Basler Fasnacht
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Basler Fasnacht
© ProLitteris / Müller Francis / Die Weltwoche; 11.02.1999; Ausgabe-Nr. 6; Seite 65 Reisen Mehlsuppe, Wein und etwas Sex Von Francis Müller Francis Müller Ein in Zürich lebender Basler auf Streifzug durch seine heimatliche Fasnachts-Beizenszene. Übrigens: Am 22. Februar ist Morgestraich Die Basler Fasnacht - sicher die beste Möglichkeit, die Basler Seele zu ergründen. Es gibt hierzu drei Vorgehenstechniken: Entweder man liest sich durchs historische Archiv der Stadt, was papierlastig ist. Besser, man gewinnt das Vertrauen eines Baslers, kann sich einschmuggeln in den geschlossenen Kreis. Das kann dauern, denn schnell wird in Basel niemand ins Herz geschlossen, wenn es aber passiert, wird man nie mehr losgelassen. Am effi-zientesten: Man isst und trinkt sich durchs fasnächtliche Beizenbiotop. Während der Umzug, in Basel Cortège genannt, in festgelegten Bahnen verläuft, nimmt die Fasnacht in den Beizen ihren freien Lauf. Die Larven bleiben draussen vor der Tür, die alten Tanten werden zu rotbackigen Jungs, die brummigen Waggis zu harmlosen Menschen wie du und ich, die Fasnacht präsentiert sich in ihrer Vielfalt: traditionell, steif, teils geheimnisvoll, verspielt und zärtlich, wild, mit einem dezenten Touch Vulgarität, auch alternativ bis exotisch. Weltbewegende Themen für emotionale Prologe gibt es in der Beiz zur Genüge. Es darf auch politisch und politisch daneben sein - egal. Ein weiteres Thema ist der Kampf zwischen Gut und Böse, der auch an der Fasnacht spielt. Die Cliquen - die Guten - haben ihre Beizen eher im Grossbasel, wo sich alles auf dem Gebiet zwischen Fischmarkt und Barfüsserplatz verdichtet. Die bösen Guggen feiern tendenziell im Kleinbasel. Man hört auch, dass sich die Fasnacht in diese zwei Lager teilt, und die Kleinbasler Fasnacht Eigendynamik entwickelt. Alles Blödsinn, wissen andere und bellen nach einem weiteren halben Weissen. Der neuralgische Punkt in der Kleinbasler Fasnacht ist das «Schiefe Eck», eine urkleinbaslerische Institution. Eine eigentliche Beiz ohne Küche - die Mehlsuppe wird im «Klingental» gekocht und dreihundert Meter im Kessel hinübergeschleppt. Der Name ist Programm: eine schiefe Ecke. Hier trinkt sich nicht nur die knallharte Profiklasse unter den Tisch, hier herrscht ein Publikumsmix, der kaum bunter sein könnte. Sie sitzen alle am selben Tisch: der Däni von den Schränz Briedern, ein einsamer Familienvater auf Abwegen, die Dirne im Ruhestand; alles trinkt, brummt, schmollt oder monologisiert - und keiner hört zu. Eingeborene und Guggen treffen sich im «Adler» im Herzen der Rotlichtläden. Und wer Bock auf eine Zeitreise hat, geht ins «Schafeck». In der originalen und originellen Quartierkneipe läuft einiges - nur die Zeit nicht. Die Basler Regierung hat während der dreier Tage den gastronomischen Ausnahmezustand genehmigt, so dürfen auch Patentlose wirten. Die Hedi im Kleinbasel tut das. Die Stube wird zur Beiz im intimen Rahmen, man nennt das «Stuubede»: Wer das erleben möchte, muss mit einem Ohr am Nachbartisch zuhören oder einer Clique nachlaufen, die dann irgendwann verschwindet. Man steht dann verloren da und weiss: Da ist irgendwo eine «Stuubede». Tatsache ist auch, dass man in einer «Stuubede» wie auch in Kleinbasler Beizen und Cliquenkellern günstiger trinkt. Das mit den Preisaufschlägen ist ja immer wieder ein Thema, das Emotionen weckt; man munkelt bereits im Januar, wie teuer der Becher dieses Jahr im «Sperber» ist oder um wieviel der halbe Weisse in der «Kunsthalle» schrumpft. Wer verkehrt in welchen Beizen? Der Filz aus Politik und Kultur sichert sich jeweils einen Tisch in der welchen Beizen? Der Filz aus Politik und Kultur sichert sich jeweils einen Tisch in der «Safranzunft» (Zunft der Krämer) oder der historischen «Schlüsselzunft» (Zunft der Kaufleute), dem Stammlokal der Kuttlebutzer, der auch Jean Tinguely angehörte. Der Basler «Daig» verkehrt in der Bar im Hotel «Drei Könige». Oder zieht sich im Trubel mit einer Geliebten oder einem Lustknaben in die Gemächer zurück, wird gemunkelt. Populär und bodenständig ist es im «Braunen Mutz» am Barfüsserplatz. Eng zusammengepfercht, schlürft man eine Mehlsuppe. Hier ist selbst