"dramaturgie" 01/04 - Dramaturgische Gesellschaft
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"dramaturgie" 01/04 - Dramaturgische Gesellschaft
Caroline Peters, Sophie Rois und lnga Busch in uSexl> von Rene Pollesch im Berliner Prater (Volksbühne) Foto DRAMA Resumee des Symposiums «Schnittstelle Theater» -. Die Bühne und die Medien vom 9. ~ 11. 1. 2004 in der Volksbühne Beriin ln jedem Hirn lauer! ein kleiner -~~~.::-..:.:::.:..-=:::.::.::Konsument -2:-::::~~::::::::: ___... Blicke in den Körper i':;t~loiuil'"- Blick !n den Kölper f>,idc! \'(·,;\ ,\,,;~- Wa~ Au9endingnos\iker kiinncn Ge$ChäU mit dem roten Gold !li,-,,,; Si"t- Bluter in [,t"t:.pon;,~j,•n:t<- Da~ der Ge~chichte !'ort: "! hnn~rt llicl~~on ;)";ccy 1. i:ct:c;o~. -Tote reden· doch Jetzt im Handel. Bestellen Sie ein kostenloses Probeheft* unter www.leib-und-leben.com oder telefonisch unter 05 11 I 40 00 4-617 (von 10.00 Uhr bis 20.00 Uhr) leib&leb.en erscheint 6x im Jahr plus SPEZIAL im Herbst Das Jahresabonnementkostet € 75.- (0) frei Haus. 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Dem Vortrag des Medien-, Pop- und Kunsttheoretikers war eine gewisse Amüsiertheit darüber anzumerken, dass im öffentlichen Gespräch übers Theater immer noch Grenzen verteidigt werden, die in der Bildenden Kunst und der Popkultur längst geschleift sind. Wenn Deutschlands gerontokratische Theaterkritik ständig die «Selbstaufgabe« eines Theaters beklagt, welches neue Medien verwendet, dann hat das für Diederichsen viel damit zu tun, dass Video «ein gesellschaftlich verworfenes Medium» sei, das man von Seiten eines kultur-. Konservative Vorbehalte gegen die Nutzung von Medien als theatrale Darstellungsmittel entdeckt Volksbühnen-Dramaturg Carl Hegemann allerdings auch bei den Künstlern - und er verteidigte sie. So müsste doch eigentlich die computergestützte Herstellung virtueller Realitäten für die Theaterleute hochinteressant sein, weil sie es prinzipiell ermögliche, unendliche Cyberbühnenbilder zu bauen. Doch stelle er nach -hoffnungsvoll begonnenen Experimenten fest, dass das Interesse daran rasch erlahmt sei. Man brauche offenbar die Beschränkungen durch das Material. Oder, mit Bezug auf Kant gesagt: «Wenn der Mensch durch Knopfdruck seine Fantasie abarbeiten könnte, dann wäre er Gott, und das will er gar nicht sein.» So werden, laut Hegemann, die alten Grundverabredungen.des Theaters durch die Avantgarden meist nicht in Frage gestellt, sondern eher bestätigt. Dazu gehöre etwa, dass man Schauspieler, die live spielen, auch sehen können muss. Die intensive Arbeit Frank Castorts mit Video habe pessimistischen Traditionsbürgertums für vieles begonnen, als sein Bühnenbildner Bert Neumann einmal jene Grundverabredung in Frage stellte: Er Schlechte verantwortlich mache. Im Theater werde eben, anders als in der Bildenden Kunst, wollte das Badezimmer in «Endstation Amerika» als völlig geschlossenen Raum und beharrte da- immer noch zwischen ((angemessenenn und rauf, es genüge, wenn das Publikum die Schau- «fremden» Praktiken unterschieden. spieler häre. Daraufhin habe ihn Castort erstens DRAMATURG 1/2004 1 ·und Ulrich Khuon [Thalia-Theater) sind, außer gezwungen, ein Fenster in das Badezimmer eine zubauen, und zweitens beschloss er, eine VideoFrage. Grundkonsens war: Wenn Medien unsere kamera in das Zimmer zu stellen, mit deren Hilfe Wirklichkeit und deren Wahrnehmung bestil1)das Spiel nach draußen übertragen wird. So sei es men, kann und soll das Theater kein medienfreies möglich, die Vereinbarung gleichzeitig zu verletReservat sein. zen und zu erfüllen. Der Autor und Theaterwissenschaftler Jens Roselt berichtete denn auch höchst süffisantvom · Mittlerweile gehe es Castorf, so Hegemann, um zweierlei: Erstens wolle er das, was ihn prägt Besuch des lars-von-Trier-Films uDogvillen, der (die Medien) gewissermaßen in einem Akt der eine uäußerst altbackene Theaterästhef1kn für .das Gegenwehr bearbeiten. Zweitens ermögliche die Kino kultiviere. Komischerweise habe kein einziger Kamera es ihm, Schauspieler so zu zeigen, wie sie deutscher Kinokritikerangesichts dessen über den uAusverkaufn und die «Selbstpreisgaben des Kinos sich selbst nicht sehen wollen. Als Beispiel nannte Hegemann eine Szene aus uForever Youngn, in geklagt. Etwas von diesem selbstverständlichen der Kathrin Angerer von. ihren «hässlichen Füßenn . Selbstvertrauen täte auch dem Theater gut. 1!11 spricht und im nächsten Augenblick diese Füße überlebensgroß auf der Videowand zu sehen sind. Im Gegensatz zu Hegemann war bei den drei Videokünstlern Chris Kondek, Philip Bußmann und Jan Speckenbach (der die Kamera bei Castorf führt) eine gewisse Faszination fürs bloße Erproben technischer Möglichkeiten zu spüren. Kondek und Bußmann haben beide für die Wooster Group gearbeitet und ließen keinen Zweifel, dass der erste preiswerte Videomixer, den Panasonie Mitte der neunziger Jahre auf den Markt brachte, die Ästhetik der New Yorker Truppe beeinflusst habe. Mittlerweile arbeite man vor allem am Apple Computer und, so Bußmann, ein Video, dessen. Herstellung früher Wochen dauerte, «ließe sich heute ganz einfach in Harnburg machen und dann im ICE nach Berlin fertig schneidenn. Ähnlich unbefangen wurde an den gesamten . drei Tagen des von der Dramaturgischen Gesellschaft veranstalteten Symposiums vor allem über das uWie?n der th.eatralen Mediennutzung diskutiert -.das «Warum?n stand bei Vertretern so Zuerst veröffentlicht in der unterschiedlicher Ästhetiken, wie es Thomas OberBerliner Morgenpost ender (Schauspielhaus Bochum), Anne Quinones vom 12.01.2004 (Rene Polleschs Prater), Beate Heine (Schaubühne) www.morgenpost.berlin 1.de 2 DRAMATURG 1/2004 Theater ist kein Medium- aber was bewirkt es, wenn der Mann mit der Videokamera auf der Bühne arbeitet? Von Diedrich Diederichsen nter den zahllosen Jahresendlisten und -abrechnungen, die im Dezember des Jahres 2003 veröffentlicht wurden, konnte man auch U mierbar ist eben zunächst mal alles: auch Journalismus als Strategie der Bildenden Kunst oder Fernsehen als Theater. Andererseits lässt aber die universelle Selbstreflexion alle Mittel als markiert diesen Notruf einer Berliner Kollegin abfangen: Unter der Rubrik «Wünsche für 2004» hatte sie nämlich notiert. nur einmal im kommenden Jahr erscheinen und damit als potenziell vordergrundsfähig, als potenzielle Hauptsache- und jede ehe- möge die Volksbühne auf eine Videoprojektion verzichten. Warum diese Gereiztheit? Kaum vorstellbar wäre etwa der Ausruf, die Volksbühne malige Hauptsache darf Nebensache werden. Die Mittel lassen sich nicht mehr in genrespezifische Kernbestände und einfallbedingte Singularitäten möge doch wenigstens einmal im Jahr 2004 auf sprechende Schauspieler verzichten oder auf scheiden. Der auffällige und ausgestellte Einsatz von medialen Apparaturen wird da leicht zum Musik. Die Videoprojektion scheint nach wie vor ein Fremdkörper im Theater zu sein, und das bevorzugten Kandidaten einer solch kritischen legitimationsprüfenden Aufmerksamkeit- und im scheint sich auch von selbst zu verstehen. Diskutierenswert ist aus der Perspektive des Theaters und seiner Kritikerinnen offensichtlich nur Ergebnis dann Ursache von konsensfähiger Genervtheit. Der Grund liegt nahe: Alle, insbesondere alle die Frage, ob und in welcher Menge dieser im Prinzip verzichtbare Fremdkörper auf einer Bühne Kritiker, sind an Diskussionen über neue Medien gewöhnt und können oft auf eine besonders reiche Erfahrung an Diskussionen über den Zusam- erscheinen darf, nicht ob er prinzipiell als Fremdkörper zu gelten hat. Die Gereiztheit über eine oder besser wiederholte Videoproduktionen ver- Avantgarden des 20. Jahrhunderts zurückreicht Ebenso alt sind alle möglichen Versuche, den Gebrauch der unterschiedlichsten neuen Medien wie ein Regieeinfall und daher zu den Variablen gezählt werden müsse. Und Variable nerven dann, wenn sie konstant wiederkehren. Das dürfen sie in die Theaterpraxis zu integrieren, wirklich verschiedenartig sind dabei indes die Register, in denen diese Versuche bemerkt, benannt und diskutiert werden. Tatort, in der Volksbühne Berlin, eröffnet mit einer Reflexion des Medienwissenschaftlers und Kritikers Diedrich Diederichsen. · Dabei meint das Wort Medium in diesen Dis-. kussionen ausgesprochen verschiedene Dinge: oft mittel in allen Künsten dazu geführt, dass kaum noch ein solches Mittel als Selbstverständlichkeit gelten kann und sich daher jedes und auch auf technische Einflüsse auf das Bühnengeschehen, die nicht immer die Kategorie Medium verdienen, jeder Ebene der Diskussion stellen muss und legitimationsbedürftig ist. Die Perspektive und Me- sondern eher die der Apparatur, von der elektrischen Verstärkung bis zur Projektion; sodann kon- thode der Selbstreflexion hat infolgedessen einer- kurrente Formen von Öffentlichkeit wie Fernse- seits die Menge und die Einsatzmöglichkeiten von Mitteln erhöht, weil sie eine diskursive Perspektive hen, Kino, Computer-Kultur, wo ebenfalls selten das Mediale gemeint ist. sondern meistens ist und ohne die Apodiktik des Künstlerturns aus- bestimmte Erzähl- und lnszenierungsformen, . kommt- und diskutierbar, also per Diskurs legiti- nicht die dazu nötigen Medien; und schließlich DRAMATURG 1/2004 «Schnittstelle Theatern wurde am 9. Januar am menhang von neuen Medien und Theater zurückgreifen, der mindestens bis an die Anfänge der weist darauf, dass sie nicht zu den Theaterkonstanten, den selbstverständlichen Mitteln der Darstellung gerechnet werden, sondern als so etwas erst dann, wenn sie als Konstanten akzeptiert sind. Nun hat die Selbstreflexion der Darstellungs- Das Symposi'um 3 ästhetische Formate, die mithilfe von medialen formaler und z. T. auch eben medialer Ebene, die Architekturen als trojanische Pferde ins Theater ja oft auch gerade dann auftauchten und lanciert geschleust werden und dort aber als neue, ledig- wurden, wenn der klassische Locus der Einheit - lich medial unterstützte, aber in erster Linie Text und Drama eben·~ gerade auseinander zu fal- ästhetisch auffällige oder neue Elemente des len begann, dann hätte das Theater neue Medi.en Theaters für Unruhe sorgen- wie etwa dem Fern- aller Art ganz entspannt in seinen extrem großen sehen abgeschaute höhere Geschwindigkeiten und weiten Rahmen integrieren können, in dem oder auch deren Gegenteile, die von der installa- doch auch sonst so vieles Platz hat. Die Idee, dass ti.venBUdenden .Kunst beeinflussten Langsamkeiten. Getanzte Zeitlupen, gelaberte Loops und es angemessene. und fremde mediale Praktiken auf. der Bühne gibt, istalso eng verbunden mit dem gescratchte Dialoge. Schließlich gibt es den Ein- Aufkommen von Medien oder vor allem be- . salz von Medien in einem tatsächlich medialen stimmter Ideen von Medialität und Medienwir- Sinne, als Extensionen oder Modifikationen der kungen, die zu formalen Einheitsideen ermutigten. Grundelemente des kulturellen Formats Theater: Anders als in der Bildenden Kunst hat es im Projektion ersetzt die vierte Wand oder Kameras Theater nie eine besondere Nähe zwischen seinen vervielfachen die Bühnenräume etc. Medien und seinen Für und gegen alle diese Entwicklungen in ihren unterschiedlichen konkreten Ausprägungen genutzt, die auch die Alltagskommunikation nutzt mag es gute immanente Argumente geben, die . und sich nur bei seinen Hintergründen und Sup- sich aus spezifischer Ge- oder Misslungenheil plements bei den Künsten bedient, die auf einer ableiten, generell scheinen mir aber die allfälli- größeren Nähe zwischen Medium und Ausdrucks- gen Streitereien darunter zu leiden, dass es jen- mittel verfügen - wie etwa die Malerei und in seits der Verwechslung von jeweils Technik, einem gewissen Sinne auch die Musik. ln der Öffentlichkeit undÄsthetik mit einem verallge- Nachfolge Wagners, des Symbolismus und später meinerten Medienbegriff zwei unausgetragene Futurismus, Unklarheiten gibt: zum einen, ob sich das Thea- Synästhetisisten oder Synästhetikern wurden von Huysmans und . gewissen ter selbst als ein Medium verstehen will, das sich Modelle und .Utopien entwickelt, mithilfe von gegen andere verteidigen oder von ihnen ergän- architektonischen oder medialen Apparaten und zen lassen will, und zum anderen welchen Status Maschinen auch die Ausdrucksmittel der Künste Medien - alte wie neue - eben genau dann im · zu vereinheitlichen, von einem Zentrum aus steu- Theater haben, wenn es sich, wofür ich argumen- erbar und programmierbar, ja vergleichbar und tieren möchte, gerade nicht als ein Medium ver- ineinander übersetzbar zu machen. Und natürlich . steht oder verstehen sollte. Es ist offensichtlich und bedarf wohl keiner war das Theater mit seinem Sammelsurium an Künsten und Kunstfertigkeiten ein geeigneter Ort ausführlicheren Begründung, dass Theater aus den oder zumindest ein geeignetes Modell solcher verschiedensten künstlerischen Gattungen und mediatisierter totaler Kunst. Formaten zusammengesetzt ist, und doch ist 4 b~rstellungsmitteln gegeben. Das Sprechtheater hat in der Regel die Medien Es kam.jedoch anders, und im Aufstieg des schon diese Formulierung irreführend, weil sie ein Films ist genau eine solche medial vereinheitlich- Ganzes aus Teilen suggeriert. Ein solches Ganzes te Kunst aus den vielen Künsten realisiert worden: - wie am berühmt-berüchtigsten in der Idee des Regisseure, Bühnenarbeiter, Darsteller, Beleuchter, Gesamtkunstwerkes - setzt nämlich auch ein Fotografen, Bühnenmaler und -bildner, sie ·alle Integrationsprinzip voraus, das über aller Zusamc arbeiteten beim Film nur noch an einem belich- mengesetztheil stehen müsste und so auch die teten Streifen Celluloid, der also wegen und durch Unterschiedlichkeil der verschiedenen Medien seine medialen Eigenschaften die vielen Künste aufheben würde. Ein solches Prinzip mag in tra- in ein Objekt .einschmolz - und überließen das ditionellen Theaterformen auf der Ebene des Tex- Theater seiner natürlichen, disparaten Heteroge- tes, des Dramas oder in noch traditionelleren ritu- nität. ellen Funktionen bestanden haben, aber die Idee, Meanwhile im Lager der Bildenden Kunst: dass es eine solche Einheit auch auf der Ebene der Auch dort hatte naturgemäß der Aufstieg neuer Ausdrucksmittel geben könne, ist relativ spät, ist Bildmedien stark eingeschlagen. Wenn wir das Ausdruck spezifischer Ideologien im Umkreis des 20. Jahrhundert grob resümieren, kann man sa- Gesamtkunstwerk-Gedankens und tatsächlich auch gen, dass dieser Aufstieg dazu geführt hat, das des Aufkommens neuer Medien im Umkreis des Verhältnis von Ausdrucksmittel und Medien in der Theaters. Gäbe es nicht diese Einheitsvisionen auf Bildenden Kunst nach und nach völlig neu zu DRAMATURG 1/2004 definieren. ln der Nachfolge von Duchamp und der symbolischen Spielregeln auf die Milieus und vor allem seiner neo-avantgardistischen Rezepti- die ökonomischen Hintergründe ist auch insofern on in der Nachkriegszeit und in der Konzept- keineswegs beliebig, als diese auf sehr spezifische Kunst der Sechziger ist die Bildende Kunst dazu Weise die Hardware der symbolischen Regel. bilden übergegangen, Kunststatus und Kunst/Nichtkunst- und ihre Genese beeinflusst haben: Weiß gestri- Unterscheidungen eher in externen Spielregeln, chener Galerieraum und die symbolische Archi- symbolischen Rahmungen wie dem White Cube tektur des Theaters haben gewiss eine prä- wie der modernistischen Galerie und in den sozialen prolo-symbolische Vorgeschichte, eine sozusagen und wirtschaftlichen Bindekräften eines Kunst- historisch-materialistisch zu erschließende Dimen- Milieus zu situieren als in der traditionellen und sion jenseits ihrer bloßen Funktion bei der Orga- auch traditionell modernistischen Orientierung an nisation und Distinktion symbolisch kultureller den eng miteinander verbundenen Darstellungs- Weiten. An ihnen lassen sich .auch die gesell- mitteln und Medien in Malerei und Skulptur- von schaftlichen Gründe ihrer Genese noch erkennen, alldiesen Definitionen und Lokalisierungen gibt es der idealistisch weiße,.die Kontextualität zuguns- normativ-optimistische und rein deskriptive, die ten von Autonomie eindämmende, Sicherheit und zum Pessimistischen tendieren. Ihnen gemeinsam Asyl vor allzu großer Nähe zu den Bedeutungen ist, dass sie alle sehr den ähneln, die das moderne da draußen versprechende Raum ebenso wie Theater auch in seinen Selbstbeschreibungen Bühne, Zuschauerräume und die ganze symboli- äußert: den Status oder auch die Grenzen des Fore sche Architektur des Theaters als exemplarische mates machen Spielregeln und symbolische Übe- Öffentlichkeit un.d symbolische Wiederholung der reinkünfte aus, an die systematische Stelle des Ordnung der Weit. Der White Cube arbeitet mit White Cube und seiner symbolischen Funktion der Dialektik von Hereinlassen und Aussperren könnte etwa beim Theater die vierte Wand tre- von Weit, das Theater mit Wiederholung, Entzie- ten. Obwohl natürlich diese beiden Übereinkünf- hung und Überbietung derselben. te viele Jahrzehnte der Übertretungen und wei- Der nun schier unüberwindliche Graben zwi- tere der Dekonstruktion hinter sich haben, ist schen den Milieus, eher ihrer sozialen Genese und nicht nur ihre symbolische Virulenz wenig ge- Reafität geschuldet als wesentlichen inhaltlichen schwächt, entscheidender ist," dass mit ihnen der Differenzen, allenfalls der Differenz von überwie- weder medienbezogene noch auf künstlerische gend staatlich zu überwiegend privatwirtschaft- Mittel verweisende Versuch, Theater und Bilden- lieh finanziert, dieser Graben der Kenntnisse, . de Kunst über symbolische und soziale Verein- Erfahrungen und Biographien täuscht also über barungen als kulturelle Formate - und nicht als einen gewissen Bestand an Gemeinsamkeiten hin- Medien - zu beschreiben, sich _als .relativ erfolg- weg. Man muss aber unterscheiden, dass die Bil- reich erwiesen hat. Natürlich gibt es wichtige dende Kunst sich, indem sie sich der Medien-Dar- Unterschiede: Der Druck, den die Anwesenheit stellungsmittei-Engführung entledigte, einer tra- eines Publikums erzeugt, ersetzt oder mildert das ditionell starken und wesentlichen Selbstbeschrei- symbolische Diszipiinierungsbedürfnis und die bung entledigte, die nicht nur bis heute im Volks- Notwendigkeit, Grenzen symbolisch in die Rezep- mund überlebt, sondern auch viel mit ihrer öko- tion einzufräsen, die in der Bildenden Kunst der White Cube leisten muss. Weswegen auch dessen nomischen und kulturellen Herkunft aus dem Handwerk zu tun hat. Dar.um wird die Geschichte Dekoristruktion attraktiver ist. dieser Entledigung auch- übrigenskontrafaktisch Wiederum bei.den gemeinsam ist aber, dass -immer wieder gern als eine von brachialen Para- man den symbolischen Vereinbarungen ein sozia- digmenwechseln erzählt, in der Schlüsselwerke les Korrelat, ja ein Milieu zuordnet, einen kultu- (Urinoir, Flaschentrockner, Brillo Box, Art as ldea rellen Resonanzraum, der die beiden Formate oder as Art etc.) und5chlüsse}künstler (Duchamp, War- Disziplin dann wieder- gerade durch ihre struk- hol, Weiner etc.) heroische Rollen spielen. Hinge- turelle Ähnlichkeit -.stark unterscheidet und da- gen scheint die Selbstverständigung des Theaters für sorgt, dass womöglich identische mediale. als ein Bündel loser und erweiterbarer wie redu- Praktiken - z. B. in der Performance Art, in der zierbarer Praktiken unter dem Regime einiger Bewegt-Bild-Installation -sich auf ganz unter- symbolischer Regeln eher nach und nach gewach- schiedliche milieu-interne symbolische Vereinba- sen zu sein und ist- soweit ich sehen kann- nicht rungen beziehen und folglich etwas völlig ande- an Kriegserklärungen und goldene Worte gebun- res bedeuten und auch in völlig unterschiedlichem den. Entsprechend wenig gehört sie zur Verfü- Maße originell bzw. gut sein können. Dieser Bezug gungsmasse der im Alltagsbewusstsein der Thea- DRAMATURG" 1/2004 5 termacher abrufbaren theoretischen Statements, Es geht nämlich nicht um Medien. Es geht entsprechend. unklar und ungeklärt bleibt das Ver- um ein Medium, es geht um Video. Es geht auch hältnis zu neuen Medien. Es hat nie zur großen nicht um jeden Einsatz von Video: Bühnenbild- Krise geführt, also führt es immer wieder zu klei- nerische sind meistens unproblematisch, es geht nen Krisen. um Video in zwei Verwendungen. Zum einen Dafür gibt es eine andere sehr bewusste und wären dies Videoprojektionen, die nicht als Verpräsente Problematik im Selbstverständnis des schönerungen oder Extensionen oder MetarefleTheaters, und das ist die Nähe der neuen· Medien xionen des Bühnenraumes gelesen werden könzur Privatwirtschaft, zu kapitalistischer Konkurnen; sondern sich als das Eindringen der schmutrenz, zu ökonomischen Prinzipien, die das ökonozig-hässlichen Weit des Fernseh-Narrativ lesen mische Format- nämlich staatsabhängig und mitlassen müssen, und zwar auf einer produktionstelständisch - wenigstens des deutschen Stadtästhetischen Ebene, nicht als wohlfeiles Zitat. Zum und Staatstheaters gefährden könnten: Neue anderen ist es die Videokamera in unmittelbarer Medien ·sind nämlich immer entweder sehr, sehr Verschaltung miteinem beweglichen Akteur, nicht billig oder sehr, sehr teuer - und das Stadttheaim Sinne einer Thematisierung seiner Körperlichter