SGB XII - Bundesvereinigung Lebenshilfe
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SGB XII - Bundesvereinigung Lebenshilfe
issn 0944-5579 Postvertriebsstück: D/13263 F Rechtsdienst Rechtsdienst der Lebenshilfe der Lebenshilfe N rNr. . 33/08, / 1 0September , S e p t 2008 e mb e r 2 0 1 0 ISSN 0944–5579 Postvertriebsstück: D 13263 F Editorial: Rechtsdienst Rechtsdienst Rechtsdienst w w w. l e b e n s h i l f e . d e A u s d e m I n h a lt : der Lebenshilfe der derLebenshilfe Lebenshilfe Neufassung Pflegebedürftigkeitsbegriffs? Fremdnützige des Forschung an nichteinwilligungsfähigen Menschen wird in Deutschland staatlich Aus dem Inhalt: Warum eine sinnvolle Soziotherapie: Leistung nicht umgesetzt wird Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hat im Jahr gefördert 2007 einen Beirat berufen, der den Auftrag erhalten hat, � Rechtsgutachten zu den Auswirkungen einen Pflegebedürftigkeitsbegriff zu entwickeln. Ziel der Föderalismusreform die Am 1.neuen September hat die Bundesregierung eine Kleine Geldwerte Leistungen an auf WohneinrichNr. 3/08, September Nr. Nr. 2008 3/08, 3/08, September September 2008 2008 des Auftrags ist es, die Zuordnung zu den für die Bemessung Nr. 3/08, September 2008 Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sozialhilfe und das SGB IX ISSN 0944–5579 ISSN ISSN 0944–5579 0944–5579 tungen – Ungereimtheiten im Umgang von Pflegesachleistungen und Pflegegeldern maßgeblichen Postvertriebsstück: D 13263 Postvertriebsstück: Postvertriebsstück: F ISSN 0944–5579 D D 13263 13263 FF zur Forschung an Kindern mit sogenannter geistiger Postvertriebsstück: D 13263 F mit § 10 Abs. 4 WTG-NRW Pfl egestufen (§ 15 SGB XI) nicht mehr vom Zeitaufwand Behinderung beantwortet (BT-Drs. 17/2902). Der der Pflegeperson abhängig zu machen. Stattdessen sollen � Die Komplexleistung Frühförderung ist Anfrage lag das Projekt des Forschungsnetzwerkes Neufassung des Neufassung Neufassung Pflegebedürftigkeitsbegriffs? des Pfl Pflegebedürftigkeitsbegriffs? egebedürftigkeitsbegriffs? Aus dem Inhalt:Aus Aus dem dem Inhalt: Inhalt: neue Maßstäbe entwickelt werden, die sich amdes Grad der noch vielerorts ein Wunschbild Neufassung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs? dem Inhalt: Grundsatzurteil desAus Bundesgerichtshofs MR-Net zugrunde, das die genetischen Ursachen von Abhängigkeit eines Menschen von der Hilfe durch Dritte Das Bundesministerium Das für Bundesministerium Bundesministerium Gesundheit (BMG) für fürhat Gesundheit Gesundheit im Jahr (BMG) (BMG) hat hat im im Jahr Jahr geistiger Behinderung untersuchenDas will und dafür zur�Präimplantationsdiagnostik Das Gesundheit (BMG) hat 2007Lebensalltags einen Beirat berufen, 2007 2007 einen einen derBundesministerium Beirat den Beirat Auftrag berufen, berufen, erhalten der derfür den den hat, Auftrag Auftrag erhalten erhalten hat, hat,im Jahr Rechtsgutachten � � Rechtsgutachten zu Rechtsgutachten den Auswirkungen zu zu den den Auswirkungen Auswirkungen bei der Bewältigung des orientieren. 2007 einen Beirat berufen,Ziel der den Auftrag erhalten � Rechtsgutachten zu den Auswirkungen betroffene Kinder körperlich untersucht, fotografiert einen neuen Pfl egebedürftigkeitsbegriff einen einen neuen neuen Pfl Pflegebedürftigkeitsbegriff egebedürftigkeitsbegriff zu entwickeln. zu zu entwickeln. entwickeln. Ziel Ziel hat, der der Föderalismusreform der Föderalismusreform Föderalismusreform aufMenschen die auf auf die die � Gesundheitszustand der mit einen ist neuen Pfl egebedürftigkeitsbegriff zu entwickeln. Ziel der Föderalismusreform auf die des Auftrags ist es, die des des Zuordnung Auftrags Auftrags ist zu es, es, den die die für Zuordnung Zuordnung die Bemessung zu zu den den für für die die Bemessung Bemessung und Blutbzw. Gewebeproben entnimmt. Die Kinder Sozialhilfe und das Sozialhilfe Sozialhilfe SGB IX und und das das SGB SGB IX IX Pflegewissenschaftlervonder Universität Bielefeld haben dem des Auftrags ist es, die Zuordnung zu den für die Bemessung LSG Sachsen: Fachkraft als IntegrationsPflegesachleistungen von von Pfl Pfl und egesachleistungen egesachleistungen Pflegegeldern maßgeblichen und und Pfl Pflegegeldern egegeldern maßgeblichen maßgeblichen Sozialhilfe und das SGB IX geistiger Behinderung in Deutschland selbst dazu profitieren von der an ihnen betriebenen von Pfl egesachleistungen und Pflegegeldern maßgeblichen Beirat Vorschläge unterbreitet, die den Grad der AbPfl egestufen (§ 15 SGB Pfl Pfl egestufen egestufen XI) nicht (§ (§ mehr 15 15 SGB SGB vomXI) XI) Zeitaufwand nicht nicht mehr mehr vom vom Zeitaufwand Zeitaufwand helferin Regelschule bejaht Pfl egestufen (§ 15 SGB XI) nicht mehr vom in Zeitaufwand Forschung nicht. der Pfl egeperson abhängig der der Pfl Pfl egeperson egeperson zu machen. abhängig abhängig Stattdessen zu zu machen. machen. sollen Stattdessen Stattdessen sollen sollen � Die Komplexleistung � � Die Die Komplexleistung Frühförderung Komplexleistung istFrühförderung Frühförderung ist ist hängigkeit von personeller Hilfe nach Punktwerten beder Pflegeperson abhängig zu machen. Stattdessen sollen � Die Komplexleistung Frühförderung ist neue Maßstäbe entwickelt neue neue Maßstäbe Maßstäbe werden, die entwickelt entwickelt sich am werden, werden, Grad der die die sich sich am am Grad Grad der der Für eineund derartige fremdnützige Forschung an nichtnoch vielerorts ein noch noch Wunschbild vielerorts vielerorts ein ein Wunschbild Wunschbild messen den Lebensalltag in acht Lebensbereiche (sog. neue Maßstäbe entwickelt werden, die sich am Grad der � Häusliche Krankenpfl ege an allen Abhängigkeit eines Menschen Abhängigkeit Abhängigkeit voneines eines der Hilfe Menschen Menschen durchvon von Dritte der der Hilfe Hilfe durch durch Dritte Dritte noch vielerorts ein Wunschbild einwilligungsfähigen Menschen gibt es in DeutschAbhängigkeit eines Menschen von der Hilfe durch Dritte BVerwG: Autoradios sind von RundfunkModule) aufteilen. 