Interview - Evangelisch in Köln-Dellbrück und
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Interview - Evangelisch in Köln-Dellbrück und
KULTUR 21 Donnerstag, 7. April 2016 Kölner Stadt-Anzeiger „Ich sehe eine gewisse Verwandtschaft“ Kölner Künstlerfamilie tritt zum ersten Mal gemeinsam auf: Der Schriftsteller Jürgen Becker, die Malerin Rango Bohne, der Fotograf Boris Becker Es ist das erste Mal, dass Sie drei als Künstler gemeinsam eine Ausstellung realisieren. Warum erst jetzt? JÜRGEN BECKER: Ja, dazu hat bisher der Einfall gefehlt. Das war nun die Idee von Pfarrer Otmar Baumberger aus Dellbrück. Die Christuskirche spielt in meiner Biografie eine Rolle. Meine Eltern haben dort 1929 geheiratet, ich wurde dort 1932 getauft. Dem Pfarrer war aufgefallen, dass die Dellbrücker Gegend ein paar Mal in meinen Texten vorkommt – vor allem der legendäre SC Preußen Dellbrück, der in der Oberliga West spielte und dessen Platz bis in die 50er Jahre schräg gegenüber der Kirche war, aber auch die alte Dellbrücker Kaserne. Und Boris hat ja auch eine Dellbrücker Vergangenheit … BORIS BECKER: Ich bin allerdings katholisch getauft worden, noch in der Kapelle der Klinik in der Kölner Südstadt. Dafür hatte meine Mutter, deren Familie aus Paderborn stammte, in einem Husarenstreich gesorgt. So wurde ich dem protestantischen Zugriff entzogen. Ich bin dann in Dellbrück bei meiner Mutter und meinem Stiefvater aufgewachsen und habe dort auch angefangen zu fotografieren und zu filmen. Mein Vater und ich, wir haben auch einmal ein gemeinsa- Boris Becker, Rango Bohne und Jürgen Becker im Wohnzimmer der Eheleute Becker-Bohne in Köln-Brück (v.l.) Foto: Banneyer mes Projekt gemacht zu der geräumten Kaserne. Zu den Personen und zu der Veranstaltung in Köln RANGO BOHNE: Bei mir gibt es keine solche besondere Beziehung Jürgen Becker, 1932 in Köln gebo- mann hat sie bislang fünf Bücher Boris Becker, 1961 in Köln gebo- sion“). Er ist der Sohn aus Jürgen zu Dellbrück und der Christuskir- ren, ist einer der bedeutendsten veröffentlicht, in denen ihre Bilder ren, studierte an der Hochschule Beckers erster Ehe. Mit dem Vater che. Aber selbstverständlich ist deutschsprachigen Autoren der mit seinen Texten in Verbindung der Künste in Berlin und an der veröffentlichte er die Bildbände mir das alles vertraut durch mei- Gegenwart. Für sein Werk erhielt stehen. Erstmals war dies 1982 der Kunstakademie Düsseldorf bei „Geräumtes Gelände“ und „New nen Mann und durch die örtliche er 2014 den Georg-Büchner-Preis. Fall: „Fenster und Stimmen“ (Suhr- Bernd Becher. Zahlreiche Fotogra- York 1972“. In Köln gründete er Nähe. Außerdem wurde ihm gleich zwei- kamp). Zuletzt erschien der Band fie-Ausstellungen, zuletzt im LVR- den Verlag „Sprungturm“. BORIS BECKER: Manchmal mal der Kölner Literaturpreis zuer- „Scheunen im Gelände“ (Hanser). Museum Bonn („Staged Confubraucht es eben den Anstoß von kannt (1968 und 1995). Sein Buch In der Christuskirche in Dellbrück außen für so ein erstes Mal. Vorher „Schnee in den Ardennen“ war präsentieren sich die drei Künstler hatte es sich nicht ergeben. 