liegt diesbezüglich sehr, sehr dazwischen keit- wie es sie im experimentellen Theater wie in genau in der Mitte zwischen Hollywood-Budgets der Performance-Kunst seit Ewigkeiten und längst und alternativem Stadtteilaktivismus mit Net.Art. kritisch durchgewunken gibt - sondern im Sinne seiner Thematisierung als dramatischer RollenträDoch glaube ich auch nicht, dass diese Verspannung durch ein Konkurrenzgefühl zu jeder mediager mit Kamera, als Mann mit der Videokamera: len Produktion, von einer von ihrer bloßen - tenim Sinne einer Karikatur des Mannes mit der Filmdenziell mittelständisch produzierenden- Größekamera und der an ihn in den zwanziger Jahren nordnung des Theaters her, das zwischen medienvon unter anderem seinem Erfinder, Dziga Vertov, gestützter Ich-AG und Spektakelindustrie sich als gesetzten Hoffnungen. die falsche und überlebte Unternehmenssorte Beide Anwendungen sind tatsächlich Speziaerweisen könnte, nicht wirklich entscheidend zur litäten dieses Hauses und nicht nur von Inszenierungen ihres Intendanten. Was aber macht ihre Verantwortung gezogen werden kann, für das immer wieder aufflammende Krisengespräch über Spezifik aus, in welcher Weise durchbrechen sie zu viel (oder auch zu wenig) neue Medien im den längst etablierten Konsens, dem Theater eine Theater. prinzipielle lntermedialität im Rahmen seiner Denn wenn es darum geht, was an deren Einsymbolischen Spielregeln zuzugestehen? Wenn satz falsch wäre, wird man sofort eine ganze Reihe man etwa in Hans Thies Lehmanns einflussreicher von medialen Einflusstypen als konsensfähig und Schrift über das postdramatische Theater liest, für unbedenklich erklärt streichen. Als Thema und was da über das Verhältnis jüngeren Theaters zu technischen und elektronischen Medien gesagt Gegenstand sind sie kein Problem, als zitierte Ausdrucksmittel, die von einer medialen Realität in wird, fällt auf, dass Lehmann für ein Theater, das die des Theaters überführt werden, auch nicht. Als mit elektronischen Medien arbeitet, synonym apparative Aufrüstung stören sie nur die, die auch ·immer wieder den Begriff High-Tech-Theater eingegen tradit!one!!e Apparate für armes Theater· setzt. Das zeigt, dass elektronische Medien, auch plädiert hatten. Ich glaube nicht einmal, dass dann, wenn das weder ökonomisc.h noch techgroßformatige, das Bühnengeschehen nicht ernisch zutreffend war, immer als teuer und avanweiternde, sondern oft unterbrechende Videoprociert verstanden wurden, womit im Subtext die jektionen wie sie in diesem Hause (der Volksbühimplizite Kritik auch verbunden sein konnte, dass· ne) häufiger vorkommen, normalerweise ein Probdurch die Verwendung von High-Tech· die ästhelem wären, wenn sie stär".er mit der visuellen Kulitische Avanciertheil zu kurz kommt, denn sie wird narik des elektronischen Bildes arbeiten würden ja an die Technologie delegiert, nur die ist dann - sie würden dann allenfalls aus Geschmacksavanciert. gründen abgelehnt oder als Exte~sion des TheaWeniger bekannt ist aber, dass technische terraums begrüßt werden, als neue Form des Büh- · Medien heutzutage auch Low Tech sein können, nenbildes, nicht als Attacke auf den Bestand. ja, da der nichtmediale Rest des Theaters techDafür ist meiner Ansicht nach eine andere Entnisch nicht markiert ist, sogar die einzige Mögwicklung verantwortlich, und sie gilt es präziser lichkeit darstellen zu einem alltäglichen und verbreiteten Mediengebrauch, jenseits der bloßen beim Namen zu nennen. Ich halte sie auch für Zitation, sich zu verhalten, der nicht mehr als eine tatsächlich interessante. 6 DRAMATURG 1/2004 im elektronischen Medien im Thea- ästhetische Bereicherung oder Konkurrenz sich logische Seite lesen lässt, sondern vielmehr als Kommentar zu ter interessant wie bei der Bildenden Kunst, die sich komplett reddinieren musste, nachdem ihr medialen und ästhetischen Verhaltensweisen der Zeitgenossen fungiert. Dieser billige, aber mobile, trashige, aber treffende Alltagsumgang mit der Kamera ist die andere Seite der Spektakelindustrie, aber auch ohne sie nicht zu verstehen. Dieser Umgang hat wenig noch zu tun mit den aufklärerischen, an dokumentarische Formate gebundenen Hoffnungen, die einst mit ihm verbunden waren, sondern steht eher für den unumwunden hochbeschleunigten verwertenden Zugriff auf Bilder von Lebendigkeit in alltäglichen, kleinen Ausbeutungsverhältnissen. Gleichzeitig sind mobile Videobilder auch eng verbunden mit schnellen und kurzfristigen Ermächtigungseffekten, Kompensationen der eigenen Bedeutungslosigkeit. Es ist alsö auf den ersten Blick kein formaler Aspekt dieses Mediums, der ausgestellten, beweglichen Videohandkamera, der zählt, sondern seine enge Verbundenheit mit einer neuen Alltagsästhetik und Alltagsperformativität der Low Culture. ln den großen Videoprojektionen ist dies auch entscheidend, wenn auch leicht verschoben. Was an der großen Projektion während «Der Meister und Margarita» etwa skandalisierte, war nicht nur die Länge und Ununterbrochen heil, die ihr zugebilligt wurde, auch nicht, dass in ihr geschehen durfte, was sonst so selten geschehen darf, dass eine Erzählung unumwunden voranschreiten konnte und der Bühne das Drama wegzunehmen drohte: Als hoch auflösende Videoinstallation oder als 35mm-Film wäre das kein Problem gewesen. Der Skandal bestand darin, dass es sich um eine Fernsehübertragung aus Golgatha handelte, keine Bill-Viola-Feierlichkeiten, sondern eine in jeder Kamerabewegung erkennbare RTL-11-Ästhetik. Diese mit der Videokamera und -Projektion entstandenen Indices gesellschaftlicher Wirklichkeit entwickeln dennoch auch einen formalen, theaterästhetischen Vorschlag zum Status von elektronischen Medien: Diese muss man sich nämlich im Theater als Ausdrucksmittel vorstellen so wie andere auch. Da sie nicht mit dem Theater zusammenfallen, sondern nur, wie so viele andere Ausdrucksmittel auch, sich zu einer Aufführung hinzuaddieren dürfen, müssen sie so behandelt werden wie die anderen. Denn das Theater ist kein mediale Konkurrenz erstanden war. Es ist nicht interessant, wie und ob elektronische Medien die formalen Rahmenbedingungen des Theaters grundsätzlich erschüttern. Es geht eher darum, inwieweit ihnen als Mitteln dieselbe kenntnisreiche Sorgfalt entgegengebracht wird, wie anderen, konventionellen Ausdrucksmitteln: D. h. sie sind nicht sauber, geschichtslos, mechanisch, formal.· An ihnen kleben Verwendungsgeschichten, metonymische Inhalte, mediengeschichtliche Katastrophen und Epiphanien, aber vor allem Alltagsrealität Dies sind die Maschinen, mit denen die Subjekte ihre Freizeitarbeit verrichten. Sie sprechen ihren Dialekt. Man muss mit ihnen· umgehen wie mit Sprechweisen~ deren Geschichte, Manieriertheiten, Abgedroschenheilen etc., unter Umgehung der üblichen Fallen wie reiner Naturalismus, reine Distanzierung etc. Doch schon der bloße Anblick einer Kamera, nicht erst des Bildes, das sie erzeugt, kann brüllend komisch sein. Dann erst, wenn man sich klar macht, dass z. B. Video nicht nur dann Low tech ist, wenn man billige und in Arbeitslosenfamilien und Privatfernsehproduzentenklitschen verbreitete Formate verwendet, sondern dass es ein gesellschaftlich verworfenes Medium ist, das im Zweifelsfall immer dann verantwortlich gemacht wird, wenn Jugendliche verrohen, ihre Eitern verblöden und. alle bis an den Rand oversexed sind - obwohl all die vermeintlich von Horror-Videos verführten Schlitzkiller und Amokläufer meistens Fernsehund Kinokopien gesehen haben -dann erst, wenn die Verwendung des Mediums durch seine gesellschaftlichen Images, seine Rezeptions- und seine Technikgeschichte hindurchgegangen ist, dann, ja dann kann man auch den Bühnenraum ganz konisch öffnen, 360-Grad-Zuschauerräume entwickeln und die formalen, architektonischen, physischen, ja dramaturgischen Möglichkeiten dieser Augen-Prothesen nutzen - und schließlich sogar die symbolischen Sicherheiten ein bisschen erschüttern, die beim Theater immer jede mediale Bestimmung überlagern und dominieren. Der Mann mit" der Videokamera erhält dann in der doppelten Verneinung seines alten utopischen Vorfahren ein bisschen von seinem RealismusVersprechen zurück. 111 Medium, es nimmt nur Medien als Ausdrucksmittel auf, nicht als Medium. Eine Aufführung wird ja nicht zum Videofilm, sie bleibt eine Aufführung. Aus diesem Grunde ist nicht die ästhetisch-onto- DRAMATURG 1/2004 7 Was bewirkt die Kamera auf der Bühne bei den Schauspielern? Von Carl Hegemann ln der auf Diederichsens Vortrag folgenden Diskussion meldete sich der Chefdramaturg der Volksbühne Carl Hegemann folgendermaßen zu Wort: M it diesem Videomedium beschäftigen wir noch potenziert, wenn auf dieser Leinwand und etwas zu haben, woran wir uns abarbeiten können auf diesen Fernsehern zu sehen ist, was um sie und was nicht nurirgendeine Art von Perfektion herum stattfindet. Dann kann man sich über die ins Theater bringt, die Menschen nicht entspricht Effekte unterhalten, die das auslöst. oder noch nicht entspricht. Wir haben lediglich Der wichtigste Effekt für Castorf ist zur Zeit damit mal in Gedanken experimentiert, als wir - bei seiner letzten Produktion «Forever Young»- dieses «Lasst uns Menschen machen» anfingen, kurioserweise das Dokumentarische. Nicht Fernse- diese Elementarteilchengeschichten, wo Gentech- hen als Manipulationsmedium, das interessiert ihn nologie und digitale Technologie plötzlich eine gar nicht. Ihn interessiert die Möglichkeit, dass der Einheit bilden. Da haben wir festgestellt: Wir wol- Mann mit der Videokamera die Füße von Kathrin len damit nichts zu tun haben. Jedenfalls Castorf Angerer filmt und dass die dann sagt: «Ich will können die ganze Gentechnologie, alle medialen nicht, dass du meine Füße filmst, weil die häss- und digitalen Perfektionsapparaturen gestohlen lich sind.» Und Wuttke sagt dann: «Ach, hast du bleiben. Dem geht es darum, das Medium, das er bei deinen tollen Filmen immer ein Fußdouble zu Hause stehen hat. den Fernsehapparat, mit sei- gehabt?!» Und man sieht dann die Füße wirklich ner eigenen künstlerischen und ästhetischen Pra- und kann sich selbst über die Kamera ein Bild xis zu konfrontieren, so dass er es auf irgendeine machen, wie hässlich diese Füße sind. Weise bearbeiten kann und in der Hand hat. Das ist erst mal. der Ausgangspunkt. Jetzt passiert auf der Bühne allerdings etwas Bemerkenswertes, was.sich wirklich völlig davon 8 frontiert. Und dieses Phänomen wird natürlich uns an der Volksbühne offensichtlich, um Castorf geht in seinem Zynismus, den ich aber wirklich für einen sehr reflektierten Zynismus halte, so weit zu sagen: Mit Hilfe der Kamera kann ich die Schauspieler so zeigen, wie sie sich selbst . unterscheidet, dass man ein Transistorradio auf nicht sehen wollen. Das ist unser möglicherweise die Bühne stellt oder irgendwelche anderen infames Bedürfnis, die Möglichkeiten von Thea- Gegenstände, die man aus der Weit auf die Bühne ter mit Hilfe des Mannes mit der Kamera auf eine stellt. Das Interessante ist ja zunächst mal, dass Weise zu erweitern, dass die Schauspieler nicht sowohl der Fernsehapparat als auch die Kinolein- nur so gezeigt werden können, wie sie sich sehen wand per Definition für sich stehen. Wenn ich wollen, sondern auch, wie sie sich selbst nicht Fernsehen gucke, dann gilt das Wohnzimmer sehen wollen. Dadurch kommt natürlich eine Ehr- nicht, dann gilt nur dieses Display. Alles andere lichkeit oder ein dokumentarischer Charakter von wird ausgeblendet. Auch bei der Leinwand, in dem Menschenschicksalen in die Produktion rein, die Moment, wo das Licht ausgeht. ist das Kino weg, das herkömmliche Theater überwindet. Deshalb ist und ich versetze mich in das Kinobild. Wenn ich die Benutzung dieses Mediums Video im Theater die Leinwand oder den Fernseher aber auf die etwas völlig anderes als eine Illustration oder Bühne stelle, gibt es einen Statuswandel der Lein- Dokumentation durch Bilder, vielmehr kann man wand oder des Fernsehapparates, weil sie zum gleichzeitig das Illusionäre sehen, das das Theater Requisit werden. Sie sind plötzlich in einem Kon- herstellt und wie es durch den Blick des Mannes text. Die Leinwand steht in einem Kontext. da- mit der Kamera unmittelbar gebrochen wird. durch wird das Bühnenbild zur Installation. Das Wenn man diese beiden Positionen vergleicht und scheint mir ein wichtiger Vorgang zu sein, der von sich die Möglichkeiten anguckt. die da rauskom- den Kritikern kaum wahrgenommen wird, dass der men, kommt man zu dem Schluss, das das neu ist Status dieser Leinwand im Theater ein völlig ande- in der Geschichte. Man kann nämlich mit Hilfe rer wird, sie wird nämlich miteiner Umwelt kon- dieser Kombination der Au.sdrucksmittel Theater DRAMATURG 1/2004 '· und Videomedium etwas schaffen, was es weder in dem einen noch in dem anderen gibt. Es geht um das erstaunliche Phänomen in der Verwen- · dung eines in den letzten fünfzig Jahren erfun~ denen Requisits im Theater. Damit verändern sich Grundverabredungen des Theaters, von denen man dachte, sie bleiben 2500 Jahre die gleichen. Und alles Avantgardistische und alles Experimentelle im Theater dient nur dazu, diese Grundverabredungen letztlich zu bestätigen. Eine Grundverabredung des Theater ist. dass es Schauspiel ist, dass die Schauspieler auf eine Bühne erhoben sind, so dass die Leute sie sehen können. Und dass sie möglichst alles, was sie spielen, so machen, dass das Publikum sie am besten sehen kann. Die Aufgabe des Regisseurs besteht im Grunde genommen in nichts anderem als dafür zu sorgen, dass die Schauspieler sich nicht gegenseitig die Sicht nehmen. Und jetzt kommt Bühnenbildner Neumann - das fing an mit «Endstation Sehnsucht» - und baut ein vollkommen geschlossenes Badezimmer und sagt: Dann hört man die Schauspieler eben nur, die drin sind. Dazu sagt Castorf, dass er das nicht machen kann. Neumann meint, die Tür ist auf, man kann doch durch die Tür gucken. Castorf sagt nein, das widerspricht allen Grundverabredungen des Theaters. Bert Neumann wollte als Experiment mal probieren, die vierte Wand nicht zu beseitigen, sondern sie komplett zu schließen und zu gucken, was passiert Er hat immerhin noch extrem große Fenster eingebaut und dann auch Mikr.ophone. Castorf wollte fast alles im Badezimmer spielen lassen und dann kam der geniale Gedanke (vor Big Brother): Wir stellen die Kamera da rein. Und damit war es möglich, eine grundlegende Theaterverabredung darin wirklich zu verletzen und gleichzeitig mit Hilfe dieses anderen Mediums auf eine Weise wieder zu erfüllen, die einen besonderen Effekt hat. Und das scheint mir eine Schlüsselstelle zu sein, die völlig anders ist, als wenn irgendwelche japani- mäßigen Theatergruppen zum Beispiel die Zuschauer einsperren. Man kann das einmal machen, um die Regel zu zeigen: Zuschauer müssen die Möglichkeit ha- . ben, ein Theaterstück jederzeit zu verlassen. Und so kann man auch. einmal die Bühne zumauern, um die unausgesprochene Hintergrundannahme deutlich zu machen: Eine Bühne hat einfach in Richtung der Zuschauer offen zu sein, und sie hat sichtbar zu sein. Man kann auch mal wie bei Marthaler eine Szene im Dunkeln spielen lassen, aber es hat immer nur die Bedeutung: Eigentlich muss genug Licht da sein, damit die Zuschauer auch sehen. Und jetzt plötzlich mit InfrarotKameras· kann man das alles machen, und der Zuschauer muss nicht düpiert nach Hause gehen, sondern kann etwas besonders Interessantes genießen. Das ist, was eigentlich das Sensationelle ist, wenn wir hier über Schnittstelle Theater reden. Es ist da etwas reingekommen, was Dinge möglich macht, die früher nur als Witz oder als Experiment oder als Beweis, dass das nicht geht, im Theater möglich waren, und die jetzt als Erfolgsproduktionen möglich sind, jenseits eines experimentellen Status. Das kann man bei der Inszenierung von uForever Youngn sehen, wo wir die Kamera einfach auf eine Weise benutzen, dass man sich darum keine großen Gedanken macht. Die Hälfte des Stücks spielt live hinter der Bühne. Das ist natürlich ·auch als eine Art von Verschwendung zu sehen, das merken die Schauspieler und sagen: Warum können wir nicht, wenn wir hinter der. Bühne sind, Karten spielen gehen oder in die Kantine? Man kann dann doch einfach das Video von der letzten Vorstellung zeigen. Das sagen sie aber eigentlich nur als Witz, weil sie genau wissen, dass das nicht geht. Die Sache mit dem Video auf der Bühne ist keine Arbeitserleichterung, sondern mit Sicherheit eine extreme Arbeitserschwerung und eine größere Selbstpreisgabe der Schauspieler, als wenn diese Kameras nicht da wären. 1111 schen oder wild gewordenen oder schlingensief- DRAMATURG 1/2004 9 Was alles video-technisch möglich ist Von Jan Unders Jan Linders präsen. tierte am Freitagnachmittag be"i «Schnittstelle Theater)) die Videokünstler Chris Kondek, Ph Hip BuBmann und Jan Speckenbach. Sein nebenstehender Beitrag führt die Präsentation weiter durch einen Beispielkatalog. D ie Frage nach der Berechtigung von Video auf Time" und lnternet-«Echtzeit" für die Normalver- dem Theater hat die Praxis beantwortet; sein braucher kostbare Zehntelsekunden liegen. Vo- Einsatz ist längst nicht mehr bloßes Zeichen für raussetzung für den Zuschauer ist es, die Bildpro- · Avanciertheit, sondern bewusst eingesetztes Mit- duktion (live) und die nicht mehr ganz simultane tel. Seitdem dieTechnikjedem Theatermacher zur Bildwiedergabe parallel verfolgen zu können. Verfügung steht, hat sich ihre Verwendung aus- Dann kann sich ein Darsteller mit seiner jüngsten differenziert und ein ästhetisches Repertoire ent- Vergangenheit rückkoppeln oder die eigene Zu- wickelt, das dem Theater neue Möglichkeiten der kunft voraussagen. Philipp Bußmann arbeitet in Repräsentation und Narration eröffnet. Zu stu- «Decreation" (Regie: William Forsythe, Ballett. dieren ist mithin die Form desjeweiligen Einsat- Frankfurt 2003) mit der gleichen Technik, indem zes; eine unvollständige Anleitung dazu will die- er eine live aufgenommene Tanzbewegung im ser Text geben. Computer zwischenspeichert und mehr und mehr verlangsamt abspielt. ClOSED CIRCUIT ln Großbritannien ist die Video-Überwachung des öffentlichen Raumes bekanntlich INVISIBLE MODE Chris Kondek und Philipp Bußmann wissen flächendeckend. Die walisischen Theatermacher zu berichten, dass Elizabeth LeCompte, die Regis- Mike Brookes und Mike Pearson spielten darauf seurinder Wooster Group, seit «Brace Up!" (1991) an, als sie am Mittag und am Abend desselben Monitore auf der Bühne einsetzt, die nur für die Tages die behinderte Performerin Lyn durch·die Darsteller sichtbar sind. Die auf ihnen laufenden Straßen von Cardiff zum Chapter Arts Center tru- Filmausschnitte (meist B-Movies oder Fernseh- gen und die Route jeweils mit Video und Polara- serien) dienen als «Bewegungsmatrizen" (Buß- ids dokumentierten. Am Abend präsentierte Mike mann) oder choreographische Souffleusen: Nah- Pearson die Dokumente der Aktion dem Publikum ·aufnahmen bringen die Darsteller an dfe Rampe,. von «Carrying Lyn" (2001) im Arts Center in einer Schwenks nach links oder rechts, Totalen schicken Mischung aus «historischen" Tagesbildern und sie zurück. aktuellen Bildern vom Abend, die ein Kurier mit 15-minütiger Verzögerung aus der Stadt in den LUMINANCE KEY Saal brachte. Mit der Ankunft der Performer fie- Die Videotechnik kann Berge versetzen: Live len Dokumentation und Realität, Erzählzeit und aufgenommene Darsteller können in vorprodu- erzählte Zeit in eins. Die vortechnische, unmittel- zierte Hintergründe gestanzt werden. Chris Kon- bare Ursituation des Theaters war wiederherge- dek ermöglichte es den Schauspielern von «Bei stellt, die beobachtenden Zuschauer waren wieder Banküberfällen wird mit wahrer Liebe gehandelt» von den Akteuren Beobachtete. (Regie: Stefan Pucher, Schauspielhaus Zürich 2003), sich auf künstliche Sofas zu setzen. Phi- I DELAY lipp Bußmann kombiniert in ~>Hause ln seiner Börsenhandels-Performance «Dead (WoosterGroup 1999) Körperteile- durchWisch- Cat Bounce" (Hebbel am Ufer 2004) hat Chris Lights" blenden verbindet er die Übergänge. Kondek mit dem Delay-Effekt experimentiert. Ein Live-Bild wird ini Computer zwischengespeichert 10 MEMORY STICK und wenige, aber entscheidende Sekunden spä- Die italienische Societas Raffaello Sanzio ter wiedergegeben - so wie im elektronischen arbeitet seit 2002 an ihrer «Tragedia Endogonidia" Börsenhandel zwischen professioneller «Real und entwickelt sie an jedem ihrer zehnSpielorte DRAMATURG 1/2004 zwischen Avignon und Berlin (Hebbei-Theater) ler zum Schlussapplaus fallen sie wieder zusam- weiter. Im Anschluss an die etwa einstündige Auf- men. führung sieht das Publikum im gleichen Saal als Videoprojektion einen Zusammenschnitt der bis- OLD MOVIE herigen Versionen, die eine ver'!landte Handlung Naturgemäß erscheint jedes bewegte Bild mit anderen Mitteln erzählt haben. Erst durch die- dem Zuschauer im Kontext seiner Sehgewohnhei- sen (fakultativen) zweiten Teil des Abends wird ten als Fernsehen (wenn erkennbar live produ- das Gesamtprojekt als Reihe von Metamorphosen ziert) oder als Film (wenn vorproduziert). Mit erfahrbar. Die aktuelle Aufführung hat sich in Video ist nicht nur die Live-Produktion vo"n Bil- Geschichte verwandelt; auf das noch frische