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U n t e r B eschiedlich t e i l i g u n goder v odeckungsgleich n: Herausgegeben von : Herausgegeben von: Herausgegeben von: Herausgegeben Herausgegeben von: von: Unter Beteiligung von: Unter Beteiligung von: Herausgegeben von: Unter Unter Beteiligung Beteiligung von: von: Unter Beteiligung von: Bundesverband evangelische Bundesverband Bundesverband evangelische evangelische Caritas Behindertenhilfe und Caritas Caritas Behindertenhilfe Behindertenhilfe und und Psychiatrie e. V. (CBP) Psychiatrie Psychiatrie e. e. V. V. (CBP) (CBP) Caritas Behindertenhilfe und Caritas Behindertenhilfe und Behindertenhilfe e.V. (BeB)Behindertenhilfe Behindertenhilfe e.V. e.V. (BeB) (BeB) Bundesverband evangelische Bundesverband evangelische Psychiatrie e. V. (CBP) Behindertenhilfe e.V. (BeB) Psychiatrie e. V. (CBP) Behindertenhilfe e.V. (BeB) 97 für 97 97 Rechtsdienst der Lebenshilfe Rechtsdienst Rechtsdienst 3/08 der der Lebenshilfe Lebenshilfe 3/08 3/08 Bundesvereinigung Bundesvereinigung Bundesvereinigung Verband für Verband Verband für Lebenshilfe für Menschen Rechtsdienst der Lebenshilfe 3/08 Bundesvereinigung mit geistiger Behinderung e.V. Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e.V. 9 Rechtsdienst 3/08 Bundesverband für Körper-Bundesverband Bundesverband für für KörperKörperLebenshilfe Lebenshilfe für für Menschen Menschender Lebenshilfe Bundesvereinigung Anthroposophische Heilpädagogik Anthroposophische Anthroposophische Heilpädagogik Heilpädagogik Verband für 97 und Mehrfachbehinderte e.und und V. Mehrfachbehinderte Mehrfachbehinderte e. e. V. V. Bundesverband für Körpermit mit geistiger geistiger Behinderung Behinderung e.V. Lebenshilfe für e.V. Menschen Verband für Sozialtherapie und Soziale Arbeit Sozialtherapie Sozialtherapie e.V. Anthroposophische und und Soziale Soziale Arbeit Arbeit e.V. e.V. Heilpädagog und Mehrfachbehinderte e. V. mit geistiger Behinderung e.V. Sozialtherapie und Soziale Arbeit e Bundesverband für KörperAnthroposophische Heilpädagogik und Mehrfachbehinderte e. V. Sozialtherapie und Soziale Arbeit e.V. Inhalt Zu den Voraussetzungen für Eingliederungshilfe- leistungen S. 108 Hilfen zur Familienplanung als Leistung der Eingliederungshilfe S. 110 Keine Kürzung der Grundsicherung während Krankenhaus- aufenthalts S. 111 Rechts- und Sozialpolitik S paren zu Lasten behinderter Menschen und ihrer Angehörigen? von Klaus Lachwitz S. 89 Vorrang von Wohngeld gegenüber Sozialhilfe- leistungen S. 112 Initiative zur Steuerbefreiung für ehrenamtliche Betreuer von Ulrich Hellmann S. 91 Teilhabe am Arbeitsleben Neues Fachkonzept der BA für Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich von Dr. Sabine Wendt S. 112 SGB II Mehrbedarf bei Gehbehinderung und Hygienebedarf als Härtefall S. 93 Verfahrensrecht SGB V Umfassendes Einsichtsrecht in Pflegeakten S. 115 Soziotherapie: Warum eine sinnvolle Leistung nicht umgesetzt wird von Dr. Katharina Ratzke S. 94 Heimrecht Geldwerte Leistungen an Wohneinrichtungen – Ungereimtheiten im Umgang mit § 10 Abs. 4 WTG-NRW von Andreas Mikysek S. 116 Keine Begrenzung der Soziotherapie auf drei Jahre S. 96 Umfassender Anspruch auf häusliche Krankenpflege auch bei Pflegebedürftigkeit S. 97 Betretensrechte der Heimbeschäftigten für Privaträume für Heimbewohner S. 119 Krankenkasse muss bei Hilfsmitteln die Wartungskosten tragen S. 98 Betreuungsrecht SGB VI Voraussetzungen der Unterbringung nach § 1906 BGB S. 119 Kein Anspruch auf Gleitsichtbrille gegen Renten- versicherungsträger S. 99 Zivilrecht/Unterhaltsrecht SGB IX Zur unbilligen Härte der Unterhaltsleistung von Eltern behinderter Kinder S. 121 Feststellung des Grades der Behinderung einer Transsexuellen S. 100 Kindergeld SGB XI Grenzbetrag für Kindergeld für volljährige Kinder ist nicht verfassungswidrig S. 122 Voraussetzungen des Anspruchs auf zusätzliche Betreuungsleistungen S. 101 Steuerrecht Mustersatzung nach § 60 AO: Bundesfinanzministerium rudert zurück S. 122 Bemessung des Zeitaufwands bei Toilettengängen im Heim S. 102 Nachteilsausgleich Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes auch im betreuten Wohnen möglich S. 103 Autoradios sind von Rundfunkgebühren befreit S. 123 SGB XII Ethik und Recht Zum Verfahren der Festsetzung eines Kostenbeitrags für die Eingliederungshilfen S. 103 Kein Erstattungsanspruch des ambulanten Pflegedienstes nach Tod des Pflegebedürftigen S. 104 Zulässigkeit einer Schenkungsrückforderung bei Grundsicherungsbezug S. 105 Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs zur Präimplantationsdiagnostik S. 124 Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs zur Sterbehilfe S. 126 Internationales Fachkraft als Integrationshelferin in Regelschule bejaht S. 106 Ferienfreizeiten als Leistung der Eingliederungshilfe bei ambulanter Betreuung? S. 107 Bücherschau S. 130 Zulässigkeit der Überleitung von Steuererstattungen durch den Sozialhilfeträger S. 106 Wahlrechtsausschluss als Verstoß gegen die europäische Menschenrechtskonvention S. 127 Internationale Aktivitäten zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention von Klaus Lachwitz S. 129 Rechts- und Sozialpolitik Rech t s d i e n s t 3 / 2 0 1 0 89 Rechts- und Sozialpolitik Sparen zu Lasten behinderter Menschen und ihrer Angehörigen? Gemeindefinanzkommission rüttelt an der Behindertenhilfe, doch die Fachministerien von Bund und Ländern halten dagegen! von Klaus Lachwitz Das Bundeskabinett hat am 24. Februar 2010 den Beschluss gefasst, eine Gemeindefinanzkommission unter der Leitung des Bundesministers der Finanzen einzusetzen. Sie hat den Auftrag erhalten, Vorschläge zur Neuordnung der Gemeindefinanzierung zu erarbeiten, die Beteiligung der Kommunen an der Rechtssetzung zu erörtern und Entlastungsmöglichkeiten für die Kommunen auf der Ausgabenseite zu prüfen. Der Gemeindefinanzkommission gehören neben Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble der Bundesminister des Inneren, Dr. Thomas de Maizière, der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Rainer Brüderle sowie Vertreter der Kommunalen Spitzenverbände