2009 das „Buch für die Stadt“ in erstmals gemeinsam. Jürgen BeKöln und der Region. Zuletzt ercker liest aus „Jetzt die Gegend daImmerhin gab es einmal vor 20 Jah- schien der Journalroman „Jetzt die mals“. Gleichzeitig findet die Erren eine Kooperation, und zwar bei Gegend damals“ (Suhrkamp). öffnung der Ausstellung von Randem Buch „Korrespondenzen mit go Bohne und Boris Becker statt. Landschaft“. Da heißt es im Impres- Rango Bohne, 1932 in Köln gebosum: „Gedichte von Jürgen Becker ren, studierte an der KunstakadeEröffnung und Lesung am Freizu Collagen von Rango Bohne, foto- mie Düsseldorf und an der Hochtag, 8. April, um 19.30 Uhr. Dellbrügrafiert von Boris Becker“. schule der Künste in Berlin. Sie ist cker Mauspfad 363 in Köln-Dellseit 1965 mit Jürgen Becker verheibrück. Ausstellung bis 29. April, So. ratet. Gemeinsam mit ihrem EheCollage von Rango Bohne Fotografie von Boris Becker 12 – 15 Uhr, Mi.15 – 17 Uhr. JÜRGEN BECKER, AUTOR: Ich wäre gerne Maler geworden. Aber ich kann nur einen Strich gerade ziehen. JÜRGEN BECKER: Sehen Sie mal, da wissen Sie mehr als wir. BORIS BECKER: Wobei das ein wenig in die Irre führt. Denn bei diesen Fotos ging es ja um Reproduktionen von Bildern, also um eine handwerkliche Angelegenheit. JÜRGEN BECKER: Doch, doch! Damals wurde noch nicht gescannt, und ein Bild so zu fotografieren, dass es als Druckvorlage taugt, kann nicht jeder. Da war Boris der Spezialist. Wir fotografieren ja auch, aber … RANGO BOHNE: Wir knipsen, würde ich sagen, im Gegensatz zu Boris. Vertraut sind bilaterale Kooperationen. Es gibt Bände mit Texten von Jürgen Becker zu Bildern von Rango Bohne. Zudem gibt es zwei Buchprojekte von Vater und Sohn. JÜRGEN BECKER: Was ich mache, wird sehr oft initiiert durch Bilder, durch Medien. Mich kann jeder Fahrschein beeindrucken, jeder Zeitungsartikel. Das ist ein weites Feld: Das ist die Kunstgeschichte, das ist ein Foto, das Fernsehen – und das sind auch die Bilder, die in meiner Umgebung entstehen, die Bilder von Rango Bohne. Ich habe ja das Privileg, als Erster diese Arbeiten zu sehen, und es kommt gelegentlich vor, dass diese Bilder bei mir etwas auslösen – dass ich in der Bildersprache eine Poesie finde, die mich zu Wörtern führt. BORIS BECKER: Bei den zwei Projekten, die mein Vater und ich zusammen gemacht haben, war es etwas anderes. Bei dem Band über die Dellbrücker Kaserne war es so, dass ich unmittelbar nach dem Abzug der Belgier das Gelände, das in meiner Kindheit durch einen Zaun abgesperrt und eine No-goArea war, fotografiert habe. Drei Jahre später habe ich dann meinen Vater gefragt, ob er nicht einen Text dazu schreiben könnte. Und beim New-York-Buch war es so, dass ich seine 40 Jahre alten Fotografien herausgesucht und entgegen seinem ursprünglichen Konzept angeordnet habe. Seine Idee war es ja, entlang des Broadways zu fotografieren. Ich habe dann diese Bilder in Gruppen geordnet: Autos, Kinder, Passanten, Hunde. Frau Bohne, denken Sie manchmal, wenn Ihr Mann mit Texten auf Ihre Bilder reagiert: Interessant, was er da schreibt, aber daran habe ich gar nicht gedacht? RANGO BOHNE: Das kommt vor, aber oft ist das nicht der Fall. Und ich bin manchmal überrascht, welches Bild er sich ausgesucht hat. BORIS BECKER: Mir passiert es oft, dass ich mich bei Texten