2 BvL 42/93 - Berliner Kampagne gegen Hartz IV

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2 BvL 42/93 - Berliner Kampagne gegen Hartz IV
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Gericht:
BVerfG 2. Senat
Entscheidungsname: Kinderexistenzminimum I
Entscheidungsdatum: 10.11.1998
Aktenzeichen:
2 BvL 42/93
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen: Art 3 Abs 1 GG, Art 6 Abs 1 GG, Art
1 Abs 1 GG, Art 20 Abs 1 GG, § 32
Abs 6 EStG vom 26.06.1985, Art 1
Nr 8 StSenkG 1986/88, § 163 AO
1977, § 227 AO 1997, Art 100 Abs
1 GG
Diese Entscheidung hat
Gesetzeskraft.
Partielle Verfassungswidrigkeit des Kinderfreibetrags nach EStG § 32 Abs 6 F: 1985-06-26 für
VZ 1987: existenznotwendiger Bedarf als Untergrenze für Zugriff durch Einkommensteuer horizontale Steuergleichheit - Ermittlung des für das Existenzminimum maßgeblichen
Wohnbedarfswertes nach der Mehrbedarfsmethode - verfassungsrechtlich gebotene
Änderung zur Behebung der Benachteiligung der betroffenen Steuerpflichtigen
Leitsatz
1. Art 6 Abs 1 GG gebietet, bei der Besteuerung einer Familie das Existenzminimum
sämtlicher Familienmitglieder steuerfrei zu belassen:
a) Dabei bildet das sozialhilferechtlich definierte Existenzminimum die Grenze für das
einkommensteuerliche Existenzminimum, die über-, aber nicht unterschritten werden darf.
b) Das einkommensteuerliche Existenzminimum ist für alle Steuerpflichtigen - unabhängig
von ihrem individuellen Grenzsteuersatz - in voller Höhe von der Einkommensteuer
freizustellen.
c) Der Wohnbedarf ist nicht nach der Pro-Kopf-Methode, sondern nach dem Mehrbedarf
zu ermitteln.
Orientierungssatz
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1. Die Vorlage, die die Frage betrifft, ob die durch Kindergeld und einkommensteuerliche
Kinderfreibeträge gewährte Entlastung des Unterhalts für ein Kind im
Veranlagungszeitraum 1987 den verfassungsrechtlichen Anforderungen (vgl insbesondere
BVerfG, 1990-05-29, 1 BvL 20/84, BVerfGE 82, 60 <Verfassungswidrigkeit der
Kindergeldkürzung und Steuerfreiheit des Existenzminimums> und 1990-06-12, 1 BvL
72/86, BVerfGE 82, 198 <Verfassungswidrigkeit zu niedriger Kinderfreibeträge>)
entspricht, ist zulässig und hinreichend begründet (vgl BVerfG, 1983-11-29, 2 BvL 18/82,
BVerfGE 65, 308 <316>).
2. Aus GG Art 1 iVm Art 20 Abs 1 ergibt sich, daß der Staat dem Steuerpflichtigen sein
Einkommen insoweit steuerfrei belassen muß, als es zur Schaffung der
Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein benötigt wird (vgl BVerfGE 82,
60 <85>). Der existenznotwendige Bedarf bildet von Verfassungs wegen die Untergrenze
für den Zugriff durch die Einkommensteuer (vgl BVerfG, 1992-09-25, 2 BvL 5/91, BVerfGE
87, 153 <169> - Grundfreibetrag im Einkommensteuerrecht).
3. Weiterhin gebietet der Gleichheitssatz in seiner Ausprägung als "horizontale
Steuergleichheit", Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu
besteuern (vgl BVerfGE 82, 60 <89f>). Eine verminderte Leistungsfähigkeit durch
Unterhaltsverpflichtung gegenüber einem Kind muß dementsprechend in diesem Vergleich
sachgerecht berücksichtigt werden.
4. Die Untergrenze der existenzsichernden Aufwendungen werden durch die
Sozialhilfeleistungen konkretisiert, die das im Sozialstaat anerkannte Existenzminimum
gewährleisten sollen. Mindestens das, was der Gesetzgeber dem Bedürftigen zur
Befriedigung seines existenznotwendigen Bedarfs aus öffentlichen Mitteln zur Verfügung
stellt, muß er auch dem Einkommensbezieher von dessen Erwerbsbezügen belassen (vgl
BVerfGE 87, 153 <171>).
5. Die grundlegenden verfassungsrechtlichen Fragen zu Grund und Höhe der von
Verfassungs wegen gebotenen Berücksichtigung von Kinderunterhaltsaufwendungen sind
durch die Entscheidungen des BVerfG (BVerfGE 82, 60; 87, 153) im wesentlichen geklärt.
Allerdings besteht in bezug auf die Methode, wie die vom Gesetzgeber steuerfrei zu
belassenden Unterhaltsaufwendungen für das Existenzminimum von Kindern zu
berechnen sind, noch ein Klarstellungsbedarf.
5a. Drei Teilgrößen - die Ermittlungstechnik für den Wohnbedarf, die 15 %Toleranzgrenze und der vergleichserhebliche Grenzsteuersatz - beeinflussen die Höhe des
Kinderexistenzminimums: Die Höhe des Wohnbedarfs bestimmt die Bedarfszahlen
insgesamt, der anzuwendende Grenzsteuersatz bestimmt bei der Umrechnung des
Kindergeldes in einen Kinderfreibetrag unmittelbar die Höhe des gesetzlich zu
berücksichtigenden Bedarfs, die Toleranzgrenze eröffnet für die Frage der
Verfassungsmäßigkeit einen Beurteilungsrahmen.
5aa. Der Wohnbedarf ist nicht nach der Pro-Kopf-Methode, sondern nach dem Mehrbedarf
zu ermitteln. Die Mehrbedarfsrechnung, nach der gegenwärtig auch der Gesetzgeber den
einkommensteuerlichen Kinderfreibetrag bemiß, erfaßt in typisierter Form den
tatsächlichen zusätzlichen Aufwand für den Wohnbedarf.
5bb. Die Bedarfsgrößen zur Feststellung der Existenzminima sind jeweils nur statistisch
belegte Mindestbeträge, die aufgrund des ständig gestiegenen Bedarfs in den
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vergangenen Jahren nicht mehr unterschritten werden dürfen.
5cc. Das Gebot, bei allen Steuerpflichtigen unabhängig von ihrem individuellen
Grenzsteuersatz die existenznotwendigen Mindestaufwendungen für Kinderunterhalt in
der Bemessungsgrundlage zu berücksichtigen, folgt auch aus dem Grundsatz der
Folgerichtigkeit (vgl BVerfG, 1995-06-22, 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121 <136>). Dem
Gesetzgeber ist es zwar grundsätzlich freigestellt, die kindesbedingte Minderung der
Leistungsfähigkeit entweder im Steuerrecht zu berücksichtigen, ihr stattdessen im
Sozialrecht durch die Gewährung eines ausreichenden Kindergeldes Rechnung zu tragen
oder auch eine Entlastung im Steuerrecht und durch das Kindergeldrecht miteinander zu
kombinieren (vgl BVerfGE 82, 60 <84>). Die jeweiligen Ergebnisse aus den verschiedenen
Methoden müssen jedoch in ihren Auswirkungen gleichwertig sein.
5b. Wird bei der Berechnung der Höhe des existenznotwendigen Mindestbedarfs unter
Zugrundelegung der Mehrbedarfsmethode der Mindestbedarf für alle Steuerpflichtigen ungeachtet ihres Grenzsteuersatzes - von Verfassungs wegen voll berücksichtigt und auch
keine Toleranzgrenze eingeräumt, so beträgt der existenznotwendige Mindestbedarf eines
Kindes im Veranlagungszeitraum 1987 4.416 DM pro Kind und Jahr.
5c. Diesem von Verfassungs wegen zu berücksichtigenden Existenzminimum in Höhe von
4.416 DM steht nach der zur verfassungsrechtlichen Prüfung gestellten Gesetzeslage eine
durch EStG § 32 Abs 6 idF des Steuersenkungsgesetzes 1986/88 von 1985-06-26 und das
Sozialrecht anerkannter Mindestbedarf zwischen 3.555 DM und 4.484 DM gegenüber.
5d. Die zur Überprüfung vorgelegte Vorschrift des EStG § 32 Abs 6 idF des StSenkG
1986/88 war in seiner Anwendung auf den Veranlagungszeitraum 1987 insoweit mit GG
Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 unvereinbar, als danach Eltern mit einem Kind nur einen
Kinderfreibetrag von zusammen 2.484 DM beanspruchen konnten.
6. Die verfassungsrechtliche Überprüfung der einkommensteuerrechtlichen und
kindergeldrechtlichen Normen führt zu dem Ergebnis, daß diese in ihrem
Zusammenwirken und der dadurch erreichten Gesamtberücksichtigung des
Kinderexistenzminimums den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genügen. Der
verfassungsrechtlich erhebliche Mangel kann seine Ursache damit sowohl in einem zu
geringen Kinderfreibetrag als auch in einem zu niedrig bemessenen Kindergeld haben.
7. Das vorlegende Gericht (BFH) wird nun zu prüfen haben, ob es die Einkommensteuer
auch ohne gesetzliche Änderung des EStG § 32 Abs 6 F: 1985-06-26 entsprechend AO
1977 §§ 163, 227 festsetzen kann.
Zu in Einzelfällen verfassungsrechtlich veranlaßten Billigkeitsmaßnahmen vgl BVerfG, 197804-05, 1 BvR 117/73, BVerfGE 48, 102 <116>.
8. In jedem Fall steht es dem Gesetzgeber frei, die verfassungsrechtlich gebotene
Änderung durch eine Anhebung des einkommensteuerlichen Kinderfreibetrages, durch
eine Anhebung des Kindergeldes oder durch eine anderweitige Ausgleichsregelung
vorzunehmen (vgl BVerfGE 82, 60 <97>; 82, 198 <208>).