und der Länder an. In ihrer konstituierenden Sitzung am 04. März 2010 hat die Kommission insgesamt drei Arbeitsgruppen eingesetzt; darunter eine Arbeitsgruppe „Standards“, die vom Bundesministerium der Finanzen geleitet wird. Ziel dieser Arbeitsgruppe ist es, Sparvorschläge zur Entlastung der kreisfreien Städte und Gemeinden vorzulegen. Eckpunkte der Bundesregierung für die Aufstellung des Bundeshaushalts 2011 und des Finanzplans bis 2014 Parallel zu den Aktivitäten der Gemeindefinanzkommission hat die Bundesregierung im ersten Halbjahr 2010 Vorschläge entwickelt, mit denen erreicht werden soll, das strukturelle Staatsdefizit schrittweise abzubauen, um ab 2013 die Defizitgrenzen des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts wieder einhalten zu können. In ihrer Haushaltsklausur am 07. Juni 2010 hat sie ein Positionspapier „Die Grundpfeiler unserer Zukunft stärken“ verabschiedet, auf dessen Grundlage bis zum Jahr 2014 etwa 80 Milliarden Euro eingespart werden sollen. Sie benennt in diesem Papier ins- gesamt acht Eckpunkte „für solide Finanzen, neues Wachstum und Beschäftigung und Vorfahrt für Bildung“. Dazu zählt die „Stärkung von Beschäftigungsanreizen und die Neujustierung von Sozialleistungen“ (Eckpunkt 3). Einerseits bekennt sich die Bundesregierung in diesem Abschnitt „zum System der sozialen Sicherung“. Andererseits nimmt sie insbesondere den von der Bundesagentur für Arbeit verwalteten Bereich der Arbeitsförderung ins Visier und kündigt die Umwandlung von Pflichtleistungen in Ermessensleistungen an. Insgesamt sollen durch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, die insbesondere die Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) und die Arbeitsförderung (SGB III) betreffen, im Jahr 2011 4,3 Milliarden Euro, im Jahr 2012 6,3 Milliarden Euro, im Jahr 2013 8,7 Milliarden Euro, im Jahr 2014 10,2 Milliarden Euro eingespart werden. Vorgestellt wurde ein „Zwischenbericht der AG Standards“, der am 09. Juli 2010 auf der Website des Bundesfinanzministeriums veröffentlicht worden ist. Zwar stellt die Gemeindefinanzkommission dazu fest, dass „eine Bewertung der gesammelten Standards noch nicht stattgefunden hat.“ Der Zwischenbericht leiste jedoch einen wichtigen Beitrag zur Beseitigung der Defizite im Bereich der „kommunalen Finanzsituation“. Es sei nunmehr Aufgabe der „fachlich zuständigen Stellen“, eine Überprüfung vorzunehmen, ob die im Zwischenbericht aufgelisteten Vorschläge zur Absenkung von Standards im Bereich der Sozialgesetzgebung und damit zur kommunalen Entlastung beitragen können. In Eckpunkt 7 befasst sich die Bundesregierung mit der „Verantwortung für die Kommunen“ und führt dazu aus: „Die Finanzsituation der Kommunen ist teilweise sehr angespannt. Die Bundesregierung bekennt sich hier zu ihrem Teil der gesamtstaatlichen Verantwortung. Die von der Bundesregierung eingesetzte Gemeindefinanzkommission erarbeitet daher gegenwärtig einen Vorschlag, die Finanzen der Kommunen auf eine stabile Grundlage zu stellen. Sobald diese Vorschläge vorliegen, wird die Bundesregierung diese zügig prüfen und zur Entscheidung bringen“. Das umfangreiche – 38 eng bedruckte Seiten und Tabellen umfassende – Papier enthält einen wahren „Horrorkatalog“ von Einsparvorschlägen, die geeignet sind, das über Jahrzehnte mühsam aufgebaute, insbesondere im Bereich der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen (§§ 53 ff. SGB XII) und im Sozialgesetzbuch IX (Rehabilitation und Teilhabe) verankerte soziale Netz zur Sicherstellung der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben zu durchlöchern. Zweite Sitzung der Gemeindefinanzkommission Am 08. Juli 2010, d. h. etwa einen Monat nach der Haushaltsklausur der Bundesregierung, sind die Mitglieder der Gemeindefinanzkommission im Bundesministerium der Finanzen zu ihrer zweiten Sitzung zusammengetreten. Inhalt des Zwischenberichts der Arbeitsgruppe „Standards“ der Gemeindefinanzkommission Im Einzelnen finden sich im Zwischenbericht folgende Aussagen: Unter Ziff. 4.2.4 wird ausgeführt, dass „die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen ein wachsender Bereich ist. Allein in den vergangenen 10 Jahren sind die Nettoausgaben für die Träger der Sozialhilfe aufgrund einer Ausweitung der gesetzlichen Ansprüche und einer Zunahme der leistungsberechtigten Personen in Deutschland um 55 % von 7,2 Milliarden Euro im 90 Rechts- und Sozialpolitik Jahr 1998 auf 11,2 Milliarden Euro im Jahr 2008 gestiegen“. Die Eingliederungshilfe sei eine nachrangige Leistung. Ebenso wie für die Hilfe zur Pflege gelte der Grundsatz, dass Leistungen durch die Sozialhilfeträger nur in dem Umfang erbracht werden müssen, wie die Aufbringung der erforderlichen Mittel aus dem Einkommen und Vermögen der Berechtigten bzw. der Ehegatten/Lebenspartner, bei Minderjährigen sowie Ledigen deren Eltern, nicht zumutbar sei. Der Nachranggrundsatz sei jedoch gerade bei der Eingliederungshilfe durch wiederholte Rechtsänderungen in verschiedenen Bereichen deutlich eingeschränkt worden. „Insbesondere liegen die Einkommens- und Vermögensgrenzen deutlich über denen, die für die Leistungen zum Lebensunterhalt gelten“. Ausgehend von diesen grundsätzlichen Feststellungen, die völlig ausblenden, dass der Gesetzgeber insbesondere mit der Verabschiedung des Sozialgesetzbuchs Neuntes Buch (SGB IX) einen Paradigmenwechsel in der Behindertenhilfe vollzogen hat, mit dem die Verpflichtung eingegangen worden ist, alle Leistungen der Eingliederungshilfe dem Ziel der vollen Teilhabe am Leben der Gesellschaft durch entsprechende individuelle Fördermaßnahmen, Nachteilsausgleiche und Maßnahmen der Sozialraumgestaltung unterzuordnen, schlägt die Arbeitsgruppe „Standards“ die Prüfung folgender Sparmaßnahmen vor: ➢ Lfd. Nr. 21: Gesetzliche Einschränkung des Wunsch- und Wahlrechts hilfebedürftiger Menschen in der Jugendhilfe, Eingliederungshilfe und Sozialhilfe mit der Begründung, dass dieses Recht „oftmals den Einsatz kostengünstigerer und ebenso wirksamer Instrumente“ verhindere (§ 5 