoch ablesen, wie sehr diese Zeit einen Menschen geprägt hat. Mir hat er einmal gesagt: „Lerne viel und gerne. Klugheit ist etwas, das man dir nicht nehmen kann. Sei optimistisch und sparsam, dann wirst du es im Leben zu etwas bringen.“ Einige Sprichwörter die sich in seinem Leben als richtig erwiesen haben: Ehrlich wert am längsten Wer den Groschen nicht ehrt, ist den Schilling nicht wert Früh übt sich, wer ein Meister werden will Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Ich danke ihm und natürlich auch meiner Großmutter, die oft als „Sprachrohr“ gedient hat, für jede Minute, die ich mit ihnen verbringen darf, und hoffe auf noch viele gemeinsame Stunden. Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 3 Meine Kindheit und Knechtzeit Ich wurde in Stephanshart am 12. August 1913 als Sohn von einfachen „Häuselleuten“ geboren. Meine Mutter Rosina, geborene Schüller (1881-1958), war beim heutigen Elser in Stephanshart im Dienst. Der Vater, Leopold Korndeuer (1879-1952), abstammend von Waldhausen (Hausname Dirner), leistete seinen Dienst beim Schoderwirt, dem heutigen Gasthaus Moser. Geheiratet haben die beiden 1907 in Stephanshart, wo sie sich danach ein Haus im Messnerholz Nr. 9 gekauft haben. Mein Vater erlernte nach der Hochzeit den Beruf des Maurers auf verschiedenen Höfen, wo seine Hilfe benötigt wurde. 1914 musste Vater dann in den Ersten Weltkrieg einrücken. Meine Erinnerungen gehen zurück bis 1917, als mein Vater kurz auf Urlaub vom Krieg heim kam. Damals kam jedes Kind zu Hause ohne ärztliche Hilfe zur Welt. Aufgewachsen bin ich unter einer strengen aber guten Erziehung meiner Eltern. Natürlich bekam ich auch Schläge, musste „Scheitelknien“ zur Strafe und kleinere Arbeiten verrichten, aber das gab es damals überall. Heute danke ich meinen Eltern dafür, denn Erziehung ist Erziehung. Es waren schwere Zeiten während und nach dem ErsMein Vater Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 4 ten Weltkrieg. Das Essen war knapp, doch es gab immer etwas, richtig hungern mussten wir nie. Vorher war es zur Kaiserzeit soweit gut, es war wenigstens ruhig, Goldene Zeiten gab es aber auch nicht. Unterm Ersten Weltkrieg „musste“ (wurde nicht gesagt, aber es war Pflicht) man sich Kriegsanleihen kaufen, das waren große Papiere, sozusagen sinnlose Dokumente, mit denen man den Krieg finanzierte. Das gleiche galt für Goldschmuck, man „durfte“ ihn abgeben zum Kanonen gießen, „musste man aber nicht“. „Gold gab ich für Eisen“, wozu auch die Kirchenglocken einge- Die alte Kirche von Stephanshart schmolzen wurden. Nach dem Ersten Weltkrieg herrschte Demokratie, ein Ständestaat unter Bundeskanzler Dollfuß, den ich später einmal in Amstetten treffen durfte. Er wurde am 25. Juli 1935 ermordet. Ich hatte vier Schwestern, von denen eine, die Cilli, geboren 1920, mit zwei Monaten im Kinderwagen gestorben ist und die andere, Rosina geboren 1912, verunglückte mit 17 Jahren mit der Dreschmaschine. Nach vier Tagen im Krankenhaus Amstetten ist sie ihren schweren Verletzungen erlegen (ihr wurde beim Unfall das Bein abgetrennt). Die Maria, gerufen Mirzl, wurde als älteste 1910 geboren und Anna, gerufen Nanni, kam 1919 zu Welt. Wir hatten ein gutes Verhältnis zu einander, Streit konnten wir uns nicht erlauben. Im Dezember 1924 zogen wir in das Haus, das meine Eltern in der Au Nr. 27 gekauft hatten. Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 5 Meine verstorbene Schwester Rosina Mirzl, Mutter mit mir, Rosl und meine Großmutter Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 6 Unser Haus in der Au Der Preis betrug damals 90 Millionen Kronen, davon konnten meine Eltern 50 Millionen Kronen bezahlen, die restlichen 40 Millionen Kronen mussten sie sich von der Bank leihen. Im Dezember 1925 war die große Inflation. Vorher hatten wir Kronen, Gulden und Heller. Danach waren 10.000 Kronen ein Schilling. Die Schulden meiner Eltern wurden auf 40.000 Schilling umgeschrieben, dazu kamen noch Zinsen in der Höhe von 18 %. Dies war damals sehr viel Geld, vor allem da mein Vater es nur durch Obsternten und im Sommer mit seinem Beruf als Maurer verdienen musste. Mein Geld, das ich als Kind mühsam gespart hatte, habe ich verloren, es war nichts mehr wert. Also, die „guten alten Zeiten“ kann man auch nicht sagen, es gab ebenso auch sehr schlechte Dinge. Um für die Hühner Futter zu bekommen, sammelte ich von den geernteten Feldern die liegen gebliebenen Reste ein. Mit sechs Jahren kam ich dann in die Volksschule, die ich sieben Jahre besuchte. In meiner Klasse waren 30 Schüler. Die Bürgerschule in Amstetten, die heutige Hauptschule, war nur für Städter, Unser Haus in der Au Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 7 die Reichen sozusagen. In dieser Zeit hatte ich einen Lehrer, Herrn Pavani. Er war sehr streng und hat auch Prügel verteilt, trotzdem mochten ihn alle. Auch ihm danke ich heute. Er hat mir viel beigebracht. Am Nachmittag hab ich unsere braune Kuh genommen und habe sie zum Fressen auf Wiesen geführt. Die ist mir oft durchgegangen und hat mich mitgeschleift. Aber sie hat gut 20 Liter Milch pro Tag gegeben. Nach der Schulzeit, mit 14 Jahren, half ich bei den Bauern in der Umgebung. Ab Jänner 1932, mit 19 Jahren, kam ich zur Familie Denken/Schoder als Dienstbote auf den Bauernhof. Der Bauer brachte mir das Arbeiten und Zupacken richtig bei. Helfen musste ich zu Hause schon mit 10 Jahren. Durchschnittlich stand ich gegen 4.30 Uhr auf, im Sommer oft schon um 3 Uhr morgens wegen der Ernte. Je nach Wetterlage dauerte der Tag oft bis spät abends. Wir hatten bereits eine Mähmaschine, die von einem Pferd geführt wurde. Die Bauern des Mittelstandes hatten zwei Rösser für die Arbeit, mehr hatten nur die Großbauern. Ich war ein so genannter Tagelöhner, wohnte beim Bauern in einer Kammer, und bekam zu Essen und zu Trinken. Die Möglichkeit, einen Beruf zu erlernen, gab es nicht. Darum wurde ich später Bauer am heimischen Hof, den sich meine Eltern in der Au gekauft hatten. Urlaub hat es bei uns nicht gegeben, das Geld war zu wenig. Unsere Freizeit an so genannten Bauernfeiertagen und Sonntagen verbrachten wir in keinem Gasthaus, sondern wir sind bei Nachbarn zusammengekommen und haben gesungen und musiziert. Nur Weihnachten und Ostern wurde groß gefeiert mit verhältnismäßig gutem Essen, an Geschenke war jedoch nicht zu denken, Unser Haus in der Au Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 8 Mein Zeugnis Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 9 woher auch. Im Gegensatz dazu wurde der Geburtstag nicht einmal erwähnt. Natürlich gingen wir auch jeden Sonntag in die Kirche, oft auch in den Segen am Nachmittag. Die Gehzeit betrug eine Viertel bis halbe Stunde. Auch die Hobbys beschränkten sich auf Dinge die man finanzieren konnte, wie basteln, Rad fahren und Spiele wie zum Beispiel: Fleischseite stehlen, Pfandspiele, Stockschlagen und Böhmische Musikanten spielen. Diese Spiele wurden mit gleichgesinnten Freunden aus der Nachbarschaft gespielt. Die Haare schnitt mir unsere Mutter. Frauen trugen Schöpfe, da sie eigentlich alle lange Haare hatten. Schminke gab es keine. Meine Kleidung war nicht sehr umfangreich, sondern einfach und arm. Wenn ich aus etwas herausgewachsen war, bekamen die jüngeren Geschwister die Sachen. Im Winter gab es nur Holzschuhe. Die Körperpflege wurde im Sommer draußen beim Brunnen erledigt. Im Winter wurde für die ganze Familie ein Waschtrog in der Küche aufgestellt, in dem vom Vater bis zum jüngsten Familienmitglied alle gebadet haben. Das Badewasser wurde vom Brunnen geholt und am Herd erhitzt. Auch beim Fortgehen musste man sich an das halten, was man hatte, also war ich nur drei- oder viermal im Jahr bei einem Feuerwehr- oder Kameradschaftsball oder einer Hochzeit, wohin ich auch zu Fuß gehen musste. Meine Lieblingsbeschäftigung mit Freunden war das Fensterln. Meine jetzige Frau kannte ich schon seit meiner Kindheit, heiraten konnten wir jedoch erst nach dem Krieg. Uneheliche Beziehungen gab es selten, und wenn, dann heimlich. Bei ledigen Kindern war die Sache komplizierter. Sie waren arm, denn die Mutter musste arbeiten und kümmern wollte sich auch keiner so richtig, manchmal zog sie die Großmutter auf. Dafür musste ihr die Mutter Geld geben. Andere wurden hin und her gestoßen, sozusagen indirekt verstoßen. Glück hatten sie wenn, die Bäuerin nett und verständnisvoll war. Der Nachfolger von Dollfuß war Kurt Schuschnigg. Nach seinem Abtritt gab es den Ausspruch der Nazis: „Der Kurt ist furt, jetzt geht’s uns gurt.