Erin- dern möglich geworden, sondern die Filmge- nerungsbild wird ihre Vorgeschichte projiziert. Die schichte steht als Bildersteinbruch zur Verfügung. Tiefendimension der Bühne hat sich in die Dimen- Analog zu Eisensteins «Montage der Attraktionen» sion der Zeit transformiert. kann der Videokünstler zum realen Bühnengeschehen dialektische Bilder montieren; das Thea- NIGHT SHOT terbild durch filmische Verweise vertiefen. Jan Eine Videokamera kann für den Zuschauer Speckenbach spielt in einer Gartenszene von ·unsichtbares sichtbar machen: nicht nur hinter «Forever Young» (Volksbühne Berlin 2003) einen vierten Wänden («Erniedrigte und Beleidigte» und Ausschnitt aus «Apocalypse Now» zu. Chris Kon- Folgende, Regie: Frank Castorf, Video: Jan Spe- dek nutzt sein Filmarchiv noch abstrakter, wenn er ckenbach; «Kammer Kammer», Video: Philipp BuB- in seinem Börsentheater «Dead Cat Bounce» ein mann). sondern auch an lichtlosen Orten. Video- immer weiter galoppierendes Pferd als Endlos- kameras können im Gegensatz zum menschlichen schleife zuspielt, während die Darsteller darauf Auge auch den Infrarotbereich wahrnehmen. ln warten, dass die Börsenkurse zu laufen beginnen, «Frau unter Einfluss» (Prater der Volksbühne, Reige: Rene Pollesch) lässt Chris Kondek die Kame- PLAYBACK ra unter das Kleid einer Darstellerin schlüpfen. Die Vorproduzierte Film- oder Videozuspielungen deutsch-britische Performance-Gruppe Gab Squad haben auf dem Theater häufig eine illusionistische hat auf die «night shot»-Funktion der Kameras Wirkung; ein Live-Video wird vom Publikum dage- ihre jüngste Produktion (Prater der Volksbühne gen als dokumentarisches Mittel akzeptiert - als 2003) aufgebaut. Eine Stunde, eine Kassettenlän- hinter die Kulissen erweiterte Perspektive. Mit die- ge vor Vorstellu"ngsbeginn verlassen vier Darstel- ser Perspektive kann die Videotechnik wiederum ler mit vier Kameras den Aufführungsort und filmen sich selbst bei ihrem Weg durch die nächt- spielen. · ln «Frau unter Einfluss» (Regie: Rene Pollesch, liche Stadt zurück zum Theater. Dort werden sie Prater der Volksbühne Berlin 2001) kombinierte von den vorher instruierten Zuschauern begrüßt, Chris Kondek Live-Bilder von Sophie Rois, die in die sich dann einen vierfach parallel projizierten, ein für die Zuschauer nicht einsehbares Blockhaus ungeschnittenen «Film» anschauen. Für dieses abgegangen war, mit vorproduzierten Bildern «performance polaroid» regelt ein Toningenieur eines um den Tisch gejagten Kindes bzw. von Spa- die Geräuschpegel - und damit die Aufmerksam- ghetti keit, bis die Zuschauer sich selbst bei der nun eine Zuschauer rannte Sophie Rois in Schnitt und Stunde zurückliegenden Begrüßung der Darsteller Gegenschnitt ihrem Kind hinterher bzw. tischte essenden Bühnenarbeitern. Für den sehen. Theaterzeit und Realzeit waren um eine ihren Männern ein Essen auf- alle schienen glei- Stunde verschoben; mit dem Auftritt der Darstel- chermaßen das Blockhaus zu bevölkern. DRAMATURG 1/2004 11 ln «M.T.M.» (1994) errichtete die katalani- einen solchen Sprung in der Entwicklung - und schen Performance-Truppe La Fura dels Baus eine damit der Ästhetik, denn die Videokünstler greifen Mauer aus Pappkisten quer durch das stehende neue Mittel gern sofort auf. Zur Ausstattung des Publikum. Die derart getrennten Zuschauergrup- MX50 gehörte der Stroboskop-Effekt, der den Ein- pen bekamen zum Schein eine Live-Übertragu·ng druck erweckt, eine Szene sei nicht mit 25 Bil- der jeweils anderen Hälfte zu sehen, auf der die dern pro Sekunde, sondern wie mit einer alten Darsteller einander durch die Menge jagten und Kamera mit 12 oder 6 Bildern aufgenommen. Nur verprügelten. Jede Hälfte fühlte sich durch die jedes vierte Bild wird projiziert, allerdings viermal Reaktionen jenseits der Mauer hintereinander. Dadurch werden Bewegungen bestätigt; derart rückgekoppelt steigerte sich die akustischen ruckartig verfremdet- das Video bekommt einen Illusion zur Evidenz - bis die Mauer fiel. Kunstcharakter jenseits der grellen und flachen Fernsehästhetik. Für die Wooster Group ist dieser SLOW MOTION <de näher man ein Wort anschaut, desto fer- Effekt ein Markenzeichen, bislang taucht er in . jeder ihrer Produktionen seit «The Hairy Ape» ner schaut es zurück»- der auratisierende Blick (Wooster Group, 1995) auf, ob betreut von Chris eines·Karl Kraus lässt sich im Zeitalter der Video- Kondek oder Philip Bußmann. Dieser entwickelte reproduktion von der Literatur auf die Dinge len- · den Effekt in seiner Arbeit für «Decreation» wei- ken. ln «Visitors Only» (Regie: Meg Stuart, Schau- ter, indem er ihn mit live gesteuerten und damit spielhaus Zürich 2003) lässt Chris Kondek eine variablen· Slow~Motion Effekten und Samplings Tasse in Zeit, Größe und Ton verzerrt au·f einer kombinierte. Unterlage kreisen. Hier ist für die Wahrnehmung unerheblich, ob diese Surreale Bildmetapher zugespielt oder tatsächlich vom Bildmischer vor dem Orchestergraben live produziert wird. SUPERIMPOSING Mit ((Luminance Key)) oder ((Biue Screen)) wird ein.Bild in ein anderes hineingestanzt Bilder lassen sich aber auch, analog einer fotografischen STEADYSHOT Doppelbelichtung, übereinanderlegen. Chris Kon- ln Frank Castorfs Inszenierungen sind Jan dek nutzt diese Technik in. seiner ersten Regie- Speckenbach und die weiteren Kameraleute mehr arbeit «Dead Cat Bounce» raffiniert aus, indem er als kostümierte Techniker, doch führen sie den zwei aus der gleichen Position aufgenommene· Dialog mit den Schauspielern nicht auf derselben Einstellungen von Schlitten fahre'nden Kindern Ebene, der Sprache, sondern mit der Kamera. Phi~ übereinanderblendet Der weiße Schneehinter- lipp BuBmann überlässt in «Kammer Kammer» grund lässt eine passgenaue Überblendung zu, die (Regie: William Forsythe, Ballett Frankfurt 2001) dem Zuschauer auch in der Zeitlupe nicht also sol- und «Decreation» den ForsytheCTänzern selbst die che auffällt. Seine Magie gewinnt der Trick, weil Kamera. Die Darsteller scheinen ihr Bild in der eine Bildschicht dabei rückwärts läuft, so dass Hand zu haben; die Bildproduktion wird in die auf- und absteigende Schlitten aneinander vor- szenische Aktion eingebunden. Damit kehren sich beigleiten. die Kräfteverhältnisse der Attraktion um: Weil seine Produktion sichtbar wird, nimmt-das ein- VIDEO PUPPET äugige Kamera-Bild keineobjektivierende und ln «Dead Cat Bounce» lässt Chris Kondek die den Blick fesselnde Zentralperspektive mehr ein. junge Lauren Bacall mitspielen, genauer: eine im «Die Kunst besteht darin, das Video nicht zum Computer in Einzelbilder zerlegte kurze Nahauf- alleinigen Fokus zu machen», sagt Chris Kondek. nahme. Eine Darstellerin kann ihren Text optisch synchronisieren, indem sie mittels einer Maus STROBE Bacalls Mund Bild für Bild öffnet und schließt, Noch befindet sich die Videotechnik in einer also zum Sprechen bringt. ln «Visitors Only» lässt stürmischen Entwicklung, mittlerweile weniger im Kondek eine vorher aufgenommene Tänzerin mit Bereich der Kameras als der Nachbearbeitung der sich selbst tanzen - auch hier genügen wenige, Bilder. Können sich zu Beginn eines Entwick- von Hand ansteuerbare Einzelbilder, um eine ein- lungsschrittes jeweils nur große Fernsehanstalten mal gefilmte Sequenz zum immer leicht verschie- einen Trick leisten, so wird die Technik bald auch den ablaufenden leben zu erwecken. 1111 für weniger finanzkräftige Anwender wie die Theater verfügbar, Der Bildmischer «WJMX50» von Panasonie ma~kierte Mitte der neunziger Jahre 12 DRAMATURG 112004 Warum und wie man Kinofilme aufs Theater bringt Aus der Diskussion Am 10. Januar nachmittags hieß das W gehen und die reine narrative Ebene aufzuheben. Wahl von Kinostoffen, und seien sie noch so Der Film «Das Fest» von Vinterberg geht sehr nah speziell, hat vielleicht was damit zu tun, dass sie an die Leute ran, im Nachhinein lässt sich sagen, wie man Kinofilme von der Narration befreien. Was da an Fabel pas- dass der Reiz für die Bühnenadaption darin liegt . siert, das ist fast schon voraussetzbar. Es reicht ein zu probieren, schafft das Theater das, weil es aufs Theater bringt». An der von Dagmar Bild, ein Moment, eine Figur, und es gibt Anknüp- näher dran ist, noch näher ran zu kommen? Man fungen, das heißt, es gibt mehr Freiheit für die kann behaupten, dass es das geschafft hat auf . as macht die Lust an Kinostoffen aus? Die Gestaltung, weil man befreit ist von der Narration. Grund dieser notverstärkenden und wahrheitsvergrößernden Wirkung, die das Theater in bestimm- Es ist wohl nicht der simple Zulauf, den man ten Momenten haben kann, in denen nämlich sich davon erhofft, dass die Leute den Film gese- andere Entscheidungssituationen simuliert wer- h.en haben und jetzt ins Theater kommen. Viel- den. Im Film bleibt die Geschichte der erzählte mehr gibt es Diskurse, diegeführt werden, nicht Störfall - der Sohn überwältigt den Vater -, und umsonst haben sich ein paar Leute in Dänemark, im Theater wird es zur empfundenen Entschei- sonst nicht unbedingt das Filmland, zusammen- dungssituation eines jeden Einzelnen. Thema: «Warum und Borrmann und AnneSylvie 'König geleiteten Diskussion waren unter anderem beteiligt: Heike Müller-MEirten,Dramaturgin der Dresdner Produktion von «Das Fest» nach dem ·Dogma-Film von Vinterberg, Hermann Wündrich, Dramaturg der Wiesbadener Inszenierung nach dem Film «Fessle mich» von Almodovar, Christian gesetzt und 1995 ein Dogma verabschiedet. Sie Holtzhauer, Dramaturg haben sich mit Abbildungstechniken und Wahr- Dieser beschriebene Mehrwert der Bühnen- nehmungsweisen beschäftigt, und sie haben sich adaption ist theatergemäß, dieses Zuspitzen und von <<Außer Atem», der Präsentation von gleich mit Fragen beschäftigt, wie ·man sozusagen näher Dramatisieren einer Filmvorgabe. Es stellt sich die sechs rankommt an die Leute mit dem, was man ·Frage, ob diese Reibung mit den Wahrnehmungs- erzählen möchte. Und das ist ein zentrales Thema, weisen des Films beim Übertragungsvorgang auf ·mit dem man sich im Theater immer wieder das Theater erhalten bleibt, ob sie überhaupt noch beschäftigen muss, um den Preis des Überlebens. eine Rolle spielt oder ob sie durch den Adaptions- Wie erzählt man, wie kommt man näher ran, vorgang nivelliert wird. Im Bezug auf den Almo- außerhalb der gängigen Techniken? Da geht es dovar-Film kann man die Haltung einnehmen, dass nicht um eine vordergründige Eventkultur, son- die Bühnenversion quasi ein Kammerspiel gewor- dern um die Frage: Wie kann man die Not ver- den ist, also eine sehr theateradäquate Form. Man stärken und die Wahrheit vergrößern? Da werden könnte sagen, es ist von der blanken Dramaturgie Diskurse geführt, und so sehr die Dogma-Leute in her wie ein Stück von lbsen. Das Stück rekurriert den einschlägigen Feuilletons in Frage gestellt auf Theaterdramaturgien. Dann stellt sich natür- wurden, hat man sich ja doch mit ihnen ausein- lich die Frage: Bleibt bei diesem Übertragungsvor- andergesetzt, zumindest die Leute, die sich mit gang etwas von dieser produktiven. Reibung mit ästhetischen Perspektiven und Abbildungstechni- der anderen Gattung, mit einer anderen Wahr- ken vertraut machen. Wie verlässt man die gän- nehmung erhalten? Wie kann das gehen, dass es gigen Übertragungsmechanismen, also wie kann nicht nur «eintheatert» wird und man eigentlich man die alten Keilriemen, die offenbar nicht mehr nur den blanken Plot genommen hat? Inszenierungen nach Kinostoffen in den Berliner sophien~ saelen. Im Folgenden geben wir charakteristische Bruchstücke cjieser Debatte. imstande sind zu transportieren, kappen, und welche kann man installieren? Da ist man wie immer Die junge Generation der Theatermacher ist . gezwungen, irgendwie aus dem System rauszu- nicht mehr durch das Theater sozialisiert, sondern DRAMATURG 1/2004 .13 durch Kino und Fernsehen. Das, was sie an emo- Das Theater bietet allein aus Subventions- tionalen und intellektuellen Prägungen aus dem gründen für Sound- und Videodesigner MÖglich- Kino mitgenommen haben, versuchen sie ins keiten, Ideen aus Kino und Fernsehen umzuset- Theater zu übersetzen. Das gibt dann ganz unter- zen -für das Geld kann man aber noch keinen schiedliche Formen: Es entsieht ein verstaubtes Film machen. Kammerspiel, oder es werden Auseinandersetzun. gen mit einer sich mit Wahrnehmungsfragen Es gibt auch eine Sehnsucht nach der Popu- beschäftigenden Filmästhetik geführt. Es scheint, larität der Wirkungsmechanismen, beziehungs- dass der Film die klassische dramatische Situation, weise einen Neid auf die Verzauberung, mit der die Repräsentation des Publikums, also das Thea- Menschen aus dem Kino kommen. ter, beerbt hat. Was der Film geschafft hat, von Die wenigen Filme, die aufs Theater kommen, der dramatischen Konstellation her, was ja ein haben alle eine gute Grundgeschichte. Natürlich klassisches Bild von der Katharsis ist, dem versucht findet man das zum Teil auch bei Gegenwarts- das Theater wieder auf die Spur zu kommen. autoren, aber vielleicht doch nicht oft genug. Die Entwicklung der Dramatik zur Episierung, Auch Theaterautoren beziehen sich heute zur Fragmentarisierung, wie sie auf dem Theater häufig- direkt oder indirekt- aufs Fernsehen, auf stattgefunden hat, hat sich im Film nicht vollzo- den authentischen Trash. Theater ist eine unreine gen. Dem stand Hollywood immer entgegen, die Kunst und holt das Material daher, wo es will. Es haben immer geguckt, dass die klassischen Para. digmen der Dramatik bewahrt werden. Insofern ist nicht verständlich, warum das Zugreifen auf Filmstoffe unter Bezug auf Prinzipien grundsätz- · kann man sagen, das Theater holt sich im Moment lieh kritisiert wird. Da besteht eine Berührungs- die Dramatik aus dem Film zurück. angst, der Bezug auf Film wird als Stagnation und Selbstaufgabe. bewertet. Film ist Material wie Es scheint zwei unterschiedliche Herange- anderes, jedes muss· gesondert behandelt werden, hensweisen im Umgang mit Film zu geben. Einer- fordert seine eigene Erzählweise, eine eigene seits werden Stoffe, Themen, Geschichten genom- Ästhetik, aber um viel mehr handelt es .sich dabei men und dann versucht, eine Theater-Adaption zu nicht. finden, indem man Themen reduziert oder sich auf ein Grundmotiv konzentriert, oder versucht. einen Eine gute Umsetzung von Filmstoffen im Diskurs mit zu thematisieren, aber sich doch auf Theater ist immer auch eine Auseinandersetzung die Geschichte konzentriert und sie zuspitzt. Auf mit Mythen. Das zeigt sich auch an der Bühnen- der anderen Seite, wie in den sophiensaelen, wird adaption von «Das Fest», da findet eine Umwand- deutlich gesagt, die Filme funktionieren als eine lung statt, die Zuschauer werden Rollenträger. Art Folie, die setzen wir auch voraus, und rekur- Ansonsten wäre es ein normales Familiendrama, rieren auf diese Folie ohne den Anspruch einer nach der Enthüllungsdramaturgie gestrickt, dann . Komplettheit. hätte man auch lbsen nehmen können. Etwas anderes entsteht, weil der Zuschauer Entschei- Die Konfrontation mit Film führt das Thea- dungsträger wird, da liegt der Fortschritt bezie- ter auch zu einer ständigen Auseinandersetzung hungsweise die Chance. Im Theater kann es den mit ästhetischen Mitteln, zum Beispiel in der Störfall geben, den wir auch hatten, es gab Ein- Frage, wie bringt man Action-Szenen auf die griffe in die Aufführung. Die geplante Interakti- Bühne? Interessant ist auch zu beobachten, dass on ist nicht angestrebt worden, aber wenn jemand diese Befruchtung wechselseitig passiert, nämlich einsteigen wollte, waren die Schauspieler auch dass Film und Fernsehen im Moment versuchen, vorbereitet, damit umzugehen. Der Handlungs- Theatermittel einzubauen, zum Beispiel bei dem notstand war so groß, dass es zu Zuschauerreak- Film «Dogville» von Lars von Trier. Beim ZDF wird tionen geführt hat. jetzt versucht, Live-Fiction zu machen, also Filme, die in Live-Zeit spielen. Die Auseinandersetzung mit der Ästhetik von Auf die Frage danach, warum Theater auf Film führt auch zur Rückbesinnung auf die urei- Film rekurriert, kann man auch sagen: warum genen Möglichkeiten von Theater und wird so zur nicht? man muss sich davon befreien, dass Thea- Bereicherung. l!!i ter mit einem Stück zu tun haben muss. 14 DRAMATURG 1/2004 Das Drama des Sehens live-Video auf der Bühne oder die Politik des Blicks Von Thomas Oberender m Theater fasziniert u. a. der Versuch seiner A diesem Punkt drängen sich Erinnerungen an Thea- ln der SchlussdiskusSion , verschiedenen Akteure, ein Ereignis zu produ- terinszenierungen auf, d. h. an die simultane Prä- zum Thema «Schnitt* zieren, das es durch sein Produzieren selbst senz des Schauspielers als Person und ihr Bild auf zugleich zu vernichten droht. Oft scheinen Dra- der Bühne. Es drängt sich aber auch die Erinne- men oder Aufführungen darauf hinauszulaufen, rung an intelligente Bomben auf, an Paul Virilios nur einen einzigen, sehr speziellen Moment zu Interesse an der Echt-Zeit-Technologie des mo" ermöglichen, in dem sich tatsächlich etwas «ereig- dernen . Krieges, die grau-grün schimmernden netn. Dieser Moment erscheint als jenes einma- Videobilder .vom Anflug der sich selbst steuernden lige Gelingen, in dem all das Geprobte und Ver- Waffen auf ihre Ziele,:denn auchhier kommt die- abredete am Spiel plötzlich umschlägt in ein ser Aspekt der Videotechnologie zu sich - Aktion Moment von offenbarender Evidenz. Die eigent- und Reaktion fallen zusammen, und dem Phäno- liche Ambition jeder Kunst zielt wahrscheinlich men des ((Ereignissesn kommt man hier somit sehr auf eben diese Herstellung von etwas auf kalku-. nahe. lierbare Weise nicht Herstellbarem. Ich würde Das Video erlaubt es also als Technologie, diese spezielle Ambition als die Suche nach dem dass wir uns ein Bild von unserer eigenen Aktua- provozierten «Ereignis» bezeichnen. Die Möglich- lität machen, wobei das Bild selbst zum Teil die- keit, von ihm zu sprechen, umgibt, wie Jacques ser Aktualität wird. Das Videobild wird so zu einer Derrida sagt, allerdings immer auch eine gewisse in die Realität eingebetteten Rückkopplung ihrer Unmöglichkeit, denn die Einzigartigkeit des Ereig- selbst. Dies verdeutlicht z. B. die Erinnerung an nisses widersetzt sich der Wiederholbarkeit, die jenen Moment, da man sich selbst zum ersten Mal doch die Voraussetzung ist, um darüber zu spre- in der Geschäftsauslage eines Hifi-Ladens auf chen. einem Fernsehschirm entdeckte, aufgenommen stelle Theaten> am 11. Januar vormittags gab es gleich zwei Referate. Hier das erste von Themas Oberender, Autor und Chefdramaturg des Bochumer Schauspiel~ hauses. von einer verborgenen Kamera. Der Passant auf der Straße, das war man selbst; und diese Ent- Ich sehe mich sehen deckung bewirkt in der Regel eine Reaktion, selbst wenn sie nur der kurze, kritische Blick auf den Der «Große Brockhaus» vermerkt unter dem Bildschirm ist, der einem zeigt, wie man wirkt, Stichwort «Video»: abgeleitet lateinisch «ich sehe». unabhängig davon, wie man sich selbst fühlt. Die- Interessanterweise verweist der Begriff Video als ses triviale Beispiel führt dicht an die lateinische Sammelbezeichnung für die Aufzeichnung und Herleitung des Begriffes Video heran, denn jenes Wiedergabe von Bildern ausgerechnet auf ein Ver- «ich sehe» heißt zugespitzt: «Ich sehe mich» oder fahren, auf dessen Trägermaterial man- vielleicht noch genauer formuliert: <<Ich sehe mich·sehen»c erstmals in der Geschichte des Bildermachens nichts sieht. Das Video, um mit einem Vergleich zu sprechen, ist eine Art optisches Tonband, und sein großer Vorzug ist, dass ich sofort sehe, was «ich Der transitorische Charakter des Videos sehe». Die prompte Verfügbarkeil des Bildes erlaubt, dass es sich an den Augenblick seiner Ent- Es lassen sich,-wenn man über das Video und stehung erstmals dicht und direkt ankoppelt und sein Erscheinen auf dem Theater nachdenkt, zwei sich ihm sogar einschmiegen kann. grundsätzliche Einsatzformen auf der Bühne un- Mit dem Video kann das Bild erstmals Teil des terscheiden: die Einspielung und die Live-Produk- Augenblicks werden, in dem es entsteht, denn es tion. Die Einspielung zeigt das Video von seiner ist sein Live-Zeuge und, mehr noch, in Echtzeit dem Film verwandten Seite, nämlich als Einspie- sogar sein Reagenz, sein Bestandteil. Schon an lung von vorproduzierten Filmen. Das Video in DRAMATURG 1/2004 15 diesem Sinne ist der arme Verwandte des klassischen Films, den es als Videokopie oder Mitschnitt anderer Aufnahmen reproduziert. Im Grunde erle. benwir das Video hier in einer Verwendungsform, die z. B. schon Erwin Piscalor mit dem traditio.nellen Medium des Films realisiert hat. Das Video aufdem Theater erscheint in der Regel vor allem als Video-Kopie. Einen Unterschied zur Verwendung von Filmen, abgesehen vom Kostenaspekt und der Verfügbarkeit, gibt es bei diesen Einspielungen nicht. _Interessanterweise wird im Original professionell auf Video ugefilmt», was billig und schnell produziert werden muss- z. B. Musikvideos, Soaps und Pornos. Diese Produktionen haben einen extrem transitorischen Charakter, ihre Vergänglichkeit ist ihnen eingeschrieben, sie werden gemacht, um ersetzt zu werden. Videoproduktionen in diesem eigentlichen Sinne schufen einen ästhetischen Bereich, in