SGB VIII, § 9 SGB IX und § 13 SGB XII). ➢ Lfd. Nr. 22: Streichung bzw. Änderung des § 43 SGB IX, wonach behinderte Menschen in Werkstätten (WfbM) neben dem Arbeitsentgelt vom Rehaträger ein Arbeitsförderungsgeld in Höhe von monatlich 26 Euro erhalten, das nicht als Einkommen auf die Grundsicherungsleistungen angerechnet wird. ➢ Lfd. Nr. 23: Zugangsbeschränkungen zu Werkstätten für behinderte Menschen z. B. für die Personen, die eine volle Rente wegen Erwerbsminderung in Anspruch nehmen können. ➢ Lfd. Nr. 24: Einschränkung des Wunsch- und Wahlrechts (§ 9 SGB XII) durch die Eröffnung der ➢ ➢ ➢ ➢ ➢ ➢ Möglichkeit, Leistungen im Bereich der vollstationären Eingliederungshilfe zukünftig nach Maßgabe des Vergaberechts auszuschreiben und auf diese Weise den Weg dafür zu ebnen, den anspruchsberechtigten Hilfebedürftigen auf das preiswerteste Angebot zu verweisen. Lfd. Nr. 25: Deckelung der Entgelte für Einrichtungen, mit denen eine Leistungs- und Vergütungsvereinbarung besteht, zum Zweck der Kostenbegrenzung (wie dies bereits im Jahr 1996 der Fall war). Lfd. Nr. 26: Ausbau des Mehrkostenvorbehalts (§ 9 Abs. 2 SGB XII) durch Streichung des Wortes „unverhältnismäßig“, um auf diese Weise zu erreichen, dass dem Wunsch- und Wahlrecht bei Leistungen der Eingliederungshilfe künftig mehr als bisher Kostengesichtspunkte des Sozialhilfeträgers entgegengesetzt werden können. Lfd. Nr. 28: Verzicht auf Regelsatzerhöhungen als Auswirkung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010 bei der Bemessung des Regelbedarfs für den Lebensunterhalt von Leistungsempfängern außerhalb von Einrichtungen. Lfd. Nr. 29: Verbesserung der Möglichkeiten für den Sozialhilfeträger, den Regelbedarf für Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, abzusenken durch Einführung einer Beweislastumkehr: Personen, die in häuslicher Gemeinschaft leben, müssen nachweisen, dass sie dadurch keine Einsparungen erzielen. Lfd. Nr. 33: Klarstellung im SGB XII, dass das Mittagessen in teilund vollstationären Einrichtungen (z. B. in einer WfbM) eine Leistung der Grundsicherung bzw. der Hilfe zum Lebensunterhalt ist und nicht der Eingliederungshilfe zugeordnet werden darf. In diesem Zusammenhang wird eine „stärkere Kostenbeteiligung der Eltern an den in Einrichtungen erbrachten Kosten des Lebensunterhalts“ gefordert. Lfd. Nr. 37: Änderung des SGB XII mit dem Ziel, dass Leistungen der medizinischen Rehabilitation, die nach dem SGB V nicht gewährt werden dürfen, auch nicht als Leistungen der Eingliederungshilfe für einen sonstigen Zweck zur Verfügung zu stellen sind. Damit soll die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts aufgeweicht werden, wonach mit Leistungen der Eingliederungshilfe stets weitere Zwecke verfolgt werden als mit SGB Rechtsdienst 3/2010 V-Leistungen. ➢ Lfd. Nr. 38: Änderungen der §§ 76 ff. SGB XII mit dem Ziel, den Trägern der Sozialhilfe einen größeren Einfluss bei der Gestaltung von Leistungs-, Vergütungs- und Qualitätsvereinbarungen einzuräumen. ➢ Lfd. Nr. 39: Anrechnung des Kindergeldes auf Leistungen der Eingliederungshilfe, um dem Träger der Sozialhilfe insbesondere bei vollstationärer Eingliederungshilfe den vollen Zugriff auf das Kindergeld zu ermöglichen. ➢ Lfd. Nr. 42: Umstellung vom Bruttoprinzip auf das Nettoprinzip in der Eingliederungshilfe (§ 92 SGB XII) mit der Folge, dass der Träger der Sozialhilfe im Bereich der Eingliederungshilfe nicht mehr im vollen Umfang Vorleistungen erbringen muss, sondern zunächst prüft, ob der Leistungsberechtigte Einkommen und Vermögen einzusetzen hat bzw. über Ansprüche gegenüber Dritten (z. B. Unterhaltsverpflichteten) verfügt. ➢ Lfd. Nr. 45: Abschaffung bzw. Absenkung der Leistungen der Hilfe zur Pflege (§§ 61 f. SGB XII durch „vollständige Übernahme der pflegerischen Leistungen durch die gesetzliche Pflegeversicherung“. ➢ Lfd. Nr. 46: Abschaffung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs gegen einen ablehnenden bzw. versagenden Kostenbescheid. ➢ Lfd. Nr. 47: Zuweisung aller sozialhilferechtlichen Streitigkeiten einschließlich der Eingliederungshilfe zu den Verwaltungsgerichten statt zu den Sozialgerichten. ➢ Lfd. Nr. 95: Abschaffung des Individualanspruchs des Leistungsberechtigten auf die Vergütung der in einer Einrichtung erbrachten Leistung (§ 76 f. SGB XII) durch Einführung festgelegter – nicht an Fallzahlen gekoppelter – Einrichtungsbudgets. ➢ Lfd. Nr. 97: Abschaffung der Blindenhilfe (§ 72 SGB XII). ➢ Lfd. Nr. 126: Einschränkung der Kosten der Unterkunft durch Absenkung des Wohnstandards für Alleinstehende von 50 auf 25 qm. ➢ Lfd. Nr. 130: Wegfall oder Einschränkung der unentgeltlichen Beförderung von schwerbehinderten Menschen. ➢ Lfd. Nr. 132: Ausweitung der Möglichkeiten, Sozialhilfeempfänger in Pflegeeinrichtungen in Zweibettzimmern statt in Einbettzimmern unterzubringen. ➢ Lfd. Nr. 136: Erweiterung des Unterhaltsrückgriffs bei Leistungen der Grundsicherung im Alter und Rech t s d i e n s t 3 / 2 0 1 0 ➢ ➢ ➢ ➢ bei Erwerbsminderung (§§ 41 ff. SGB XII) durch Absenkung der Freigrenze hinsichtlich des Einkommens von Unterhaltsverpflichteten um die Hälfte von 100.000 Euro auf 50.000 Euro. Lfd. Nr. 147: Abschaffung der Regelung in § 92 Abs. 2 Satz 2 SGB XII, wonach Leistungen in Werkstätten für behinderte Menschen ohne Berücksichtigung von Vermögen des Leistungsberechtigten erbracht werden. Stattdessen Wiedereinführung einer Vermögensfreigrenze für Werkstattbesucher wie bis zum 31.06.2001. Lfd. Nr. 148: Rückführung der Unterhaltsverpflichtung von Eltern vollstationär betreuter behinderter Kinder auf das vor dem 01.01.2002 geltende Recht. Im Klartext: Wegfall der Begrenzung des Unterhaltsbeitrags von Eltern auf 26 Euro pro Monat (vgl. § 94 SGB XII) für Leistungen der Eingliederungshilfe und 20 Euro monatlich für die Kosten des Lebensunterhalts. Lfd. Nr. 151: Absenkung des Betreuungsschlüssels in Werkstätten für Behinderte durch Neufassung der Werkstättenverordnung. Lfd. Nr. 156: Einführung von Kostenbeiträgen für Jugendhilfemaßnahmen nicht nur – wie nach geltendem Recht – für voll- und teilstationäre Leistungen, sondern auch für ambulante Leistungen. Aus Standards werden Horrorszenarios Dieser Überblick reicht aus, um zu dem Ergebnis zu kommen, dass in der Gemeindefinanzkommission und ihren Arbeitsgruppen an einem Horrorszenario gearbeitet wird. Es stellt sich deshalb die Frage, wie konkret der Gefahrenherd tatsächlich ist, der sich aus dem Zwischenbericht ergibt. Rechts- und Sozialpolitik Beschwichtigungsversuch der Bundesregierung Auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN zur Diskussion über Standards und Kürzung von sozialen Leistungen in der Gemeindefinanzkommission hat die Bundesregierung geantwortet (BTDrs. 