zu meinen Fotografien – auch von Rezensenten – wundere, was darin entdeckt wird. Da denke ich oft: Ja, so habe ich das auch gemeint, nur war es mir noch nicht klar. Entdeckungen habe ich aber auch schon gemacht, wenn Bilder von mir für Ausstellungen vergrößert wurden. Da gibt es ein Foto von einer Werkstatt, voll mit Werkzeug und Müll, und da hängt an einem ganz dünnen Drähtchen eine Zündkerze ins Bild. Die hatte ich bei der Aufnahme gar nicht gesehen. Aber jetzt, auf dem großen Bild, ist dies ein ganz wichtiges Element. Frau Bohne, wenn Ihr Mann der erste Betrachter Ihrer Bilder ist, sind Sie denn auch die erste Leserin seiner Texte? RANGO BOHNE: Ja, aber nie während des Schreibens, sondern erst, wenn die Texte fertig sind. Geben Sie auch Hinweise? RANGO BOHNE: Manchmal ist das der Fall – wenn es um die Botanik oder um die Ornithologie geht. Tauschen Sie sich nicht während Ihrer Arbeit aus? JÜRGEN BECKER: Wir sind kein Künstler-Ehepaar, das Schreibtisch an Schreibtisch arbeitet. Jeder arbeitet für sich. her, am Anfang unserer Beziehung, haben Jürgen und ich einmal zusammengearbeitet. An zwei Tischen in einem Raum. Da ging das noch. Heute geht das nicht mehr. JÜRGEN BECKER: Das war, als wir in einem Zimmer wohnten. Da musste man sich aushalten. Was ja schwierig ist. Denn diese bildenden Künstler hören ja immer Musik, wenn sie etwas machen. Und wenn ich Musik höre, kann ich nicht schreiben. Die Kontakte und Korrespondenzen fangen immer erst im Nachhinein an. Rango weiß zum Beispiel nie, ob oder wann ich auf ein Bild reagiere. Aber es tauchen auch Spuren der fotografischen Arbeit von Boris in meinen Arbeiten auf – einmal kommt seine Serie „Fakes“ vor, also die Aufnahmen von Behältern von Schmuggelwaren, ein anderes Mal ein bestimmtes Schneebild. Gibt es auch fotografische Reaktionen auf Jürgen Beckers Texte? BORIS BECKER: In einer Langzeitwirkung können Texte meine Aufmerksamkeit in eine bestimmte Richtung lenken. Da gibt es sicher einen Humus. Das Ganze hängt allerdings an dünnen Fäden. Es ist nicht so, dass mein Vater einen Text schreibt und ich dann sage: Prima, da gehe ich mal hin und gucke, was ich da noch finde. In Jürgen Beckers Journalroman „Jetzt die Gegend damals“ heißt es: „Wenn Lene an einem Bild sitzt, hat sie die Türe hinter sich zugezogen. Sie spricht auch über ihre Arbeit nicht.“ Die Lene scheint Ihnen sehr Sehen Sie in Ihren Werken thematische oder konzeptionelle Übereinähnlich zu sein, Frau Bohne. RANGO BOHNE: Ja, das ist so. Frü- stimmungen? RANGO BOHNE: Es ist sicher so, dass es Gegenden gibt, die wir gleichermaßen mögen. JÜRGEN BECKER: Von der Landschaft gehen Impulse aus, und daraus entstehen Korrespondenzen. Das habe ich bei Boris an seinen Bildern von Ahrenshoop und Wiepersdorf gesehen. Da habe ich gedacht: Das sind Bilder, die ich hätte machen können, wenn ich noch fotografieren würde. RANGO BOHNE, MALERIN: Früher haben Jürgen und ich an zwei Tischen in einem Raum gearbeitet. Heute geht das nicht mehr. BORIS BECKER: Das kommt dadurch, dass wir uns beide an diesen Orten aufgehalten haben. Aber wenn ich an die „Fakes“ denke, die ich gemacht habe, dann gibt es da keinerlei Bezug zu den literarischen