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Fundstellen
BStBl II 1999, 174 (Leitsatz und Gründe)
BVerfGE 99, 246-268 (Leitsatz und Gründe)
BGBl I 1999, 142
NJW 1999, 561-564 (Leitsatz und Gründe)
WM 1999, 238-242 (Leitsatz und Gründe)
DB 1999, 186-191 (Leitsatz und Gründe)
DStRE 1999, 90-96 (Leitsatz und Gründe)
FR 1999, 139-145 (Leitsatz und Gründe)
EuGRZ 1999, 81-88 (Leitsatz und Gründe)
DVBl 1999, 389-391 (Leitsatz und Gründe)
FamRZ 1999, 291-295 (Leitsatz und Gründe)
Information StW 1999, 189-192 (Leitsatz und Gründe)
DStZ 1999, 223-226 (Leitsatz und Gründe)
ZfJ 1999, 116-118 (red. Leitsatz und Gründe)
HFR 1999, 218-221 (Leitsatz und Gründe)
GStB 1999, Nr 3, 75-78 (Leitsatz und Gründe)
AktStR 1999, 161-163 (Gründe)
StRK EStG 1975 Allg. R.147 (red. Leitsatz und Gründe)
KFR F 3 EStG § 32, 2/99, S 131 (H 4/1999) (Leitsatz und Gründe)
NDV-RD 1999, 23-25 (Leitsatz und Gründe)
WuB X § 32 EStG 1.99 (Leitsatz und Gründe)
FuR 1999, 123-132 (Leitsatz und Gründe)
JZ 1999, 721-723 (Leitsatz und Gründe)
EzFamR GG Art 6 Nr 48 (Leitsatz und Gründe)
EzFamR EStG §§ 32, 32a, 32b, 32c, 32d Nr 3 (Leitsatz und Gründe)
weitere Fundstellen
GStB 1999, Nr 2, 35-36 (Kurzwiedergabe)
StE 1999, 66 (Leitsatz)
ArbuR 1999, 61 (Kurzwiedergabe)
Mitt NWStGB 1999, 35 (red. Leitsatz)
NJWE-FER 1999, 101 (Leitsatz)
ZfPR 1999, 58 (Leitsatz)
ZBR 1999, 141-142 (Leitsatz)
VwRR BY 1999, 193 (Leitsatz)
ZBR 1999, 178-179 (Leitsatz)
ASP 1999, Nr 3/4, 62 (Kurzwiedergabe)
UPR 1999, 233 (Leitsatz)
ZfJ 1999, 446 (Leitsatz)
Verfahrensgang
vorgehend BFH 3. Senat, 16. Juli 1993, Az: III R 206/90, Vorlagebeschluss
nachgehend BFH 6. Senat, 29. Januar 1999, Az: VI R 176/90
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Diese Entscheidung wird zitiert
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Vergleiche FG München 12. Senat, 23. Januar 2001, Az: 12 K 5096/97
Vergleiche Hessisches Finanzgericht 11. Senat, 15. Januar 2001, Az: 11 K 4503/00
Vergleiche BFH 11. Senat, 20. Dezember 2000, Az: XI R 41/99
Vergleiche Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht 2. Senat, 6. Dezember 2000, Az: II 471/94
Vergleiche FG München 6. Senat, 21. November 2000, Az: 6 K 3102/98
Vergleiche FG Nürnberg 4. Senat, 9. November 2000, Az: IV 126/2000
Vergleiche FG Münster 2. Senat, 27. Oktober 2000, Az: 2 K 2415/96 Kg
Vergleiche BFH 6. Senat, 24. Oktober 2000, Az: VI R 65/99
Vergleiche BFH 6. Senat, 21. Juli 2000, Az: VI R 153/99
Vergleiche BFH 11. Senat, 10. Juli 2000, Az: XI B 131/99
Vergleiche BFH 10. Senat, 14. Juni 2000, Az: X R 111/98
Vergleiche Finanzgericht Rheinland-Pfalz 1. Senat, 14. Juni 2000, Az: 1 K 2442/99
Vergleiche Finanzgericht Rheinland-Pfalz 1. Senat, 14. Juni 2000, Az: 1 K 2438/99
Vergleiche BFH 9. Senat, 31. Mai 2000, Az: IX R 50, 51/97
Vergleiche BFH 10. Senat, 29. Mai 2000, Az: X B 128/99
Vergleiche Niedersächsisches Finanzgericht 6. Senat, 9. Mai 2000, Az: 6 K 486/97 Ki
Vergleiche Hessisches Finanzgericht 11. Senat, 28. März 2000, Az: 11 K 532/98
im Text BFH 10. Senat, 14. März 2000, Az: X R 46/99
Vergleiche Finanzgericht Baden-Württemberg 8. Senat, 9. März 2000, Az: 8 K 276/97
Vergleiche BFH 6. Senat, 14. Januar 2000, Az: VI B 13/98
im Text BFH 3. Senat, 17. Dezember 1999, Az: III B 66/99
Vergleiche Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern 1. Senat, 15. Dezember 1999, Az: 1 K
640/98
Vergleiche BFH 10. Senat, 1. Dezember 1999, Az: X B 9/98
im Text BFH 9. Senat, 30. November 1999, Az: IX R 70/96
Vergleiche Finanzgericht Baden-Württemberg 2. Senat, 24. November 1999, Az: 2 K 265/96
Vergleiche BFH 6. Senat, 29. Oktober 1999, Az: VI R 53/99
Vergleiche BFH 6. Senat, 20. Oktober 1999, Az: VI B 184/96
Vergleiche FG Münster 10. Senat, 20. Oktober 1999, Az: 10 K 4555/99 E
Vergleiche BFH 9. Senat, 19. Oktober 1999, Az: IX R 39/99
Vergleiche FG Münster 4. Senat, 18. Oktober 1999, Az: 4 K 7821/97 E
Vergleiche BFH 9. Senat, 15. Oktober 1999, Az: IX R 84/95
Vergleiche FG Berlin 3. Senat, 15. Oktober 1999, Az: 3 K 3488/98
Vergleiche FG Nürnberg 6. Senat, 13. Oktober 1999, Az: VI 212/99
Vergleiche BFH 6. Senat, 11. Oktober 1999, Az: VI B 276/98
Vergleiche Hessisches Finanzgericht 11. Senat, 28. September 1999, Az: 11 K 59/94
Vergleiche BFH 6. Senat, 23. September 1999, Az: VI R 114/99
Vergleiche BFH 6. Senat, 23. September 1999, Az: VI B 24/98
Vergleiche BFH 10. Senat, 20. September 1999, Az: X B 54/99
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Vergleiche BFH 6. Senat, 16. September 1999, Az: VI B 52/99
Vergleiche Hessisches Finanzgericht 2. Senat, 16. September 1999, Az: 2 K 2795/99
im Text BFH 9. Senat, 16. September 1999, Az: IX R 42/97
Vergleiche BVerwG 11. Senat, 10. September 1999, Az: 11 BN 2/99
Vergleiche BVerfG 1. Senat 3. Kammer, 23. August 1999, Az: 1 BvR 2164/98
Vergleiche BFH 6. Senat, 23. August 1999, Az: VI B 66/99
Vergleiche Niedersächsisches Finanzgericht 7. Senat, 20. Juli 1999, Az: VII 471/98 Ki
im Text Niedersächsisches Finanzgericht 7. Senat, 20. Juli 1999, Az: VII 703/97 Ki
Vergleiche Finanzgericht Baden-Württemberg 2. Senat, 6. Juli 1999, Az: 2 K 184/97
Vergleiche Finanzgericht Baden-Württemberg 2. Senat, 24. Juni 1999, Az: 2 V 16/99
Vergleiche FG Nürnberg 6. Senat, 21. Juni 1999, Az: VI 82/1999
Vergleiche BFH 6. Senat, 18. Juni 1999, Az: VI B 111/97
Vergleiche BFH, 10. Juni 1999, Az: VI B 74/94
Vergleiche BFH 6. Senat, 10. Juni 1999, Az: VI B 74/97
Vergleiche FG München 13. Senat, 25. Mai 1999, Az: 13 K 677/99
im Text BFH 11. Senat, 19. Mai 1999, Az: XI R 120/96
Vergleiche BFH 6. Senat, 4. Mai 1999, Az: VI B 9/98
Vergleiche BFH 6. Senat, 28. April 1999, Az: VI B 12/98
Vergleiche BFH 6. Senat, 28. April 1999, Az: VI B 4/98
Vergleiche BFH 6. Senat, 29. März 1999, Az: VI B 249/98
im Text BFH 11. Senat, 10. März 1999, Az: XI R 86/95
Vergleiche Finanzgericht Rheinland-Pfalz 3. Senat, 5. März 1999, Az: 3 K 1769/97
Vergleiche Finanzgericht Rheinland-Pfalz 3. Senat, 5. März 1999, Az: 3 K 2176/97
Vergleiche BFH 10. Senat, 24. Februar 1999, Az: X R 171/96
Vergleiche FG Münster 13. Senat, 24. Februar 1999, Az: 13 K 7328/98 E
Vergleiche Finanzgericht Baden-Württemberg 14. Senat, 18. Februar 1999, Az: 14 K 58/97
Vergleiche Niedersächsisches Finanzgericht 5. Senat, 4. Februar 1999, Az: V 111/98 Ki
Vergleiche BFH 6. Senat, 29. Januar 1999, Az: VI R 176/90
Vergleiche BFH 6. Senat, 29. Januar 1999, Az: VI R 14/99
Vergleiche BFH 6. Senat, 29. Januar 1999, Az: VI R 15/99
Vergleiche BFH 10. Senat, 16. Dezember 1998, Az: X R 68/98
Vergleiche BFH 10. Senat, 2. Dezember 1998, Az: X R 9/96
Vergleiche BFH 10. Senat, 2. Dezember 1998, Az: X R 48/97
Vergleiche FG Köln 11. Senat, 2. Dezember 1998, Az: 11 K 6547/96
Vergleiche BVerfG 2. Senat, 10. November 1998, Az: 2 BvR 1852/97
Vergleiche BVerfG 2. Senat, 10. November 1998, Az: 2 BvR 1220/93
Verwaltungsvorschriften
Vergleiche VV HA OFD Hamburg 2000-11-22 S 2282-10/00-St 32
Vergleiche VV NW FinMin 1999-01-26 S 0338-8-V C 2
Vergleiche VV ST FinMin 1999-01-29 41-S 0338-19
Vergleiche VV RP OFD Koblenz 1999-02-05 S 2282 A-St 33 1
Vergleiche VV DEU BMF 1999-12-30 IV D 6-S 0338-107/99
Vergleiche VV DEU BMF 2000-03-14 IV C 4-S 2282 a-35/00
Vergleiche VV BY OFD Nürnberg 2000-02-25 S 0338-70/St 24
Vergleiche VV NW FinMin 1998-08-00 S 0338
Vergleiche VV HE OFD Frankfurt 2000-03-08 S 0338 A-2-St II 40