17/2623 vom 22.07.2010), die Vorschläge der Gemeindefinanzkommission seien bisher eine reine Sammlung von Standards. Sie teilt mit, dass die Beratung der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe“ unabhängig von den Beratungen der Gemeindefinanzkommission weitergeführt würde. In diesem Zusammenhang verweist sie auf den Beschluss der ASMK aus dem Jahr 2009, wonach es nicht Ziel des Reformvorhabens sei, Teilhabemöglichkeiten und Leistungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen und deren Angehörige einzuschränken. Es seien auch keine Einschränkungen des Wunsch- und Wahlrechts in der Jugendhilfe, Eingliederungshilfe und Sozialhilfe geplant. Diesen Beschwichtigungsversuchen steht allerdings die Aussage entgegen, dass keine Beteiligung des Bundes an den Kosten der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen oder der Hilfe zur Pflege geplant ist. Damit bleibt völlig offen, wie die Bundesregierung dazu beitragen will, die für die Finanzierung der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen zuständigen Kommunen finanziell zu entlasten. Kurz vor Redaktionsschluss dieser Ausgabe des Rechtsdienstes hatte der Vorsitzende der Bundesvereinigung Lebenshilfe, Robert Antretter, Gelegenheit, mit dem Staatssekretär im Sozialministerium Rheinland-Pfalz, Christoph Habermann, ein Gespräch zu führen. Er sei darüber unterrichtet worden, dass 91 die meisten Sparvorschläge der AG „Standards“ in einer am 19. August 2010 durchgeführten Sitzung unter Hinweis auf negative Voten des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und einer Reihe von Fachministerien der Bundesländer auf Ablehnung gestoßen seien. Auch die kommunalen Spitzenverbände hätten die von der AG „Standards“ vorgeschlagenen Änderungen im Bereich der Eingliederungshilfe nicht unterstützt und stattdessen ihre Forderung erneuert, der Bund möge sich an den Kosten der Eingliederungshilfe beteiligen bzw. ein bundesfinanziertes Leistungsgesetz für behinderte Menschen einführen, das die Hilfen neu definiere und damit auch die Abgrenzungsprobleme zwischen der Eingliederungshilfe und der Hilfe zur Pflege beseitige. Fazit: Weiterhin ist Wachsamkeit geboten! Würden die Sparvorschläge, die im Zwischenbericht der AG „Standards“ der Gemeindefinanzkommission enthalten sind, auch nur ansatzweise verwirklicht, so würde die Behindertenrechtskonvention (BRK) auf eklatante Weise konterkariert. Die aufgelisteten Sparvorschläge würden insbesondere die Menschen treffen, die aufgrund ihrer Behinderung zu den sozial Schwächsten in unserem Land zählen: So hat der größte überörtliche Träger der Sozialhilfe in Deutschland, der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL), in einer Presseerklärung vom 23. März 2010 mitgeteilt, dass 40 % der Familien, die ihre behinderten Angehörigen betreuen, nur über ein monatliches Nettoeinkommen unter 1.000 Euro verfügen, während der Anteil der Menschen mit einem monatlichen Nettoeinkommen, das ebenfalls unter 1.000 Euro liegt, im Vergleich zur Gesamtbevölkerung im Einzugsbereich des LWL nur 13 % beträgt. Initiative zur Steuerbefreiung für ehrenamtliche Betreuer Zähes Ringen geht in die nächste Runde von Ulrich Hellmann Das schon groteske politische Schauspiel der sich über mehr als zehn Jahre hinziehenden Auseinandersetzung um die Steuerpflicht der Aufwandspauschale für ehrenamtliche rechtliche Betreuungen1 wird um den 1 Vgl. Hellmann, Steuerpflicht für ehrenamt- liche rechtliche Betreuer – Eine unendliche Geschichte? In RdLh 2008, S. 65 ff. nächsten Akt erweitert. Nach der derzeit geltenden steuerrechtlichen Konstruktion bleiben bei Inanspruchnahme des Steuerfreibetrages von 500 Euro nach § 3 Nr. 26a EStG sowie ei- 92 Rechtsdienst 3/2010 Rechtsprechung und rechtspraxis ner Steuerfreigrenze von 256 Euro nach § 22 Nr. 3 Satz 2 EStG die Aufwandspauschalen für zwei ehrenamtliche rechtliche Betreuungen steuerfrei. Übernimmt dagegen ein Bürger mehrere ehrenamtliche Betreuungen, muss er einen Teil der Aufwandspauschale versteuern oder Einzelausgaben zum Nachweis seiner Werbungskosten festhalten. Das geltende Recht behandelt ehrenamtlich tätige Betreuerinnen und Betreuer damit schlechter als andere ehrenamtlich tätige Personen, die nach § 3 Nr. 26 EStG den höheren Freibetrag von bis zu 2.100 Euro im Jahr geltend machen können. Die jahrelangen Bemühungen des Bundesjustizministeriums, der Bundesländer sowie der im Betreuungswesen aktiven Verbände sind bislang ungeachtet anderslautender Empfehlungen auch von Sachverständigen stets am Widerstand des Bundesfinanzministeriums sowie des Finanzausschusses im Deutschen Bundestag gescheitert. Bestrafung für ihr freiwilliges Engagement. Angesichts der steigenden Zahl der rechtlichen Betreuungen bei gleichzeitigem Rückgang der ehrenamtlich geführten Betreuungen seien die Länder aber auf dieses ehrenamtliche Engagement angewiesen, wenn sie die Ausgabensteigerung im Betreuungswesen eingrenzen wollten. Die Alternative zur ehrenamtlichen Betreuung sei die vermehrte Bestellung von Berufsbetreuern. Während die ehrenamtliche Betreuung eines mittellosen Betreuten die Staatskasse lediglich pauschal 323 Euro pro Jahr koste, lägen die Ausgaben bei der Berufsbetreuung im ersten Jahr bei der höchsten Vergütungsstufe zwischen 1.848 Euro und 2.970 Euro. Angesichts der weiter steigenden Ausgaben für das