“ Hitlers Einmarsch war dann am 13. März 1938. Im Dienst beim Denken hatten wir ein Radio, da konnte ich schon die Lage mitverfolgen. Ich saß oft noch lange bei den Berichten, als alle anderen bereits im Bett waren. Die ausländischen Sender waren zwar verboten, man konnte den Russischen aber trotzdem hören. Nach acht Jahren als Dienstbote wurde ich in den Kriegsdienst eingezogen. Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 10 Meine Frau Johanna Ich in jungen Jahren Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 11 Meine Kriegserinnerungen nach über 60 Jahren Eingerückt bin ich zu Pferd am 10. April 1940 in die Jägerkaserne in Stockerau, statt Kompanie hat es Schwadron geheißen. Zwei Monate genossen wir sehr strenge und schikanöse Ausbildung. Dann konnte ich für einen Tag nach Hause fahren, da hat es den ganzen Tag in Strömen geregnet. Am Tag darauf musste ich wieder fortfahren, da hatten wir in der Au schon Hochwasser. Am 7. Juni ging es ab nach Frankreich über München, Stuttgart, Saarbrücken und Lothringen. Da der Frankreichfeldzug 1940 nur drei Wochen dauerte, konnten wir nicht mehr weiter und waren Besetzung. Mir hat es dort gut gefallen. Hitler ist noch vor Österreich in das Saarland einmarschiert. Wir waren die sechste Fahrersatzschwadron, Division 262, und hatten den Steffelturm als Zeichen. Zugeteilt war die Division zur sechsten Armee. Ich war beim Tross, der für die Versorgung der Truppe zuständig war, so bin ich viel unterwegs gewesen und hab viel gesehen. Jede Woche fuhr ich einmal nach Metz. Auch die Festung Verdun (westlich von Metz) haben wir besichtigt, eine unterirdische Verteidigungsanlage aus dem Ersten Weltkrieg mit einem riesigen Mahnmal, in das Foto vom Reichsbund, ich bin der 5. von rechts, letzte Reihe. Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 12 alle Namen der 700.000 Gefallenen eingetragen sind, und davor die größten Soldatenfriedhöfe. Wir sind dann im Herbst 1940 in Cochem an der Mosel bei strömenden Regen und stockfinsterer Nacht Bahn verladen worden. Es war ein unendlich langer Zug. Alle waren bis auf die Haut nass. So haben wir vier Tage gebraucht, durch ganz Deutschland, nach Altwette in Oberschlesien. Das ist ein Dorf, zehn Kilometer vor Neisse. Dort wurde unsere Gruppe in einem gutsehnlichen Bauernhof ein quartiert. Zwei Brüder waren die Besitzer, einer war SS Sturmführer und einer führte die Wirtschaft. Einen Bruder hatten sie noch, der war in Amerika. Uns ist es nicht schlecht gegangen, wir kamen jede Woche ein paar Mal nach Neisse, eine sehr schöne Stadt, und nach Bad Ziegenhals ins Kino oder zum Baden. Am Sonntag machten wir Ausflüge in die Nachbarortschaften, auch in die Kirche sind wir gegangen, das taten wir auch in Frankreich, wenn Gelegenheit war. Ich weiß noch, in Mezieres war eine wunderschöne Kirche, die Messfeier war beeindruckend, wenn wir es auch nicht verstanden. Kommen wir wieder zurück nach Oberschlesien. Im Winter mussten wir mal eine Übungsfahrt machen, bei 29 Grad unter 0, über 60 Kilometer hin und retour. Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 13 Die meisten von uns waren Bauernburschen und wir haben uns gut verstanden. Der Bauer des Gutshofes hieß Herde Max und hatte vier Dienstboten, zwei Burschen und zwei Mädchen. Er war ledig und hatte eine Wirtschafterin. Eine Jause gab es nicht, auch der Lohn war weniger als bei uns. Jeden Tag musste der eine Bursche sehr früh die Pferde einspannen und beim anderen ging es dauernd: „Nur feste, feste Josef.“ So kam das Frühjahr und am 4. April ging es ab Richtung Osten. Wir hatten nicht weit bis zur Grenze nach Polen, übrigens gehört heute alles zu Polen, wo wir damals waren. Die erste Ortschaft war Heningen, an einem Sonntag. Wir wurden bewirtet wie die Grafen, geschlafen haben wir in den schönsten Betten. Wir fuhren mit den Pferden durch ganz Polen, auch die Infanterie marschierte den gleichen Weg. So machten wir jeden Tag 40 – 50 Kilometer und kamen nach Galizien, das ehemals zu Österreich gehörte. Weiter fuhren wir über Ratibor (Racibórz) Richtung Biliez, Cernowice. Da hatte ich Glück, als von Zakopane ein LKW der Luftwaffe kam und mir von der Seite in meinen Wagen fuhr. Glücklicherweise hatte der Hauptmann gesehen, dass ich keine Schuld hatte. Er hat diesen Fahrer zusammen geschrieen, dass ihm die Ohren wackelten. Bei meinem Wagen war das hintere Rad kaputt. Der Schreiber hat schnell ein Foto gemacht, das hab ich heute noch. Friedhof von Gefallenen des 1. Weltkrieges in Verdun, Frankreich. Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 14 Es kam der Ostersonntag, die Leute in Cernowice sind im Festtagsgewand in die Kirche gegangen, für uns hieß es einen Tag Pause. Wir kamen immer weiter nach Osten nach Neu Landez südlich von Krakau (Kraków), dort waren wir ein paar Tage. Das Wetter wurde immer schöner, es ist ziemlich gebirgig dort, die Leute waren sehr freundlich und schön in ihrer Tracht, die da vom Dükla Pass und der hohen Tatra herunterkamen. In Gorlice machten wir wieder ein paar Tage Rast, Pfingstsonntag waren wir dann in Dębica. In der Früh durften wir in die Kirche gehen. Sie war drinnen sehr schön, auch die Messe in Polnisch war nett anzuhören. Danach konnten wir mitsamt den Pferden in die Wisłoka baden gehen. Es war schön, wie die Pferde mit uns geschwommen sind. Es ging weiter über die nächste Stadt Rzeszów (deutsch Reichshof ). Von dort über Jarosław nach Przemyśl. Das liegt schon am Fluss San. Dort schlugen wir in einem großen Wald unser Lager auf. Am anderen Flussufer hieß es bereits „Kriegsstraße“. Zuvor war vom Krieg noch keine Rede. Am 21. Juni spät abends mussten wir uns alle versammeln und der Hauptmann sagte: “Die Wehrmacht habe vor, in Russland einzumarschieren und weiter nach Irak – Iran, um zu den Ölquellen zu gelangen. Ich glaube nicht, dass Russland viel dagegen halten wird. Morgen also, 22. Juni, geht es los, drei Uhr früh.“ Gorlice in Polen Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 15 Wir lagen zehn Meter vor den Mündungsrohren unserer schweren Artillerie (15er) und hatten Munitionsnachschub für diese. Jedes Geschoss (Granate) hatte ca. 45 Kilogramm. Wir dachten, das erste wäre ein schweres Trommelfeuer von unserer Seite. Indes schickte man die Infanterie ohne jede Unterstützung durch schwere Waffen über die Grenze, abends kamen dann von der ganzen Kompanie nur mehr acht Mann zurück. Der Russe hat sie ganz nahe zu seinen Bunkern kommen lassen und dann niedergemäht und versprengt. Erst am anderen Tag ist der Höllenlärm losgegangen. Erst als unsere Artillerie aus allen Rohren geknallt hat, ist der Weg frei geworden für den Vormarsch. Es ist dann fast alle Tage vorwärts gegangen. Die Russen haben selbst alles niedergebrannt. Es war ein Bild des Grauens. was wir da gesehen haben. In jedem Dorf war die Kirche gesprengt, nur mehr Ruinen standen da. Das geschah bereits in den 20er Jahren, als der Kommunismus an die Macht kam und die Religionen ausradierte. Nicht aber aus den Herzen der Menschen, besonders alte Leute hatten ihren Glauben auch nach so langer Zeit nicht verloren. Es gab noch alte Männer, die Deutsch konnten seit dem Ersten Weltkrieg, mit denen konnte man reden, und sie fragten, immer: „Austize? Dobre?“ (gut). Noch etwas, es gab ja nur Kolchosen, dass waren große Heu und Getreidetristen (Ernte 1941), auch die haben die Russen auf ihrem Rückmarsch angezündet, sodass auch ihre eigenen Leute nichts hatten außer unvorstellbare Not. Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 16 Wir kamen nach Brody, dort war in einem Wald eine große Panzerschlacht. Es war bereits Juli und sehr heiß, der Leichengeruch... ich will es nicht näher schildern. Unaufhaltsam ging es weiter bis Malin, dort hatten wir zehn Tage ununterbrochen schweres Artilleriefeuer der Russen. Unsere Artillerie hatte einen großen Fesselballon für den Beobachter, der war unser Richtungsziel. Da wir immer neben unserer Ari lagen, sahen wir zufällig einen Rohrkrepierer, die Granate explodierte im Rohr, vier Tote, die anderen waren schwer verletzt. Wir hatten nicht immer schönes Wetter, also gab es auch Morast und Schlamm. Die Panzer fuhren immer vor uns und machten den nassen Boden zu einer unüberbrückbaren Barriere für uns. Die Pferde streiften dadurch mit ihrem Bauch im Dreck. Eine Ortschaft weiß ich noch, Dimitrov. Es ging weiter nach Radomyschl, es kamen Sumpfgebiete und knietiefer Sand. Es war ein mühsames Vorwärtskommen. Da waren die Flüsse Tetrev und Dnjepr. Darüber war eine große Pontonbrücke, die dauernd beschossen wurde. Im Sumpf steckten russische Panzer, wo nur das Rohr ein bisschen herausgeschaut hat. Neben mir ist ein LKW vom Damm in den Fluss gestürzt, zum Glück konnten sich der Fahrer und Beifahrer noch retten. Auch ich kam einmal in den Sumpf mit meinem Fuhrwerk, einen dreiviertel Meter tief steckte ich im Schlamm, musste dann absteigen und ausspannen. Die Pferde spannte ich hinten wieder an und konnte so den Wagen heraus ziehen. Mein Fuhrwerk mit dem gebrochenen Rad Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 17 Fahren wir jetzt wieder weiter Richtung Kijew, nach Priluki zwischen Kijew und Charkow. Bis dahin gehörte unsere Division noch immer zur sechsten Armee, die in Richtung Charkow – Stalingrad unterwegs war. Da bekam unsere Division den Befehl nach Norden, Richtung Orel weiter zu ziehen. Es war schon Herbst 1941. Seit Tagen hat es in Strömen geregnet. Wir marschierten quer über Äcker mit metertiefer, schlammig - schwarzer Erde. 14 Tage und halbe Nächte dauerte der Marsch. In der Nähe befand sich keine Rollbahn, die wir benutzen hätten können. Alle waren durchnässt bis auf die Haut und standen in knietiefen Dreck. Unsere Truppe wurde überstellt zur Panzerarmee Guderian, die mit ihren Einheiten gegen Moskau vorstieß. Wir kamen von Orel nach Nowosil bis Jelez vor dem Don. Es war der 6. Dezember 1941 (Nikolaus). Ein eisiger Wind wehte uns um die Nase bei 36 Grad minus. Bis Mitternacht mussten wir auf einer Anhöhe stehen bleiben, weil vorn nichts weiterging. Am 8. Dezember 1941 mussten wir mit 13 Fahrzeugen Munition nach vorn bringen, 30 Kilometer hatte eine Strecke. Gegen Mitternacht kamen wir zurück, inzwischen war die Stellung nicht mehr zu halten, also mussten wir die Munition am nächsten Tag wieder holen. Wir kamen spät abends dort an, es war schon finster und das ganze Dorf brannte. Bis auf die eine Holzhütte in der die Munition lag. Also luden wir sie schnell auf bevor, alles in die Luft ging. Die brennenden Trümmer flogen schon herum, also schnell weg von dort. Wir Ein Bild des Grauens Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 18 hörten bereits die Russen hinter uns schreien. Es ging bergauf, bergab, durch Schnee und Eis. Die nächste Ortschaft brannte auch schon lichterloh, unser Weg führte mitten durch die brennenden Hütten. Wir mussten ganz gebückt gehen. Der qualmende Rauch stieg uns in die Nase und hinter uns hörten wir die Russen. Beim nächsten Dorf wieder das gleiche Bild, dazwischen führte ein Abhang steil bergab, wir mussten uns gegen die Wägen stemmen, da die Pferde so gerutscht sind. Ich schreibe die Wahrheit wie ich es selbst erlebt und gesehen habe. Bei diesem Rückzug ist der Kikinger Sepp aus Empfing umgekommen. Angezündet hat die Dörfer die Infanterie, nur ein Verbrecher kann diesen Befehl gegeben haben. Angefangen haben sie beim ersten Haus mit einem Büschel brennendem Stroh und so ritten sie fort bis alles brannte. Die Zivilisten, alte Männer, Frauen und Kinder, sind zusammengelaufen bis zum letzten Haus, da waren dann schon 40 – 50 Leute drin. Auch das haben sie noch angezündet. Es waren damals lauter Holzhäuser mit Strohdächern. Die haben nicht einmal auf uns Rücksicht genommen. Alle anderen waren vor uns, wir waren die Letzten von unserer Truppe, die durch die brennenden Dörfer mussten. So mussten wir vier Tage und Nächte ununterbrochen weiter, ohne Schlaf, ohne Essen, wie das die Ponys ausgehalten haben, weiß ich nicht. Wir hatten auch einen Kameraden dabei, der erst 18 Jahre alt war. Er hat uns so erbarmt, dass wir zum Gruppenführer sagten: „Jetzt fährst du.“ Den Buben haben wir warm eingewickelt in eine Decke. Er war tapfer und brav. Wir waren Ich bin der hinterm Schlitten Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 19 noch 13 Fahrzeuge mit einem Zugsführer. Die vierte Nacht (um Mitternacht) kamen wir zu einer Kreuzung der Rollbahn, rund um uns standen alle Dörfer in Flammen. Uns fehlte die Orientierung. Ja wo aus, rechts oder links? Der Feldwebel war beritten und schaute in das nächste Dorf. Er kam mit der Meldung zurück, dass dort die Russen drin sind, in der anderen Richtung dasselbe, also waren wir eingeschlossen. Es war fast ein Wunder, dass uns dieser Feldwebel, Zach, herausgeführt hat. Wir sind dann am nächsten Tag wieder zu unserer Einheit gekommen, aber an Schlaf war nicht zu denken: Feldwache Tag und Nacht und höchste Alarmbereitschaft. Die Front wurde dann noch weiter zurückgenommen, auch am Heiligen Abend und den Weihnachtsfeiertagen kehrte keine Ruhe ein. Dieses Weihnachten 1941 war das schlechteste in meinem Leben. Es herrschte klirrende Kälte. Wir hatten keine Unterkunft und mussten über Nacht auf allen vieren in ein ganz kleines Loch kriechen. Wir hatten nichts Warmes im Magen, keine warme Kleidung, so wie wir auch im Sommer gekleidet waren, waren wir angezogen, mehr hatten wir nicht. Die Front musste dann über Neujahr gehalten werden. Also wurden wir in Dernovka einquartiert, das war ein Dorf 60 Kilometer östlich von Orel, die nächste Stadt hieß Woroschilowa. Es kam der Jänner 1942, die Tage waren eisig kalt 4o - 45 Grad unter 0. Die Pferde hatten zehn Zentimeter lange Haare und nur Stroh zum Fressen, das wir von haushohen Getreidetristen holten. Meine Kameraden und ich ganz links Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 20 Wir mussten Munition führen. Kaum dass wir abends im Bett waren, hieß es: „Auf, einspannen!“ Oft musste ich 30 – 40 Kilometer weit fahren und kam erst lang nach Mitternacht zurück. Jede Woche mussten wir nach Orel, eine Tour hatte gut 60 Kilometer, das hieß einen Tag hin, am nächsten Tag zurück. Einmal machten wir es an einem Tag, von drei Uhr früh bis nächsten Tag drei Uhr früh. Es lag drei Meter hoch Schnee und ein eisiger Wind wehte uns um die Ohren. Ich musste dann auf halben Weg noch einmal umkehren, da ich die besten Pferde hatte, weil einer nicht nachkam. Der musste aber dann in einem Dorf bleiben, seine Pferde konnten nicht mehr. Deshalb fuhr ich allein weiter und dachte, die anderen würden schon in unserem Dorf sein. Ich hatte noch zirka sechs Kilometer, es waren etwa drei Meter hohe Schneeruten gesteckt, da schaute nur dort und da eine heraus, es war alles verweht. In finsterer Nacht rissen sich die zwei Pferde, die ich angehängt hatte, ein paar Mal los, also musste ich absteigen. Das hieß bis zum Bauch im Schnee zu stecken und die Stiefel voll eisiger Masse zu haben. Als ich „ h e i m k a m “ Auf „Brautschau“ mit meinen Kameraden, (ich stehe hinten) Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 21 war ich der Einzige, alle anderen hatten sich verirrt und kamen erst am nächsten Tag. Aus meinen Stiefeln konnte ich nicht heraus, da ich eingefroren war. In meinen Augen war das Feuchte gefroren, mir wurde schon bange, da ich nur noch einen Schimmer sah. Ein paar Zeilen noch von dieser „Magda“, wo wir im Quartier waren. Sie war allein mit einem Buben, zirka 9 Jahre alt, es herrschte unvorstellbare Armut. Da wir selbst schlechte und wenig Verpflegung hatten, konnten wir nichts geben. Nur dem Buben gab ich öfter eine Kleinigkeit von den Marketenderwaren, zum Beispiel ein paar Zuckerl. Bis Juni 1942 war ich bei dieser Einheit, dann wurden viele von uns überstellt zur Infanterie. Mit noch einem Kameraden kam ich zum Regiment 462, erstes Bataillon, erste Kompanie nach Zalegotsch. Von diesem Dorf gab es nur noch ein paar alte Bretter. Unsere Gefechtsstellungen hießen Schneeberg und Klettennest. Dort bekam ich auch gleich die „Feuertaufe“. Wir hatten Stellungskrieg, dass hieß fast alle Tage abends Spähtrupp. Da sind nur wir älteren gegangen, die ganz Jungen hatten noch zuwenig Erfahrung. Es hatte alles einen Namen, damit man „im Bilde war“. Da gab es einen Geisterbusch, Churchill, Camberlein und Stalin, das waren russische Bunker. Auch jede Anhöhe hatte eine Bezeichnung, zum Beispiel: Ochsenkopf und Silberberg. Mit den einheimischen Bauern Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 22 Ich bin von dort aus im Oktober 1942 auf Heimaturlaub gefahren. Als ich zurückkam, musste ich zwei Pferde übernehmen, die Einzigen des Regiments die direkt in der HKL (Hauptkampflinie) waren, zwei kleine schwarze Ponys. Damit musste ich alles tun, etwa die Offiziere zu den Besprechungen fahren, Wasser für die Küche holen, Verwundete zurückbringen, Post, Stacheldraht und Holz holen. Alles musste im Karacho - was das Zeug hergab gehen. Oft war ich von vier Uhr früh bis abends 9 Uhr unterwegs, immer ganz allein, weit weg von den anderen. Diese Pferde hat mir dann die Stalinorgel erschossen. Sie hatten am ganzen Leib Splitter, auch selbst hatte ich acht Löcher im Mantel. Die Front war der so genannte „Orelbogen“ und der wurde im Frühjahr 1943 etwas begradigt. So mussten wir zurück bis Wschood, rechts von uns war Krasnoe, wo die zweite Kompanie war. Vor uns befand sich der Nerotsch, ein kleiner Fluss, ungefähr so groß wie bei uns die Ybbs. Am anderen Ufer waren die Russen mit zehnfacher Übermacht. Ein paar Monate war es ruhig bis einmal vor fünf Uhr früh ein Überläufer kam und sagte: „Ich bin Leutnant. Der Russe greift an.