die fasnächtliche Sünde erlaubt, keinen Weissen, dafür aber einen Becher Bier zu bestellen. Auch wenn es mit dem Service gelegentlich hapert, das mit dem Bier, der Temperatur, das haben sie im Griff. Gleich vis-á-vis ist das «Café des Arts», der Weg durchs fasnächtliche Menschendickicht des Barfüsserplatzes ist mühsam, lohnt sich aber. Im «Café des Arts» ist die Fasnacht weniger steif und traditionell - trotzdem mit hohem Prominenzfaktor. Kulinarisch setzt das «Café des Arts» während der Fasnacht neben der obligaten Mehlsuppe auf Speck und Sauerkraut - auch als Bekenntnis zum elsässischen Einfluss auf die Basler Fasnacht; der Waggis ist nichts anderes als eine Persiflage auf den Elsässer. Durch die zentrale Lage und weil praktisch rund um die Uhr offen, ist das «Café des Arts» Treffpunkt für einiges an seltsamen Nachtschattengewächsen. Die Basler Barlegende Schoppe-Rutli hält den Wagen gekonnt auf den Schienen. Währschaft ist die «Walliserkanne» in der Gerbergasse. Die Beiz hat seit ihrer Renovation an Format gewonnen und ist vom käsig-miefigen Fonduestübli-Image weggekommen. Am Andreasplatz versucht sich eine andere Fasnacht. Alljährlich trommeln sich Perkussionisten in Ekstase - verkannte und echte. Kein GuggenRambazamba, dafür Samba. Die einen haben den Rhythmus, andere trommeln verloren vor sich hin - macht nichts. Dabeisein ist alles. Und sonst bietet sich die «Hasenburg» als rettende Insel an, eine weitere Beizenlegende. Dunkel und geheimnisvoll ist es in den Gassen um die «Hasenburg». Silhouetten verschwinden in Cliquenkellern, und die sind - entgegen Gerüchten - öffentlich. Eines der schönsten Exemplare ist der «Dupfclub»-Keller. Von aussen leicht zu übersehen, führt eine mörderisch steile Treppe in den Keller. Wer Glück hat, findet einen Sitzplatz und wird in der fasnächtlichen Unterwelt dahintreiben. Und sonst verwandelt sich eben einiges in Gastronomie. Obwohl die Fasnacht eine sehr traditionelle Sache ist, wird sie immer wieder neu interpretiert. Johann Wanner vom gleichnamigen Weihnachtsschmuck-Geschäft verwandelt seinen Präsentationsraum neben dem «Gifthüttli» in eine einmalig kitschige Mischung aus Weih- und Fasnacht. In Kitsch und Exzentrik kaum zu schlagen ist die «Schluckstube» vom Paradiesvogel Hansjörg Bürgin beim Rümelinsplatz. Eigentlich schon ein Reservat der Bohème. Die Fasnacht sie polarisiert. Die einen wollen sie konservieren. Andere wollen sie öffnen. Interessantes Detail: Was vor einem halben Jahrhundert verpönt war, ist heute etabliert. «Schnitzelbängge» beispielsweise. Man denkt, die Basler hätten ihre Fasnacht am liebsten für sich alleine - ohne Gaffer mit anderen Dialekten, die nach Faschingsabzeichen fragen, wenn sie eine «Blagette» wollen. Als ihr Ritual, um die winterlichen Geister zu vertreiben, die in Basel tatsächlich etwas anders geistern als anderswo. Irgendwie geniessen sie es trotzdem, dass sich während der Fasnacht alle Augen auf Basel richten. Wer macht denn nicht gerne die beste Fasnacht? Mehlsuppe I Originalrezept «Zum Braunen Mutz»: Drei Kilo Kalbsknochen in heissem Wasser aufkochen, mit Wasser abspülen. Anschliessend zehn Liter Wasser aufkochen und die Kalbsknochen mit Bouquet garni ca. sechs Stunden leicht kochen. 500 Gramm Mehl in einer Pfanne hellbraun rösten und erkalten lassen. Ein Kilo Zwiebeln fein hacken und in Fettstoff dünsten, mit dem Kalbsfond ablöschen und aufkochen, Röstmehl mit einem Liter Rotwein glattrühren und in den Fond geben. Unter ständigem Rühren aufkochen und vier Stunden leicht kochen lassen. Fond geben. Unter ständigem Rühren aufkochen und vier Stunden leicht kochen lassen. Abschmecken. Reibkäse dazu. Mehlsuppe II Originalrezept des Dupfclubchäller: «Acht, neun Liter Wasser, ein Liter Rotwein, Kalbsknochen und Kalbsfüsse. Dieses Gemisch wird während der Sitzung aufgekocht. Rund 30 Minuten. Ein Kilo Fertigmehlsuppe von Knorr dazu. Weiterkochen lassen.» Diese Suppe ist ein reines Laienrezept, weil, so die Clique, sich unter ihnen kein Profikoch befindet. Francis Müller ist Redaktor bei «Salz & Pfeffer», «Salz & Technik», «Cigar» und Chefredaktor von «Portrait & Konzepte», dem Jahrbuch der neuen Gastronomie Keystone Bild: Der Schein kann trügen: So bieder muss die Basler Fasnacht nicht sein