dem sich Kunst und Nichtkunst, Können und Dilettantismus, Fake und Authentizität, Spontaneität und Marktkalkül, Experiment und Ambitionslosigkeit frei begegnen. Was wäre Pop ohne Popvideos. Ohne Video kein . Trash, keine uLindenstraße» und kein - im wertschätzendsten Sinne: Rene Pollesch. ln dieser Hins_icht hat die transitorische und demokratische Kultur des Videos auf der Bühne enorme Spuren hinterlassen. Will man das Video dergestalt zum kulturellen Leitmedium erheben, so drängt sich der zweite Aspekt auf: die Live-Produktion von Videobildern auf der Bühne. Sie soll im Folgenden näher betrachtet werden, und ich werde versuchen, zwei Typologien des Live-Einsatzes von Videobildern zu beschreiben. beschrieb es Bernhard Groß in seiner bemerkenswerten Rezension der Aufführung, usitzen, in gelblich warmes Licht getaucht, der junge Eben und sein Stiefbruder Peter an der Seite des Holzhausesc Peter schwärmt vom goldenen Himmel im Westen, während auf der Leinwand weiter Acker und Wolkenhimmel zu sehen sind. Er will weg nach Kalifornien, anstatt sich weiter von seinem alten Vater ausbeuten zu lassen. ln der Gleichzeitigkeit von Leinwandhimmel, warmem Bühnenlicht und Peters <goldenem Himmel> konkurrieren Bühne und Film um das richtige Bild.» Über dem Giebel des Holzhauses war zudem eine zweite Leinwand wie eine moderne Werbe-. fläche befestigt. Auf ihr zeigte Fred Kelemen als Live-Übertragung oder Einspielung vorprodu-. zierter Sequenzen die Vorgänge, die sich im fnneren des Hauses abspielten. Diese Übertragung war von zweifacher Natur: Der rohe, provisorische, an Privatvideos erinnernde Charakter, der die Inszenierung dieses ukleinen Fernsehspiels» im Inneren des Hauses kennzeichnete, verstärkte den Einbruch in die intime Weit der ·Figuren .durch die Veröffentlichung ihrer Rückzugsräume. Aber der Regisseur geht einen Schritt weiter: Nachdem Abbi, gespielt von Kali Angerer, ihre Intrige begonnen hat, die darauf beruht, dass Vater und Sohn sie begehren, verschwindet sie als ureale» Bühnenperson und erscheint fortan nur mehr als die begehrenswerte Frau auf der Leinwand. So verlagerte sich die Spannung zwischen den Figuren nun auf das Spannungsverhältnis zwischen Leinwandgeschehen und dem Geschehen auf der Bühne. Das Drama des Sehens Mehrfachpräsenz Die Live-Produktion von Bildern fasziniert auf der Bühne unter anderem deshalb, weil die Echtzeit des gefilmten Geschehens via Leinwand eine zweite, rivalisi.erende Szene auf der Szene eröffnet. Die erste Inszenierung, in der ich den Einsatz von Video in diesem Sinne erlebt habe, war Fred Kelemens Aufführung uDesire» nach Eugen O'Neills uG'ier unter Ulmen» im Prater der Berliner Volksbühne 2001. Bert Neumann hatte als Einheitsbühnenbild für die gesamte Spielzeit ein Westernfilmset geschaffen -ein Farmerhaus stand inmitten einer Kakteenwüste, im Hintergrund prangte eine große Leinwand, auf der klassische Kinobilder der Landschaft und Umgebung eingespielt wurden. uAuf der Bühne», so 16 Das Video als ein Observations- und Dokumentationsmedium, das uns vom Bankautomaten bis zum Flughafen immer auf der Spur ist,. zeigt sich hier von seiner anderen Seite: als verführerisches, unser Begehren bann·endes und erweckendes Medium. Die Projektionen, die O'Neills Figuren von sich auf andere schließen lässt, überträgt Fred Kelemen in ihre Selbstbespiegelung durch Filmbilder. Dieses Drama des Narzismus' hat im Video sein ideales Medium gefunden: uDas eigene Ebenbild als Filmbild vor Augen», um noch einmal Bernhard Groß zu zitieren, ukann Eben Abbie ein Kind machen, das offiziell Ephraims ist, und sie töten, nachdem sie das Kind getötet hat. Als Abbie schließlich live, in einer ihre Züge verzerrenden Großaufnahme von der Leinwand herunter zu DRAMATURG 1/2004 Ephraim auf der Bühne spricht, der klein und arm- Da das Video kulturell einerseits für objekti- selig das übermenschlich große Bild seines Begeh- vierende, flächendeckende Observanz. steht und· rens ansieht, entsteht für den Zuschauer schlag- . andererseits unser Begehren ins Bild setzt, siehe artig die unheimliche Beklemmung, die die eige- MTV, siehe Pornografie, siehe aber auch Sam Tay- nen, befremdlichen Wunschbilder auslösen kön- lor Wood, eignet sich das Video in besonderem nen.» Kelemens Dramaturgie schuf durch die Maße für die Suche nach dem «Wirklichen», denn Mehrfachpräsenz des Bühnengeschehens, in dem seine ccEchtzeit)J und ((Profanität)) erlauben es ihm, sich das Spiel auf der Bühne mit Einspielungen zum Bestandteil des Ereignisses zu werden, das es und Live-Übertragu.ngen mischte, eine Schwellen- abbildet. Es dringt in Räume ein, in denen es sich situation zwischen nah und fern, Anwesenheit selbst wiederum vergessen macht. Durch sein Vor- und Abwesenheit, Direktheit und lndirektheit, handensein wird das Geschehen aber auf eine narzistischer Selbstbetrachtung und observieren- . simultane Weise objektiv und subjektiv zugleich. der Fremdbeobachtung. So entwickelte das Ge- ln diesem Zwischenraum offenbart sich in Frank schehen auf der Bühne einen Freiheits- und Ver- Castorfs Inszenierung von «Erniedrigte und Belei- dichtungsgrad, der in solcher Form neu und den- digte» der «Mensch». Aber nicht nur in dieser Ins- noch genuin theatralisch wirkte. zenierung: Die Modellfaii-Wirklichkeit der klei- Das Video, so zeigte auch Frank Castorfs Ins- nen TV-Gesellschaften, die sich in den «Big Bro- zenierung von Dostojewskis «Erniedrigte und ther»- oder «Superstan>-Labors der öffentlichen Beleidigte», erze'ugt Bilder in Echtzeit und spaltet Beobachtung aussetzen, zeichnet sich durch ein die Echtzeit in zwei simultane, in sich jedoch kom- sehr ähnliches Schwanken ihres inneren Zustands plette Zustände, die miteinander rivalisieren und aus, denn sie zeigen Menschen, die uns ihr sozia- sich im Falle dieser Aufführung nicht «ergänzen», les Überleben selbst- und beobachterbewusst sondern kontrastieren. Die Reaktion der Leinwand zugleich vorspielen. Sie leben unter den Bedin- auf das Bühnengeschehen macht bewusst, dass gungen der Show, als wären die Zuschauer nicht das Sehen des Zuschauers einer Entscheidung vorhanden, und die Zuschauer sehen sie leben, als gleichkommt, die seine spezielle «Wahrheit» oder sei ihr Leben nur eine Show. Vor der Videokame- · «Wirklichkeit» erst produziert. Wie die Bühnenbil-· ra ist das Verhalten der Probanden im gleichen der von Bert Neumann, der das Geschehen in Augenblick sowohl öffentlich wie auch intim, geschlossene Räume verlegt, von wo es nur durch bestimmt von Kalkül und Authentizität, vom Geld die Video-Übertragung sichtbar gemacht werden regiert und von der Seele getrieben, immerbeides, kann und der das Puqlikum in eine Situation ver- immer unauflösbar das Jetzt des Erlebnisses und· setzt, in der es grundsätzlich nur ausschnittshaft Antizipation von Wirkung zugleich. Zugleich erblickt, was da passiert, genauso verweisen auch ·erzeugen die TV-Labors «Offenheit» für spontane die Live-Bilder des Videos darauf, dass das Sehen Momente durch ihr Verfahren des räumlichen ein aktiver und in gewissem Sinne «welterzeugen- «Einschlusses» - ein Verfahren, das an Bert Neu- den> Vorgang ist. Die Bühnenbilder von Bert Neu- manns Bühnenbilder erinnert. Wenn in diesen TV- mann und ihre simultane Konkurrenzbühne des . Labors aus der Dauerspannung zwischen Konkur- Live-Bildes erinnern den Sehenden an sein eigenes renz und Gemeinschaftsbedürfnis, Ichgefühl und Sehen und dramatisieren somit das Sehen selbst. Wirkungsinteresse immer wieder übersprungsartig Dieses Drama des Sehens, das die Aufführung Einblicke in die Weiten und Abgründe der Kandi- prägt, korrespondiert dabei inhaltlich mit der als daten aufblitzen, sind das letztlich exakt jene existenzielles Drama erlebten Weltanschauung Momente, um die es bei dieser medialen Dauerü- von Dostojewskis Figuren. Das «ich sehe» des Vi- berwachung geht. Denn getestet werden nicht deos bedeutet potenziell also ein «ich sehe mich einzelne, ablösbare Eigenschaften wie Kenntnisse sehen», und diese explizite Dramatisierung der oder Sportlichkeit, sondern der Mensch selbst, als Wahrnehmungsvorgänge auf das totale Ressource. Dem entspricht der durch das implizite Drama des Stoffes- die Akteure stehen Video «durchsichtig» gemachte Schauspieler i.n der Weltnicht mehr souverän gegenüber, sondern den jüngsten Inszenierungen von Frank Castorf, erleben ihr Schuldigwerden durch ihr pures ln- wobei die Realität dieser Aufführungen der Effekt antwortet der-Welt-Sein. Das Live-Video veranschaulicht unterschiedlichster Ambivalenzfelder ist: Gespielt diese Doppelnatur des Seins. Diese Problematisie- wird mit der authentischen Unschuld einer Lai- rung der Wahrnehmung und szenischen Präsenz endarstellerin in einer professionellen Inszenie- verleiht dem Video per se eine theatralische rung ihrer Wirkung genauso wie mit der Interfe- Dimension. renz von sinnlichen (Pornofilm auf der Werbe- DRAMATURG 1/2004 17 fläche) und intellektuellen Reizen (Monolog an absorbiert und auf einer höheren Ebene synthe- der Rampe). Das Liv~-Video ist hier nur ein tisiert. So durchwandert in der Inszenierung von Moment der insgesamt auf die Erzeugung von Christian Krachts «1979n ein Darsteller die Villa simultanen Antagonismen angelegten Inszenie- eines Millionärs, indem sein' eigenes Bild mit einer rung. anderen Aufnahme überblendet wird, die dadurch entsteht, dass einer seiner Mitspieler vor den Augen des Publikums eine Architekturzeitung Raumerfindungen durchblättert, deren Fotografien von einem Kameramann aufgenommen und als Projektion zum Bert Neumann hat Bühnenbilder entwickelt, die ohne den Einsatz von Live-Video-Übertragun- · architektonischen Raum der Wanderung auf der Leinwand werden. gen nicht denkbar wären. Etwas hochtrabend for-· Matthias Hartmanns Uraufführung von muliert, ließe sich in diesem Zusammenhang auch «Eiectronic Cityn führt dieses Prinzip weiter, indem von einer «Raumrevolutionn der Bühne durch den sie das Geschehen in eine Blue Box verlegt und Einsatz des Live-Videos sprechen. Die forcierte auf mehreren Leinwänden die live erzeugten Auf- Intimität des Bühnenlebens jener Bungalow- oder nahmen der Schauspieler mit live produzierten Neustadtbewohner entsteht durch unsere Beob- Illusionen realistischer Räume mischt, bzw. mit achtung ihrer Beobachtung ·via Kamera. Dabei Einspieltingen und Computersimulationen unter- bedingen die Raumerfindungen für Inszenierun- legt. in der Blue-Box der Szenerie erlebt das gen wie «Erniedrigte und Beleidigten oder «Der Publikum z. B., wie aus einer Frau, die auf einem ldiotn zwar den Einsatz des Live-Videos, doch die Stuhl sitzt und bis in Hüfthöhe von einem blauen Bilder erzeugen diese Räume nicht, sie verschaf- Schild verdeckt ist, auf der Leinwand plötzlich fen uns lediglich einen Einblick in sie. Die Vide- eine Kassiererin hinter einem Serviceschalter wird, obilder werden nicht bearbeitet und verfügen über die ein Pulk wartender Kunden herfallt. über keine zusätzlichen Bildeffekte. Das Video deren Gesichter von einem wandernden Kamera- zeigt hier, was ich nicht sehen kann, und etabliert mann auf der Hinterbühne gefilmt werden, . eine unversöhnte Wirklichkeit neben der Wirk- während sie als Schauspieler, brav in einer Reihe lichkeit, deren simultane Wirkung aus ihrem alter- sitzend, zu sehen sind: So wird die Leinwand zur nativen und in sich autonomen Charakter besteht. integrierenden Szene, die das Geschehen auf der Es dissoziiert das Geschehen. Bühne und die Simulation von Bildern vereinigt, Ganz anders bei Matthias Hartmann - hier wobei die Realität dieser Synthese mit dem Live- erscheint das Video als integratives Mittel, das alle Geschehen ihrer Herstellung vor der Kamera in der Elemente auf ein Wirkungsmoment hin bündelt. Wahrnehmung des Zuschauers rivalisiert. Einen Matthias Hartmann schafft in diesem Sinne hoch- zusätzlichen Bruch erzeugt die Verwendung von komplexe lntegrationskunstwerke, deren Wirkung zwei Leinwänden, die diese Synthese wiederum durch einen «geläuterten lllusionismusn besticht. aus unterschiedlichen Perspektiven zeigt- z. B. Romantisch sind dio;se Aufführungen im Sinne indem sie das Bild des Sehenden und das von ihm von Friedrich Schlegel, da sie die Herstellung ihrer Gesehene in simultanen Bildern separiert. Das von Suggestionen vollkommen offen legen und selbst- dem Videoteam um Stephan Komitsch und Peer bewusst auf die Künstlichkeil ihrer Realität ver- Engelbracht erzeugte Live-Video-Bild erscheint in weisen. in Matthias Hartmanns Uraufführungen diesem Zusammenhang als eine virtuelle Form der von Albert Ostermeiers «Es ist Zeit. Abrissn und Ausstattung und als Hyperszene. Der neutrale «Deutschland, deine Liedern, in seiner lnzenierung Raum aus blauen Leinwänden definiert sich selbst von Christian Krachts Roman «1979n und Falk als Nullraum ohne eigene erzählerische Dimensi- Richters Stück «Eiectronic Cityn (alle am Bochumer on, der tatsächlich in einem ganz neuen Sinne Schauspielhaus) erschei.nt das Live-Video in Kom- «bespieltn wird. bination mit filmischen Einspielungen und Projektionen daher .im Wesentlichen als ein raumschaffendes Medium, das eine Bühnensituation Dissoziation oder offene Synthese erzeugt, die im herkömmlichen Sinne nicht her- 18 stellbar wäre und auch keine eigene Existenz Die hier betrachtete Form des Einsatzes von besitzen würde. Die Leinwand wird zur dominie- Videobildern schafft also eine «Verspielten Realität, renden Szene, die das gesamte, ihr vom Schau- die zeigt, wie künstlich sie erzeugt wurde, zeit- spieler und Kameramann zugespielte· Material gleich aber anbietet, als «Offenen Illusion erlebt zu DRAMATURG 1/2004 werden. Auch hier episiert der Einsatz von Live- - vielmehr riegelt der Einsatz des Live-Videos die Videos das dramatische Geschehen, aber in einer Welt der Aufführung von den spontanen Erfah- ganz anderen Weise als in den Inszenierungen von rungen der Aufführenden vollkommen ab, um den Fred Kelemen oder Frank Castorf. Um es paradox Blick des Zuschauers für das Nebeneinander ihrer zu formulieren: Matthias Hartmanns Inszenierun- Elemente zu öffnen. Dabei demonstriert das Pro- gen wie «1979» und uEiectronic City» entwickeln zessieren der Inszenierung nahezu vollkommene gerade durch den Einsatz einer so episierenden Transparenz - alles ist sichtbar und einsehbar Technologie wie der des Live-Videos eine eiserne gemacht. Der Bühnenbildner Volker Hintermeier Hermetik, da die erzählerische Dimension des hat für Aufführungen wie «Es ist Zeit. Abriss», Videos konkurrenzlos wird: Weder der Raum noch «Deutschland deine Lieder» oder «1979» Installa- das Spiel der Schauspieler haben eine «Realität» tionslandschaften gebaut, die alle Komponenten neben jener, die erst durch das Video entsteht. Das des Bühnenbildes als Objekte offen ausstellen und simultane Geschehen problematisiert sich nicht eben dadurch auf die Leinwand als Membran und gegenseitig, sondern ereignet sich grundsätzlich integrative Szene auf der Szene hinweisen. So zei- im Hinblick auf die avisierte Synthese als Gesamt- gen die Bühnenbilder in diesen Produktionen wirkung. Dabei wird die Hermetik der Aufführung keine sozialen, sondern mediale Räume ohne vier- nahezu unsichtbar durch die vollkommene Offenlegung ihres Zustandekommens: Der Techniker am te Wand: ln einem gewissen Sinne bleiben sie uleer)) und entstehen, indem sie mit Images ((be- Videoschnittplatz sitzt hinter seinen Pulten mitten spielt» werden. im Publikum, der Kameramann und seine Assistenten arbeiten mit der Handkamera auf offener Szene, und die Darsteller spielen offensichtlich Gelebter Kubismus und Vivisektion gleichzeitig mit sich und der Kamera. Die gesteigerte Kontrollatmosphäre, die Das umgekehrte Prinzip charakterisiert die durch den Einsatz von Video-Technik entsteht: Räume von Bert Neumann - hier schließen die scheint die Freiheitsgrade im Spiel der Darsteller Bühnenbilder die vierte Wand und erzeugen einen dabei deutlich zu reduzieren; wobei sich die Frei- Raum, der sich dem Blick nicht offen und trans- heitsgrade der Wahrnehmung insgesamt erhöhen. parent darbietet, sondern sich ihm zunächst ver- Das Video schafft in den Inszenierungen von Mat- schließt. Was das Bühnenbild herzeigt, muss der thias Hartmann jene Zentralperspektive, an der Zuschauer sich erarbeiten - im Verfolgen des das Schauspiel insgesamt ausgerichtet wird: Das Geschehens auf der Bühne macht er eine Erfah- Bild und der zeitgleiche Prozess seiner Herstellung rung mit Distanzen, mit der grundsätzlichen Aus- ist von vornherein Fluchtpunkt der Inszenierung. schnitthaftigkeit des Gezeigten und seiner prin- Innerhalb dieses Gefüges agiert der Schauspieler zipiellen Unzugänglichkeit. Die Bühnenbilder von funktional, weil er sich in die angestrebte Gesamt- Bert Neumann erzeugen eine eigene Form von · wirkung einpasst und die kalkulierten Abläufe Realität, da sie auf einer <<Störung» des souverä- befördert, ohne dass die Videoperspektive sein nen Blicks beruhen, z. B. durch eine Aufsplittung Erscheinen im kontrastierenden Sinne problema- der Perspektive in unterschiedliche Betrachtungs- tisiert. Im Gegenteil: Aus der Perspektive des Vi- winkel, die keine Verabsolutierung des Gesehenen deos ist seine Darstellung·nur eine andere Form mehr erlaubt: Der Videokünstler Jan Speckenbach, von Einspielung. Das Gesamtgefüge der komple- der in vielen der jüngeren Aufführungen von xen und vielschichtigen Konstruktion funktio- Frank Castorf mitarbeitete, nannte dieses vom niert, da die Spannungen und Risse innerhalb die- Live-Einsatz des Videos mitgeprägte Verfahren ser Abläufe, die sein eigenes Tun und die Wieder- «gelebter Kubismus» - ich übersetze dies mit der begegnung mit seinem Bild auslöst, von den Entfaltung eines mehrdimensionalen Geschehens Schauspielern nicht thematisiert werden, sondern in der Fläche und Simultanität des Bildes. Die in die offene Synthese aller Komponenten mün- Bühne zeigt in diesem Falle unterschiedliche det. Ansichten durch unterschiedliche Arten zu sehen Wie in. den Inszenierungen von Frank Castorf - der Endeffekt ist immer nur ein Patchwork von thematisiert Matthias Hartmann in seinen Auf- Ausschnitten, nicht mehr generalisierbar, ohne führungen das Sehen: Der Endeffekt des Bildes Totalität. Aus den perspektivischen Verwerfungen, zeigt immer eine andere Wirklichkeit als die sze- aus den Teilansichten und ihren Bruchstellen ent- nischen Details seiner Komponenten. Bei Matthias steht vielmehr eine offene Gesamtsituation, die Hartmann irritiert sich das Geschehen nicht selbst keine Versöhnung zwischen ihren einzelnen Eie.