“ Sofort wurde Alarm ausgelöst. Es war noch etwas dunkel. Der Kompaniechef sagte: „Jeder einen Karabiner zur Sicherheit“, da die 38er Maschinengewehre oft Ladehemmungen hatten. Da sahen wir schon die erste Welle vom Fluss heraufkommen. Bei unserer Abwehr kamen sie nicht durch. Also mussten sie zurück, da haben wir ihren Kommissar mit ihnen schreien gehört. Dann kam die zweite Welle, bei uns sind sie wieder nicht durch gekommen, aber in der zweiten Kompanie in Krasnoe. Das hatte uns der Nahaufklärer schon gemeldet, auch dass der Russe gegenüber auf der Anhöhe 100 Batterien, das sind ca. 300 Geschütze, stehen hat. Dieses Trommelfeuer hat der Russe dann eingesetzt. Im Wald neben uns hat es Bäume ausgerissen mit 30 – 40 Zentimeter Durchmesser, samt der Wurzel sind alle kreuz und quer gelegen. Wir haben unsere Stellung gehalten und bei der zweiten sind abends unsere Stuka (Sturzkampfbomber) gekommen. Zwei Stunden lang bombardierten sie eine russische Freiwilligenkompanie, die für uns waren. Dann haben die Russen zurückgeschlagen. Ich hab da noch meine zwei schwarzen Ponys gehabt und bei diesen Kämpfen viele Verwundete zurückgebracht mit Bauchschüssen und Splitterverletzungen, bis ich dann selbst nach Orel musste ins Lazarett. Als ich ein Pony im Fluss trinken lassen wollte, hat es sich erschrocken und mir mit dem Huf über dem rechten Auge einen Hautlatz herunter gerissen. Ich hatte Glück, wenige Millimeter darunter wäre es ins Auge gegangen. Damals hab ich es nicht als sehr schlimm empfunden und bin so zurück zu den anderen, nur der Spieß (Hauptfeldwebel) schickte mich zum Arzt nähen. Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 23 Es war Frühjahr `43, der Rückzug von Stalingrad. Ich bin wieder zu meiner Einheit gekommen und auch unsere Front wurde zurückverlegt. Es kam der Sommer, wir lagen etwa drei Kilometer vor Orel, der Russe hatte mit seiner Luftwaffe stark aufgeholt und die so genannten „Christbäume“ erleuchteten die Nacht taghell. Dann wurde die Stadt bombardiert. Wir konnten alles mit ansehen. Es wurde dann von unserer Seite alles vorbereitet zur Aufgabe der Stadt Orel. Unsere Pioniere haben acht Tage gesprengt und mit einer Lok die Bahn aufgerissen. Es blieb nur ein Trümmerhaufen übrig. Dann begann der Rückzug, eine der größten Schlachten, mit allen Waffen, die es gab. Zuerst sind wir auf einer Anhöhe gestanden, da hat man schön hineingesehen. Dann mussten wir in den Wald, da neben uns die brennenden Flieger herunter gekommen sind. Bei dieser Schlacht ist auch unsere Division aufgerieben worden. Von Regiment 486, 482 und unserem 462 ist nur mehr das 1. Bataillon wieder aufgefüllt worden. Wir wurden der 56 J.D, einer Sachsendivision, zugeteilt. Wir wurden dann als Correserve und Armeereserve bezeichnet und überall eingesetzt, wo es brenzlich wurde. Bei den Panzergrenadieren hat man ganz Junge eingesetzt zum Auffüllen der Verluste. Obwohl wir ihnen sagten, wie sie sich verhalten sollten, kamen diese abends an und am nächsten Tag waren sie tot. Gestorben durch einen Bauchschuss, Kopfschuss und andere Grausamkeiten des Krieges. Burschen mit gerade erst 18 Jahren mussten ihr Leben lassen für eine so unnötige Sache. Eines Tages wurden wir Bahn verladen. Die ganz gescheiten von uns glaubten, wir werden abgelöst und kommen nach Frankreich. Ich war da skeptisch. Wir waren schon weit zurückgefahren, bis Polodsk, dort haben sie die Lok an das andere Ende des Zuges gehängt und wieder ging es nach Osten bis Witebsk – Orscha. Gegen Orscha war die gesamte Bahnlinie beschossen von der Ari. Unter Beschuss wurden wir ausgeladen, darauf folgte der sofortige Einsatz, da es Fliegerbeschuss gab. Für uns ging es weiter in den Raum Mogilev, es spielte sich alles Mögliche ab, nur nichts Gutes. Es wurde immer schlimmer. Aber wir hatten schon sehr viel gesehen und erlebt, dadurch hatten wir uns eine dicke Haut und gute Nerven angeeignet. Es hört sich heute vielleicht einfach an, aber damals war es unsere einzige Überlebenschance, um diesen Wahnsinn zu überstehen. Die, die das nicht konnten, verfielen dem Wahnsinn und drehten durch. Der Strobl war Gastwirt und Fleischhauer aus Tulln, uns verpflegte er als Koch und sagte zu mir, wenn es ums Ganze ging: „Pold, aber eisern.“ Das war sein Sprücherl. Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 24 Bevor ich mit dem Kapitel Russland aufhöre, möchte ich noch einiges nachholen. Wir legten dem zivilen Volk nichts in den Weg bezüglich ihrer Religion oder Kolchosenwirtschaft. Sie hatten ihre Bräuche, z.B.: wenn jemand verstorben ist, kamen alle in den Häusern zusammen um zu beten, manchmal sah man einen Geistlichen, der so genannte Pope. Wenn sie sich recht gewundert haben, machten sie ein großes Kreuz auf die Stirn und Brust. Die Schulbildung war sehr gut, besonders in Weißrussland hat man viele deutsche Lesebücher in den Schulen gesehen. Auch von den Lehrerinnen konnten viele deutsch. Den Kolchosen wurde von unserer Seite nahe gelegt, den Grund aufzuteilen. Das hat der Starost, das war der Bürgermeister, vielerorts auch getan. Da ich gute Pferde hatte, habe ich Parzellen umgeackert (ich tat dies auch in Schlesien). Ein paar Mal hab ich gesehen, dass einer einen Raupenschlepper hergerichtet und danach einen Fünfscharer angehängt hat. Maschinen hatten die Kolchosen bereits große: Sämaschinen bis zu sechs Meter breit und goldgelbe Weizenfelder die 4 Quadratkilometer groß waren. Zu so einer Kolchose hat das ganze Dorf arbeiten gehen müssen, selber hatten sie hinterm Haus nur einen schmalen Streifen Eigengrund, so dass sie sich eine Kuh halten konnten. Wir haben aber auch gesehen, dass neue deutsche Landmaschinen ankamen. Diese wurden in einem Dorf abgeladen und schon für nach dem Krieg gerechnet. Unser „Spieß“ Müller Fritze, kniend im weißen Hemd Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 25 Ich möchte von unserer Kompanie noch einige Namen nennen: da war einmal unser Kompaniechef Oberleutnant Dominick, ein Heidelberger, ganz jung noch, aber ein feiner Mensch. Unser „Spieß“, Müller Fritze, ein Berliner mit echt „Berliner Schnauze“, Jahrgang 1915, alles andere als ein Nazi, die „Mutter der Kompanie“. Um das Leben ein wenig erträglicher zu machen, braucht der Mensch Humor, und wenn es auch noch so trostlos erschien, ich fand immer wen, mit dem es was zu lachen gab. Ein Wiener Sanitätsoffizier war dabei, der uns mit seinen Witzen immer wieder aufbaute. Er war „ein prima Bursch“. Meine engsten Kameraden waren aus dem Weinviertel und dem Tullnerfeld. Wir haben uns alle sehr gut verstanden. Auch die Luber Maximova möchte ich nicht vergessen, eine nette und gescheite Studentin am Polytechnikum in Moskau aus Werch Oschinski. Sie war der Schreibstube zugeteilt als „Putzfrau“, sie ist immer mit mir mitgefahren. Beim Rückmarsch zeigte sie mir ihr Haus. Sie musste auch mit uns in eine ungewisse Zukunft. Sie hat mir viel erzählt. Auch „Hiwi“ (Hilfswillige) hatten wir, die sind aber mit der Zeit abgehauen. Nur die Küche hatte ein paar Russenmädchen zum Helfen. Inzwischen ist die Zeit vergangen, von einem Hexenkessel in den anderen, und wir schreiben Frühjahr 1944. Meine Pferde Rüpel und Landsknecht Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 26 Da sind noch ein paar Fragen offen, z.B.: Wie waren die Offiziere? Es gab gute und weniger gute - die meisten hatten oft Zahnweh vom vielen Schreien. Was ist aus unseren schweren Pferden, belgische, rheinländische, Noriker geworden? Beim Vormarsch sind alle auf der Rollbahn umgekommen. Keines hat den ersten Winter überlebt, arme Kreaturen. Eines der Letzten, mein Otto, starb im Dezember `41, er konnte nicht mehr. Wir hatten viel Schnee und es war eisig kalt, ich habe ihn hinten angehängt, Tag und Nacht, Schritt für Schritt. Da wir aber auch nur schlechtes Futter hatten, konnte er sich kaum erholen. Eines Tages hat er sich losgerissen. Als wir von der Hauptrollbahn weg mussten, gegen elf Uhr nachts, stockfinster, hat er uns wahrscheinlich verloren. Er dürfte noch auf der Hauptstrecke weiter getrabt sein, gut einen Kilometer, auch an unserer Abzweigung vorbei. Aber am nächsten Tag hab ich ihn gesehen, auch gleich erkannt, er