Vergleiche VV HA OFD Hamburg 1999-12-21 S 2282 a-7/99-St 323
Vergleiche VV BW OFD Karlsruhe 2000-07-01 S 0338
Anwendung VV RP OFD Koblenz 1995-12-15 S 0338 A-St 53 3
Vergleiche VV BY OFD München 2001-08-23 S 0338-18 St 312
Vergleiche VV ST OFD Magdeburg 2001-07-02 S 0338-8-St 313 a
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Vergleiche
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RP OFD Koblenz 1995-12-15 S 0338 A-St 53 3
BW OFD Karlsruhe 2001-08-01 S 0338
ST OFD Magdeburg 2002-08-01 S 0338-8-St 313 a
BW OFD Karlsruhe 2002-08-01 S 0338
HE OFD Frankfurt 2002-07-18 S 0338 A-2-St II 40
BY OFD München 2002-12-02 S 0338-18 St 312
DEU BMF 2003-01-30 IV C 4-S 2282 a-5/03
ST OFD Magdeburg 2002-10-30 S 0338-8-St 313 a
NW FinMin 2002-10-01 S 0338
BW OFD Karlsruhe 2002-12-01 S 0338
BR FinSen 2003-01-30 S 2282-5427-114
NW FinMin 2003-08-01 S 0338 I
BW OFD Stuttgart 2003-05-01 S 0338
HE OFD Frankfurt 2003-04-03 S 0338 A-2-St II 44
BW OFD Stuttgart 2003-07-01 S 0338
BW OFD Stuttgart 2003-08-01 S 0338
ST OFD Magdeburg 2003-08-18 S 0338-8-St 252
BW OFD Stuttgart 2003-10-01 S 0338
BY OFD München 2003-11-07 S 0338-18 St 312
RP OFD Koblenz 2003-06-27 S 0338 A-St 53 3
ST OFD Magdeburg 2004-03-25 S 0338-8-St 252
ST OFD Magdeburg 2004-05-14 S 0338-8-St 252
NW FinMin 2004-11-01 S 0338 I
BY OFD München 2005-02-09 S 0338-18 St 312
BW OFD Karlsruhe 2005-01-01 S 0338
BY LfSt 2005-11-09 S 0338-4 St 41M
BW OFD Karlsruhe 2006-03-01 S 0338
BY LfSt 2006-03-02 S 0338-4 St41M
ST OFD Magdeburg 2004-09-02 S 0338-8-St 252
ST OFD Magdeburg 2004-11-23 S 0338-8-St 252
RP OFD Koblenz 2005-03-18 S 2282a A
BW OFD Karlsruhe 2005-07-01 S 0338
BW OFD Karlsruhe 2005-08-02 S 0338
BY LfSt 2006-04-05 S 0338-4 St41M
BY LfSt 2005-08-05 S 0338-4 St 41 M
ST OFD Magdeburg 2005-02-03 S 0338-8-St 252
BY OFD München 2005-04-22 S 0338-18 St 312
ST OFD Magdeburg 2005-04-08 S 0338-4-St 252
BW OFD Karlsruhe 2005-12-01 S 0338
BY LfSt 2006-12-21 S 0338-4 St41M
NW FinMin 2007–03–26 S 0338
DEU BMF 2007-05-04 IV A 7-S 0623/07/0002
BY LfSt 2007-05-04 S 0338-4 St41M
Literaturnachweise
Dieter Steinhauff, jurisPR-SteuerR 19/2004 Anm. 6 (Anmerkung)
Friederike Grube, jurisPR-SteuerR 41/2006 Anm. 5 (Anmerkung)
Uwe Berlit, jurisPR-SozR 8/2007 Anm. 2 (Anmerkung)
Bernd Heuermann, BB 1999, 660-665 (Entscheidungsbesprechung)
Bernd Heuermann, BB 1999, 660-665 (Entscheidungsbesprechung)
Klaus Olbing, Brennpunkte der Steuerberatung 2000, 95-97 (Beratungsakzente 31) (Aufsatz)
Peter Glanegger, DStR 1999, 311-313 (Aufsatz)
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Heinz-Gerd Horlemann, DStR 1999, 397-403 (Aufsatz)
XX, DStZ 1999, 226 (Anmerkung)
Walter Frenz, DStZ 1999, 465-472 (Aufsatz)
Hans Bernhard Brockmeyer, DStZ 1999, 666-672 (Aufsatz)
Irene Gerlach, Ehe und Familie in der Steuerrechts- und Sozialordnung 2006, 1-23
(Kongressvortrag)
Helmut Büttner, FamRZ 1999, 893-896 (Aufsatz)
Bernhard Paus, FR 1999, 1354-1357 (Aufsatz)
Hans-Joachim Kanzler, FR 1999, 148-150 (Anmerkung)
Klaus-Dieter Drüen, FR 1999, 289-294 (Aufsatz)
Hans-Joachim Kanzler, FR 1999, 512-517 (Entscheidungsbesprechung)
Gisela Niemeyer, FuR 1999, 100-101 (Entscheidungsbesprechung)
Gisela Niemeyer, FuR 1999, 97-101 (Aufsatz)
XX, GStB 1999, Nr 2, 36 (Anmerkung)
Friedrich H Harenberg, GStB 1999, Nr 3, 76-77 (Anmerkung)
Bernhard Paus, Information StW 1999, 257-261 (Aufsatz)
Gisela Lindemann-Hinz, jurisPR-FamR 2/2005 Anm 3 (Anmerkung)
Moris Lehner, JZ 1999, 726-729 (Anmerkung)
W Bergkemper, KFR F 3 EStG § 32, 2/99, S 132-134 (H 4/1999) (Anmerkung)
W Bergkemper, KFR F 3 EStG § 32, 3/99, S 161-162 (H 5/1999) (Anmerkung)
Heinz-Josef Nüssgens, LSW Gruppe 19, 25-34 (4/1999) (Aufsatz)
XX, LSW Gruppe 2, 41-47 (2/1999) (Entscheidungsbesprechung)
Hans-Peter Schneider, NJW 1999, 1303-1305 (Entscheidungsbesprechung)
Bernd Sangmeister, NJW 1999, 3026-3028 (Entscheidungsbesprechung)
Klaus Korn, NWB Aktuelles, 356-358 (5/1999) (Aufsatz)
Martin Werding, RdJB 2000, 410-420 (Aufsatz)
Heide Preuße, RdJB 2000, 420-439 (Aufsatz)
Heinz-Josef Nüssgens, SozSich 1999, 185-189 (Aufsatz)
Hans-Peter Schneider, Stbg 1999, 109-113 (Aufsatz)
Richard Dietz, Stbg 1999, 570-571 (Aufsatz)
Klaus Strohner, StuB 1999, 239-244 (Entscheidungsbesprechung)
Christoph Gröpl, StuW 2001, 150-167 (Aufsatz)
Bernd Sangmeister, StuW 2001, 168-187 (Entscheidungsbesprechung)
XX, StWK Gruppe 4, 545-550 (3/1999) (Entscheidungsbesprechung)
H-J Nüssgens, StWK Gruppe 4, 563-570 (7/1999) (Aufsatz)
Karl-Georg Loritz, WuB X § 32 EStG 1.99 (Anmerkung)
Praxisreporte
Gisela Lindemann-Hinz, jurisPR-FamR 2/2005 Anm 3 (Anmerkung)
Uwe Berlit, jurisPR-SozR 8/2007 Anm. 2 (Anmerkung)
Dieter Steinhauff, jurisPR-SteuerR 19/2004 Anm. 6 (Anmerkung)
Friederike Grube, jurisPR-SteuerR 41/2006 Anm. 5 (Anmerkung)
Diese Entscheidung zitiert
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Rechtsprechung
Vergleiche BVerfG 2. Senat, 22. Juni 1995, Az: 2 BvL 37/91
Vergleiche BVerfG 2. Senat, 25. September 1992, Az: 2 BvL 5/91
Vergleiche BVerfG 1. Senat, 12. Juni 1990, Az: 1 BvL 72/86
Vergleiche BVerfG 1. Senat, 29. Mai 1990, Az: 1 BvL 20/84
Vergleiche BVerfG, 29. November 1983, Az: 2 BvL 18/82
Vergleiche BVerfG 1. Senat, 5. April 1978, Az: 1 BvR 117/73
Tenor
§ 32 Absatz 6 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung des Steuersenkungsgesetzes
1986/1988 vom 26. Juni 1985 (Bundesgesetzbl. I Seite 1153) war in seiner Anwendung
auf den Veranlagungszeitraum des Jahres 1987 mit Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit
Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes insoweit unvereinbar, als danach Eltern mit einem
Kind nur einen Kinderfreibetrag von zusammen 2.484 Deutsche Mark beanspruchen
konnten.
Gründe
A.
1
Die Vorlage betrifft die Frage, ob die durch Kindergeld und einkommensteuerliche
Kinderfreibeträge gewährte Entlastung des Unterhalts für ein Kind im
Veranlagungszeitraum 1987 den verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht, wie sie
insbesondere in den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Mai 1990
(BVerfGE 82, 60) und vom 12. Juni 1990 (BVerfGE 82, 198) dargestellt worden sind.
I.
2
Zum Ausgleich der allgemeinen Belastungen, die mit dem Unterhalt von Kindern
verbunden sind, werden Eltern einkommensteuerliche Kinderfreibeträge und Kindergeld
nach dem sog. dualen System (vgl. BVerfGE 82, 60 <78 f.> mit Hinweis auf BTDrucks
9/2140, S. 66) gewährt.
3
1. § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG i.d.F. des Steuersenkungsgesetzes 1986/1988 vom 26. Juni
1985 (BGBl I S. 1153) sah für jedes zu berücksichtigende Kind des Steuerpflichtigen einen
Kinderfreibetrag in Höhe von 1.242 DM vor. Bei Ehegatten, die nach §§ 26, 26b EStG
zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden, verdoppelte sich der gemeinsame
Kinderfreibetrag nach § 32 Abs. 6 Satz 2 EStG auf 2.484 DM. Der Kinderfreibetrag wurde
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in dieser Höhe auch gewährt, wenn bei einem unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen
Elternpaar die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG - Zusammenveranlagung nicht vorlagen, ein Elternteil aber die Übertragung des Kinderfreibetrages des anderen
Elternteils auf sich beantragte und der andere Elternteil diesem Antrag zustimmte (§ 32
Abs. 6 Satz 4 EStG).