- DRAMATURG 1/2004 19 menten erlaubt. «Gelebter Kubismus» heißt in diescheint genau diese forcierte Politik des Blicks auf sem .Falle die Simultancollage unterschiedlicher uns selbst zum Ziel zu haben - hier wird sprichBetrachtungsweisen und das hart gefUgte Neben-. wörtlich mit anderem Einsatz gespielt, die Form einander der so entstandenen Ansichten. Jan schützt den Schauspieler zwar, aber unter den Speckenbachs Videoübertragung stellt daher die Bungalow- und Neustadtbedingungen wird alles . diskongruenten Aspekte unvermittelt nebeneizur Form, und somit wirkt das Spiel der Darsteller nander und spaltet den Augenblick in seine dyna.in «Erniedrigte und Beleidigte» existenziell wie selten im Theater. mischen Komponenten auf. Eine so hermetisch arbeitende Inszenierung wie Matthias Hartmanns Uraufführung von «Eiectronic City» bleibt gerade wegen ihres großen Selbstirritation und andere Aufwandes an episierenden Mitteln auf eine Wahrnehmungsverhältnisse größtmögliche Reibungslosigkeit angewiesen, denn alle Störungen bedrohen die Illusion dieser Der Begriff der «Störung» oder der Selbstromantischen, da auf ihr eigenes Zustandekomirritation markiert also einen wichtigen Aspekt, . men souverän hinweisenden lnszenierungsform. wenn man von der episierenden Wirkung des LiveStörungen innerhalb der videogenerierten SituaVideos, z. B. seiner Offenlegung des Gemachten, der Schaffung einer zweiten Szene auf der Szene tionserzeugung sind sehr unromantische Patzer. So wirken die Figuren in den offenen Räumen von und dem Oszillieren der Wahrnehmung, zu einer Matthias Hartmanns Inszenierungen viel «eingeweiterführenden Differenzierung gelangen will. schlossener» als in den geschlossenen Räumen von Während der geläuterte Illusionismus einer Aufführung wie «1979» in der Blue Box dank des Frank Castorf. ln einer Inszenierung wie «Erniedrigte und Beleidigte» wirken Störungen nicht zerVideos eine gesteigerte Suggestivität des Geschestörerisch, sondern offenbarend, denn das handhens entwickelt, die sich der integrativen Wirkung lungssimultane Video zeigt in dieser Aufführung des Live-Videos verdankt, dissoziiert das Livedie «andere Seite» ~es holt ins Bild, was, so Frank Video das Bühnengeschehen im Falle von Frank Castorf, die Schauspieler von oder an sich selbst Castprfs Aufführungen und verstärkt speziell.die . nicht sehen wollen. Der Schauspieler wird hier heterogenen Motive der Handlung, indem es durch die Livecam einer zweiten Prüfung durchs deren selbstirritierenden Momente vergrößert. Videoauge unterworfen: Lügt er oder lügt er nicht? Die Videokamera verlängert so den Zugriff des «Systems» bis in die letzten Winkel und Die Spaltung des Blicks Nischen des Bühnenlebens und kreiert eine experimentelle Situation, in der.die SchwankungsbreiAbschließend sei auf einige Aspekte verte des Realen die Darsteller zu Probanden einer · wiesen, die beiden Typologien gemeinsam sind. zugespitzten, gesellschaftlichen Situation macht: Erstens: Der Einsatz des Live-Videos markiert die Privatheil und Professionalität, Freiheit und wahrscheinlich konsequenteste Ausformung des Zwang, Lüge und Aufrichtigkeit, all diese Aspekte Phänomens «Regietheater», denn hier wird der amalgamieren sich unauflösbar in einer Realität, Regisseur vollkommen zum Autor eines in seiner die kein «Objektives» Außerhalb mehr kennt, das Komplexität nicht mehr anders notier- und denkihm ein Maß stiften könnte. Der durchsichtig baren. Geschehens. Zweitens: Zugleich, und dies ' gemachte Schauspieler Frank Castorfs, dem bei wirkt womöglich paradox, verdanken.sich diese Matthia~ Hartmann die durchsichtig gemachte Entwicklungen auch einer neuen Raum- oder Bühne gegenübersteht, wirkt dabei, wie dort die besser Realitätskonzeption des Bühnenbilds. Mir Bühne, ungeschützter denn je - vorm Zoom der scheint. dass für Aufführungen dieser Art- die Objektive auf der doppelten Live-Bühne erscheint Wooster Group hat dies seit den frühen achtziger der Schauspieler bei Frank Castorf in einer We1se Jahren demonstriert -, keine traditionellen Bühpreisgegeben, die .dem traditionellen. Sprechtheanenbilder entstehen, sonderngenerative Rauminter unerreichbar blieb. Jede noch von daher stallationen. Der Bühnenraum bildet nicht ab und bekannte Schauspielerschinderei, jedes manisch baut nichts nach, sondern schafft eine eigene Realität, die hochgradig und aktiv beobachterbec eindressierte Chorstück und jede Nacktprügelei auf den Brettern der Bühne wirkt im Vergleich zur wusst ist. Drittens: Das Live-Video scheint eine Vivisektion durch das Live~Video geradezu philanDramatisierung epischer Stoffe zu ermöglichen, die sie sich nicht mehr personalisieren lassen. Die tropisch, zahm und literarisch. Aber Frank Castorf 20 DRAMATURG 1/2004 Romanadaptionen Frank Castorfs und Matthias Hartmanns erschienen, würde man sie um die Komponente des Videos berauben, merkwürdig Der doppelte Blick, der durch die Leinwandübertragung i.mmer entsteht, scheint auf eine hÖchst unterkomplex, denn der dramatische Reiz dieser raffinierte Weise zu ermöglichen, dass der Darsteller in seinem unmittelbaren Spiel relativ unge- Aufführungen beruht zu weiten Teilen nicht auf der Spannung zwischen Figuren, sondern zwi- brochen wirkt und wirken muss, da seine Identität als Figur durch ihre Erscheinung im Live-Bild un- schen Figur und Leinwand. ln diesem vom LiveVideo neu erschlossenen Kräftefeld ist der Schauspieler ganz offensichtlich nicht nur Subjekt, s.ondern auch Objekt, und somit werden auf der Bühne plötzlich andere, abstrakter wirkende Kräfte des Sozialen darstellbar, für die der Roman mit seiner epischen Darstellungsweise und seiner Freiheit, zwischen den Zeiten, Orten und Perspektiven frei wa.lten zu können, prädestiniert ist. Das Live-Video erzeugt ein Klima des vagabundierenden Blicks und der szenischen Mehrfachpräsenz, in der ein Schauspieler sich in anderen Wahrneh- . mungsverhältnissen bewegt - das romanhafte Erzählen einer solchen Inszenierungsform ist also folgerichtig mit der Adaption großer Romanstoffe verbunden. Und viertens: Nach den Strategien der lronisierung des Verhältnisses vom Schauspieler zur Figur, z. B. dem bekannten «aus der Rolle Fallen» und der intertextuellen Perforierung des Textes, scheint der Einsatz des Live-Videos diese Distanzierung auf eine andere Ebene zu verlagern. ausweichlich einen Bruch in ihrer Gesamtwirkung erfährt. Das Spid mit der gebrochenen Identität der Figur verlagert sich also tendenziell vom Schauspieler auf den Zuschauer und seine Wahrnehmung des verdoppelten Geschehens. So wirdauf einer höheren Ebene- vielleicht wieder ein «identisches» Verhältnis vom Schauspieler zur Rolle möglich, wobei diesem Vorgang natürlich jede Naivität fehlt. Die Splittung des Blicks, die Rückkopplungen zwischen der simultanen Erscheinung der Phänomene, die Verlagerung oder Potenzierung eines Konflikts in das Spannungsfeld zwischen Figur und ihrem Bild auf der Leinwand - all dies lässt das Video als relativ neue und erweiternde Raumform der Szene erscheinen. Der Live-Einsatz des Videos bietet potenziell die Möglichkeit, die Inszenierung in ein forciertes (detztn zu überführen, in dessen hochintegrierter Gleichzeitigkeit sich Freiheitsgrade eröffnen, von denen sich sonst kein Bild machen ließe. !illl Medien müssen auch Spaß machen und das Theater bleibt der Souverän ·Von Jens Roselt L ars von Triers neuer Film «Dogville» hat nicht wenige Interpreten dazu verleitet, Vergleiche zwischen dem Film und den ästhetischen Praktiken des Theaters zu ziehen. Man sprach plötzlich wieder von Brechts epischem Theater oder erkannte in der besonderen Raumanordnung des Sets eine Bühnensituation. Trotzdem konnte man im Feuilleton keine entnervten Filmkritiker vernehmen, die von einer Anbiederung des Films an Ähnlich selbstbewusstist die Theaterkritik im umgekehrten Fall nicht immer gewesen. Als Anfang der neunziger Jahre Videoprojektion und Fernsehmonitore den enge·n Zirkel der Performance-Kunst verließ·en und auf den Bühnen deutscher Stadttheater auftauchten, konnte dies Zuschauer wie Kritiker noch entsetzen. Merkwür- Schlussdiskussion über «Schnittstelle Theater» lieferte am Sonntag. vormittag der Theater- wissenschaftler und Autor Jens Roselt. dig: Menschen, die wahrscheinlich jeden Tag zu das Theater sprachen und damit die Selbstaufga- Hause sitzen und mehrere Stunden Fernsehen gucken, reagieren, wenn sie die Mattscheibe be und das Ende des Kinos prophezeiten. durch das Proszenium des Theaters gerahmt DRAMATURG 1/2004 Den zweiten vorfor· mulierten Beitrag zur 21 sehen, als würden sie das Haupt der Medusa onsanspruch des bürgerlichen Theater war die erblicken. Aber diese Zeit von Schreck und Irrita- konkrete Körperlichkeit des Schauspielers gerade zuwider. . Die Behauptung, Theater wurden sich heute neuen Medien an den Hals werfen, gar mit ihnen wetteifern, um deren Erfolg zu kopieren und die eigene blutarme Einfallslosigkeit zu kaschieren, trifft nicht zu, denn die Tendenz zur medialen Mischung oder Hybridisierung ist gar kein. Phänomen, das ausschließlich das Theater trifft. Es handelt sich vielmehr um einen Trend, der in allen zeitgenössischen Künsten zu beobachten ist. So kann man derzeit in der Bildenden Kunst eine massive Art der Theatralisierung beobachten, etwa bei" der Gestaltung von Ausstellungen. Betrachter werden zu Zuschauern in inszenierten Räumen. in Installationen und Performanceswird mit Darstellern und Live-Situationen gearbeitet. Bildende Kunst wird nicht mehr hur aufgehängt und ausgestellt, sondern inszeniert und aufgeführt. Also zapfen auch andere Künste schamlos das Theater an, um den eigenen Blutdruck hoch zu halten. Ein Aspekt wird in der Diskussion häufig unterschlagen: Medien sind nicht nur visuelle Phänomene, sondern auch akustische. Dies .gilt zunächst für die Verwendung von Musik, ohne die es im Theater inzwischen gar nicht mehr geht. Die . mitunter unangenehme Gemeinsamkeit von Supermärkten, Staatstheatern und billigen Restaurants besteht darin, dass man nahezu unablässig mit Musik umspült wird, als seien emotionale Vorgänge vor allem Sache des Gehörs. Auch die Verwendung von Mikrophonen und Verstärkern ist in das Repertoire aufgenommen. Interessant sind jene Momente, in denen Bildspur und Tonspur getrennte Wege gehen. Wenn die Stimme des Schauspielers unabhängig von seinem Körper gehört werden kann, wird damit eine Wahrnehmung des Zuschauers möglich gemacht, die dessen alltäglichen Erfahrungen widerspricht Angesichts dieser Entwicklung muss man nicht zwangsläufig von einer Verabschiedung des Schauspielers und der Schauspielkunst aus dem Theater sprechen. Denn der Einsatz von Videoprojektionen, Live-Aufnahmen und der medialen Bearbeitung und Vervielfältigung von Stimmen und Sprache stellt die Frage nach dem Schauspieler und insbesondere der Materialität seines Körpers neu. Die Schnittstellen zwischen theatraler Präsenz und den Repräsentationspraktiken neuer Medien markieren damit das heikle Terrain des zeitgenössischen Theaters. Dies gilt um so mehr, tion ist vorbei. So manche Videoprojektion wird inzwischen gelangweilt zur Kenntnis genommen, gilt als bloßer Effekt oder sinnlose Zutat. Auf die Faustregel ein Fernseher auf der Bühne = experimentelles Theater, zehn Fernseher = besonders experimentelles Theater fällt selbst das Abonnement nicht mehr herein. Die Verwendung anderer, neuer Medien im Theater ist also ein probates Mittel geworden. Dennoch ist dieser Einsatz nicht selbstverständlich, d. h. er fordert Begründungen und Erklärungen heraus. Bezeichnenderweise wird gerade dann, wenn unterschiedliche Medien miteinander verbunden oder konfrontiert werden, die Frage nach den spezifischen Eigenarten des einzelnen Mediums besonders virulent. Über dem Fernseher auf der Bühne schwebt gewissermaßen auch die Frage: Was ist Theater? Was macht es einzigartig, und worin besteht der Unterschied zu anderen Medien technischer ReRroduktion? Ad hoc haben Theaterenthusiasten eine Reihe von Begriffen parat, die für das Theater in die Waagschale geworfen werden können: Echtheit, Körperlichkeit, Unmittelbarkeit. Authentizität, Wahrhaftigkeit oder Präsenz. Diese Merkmale und die Exklusivrechte, die Theaterleute lapidar dafür beanspruchen, werden durch den Einsatz anderer, neuer Medien im Theater jedoch auf die Probe gestellt. Was affiziert denn den Blick der Zuschauer mehr: ein Körper auf der Bühne oder ein Körper im Monitor auf der Bühne oder beides? Was ist Original und wasist Kopie, wenn die Blicke der Zuschauer hin- und herzappen müssen? Was bedeutet Unmittelbarkeit, wenn man angesichts einer Schauspielerin auf der Bühne und der Nahaufnahme ihres Gesichts als Live-Projektion viel häufiger auf die mediale Repräsentation statt auf die präsente Person blickt? Es tut dem Theater gut, sich durch die Begegnung der medialen Art verunsichern zu lassen. Und dabei kann es durchaus fraglich sein, ob Theater überhaupt etwas zeitlos Eigenes hat. was gegen das zeitgeistig Fremde neuer Medien geschützt werden müsste. Dass man heute beispielsweise häufig von Präsenz spricht, wenn man die Arbeit vonSchauspielern beschreibt, ist nicht dem zeitlosen Wesen des Theaters geschuldet, sondern selbst schon Ausdruck einer medialen Verschiebung. in den Schauspieltempeln des 19. Jahrhunderts, die sich das Wahre, Schöne und Gute über die Tür. gemeißelt haben, hätte man mit Präsenz nicht viel anfangen können. Dem Repräsentati- 22 DRAMATURG 112004 als sich der mediale Umbruch in den vergange- damit auch ein Beitrag für eine Kultur des nen zehn Jahren radikalisiert hat. Die Potenzie- Zuschauens, die sich nicht als bloßer Bildkonsum rung des Programmangebots des Fernsehens, die verstehen lassen will. Verbreitung von Computern und die allgegenwär- Im Theater von Medialität zu sprechen, be- tige Verwendung von Videotechnik strukturieren deutet zu fragen, wie das Verhältnis von Zuschau- Wahrnehmungsformen in einer Art und Weise ern und Akteuren gestaltet ist. welche Konven- neu, von der das Theater nicht unberührt bleibt. tionen dabei bedient, in Frage gestellt oder er- Dieser Einfluss macht sich nicht nur dann geltend, weitert werden. Medialität ereignet sich gewis- wenn tatsächlich ein Medium wie das Fernsehen sermaßen im Grenzgebiet von Bühne und Publi- auf der Bühne verwendet wird, sondern er sickert kum. Medialität wäre also die Art und Weise, wie auch tiefer in die Dramaturgie ein. Erinnert sei an durch die räumliche Disposition Wahrnehmungs- die Freude am Geschichtenerzählen, die noch in ordnungen geschaffen werden. Man sollte des- den frühen neunziger Jahren für avanciertes halb davon ausgehen, dass Theater nicht dadurch Theater tabuisiert wurde, das erneute Erproben zu einem medialen Raum wird, dass man die von Schnitt und Montage als theatrale Verfahren Bühne mit Bildschirmen spickt oder mit Video- und vor allem die Beschäftigung mit Zeitstruktu- projektionen zu kleistert, sondern indem im Thea- ren: die Übertragung serieller Formate auf das ter explizit dieses Grenzland der Wahrnehmung Theater (Theater-Soaps) und die ostentative verhandelt und die Nahtstelle von Bühne und Thematisierung von Zeiterfahrung, die beispiels- Publikum immer neuen Zerreißproben ausgesetzt weise mit Marthalers"Warteorgien eine Gegenpo- wird. Insofern ist die Theatergeschichte auch eine sition zur Reizflut neuer Medien setzt. Mediengeschichte, noch bevor die Kamera erfun- Will man diese Entwicklung auf den kleins- ' den wurde. Der Chor der antiken Tragödie kann ten gemeinsamen Nenner bringen, könnte man ebenso als mediales Phänomen gelten wie die sagen, dass durch diese Verfahren Wahrnehmung Narrenfigur im Mittelalter, Diderots Vierte Wand im Theater selbst zum Thema wird. Die Wahrneh- · oder die allgegenwärtigen Rampensäue auf den mung der Zuschauer dient hier nicht nur der Opernbühnen. Und in diesem Zusammenhang möglichst unkomplizierten lnformationsaufnah- spielen auch neue Medien technischer Reproduk- me, sondern spielt sich selbst in den Vordergrund. tion ihre Rolle. Demnach wäre es falsch, «bösen Die Mediennutzung im Alltag muss besonders rei- mediale Simulation und «guten theatrale Echtheit bungslos geschehen. Medien sind gerade dann gegeneinander auszuspielen. Auch im Theater hat effizient wenn sie selbst nicht in Erscheinung tre- das Zuschauen und Zuhören seine Unschuld ten, sondern in dem Verschwinden, was sie ver- längst verloren, denn auch hier gibt es keine mitteln. Je problemloser, selbstverständlicher und unvermittelte pure Wahrnehmung, auch hier wer- unauffälliger sie ihre eigene Rolle dabei spielen, den Wahrnehmungsordnungen und Konventionen desto produktiver sind sie. Es darf gewissermaßen mitunter subtil aufgezwungen. keine Reibungsverluste geben. Im Theater ist das Schließlich ist es nicht immer angebracht, . häufig anders, hierwerden die Medien nach vorne angesichts neuer Medien auf der Bühne in die geschubst, ihre Verfahren werden ausgestellt und Habacht-Stellungtrivialer Medienkritik zu gehen vorgeführt. So wird die Selbstverständlichkeit und von Simulation und Fälschung zu sprechen. medialer Vermittlung im Alltag auf der Bühne auf Medien dürfen nämlich auch Spaß machen. Die den Kopf gestellt. Inszenierungen mit neuen Arbeit mit neuen Medien im Theater ist nicht sel- Medien suchen häufig die Reibungsverluste, die ten eine Spielerei. Und Spielen ist im Theater keine Verzerrungen und Verzögerungen, die Lücken im Untugend. Zu sehen, was passiert, wenn man Film, die Risse der Darstellung, den Abbruch der Medien auseinander nimmt und schief wieder Übertragung. Die Einblendung: <<Störung. Wir bit- zusammensetzt, oder sich an coolen Effekten zu ten um etwas Geduldn ist der Supergau des Fern- berauschen, ist ein ausgesprochen kreatives Verg- sehens, sie treibt die Quote binnen Sekunden in nügen. Und es ist ein souveräner Hinweis darauf, den Keller. Im Theater kann diese Störung oder dass man neue Medien nicht immer so ernst neh- Unterbrechung ein ästhetisches Prinzip sein. Die men muss, wie diese selbst gern genommen wer- Hybris von Zuschauern, die den Anspruch erhe- den möchten: ln diesem Sinne ist das Theater der ben, alles zu durchschauen, und die sich mit der Souverän. 1!!1 Fernbedienung in der Hand zur allseits umworbenen Zielgruppe zählen dürfen, wird so empfindlich getroffen. Der Einsatz neuer Medien ist DRAMATURG 1/2004 23 Ein PS im. Medienzeitalter Mediale Mittel, Masken und Metaphern im Theater des Rene Pollesen Von Birgit lengers Als Weiterführung der Schlussdiskussion des Symposiums «Schnittstelle Theatern publizieren wir hier einen Essay der Theaterwissenschaftlerin Birgit Lengers (Leiterin eben jener Schlussdiskussion) über die Arbeit des Regisseurs Rene Pollesch. Geschrieben wurde der Artikel für den Band «Gegenwartstheater» (Arbeitstitel) der Reihe <<Text & Kritik» (Hg. Heinz Ludwig Arnold), der voraussichtlich im Septem_ber ersche-int. «Kino, das ist das Zeitalter der Maschine. Theater, das ist das Zeitalter des Pferdes. Sie · werden sich niemals verstehen, was übrigens wünschenswert ist, denn die Mischung ist bedauerlich." (Fernand Leger, 7931) F ür den Theaterpuristen des Medienzeitalters mag es bedauerlich sein,· reinrassig ist der Theatergaul kaum noch zu haben. Aber er ist robust und überlebt im Blick durch die Handkamera, zwischen Filmprojektionen und Live-Video, in adaptierten Filmstoffen und -zitaten, zerstückelt in szenischen Bildmontagen, beschleunigt in Clip-Rhythmus und Zapping-Ästhetik, präsentiert im medial geprägten Spielgestus. Hysterische Unterg-angsvisionen sind unangebracht. Meist werden sie von denen in Anschlag gebracht, die sich als Retter in Position bringen. Laudenbach, Peter (2002): «Sexualität und Wahrheit, Teil 3n. ln: Tip 4/02 3 Alle kursiv gedruckten Passagen sind Zitate v:on Rene Pollesch aus Interviews und· Gesprächen zwischen 2001 und 2004. Bei den Zitaten aus seinen Texten ist der Stücktitel in der Fußnote angegeben, wenn er sich nicht aus dem Kontext erschließt 4 Wirth, Andrzej (2003): «Rene Po~lesch. Generationsagitproptheater für Stadtindianer)). ln: «Werkstück. Regisseure im Porträt.}} Arbeits- . buch 2003. Hrsg. von Anja Dürrschmidt und Barbara Engelhardt, Berlin: Theater der . Zeit, S. 126-131. s Ulrkh Seidler in der Berliner Zeitung vom 16.1.2004 2 14 wollen. Der Konter der Berliner Sophiensaele auf den «Theater muss sein!n-Siogan des Deutschen Bühnenvereins - «Theater muss nicht sein. Sex auch nicht!»- beschreibt treffend die Voraussetzungen, unter denen heute Theater gemacht wird. Wer sich mit dermedialen Grenzüberschreitung des Theaters beschäftigt, muss nicht Untergangsgespenster vertreiben, sondern nach seiner Funktion und Wirkung fragen, muss nicht Existenzrettung, sondern Phänomenologie betreiben. Das Theater von Rene Pollesch ist ein geeigneter Gegenstand für ein solches Unternehmen. VORSPANN - Theaterverweigerung Kraft zur Erneuerung entsteht aus radikaler Negation der Konvention. Pollesch will kein Theater machen oder genauer: Er will «Theater ohne Theater>•' machen. Das heißt, Theater ohne die aristotelischen Grundkonstituenten wie dialogisch gebildete Figuren, Narration einer Fabel, Mimesis im Sinne der tradierten Darstellungsziele nachgeahmter Weiten und Wahrscheinlichkeiten. Als Autor will er keine Theatertexte schreiben: Ich denke, ich schreibe keine Stücke.' Und die poste dramatischen Sprechpartituren, die er schreibt,. stehen unter Nachspiel-Verbot. Als Regisseur verlangt er von seinen Darstellern bloß kein Theater zu spielen. Und eigentlich ist er auch gar kein Regisseur: Ich inszeniere nicht, die Schauspieler organisieren ihren Text selber. Zielgruppe dieses AnticTh.eaters sind natürlich diejenigen, die eigentlich ins Kino gehen, weil sie vom Theater gelangweilt sind. Heraus .kommt ein recht eigenwilliges theatrales Format: «Generationsagitproptheaterfür Stadtindianen( Polleschs Theater will sich den Spielregeln der Theaterweit verweigern. Wie reagiert die Theaterweit auf Verweigerung? Pollesch wird Hausautor erst in Luzern, dann in Hamburg; wird beim Rowohlt Theater Verlag verlegt, wird mit dem Mülheimer Dramatikerpreis ausgezeichnet, wird künstlerischer Leiter der Volksbühnenspiel- . stätte Prater, wird mit seiner Trilogie «Wohnfront 2001-2002» zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Und seine jüngste Inszenierung «Telefavelasn (2004) wird unter der Überschrift «Wiedergutealte Theaterwertarbeit Es handelt wieder auf der Diskursbühnen in der Kritik gefeiert. .Der verlorene Sohn, der «Theaterkategorieabschaffen> und «Medienkurzschließern' wird willkommen geheißen im guten alten Theaterschoß. Interessant ist .nicht der Verweigerungsgestus, sondern die Frage, mit welchen Mitteln sich die Verweigerung äußert und was in der Rezeption mit diesen Mitteln geschieht. Wie die künstlerische Eingemeindung der grenzüberschreitenden Gegenbewegung Theatergeschichte schrieb, zeigt der Blick zurück ins «Zeitalter der Maschine». Auch die historische Avantgarde hat, trotzgegenteiliger Proklamation, nie wirklich den Weg zum Abdecker eingeschlagen. Schon in den anti-naturalistischen und anti-illusionistischen Bewegungen der 10er und 20er Jahre liefen alle Bemühungen auf Weiterzüchtung hinaus, auf Extension der Bühne mit DRAMATURG 112004 medialen Mitteln. Es ging letztlich um Retheatra- ziert und so eine epische Kommentar- zur Spie- lisierung. Vor dem Hintergrund des Dagewesenen lebene eingeführt. Diese wurde in Erwin Piscalors 6 Filippo Tommaso Marinetti, zitiert nach: Apollonio, Umberto kann im Anschluss das Neue der gegenwärtigen politisch-agitatorisches Theater übernommen und (1 972): «Der Futurismus. medialen Kreuzungen exemplarisch bei Rene Pol- wirkungsästhetisch perfektioniert. Piscalor schrieb lesch dargestellt werden. die «durchschlagende Wirkung» der Filmsequen- Manifeste und Dokumente einer künstle- Seit Beginn der Moderne geht es in der Kunst zen weniger der Authentizität und ihrem doku- um die Frage, inwieweit Kunst nicht mehr Kunst mentarischen Gehalt zu, vielmehr dem interdiszi- sein will. Die Kunst stellte sich etwa in den Dienst plinären Synergieeffekt: «Das Überraschungsmo- der Revolution und sprach: Ich will Klassenkampf ment, das sich aus dem Wechsel von Film .und sein, ich will Maschine sein. Oder sie stellte sich Spielszene ergab; war sehr wirkungsvoll. Aber in den Dienst des neuen Alltags: Ich will super sein noch stärker war die dramatische Spannung, die wie die Reklame, ich will befreit sein wie das Film und Spielszene voneinander bezogen. Wech- Leben. Heute will sie den Anschluss an den tech- selwirkend steigerten sie sich, und so wurde in nologischen Fortschritt nicht verlieren, rüstet sich gewissen Abständen ein Furioso der Aktion medial auf und. gibt sich Multi-Media-High-Tech .. erreicht, wie ich es im Theater nur selten erlebt hatt~.