war tot. Die Eisenbahn? Es waren unendlich lange Züge. Bei meinem ersten Urlaub im Oktober hatte es 10 - 15 Zentimeter gefroren. Die Schienen waren glasig glatt, so dass die Lok nicht wegkam, da es so rutschte. Also musste ich warten bis eine zweite kam. Im Raum Briansk, Gomel, Minsk war ein Bahndamm, wo rechts und links Waggons hinunter gestürzt waren. Vor uns befand sich ein Zug, da war die Lok entgleist, gerade zum umstürzen, also hieß es warten...... Luber Maximova Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 27 Die Waffen: Es gab alles Mögliche auf unserer Seite, Nebelwerfer, Pak, Stuka zu Fuß (auch Tonwerfer genannt), SMG 38 und 42, leichte und schwere Ari und verschiedene Panzer. Am schrecklichsten war die Hornisse, die Luftwaffe und die leichten und schweren Granatwerfer (Blunzenschleudern). Beim Gas wurden wir gut ausgebildet und getestet, was einer aushält. Es gab vier Gattungen. Meine erlebten Erkrankungen in dieser Zeit: Im ersten Sommer steckte ich mich mit der Ruhr an, es war zum Umfallen, aber es hieß den Dienst weiter zu machen. Drei Tage nichts essen, davongekommen. Im ersten Winter hatten wir gerade einen halben Meter Schnee und Meine Kameraden und ich, der Zweite von rechts Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 28 ich 40 Grad Fieber, da hieß der Befehl Abmarsch. Also bin ich aufgestanden und auch gleich wieder umgefallen. Ich musste durchhalten, schließlich standen die Partisanen vor der Tür. Also bin ich schweißgebadet auf, hab die Pferde eingespannt und bin gegangen, der Schnee reichte mir bis zu den Knien. Die Verwundungen: Von einer erzählte ich ja bereits. Eines Tages bekam ich den Befehl, 5 Männer vom Lazarett zurück an die Front zu bringen. Als wir auf dem Weg waren, verlagerte sich inzwischen die Front und so fuhren wir den Russen in die Arme. Wir sahen zwar keinen, aber man spürte sie, schließlich kennen auch sie ihre Gegend genau. So schlug neben uns eine Granate ein. Ich verspürte nur einen kurzen Schmerz am Kopf, die anderen hatte es viel schlimmer erwischt. Die musste ich zurück ins Lazarett bringen, da sie über und über voll Splitter waren. Meine Kopfschmerzen wurden von Tag zu Tag heftiger, bis ich eines Morgens eine dicke Beule am Kopf bekam. Daraufhin schickte mich der Spieß zum Arzt, doch wo ich glaubte einen zu finden, da war keiner mehr, deshalb fuhr ich noch weiter zurück. Der Arzt drückte leicht zusammen und schon ergoss sich eine eitrige Masse aus der Wunde mitten auf meinem Kopf. Danach ging es zurück zu den anderen. Dawolna (genug) Bei der Rast Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 29 Die Gefangenschaft Es sprach der „Spieß“ am 30. Mai 1944 abends: „Korndeuer, du kannst in Urlaub fahren und der Hitzl, wo ist er?“ „ Er ist mit dem Essen gefahren, er kommt gleich.“ „Schnell fertig machen, holt Euch den Urlaubsschein und ab!“ Keiner glaubte mehr daran Urlaub zu bekommen, da die Lage schon aussichtslos erschien. Doch mit etwas Verspätung kam ich heim. Am 6. Juni war dann die Invasion in Frankreich, mein erster Gedanke war, jetzt werden sie mich gleich holen. Es ist aber, zum Glück, kein Schreiben gekommen. So hab ich dann meine drei Wochen Urlaub gehabt. Als ich wieder fort musste, kam ich gleich in Amstetten im Zug wieder zum Hitzl. Wir fuhren nach Wien, dort wurden wir wieder angehalten, wir durften nicht weiter. Es dauerte, bis endlich der Befehl kam, dass wir weiter können. An der Grenze Polen – Russland war dann endgültig Schluss. Es hieß zurück nach Ostpreußen, vor Königsberg lag ein großer Truppenübungsplatz (Landsberg). Da waren wir acht Tage und es kamen noch Leute hinzu. Dann ging es weiter über Berlin, das war schon ganz zerbombt, die Dächer waren fast alle kaputt. Weiter ging es bis Wahn bei Köln. Hier wurden wir in einem Barackenlager am großen Truppenübungsplatz mit Flughafen untergebracht. Es wurde eine neue Division zusammengestellt. Es war jetzt Anfang Juli. Wir waren ein zusammen gewürfelter Haufen aus ehemaligen Verletzten und Urlaubern. Die amerikanischen Bomber kreisten zu Hunderten über uns. Eines Tages wurden wir in die Ortschaft verlegt, weil in Aachen ein großes Barackenlager mit Militär bombardiert wurde. So sind wir in den Häusern aufgeteilt worden, ich wohnte bei Frau Mündorf in Wahn 60a im dritten Stock (Dachwohnung). Sie war eine herzensgute Witwe, der Sohn in Kreta und die zwei erwachsenen Töchter waren verstorben. Sie hat mir zu essen gegeben und mir ihr Bad zur Verfügung gestellt. Jede Woche hatten wir eine Nachtübung, das Essen war elend und oft hatten wir Fliegerangriff. So lag ich total übermüdet von der Nachtübung in meinem Bett, als die alte Frau herauf kam, ich solle schnell in den Keller, Fliegerangriff. Ich schaute beim Fenster raus und sah den ganzen Ort voll Rauch und Brandstellen. Aber sonst war es sehr schön dort, wir konnten jeden Sonntag in die Kirche gehen, auch nachmittags zum Segen. Die Kirche war immer voll. Dann sind wir weiter zum Rhein, da war immer was los, man hat bis Köln hinaufgesehen und über den Fluss bis Bonn. In dieser Zeit, am 20. Juli, war das Attentat auf Hitler. Schade, dass es danebenging. Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 30 Ende Juli bekamen wir die neuen Waffen, dann wurden wir unter Fliegerangriff Bahn verladen und hinauf ging es durch das Ruhrgebiet. Die Gleise vor uns waren oft ein einziger Trümmerhaufen, es folgte ein Angriff dem anderen, bis wir aus dem gefährlichen Stück hinaus kamen. Wir fuhren über Holland und Belgien nach Frankreich bis zum Atlantik. Erste Station war Calais, da Ich in Uniform Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 31 ist gleich die V.1 (Vergeltungswaffe) über unsere Köpfe mit ihrem Feuerstrahl nach England geflogen, die haben wir dann alle Tage gesehen. Wir mussten einen großen, zirka 100 Kilometer langen, Küstenabschnitt bewachen. Es sind laufend feindliche Flieger gekommen, eines Nachts mussten wir mit-ansehen, wie sie zwei Vorpostenschiffe von uns versenkt haben. Bombardiert gingen beide brennend unter, niemand konnte gerettet werden. Wir sind die Küste entlang nach Boulogne, Paris - Plage bis Etaples, dort sind wir eingeschlossen worden. Vor uns am Waldrand standen über 20 Panzer. Ich war beim SMG Zug. Der Gruppenführer meinte, wir sollten es versuchen. So sind unsere drei Männer vorgelaufen. Der zweite Zug wartete in einem Graben. Auf einmal preschte ein Panzer vor und richtete sein Rohr direkt auf den Graben runter. Dort lagen zirka 30 Mann von unserer Truppe. Im nächsten Moment hätte es bestimmt gekracht. Wir sind schnell hin und sagten ihnen, sie sollen ein weißes Tuch hinaus halten, sonst sind wir alle verloren. Auf dem Panzer, der da 30 Meter vor uns stand, stand drauf „Poland“, also waren es Exilpolen aus England. Da Hitler auch bereits alles Mögliche eingezogen hatte, hatten wir sieben Polen bei uns, diese konnten mit ihren Landsleuten reden. So sind wir alle gefangen genommen worden, samt dem Kompaniechef, und in ein französisches Lager gekommen. Das alles geschah am 4. September 1944. Eines Nachts kam einer, wir lagen im Stroh, die ersten 20 Mann sollten heraus und auf die Militärwagen hinauf. Wir kamen nach Dieppe in Ich in meinen jungen Jahren Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 32 ein großes Durchgangslager, kalter Wind wehte und es regnete stark, so dass wir bis auf die Haut nass wurden. Nur einmal in der Früh bekamen wir dort drei oder vier Scheiben Knäckebrot und einen Löffel Cornedbeef. Wer ganz schnell war, ergatterte einen Becher Chlorwasser. Nach einer Woche in diesem Lager wurden einige nach dem ABC aufgerufen. Ich war auch dabei. Um sechs Uhr früh hieß es dann Abmarsch zum Hafen. Eine Strecke hatte sieben Kilometer. Unten angekommen sahen wir ein Landungsboot, bei dem die Ladeklappe offen stand. Die Fahrzeuge wurden herausgefahren und wir mussten hinein. Danach lautete der Befehl: Abfahrt. Doch es ging nicht, es war Ebbe. Es wurden schwere Caterpiller geholt zum Anschieben, doch die armdicken Seile sind gerissen. Das Wasser zog sich immer weiter zurück und so hieß es dann wieder aussteigen und zurück ins Lager. Das ganze ging dann drei Tage so: runter, Ebbe, rauf. Ein Kommando war beschäftigt, versunkene Schiffe im Hafen heraus-zuräumen. Sie wurden mit Schneidbrenner zerkleinert und mit Caterpillern herausgezogen. Inzwischen sind 15.000 Mann im Lager zusammengekommen. Es herrschte ein irrsinniges Gedränge. Erst am vierten Abend konnte das Schiff ablegen. Es wehte starker Wind und Rohölgestank lag in der Luft. Ich wurde durch das Geschauckle seekrank. Oben am