Betreuungswesen (Gesamtausgaben bundesweit von 490 Mio. Euro im Jahr 2006 auf 614 Mio. Euro im Jahr 2008) komme der Förderung des Ehrenamtes im Betreuungswesen höchste Priorität zu. Erneuter Vorstoß des Bundesrates Der Bundesrat schlägt vor, die Neuregelung ab dem Veranlagungszeitraum 2010 wirksam werden zu lassen. Der Bundesrat hat mit seiner Stellungnahme zum Entwurf eines Jahressteuergesetzes 20102 zum wiederholten Mal eine Änderung des Einkommensteuergesetzes verlangt, um die Steuerpflichtigkeit von Aufwandsentschädigungen, die ehrenamtliche rechtliche Betreuerinnen und Betreuer nach § 1835a BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) erhalten, zu mildern. Er fordert den Bundestag auf, im Jahressteuergesetz 2010 (JStG 2010) durch Neueinfügung eines § 3 Nr. 26 b EStG Aufwandsentschädigungen nach § 1835a BGB steuerfrei zu stellen, soweit sie zusammen mit den steuerfreien Einnahmen im Sinne der Nr. 26 den Freibetrag nach Nr. 26 Satz 1 nicht überschreiten. Dies würde im Ergebnis bedeuten, dass Aufwandspauschalen für ehrenamtlich geführte Betreuungen bis zu der Höhe der sogenannten „Übungsleiterpauschale“ von 2.100 Euro steuerfrei bleiben. Der Bundesrat weist darauf hin, dass die Ausgestaltung der Besteuerung der Aufwandspauschale in der Vergangenheit bereits etliche ehrenamtlich tätige Betreuungspersonen veranlasst habe, um ihre Entlassung nachzusuchen. Für viele ehrenamtlich tätige Betreuerinnen und Betreuer sei es nicht nachvollziehbar, weshalb sie die ihnen zustehenden Aufwandsentschädigungen auch noch versteuern oder aber zur Vermeidung steuerlicher Nachteile erheblichen Aufwand für den Nachweis ihrer Einzelausgaben betreiben sollten. Sie empfänden dies als unnötige Bürokratie oder sogar als bürgerschaftlichen Engagements“5 lediglich die Einführung einer lohnsteuerfreien Pauschale von 500 Euro für nebenberufliche Tätigkeiten zur Förderung gemeinnütziger, mildtätiger und kirchlicher Zwecke geschaffen worden. Der Deutsche Verein fordert deshalb, ehrenamtlich geführte, rechtliche Betreuungen ausdrücklich in den Anwendungsbereich des Übungsleiterfreibetrages von derzeit 2.100 Euro nach § 3 Nr. 26 EStG aufzunehmen. Letzter Akt in Sicht? Es bleibt zu hoffen, dass diese erneuten Initiativen den letzten Akt der überlangen Aufführung von gegensätzlichen Positionen von Justiz- und Finanzressorts einläuten. Eine einvernehmliche Beseitigung des Gerechtigkeitsgefälles bei der Besteuerung ehrenamtlicher rechtlicher Betreuung im Vergleich zu anderen ehrenamtlichen Tätigkeiten ist überfällig und wäre ein wichtiges Zeichen, den politischen Bekenntnissen zur Förderung bürgerschaftlichen Engagements im Bereich der Betreuung auch Taten folgen zu lassen. Initiative des Deutschen Vereins Bereits am 10.03.2010 hat sich auch der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge mit einer „Empfehlung zur Stärkung des Ehrenamtes in der rechtlichen Betreuung“3 für eine angemessene steuerrechtliche Regelung für die Aufwandspauschale eingesetzt. Er verweist darauf, der Bundesgesetzgeber habe bereits mit den Betreuungsrechtsänderungsgesetzen von 1999 und 2005 die Absicht bekundet, den Vorrang der Ehrenamtlichkeit im Betreuungswesen zu fördern. Auch die Ergebnisse der BundLänder-Arbeitsgruppe zur Beobachtung der Kostenentwicklung im Betreuungsrecht vom Juni 20094 hätten diese Zielsetzung bekräftigt. Der Deutsche Verein stellt fest, dass beide Betreuungsrechtsänderungsgesetze es jedoch nicht vermocht hätten, einen Anstieg der ehrenamtlich geführten Betreuungen zu erreichen. Vielmehr steige die Zahl beruflich geführter Betreuungen weiter an, während die Zahl der ehrenamtlich geführten Betreuungen vielerorts rückläufig sei. Die Empfehlung weist darauf hin, dass sich der Bundesrat bereits mehrfach für die Schaffung eines Steuerfreibetrages für ehrenamtlich tätige Betreuerinnen und Betreuer entsprechend § 3 Nr. 26 EStG (Übungsleiterpauschale) ausgesprochen habe. Stattdessen sei bisher auf Empfehlung des Finanzausschusses in § 3 Nr. 26a EStG mit dem „Gesetz zur weiteren Stärkung des 2 BR-Drs. 318/10 vom 09.07.2010. 3 Siehe unter www.deutscher-verein.de, Rubrik Empfehlungen/Stellungnahmen 4 Siehe dazu auch RdLh 2009, S. 146 ff. 5 Siehe dazu RdLh 2007, S. 16 ff. |Die neue Fachzeitschrift der Lebenshilfe | Weitere Infos erhalten Sie hier: www.lebenshilfe.de/teilhabe.php Vertrieb: 06421/491-123 Rech t s d i e n s t 3 / 2 0 1 0 Rechtsprechung und rechtspraxis 93 SGB II Mehrbedarf bei Gehbehinderung und Hygienebedarf als Härtefall BSG, Urteil vom 18.2.2010 – Az: B 4 AS 29/09 R und Urteil vom 19.08.2010 – Az: B 14 AS 13/10 R In RdLh 2/09, S. 58 wurde ein Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg veröffentlicht, wonach ein Mehrbedarf wegen Schwerbehinderung nach § 21 Abs. 4 SGB II nur bei gleichzeitigem Bezug von Eingliederungshilfe bewilligt werden kann. Nach der Rechsprechung des BVerfG zur Verfassungswidrigkeit der Regelsatzhöhe und dem zusätzlichen Bedarf in Härtefällen (vgl. Beiträge von Wendt in RdLh 1/10, S. 8 ff. und RdLh 2/10, 53 ff.) hat das BSG nunmehr in der nachfolgenden Entscheidung konkretisiert, wann bei einem gehbehinderten Leistungsberechtigten nach SGB II ein solcher zusätzlicher Bedarf im Härtefall zuerkannt werden kann. Die 1967 geborene Klägerin begehrt höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 01.01.2005 bis zum 31.05.2006. Sie ist mit einem Merkzeichen G erheblich gehbehindert, und bezieht seit dem 01.07.2007 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. In dem Klage- und Berufungsverfahren blieb die Klägerin mit ihrem Begehren nach einem Zuschlag in Höhe von 59 Euro wegen ihrer Gehbehinderung erfolglos. Das BSG verwies das Verfahren zur erneuten Entscheidung an das LSG NRW zurück. Zwar habe das LSG zutreffend auf einfachgesetzlicher Grundlage entschieden, dass eine analoge Anwendung des § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 SGB II ausgeschlossen sei. Nach dieser Vorschrift erhalten nur nicht erwerbsfähige Angehörige, die mit