>>.12 Zu Beginn des letzten Jahrhunderts galt es die <<längst erschöpfte Psychologie des Menschen» durch die <<lyrische Besessenheit der Ma~erie»' zu Von der Montage zur Transfusion ersetzen. So zielten die Slogans der futuristischen und konstruktivistischen Manifeste auf die Ver- Der beschriebene Effekt entspricht der Wir- bannung des menschlichen Akteurs von der Thea- kungsästhetik der Montagetechnik, die nicht auf terbühne: «Durch die Maschine und in der Mac die Summe der Einzelelemente zielt, sondern auf schine vollzieht sich heute das menschliche deren katalysierende Wechselwirkung. Ein Kentaur Drama!»' «Echte Gast-Darsteller eines unbekann- war geboren, zusammengesetzt aus zwei Teilen, ten Theaters» sollen die lebenden Schauspieler die jedoch als solche erkennbar blieben. Was aber ersetzen 8 ! heute geschieht, lässt sich nicht länger als kon- «Das Kino ist die heutige Etappe des Thea- ventionelle Kreuzung ·beschreiben, der Hybrid ist ters!»', proklamierte 1926- ganz im Elan des Fort- erschaffen. Brecht schrieb 1931: «Der Filmsehen- schrittsenthusiasmusder Zeit- Sergej Eisenstein. de liest Erzählungen anders. Ab.er auch der Erzäh- Die Forderung, die ästhetische Produktion auf den lungen schreibt ist seinerseits ein Filmsehender»". Stand der technischen zu bringen, forderte in Die Prognose ließe sich ins Heute übersetzen: Der letzter Konsequenz die Liquidierung des Theaters Medienrezipient sieht Theater anders. Aber auch als Darstellungskunst zugunsten des Films. Schon der Theatermacher/-autor ist seinerseits Medien- bei der «Montage der Attraktionen»" (Eisenstein) rezipient. Die Mediatisierung der Theaterproduk- erwies sich der Theatergaul als störrisch; es fanden tion ist nicht mehr rückgängig zu machen. Im zwar Verfahrensweisen wie Parallelmontage, Nah- 21. Jahrhundert sind wir uns bewusst, dass Me- aufnahme und dynamischer Szenenwechsel Ein- dien nicht Weit vermitteln. Sie sind subkutaner gang in die Theaterinszenierung, doch als prä- Bestandteil unserer Weit: «Die Bilder der Massen- destiniertes Medium erwies sich der Film mit sei- medien kann man nicht mehr betrachten [...] sie nen Mitteln der Bildgestaltung (Cadrage), den rücken uns auf den Leib, schließen sich mit der Einstellungen und Schnitten. Hier entwickelte Netzhaut kurz.>>" Was ·bedeutet dieser mediale Eisenstein seine Montagetheorie weiter, wurde «Take Oven> der Sinne für den Theatermacher?Tim heimisch und blickte nicht zurück. Auch Wsewo- Etchells, Autor der Live-Art-Gruppe Forced Ent- lod E. Meyerhold, der in seiner vorrevolutionären ertainment, drückt es so aus: <<I guess TV was real- Phase den Film noch strikt als <<illustrierte Zei- ly in our blood- and.like any blood you have to tung» und unkünstlerisches Reproduktionsmedi- live with it, spill it, transfuse it, clean it, test it. You um ablehnte- «Nichts hat der Kinematograph auf don't have much choice about your blood, but it dem Gebiet der Kunst zu suchen» - spricht sich always needs dealing with it. A theatre that won"t in den 20er Jahren für eine «Kinofizierung»" des do this isn"t worth having»". Die Theatermacher· Theaters aus: Gemeint war neben der technischen · leben mit Medien, gehen mit ihnen um, und sie Aufrüstung des Theaters die Einführung einer fil- halteh Einzug ins· Theater. Die Befragung der mischen Episodendramaturgie mit kurzen Szenen Gegenwart läuft im postdramatischen Theater in rascher Abfolge. Erstmalig wurden auch Zwi- über die Befragung der theatralen Form. Aber wie schentitel und Parolen auf eine Leinwand proji- inszeniert, überformt das Theater mediale Kon- DRAMATURG 112004 rischen Revolution 1909-1918. Köln, 5. 81. · Prampolini, Enrico; Pannaggi, lvo; Paladini, 1 Vinicio: «Die mechani- sche Kunst», S. 110112. ln: Schr:nidt-BerQmann, Hansgeorg (1993}: «Futurismus. · Geschichte, Ästhetik, Dokumente». Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, s. 111. 8 Leger, Fernand (o. J.): <<Mensch. Maschine. Malerei. Aufsätze und . Schriften zur Kunst.» Bern, 5.151 ff. 9 "Eisenstein, Sergej M. (1926): «Zwei Schädel Alexanders des Großem) 0. 0. 10 Eisenstein, Sergej. M. (1974): Schriften · 1. Streik. Hrsg. von Hans-Joachim Schlegel, München: Carl Hanser Verlag, S. 216-221. " Vgl. Brauneck, Manfred (1982): «Theater im 20. Jahrhundert. Programmschriften, Stilperioden, Reformmodelle.>) Reinbek: Rowohlt, S. 314-322. 11 Piscator, Erwin (1963): «Das politische Theaten>. Reinbek: Rowohlt, S. 74 f. 13 zitiert nach Balme, Christopher B. (2003): «Theater zwischen den Medien. Perspektiven für Theaterwissenschaft und Kritik angesichtseiner zunehmenden lntermedialität in der Theaterpraxis.>) ln: <<Die Deutsche Bühne» 10/2003, s. 48-51. 1 • Boltz, Norbert (1993): «Politik der Posthistorie>), S. 250-257. ln: Maresch, Rudplf (Hrsg.): «Zukunft ohne Ende». München, s. 255. 15 Etchells, Tim (1999): «On Performance and Technologyn. ln: Ders.: «Certain Fragments>); London/New York, S. 96. · 25 16 Lehmann, Hans-Thies (1999): «Postdramatisches Theater». FrankfurtJM ..: Verlag der Autoren, S. 401A47. 17 <<Frolic for Afghanistan». ln: Berliner Zeitung; Nr. 252, 29.10.2001. 1 a vgl. Richard Sennett (1998): «Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus>). Berlin: Berlin Verlag. 19 «Verkaufe dein Subjektb) Rene Pollesch im Gespräch mit An ja Dürrschmidt und Themas lrmer. ln: Theater der Zeit 12/01, S. 5-7. ventionen, Ästhetiken? Wie gewinnt es im Umgang mit medial geprägten Formaten, Stoffen, Erzählweisen Spielraum? Es gibt unterschiedliche intermediale Strategien. Unter der Überschrift «Tpeater +·- Medi- Dieses Hotel produziert Siche(heit. - werden durch den assoziativen Kurzschluss mit dem transponierten Filmthema ad absurd um geführt. en« differenziert Hans-Thies Lehmann zwischen ln derselben Inszenierung wird auf einem der N-Geräte, die zur Einrichtung der Wohnbühne «Medien-Nutzung«, «Medien-Inspiration«, «Medien konstitutiv« und «Medien theatralisiert«". Pol- (Bert Neumann) gehören, scheinbar beiläufig und beliebig ein kurzes Video wiederholt, in dem a"f- leschs Arbeiten w'eisen Aspekte des Medienumgangs auf, die sich allen vier Kategorien zuord- ghanische Windhunde von. Hundepflegern gebürstet und im Kreis geführt werden. Der Text- nen lassen. Die phänomenologische Annäherung bewegt sich im Folgenden von außeri nach innen: Auf die oberflächliche Mediennutzung, das Medi- strom, der sich von den produzierten Sicherheitsund Ordnungsgefühlen über das produzierte Bedrohungsszenario zum grenzenlosen Gerech- enzitat folgt die Medieninspiration, das szenisch bearbeitete Filmmotiv wie die theatral ausgeschrittene Distanz zur Filmvorlage; ein konstitutiver Medienbezug findet sich in der kontrastiven tigkeitsfeldzug. Die Gerechtigkeit der USA kennt . keine Grenzen bewegt hat, wird durch die Ein- spielung eines vorproduzierten Videos auf der Gegenüberstellung von live gefilmten und live präsentierten Körpern, dem schließt sich die Theatralisierung und Internalisierung medialer Forma- zentralen Leinwand unterbrochen: Auf einem Schreibtisch kreiseln Bierflaschen mit kleinen Rotoren und Wagners «Walkürenrittu ertönt. Die Musik stellt die Verbindung zu einem in «Apoka- te und Mittel an. Die These ist, dass das Theater gerade in der medialen Grenzüberschreitung zu lypse nowu (1979) spektakulär fotografierten Hubschrauberangriff der Amerikaner her, wo sie sich zurückfindet. als Instrument der psychologischen Kriegsführung benutzt wird: «Da werden sich die Schlitzaugen in die Hosen scheißen.« Der von Francis Ford Cop- Medienzitat- Kurzschlüsse bei «lnsourcing des Zuhause. Menschen in Scheiß-Hotels» Pollesch nutzt. wie viele and~re Regisseure, filmische Medien, spielt mit ihnen, um bestimmte Affekte und Effekte zu erzielen. Das Filmzitat rekurriert auf das kollektive Bildgedächtnis einer Film- und N-sozialisierten Generation. Ein Thema, eine Stimmung, ein Kontext wird mit dem Medium ins Theater eingeschmuggelt, Dem Rezipienten steht es frei, assoziativ intertextuelle Verbindungen herzustellen. Pollesch beschreibt dieses Verfahren selbst als zufällig und willkürlich: Er hört beim Schreiben eines Theatertextes eine Musik, die ihn an einen Film erinnert, den er dann in der Inszenierung ein- oder anspielt, weil er entfernt mit dem Thema zu tun hat, z. B. Norman pola virtuos inszenierte Kriegsfilm versucht in seiner ambivalenten Darstellung der ästhetischen Faszination des Krieges weniger die militärischen und politischen als vielmehr die psychischen Aspekte des Vietnam-Debakels zu erhellen. Die Filmmusik wird erneut zitiert, wenn die Darstellerinnen mit einem durch zwei aufeinander gestapelte Schreibtischstühle symbolisierten Helikopter zum Bühnenfernseher «rollen« und zunächst einige kleine gelbe Fallschirme mit Frolic über ihm abwerfen, um dann eine ganze Schachtel Hundefutter über dem Bildschirm auszuschütten - «[...] ein fieses, [..,] präzises Bild für den Abwurf von Lebensmitteln über Afghanistan.«" Die betont trashigen theatralen Mittel konterkarieren den bildmächtigen US-Filmklassiker der BOer, in dem Bates' «Psycho«-Hotel mit dem Thema «lnsourcing des Zuhause- Menschen in Scheiß-Hotels«. Das Filmzitat wird in der Inszenierung von den Figu- der perfekt inszenierte Schrecken des Krieges immer gut aussieht. Beiläufig wirft Pollesch zudem die Frage nach der Tauglichkeit des Films als Medium der Kritik in Zeiten medial inszenier- ren ironisch aufgegriffen: Sei du selbst, Norman Batest, lautet die Aufforderung an die Service- ter Kriege auf. Das Filmzitat, die Videoeinspielungen und die kräfte der Wohlfühlhotels, oder es heißt: Dieses Hotel produziert Sicherheitsgefühle. Diese Con- travestierte Filmszene bleiben in dem Verfahren der medialen Kurzschließung jedoch lediglich cierge oder Norman Bates produziert Sicherheit weitere Zutaten im theatralen Hypermedium. Bei und Ordnung! Die Slogans der neuen Dienstleis- Pollesch geht der Medienbezug weit über die «Medien-Nutzung« hinaus; er ist für seinen Stil tungsgesellschaft, in der es um die Produktion des emotionalen und kulturellen Mehrwerts von Gütern geht - Dieses Hotel produziert Zuhause. 26 Dieses Hotel produziert persönliche Anteilnahme. signifikant. DRAMATURG 112004 Trojanische Pferde Gegenwartsbeschreibung im alten Kleid der Vorlage Die «Medien-Inspiration» lässt sich meist Anstatt Fabel oder Filmplot nachzuerzählen, greift Pollesch dabei eiri bestimmtes Motiv der Vorlage auf, welches er weiterentwickelt und auf die Themen bezieht, die in all seinen Theaterdiskursen verhandelt werden. Es ist im Grunde die a schon am Stücktitel ablesen:'Filme der 60er bis Geschichte des «Blade Runnen>, die seit «Ufos 80er dienen Pollesch als Initiationspunkt und Interviews>>. (Luzern 2001) weitererzählt wird. War Materiallager seiner Inszenierungen, z. B. «Soylent die Zukunftsvision in Ridley Scotts Science- Green» von Richard Fleischer, «Der Tiger von Fiction-Klassiker die äußerliche Identität von Eschnapur» von Fritz Lang, «Escape from New Mensch und Android, geht es Po IIesch um selbst- York» und «Sie leben!» von John Carpenter. Bei der entfremdete Menschen, die an der Künstlichkeil «Hochzeit von Bühne und B-Movie» (Jens Roselt) ihres Lebens verzweifeln. Ich lebe die künstliche handelt es sich in keiner Weise um die Transpo- zur Vorlage u. a. die veränderten gesellschaftli- Scheiße hier und oll die künstlichen Erinnerungen und den Scheiß. - Ich bin bloß eine Maschine, die simuliert, dass ich Lebe! Oh Scheiße!- Egal was wir leben, Wir sind immer künstlich!". Seine chen Bedingungen, unter denen Kunst gemacht Stücke erfassen die gegenwärtige «Replikanten- wird. Wenn er ein Stück unter dem Titel «Der Kan- existenz» als allgemeine Auflösung des Individu- sition des Filmstoffes auf die Bühne. Po IIeschs Theater reflektiert in der Distanz didat. Sie leben» inszeniert, wird gerade in Bezug- ums in informellen komplexen Strukturen"· nahme auf den Anti-Strauß-Dokumentarfilm «Der Gemeint sind die verschwimmenden Grenzen zwi- Kandidat» (1980) von Stefan Aust, Alexander von schen öffentlichem und privatem Raum in einer Eschwege, Alexander Kluge und Volker Schlön- totalen Ökonomie des globalen Neo-Kapitalismus, dorff deutlich, was Kunst heute nicht mehr leistet. in dem man sich ein schickes Nervenkostüm in Mit gesellschaftskritischem Agitprop-Theater kann Mitte kauft'", Gefühle echt und bezahlt" sind. gegen die «Neue Mitte» nicht polemisiert werden; Ich wünsche, du wärst Geld, dann würde auf dir drauf stehen, was du wert bist, heißt es folgerichtig in <6oylent Green ist Menschenfleisch, sagt der politische Gegner kann nicht dokumentiert werden, weil er nicht auszumachen ist. Die entsprechenden Brillen, mit denen der Held in John es allen weiter!>>. Die Grundidee der Filmvorlage, Carpenters «Sie leben» (198S) die Außerirdischen die im überbevölkerten New York des Jahres 2022 unter den echte~ Menschen identifiziert und die spielt, ist, dass Menschenfleisch vom staatlichen Konsum-Einflüsterungen hinter den Medien sind Nahrungsmonopolisten zu grünen Crackern ver- obsolet geworden. Auch Heidi Hoh, die hochfle- arbeitet und in Umlauf gebracht wird. Pollesch xible" Telearbeiterin seines Dreiteilers (1998- verbindet mit dem Thema der kannibalistischen 2001), ist nicht vergleichbar mit ihrem filmischen totalen Verwertbarkeit des menschlichen Körpers Vorbild, der Fabrikarbeiterin Norma Rae («Norma das seiner Vermarktung als Sexual-Objekt, wel- Rae» 1979; Regie: Martin Ritt), die im Filmverlauf ches er Paul Thomas Andersans «Boogie Nights» - wie Pollesch es formuliert - politisiert und (1997) entlehnt, einem Film über die amerikani- emanzipiert auf den Webstuhl steigt'", um gegen sche Pornoszene der 70er. Ficken ist das, was mir ihre Arbeitsbedingungen zu -protestieren. Heidi sondern aufgefordert ihre Subjektivität auszu- sagt, wer ich bin in diesem Porno. Wer sagt mir, was ich bin nach dem Porno? Ein melancholischer Grundton färbt den Theaterabend. Abschied wird Hoh ist keiri kapitalistisch ausgebeutetes Subjekt, beuten, und diese Selbstausbeutung tarnt sich mit gefeiert. So sitzen die Darsteller im Schlussbild der dem Deck-mantel der Selbstverwirklichung". Für Inszenierung unter dem Abspann von «Soylent Heidi Hoh, ihren Erfinder Pollesch und all die Green>>, ein ökologischer Science-Fiction-Film von anderen «Pioniere der New Economy» gilt: «24 gestern, so alt wie der Durchschnittszuschauer. 20 Polfesch bezieht sich auf McRobbie, Angela (2002): <deder ist krea- tiv. Künstler als Pioniere der New Economy?}>. ln: «Singularitäten ;Allianzen, Interventionen», ITH/HGKZ. 21 Mit seiner ersten vierteiligen TV-Serie (3sat, 2003) schließt Pollesch an seinen Theaterzyklus «24 Stunden sind kein Tag» (2002) an. ln Bezug· nahme auf den JohnCarpenter-Film «Die Klapperschlange)) trug das Stück bei seiner Premiere in der Berliner Volksbühne (2002) als Zusatz noch den englischen Originaltitel <<Escape from New York>). n Grad, Simen (1997): «Der Markt am Neumarkt. Das Theater aus ökonomischer Sicht.>' ln: «Theater Neumarkt Zürich, <Top Dogs>, Entstehung- Hintergründe- Materi~lien)), Zürich 1997, S. 88. l l «Heidi Hoh arbeitet hier nicht mehn>, 2000 2 • «Ufos & Interviews», 2001 2s «Telefavela>,, 2004 26 «Stadt als Beute», 2001 21 «Sex,>, 2002 Stunden sind kein Tag»" und nicht acht, wie noch 1972 in Fassbinders sozialpolitischem Fünfteiler aus dem Arbeitermilieu. Hier wurden im Format der Familienserie, leicht verständliche Problemlö- Gefilmte Körper, befreite Blicke «Soylent Green ist Menschenfleisch, sagt es allen weiter!» sungsstrategien vorgespielt. Wo die «Machtlogik» durch die «Marktlogik»" ersetzt wird, hat das Der Blick auf den Körper als Darstellungs- Lehrstück abgedankt. Das Transparent ist nach und Verhandlungsobjekt ist in der Inszenierung innen verlagert. Diese Durchsagen in mir" bringt nicht nur inhaltlich, sondern auch formal ein Pollesch mit seinen Sprecherinnen auf die Bühne. medial vermittelter. Die Darsteller sind zu Beginn DRAMATURG 1/2004 27 Ja vgl. Finter, Helga (1985): «Das Kameraauge im postmodernen Theater», in: «Studien zur Ästhetik des Ge:genwartstheatersn, hrsg. von Christian W. Thomsen, Heidelberg: carl Winter Universitätsverlag, S. 46-66 29 D~tje, Robin: <<Kein Kontin~um kann immer. Ende nach dem Trailer: Rene Polleschs <Telefavela> in Berlin>>. ln: Süddeutsche Zeitung vom 17 ./18.1.2004. der Vorstellung hinter Vorhängen und Papierwänden verborgen und werden von einer Videokamera gefilmt. Die von der schweifenden Kamera aufgefangenen intimen Nahaufnahmen, verschlungene Leiber, Fleischlandschaften, Körperdetails sind auf drei Leinwände gebannt. Das dem direkten Blick Entzogene wird monumental-monströs ausgestellt. Die vierte Wand der traditionellen Theaterpraxis wird nicht durchbrachen, sondern erst einmal geschlossen. Die Zuschauer sehen auf der Bühne das, was die Bühne ihnen verweigert. Somit wird der Wahrnehmungsvorgang als solcher ästhetisch markiert und thematisiert. Das Intime und Private wird als hergestellte, inszenierte und medial vermittelte Authentizität vorgeführt. Hier ·besteht der entscheidende Unterschied zur Reality Soap: Das Fernsehen kaschiert. dass Bilder immer Produkte von Inszenierungen sind, und steuert Wahrnehmungsvorgänge und Bedeutungszuwei" sung rigide. Die Kamera in «Soylenf Green ist Menschenfleisch» vermittelt einen ausschnitthaften, fragmentarischen Einblick in verborgene Räume. Aber neben den Kamerabildern, in den live gespielten Szenen, flüstern und schreien leibhaftig präsente Darsteller an gegen die totale Besetzung von Intimität durch Ökonomie. Du Hure, dein Bezug zu dir selbst ist Geld. Gerade in der Verweigerung der Zentralperspektive, im Wechsel zwischen Abbild und Abgebildetem erfährt die Subjektivität des Blicks, das frei schweifende «~ameraauge»" des Zuschauers eine Aufwertung. Der Verlust der Überblicks, des «heilen Ganzen», den die oben beschriebene Distanz zur Vorlage thematisierte, wird so auch zur ästhetischen Erfahrung im Theaterraum. An dieser Stelle verlassen wir das Terrain der konventionellen Mischformen, der trojanischen Pferde und Zentauren, in denen Medien benutzt, zitiert, implantiert und gegengeschnitten werden. Der Theaterhybrid hat mediale Formate (TV-Serien) und Verfahren (Kameraschnitte) bereits verdaut. Mediale Maskierung Verfremdungsstrategien eines Soap·Operateurs Schon mit der Gattungsbezeichnung Theater-Soap kennzeichnet Pollesch seine in Serie produzierten Arbeiten als intermediale Zwitter («Javam in a Box» 1-13, «Ufos B: Interviews» 1-2 in Luzern, «Heidi Hoh» 1-3 im Podewil Berlin, «WWW-Siums» 1-10 im Hamburger Schauspielhaus, «Smarthouse» 1 B: 2 im Staatstheater Stutt- 28 gart). Auch die Bezeichnungen «No-Soap», «Splatterboulevard», «Snuff-Comedy» und «Telefavela» verweisen auf theatrale Kreuzungen mit medialen Formaten und Ästhetiken. Bei Pollesch handelt es sich mitnichten um die affirmative Kopie des Fernsehformats, sondern um eine subversive mediale Maskierung. Das bedeutet, die Ähnlichkeit ist eine oberflächliche: Das «Sendformat» entspricht in den meisten der genannten Fälle dem der Weekly Soap, d. h. Folgen mit einer Länge zwischen 30 und 40 Minuten werden wöchentlich gezeigt. Die Grobstruktur der einzelnen Teile lässt sich als «Ciip»-Folge beschreiben. ln Anlehnung an Musik-Video-Clips, bezeichnet Pollesch mituCiip» das von Musikeinspielung begleitete zweckfreie Spiel, welches die statischen Sprechpassagen unterbricht. Es findet in den Inszenierungen eine Trennung von Bild (Aktion) und Text statt. Auch erinnert das Setting, die Prater-Wohnbühne oder die Couchlandschaft in Luzern an ein Fernsehatelier, die Ausstattung der «Telefavela» an stereo. type Versatzstücke eines Low-Budget"Filmsets, die gleichförmige, pseudo-empathische Sprechweise. an Rohübersetzungen amerikanischer Sitcoms oder Dauerwerbesendungen und die Unterbrechungen der «Clips» an Werbepausen. Die fehlende Linearität und Kohärenz der einzelnen Inszenierungen, die Brüche und das hohe ~prechtem po generieren eine Rezeptionsweise, die sich mit Metaphern. wie «Zapping», «Fastforward» oder «Verlinken» beschreiben lassen. Die Endlostexte, die auf verschiedene Sprecher verteilt sind, ohne individualpsychologisch interpretiert zu werden, erscheinen als endloser Datenstr.om, in den sich der Zuschauer von Inszenierung zu Inszenierung neu «einloggt». Die