Schiffsrand ging es mir halbwegs besser. Briefe aus der Gefangenschaft Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 33 Die ganze Nacht sind wir gefahren, es war ein kleines Landungsboot. Am Morgen standen wir vor dem Hafen in Southampton. Rund um den Hafen war ein doppelter Treibminengürtel verlegt, wir mussten wieder einmal warten. Einen jungen Kaplan hatten wir an Bord, der las derweil eine heilige Messe auf dem Boot, das tat er auch schon vorher im Lager jeden Abend. Wir zählten die Schiffe im Hafen. Es waren über 300. Die amerikanischen Landungsboote waren viel größer als die der Engländer. Die hatten gleich eine Kolonne Panzer geladen. Der Minengürtel hatte nur eine freie Gasse, wo die Schiffe heraus und hinein konnten. Wir kamen in ein Lager bei Birmingham, dann nach Leicester immer weiter nördlich. Insgesamt waren wir in zehn Lager. Ich hatte das Gefühl, England schon besser zu kennen als Österreich. Das Letzte war ein großes Zelt. Eines Abends bei stockfinsterer Nacht fing einer zu singen an und alle sangen die Volkslieder mit. Das war sehr schön. Um Mitternacht mussten wir in den Zug steigen und fuhren nach Glasgow, dort wurden wir verschifft. Ein kleines Schiff brachte uns hinaus auf ein großes. Als ich rauf schaute, sahen die Matrosen aus wie Schulbuben, so hoch war es. Das Schiff hieß „Southampton“ 28 000 B.R.T. (Brutto-Register-Tonnen). Wir sind schon zwei Tage am Schiff gewesen, als es endlich ablegte. Es wurde gewartet bis ein Geleitzug beisammen war. Briefe aus der Gefangenschaft Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 34 Am dritten Tag ging ein Zittern durch das ganze Schiff, die Maschinen arbeiteten und wir fuhren aus dem Hafen. Nach und nach kamen 20 Schiffe zusammen. Es ging nördlich in die offene See. Da kamen dann von den Shetland Inseln noch 15 Schiffe dazu, eines hinter dem anderen. Dann sind alle aufgefahren wie ein Schachbrett, sechs nebeneinander und hintereinander, in der letzten Reihe waren es fünf. Da ich auf Deck war, hab ich es schön gesehen. Es waren Größere und Kleinere, auch Handelsschiffe, mit mehr oder weniger Ladung. Eines, nicht weit weg von uns, hatte auch Gefangene an Bord. Auf Deck war ich hoch über Wasser, da hatte man einen schönen Überblick. Jedes Schiff hatte am Heck einen Wasserstrahl zur Orientierung für das Nachfolgende. Es musste die Fahrweise genau eingehalten werden, bei Nacht und Nebel ohne Licht wäre die Gefahr einer Kollision sonst zu groß gewesen. Rechts und Links von dem Geleitzug waren noch in einiger Entfernung die Sicherheitsfahrzeuge. Wir durften alle Tage abwechselnd zwei Stunden auf Deck, alle Tage war Alarmübung, da hieß es Schwimmweste anziehen. Es war ja noch Krieg und der Nordatlantik war gefürchtet wegen der deutschen U-Boote. Briefe aus der Gefangenschaft Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 35 Wir waren 2.500 Gefangene an Bord. Das Schiff hatte sechs Decks übereinander. In unserer „Kabine“ waren wir 300 Mann, die Verpflegung war ganz gut, geschlafen wurde in Hängematten über den Tischen. Bei soviel Mann gab’s auch Unterhaltung und Kurzweil. Dann hieß es auf einmal Maschinen Stopp, Blinddarmoperation, da muss es ruhig sein. Nach einer halben Stunde ging’s mit voller Kraft weiter. Die See wurde unruhiger, die Teller rutschten fast von den Tischen. Ich war gerade auf Deck. Die Handelsschiffe, manche waren voll beladen, arbeiteten mit voller Maschinenkraft. Trotzdem war einmal der Bug unter Wasser, sodass die Schiffsschraube fast in der Luft war und dann tauchte das Heck wieder unter. Wir sind sieben oder acht Tage gefahren. Als es immer heißer wurde, fragten wir die Matrosen, wo wir sind. Sie meinten: „Vor Rio de Janeiro.“ Der Umweg war nötig wegen der U-Boote und damit die südamerikanischen Handelsschiffe auch gesichert waren. Wir sind entlang der amerikanischen Küste gefahren, bis nach New York. Dort kamen wir nach 11 Tagen Schifffahrt in Manhattan an und wurden mit der Fähre aufs Festland gebracht. Dort warteten bereits die Züge. Es war eine neue Welt für uns, ein Lichtermeer mit Wolkenkratzern. Im Zug bekamen wir gleich zu Essen. Weiter fuhren wir über Buffalo, Toronto, Montreal und über den St. Lorenz Strom nach Ottawa. Das ist die Hauptstadt von Kanada. Unsere fünf Sonderzüge sind nebeneinander aufgefahren und es wurden die Papiere überprüft. Danach ging es weiter nach Westen durch Wälder und Seelandschaften, Tag und Nacht, fast ununterbrochen. Der Zug hatte alles mit was er brauchte. Hie und da wurden wir überprüft. Weiter ging es über North Bay mit der kanadischen Pazifikbahn entlang der großen Seen. Nach zwei Tagen kamen wir dann in die freie fruchtbare Landschaft mit den weitläufigen Farmen. In den Stationen sah man große Koppeln mit Rinderherden zum Bahnverladen und Silos fürs Getreide. Die Gegend ist sehr fruchtbar und das Klima günstig. Wir rollten unaufhaltsam weiter, übergehend in die endlose Prärie. Hier sah man weit und breit keinen Baum. Hie und da stand eine Farm und die Bahnstationen waren klein gehalten. Dann kam Winniepeg, das war meine Stadt. Die hat mir am besten gefallen. Aber auch die nächste Stadt, Regina, war eine romantische Präriestadt. Unser Ziel war Medicine Hat am Saskatchewan River. Die Stadt erhielt ihren Namen von einem Medizinmann der Indianer, der an dieser Stelle seinen Hut verlor, als er Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 36 sich beim Anblick der ersten Eisenbahn erschrocken hat. Dies war für Indianer ein schlechtes Zeichen. Nach vier Tagen und drei Nächten Fahrt waren wir angekommen. Das Lager, genau einen Kilometer im Quadrat. Es waren 34 neue einstöckige Baracken mit sechs Küchen und zwei Freizeithallen, geheizt und beleuchtet wurde alles mit Erdgas. Pro Baracke fanden 300 Mann Platz. Außerhalb des Zaunes war ein großer Trakt mit einem Hospital für die Bewachungsmannschaft. Das waren zum Großteil Männer um die 60. Die meisten kamen von den umliegenden Farmen. Man hat es ihnen freigestellt, entweder der Vater, wenn er noch rüstig war, oder der Sohn mussten im Lager Wache schieben. Ich konnte nur staunen über sie. Flink, konsequent und freundlich verrichteten sie ihren Dienst. Sie hatten sogar eine eigene Dudel-sackmusikkapelle. Im Nachbarort wurde ein weiteres großes Lager gebaut. Da es noch nicht fertig war, kamen wir zu den Nazis, die in Italien gefangen genommen wurden, die sogar schon einen aus ihren eigenen Reihen erhängt hatten. Mein einziges Foto aus der Zeit in Kanada, eine Bastelausstellung. Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 37 Die Verpflegung war sehr gut und genug. Dass Ordnung und Sauberkeit sein musste, war klar. Wir waren zirka 8.000 Mann im Lager. Ein anderer Teil war in Holzfällerlagern untergebracht und ganz wenige halfen im Sommer bei Farmern. Zu den Farmern durften wir kaum noch, da die Italiener bereits länger dort waren und keinen guten Ruf hinterlassen hatten. Wir wurden gut behandelt, da sie sich an das Rot - Kreuz - Abkommen gehalten haben. Etwa 100 Kilometer weiter westwärts in Lethbridge war auch ein Lager, da waren die, die in Afrika gefangen genommen wurden. Auch unsere Stammmannschaft war dort. Wir waren der vierte und letzte Transport von der Normandie. Dass unter soviel Mann alle möglichen Künstler und Berufe dabei waren, brauche ich nicht zu erzählen. Wir hatten drei große Musikkapellen, Blech, Streich und Jazz. Varietee, Kino, alle möglichen Sportler, auch Geistliche waren unter uns. So gab es jeden Sonntag in den großen Hallen einen Gottesdienst, katholisch und evangelisch. Das Lager hatte auch eine Farm in Pacht mit 300 Hektar Grund. Der Grund musste von uns bewässert werden. Dafür standen uns sechs Traktoren zu Verfügung. Auch die großen Silos wurden von uns zur Erntezeit gefüllt. Die 30 Stück Jungvieh, 60 Milchkühe, Hühner, Schweine, alles wurde von uns versorgt. Die Ernte bestand auch zum Großteil aus Mais und Getreide. Die Erdäpfel wurden von einer Maschine aus dem Boden herausgeholt und wir sammelten sie ein. Das Brot wurde aus dem 200 Kilometer entfernten Calgary geliefert. Die Stadt Medicine Hat hatte damals 11.000 Einwohner, heute sind es bereits 22.000 Menschen. Einen Flugplatz gab es auch. Erdgas gibt es dort überall, spottbillig, auch die Farmer brauchten nur ein Rohr in die Erde stecken. Das Klima ist trocken. Im Winter ist es sehr kalt mit tobenden Schneestürmen. Dagegen fegen im Sommer riesige Sandstürme, die ganz plötzlich aufkommen, über das Land. Man muss sich zu Boden werfen und das Gesicht ganz zur Erde drücken, damit man keinen Sand in die Augen bekommt. Oder die Wirbelstürme, die