Texten. Es gibt sicher da und dort Anknüpfungspunkte, aber auch gewaltige Unterschiede. JÜRGEN BECKER: Bei Rango Bohne interessiert mich, wie sie Collagen, wie sie aus Bildern Bilder macht. Das kann auch mir passieren: Dass aus verschiedenen Texten ein Text entsteht oder dass sich etwas aus Sprachschichten zusammenschiebt. In der Collage sehe ich eine gewisse Verwandtschaft. Und bei Boris hat mich eine Weile sehr beschäftigt, wie er mit der Landschaft umgeht: Es ist nicht das Atmosphärische, sondern das gestochen scharfe, genaue Beschreiben dessen, was da ist. Und wie es sich in den Serien immer wiederholt. Da sehe ich auch Korrespondenzen. In dem Band „Geräumtes Gelände“ über die Kaserne in Dellbrück spielt die Formulierung der „angehaltenen Zeit“ eine wichtige Rolle. Geht es Ihnen allen nicht auch darum? JÜRGEN BECKER: Bildende Kunst hält immer Zeit an. Die Fotografie gilt dem stehen gebliebenen Moment. BORIS BECKER, FOTOGRAF: Anfangs habe ich auch geschrieben. Aber irgendwie habe ich in der Literatur keinen Weg für mich gesehen. BORIS BECKER: Das betrifft aber nicht alles. Bei den Fotos von der verlassenen Kaserne ist das so. Aber bei anderen Fotos ist der zeitliche Bezug egal. Und es gibt Fotos, bei denen sich die Bedeutung innerhalb eines Zeitraumes völlig verändert. So habe ich ein Foto von der Baustelle des Opernhauses in Köln gemacht, als alles noch in Ordnung zu sein schien. Jetzt ist es ein Foto des Scheiterns, des Zusammenbruchs, des Nicht-Weiterkommens. Gab es für Sie jemals die Neigung, im Metier des anderen zu arbeiten? RANGO BOHNE: Ich führe eine Chronik, ein Tagebuch – aber das ist etwas ganz anderes als das schriftstellerische Arbeiten. Mittlerweile gibt es 35 Bände mit Fotos und Texten. Ich verwende manche Fotos auch für die Collagen. Allerdings sehe ich mich deshalb nicht als Fotografin. BORIS BECKER: In jungen Jahren habe ich auch geschrieben. Aber ich habe gemerkt, dass dies doch nicht so mein Medium ist. Irgendwie habe ich in der Literatur keinen Weg für mich gesehen. JÜRGEN BECKER: Das ist auch gut so: Nicht noch ein Lyriker, der Becker heißt. BORIS BECKER: Genau. Vielleicht habe ich ja deshalb den Verlag Sprungturm gegründet und lasse andere schreiben. Gibt es den Maler Jürgen Becker? JÜRGEN BECKER: Nein, der ist absolut unbegabt. Leider. Ich wäre gerne Maler geworden. Ein Onkel, der aus dem Krieg nicht zurückgekommen ist, war Maler gewesen. Als ich dessen Bilder sah, kam so ein Impuls. Aber ich kann nur einen Strich gerade ziehen. BORIS BECKER: Bei Bernd Becher an der Kunstakademie Düsseldorf habe ich mich nicht nur mit Fotografien, sondern auch mit Zeichnungen beworben. Er selber hatte als Zeichner angefangen. Er hat mir später anhand von Zeichnungen erklärt, wie man ein Gebäude fotografiert. Wenn man ein Foto gezeichnet sieht, bekommt man einen anderen Blick darauf. Es gibt also den einen oder anderen Ausflug in die anderen Künste ... JÜRGEN BECKER: Das bleibt ja nicht aus. Ich finde immer: Künstler müssen ein Sensorium haben für die Nachbarkunst. Aber ich kann nur arbeiten nach Maßgabe meiner Fähigkeiten. Ich kann nur mein bisschen Schreiben. Ich kann nichts anderes. Das Gespräch führte Martin Oehlen