4
§ 32 Abs. 6 hatte im Veranlagungszeitraum 1987 folgende Fassung:
5
Ein Kinderfreibetrag von 1242 Deutsche Mark wird für jedes zu berücksichtigende Kind
des Steuerpflichtigen vom Einkommen abgezogen. Bei Ehegatten, die nach den §§ 26,
26b zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden, wird ein Kinderfreibetrag von
2484 Deutsche Mark abgezogen, wenn das Kind zu beiden Ehegatten in einem
Kindschaftsverhältnis steht. Ein Kinderfreibetrag von 2484 Deutsche Mark wird auch
abgezogen, wenn
6
1. der andere Elternteil vor dem Beginn des Kalenderjahrs verstorben ist oder während
des ganzen Kalenderjahrs nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtig gewesen ist oder
7
2. der Steuerpflichtige allein das Kind angenommen hat oder das Kind nur zu ihm in
einem Pflegekindschaftsverhältnis steht.
8
Abweichend von Satz 1 wird bei einem unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen
Elternpaar, bei dem die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 Satz 1 nicht vorliegen, auf
Antrag eines Elternteils der Kinderfreibetrag des anderen Elternteils auf ihn übertragen,
wenn er seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem Kind für das Kalenderjahr
nachkommt, der andere Elternteil jedoch nicht oder nur zu einem unwesentlichen Teil,
oder wenn der andere Elternteil dem Antrag zustimmt; die Zustimmung kann nicht
widerrufen werden.
9
2. Das Kindergeld für das erste Kind betrug gemäß § 10 Abs. 1 des
Bundeskindergeldgesetzes in der für den Veranlagungszeitraum 1987 geltenden Fassung
der Bekanntmachung vom 21. Januar 1986 50 DM (zur Rechtsentwicklung vgl. BVerfGE
43, 108 <109 f.>; 82, 60 <61 f.>; 91, 93 <94 ff.>).
II.
10
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Der Kläger des Ausgangsverfahrens wurde im Streitjahr 1987 einzeln zur
Einkommensteuer veranlagt. Das Finanzamt berücksichtigte für den Sohn des Klägers
einen Kinderfreibetrag in Höhe von 2.484 DM, den der Kläger mit Zustimmung des
anderen Elternteils beantragt hatte.
11
Mit seinem Einspruch begehrte der Kläger die Berücksichtigung eines höheren
Kinderfreibetrages. Der Einspruch und die dagegen gerichtete Klage blieben erfolglos.
12
Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter und rügt, daß weder
Grundfreibetrag noch Kinderfreibetrag ausreichten, um sein Existenzminimum und das
seines Sohnes steuerfrei zu belassen. Die Unzulänglichkeit des Kinderfreibetrages ergebe
sich aus den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Mai 1990 und 12. Juni
1990 (BVerfGE 82, 60; 82, 198). Die in diesen Entscheidungen für die Jahre 1983 bis
1985 aufgestellten Grundsätze seien auch für die Folgejahre anzuwenden. Nach dem sog.
Sachstandsbericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages und nach Ansicht
des Bundesfinanzministeriums müsse aufgrund dieser Rechtsprechung die staatliche
Entlastung des Kindesunterhalts auch für die Jahre 1986 und später neu geregelt werden;
danach betrage das Existenzminimum eines Kindes etwa 6.000 DM jährlich.
III.
13
1. Der III. Senat des Bundesfinanzhofs hat das Verfahren ausgesetzt, um eine
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtsgültigkeit des § 32 Abs. 6 EStG
einzuholen. § 32 Abs. 6 EStG sei insoweit mit Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG
unvereinbar, als danach Eltern mit e i n e m Kind nur einen Kinderfreibetrag in Höhe
von insgesamt 2.484 DM beanspruchen könnten.
14
a) Ausgangspunkt der verfassungsrechtlichen Prüfung sei der Grundsatz, daß der Staat
dem Steuerpflichtigen sein Einkommen insoweit steuerfrei belassen müsse, als es zur
Schaffung der Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein, also zur
Sicherung seines Existenzminimums benötigt werde. Aus Art. 6 Abs. 1 GG folge, daß bei
der Besteuerung einer Familie das Existenzminimum sämtlicher Familienmitglieder
steuerfrei bleiben müsse. Auch soweit das Einkommen das Existenzminimum übersteige,
müsse das zur Sicherung des Existenzminimums der Kinder erforderliche Einkommen
steuerfrei bleiben, da anderenfalls Familien mit unterhaltsbedürftigen Kindern gegenüber
sonstigen Familien, gegenüber kinderlosen Ehepaaren und gegenüber kinderlosen
Alleinstehenden benachteiligt würden; das Bundesverfassungsgericht fordere insoweit
ausdrücklich auch eine horizontale Gleichheit. Das Einkommensteuergesetz müsse das
Einkommen in dem Umfang von der Steuer freistellen, in dem Unterhaltsaufwendungen
zur Gewährleistung des Existenzminimums der Kinder erforderlich seien (Hinweis auf
BVerfGE 82, 60 <87 ff.>).
15
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b) Zur Beurteilung der Frage, ob der Staat diesen Anforderungen gerecht werde, müßten
steuerliche Kinderfreibeträge und Kindergeld in ihrem Zusammenwirken berücksichtigt
werden; dazu sei das Kindergeld in einen fiktiven Kinderfreibetrag umzurechnen, mit dem
im Einkommensteuerrecht vorgesehenen Kinderfreibetrag zu addieren und sodann mit
dem Betrag des Existenzminimums zu vergleichen (Hinweis auf BVerfGE 82, 60 <92 ff.>).
16
Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts habe der Gesetzgeber mit der
Wiedereinführung des Kinderfreibetrages die steuerliche Entlastungsfunktion des
Kindergeldes nicht voll beseitigen, sondern lediglich die Rückkehr zu einem dualen System
einleiten wollen. Diesen Weg sei der Gesetzgeber mit dem Erlaß des
Steuersenkungsgesetzes 1986/1988 weitergegangen. Nach der Begründung dieses
Gesetzes könne der Ausgleich des Kindesunterhalts am besten in einem dualen System
verwirklicht werden. Die weitere Stärkung dieses Ausgleichs durch die Anhebung des
Kinderfreibetrages baue das duale System der Kinderentlastung weiter aus (Hinweis auf
BTDrucks 10/2884, S. 95 f.). Diesem Ziel entspreche auch die gleichzeitige Einfügung des
§ 11a in das Bundeskindergeldgesetz, wonach Eltern, die den ihnen nach dem
Einkommensteuergesetz zustehenden Kinderfreibetrag nicht oder nicht voll ausschöpfen
könnten, einen Zuschlag zum Kindergeld erhielten.
17
c) Das steuerfrei zu belassende Existenzminimum dürfe die entsprechenden Leistungen
der Sozialhilfe nicht unterschreiten, die gerade das Existenzminimum gewährleisten
sollten, verbrauchsbezogen ermittelt seien und regelmäßig den steigenden
Lebenshaltungskosten angepaßt würden. Zusätzlich sei ein Zuschlag für die
durchschnittlich gewährten Sonderleistungen anzusetzen (Hinweis auf BVerfGE 82, 60
<93 ff.>).
18
d) Schreibe man diese Grundsätze auf die Verhältnisse des Streitjahres fort, so zeige sich,
daß die steuerliche Gesamtentlastung - bestehend aus einem einkommensteuerlichen
Kinderfreibetrag und einem in einen fiktiven Kinderfreibetrag umgerechneten Kindergeld im Jahre 1987 in einer großen Zahl von Fällen nicht ausreiche, um Eltern mit e i n e
m Kind einen dem Existenzminimum dieses Kindes entsprechenden Einkommensbetrag
steuerfrei zu belassen. Dies folge aus einem Vergleich der Gesamtleistungen der
Sozialhilfe in Höhe von 4.872 DM mit der steuerlichen Gesamtentlastung in Höhe von nur
3.984 DM; die Steuerentlastung bleibe um 888 DM und damit um 18 % evident hinter den
Sozialhilfeleistungen zurück. Diese Differenz liege über einer vom
Bundesverfassungsgericht für möglich gehaltenen Toleranzgrenze von 15 %.
19
2. Im einzelnen errechnet der Vorlagebeschluß die vorgenannten Bedarfs- und
Entlastungsbeträge und den Differenzbetrag wie folgt:
20
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a) Das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Entscheidung zum Kindergeld (BVerfGE
82, 60) seine Berechnungen auf den Bericht der Besoldungskommission Bund/Länder
(BLK-Bericht) gestützt. Dort sei die monatliche Sozialhilfe als Summe aus
Durchschnittsregelsatz, einem Zuschlag für Einmalbeihilfen und einem Betrag für
Wohnbedarf ermittelt worden; eine Position für Heizkosten sei nicht enthalten gewesen.
Das Bundesverfassungsgericht habe aber in einer späteren Entscheidung (Beschluß des
Zweiten Senats zum Grundfreibetrag, BVerfGE 87, 153) ausdrücklich entschieden, daß
zum Mindestbedarf eines j e d e n Bürgers auch die Heizkosten zu rechnen seien. Nach
den Berechnungen der Bundesregierung, die dem Bundesverfassungsgericht in diesem
Verfahren vorgelegt worden seien, würden die Aufwendungen für Heizung etwa 25 % der
Mietkosten betragen (Hinweis auf BVerfGE 87, 153 <174>). Bei den Angaben zu den
Mietkosten selbst habe sich die Bundesregierung im Verfahren zum Grundfreibetrag
abweichend vom BLK-Bericht an Wohngeldstichproben orientiert.