alles umher fliegen lassen. Die Farmen in dieser Gegend sind weit verstreut, oft liegen 60 Kilometer dazwischen. Aber sie wussten sich zu helfen. War etwas kaputt, das man nicht selber richten konnte, stellte man diesen Maschinenteil mit einem Zettel an den Straßenrand. Das nächste Auto nahm es mit. So halfen sie sich gegenseitig aus, gestohlen wurde nichts. Die Vegetationszeit ist kurz. Im Mai und Juni wuchs das Gras. Im Juli war es bereits dürr, darum wurde viel Getreide verfüttert. Wenn ein Tier krank war und kein Hausmittel half, wurde es geschlachtet und auf den Komposthaufen geworfen zu den Schweinen. So blieb nur das Gerippe übrig. Der Tierarzt war zu teuer Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 38 und vor allem zu weit weg. Viele Farmen hatten auch einen LKW und einen Mähdrescher. Wenn einer erst anfing wurde er vom Staat unterstützt. Noch etwas zum Lager, und dass die Welt nicht groß ist. Als ich eingeteilt war in meiner „Box“, gab mir einer ein paar Cent Lagergeld für Schreibzeug. Ich ging in die Kantine und kam zu einem Kameraden, einem Wiener, mit dem ich zwei Jahre zuvor in Saligotsch beisammen war. Bei der 262ten, diese wurde in Südfrankreich neu aufgestellt, es war die ganze Gruppe da, samt Gruppenführer. So ein Zufall. Wir hatten auch eine umfangreiche Bücherei und ein Theater, wo auch weibliche Rollen gespielt wurden, aber so gut, dass auch die Offiziere von der Bewachung in der ersten Reihe saßen und meinten, wenn sie nicht wüssten, dass keine Frauen im Lager sind, sie würden es nicht glauben. Sie hatten elegante lange Seidenkleider an und Manieren wie eine Lady. Es gab jede Woche drei oder vier Veran-staltungen. Ganz großartig und feierlich war Weihnachten 1944 und 45, sechs Priester waren da und es gab tolle Musik. Briefe aus der Gefangenschaft Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 39 In diesen eineinhalb Jahren hatten wir nur 20 Todesfälle. Bedenkt man, dass viele schwere Verwundungen hatten, war es nicht viel. Zu den Begräbnissen rückte immer das ganze Lager aus. „Unsere Stadt“ lag schon am Rande der Prärie, an klaren Tagen hat man bis zu den Ausläufen der Rocky Mountains gesehen. Wir hatten acht Stunden Zeitunterschied. Es haben mich schon manche gefragt, wieso wir nach Kanada gekommen sind. Das ist leicht zu erklären. Es gehört, ebenso wie Australien und Neuseeland, zum British Commonwealth, und sie haben noch immer gute freundschaftliche Beziehungen zueinander. Auch Australien hatte deutsche Kriegsgefangene. Zu Kriegsende kam einer aus Australien in unsere Box, er sollte ausgetauscht werden. Er war aus der Pfalz, in Afrika wurde er gefangen genommen, inzwischen war der Krieg aus und so blieb er bei uns. Noch eine Erklärung dazu, die Invasionsverbände aus Übersee, besonders Amerika, brauchten ein nahes „Sprungbrett“ zur französischen Atlanikküste, und das war Südengland. Es musste ja alles sehr schnell gehen, darum gab es so viele Truppenlager und Zelte, wo nur ein bisschen Platz war. Die Lords stellten ihre Gutshöfe, die sowieso leer waren, zur Verfügung, die wurden dann für die deutschen Kriegsgefangenen frei. In Frankreich war der Raum noch zu klein für so viele, so mussten wir in England von einem Lager ins andere, immer nördlicher gegen Schottland, alles zu Fuß oder per Bahn. Es war Anfang März 1946 und wir Österreicher nahmen Abschied von unseren Kameraden. Ich hatte mein Stockbett mit einem Berliner, Heinz Schulze, geteilt, wir haben uns gut verstanden. Er hat mir ein kleines Andenken mit-gegeben. Einer aus Breslau, Schröder, er war Maler, hat mir eine Schatulle schön bemalt. Es waren so viele, die man bereits gut kannte, der Ranz aus Stettin, der Keller aus Schwaben, der Gläser Erich, der mir das Stricken beibrachte, oder der Fußballer aus Köln. Es gab dann noch eine peinliche Verwechslung, wir hatten einen Kameraden aus Saxen drüber der Donau, das haben viele Bewacher verwechselt mit Sachsen in Ostdeutschland, das ist ja russische Zone. Ich weiß es heute nicht mehr, ob er mitgekommen ist oder nicht. Wir mussten antreten für die Zugfahrt. Es war am Abend und schon finster, deshalb wurde der Bahnhof mit riesigen Scheinwerfern beidseits ausgeleuchtet. Dann ging es in die Nacht hinein mit dem Kanadian–Pazifik, einer privaten Bahngesellschaft, von dieser fuhr ein Angestellter im letzten Abteil mit. Die Lok war ein Ungetüm, mit einer Glocke statt einer Pfeife. Es waren Pullmannwaggone mit 12 Achsen. Man spürte keinen einzigen Schienenstoß. Es gab Liegesitze Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 40 Briefe aus der Gefangenschaft Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 41 aus Leder und Eiswasser. Dies zählte zur gewöhnlichen Ausstattung. Die erste Klasse war mit feinstem Samt und mit Seide ausgestattet. Die Linie erstreckt sich gut 10.000 Kilometer von Vancouver bis Halifax. Es gab auch die staatliche Nationalbahn, mit schlechterer Ausstattung. Inzwischen sind wir die ganze Nacht gefahren und kamen am Vormittag nach Winniepeg. Ich erhaschte noch einen letzten Blick vom Bahndamm über die schöne Stadt in unendlicher Weite. Es ist die Hauptstadt von Manitoba. Es ging weiter über die Provinz Ontario. Wir sind wieder Tag und Nacht durchgefahren und so kamen wir am nächsten Tag in der Früh nach North Bay. Von hier aus ging es direkt nach Norden, nach Monthis, ein Sammellager für die Österreicher. Hier kamen alle zusammen, auch die Offiziere. Von 30 kleineren Lagern sammelten sich hier zirka 3.000 Mann, insgesamt waren zirka 30.000 in Kanada. In diesem Lager hab ich auch meinen Freund Riedler Karl aus Eggersdorf getroffen, er war später Magazineur im Lagerhaus Amstetten. Es war sehr kalt, doch zum Glück hatten wir genügend Kohle. In diesem Lager waren vor uns Internierte von der Handelsmarine. Das waren bevorzugte Gefangene. Sie hatten zwei große Braunbären, einen haben sie im Lager gelassen, den anderen haben sie mitgenommen. Er war gut zwei Meter hoch und machte mit den Vorderpfoten „Bitte, bitte“, ein sehr drolliger Kerl. Die Malzzuckerl schmeckten ihm am meisten, auch wenn sie ihm immer an der Zunge picken geblieben sind. Die Umgebung bildete sich aus einem großen und schönen Wald. Es wurde allmählich wieder wärmer und wir wurden uns gegenseitig etwas bekannter. Ende März fuhren wir Richtung North Bay zu unserer Bahn, der Pazifik–Atlantik. Diese wurde 1880 – 1885 erbaut, 10 Jahre wären geplant gewesen, doch in fünf war sie fertig. Es war wild romantisch, der Wald und die Seen, dann die endlose Prärie. Ein sehr romantisches Stück ist, wo der Eriesee in den Ontariosee mündet, hier fuhren wir an den Niagarafällen vorbei. Heimzu ging es von North Bay über Ottawa nach Montreal, eine sehr ausgedehnte Stadt. In Quebec über den St. Lorenz Strom, der dann schon fünf Kilometer breit ist, hinauf nach Neu Braunschweig und dann Neu Schottland, hinein in die große Hafenstadt Halifax. Hier verlassen wir Kanada, wo es uns so gut gegangen ist, dass man gern zurück denkt an diese Zeit. Alles, was im Lager gebraucht wurde, Musikinstrumente, Kleider, alles wurde bereitwillig und gerne gegeben. Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 42 Es ist Abend, wir gehen zum Schiff, zwei liegen nebeneinander, wir mussten durch das Erste gehen um aufs Zweite zu gelangen. Es ist die „Mauritania“ 36 000 B.R.T. Ein zittern geht durch den ganzen Rumpf und es bewegt sich. Jeder hatte im Lager zwei Decken mitbekommen, die mussten wir am Heck des Schiffes in einen Raum werfen. Unter den sechs Männern, die bestimmt wurden, diese schön zusammen zu legen, war ich. So waren wir den ganzen Tag auf Deck in der frischen Luft mit Blick auf die Wellen des Meeres. So ein Schiff hat eine Geschwindigkeit von 40 – 50 Stundenkilometern. Einmal war es stürmisch, das spürte man auch auf dem großen Schiff, es ging drei Meter rauf und drei Meter runter. Fünf Tage sind wir gefahren, dann kamen wir im Hafen von Liverpool an. Noch einmal schaute ich zurück auf diesen bauchigen Koloss, heute werden sie schon ganz anders gebaut. Mit einer langen Reihe von Stockbussen ging es im dichten Nebel weiter in unser erstes Lager, Skriven Hall, das ist auch wieder ein komischer Name für eine Ortschaft, übersetzt bedeutet es, Schreibstube, aber es war recht schön. Das nächste Lager war dann an der Hauptstraße London – Edinburgh, viele Autos passierten die Straße. Es war schon Mai und es wurde warm. Im Mai haben die Engländer ihren Victory Day, ein Feiertag bei dem sich alles ums Wetten dreht, so auch an diesem. Es wurden Schragen mit Pfosten aufgestellt, dann ein Schwimmbecken aus