einem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, einen Mehrbedarf von 17 % der maßgebenden Regelleistung, wenn sie Inhaber eines Ausweises mit dem Merkzeichen G sind. Der Senat könne aufgrund der Feststellungen des LSG jedoch nicht entscheiden, ob der Klägerin ein Anspruch auf höhere Leistungen aus Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs.1 GG zukomme. Fehlender Mehrbedarf keine Gesetzeslücke Zwar fehle es an einer planwidrigen Gesetzeslücke im SGB II, da es dem gesetzgeberischen Anliegen entsprach, erwerbsfähigen Hilfebedürftigen allein wegen des Merkzeichens G im Ausweis keinen Mehrbedarf zukommen zu lassen. Auch erhalte die Klägerin keine Eingliederungshilfeleistungen für einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 4 SGB II. Das BVerfG habe aber mit Urteil vom 09.02.2010 (NJW 2010, 505) entschieden, dass u. a. § 20 Abs. 2 1. Halbsatz und Abs. 3 Satz 1 SGB II seit dem Inkrafttreten des SGB II am 01.01.2005 wegen Verstoßes gegen Art. 1 Abs.1 GG i. V. m. Art 20 Abs. 1 GG verfassungswidrig seien. Die dem Gesetzgeber aufgegebene Neuregelung müsse bis zum 31.12.2010 einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherstellung eines unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen Bedarfs für die nach § 7 SGB II Leistungsberechtigten vorsehen, der bisher nicht von den Leistungen nach den §§ 20 ff. SGB II erfasst werde, jedoch zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums zwingend zu decken sei. Bis zur gesetzlichen Neuregelung sei ein solcher Anspruch direkt aus dem Grundgesetz ableitbar. Das LSG müsse daher prüfen, ob im Fall der Klägerin ein zusätzlicher Anspruch auf Leistungen wegen eines unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen und besonderen Bedarfs (sog. Härtefall) bestehe. Es müsse eine atypische Bedarfslage vorliegen, Ermittlungen ins Blaue hinein seien nicht erforderlich. Härtefall bei atypischer Bedarfslage Anhaltspunkte für eine atypische Bedarfslage könnten bei der Klägerin darin liegen, dass wegen der Schwerund Gehbehinderung ein besonderer Bedarf gegeben sei. Dem stehe nicht entgegen, dass die Beteiligten um einen Zeitraum vom 01.01.2005 bis zum 31.06.2006 streiten. In laufenden, noch nicht abgeschlossenen Verfahren müsse nach den Härtefall-Grundsätzen des BVerfG entschieden werden, da das BVerfG nur eine rückwirkende Neufestsetzung von Leistungen ausschließen wollte. Wäre der verfassungsrechtliche Anspruch erst für Leistungszeiträume nach dem Entscheidungszeitpunkt des BVerfG vom 09.02.2010 an gegeben, stellte sich die Frage nach einer verfassungskonformen Auslegung des § 23 SGB II und des § 73 SGB XII. Sollte das LSG zu dem Ergebnis gelangen, der Klägerin stehe kein Mehrbedarf wegen eines Härtefalls zu, müsse es ferner beachten, dass die Ungleichbehandlung von erwerbsfähigen und erwerbsunfähigen Hilfebedürftigen, die ersteren einen pauschalierten Mehrbedarf versage, nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoße. Der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum zur Ausfüllung dieser Verfassungsnorm werde umso enger, je mehr es sich um ein personenbezogenes Merkmal handele, an dem die Differenzierung ansetze. Im vorliegenden Fall sei die Differenzierung durch die Erwerbszentriertheit und den Grundsatz des Forderns des SGB II gerechtfertigt. Der Hinweis der Klägerin, wegen ihrer Gehbehinderung keinen Zusatzverdienst erwerben zu können, sei für einen Härtefall nicht ausreichend. Fahrtkosten als Hauptkostenfaktor würden bei einer Nutzung des ÖPNV nicht als Mehrkosten anfallen und könnten bei einer erheblichen Gehbehinderung durch den Bezug einer Wertmarke ausgeglichen werden. Es bliebe daher nur ein schmaler Grad aus dem privaten Bereich für die Anerkennung eines solchen Härtefalls. Härtefall bei Hygienebedarf eines AIDS-Kranken (BSG B 14 AS 13/10) Von dieser Entscheidung vom 19.8.2010 liegt bei Redaktionsschluss nur der Terminbericht vor. Danach wurde der beigeladene Sozialhilfeträ- 94 Rechtsprechung und rechtspraxis ger verurteilt, nach § 73 SGB XII (Hilfe in sonstigen Lebenslagen) den Bedarf für Hygieneartikel von monatlich 20,45 Euro zu tragen. Die Klage gegen den Träger für Arbeitsuchende nach dem SGB II hatte für diesen Härtefall keinen Erfolg, da dem Kläger bereits nach der Entscheidung des SG Berlin ein Anspruch auf Leistungen nach § 73 SGB XII zustehe. Wie im Fall der Kosten für das Umgangsrecht der Kinder nach Ehescheidung könne ausnahmsweise ein Anspruch auf Hilfe in sonstigen Lebenslagen nach § 73 SGB XII gegen den Sozialhilfeträger bestehen, wenn eine atypische Bedarfslage vorliege, die nach dem SGB II nicht gedeckt werden könne, deren Befriedigung aber aus verfassungsrechtlichen Gründen zwingend geboten sei. Dafür müsse eine gewisse Ähnlichkeit mit den im fünften Kapitel des SGB XII genannten Leistungen bestehen. Für den an AIDS erkrankten Kläger sei das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit in Verbindung mit der Menschenwürde zu beachten (Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 GG). Regelungen für einen entsprechenden Anspruch ergäben sich aus den § 47 ff. SGB XII. Allerdings räume § 73 SGB XII dem Sozialhilfeträger ein Ermessen ein. Zutreffend habe das SG entschieden, dass dieses im vorliegenden Fall auf Null geschrumpft sei. Zwar sei der Einsatz öffentlicher Mittel nicht gerechtfertigt, wenn es sich um Bagatellbedarfe handele. Davon könne aber bei einem fortlaufenden monatlichen Bedarf von 20 Euro nicht ausgegangen werden. Anmerkung Die Entscheidung des BSG macht deutlich, dass entgegen der Ansicht Rechtsdienst 3/2010 des für die Umsetzung des BVerfGUrteils verantwortlichen BMAS, nicht nur der Kinderregelsatz angehoben werden muss, sondern auch die Verweigerung eines Mehrbedarfszuschlags für erwerbsfähige schwerbehinderte Personen mit einem G im Ausweis überdacht werden muss. Zwar sei es nicht per se als Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz zu bewerten, dass erwerbsunfähigen, nicht aber erwerbsfähigen Personen ein solcher Mehrbedarf zuerkannt werde. Im