21
Für die Ermittlung des Grundbedarfs eines Kindes sei von dieser Vierteilung der
Gesamtleistungen der Sozialhilfe (Sozialhilferegelsatz, Einmalbeihilfen, Wohnbedarf und
Aufwendungen für die Heizung) auszugehen:
22
(1) Der durchschnittliche Sozialhilferegelsatz für ein Kind betrage 274 DM pro Monat. Dies
ergebe sich aus den Verzeichnissen der Regelsätze nach § 22 Bundessozialhilfegesetz für
die Zeit vom 1. Juli 1986 bis 30. Juni 1987 und vom 1. Juli 1987 bis 30. Juni 1988; dabei
seien die vier Altersstufen bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres zugrunde gelegt; unter
Ansatz der dort jeweils gewährten Mindestbeträge werde hieraus der durchschnittliche
Regelsatz ermittelt.
23
(2) 55 DM pro Monat betrage der Zuschlag in Höhe von 20 % des Regelsatzes für sog.
Einmalbeihilfen.
24
(3) Der Zuschlag für den Wohnbedarf eines Kindes im Jahre 1987 belaufe sich auf 64,60
DM. Für die Ermittlung des Zuschlags für den Wohnbedarf sei zunächst - wie auch das
Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 29. Mai 1990 und der dort in Bezug
genommene Bericht der Bund-/Länder- Kommission (BLK-Bericht) voraussetzten - von
einem durchschnittlichen Wohnflächenbedarf eines Kindes von 10 qm auszugehen.
Abweichend vom BLK-Bericht seien die dafür aufzubringenden Kosten auf der Grundlage
einer durchschnittlichen Quadratmeterbelastung bei Wohngeldempfängern zu ermitteln.
Denn abgesehen davon, daß eine Quelle für die Annahme eines Quadratmeterpreises von
5,50 DM im Jahre 1980 im BLK-Bericht nicht ersichtlich sei, gebe auch der Mietpreisindex,
auf den der BLK-Bericht für seine weiteren Berechnungen zurückgreife, die
Mietentwicklung nur unzureichend wieder. Es komme hinzu, daß sich die Bundesregierung
bei den Angaben, die sie dem Bundesverfassungsgericht im Grundfreibetragsverfahren
(BVerfGE 87, 153) mitgeteilt habe, auch schon an Wohngeldstichproben orientiert habe.
25
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(4) 12 DM monatlich seien als Aufwendungen für Heizung anzusetzen. Die
Bundesregierung habe im Grundfreibetragsverfahren die Aufwendungen für die Heizung
zwar mit 25 % der jeweiligen Mietkosten angegeben. Da aber gegen diese pauschale
Orientierung an den Mietkosten eingewandt werde, daß dadurch zu hohe Heizkosten
berücksichtigt würden, weil diese nicht im gleichen Umfang stiegen wie Kaltmieten, sei
vorliegend der Berechnungsmethode des Karl-Bräuer-Instituts des Bundes der
Steuerzahler (Steuern in Deutschland, Heft 72 der Schriftenreihe des Instituts, 1991, S.
178, Fn. 4) zu folgen; dort seien die durchschnittlichen Heizkosten des Jahres 1983 mit
dem Preisindex für Lebenshaltung fortgeschrieben. Dieses Verfahren ergebe einen
Monatsbetrag von 12 DM für Heizkosten.
26
Die Gesamtleistungen der Sozialhilfe beliefen sich demnach 1987 für ein Kind bis zur
Vollendung des 21. Lebensjahres auf 4.872 DM.
27
b) Dem stehe eine steuerliche Gesamtentlastung für Eltern mit einem Kind im Jahre 1987
in Höhe von 3.984 DM gegenüber. Bei der Umrechnung des jährlichen Kindergeldes in
einen fiktiven Steuerfreibetrag komme dem Steuersatz die entscheidende Bedeutung zu,
weil auf ihn das Kindergeld hochzurechnen sei. Das Bundesverfassungsgericht habe
Berechnungen für Grenzsteuersätze in Höhe von 30, 40 und 56 % angestellt und dabei
darauf hingewiesen, daß ein Grenzsteuersatz von 40 % noch von einer großen Zahl der
Steuerpflichtigen erreicht werde (BVerfGE 82, 60 <95 ff.>). Der fiktiven Umrechnung sei
eine von vielen Steuerpflichtigen noch erreichte Besteuerung zugrunde zu legen. Im
Streitjahr 1987 sei ein Grenzsteuersatz von 40 % von mindestens 9 % der nach der
Splittingtabelle und von mindestens 10,2 % der nach der Grundtabelle veranlagten
Steuerpflichtigen erreicht worden. Die Gruppe von über 9 % aller veranlagten
Steuerpflichtigen sei zusammen mit der Gruppe, bei denen der Grenzsteuersatz etwa 40
% betrage, ein "wesentlicher" Teil der betroffenen Steuerpflichtigen im Sinne dieser
Entscheidung.
28
Deshalb sei das Kindergeld für ein Kind im Streitjahr 1987 in Höhe von 600 DM unter
Zugrundelegung eines Grenzsteuersatzes von 40 % in einen fiktiven Steuerfreibetrag von
1.500 DM umzurechnen (600 DM : 40 x 100 = 1.500 DM). Unter Anrechnung des
einkommensteuerlichen Kinderfreibetrages in Höhe von 2.484 DM ergebe sich damit eine
steuerliche Gesamtentlastung in Höhe von 3.984 DM.
29
c) Beim Vergleich der steuerlichen Gesamtentlastung mit den Gesamtleistungen der
Sozialhilfe bleibe demnach die steuerliche Entlastung um 888 DM, mithin um 18 % hinter
den Sozialhilfeleistungen zurück (4.872 DM - 3.984 DM = 888 DM). d) Dieses Ergebnis
werde auch bei einer bloßen Evidenzkontrolle - wie vom Bundesverfassungsgericht
(BVerfGE 82, 60 <91 f.>) für erforderlich, aber auch für ausreichend gehalten - den
verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine ausreichende Berücksichtigung des
Kinderbedarfs nicht mehr gerecht. Zwar möge man Abweichungen bis zu 15 % noch
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tolerieren können, weil der Gesetzgeber in diesem Bereich von Annahmen ausgehen
müsse, deren Richtigkeit sich erst in der Zukunft herausstelle. Die steuerliche
Gesamtentlastung bleibe jedoch mit über 18 % der Sozialleistungen auch noch hinter
dieser Toleranz von 15 % zurück.
30
Angesichts dieser Rechts- und Sachlage könne auch offenbleiben, ob der Kinderfreibetrag
in voller Höhe von 2.484 DM in die Berechnung der steuerlichen Gesamtentlastung hätte
einbezogen werden dürfen oder ob er neben dem allgemeinen Existenzminimum eines
Kindes auch andere Aufwendungen abdecke, die hier außer Betracht zu bleiben hätten.
Nach der Begründung zum Steuersenkungsgesetz 1986/1988 solle die Anhebung des
Kinderfreibetrages ab dem Jahre 1986 nicht nur das allgemeine Existenzminimum eines
Kindes von der Steuer ausnehmen, sondern zusätzlich - anstelle des durch dasselbe
Gesetz gestrichenen § 10 Abs. 3 EStG - sog. kindbedingte Vorsorgeaufwendungen bis zu
900 DM freistellen (Hinweis auf BTDrucks 10/2884, S. 96, 100).
31
3. Erweise sich die Regelung des § 32 Abs. 6 EStG als ausreichend und mit dem
Grundgesetz vereinbar, so müsse die Revision des Klägers zurückgewiesen werden. Sei
sie dagegen verfassungswidrig und erkläre das Bundesverfassungsgericht sie insoweit für
mit dem Grundgesetz unvereinbar, so müsse der Gesetzgeber eine Neuregelung treffen.
Für den Kläger bestehe dann die Chance, auch selbst in den Genuß einer für ihn
günstigen Regelung zu gelangen. Dies gelte jedenfalls für den Fall, daß der Gesetzgeber ähnlich der Regelung des § 54 EStG i.d.F. des Steueränderungsgesetzes 1991 - den
steuerlichen Kinderfreibetrag anhebe.
32
Der Kläger sei durch die Regelung des § 32 Abs. 6 EStG auch persönlich und unmittelbar
betroffen, da angesichts seines Grenzsteuersatzes von 44,44 % seine steuerliche
Gesamtentlastung um 1.038 DM hinter den durchschnittlichen Gesamtleistungen der
Sozialhilfe für ein Kind zurückbleibe.
IV.
33
Zum Vorlagebeschluß hat der Präsident des Bundesfinanzhofs eine Stellungnahme des IX.
Senats vorgelegt. Für die Bundesregierung hat sich der Bundesminister der Finanzen
geäußert.
34
1. Der IX. Senat des Bundesfinanzhofs teilt die Auffassung des vorlegenden III. Senats,
wonach der Kinderfreibetrag für das Jahr 1987 den verfassungsrechtlichen Anforderungen
nicht genüge. Er weist ergänzend darauf hin, daß nach Auffassung des
Bundesverfassungsgerichts auch bei höheren Grenzsteuersätzen als 40 % das
Familienexistenzminimum steuerlich verschont werden müsse. Dies ergebe sich aus dem
Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Mai 1990 (BVerfGE 82, 60 <95 ff.>),
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wonach s c h o n bei einem Grenzsteuersatz von 40 % die durch den damals geltenden
Kinderfreibetrag und das Kindergeld erreichte steuerliche Verschonung erst bei sechs
Kindern den Sozialhilfeleistungen gleichgekommen sei, mit zunehmender Steuerquote die
Sozialhilfeleistungen immer mehr unterschritten und beim Spitzensteuersatz schließlich
deutlich verfehlt habe. Eine Ungleichbehandlung von Steuerpflichtigen mit höheren
Einkommen sei nicht mit der Notwendigkeit generalisierender Regelungen für
Massenerscheinungen zu rechtfertigen, bei denen in Einzelfällen entstehende Härten
hingenommen werden müßten. Es handele sich hier nämlich nicht um unvermeidbare
Härten des Massenverfahrens. Der Gesetzgeber könne die Ungleichbehandlung
vermeiden, wenn er die Kinderfreibeträge in Höhe des realitätsgerecht bemessenen
Existenzminimums gewähre. Würde das Familienexistenzminimum allein für höhere
Einkommen nur unvollständig von der Steuer freigestellt, so würden lediglich diejenigen
Besserverdienenden verschärft besteuert, die Unterhaltslasten zu tragen hätten.