wasserdichtem Zeltstoff drauf. Das hat die Feuerwehr mit Wasser aus dem nahen Fluss bis zum Rand gefüllt, zirka einen Meter tief, bis es „Krach“ machte und alles zusammenstürzte. Das war 50 Meter neben uns, wir lachten uns krumm, die Aufsteller selbst auch. Sie stellten ein zweites Becken auf und dann kam der „Old Lady“ - Verein in Reih und Glied sind sie aufmarschiert. Es war schön anzusehen. Die Kinder sind unter der Anfeuerung der Eltern in den Becken um die Wette geschwommen. Die englischen Farmer sind zumeist Pächter, die Gutshöfe stehen zum Großteil leer, da die Lords in der Stadt leben, das ist bereits seit 100 Jahren so. Früher, als England noch Kolonien hatte, hatten sie auch billige Arbeitskräfte. Diesen Wohlstand sah man auch in Frankreich. Von uns Österreichern konnte schon von Zeit zu Zeit ein Schub nach Hause, zuerst die von der englischen und amerikanischen Zone. Wir von der Russischen mussten noch warten, das letzte Lager war dann in der Nähe von London. Da sind wir mit Kameraden, die in England waren, zusammengekommen. Es waren Bekannte darunter, zum Beispiel der Ebner Schuster aus Ludwigsdorf. In unserem Lager in Kanada waren noch der Lettner aus Ludwigsdorf, der Kamleitner Johann aus Schlatberg, der Preiler Michl von St. Leonhard am Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 43 Walde, der Gugler Karl aus Aschbach und der Zehtgruber Gust aus Euratsfeld. Es war schon gegen Ende Juli, als es für uns in der russischen Zone auch so weit war. Es hieß endlich: „Einsteigen!“ Wir fuhren mitten durch die Großstadt London nach Dover und weiter mit einem Fährschiff nach Calais. Da wurden wir von den Franzosen zum Abendessen in einen großen Speisesaal eingeladen. Von denen, denen die Deutschen soviel angetan hatten. Lauter fesche, freundliche Mademoisellen haben uns bedient mit sehr gutem Essen. Überall wo ich im Ausland war, wurden wir Österreicher sehr gern gesehen. Zu unserer großen Freude kam dann der Schaffner von unserem Zug herein, er wurde mit Jubel begrüßt. Schließlich wussten wir seit zwei Jahren nichts von daheim, keiner hatte eine Ahnung, ob es der Familie gut ging und ob alle am Leben waren. Es wurden keine Briefe durchgestellt von den Russen. Alle meine Briefe bekam ich zurück, als ich in die russische Besatzungszone einreiste. Mit einem riesigen „Dankeschön“ verabschiedeten wir uns bei allen. Es ging dann quer durch Frankreich über die Magienotlinie, Strassburg, Stuttgart, München, Salzburg, Bischofshofen, Mallnitz, Villach, Bruck an der Mur nach Semmering. Hier nahmen uns die Russen in Empfang, nachdem uns die Engländer in Villach entlassen hatten. In Wiener Neustadt bekamen wir die lang ersehnten Entlassungspapiere und über Wien ging’s weiter nach Hause. Am 26. Juli 1946 kam ich spät abends in Amstetten an. Nach sechs Jahren und vier Monaten mit heiler Haut daheim. Durch alle Höhen und Tiefen eines Lebens. Wenn ich heute zurück schaue, muss ich dem Herrgott danken, der mir einen so guten Schutzengel mitgegeben hat. Natürlich danke ich auch meinen Eltern für Ihr Gebet, das man oft augenscheinlich gespürt hat. Ich gedenke aber auch der vielen Kameraden, die einmal ein Stück meines Lebensweges mit mir gegangen sind, es waren Tausende. Danken muss ich auch dem internationalen Roten Kreuz und den englischen und kanadischen Behörden für die gute, menschliche Behandlung. In Kurzform habe ich versucht, dem werten Leser von allem eine kleine Vorstellung zu geben. Manche Themen habe ich nicht erwähnt, obwohl ich es auch gesehen und erlebt habe. Es wäre zu grausam gewesen. Um eines bitte ich noch, um Entschuldigung, und ich weiß, ein Volksschullehrer würde mir das Heft um die Ohren hauen und sagen: „Schmierfink“. Schreiben war nie meine beste Seite. Die vielen Fehler sind in der Eile entstanden, dafür aber kann ich für jedes Wort geradestehen, dass es wahr ist, wie es damals war. Ich habe das alles selbst gesehen und erLeopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 44 lebt, aber die Welt hat sich verändert. Kanada hatte damals 11 Millionen Einwohner, heute hat es 26 Millionen, hat neun Provinzen und ist fast 10 Millionen Quadratkilometer groß, also 110-mal so groß wie Österreich. Zum Schluss noch ein paar Gedanken, wie auch mein Freund Riedler sagte: „Ich möchte das Gute, aber auch die schweren Stunden nicht vermissen in dieser Zeit. Wenn auch das Fragezeichen vor den Augen immer größer wurde: „WARUM?“ Mein Leben nach dem Krieg 1946 Ende Juli kam ich mit einem zweiten aus Neustadtl mit der Bahn in Amstetten an. Ich begleitete ihn noch bis zu seiner Schwester, die in der Stadt wohnte, und ging dann entlang der Bundesstraße heim. Als ich aus Empfing kam, sah ich die ersten Lichter leuchten in der Au. Sie hatten zu Hause bereits den Strom bekommen. Ich wusste davon nichts, da ich keine Post durchgestellt bekommen habe. Es war ein schöner Anblick. Der Hauptplatz in Amstetten Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 45 Da meine Schwester Nanni zu Hause am Hof war bei den Eltern, ging ich wieder zu den Bauern helfen. Viele waren froh, da einige Männer noch nicht zurück waren aus der Gefangenschaft. Ansonsten half ich selbstverständlich auch zu Hause mit. Ich habe mich oft um Arbeit beworben, laut denen war ich jedoch zu alt zum Lernen, schließlich war ich inzwischen 33 Jahre geworden. Die suchten alle nach Jüngeren. Die Nanni heiratete dann nach Ardagger Markt zum Plösser. Mirzl hatte auch beim Denken den Dienst gemacht, ab 1928 bereits. Sie hatte dann sehr jung den Üblacker von Moos in Stephanshart geheiratet. Sie hatten eine Doppelhochzeit mit dem Sohn vom Denken. 1952 heiratete ich schließlich mit 39 Jahren die damals 29 jährige Johanna Gutjahr (geboren am 13. Jänner 1923). Ihre Mutter Theresia, geborene Kälbersberger (16. Sept. 1882 – Nov. 1965), stammte ursprünglich von dem Haus ab, das später meine Eltern gekauft haben. Ihre Schwester Christine war am Haus verheiratet mit Johann Dietl aus Empfing, diese haben das Haus verkauft an meine Familie. Mirzl mit ihrer Familie, später kam noch ein Bub Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 46 Ihr Vater, Josef Gutjahr (1873- 1952, starb kurz nach unserer Hochzeit), hat sich mit seiner ersten Frau Rosina Brandstetter das Gutjahr - Haus gekauft. Diese ist gestorben und so war er alleine mit seinen vier Kindern. Die zweite Frau, meine Schwiegermutter, gebar ihm noch drei Kinder und zwar Alois (1921 – 2006), Josef (1924 – 1998) und Johanna. Unsere Hochzeit war für viele eine Überraschung, schließlich war es damals nicht so wie heute, dass man vorher eine Zeit lang zusammen ist und dann heiratet. Wir haben in Maria Taferl geheiratet mit den beiden Trauzeugen und dem Taxifahrer vom Heiss im Amstetten. Als Beistände fungierten der Alois Gutjahr, der Bruder meiner Frau, und ihr Schwager Alois Ruckensteiner. Nach der Trauung gingen wir fünf in Maria Taferl essen und fuhren dann nach Hause, wo die Familien und Nachbarn warteten zum Feiern. Ich bin dann zum Gutjahr aufs Haus gekommen, da es höher lag und dadurch einen besseren Schutz vorm Hochwasser bot. Wir bauten es in den Jahren danach, immer wenn wir Geld hatten, Zimmer für Zimmer um. Josef Gutjahr & Theresia Gutjahr (1873 – 1952) & (1882 – 1965) Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 47 Unser Hochzeitsfoto Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 48 Unsere Kinder Maria, Alois und Johanna kamen innerhalb von vier Jahren zur Welt. 1980 wurden wir aufgrund der immer wiederkehrenden sehr hohen Hochwasser aus der Au ausgesiedelt. Wir zogen in meine 4. Heimat, nach Berg bei Amstetten. Den Hof bauten wir von Grund auf um und zogen mit unserm Sohn Alois und dessen Frau Marianne in das neue Haus. Unsere drei: Lois, Hanni und Mitzi Im Alter unternahmen wir noch beinahe jährlich Busreisen, um die Welt ein wenig kennen zu lernen, zum Beispiel: Lourdes 1974 und 1985 Hamburg, Kiel, Hannover, Bremerhafen Insel Mainau Cote D`Azur Polen, Ungarn, Tschechien Schweiz Mailand Moselfahrt Normandie Großglockner usw... Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 49 Die Familie bei Hochwasser Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 50 Heute im Jahr 2008 haben wir bereits neun Enkelkinder und auch das fünfte Urenkerl hat vor einigen Wochen das Licht der Welt erblickt. Wir sind dem Herrgott sehr dankbar, dass wir das alles noch miterleben durften. Wenn es etwas gibt, gewaltiger als das Schicksal, so ist es der Mensch, der es unerschüttert trägt. Opa bei seinem 90. Geburtstag, fit wie eh und je Leopold Korndeuer - Meine Kriegserinnerungen Seite 51