Prozessualität seiner Arbeitsweise, die gleich bleibenden «Spielregeln», das Fortschreiben der Themen und die permanente Wiederholung von Slogans, Motiven, Schlagworten, kurz: das kultivierte Selbstzitat machen Pollesch zum eigentlichen «Serientäter», zum «SoapOperateun> des Theaters, Der Vorwurf, er zwinge seine Serienhelden dazu, «Diskurse zu durchleben, als wären es Melodramen, und soziologische Traktate in SeifenoperForm zu bringen»", verfehlt jedoch seinen Arbeitsansatz. ln Umkehrung zu der von Meverhold propagierten «Filmisierung» des Theaters findet eben keine «Fernsehfizierung» des Theaters statt, sondern eine verfremdende Theatralisierung des Medienformats. So ist «Telefavela» ein semantischer Hybrid aus der brasilianischen Seifenoper der Reichen und Schönen und der portugiesischen Bezeichnung für Elendsviertel. Pollesch überführt DRAMATURG 1/2004 die Serienhelden des «Haus am Eaton Place» mit ihren unvergänglichen Primärbedürfnissen nach Liebe und Geld in die attraktive informelle Scheiße, sprich: die aufgelösten sozialen Hierarchien einer Dritte-Welt-Metropole, wo man einfach keine Einzelschicksale mehr erkennen kann. ra/ismus verdammt, zu dieser Einheitsvorstellung, bei der ein Körper Emotionen hat, die etwas erzählen sollen"· Diese Einheitsvorstellung, die in "der N-Soap zelebriert und dort der Emotionslesch mit einer Darstellungsform, die er wieder- erscheint Pollesch der «Neuen Zürcher Zeitung« gar als «Turbo-Brecht des postökonomischen Zeit- Schnitte bezeichnen eine Spiel- und Darstellungs- alters«'". Die Verwandtschaft im Geiste entdeckt weise, die durch unvermittelte Brüche in der Text- bildern (auf den N-Monitoren im Prater-Zelt) mit endlich etwas Zusammenhängendes zu fühlen. Polleschs Medientransfer dient ihrem Wunsch primär dem brechtsehen Verfremdungseffekt, der den vertrauten Gegenstand zwar erkennen, aber neu kontextualisiert fremd erscheinen lässt. So um mit filmischen Metaphern beschreibt: auch Ulrich Seidler in der «vertheaterten Wand- präsentation gekennzeichnet ist, durch eine zeitung», die «Telefavela» hoch hält, Handlung und Distanzierung von Text .und Spieler sowie die Identifikationsangebote seien nur Fallen". Eine Trennung. von Sprechen (Tonspur) urid körperli- weitere Parallele zu Brecht findet sich in dem cher Aktion (Bildspur). Was d.ie Distanz zum Text primären Ziel, «die Kinder des wissenschaftlichen betrifft, sind die Darsteller angehalten ihn nicht Zeitalters zu unterhalten, und zwar in sinnlicher zu «verkörpern», sondern im brechtsehen Sinne Weise und heiter>>". Pollesch unterhält in seinem zu zeigen. lrmerhalb des Textstruktur zeigt sich, «Generationsagitpoptheater»" die Kinder des Me- dass der konventionelle Dialog, der durch aufein- dienzeitalters nicht zuletzt mii virtuosem schau- ander folgende und bezogene Repliken einen spielerischen Einsatz und Camp. Das Vergnügen semantischen Richtungswechsel erfährt, durch am guten schlechten Geschmack springt von der einen dialogisch gesprochenen Monolog ersetzt Bühne, wo es in medial geprägten Pathosgesten ist. Die Darsteller sind aufgefordert auf Anschluss lustvoll ausgekostet wird, auf den Zuschauer über. zu sprechen, so dass der Eindruck von Sprechau- Die einzige Waffe gegen die Identifikationsange- . tomaten, angeschlossen an eine Textmaschine, bote der Massenmedien, gegen den Trivialmythos entsteht. Innerhalb der einzelnen Repliken hinge- ist, «ihn selbst zu mystifizieren, das heißt einen gen finden abrupte semantische und dynamische künstlichen Mythos zu schaffen»". Dem scheinen Brüche statt. Am markantesten sind die geschrie- Pollesch und seine Darsteller nachzugehen, wenn enen Passagen, die im Text durch Großbuchstaben er Fragmente der Medienweit synthetisiert, um sie ·gekennzeichnet sind. Der plötzliche Wechsel der theatral zu bearbeiten. An die Stelle des kohären- Lautstärke ist nicht psychologisch motiviert oder ten Dialogs, der das autonome Individuum kon- vorbereitet und hat keine Konsequenz für das wei- turierte, tritt die «soufflierte Rede»", montiert aus tere Sprechen: vorgefertigtem Sprachmaterial, das medial vermittelt und präformiert ist. · Mediale Demontage und internalisierte SchnitteVerzweiflung sieht nur life wirklich gut aus! tralisierer aus, die «hartnäckig nach zeitgemäßen S. 1 Z1. vgl. Pflüger, Maja. 35 Sibylle (1996): «Vom Dialog zur Dialogizität. · Die Theaterästhetik von Elfriede Jelinek)). Tübingen und Basel: Franke Verlag 3 ~ Lehmann, Hans~Thies, a. a. 0., 5. 216. 37 «EI')tschlüsselt mich!)) Ein Interview mit Rene Pollesch von Romane Pocai, Martin Saar und Ruth Sonderegger. ln: «Texte zur Kunst». März2003, 5.112~127. ,Ja zitiert nach Bettina Brandi-Risi (2001): <<Verzweiflung sieht nur live wirklich gut aus)). ln: «Stück~Werk 3>>, hrsg. von c'hristel Weiler und Harald Müller, Berlin: Theater der Zeit. S. 118 . . l? vgl. FUßnote 37, s. 117. 40 «Zorn, Einsicht und Verzweiflung)). Vier Fragen von Harald Müller an Rene Pol~ lesch, in: Theater der Zeit 12/2000, S. 63. 41 Diederkhsen, Died~ rich: «Denn sie wissen, was sie nicht leben wollen.», S. 57, in: Theater heute 3/2002. Die Schreie packen einen nicht. Laut und leise existiert im Fernsehen nicht, wird weggepege/t. beit generiert eine unverwechselbare Spielweise. Der Paradigmenwechsel vom dramatischen der konventionelle und kommerziell erfolgreiche Film das Theater zu einem Natu- Agon, in dem Protagonist und Antagonist einen DRAMATURG 1/2004 (1964): «Mythen des Alltags>). Frankfurt/M., diesem Grund funktioniert die Spielweise auch nicht in seinen Fernsehfilmen (z. B. <<Ich schneide Für Pollesch hat vgl. Fußnote 4 Barthes, Roland elektronische Verstärkung" zu lesen. Aus schnellen>, Z.DF 1998): Konnexionen von Medientechnologie und Live- 34 sind gerade die Schreie als internalisierte Techno- then weist Pollesch als Vertreter der Medienthea- Akteuren»" suchen. Die theatrale Forschungsar- vgl. Fußnote 5 n vgl. Bertolt Brecht: 1<Kieines Organon für das Theater>}, § 75. Auch die Schreie sind geschnitten, die Schauspieler sagen einen Satz, und dann kommt ein Schrei, das ist geschnitten, es soll kein organischer Vorgang sein, man nimmt nicht eine Pose ein und schreit dann. [. ..] Diese Schnitte, die im Text sind und denen der Körper folgt, sind dann doch so etwas wie ein Programm." Für Pollesch logie, als Das Spiel mit Versatzstücken der Trivialmy- NZZ vom 26.5.2003 31 33 produktion beim Zuschauer dient, unterläuft Pol- Die Schnitte finden in den Spielern statt und sind . nirgendwo sonst aufzuspüren. Was als Schnitte erscheint, haben die Spieler bereits in ihr Vokabular aufgenommen. Die Suche nach ihren «Rissem> ist deshalb unproduktiv. Das Personal hat die Schnitte in sein Sensorium übernommen, Kameraeinstellungen, Plots.'" Die internalisierten Dort stehen sie zwischen Armuts- und Fernseh- lo Konflikt austragen, zur Agonie, dem inneren Kon- 29 Peter von Becker am 26.1.2004 auf dem theaterpolitischen Fachkolloquium «Jenseits von Musealität und Amüsement>> in Potsdam. 4 ) Boltz, Norbert, a. a. 0., s. 255., .. Diederichsen, Diedrich: «Der Idiot mit der Videokamera». Vortrag, gehalten beim Symposion «Schnittstelle Theater» der Dramaturgischen Gesellschaft am 9.1.2004. ~ 5 Polleschs Theaterarbeiten basieren auf Filmen oder theaterfernen Texten wie: Lorenz, Kuster und Soudry (1999): <<Reproduktionskosten fälschen! Heterosexualität, Arbeit und Zuhause»- Berlin: b_books Verlag; spaceLab (2000): «Fragmente städtischen Alltags. Widersprüche>>, 20. Jg., Heft 78; Sitzungsprotokolle einer poststudentischen Giorgio-Agamben-Theorielektüre oder einschlägig_en Managerliteratur. · 42 flikt, ist nach Lehmann ein Wesensmerkmal des Berichterstattung über eine Wirklichkeit erwartet, postdramatischen Theaters. Die Verzweiflung und die längst gelebte Unwirklichkeit geworden ist.»". Wut, die ohne Gegner und Gegenentwurf ins Was mit dem Medium demnach in die Stätte der Leere läuft, gerinnt ZU(ll .kollektiven .«Scheiße»c Hochkultur eindringt, sind. neben. medialer Selbs- Schrei. Diederich Diederichsen überschreibt Pol- treferenz, Trugbild und Täuschung «schmutzige» leschs kulturtheoretisches Diskurstheater mit mediale Formate. An den Medien, die im Theater 11Denn sie wissen, was sie nicht leben wollenu und eingesetzt werden, «kleben Verwendungsge- findet in dem «existenziellen Ich [,das] seine Ver- schichten [.. .]. vor allem Alltagsrealität Dies sind zweiflung benennen kann und darf» den Bezug die Maschinen, mit denen die Subjekte ihre Frei- zum Theater, mit seiner «Gewohnheit, echte Men- zeitarbeit verrichten. Sie sprechen ihren Dialekt.»" schen auf Bühnen»" zu stellen. Der existenzielle Die Legitimität von Medien auf dem Theater Schrei Ich bin $0 künstlich! ist bei Po IIesch der wurde hier nicht in Frage gestellt. Es ging darum, Schrei der uechten Menschen», der Darsteller exemplarisch anhand der Theaterarbeit von Rene gegen das unechte Leben, gegen die Trivialmy- Po IIesch darzustellen, wie reflektiert und raffiniert then, aus denen die Kunstfiguren auf seine Bühne dieser «Dialekt» theatral eingesetzt wird, um dem kommen. Dieser Schrei hat nur Raum im Theater. Theater in der Gegenwartsbeschreibung Souver- Folglich fehlt gerade diese Qualität, die Simulta- änität zu verschaffen. Rene Pollesch interessiert nität und Ambivalenz von Live-Darstellung und seine, unsere «AIItagsrealität», die für ihn «geleb- Medien-Versatzstück, Polleschs TV-Serie «24 Stun- te Unwirklichkeit» ist. Ich muss erst mal die den sind kein Tag». Verzweiflung über künstliche Begriffe klären, wie Liebe und Leben, und ich Existenz sieht auf dem Monitor eben nicht gut, . bestehe darauf, dass ich anders lebe und liebe sondern künstlich aus. ABSPANN-: Theaterbekenntnis als Harntet. [ ..]Meine Identität wird vor ollem im Theater produziert. Die Frage nach der Subjektposition, der Verortung stellt Pollesch in all seinen Arbeiten. Wo leben wir? Wo.arbeiten wir? Wir Der gute alte Theatergaul ist im Medienzeit- sind mittendrin, immanent und hyperreal: Im alter angekommen, und wir betrachten sein altes uWWW-SJum», in der uTelefavela», denn uHeidi Wesen in neuer Gestalt. Nun ist er heimisch Hoh arbeitet hier nicht mehn>. Heidi Hoh ist im geworden im Theateralltag, ein medialer Hybrid, Theater. Für Po IIesch nicht Ort der Repräsentati- dessen Existenz nur manchen Theaterfundamen- on von Weit, sondern Teil der Wirklichkeit. talisten dauert. ln Leger-Tradition prophezeit die- Bei der Grenzüberschreitung, der Reibung ser die uSelbstaufgabe des Theaters», welches sich am Fremden in medialen Niederun'gen geschieht· mittels filmischer Mittel «unter sein mediales etwas, was man·pathetisch als die «Wiedergeburt Niveau» begebe". Den Hintergrund dieser Dege- des Theaters aus dem Medien(un)geist» bezeich- nerationsängste vermutet Diederichsen in der nen könnte. Was das Theater heute braucht, ist Assoziation des Videomediums mit der trashigen außerhalb des Theaters zu finden. Po IIesch findet Alltagsästhetik der ulow culture», in der es Motive in Filmen oder theoretischen Texten'', die ursprünglich Verwendung findet. Es zeigt sich, in seinen Theaterarbeiten zu Metaphern einer per- dass .der Einzug des Videos auf die Bühne nicht sönlichen Lebens- und Arbeitserfahrung stilisiert unschuldig sein kann. Anders als noch in Pisca- werden. ln den Inszenierungen findet eine weite- tors Dokumentartheater dringt heute nicht Wirk- re mediale Transformation statt: Film-Vorlage, lichkeit per Einspielung in den Kunstraum ein. Die Soap-Format und artifizielle Darstellungsform Erfahrung der Postmoderne ist die einer media- dienen sowohl der Theatralisierung des Diskurses . len Entmachtung der Wahrnehmung: Die udigi- als auch der Verfremdung und ironischen Bre- tale Revolution», so Norbert Boltz, uhat die Weit chung. Das auf Seifenopernformat zugerichtete der Bilder total kontrollierbar und manipulierbar Leben bekommt in Polleschs Theater-Soaps einen gemacht. Die neuen Medien lassen nur noch eine neuen Spielraum, in medialer Maskierung zur Geschichte erzählen: die ihrer selbst. Deshalb Kenntlichkeil entstellt. l!ll überfordert man sie, wenn man authentische 30 DRAMATURG 1/2004 Drei Autoren - sechs Fragen Resumee der drei Workshops mit Autoren 1. Das Symposium fragt nach der «Schnitt- dien statt? Oder spielen sie - trotz ihres weit rei- stelle Theater>>. Beeinflussen die so genannten . neuen Medien und ihre dramaturgischen Techni- chenden Einflusses auf die Gesellschaft - überhaupt keine Rolle für deinen Schreibprozess? ken dein Schreiben? R. K.: Ich benutze elektronische Medien zum Rebekka Kricheldorf: Bewusst nicht, unbe- Arbeiten, und sie kommen auch schon ·mal in wusst sicher schon. Die neuen Medien sind in meinen Alltag integriert und mit meinem Leben ver- meinen Stücken vor- z. B. wenn es um Personen geht, deren Verhalten stark von neuen Kommu- knüpft, so dass sie zwangsläufig ihre Spuren hinterlassen. Ich würde mich aber nicht als eine nikationstechniken oder medialen Möglichkeiten geleitet wird. Trotzdem mischen sich die neuen Medien in ihrer Bedeutung für mich eher gleich- explizit von neuen Medien geprägte oder diese thematisierende Autorin bezeichnen. Wahrend des Sympo~ siums fanden drei parallele Workshops zu Stücken der Autoren Rebekka Kricheldorf, Margareth Obexer und Andri·Beyeler statt. Diese Workshops wurden abgeschlossen in einer Podiumsdiskussion am Sonntagmittag, die auf diesen Seiten rekonstruiert wird. Weitere Teilnehmer: Step~anie Lubbe wertig unter andere, «traditionelle" Einflüsse. M. 0.: Ich schreibe - wie wohl die meisten - spiel Staatstheater Margareth Obexer: Nicht uDie Liebenden .. , bei dem noch der Anrufbeantworter ein zentra- direkt in den Computer hinein, damit beschränkt sich zunächst der Einfluss elektronischer Medien Stuttgart), Martina Grohmann (Dramaturgin, Landestheater les Kommunikationsmedium darstellt und hauptsächlich intertextuelle bzw. mediale Bezüge wie lngeborg Bachmanns uDer gute Gott von auf den Schreibprozess. Da ein künstlerisches Arbeiten mit diesen Medien sich hauptsächlich im Produktionsprozess zollern Tübingen Reutlingen), Petra Thöring (freie Dramaturgin, Manhattan" oder der Film «Harold and Maude" dem Stück eingeschrieben sind. Die neuen Medien erschließen vor allem auf der Bühne abspielt, müsste es eine konkrete Zusammenarbeit mit dem Theater oder Regisseur geben, um diese Auseinandersetzung auch für das Schreiben nutzbar machen zu können. auch neue Möglichkeiten des Erzählens und sprechen damit einen zentralen Punkt des Schreibens an. Ich kann mir sehr gut vorstellen, Vielleicht sind es die neuen Medien, die die meist atomisierten Theaterfunktionen wieder zu- dass mit den neuen Medien auch neue Bühnentexte entstehen. sammenbringen- und auch darüber neue ästhetische Möglichkeiten erschließen. Andri Beyeler: Bisher weder direkt noch bewusst. Ich habe mir zumindest noch bei keinem A. B.: Auch hier gilt eigentlich, dass ich mich schreibenderweise bisher weder direkt noch bewusst mit elektronischen Medien auseinanderge- Stück überlegt, eine- was weiß ich- Chat-RoomDramaturgie zu versuchen. Es sind- im Moment- setzt habe. mehr unmittelbar «erzählerische" Techniken, die mich interessieren, und weniger der ganze medi- Allerdings glaube ich, auch als Schreibender Teil der Gesellschaft iu sein, und wenn die Neuen al vermittelte Kram. Medien einen weit reichenden Einfluss auf diese haben, dann werden sie es wohl auch auf mich 2. Findet beim Schreiben überhaupt eine Auseinandersetzung mit den elektronischen Me- DRAMATURG 1/2004 (Dramaturgin, Schau- Württemberg-Hohen- Berlin), Florian Vogel (Dramaturg, Schauspiel Staatstheater Stutt~ gart) und lnge Zeppenfeld (Dramaturgin, Theater Osnabrück); Gesprächsleitung: Axel Preusz (Chefdramaturg, Landestheater Württemberg~Hohen~ zollern Tübingen Reutlingen). haben und so vielleicht auch für meinen Schreibprozess eine Rolle spielen. 31 Ich meine, ich gucke ja schon auch, was da 4. Wie kommst du generell zu einem Stoff? draußen passiert. Ich versuche, mich schreiben- Suchst du ihn? Oder lässt du dich gewissermaßen derweise zu dem, was da draußen passiert, zu ver- «von ihm finden»? halten. Und wenn da draußen passiert, was passiert, weil die da draußen alle von den Neuen . Medien weitreichend beeinflusst sind, dann wird R. K.: Meist habe ich eine Stoffidee schon lange vor Schreibbeginn gefunden - häufig eine sich das wohl auch in dem, was ich schreibe, nie- Mixtur aus literarischem Mythos und gerade im derschlagen. eigenen Leben Relevantem, manchmal aber auch Oder, um es halbwegs pathetisch auszudrücken: Auch ich bin nur ein Kind meiner Zeit. nur ein Bild oder einen Satz. Diese Idee trage ich eine Weile mi~ mir herum; und bevor ich mit dem Schreiben beginne, hat sie schon eine Vielzahl von 3. Wie kommt dein Stück in Form? Gibt es Transformationen durchgemacht. Deshalb fällt es vor oderwährend des Schreibens eine formale mir immer schwer, Fragen nach dem eigentlichen Zielsetzung, die die Struktur und die Dramatur- Ursprungsgedanken eines Textes zu beantworten. gie des Stückes bestimmen?'Oder bedingen die Größe und die individuelle Qualität des Stoffes die Form? M. 0.: Es ist ja alles irgendwie Stoff. Dann sammelt sich zu einem bestimmten Thema oder einer Geschichte immer mehr Material - wie der R. K.: Ich habe immer eine formale Vorstellung von dem gerade angefangenen Stück, die ich Staub, der irgendwann elektrisch wird und immer mehr Masse anzieht, bis er glüht. aber im weiteren Arbeitsprozess nicht didaktisch durchzusetzen versuche. Meist sucht sich der A. B.: Ich hantiere nicht so offensiv mit dem jeweilige Stoff während seiner eigenen Mutation Begriff Stoff. Ich überlege mir, wenn ich einen Text die ihm angemessene Form - was für mich als beginne, weniger, was ein guter Stoff ist, sondern Autor in auch. interessanter ist, da ich am Anfang welche Fragen mich gerade umtreiben, welche keine sichere Prognose stellen kann, wie das Stück Situationen und Vorgänge, we!ches Verhalten und letztendlich aussieht bzw. klingt. welche Mechanismen mich interessieren. Und welches die Form sein könnte, damit umzugehen. M. 0.: Es sind immer auch die Geschichten Wo ich hingegen vom Stoff-Finden respek- selbst, die die Form bestimmen. Doch auch un- tive vom Stoff-Gefundenwerdeo sprechen könn- abhängig davon ist die Auseinanders,tzung mit te, sind Auftragsstücke. Also beispielsweise war Schreibweisen und Erzählformen zentral. es bei «Die Kuh Rosmarie» so, dass die Bilder- Insofern beeinflusst umgekehrt die Beschäftigung mit Theatersprachen auch die Geschich- buchvorlage von Anfang an da war. Da hat also der Stoff mich gefunden. ten. 5. Welche Kriterien legst du an einen Stoff A. B.: Eine formale Idee, auch ein fo.rmales Interesse war bis jetzt bei jedem Stück, das ich an, um 'zu prüfen, ob ·er sich auch wirklich für die Bühne eignet? geschrieben habe, von Anfang an da. Die und das verfolge ich dann beim Schreiben und passe aber. auch an. 32 R. K.: Ich glaube, dass sich fast jeder Stoff potenziell für die Bühne eignet. Es kommt darauf DRAMATURG 112004 an, was für eine Form man ihm ~gibt. Mich inte- M. 0.: Ich weiß nicht, was ein privates Thema ressieren vorrangig Themen, die über das Private hinaus auf etwas Allgemeines verweisen, einen bestimmten Rahmen von Intimität sprengen. ist.- aber ich glaube nicht, dass es die Grenze zum Politischen darstellt. Ob etwas «privat» ist, ist eine Frage der Form, die es zusammen mit der Geschichte entweder M. 0.: Er muss sich für mich eignen, für den Fundus an fiktiven Möglichkeiten, an sprachlichen und erzählerischen Momenten, die er selbst mit geschafft hat, eine solche zu sein - oder eben entzündet- und die ich ihm anbieten kann. A. B.: Grundsätzlich verspüre ich wenig Bedürfnis, meine Stücke zu etikettieren und also A. B.: Grundsätzlich glaube ich, dass man auf der Bühne alles erzählen kann und also alles zu sagen: Das ist ein Stück politisches Theater. Auch glaube ich aus solchen Fragen jeweils rauszuhören, dass der/die Fragende eigentlich gar nicht (<politisch)) meint, sondern (ddeologisch». geeignet ist. um auf der Bühne erzählt zu werden. Oder ich glaube zumindest, dass man versuchen kann, alles auf der Bühne zu erzählen. Dass man zumindest versuchen kann, alles zu versuchen. Kommt halt, glaube ich, auf die Form an. Also ob man die jeweils entsprechende fin- nicht. Ich verstehe nämlich unter «politisch» erst einmal nöffentlichkeitsrelevant». Und natürlich halte ich meine Stücke für öffentlichkeitsrelevant (und also politisch). ich schreibe die ja, damit sie gespielt werden, dass sie in der Öffentlichkeit ·stattfinden. det. 6. Frage aus dem Publikum: Inwiefern lässt sich bei den hier vorgestellten Stücken von politischem Theater sprechen? Werden hier nicht vornehmlich private, also unpolitische Themen verhandelt? R. K.: Das knüpft direkt an die letzte Frage an: ln Bezug auf meine Texte halte ich das Eti- Und so gesehen ist ja dann auch eigentlich jedes Stück, das gespielt wird oder s.onstwie an die Öffentlichkeit gelangt, politisch. Und somit auch die so genannten nunpolitischen Stücke». Die sind so gesehen dann eben einfach affirmativ. Dass das zuweilen vergessen wird, hängtwohl auch damit zusammen, dass, wenn nach «politischen Stücken» kett «privat» für falsch:- Die in meinen Stücken auftretenden Figuren sind schon deshalb öffent- gefragt wird, in der Regel ja nirgendwie gesellschaftskritische Stücke» gemeint wird. Des Weiteren frage ich mich, ob es über- lich, weil sie keine rein psychologisch funktionierenden Privatpersonen, sondern immer auch Archetypen sind. Ob der Versuch, Themen mit haupt so etwas gibt wie private, also unpolitische Themen. Ich glaube zum Beispiel einfach nicht, dass ein Thema wie sexueller Missbrauch gesamtgesellschaftlicher Relevanz zu behandeln, an sich schon als politisch zu bezeichnen ist, ist in so genannten Liebesbeziehungen, was ich in nsouviens" verhandle, ein privates Problem sein eine Frage nach der Definition von «politischem Theater". Da mein Verständnis von politischem soll. Theater die Absicht beinhaltet, eine Botschaft loszuwerden und gesellschaftsverändernd zu wirken, etwas gibt wie private, also unpolitische Themen, hängt auch damit zusammen, dass ich es schlecht würde ich meine Stücke nicht als politisch be- fertigbringe, ein Thema. losgelöst von der Form, zeichnen. in der es verhandelt wird, zu denken. 