35
Darüber hinaus sei es verfassungsrechtlich auch nicht zu tolerieren, wenn die steuerliche
Verschonung das sozialhilferechtlich gewährleistete Existenzminimum um 15 %
unterschreite. Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sowie
Art. 6 Abs. 1 GG geböten, das gesamte Familienexistenzminimum steuerfrei zu lassen,
setzten der Besteuerung also Grenzen, die grundsätzlich oberhalb der entsprechenden
Sozialhilfeleistungen verliefen. Das Bundesverfassungsgericht habe die
Sozialhilfeleistungen lediglich im Rahmen einer schematischen Betrachtung herangezogen
und festgestellt, daß damals Kinderfreibetrag und Kindergeld, weil sie die
Sozialhilfeleistungen unterschritten, o f f e n s i c h t l i c h nicht ausreichten, um der
Minderung der Leistungsfähigkeit von Steuerpflichtigen mit Kindern in Höhe des
Existenzminimums der Kinder Rechnung zu tragen. Das einkommensteuerlich verschonte
Existenzminimum müsse jedenfalls die Höhe der sozialstaatlichen existenzsichernden
Leistungen erreichen. Der Steuergesetzgeber müsse z u m i n d e s t das von der
Besteuerung freihalten, was das Sozialhilferecht als Existenzminimum gewähre.
36
Schließlich seien die Gründe des Bundesverfassungsgerichts, den Steuergesetzgeber erst
ab 1996 zu einer verfassungsgemäßen Regelung des Grundfreibetrages zu verpflichten,
auf die gebotene Neuregelung der Kinderfreibeträge nicht übertragbar. Die Gründe seien
auf den Sonderfall des Grundfreibetrages beschränkt; andernfalls werde der
verfassungsrechtliche, auf dem Gedanken des Individualgrundrechtsschutzes beruhende
Rechtsschutz für das Steuerrecht unterlaufen. Sowohl Verfassungsbeschwerden als auch
Vorlagen beträfen stets nur zurückliegende Veranlagungszeiträume, so daß die
rückwirkende Beseitigung eines verfassungswidrigen Zustandes nicht mit dem Argument
verwehrt werden dürfe, die Einkommensteuer diene der Finanzierung des jeweils
laufenden Staatshaushalts. Insoweit falle die Verläßlichkeit der Finanz- und
Haushaltsplanung nicht ins Gewicht, weil das verfassungsrechtliche Gebot, das
Familienexistenzminimum steuerfrei zu belassen, seit Jahren bekannt und der
Steuergesetzgeber bisher der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht in
vollem Umfang gefolgt sei.
37
2. Nach Auffassung der Bundesregierung ist die Vorlage unbegründet. Die Höhe des
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Kinderfreibetrages stehe auch im Jahre 1987 mit den verfassungsrechtlichen Grundsätzen
in Einklang, die das Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen entwickelt habe.
Das steuerlich freizustellende Existenzminimum von Kindern
38
betrage monatlich 353 DM, jährlich 4.236 DM. Es errechne sich wie folgt:
39
1987
Durchschnittlicher Regelsatz
für Kinder
253
Einmalige Leistungen
40
Miete
48
Heizkosten
12
Monatliches Existenzminimum 353
Jährliches Existenzminimum 4.236
DM
DM
DM
DM
DM
DM
40
Diese Berechnung stütze sich auf folgende Grundlagen:
41
a) Der durchschnittliche Eckregelsatz für Kinder habe 1987 398 DM betragen. In
Abhängigkeit vom Alter der Kinder habe die Regelsatzleistung für Kinder zwischen 45 und
90 % des Eckregelsatzes gelegen, so daß sich daraus nach der Anzahl der
Altersjahrgänge in einem gewichteten Durchschnitt ein Satz von 63,6 % und damit ein
Regelsatz in Höhe von 253 DM (398 DM x 63,6 %) ergebe.
42
b) Der Bemessung der einmaligen Leistungen lägen statistische Sondererhebungen der
Jahre 1981 und 1991 zugrunde, die im Zeitraum von September 1981 bis August 1982
eine monatliche Hilfe zum Lebensunterhalt für ein Kind von durchschnittlich 26 DM
ergeben hätten; dies seien 12,2 % des Eckregelsatzes. Berechnungen für das Jahr 1991
wiesen einen Betrag von 57,49 DM und damit von 19,3 % des Eckregelsatzes aus.
Unterstelle man eine lineare Entwicklung der Aufwendungen, so sei für das Jahr 1987 von
einem Anteil in Höhe von 16,2 % - gerundet auf 16 % - des Eckregelsatzes auszugehen.
43
c) Die anteilige Kaltmiete sei auf der Grundlage von Stichproben ermittelt worden. Die
durchschnittliche Miete für die zusätzliche Person betrage in Abhängigkeit davon, ob in
der Wohnung ein Ehepaar mit einem Kind, mit zwei Kindern oder mit drei Kindern lebe, je
Monat zwischen 72 und 35 DM, so daß sich ein durchschnittlicher gewichteter
Zusatzbedarf in Höhe von 48 DM ergebe. Diese Berechnung ermittle jeweils den
zusätzlichen Bedarf durch eine weitere Person; sie unterscheide sich von der
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sozialhilferechtlichen Bedarfsfeststellung, die von einer gleichmäßigen Nutzung einer
Wohnung durch alle Haushaltsmitglieder ausgehe und deshalb die Kosten der statistisch
ermittelten Kaltmiete nach der Personenzahl auf die Haushaltsmitglieder verteile. Bei
dieser sozialhilferechtlichen Berechnung beliefen sich die anteiligen Kosten für das Jahr
1987 auf 158 DM im Monat.
44
d) Auch die Heizkosten würden auf der Grundlage einer Pauschale ermittelt, die von den
je Person zusätzlich erforderlichen Heizkosten ausgehe. Hier ergebe sich eine zusätzliche
Heizkostenbelastung zwischen 18 und 9 DM, so daß von durchschnittlichen, gewichteten
Heizkosten in Höhe von 12 DM pro Monat ausgegangen werden könne.
45
e) Dem danach sich ergebenden Existenzminimum von 4.236 DM jährlich stünden für das
erste Kind ein Kinderfreibetrag in Höhe von 2.484 DM und Kindergeld in Höhe von 600 DM
jährlich gegenüber. Würde das Kindergeld in einen Kinderfreibetrag in Höhe von 1.764
DM umgerechnet und aus steuertechnischen Gründen auf den durch 108 teilbaren Betrag
von 1728 DM gerundet, reiche es zusammen mit dem Kinderfreibetrag aus, um bei etwa
78 % aller Steuerpflichtigen mit einem Kind das Existenzminimum abzudecken. Bis zu
einem zu versteuernden Einkommen von 31.645 DM/62.423 DM (Grund-/Splittingtabelle)
sei damit das Existenzminimum für Kinder voll berücksichtigt. Bei etwa 22 % der
Steuerpflichtigen mit einem Kind ab einer steuerlichen Grenzbelastung von etwa 35,4 %
deckten Kinderfreibetrag und Kindergeld das Existenzminimum nicht mehr vollständig.
Allerdings seien hier die Erhöhungen der Steuerbelastung jeweils nur geringfügig; nur bei
etwa 11 % der Steuerpflichtigen übersteige die Steuermehrbelastung mit einem Kind 100
DM und in nur etwa 5 % der Fälle 200 DM jährlich.
46
Im Ergebnis blieben die Gesamtregelungen des Einkommensteuergesetzes
verfassungsrechtlich im Rahmen der bei einer Schätzung dieser Art hinzunehmenden
Unsicherheiten.
B.
47
Die Vorlage ist zulässig.
48
Der Vorlagebeschluß läßt mit hinreichender Deutlichkeit erkennen, daß das vorlegende
Gericht im Falle der Gültigkeit der in Frage gestellten Vorschrift zu einem anderen
Ergebnis kommen würde als im Falle ihrer Ungültigkeit. Dieses ist auch hinreichend
begründet (BVerfGE 7, 171 <173>; 37, 328 <333>; 65, 308 <316>). Der Beschluß setzt
sich eingehend mit der einfach- rechtlichen Rechtslage auseinander und legt dar, mit
welchem verfassungsrechtlichen Maßstab § 32 Abs. 6 EStG i.d.F. des
Steuersenkungsgesetzes 1986/1988 nach Ansicht des vorlegenden Gerichts nicht
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vereinbar ist.
C.
49
§ 32 Abs. 6 EStG i.d.F. des Steuersenkungsgesetzes 1986/1988 war in seiner Anwendung
auf den Veranlagungszeitraum 1987 insoweit mit Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG
unvereinbar, als danach Eltern mit einem Kind nur einen Kinderfreibetrag von zusammen
2.484 DM beanspruchen konnten.
I.
50
Nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fordert das
Grundgesetz, daß existenznotwendiger Aufwand in angemessener, realitätsgerechter
Höhe von der Einkommensteuer freigestellt wird. Das Sozialhilferecht bietet eine das
Existenzminimum quantifizierende Vergleichsebene: Das von der Einkommensteuer zu
verschonende Existenzminimum darf den Betrag, den der Staat einem Bedürftigen im
Rahmen staatlicher Fürsorge gewährt, jedenfalls nicht unterschreiten.
51
1. Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab ist der aus Art. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG sich
ergebende Grundsatz, daß der Staat dem Steuerpflichtigen sein Einkommen insoweit
steuerfrei belassen muß, als es zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen für ein
menschenwürdiges Dasein benötigt wird (vgl. BVerfGE 82, 60 <85>). Der
existenznotwendige Bedarf bildet von Verfassungs wegen die Untergrenze für den Zugriff
durch die Einkommensteuer (vgl. BVerfGE 87, 153 <169>). Art. 6 Abs. 1 GG gebietet
darüber hinaus, daß bei der Besteuerung einer Familie das Existenzminimum sämtlicher
Familienmitglieder steuerfrei bleiben muß (vgl. BVerfGE 82, 198 <207>).
52
2. Der Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) begründet in seiner Ausprägung als "horizontale
Steuergleichheit" weitere verfassungsrechtliche Anforderungen (vgl. BVerfGE 82, 60 <89 f.
>). Er gebietet, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit gleich hoch zu besteuern.
Auch Bezieher höherer Einkommen müssen je nach ihrer Leistungsfähigkeit im Vergleich
zu Beziehern gleich hoher Einkommen gleich besteuert werden; eine verminderte
Leistungsfähigkeit durch Unterhaltsverpflichtung gegenüber einem Kind muß
dementsprechend auch bei ihnen in diesem Vergleich sachgerecht berücksichtigt werden.
53
3. Die von Verfassungs wegen zu berücksichtigenden existenzsichernden Aufwendungen
müssen nach dem tatsächlichen Bedarf - realitätsgerecht - bemessen werden (vgl.
BVerfGE 66, 214 <223>; 68, 143 <153>; 82, 60 <88>). Dessen Untergrenze ist durch
die Sozialhilfeleistungen konkretisiert, die das im Sozialstaat anerkannte Existenzminimum
gewährleisten sollen, verbrauchsbezogen ermittelt und auch regelmäßig den veränderten
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Lebensverhältnissen angepaßt werden. Mindestens das, was der Gesetzgeber dem
Bedürftigen zur Befriedigung seines existenznotwendigen Bedarfs aus öffentlichen Mitteln
zur Verfügung stellt, muß er auch dem Einkommensbezieher von dessen Erwerbsbezügen
belassen (vgl. BVerfGE 87, 153 <171>; 91, 93 <111>).
54
a) Die verfassungsrechtlich vorgegebene Maßgröße des sozialhilferechtlich anerkannten
existenznotwendigen Mindestbedarfs errechnet sich auf der Grundlage des
Bundessozialhilfegesetzes in folgenden Positionen:
55
1. Regelsatz gemäß § 22 Abs. 3 BSHG
56
2. Leistungen für Unterkunft und Heizung gemäß § 3 Abs. 1 und 2 Regelsatzverordnung
57
3. Einmalbeihilfen für zusätzlichen Grundbedarf, der nicht durch laufende Leistungen
gedeckt ist
58
4. Mehrbedarf gem. § 23 Abs. 4 Nr. 1 BSHG zur Berücksichtigung der durch die
Erwerbstätigkeit bedingten erhöhten privaten Bedürfnisse.
59
b) Diese von Verfassungs wegen zu berücksichtigenden Positionen (vgl. BVerfGE 87, 153
<171>) dürfen zwar in einer vergröbernden, die Abwicklung von Massenverfahren
erleichternden Art und Weise typisiert werden, sind dabei aber so zu bemessen, daß die
Abzugsbeträge in allen Fällen den existenznotwendigen Bedarf abdecken, kein
Steuerpflichtiger also infolge einer Besteuerung seines Einkommens darauf verwiesen
wird, seinen existenznotwendigen Bedarf durch Inanspruchnahme von Staatsleistungen zu
sichern (vgl. BVerfGE 87, 153 <172>).
60
4. a) Die grundlegenden verfassungsrechtlichen Fragen zu Grund und Höhe der von
Verfassungs wegen gebotenen Berücksichtigung von Kinderunterhaltsaufwendungen sind
durch die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 82, 60; 87, 153) im
wesentlichen geklärt. Allerdings besteht in bezug auf die Methode, wie die vom
Gesetzgeber steuerfrei zu belassenden Unterhaltsaufwendungen für das Existenzminimum
von Kindern zu berechnen sind, noch ein Klarstellungsbedarf.
61
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Das Bundesverfassungsgericht hat zwar auch bisher den für das Existenzminimum
maßgeblichen Wohnbedarfswert in seine Berechnungen einbezogen, jedoch noch keinen
Anlaß gesehen, sich ausdrücklich zu der Berechnungsmethode zu verhalten (im Beschluß
des Ersten Senats, BVerfGE 91, 93 <113 ff.> offengelassen, vgl. auch Beschluß der 3.
Kammer des Ersten Senats vom 13. Dezember 1996 - 1 BvR 1474/88 - HFR 1997, S.
251). Das Bundesverfassungsgericht hat außerdem noch nicht rechnerisch präzisiert, mit
welchem Steuersatz das tatsächlich gezahlte Kindergeld in einen fiktiven Kinderfreibetrag
umzurechnen ist. In dem Beschluß des Ersten Senats hat es lediglich entschieden, wann
jedenfalls eine Verfassungswidrigkeit nicht gegeben sei. In derselben Entscheidung nennt
es wegen der Einschätzungs- und Prognoseräume einen Richtwert von 15 %, um den das
Steuerrecht den durchschnittlichen Sozialhilfebedarf allenfalls unterschreiten dürfe (vgl.
BVerfGE 91, 93 <115 f.>). Insbesondere der Bundesfinanzhof (BFH, DStR 1998, S. 448
<449>) sieht hier noch die Notwendigkeit weiterer Klärung.
62
b) Diese drei Teilgrößen - die Ermittlungstechnik für den Wohnbedarf, die 15 %Toleranzgrenze und der vergleichserhebliche Grenzsteuersatz - beeinflussen die Höhe des
Kinderexistenzminimums: Die Höhe des Wohnbedarfs bestimmt die Bedarfszahlen
insgesamt, der anzuwendende Grenzsteuersatz bestimmt bei der Umrechnung des
Kindergeldes in einen Kinderfreibetrag unmittelbar die Höhe des gesetzlich zu
berücksichtigenden Bedarfs, die Toleranzgrenze eröffnet für die Frage der
Verfassungsmäßigkeit einen Beurteilungsrahmen.
63
5. a) Der Wohnbedarf ist nicht nach der Pro-Kopf-Methode, sondern nach dem
Mehrbedarf zu ermitteln. Diese Pro-Kopf-Methode, wie sie bei den Sozialhilfewerten
zugrunde gelegt wird, geht grundsätzlich von einer proportionalen Erweiterung des
Wohnbedarfs mit jeder weiteren Person aus; für jede Person wird ein gleicher Anteil am
Gesamtwohnraum angesetzt. Demgegenüber ist aber zu berücksichtigen, daß eine
zusätzliche Person in einem bestehenden Haushalt jedenfalls keinen proportionalen
Mehrbedarf an Gemeinschaftsräumen wie Küche, Bad oder Flur verursacht. Deshalb ist die
Berechnung des Wohnbedarfs nach der Technik der Mehrbedarfsrechnung zugrunde zu
legen, nach der gegenwärtig auch der Gesetzgeber den einkommensteuerlichen
Kinderfreibetrag bemißt (vgl. Bericht über die Höhe des Existenzminimums von Kindern
und Familien vom Jahr 1996, BTDrucks 13/381, S. 4 sowie Bericht über die Höhe des
Existenzminimums von Kindern und Familien für das Jahr 1999, BTDrucks 13/9561, S. 4).
Diese Methode erfaßt in typisierter Form den tatsächlichen zusätzlichen Aufwand für den
Wohnbedarf.
64
b) Das sozialhilferechtlich definierte Existenzminimum bildet die Grenze für das
einkommensteuerliche Existenzminimum, die über-, aber nicht unterschritten werden darf.
Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat einen Toleranzwert von 15 % u.a. mit
dem Umstand begründet, der Wohnbedarf sei bei den dort herangezogenen R i c h t w e
r t e n nach der Pro-Kopf- Methode berechnet worden und nicht nach den niedrigeren
Werten, die lediglich den notwendigen Mehrbedarf an Wohnraum berücksichtigen
(BVerfGE 91, 93 <113 ff.> unter Hinweis auf die Stellungnahmen des Bundesministeriums
für Familie und Senioren, die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts <BVerwGE
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79, 17, 20> und auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs <BFHE 171, 534, 539 ff.
>). Die Bedarfsberechnung nach der Pro-Kopf- Methode gelangt zu tendenziell erhöhten
Werten, die eine 15 %ige Toleranz rechtfertigen können. Im Grundsatz aber fordert auch
der Erste Senat eine Berücksichtigung des Existenzminimums "möglichst in allen Fällen" in
präzisen, realitätsgerechten Grenzen (BVerfGE 91, 93 <115>).
65
aa) Vorliegend wird der Berechnung der Bedarfswerte des Jahres 1987 jedoch nicht die
Pro-Kopf-Methode, sondern die Mehrbedarfsmethode zugrunde gelegt. Den Bedarfszahlen
liegen nicht durchschnittliche Richtwerte (so BVerfGE 91, 93 <112>), sondern nur der
existenznotwendige Mindestbedarf zugrunde. Diese Bedarfsgrößen zur Feststellung der
Existenzminima sind jeweils nur statistisch belegte M i n d e s t beträge , die deshalb
zwar überschritten, aber nicht mehr unterschritten werden dürfen (vgl. Bericht über die
Höhe des Existenzminimums von Kindern und Familien vom Jahr 1996, BTDrucks 13/381,
S. 4).
66
bb) Die Unterschreitung von statistisch ermittelten Mindestbeträgen läßt sich auch nicht
durch die Aufgabe rechtfertigen, Bedarfszahlen für die Zukunft festzulegen, ohne die
künftige Entwicklung sicher voraussagen zu können. Der existenznotwendige Bedarf ist
nämlich in der Bundesrepublik in den vergangenen 50 Jahren regelmäßig gestiegen, nicht
gesunken (Statistisches Jahrbuch 1994, S. 662). Die Anpassung des
einkommensteuerlichen Existenzminimums hat mit diesen Steigerungsraten regelmäßig
nicht Schritt gehalten. Deswegen wäre allenfalls ein - vorsorgliches oder kompensierendes
- Überschreiten der Mindestwerte geboten.
67
c) Die horizontale Gleichheit gebietet die volle steuerliche Berücksichtigung des
existenznotwendigen Mindestbedarfs für die Kinder aller Steuerpflichtigen, unabhängig
von ihrem individuellen Grenzsteuersatz.
68
aa) Die Umrechnung von Kindergeld in einen Steuerfreibetrag hat den
verfassungsrechtlichen Grundsatz der horizontalen Steuergerechtigkeit zu beachten,
wonach Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern
sind (vgl. BVerfGE 82, 60 <89 f.>). Eine steuerliche Mehrbelastung von Steuerpflichtigen
mit unterhaltsbedürftigen Kindern im Vergleich zu kinderlosen Steuerpflichtigen gleicher
Einkommensstufe kann nicht damit gerechtfertigt werden, Steuerpflichtige mit höherem
Einkommen könnten eine geminderte steuerliche Entlastung leichter tragen. Diese
Begründung ließe, sofern nur das Einkommen des betreffenden Steuerpflichtigen hoch
genug ist, jede steuerliche Ungleichbehandlung gegenüber anderen Beziehern von
Einkommen in gleicher Höhe zu und setzte - letztlich zu Lasten der Kinder - das Gebot der
Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit außer Kraft.