111 DRAMATURG 1/2004 Dass ich mich frage, ob es überhaupt so 33 Kleist-Förderpreis für junge Dramatiker Laudatio von John von Düffel auf «fieberweltenn Von Daniel Mursa s war einmal ein arm Kind und Tanja und Strik. Ihre totgesagte Schwe- Und später in der Nacht härte ich einen hatt kein Vater und keine Mutter, ster. Und Friedrich, der Adaptivbruder Hund war alles tot, und war niemand mehr auf der beiden, ist derjenige, der nach Ruths Der unten am Fluß Knochen zerbeißt der Weit. Alles tot, und es is hingegan- Verschwinden ihren Platz eingenommen Dachte ich gen und hat gesucht Tag und Nacht. Und hat. Wirklich ({ E weil auf d.er Erde niemand mehr war, Nichts ist, was es ist, in diesem wollt's in den Himmel gehen, und der Stück von Daniel Mursa. Der Besuch von Und stand auf Mond guckt es so freundlich an; und wie Ruth wirft Schatten der Verunsicherung Und sah aus dem Fenster es endlich zum Mond kam, war's ein voraus. Stück faul Holz. Und da is es zur Sonn eigentlich verwoben sein sollten in das gangen, und wie es zur Sonn kam, war's Geflecht des Und die Mittdreißiger, die Lebens, schweben Eine ganze Weile Aber ich s,ah nichts in ein verwelkt Sonneblum. Und wie's zu schwindelnder Höhe über dem Abgrund Und am M.orgen stellte ich dann fest den Sternen kam, waren's kleine goldene der Dinge wie Kinder in einem Fieber- Daß das Freßgeräusch von den Wellen kam Mücken, die waren angesteckt, wie der traum. Tanja schlägt sich wiederholt die Die gegen das Boot da unten schlugen Neuntöter sie auf die Schlehen steckt. Kni'e auf, als wäre sie ein kleines Das im Wasser liegt Und wie's wieder auf die Erde wollt, war Mädchen auf dem Spielplatz. Die Geräu- Das blaue die Erde ein umgestürzter Hafen. Und es sche, die von der Weit unter ihnen her- Aber das wußte ich erst am Morgen war ganz allein.>) An dieses Märch·en des Weltverlusts, das die Großmutter in Georg Büch- aufdringen, verwandeln sich. Das Uner- Und also sah ich weiter aus dem Fenster löste ihrer Vergangenheit belegt sie mit Und härte den Hund bleiernem Bann: ners «Woyzeck» erzählt, musste ich denken, als ich zum ersten Mal das Stück Der am Ufer Knochen zerbeißt Als ich über dem Gestrüpp am Ufer TANJA So etwas wie eine Rauchsäule sah «Dreitagefieber>> von Daniel Mursa las. Es Ich konnte nicht schlafen Und diese Säule stieg und fiel gibt zwischen den beiden Theater- Gestern Eine dünne graue Säule stücken keine nennenswerten Parallelen. Strik Doch es war nirgends ein Feuer zu sehen Doch in diesem unheimlichen Märchen Ich bin noch müde Und ich konnte mir das· nicht erklären · wird eine Atmosphäre beschworen, die Bis ich endlich sah das erste ist, was den Leser von «Dreita- Ich bin gefieber" einfängt und mit hineinzieht Mitten in der Nacht in die Geschichte von vier Geschwistern Jemand hat Steine in den Fluß gekippt a~fgewacht Daß die Säule g~r kein Rauch war Sondern nur ein Schwarm Mücken · Ein Schwarm Mücken in einem dreitägigen Fieberzustand, in Das heißt Seltsam dem Vergangenheif und Gegenwart ein- Mir war Nein ander durchdringen. Als schütte jemand Steine -in den Huß Das ist doch seltsam Die Ausgangssituation von Daniel Und als das nicht aufhörte Ein Schwarm Mücken Mursas Stück scheint einfach: Strik, Da bin ich ans Fenster gegangen Nachts)) Tanja und Friedrich wohnen zusammen. Und draußen war ein Sc.hwarm kleiner in einem der oberen Stockwerke eines schwarzer Fliegen Hochhauses. Sie sind zwischen dreißig Die sich von einem toten Tier erhoben den, sind vom Zeitgeist einer Generation und fünfunddreißig Jahre alt, gehören Einem Vogel xy weit entfernt. Ihr Blick ist geradezu somit zu der Generation, die mitten im Glaube ich kindlich, märchenhaft im bösesten, Woy" Leben stehtoder zumindest stehen soll- Und da wußte ich zeck'schen Sinne. Siespüren das Unheim- Figuren, die so reden und empfin- te. Und sie erwarten Besuch. Friedrich Daß das· Geräusch keine Steine waren liche im Vertrauten, die Kriechströme der hat eine Frau namens Huth kennen Sondern das Summen von den Fliegen Bedrohlichkeil unter den Dingen. Mursas gelernt, die vorbeikommen will. Und wie im Flug Protagonisten leben in ihrer eigenen, in vielen Stücken handelt es sich dabei Über dem Vogel abgleitenden Weit, die auch bei Tag nicht um eine Besucherin aus der Vergangen- Strik fester, nicht sicherer und beherrschbarer heit: Ruth ist die leibliche Schwester von .34 Und dann saß ich wieder senkrecht im Bett wird. Das Fieber ihrer Nächte macht vor DRAMATURG 1/2004 Der 25-jährige Daniel Mursa erhält. für sein Stück «Dreitagefieber» ·(erschienen im Rowohlt Theater Verlag) den Kleist-Fördeq)reis für junge Dramatiker, der in diesem Jahr zum neunten Mal vergeben wird. Neben einem Preisgeld von 7670 Euro beinhaltet der Preis auch eine Uraufführungsgarantie für das Stück. Überreicht wird die Urkunde durc~ Frankfurts Oberbürgermeister Martin Patzelt im Namen der Stadt Frankfurt (Oder), die den Preis zusammen mit der Dramaturgischen Gesellschaft jährlich auslobt. Die Jury, bestehend aus Vertretern der Dramaturgischen Gesellschaft (Petra Thöring und Florian Vogel), des Kleist Forum Frankfurt, der uraufführenden Bühne und dem Autor und Dramaturgen John von .Düffel, der auch die Laudatio halten wird, wählte das Stück aus 84 E'insendungen aUs. Die Uraufführungsinszenierung von «Dreitagefieber>) wird als Koproduktion des Landestheaters Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen und des Kleist Forum Frankfurt im Frühjahr 2005 in Tübingen Premiere haberi und kurz darauf auch in Frankfurt (Oder) zu sehen sein. den wachen Sturiden nicht halt Angst und Verunsicherung bekommen" lediglich Zwischen Mitgefühl und dem Blick des Diagnostikers schwankt denn auch ein anderes Gesicht. Strik und Tanja, Friedrich und die verlorene Schwester Ruth verlassen die Wohnung ihres priva- die Haltung des Lesers zu diesem Text und seinen Figuren. Manchmal erschei- ten Vertigos kaur:n noch, das Außen schwindet. Sie verbringen ihre Fieberzeit in einem seltsamen Schwebezustand aus Verlorenheil und Privilegiertsein, beinahe wie die Aristokraten in Büchners uDantonsTod», die es nicht wagen, einen nen Strik, Tanja, Friedrich und Ruth so verloren, dass man nicht umhin kann, mit ihnen zu empfinden. Manchmal sieht man in ihrem Verhalten Anzeichen eines Krankheitsbilds. Mursas Stück ist eine kleine Phänomenologie des Fiebers: Die Symptome sind gegeben, finden Sie Fuß in eine gewöhnliche Pfütze zu setzen, aus Angst, es könnte ein Loch sein, durch das sie aus der Weit fallen. die Ursache heraus! Dochtrotz ihrer Fieberkurven werden seine Figuren keine pathologischen Fälle, bleiben sie Men- Doch nicht nur für die Atmosphäre von «Dreitagefieber>• ist Tanjas Monolog schen auf unsicherem Grund, die suchen und insistieren, wo sie gefunden zu oder besser Gesprächsversuch bezeichnend. Darin enthalten ist auch das Erzählmuster des gesamten Stücks: Sie haben glauben. Diese Ambivalenz ist entscheidend. Mursas Stück lebt von der Wandelbarkeit sämtlicher Wahrheiten und Haltun- hört das Geräusch von Steinen, die in einen Fluss geschüttet werden, und muss dann feststellen, dass es Fliegen vor ihrem Fenster sind. Sie hört einen Hund, der Knochen zerbeißt, und sieht dann, dass es sich um Wellen handelt, die gegen ein Boot schlagen. Und die Rauchsäule in der Luft erweist sich als gen, von ihrem fiebrigen Doppelsinn. Doch das macht es dem Theater auch kolossal schwer. Anders als ein reiner Text hat das Zeichensystem Theater mit seinen zusätzlichen Codes der Körpersprache, des Untertons und Spiels eine Tendenz zur Eindeutigkeit, die das ein Mückenschwarm. Wahrnehmen und Wissen gehen in diesem Stück aus~ einander. Ahnung und Erkenntnis, Geheimnis, das der Text hütet, zerstören kann. Die Lektüre lässt viele der einfachsten Fragen offen und bezieht ihre Gefühl und Gewissheit separieren sich. Nicht nur die Figuren, sondern auch der Leser sucht in Daniel Mursas Fieberweit bisweilen vergebens nach Halt und Spannung mitunter aus eben dieser Offenheit und der Unschärfe möglicher Antworten: uWer sind diese Figuren, warum reden und handeln sie so, was verlässlichem Grund. Was sich so still und unspektakulär entrollt. ist gleichzeitig ein regelrechter Fieberkrimi. Der hat sie derart aus dem Leben geworfen?» Eine Inszenierung, die diese Fragen .zu uMord» allerdings ist schon gewesen, und wir wohnen den Wirren seiner Enträtselung bei. Die Katastrophe, das Drama der äußeren Handlungen liegt zurück in der Vergangenheit. Was bleibt. ist das Drama der Erkenntnis über die früh und zu deutlich beantwortet, macht aus dem Erkenntnisdrama eine Tautologie. Eine Inszenierung, die keine Antwort darauf weiß, macht aus Unschärfe Verschwommenheit und aus den Rätseln des Textes eine Mogelpackung inhaltsleerer Geheimnisse .. damals entstandene Schuld. Und Daniel Mursa erzählt die Geschichte ihrer Ent- Daniel Mursa hat ein Stück geschrieben zwischen Fallstudie und hüllung in einer prekären Balance von Irritation und Information. empathischer Geschwistergeschichte. Er hat mit seinen Figuren eine Weit eröff- DRAMATURG 1/2004 netzwischen Fieberwahn und Wirklichkeit. Und er hat ihnen eine Sprache gegeben zwischen geschwisterlicher Vertrautheit und dem Pathos des Schweigens. Wo das Theater gern «entweder oden> sagen würde, sagt Mursa usowohl als auch», und diese Spannung · des Inkompatiblen nnuss das Theater aushalten. Es steht in der Tradition des Kleist-Förderpreises der Stadt Frankfurt (Oder). Texte auszuzeichnen· und junge Dramatiker zu unterstützen, die sich nicht so ohne weiteres eintheatern las- · sen. Mit ihrer Entscheidung für Daniel Mursa setzt die Jury des Kleist-Förderpreises für junge Dramatiker diese Tradition fort. Und was weiß man über Mursa? Wie bei den Figuren seiner Stücke· zunächst einmal wenig. Er wurde l979 in Harnburg geboren, brach sein Germanistikstudium in Berlin ab, um an das renommierte Literaturinstitut in Leipzig zu gehen, Fachrichtung Prosa und Drama. Seine Diplomprüfungen absolvierte er über Peter Weiß· und Botho Strauß. 2002 machte er mit seinem Stück uNach Bayeux» erstmals als Dramatiker auf sich aufmerksam, wurde eingeladen zu den Werkstatt-Tagen des Hamburger Schauspielhauses, wo sein Erstling später uraufgeführt wurde, und zu den Autorentheatertagen des Thalia Theaters. «Dreitagefieber>> ist seiri zweic tes Stück, und es verrät auch etwas von dem kriminologischen Interesse des Autors, der seit 2004 dem Studium der Kriminologie am Institut für Sozialforschung der Universität Harnburg nachgeht. Wer Daniel Mursa wirklich ist, bleibt damit wie bei seinen Figuren ungesagt. Doch er ist vor allem eins: ein viel versprechender Dramatiker. 1!11 35 Inhalt Anstatt eines Editorials Seite 1 Theater ist kein Medium - aber was bewirkt es, wenn der Mann mit der Videokamera auf der Bühne arbeitet? von Diedrich Diederichsen Seite 3 Was bewirkt die Kamera auf der Bühne bei den Schauspielern?. vdn Carl Hegemann Seite 8 Was alles video-technisch möglich ist von jan Lindcrs Seite 10 IMPRESSUM Warum und wie man Kinofilme aufs Theater bringt Seite 13 Dramaturgische Gesellschaft (DG) Geschäftsstelle: Tempelherrenstraße 4 10961 Berlin Telefon: 030-693 24 82 Telefax: 030-693 26 54 e-mail: dramaturgische.ges@ snafu.de www.dramaturgischegesellschaft.de Das Drama des Sehens Live-Video auf der Bühne oder die Politik des Blicks von Themas Oberender Seite 15 Am Rande des Symposiums in der Volksbüh- Medien dürfen auch Spaß machen und das Theater bleibt der Souverän der Dramaturgischen Gesellschaft statt. Die lau- von Jens Roselt fende Jahrestagung wurde dort diskutiert und Seite 21 Vorstand: Manfred Beilharz (Vorsitzender), Ann-Marie Arioli, Dagmar Borrmann, Birgit Lengers, Anne-Sylvie König, positiv bewertet. Außerdem wurde folgende Sat- Ein PS im Medienzeitalter - Mediale Mittel. Masken und Metaphern im Theater von Rene Pollesch Liquidation ... ausgeführt werden.") von Birgit Lengcrs Vereins oder bei Wegfall steuerbegünstigter Seite 24 §9, letzter Absatz («Das nach Beendigung der wird geändert und lautet: «Bei Auflösung des Zwecke fällt sein Vermögen an eine juristische Person des öffentlichen Rechts oder eine andere Jan-linders.- Drei. Autoren - sechs Fragen Peter Spuhler, Resumee der drei Workshops mit Autoren Florian Vogel ne fand die alljährliche Mitgliederversammlung zungsänderung beschlossen: Geschäftsführung: Henning Rischbieter Mitgliederversammlung der Dramaturgischen Gesellschaft Seite 31 steuerbegünstigte Körperschaft zwecks Verwendung für Förderung von Kunst und Kultur in Deutschland.» Redaktion: Henning Rischbieter, Heldrun Schlegel ISSN Nr. 1432-3966 36 KleisHörderpreis 2004 Laudatio von John von Düffel Seite 34 Das Symposium <!Schnittstelle Theater11 wurde gefordert durch den Hauptstadtkulturfonds. DRAMATURG 1/2004 l i e Isetzu n g en Die Dramaturgische ßesellschaft (dg) ist ein Zusammenschluss der im Bereich der Darstellenden Künste und ihrer Medien Theater, Film, Fernsehen, Hörfunk u. a. Tätigen und Interessierten. Ihre Aufgabe ist die Diskussion und Formulierung künstlerischer und gesellschaftspolitischer Vorstellungen und die Wahrung und Durchsetzung beruflicher Interessen. Sie versucht, möglichst viele der in diesem Bereich arbeitenden und _interessierten Personen und Gruppen zu sammeln, ihren Austau~ch untereinander zu fördern und ihre Arbeit zu dokumentieren. Die Dramaturgische Gesellschaft versteht Dramaturgie im weitesten Sinne des Wortes als Vermittlung zwischen Darstellender Kunst und ihren Produktionsformen. Sie befasst sich mit dramatischer Literatur, mit Theater- und Medientheorie, mit Publikum und Öffentlichkeit. Die Darstellenden Kün?te und ihre Medien unterliegen einem Veränderungsprozess. Ne~e technologisch bedingte Informations- und Kornmunikationssysteme etablieren Sich und treten in Konkurrenz zu den bisherigen. Die ökonomischen und kulturpoli_tischen Bedingungen für die Darstellenden Künste verschär- fen sich. Zugleich fordern neue, teilweise alternative Formen der Theater-, Film-, Videoproduktion die Künste und ihre bestehenden Institutionen heraus. ln der ästhetischen und kulturpolitischen Diskussion stehen jedoch.dramaturgische, ästhetisch-konzeptionelle und künstlerisch-gesellschaftspolitische Fragen bislang noch allzu öft im Hintergrund und werden.von technischen und parteipolitischen Interessen überdeckt. Die Dramatur-. gisehe Gesellschaft will sie stärker ins öffentliche Bewusstsein rücken. Arbeitsweisen Die Zielsetzung der Dramaturgi- schen Gesellschaft soll erreicht werden u. a. durch: - die Förderung des Erfahrungsaustausches und des Zusammenwirkens dei- Mitglieder und anderer ln teressierter: - durch die Veranstaltung von Jahrestagungen, die abwechselnd in verschiedenen Theaterstädten Deutschlands, Österreichs und der Schweiz stattfinden, -durch die Veranstaltung von Dramaturgischen Tagen, die jew.eils unter einem bestimmten Thema stehen, -.durch Diskussions- und Vortrags- veranstaltungen zu grundsätzlichen und aktuellen Problemen, .-durch die· Herausgabe der Zeitschrift .. Dramaturg" und durch die Herausgabe der Schriftenreihe der Dramaturgischen Gesellschaft; -sowie durch: die Bildung von Arbeitsgruppe_n, in denen Mitglieder und andere Interessiertedramaturgische Teilbereiche bearbeiten; ' - die Veröffentlichung von Stellungnahmen zu kulturpolitischen und dramaturgischen Entwicklungen; - die Vermittlung von Auskünften zu dramaturgischen Fragen; - die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen und W:rbänden. Arbeitsgruppen Zu einzelnen Fragen und Pr_oblemfeldern können von den Mitgliedern Arbeitsgruppen gebildet werden, die sowohl ad hocals auch langfristig Themen erarbeiten und öffentlich wirksam ~achen. Foru~ Junge Dramaturgie Seit Januar 1997 gibt es innerhalb der Dramaturgischen Gesellschaft das Forum junge Dramaturgie. Die Idee war, einen Gesprächsraum zu schaffen, der jungen Dramaturgen· und anderen Interessierten die Gelegenheit bietet, jenseits von pragmatischen Entscheidungen des Theaterbetriebs ileue Stücke zu lesen und diese gemeinsam mit den Autoren zu diskutieren. Inzwischen kommen Verlags- und Schauspieldramaturgen, Regisseure und Studierende aus ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz zu den Gesprächen, die etwa alle acht Wochen stattfinden {Termine unter .www.forum-dramaturgie.de). Antrag auf Mitgliedschaft Ich möchte der Dramaturgischen Gesellschaft beitreten. Mitgliedsbeitrag Einzugsermächtigung Der Jahresbeitrag beträgt seit Ich ermächtige die Dramaturgische Gesellschaft widerruflich, den von mir zu entrichtenden Jahresbeitrag in Höhe von bei Fälligkeit zu Lasten meines Kontos-einzuziehen. Weist mein Konto die erforderliche Deckung nicht auf, besteht seitens des kontoführenden Instituts keine Verpflichtung zur Einlösung. dem 16.11.1993: Alte Bundesländer Name, Vorname persönliche Mitglieder € 62,(ermäßigt € 22,-) Straße/Nr. korporative Mitglieder € 210,- Neue Bundesländer ... Pll/Ort Geldinstitut/Ort persönliche Mitglieder € 37,(ermiirligt€i8,5o) Telefon/Telefax korporative Mitglieder €' 128,- E-mail ·Bankleitzahl Kontonummer Schweiz persönliche Mitglieder SFr. 143...(ermäßigt SFr 50,-) Geburtsdatum/Beruf Ort/Datum korporative MitgliederSFr 494,Bitte in Druckschrift ausfüllen. Unterschrift Dramaturgische Gesellschaft Vorstand (seit 2002): Dr. Manfred Beilharz, Wiesbaden {Vorsitzender) Ann-Marie Arioli, Wiesbaden Dagmar Borrmann, Leipzig Birgit Lengers, Berlin Anne-Sylvie König, Kassel Jan lindfrs, Berlin Peter Spuhler, Tübingen Florian Vogel, Stuttgart Geschäftsführung: Henning Rischbiete~ Geschäftsstelle: Dramaturgische Gesellschaft .Tempel herrenstraBe 4, D- 10961 ·serlin Telefon 030/693 24 82 Telefax 030/693 26 54 e-mail: [email protected] www.d ra matu rg ische-g esellsca hftd e Postbank Berlin Bll 100 100 10 Kto Nr. 7769 100 ' M itg I ieder Die Dramaturgische Gesellschaft ging 1956 aus dem 1953 entstandenen Dramaturgischen Arbeitskreis hervor. Von der Gründung an versteht sie sich als eine Gesellschaft, die keine parteipolitischen und gewerblichen Ziele verfolgt. Waren in ihr zunächst nur die auf dem Gebiet der Dramaturgie tätigen Personen vereinigt, so versteht sich die Gesellschaft seit ihrer Satzungsänderung im Jahr 1972 als eine Vereinigung von Praktikern und Theoretikern und versucht verstärkt, nicht nur diejenigen anzusprechen, die aus beruflicher Tätigkeit, sondern auch d_ie, die aus persönlichen Gründen an Fragen der Dramaturgie interessiert sind. Die Gesellschaft hat gegenwärtig ca. 350 persönliche und 11 korporative Mitglieder. Mitglied kann jede natürliche oder juristische Person werden, die im Sinne der Gesellschaft tätig ist. Die Mitgliedschaft .sollte schriftlich beantragt werden. ................................................................................................................................................ Lieferbare Publikationen Schriften ä € 5,Tournee-Theater, 1975 Friedrich Schultze, 1975 SteuerrefOrm und Theaterfinanzierung, 1976 25 Jahre DramC!turgische Gesellschaft, 1978 Theater·von heute·-···RäÜme von gestern, 1979 Sprache und Sprechen, 1979 Ist das Theater noch zu retten?- Politische Wende= Theaterwende?, 1984 Unlust an Erstarrung- Lust auf Veränderung ·(SchauspielMusiktheater), 1985 Brauchen Fernsehspiel und Hörspic:l eine neue Dramaturgie?, 1986 Deutsche Dramaturgie als Beispiel?, 1986 Heiner Müller I Unterhaltung im Theater, 1987 Tanztheater I Mordsweiber I ~Kolt<:s, 1990 Sturz vom Sockel? Künstlerische Arbeit._ in den Medien der DDR, 1991 Theaterarbeit Ost/West, 1994 Dramaturgie heute, 1996/97 Herausforderungen zu Grenzüberschreitungen, 1998 Jahrestagung Dresden 1999 Jahrestagung Berlin 2000 Bestellung Einzelveröffentlichungen ä€ 4,- Theatt:r in Berlin nach .1.945, 1984 Frauen im Theater (FiT): Dokumentation 1984 Frauen im The~ter (FiT): Dokumentation 1985 Frauen im Theater (FiD: Dokumentation 1986/87 Mitgliederzeitschrift DRAMATURG lieferbar ab 1985 Einzelheft ä € 2,Doppelheft ä € 4,- Bitte schicken Sie mir die angekreuztein Veröffent!ichung/en zuzüglich Versandkosten an folgende Adresse: Name, Vorname !itraße/Nr. Pli/Ort Ort/Datum Unterschrift Bitte in Druckschrift ausfüllen.