69
bb) Eine in nicht allen Fällen ausreichende einkommensteuerliche Berücksichtigung der
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existenznotwendigen Mindestaufwendungen für den Kindesunterhalt ist nicht mit der
Notwendigkeit einer gesetzlichen Typisierung zu rechtfertigen. Jede gesetzliche Regelung
muß zwar verallgemeinern (vgl. BVerfGE 82, 126 <151>; 96, 1 <6>), darf sich
grundsätzlich am Regelfall orientieren und muß insbesondere nicht allen Besonderheiten
des Einzelfalls jeweils durch Sonderregelungen Rechnung tragen. Bei der
verfassungsrechtlich gebotenen (s.o. C.I.1.-3.) Berücksichtigung der existenznotwendigen
Mindestaufwendungen für den Kindesunterhalt sind aber keine einzelfallbedingten
Besonderheiten tatbestandlich aufzunehmen und gegebenenfalls zu typisieren; vielmehr
ist ein für alle gleicher Bedarf in den einkommensteuerlichen Bedarfstatbeständen
aufzunehmen.
70
Gestaltet der Gesetzgeber den Kinderleistungsausgleich nach dem dualen System durch
Kombination von Kinderfreibetrag und Kindergeld, muß er bei der dann notwendigen
Umrechnung des Kindergeldes in einen Kinderfreibetrag seine eigenen Vorgaben des
Einkommensteuerrechts aufnehmen. Der Einkommensteuertarif findet in seinem
gesetzlich bestimmten progressiven Verlauf Anwendung nur auf das besteuerbare
Einkommen (§ 2 Abs. 5 Satz 1 EStG). Diese Bemessungsgrundlage muß um das
steuerliche Existenzminimum gemindert werden, steht deshalb für eine
einkommensteuerliche Belastung in der jeweils gesetzlich bestimmten Höhe - sei es zum
Eingangs-, sei es zum Spitzensteuersatz - nicht zur Verfügung.
71
cc) Das Gebot, bei allen Steuerpflichtigen unabhängig von ihrem individuellen
Grenzsteuersatz die existenznotwendigen Mindestaufwendungen für Kinderunterhalt in
der Bemessungsgrundlage zu berücksichtigen, folgt auch aus dem Grundsatz der
Folgerichtigkeit (vgl. BVerfGE 84, 239 <271>; 87, 153 <170>; 93, 121 <136>). Dem
Gesetzgeber ist es zwar grundsätzlich freigestellt, die kindesbedingte Minderung der
Leistungsfähigkeit entweder im Steuerrecht zu berücksichtigen, ihr stattdessen im
Sozialrecht durch die Gewährung eines ausreichenden Kindergeldes Rechnung zu tragen
oder auch eine Entlastung im Steuerrecht und durch das Kindergeldrecht miteinander zu
kombinieren (vgl. BVerfGE 82, 60 <84> mit Hinweis auf BVerfGE 43, 108 <123 f.>; 61,
319 <354>). Die jeweiligen Ergebnisse aus den verschiedenen Methoden müssen jedoch
in ihren Auswirkungen gleichwertig sein. Dem widerspräche es, wenn bei der Umrechnung
von Kindergeld in einen steuerlichen Kinderfreibetrag nicht für jeden
Einkommensteuerschuldner die kindesbedingte Minderung der Leistungsfähigkeit ebenso
voll berücksichtigt würde, wie es der Fall wäre, wenn diese Minderung der
Leistungsfähigkeit allein durch einen steuerlichen Freibetrag Berücksichtigung fände
(BVerfGE 82, 60 <97>).
72
6. a) Wird die Höhe des existenznotwendigen Mindestbedarfs nach den von der
Bundesregierung mitgeteilten Daten (vgl. oben A.IV.2.) und der neuerdings zugrunde
gelegten Ermittlungsmethode - Wohnkosten nach der Mehrbedarfsmethode auf der
Grundlage einer Sondererhebung des Statistischen Bundesamtes (vgl. Stellungnahme im
Verfahren 2 BvR 1852/97 mit Bezugnahme auf BTDrucks 13/9561 S. 4) - berechnet, dabei
jedoch von Verfassungs wegen der Mindestbedarf für alle Steuerpflichtigen - ungeachtet
ihres Grenzsteuersatzes - voll berücksichtigt und auch keine Toleranzgrenze eingeräumt,
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so beträgt der existenznotwendige Mindestbedarf eines Kindes im Veranlagungszeitraum
1987 4.416 DM pro Kind und Jahr. Dieser Mindestbedarf errechnet sich aus dem
Sozialhilferegelsatz für Kinder in Höhe von 253 DM, einmaligen Leistungen in Höhe von 40
DM, einem Mietmehrbedarf in Höhe von 62 DM und Heizkosten in Höhe von 13 DM für
jedes Kind pro Monat. Daraus ergibt sich ein Monatsbedarf von 368 DM, ein Jahresbedarf
von 4.416 DM.
73
b) Diesem von Verfassungs wegen zu berücksichtigenden Existenzminimum in Höhe von
4.416 DM steht nach der zur verfassungsrechtlichen Prüfung gestellten Gesetzeslage ein
durch § 32 Abs. 6 EStG 1986/1988 und das Sozialrecht anerkannter Mindestbedarf
zwischen 3.555 DM und 4.484 DM gegenüber. Beim Kläger des Ausgangsverfahrens
beträgt der Grenzsteuersatz 44 %; daraus ergibt sich für ihn eine gesetzliche
Berücksichtigung des Kinderexistenzminimums in Höhe von 3.847 DM; sie bleibt damit um
569 DM hinter dem von Verfassungs wegen zu berücksichtigenden Existenzminimum in
Höhe von 4.416 DM zurück.
74
7. Die Abweichungen des gesetzlich anerkannten vom verfassungsrechtlich gebotenen
Existenzminimum gibt die nachstehende Tabelle zusammenfassend wieder:
75
Veranlagungszeitraum 1987 1 Kind
76
Gesetzliche
Bedarf Differenz
Berücksichtigung
bei Grenzsteuersatz
30 % 4.484
4.416 + 68
40 % 3.984
4.416
- 432
44 % 3.847
4.416
- 569
50 % 3.684
4.416
- 732
56 % 3.555
4.416
- 861
77
nach neuer Berechnungsmethode
78
wie in Stellungnahme zu 2 BvR 1852/97
II.
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79
Der Bundesfinanzhof stellt die Norm des § 32 Abs. 6 EStG zur Prüfung, nicht auch die bei
der Bedarfsberechnung einbezogenen kindergeldrechtlichen Vorschriften (vgl. dazu
BVerfGE 82, 198 <206>).
80
Die verfassungsrechtliche Überprüfung der einkommensteuerrechtlichen und
kindergeldrechtlichen Normen führt zu dem Ergebnis, daß diese in ihrem
Zusammenwirken und der dadurch erreichten Gesamtberücksichtigung des
Kinderexistenzminimums den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genügen. Der
verfassungsrechtlich erhebliche Mangel kann seine Ursache damit sowohl in einem zu
geringen Kinderfreibetrag als auch in einem zu niedrig bemessenen Kindergeld haben.
81
Dennoch ist der Prüfungsgegenstand nicht in dem Sinne zu erweitern, daß sowohl die
kindergeldrechtliche als auch die einkommensteuerrechtliche Einzelregelung zur Prüfung
gestellt werden muß. Im Zusammenwirken von einkommensteuerlichem Kinderfreibetrag
und sozialrechtlichem Kindergeld sind beide Regelungen für sich betrachtet einer
sinnvollen Prüfung zugänglich. Die Wechselbeziehung zum Kindergeldrecht eröffnet dem
Gesetzgeber allerdings die Möglichkeit, den verfassungsrechtlichen Mangel auch in der
Weise zu beheben, daß die kindergeldrechtlichen Regelungen den verfassungsrechtlichen
Erfordernissen angepaßt werden und die beanstandete einkommensteuerrechtliche Norm
des § 32 Abs. 6 EStG dann im Ergebnis bestehen bleiben kann (so auch BVerfGE 82, 60
<84, 97>).
III.
82
Der Bundesfinanzhof wird zu prüfen haben, ob er die Einkommensteuer des Klägers des
Ausgangsverfahrens auch ohne gesetzliche Änderung des § 32 Abs. 6 EStG 1986/1988
entsprechend dem Grundgedanken der §§ 163, 227 AO in der Höhe erlassen kann, die
sich ergäbe, wenn das von Verfassungs wegen zu berücksichtigende
Kinderexistenzminimum in Form eines Kinderfreibetrages um 569 DM erhöht wäre. Das
Bundesverfassungsgericht hat eine Verfassungspflicht zum Billigkeitserlaß festgestellt,
wenn die Anwendung eines nicht zu beanstandenden Gesetzes in Einzelfällen zu einem
"ungewollten Überhang" führen würde (vgl. z.B. BVerfGE 48, 102 <116>). In ähnlicher
Weise könnte der Bundesfinanzhof sich zu der Prüfung veranlaßt sehen, im
Ausgangsverfahren und in allen bei ihm anhängigen Parallelverfahren eine
verfassungsrechtlich veranlaßte Herabsetzung der Steuerschuld zu prüfen, die auch ohne
Durchführung eines getrennten Billigkeitsverfahrens den dort das Revisionsverfahren
führenden Eltern ihr verfassungsrechtlich gebotenes Kindesexistenzminimum gewährt und
damit eine gesetzliche Neuregelung mit Wirkung für zurückliegende Veranlagungsjahre
und für wenige Fälle erübrigt. Anderenfalls wäre der Gesetzgeber verpflichtet, in den noch
nicht bestandskräftig gewordenen Fällen die Benachteiligung der betroffenen
Steuerpflichtigen zu beheben. In jedem Fall steht es ihm frei, die verfassungsrechtlich
gebotene Änderung durch eine Anhebung des einkommensteuerlichen Kinderfreibetrages,
durch eine Anhebung des Kindergeldes oder durch eine anderweitige Ausgleichsregelung
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vorzunehmen (vgl. BVerfGE 82, 60 <97>; 82, 198 <208>).
D.
83
Diese Entscheidung ist einstimmig ergangen.
© juris GmbH
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