Einzelfall könne aber sehr wohl ein Härtefall gegeben sein (z. B. bei der Inanspruchnahme einer Haushaltskraft von Rollstuhlfahrern, vgl. RdLh 2/10, S. 55). Soweit es um kranke oder behinderte Menschen geht, ist auch § 73 SGB XII für Sonderbedarfe in den Blick zu nehmen, wie die AIDS-Krankenentscheidung des BSG belegt. (We) SGB V Soziotherapie: Warum eine sinnvolle Leistung nicht umgesetzt wird von Dr. Katharina Ratzke, Diakonisches Werk der EKD (Berlin) Psychische Erkrankungen - eine wachsende Herausforderung In den letzten Jahren weisen die gesetzlichen Krankenkassen regelmäßig darauf hin, dass psychische Erkrankungen sowie die Kosten für deren Behandlung kontinuierlich steigen. Allein im Zeitraum von 1990 bis 2008 ist der Anteil von Fehltagen wegen seelischer Störungen an allen Krankheitstagen von 2,75 Prozent auf 10,6 Prozent angestiegen. Während in wirtschaftlichen Krisenzeiten der Krankenstand abnimmt, steigt der Krankenstand aufgrund psychischer Erkrankungen in diesen Phasen besonders an. Ob psychische Erkrankungen in den letzten Jahren allerdings tatsächlich zugenommen haben oder ob nur mehr psychische Erkrankungen diagnostiziert und behandelt werden, ist aufgrund der aktuellen Datenlage nicht eindeutig zu beantworten. Was wir jedoch wissen ist, dass etwas mehr als zehn Prozent der Ausgaben im Gesundheitswesen für die Behandlung von psychischen und Verhaltensstörungen als direkte Kosten aufgewendet werden. Ob diese Aufwendungen immer sinnvoll ausgegeben werden, fragt beispielsweise die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in ihrer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung „ Zunahme von psychischen Erkrankungen“ (BT-Drs. 17/2663 vom 27.07.2010). Überproportionale klinische Versorgung Aufgrund des Finanzierungsgefälles zwischen klinischer und außerklinischer Versorgung ist eine angemessene ambulante, wenn notwendig aufsuchende und umfassende Behandlung von Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen in Deutschland nicht ausreichend umgesetzt. Diese Versorgungsdefizite im ambulanten Bereich können in einem engen Zusammenhang mit der Zunahme der Kosten in psychiatrischen Kliniken gesehen werden. In aktuellen Pressemitteilungen gesetzlicher Krankenkassen wird auch 2010 wieder darauf hingewiesen, dass die Anzahl der Patientinnen und Patienten in psychiatrischen Kliniken wei- ter angestiegen ist. Bei vielen Krankenkassen entfallen inzwischen auf psychische und Verhaltensstörungen die meisten Krankenhausbehandlungstage. Die besondere Bedeutung von psychischen Störungen resultiert dabei aus der längeren Verweildauer. Bei Diagnosen wie „depressive Episode“ oder „Schizophrenie“ dauert die Behandlung im Krankenhaus oft über 30 Tage. Frühzeitige und umfassende Behandlungsmöglichkeiten in der Lebenswelt der Betroffenen, die vermeidbare und belastende Krankenhausaufenthalte verhindern können, reduzieren nicht nur möglicherweise psychisches Leiden, sondern sind auch aus einer gesundheitsökonomischen Perspektive alternativlos. An dieser Stelle kommt die ambulante Soziotherapie ins Spiel. Ambulante Soziotherapie als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung Ambulante Soziotherapie wurde mit dem Gesundheitsreformgesetz im Jahr 2000 als Individualanspruch im § 37a SGB V verankert. Soziotherapie Rech t s d i e n s t 3 / 2 0 1 0 richtet sich an Menschen mit schweren und oft lang andauernden psychischen Erkrankungen. Da diese in bestimmten Krankheitsphasen häufig nicht in der Lage sind, bestehende Behandlungsund Hilfsangebote selbständig in Anspruch zu nehmen, soll Soziotherapie durch Motivation und strukturierte Trainingsmaßnahmen diese Inanspruchnahme ermöglichen. Darüber hinaus umfasst Soziotherapie die im Einzelfall erforderliche Koordinierung der verordneten Leistungen. Der Anspruch besteht für höchstens 120 Stunden innerhalb von drei Jahren je Krankheitsfall. Ziel ist, stationäre Klinikaufenthalte zu vermeiden oder zu verkürzen. Die Einzelheiten, insbesondere die Voraussetzungen, Art und Umfang der Versorgung mit Soziotherapie sind in den „Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Durchführung von Soziotherapie in der vertragsärztlichen Versorgung“ geregelt, die am 1. Januar 2002 in Kraft traten. Im November 2001 wurden „Gemeinsame Empfehlungen der Spitzenverbände der Krankenkassen gemäß § 132b Abs. 2 SGB V zu den Anforderungen an die Leistungserbringer für Soziotherapie“ beschlossen. Im Rahmen des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes wurde auf die einheitliche Empfehlung der Krankenkassen zu den Anforderungen an die Leistungserbringer für Soziotherapie ab dem 01.07.2008 wieder verzichtet. Besondere Belange bei psychischen Erkrankungen Der Gesetzgeber hat mit Einführung der Soziotherapie eine seit Ende der 80er Jahre bestehende rechtliche Vorgabe umgesetzt: Die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit psychischen Erkrankungen in der medizinischen Versorgung zu berücksichtigen (vgl. § 27 Abs. 1 SGB V). Gleichzeitig wurde den Forderungen aus der Fachwelt und den Betroffenenverbänden Rechnung getragen, die ambulanten und gemeindenahen Behandlungsmöglichkeiten für Menschen mit chronisch verlaufenden psychischen Erkrankungen zu stärken und auszubauen. Genau hierin liegt die besondere Bedeutung von Soziotherapie, die keine weitere isolierte Einzelleistung darstellen sollte. Rechtsprechung und rechtspraxis Komplexleistung als Schlüssel Durch die konsequente Einbeziehung und Aktivierung der Patientinnen und Patienten sowie die Koordination unterschiedlicher ärztlich verordneter Leistungen lassen sich diese zu einer ambulanten Komplexleistung verbinden. Fehlende ambulante Komplexleistungen gelten als das zentrale Hindernis, um den fachlich und sozialrechtlich gebotenen Vorrang ambulanter gegenüber stationärer und teilstationärer Behandlung umzusetzen. Umsetzungsprobleme bei der Implementierung von Soziotherapie Die verzögerte und verschleppte Umsetzung von Soziotherapie ist angesichts dieser Schlüsselfunktion für die ambulante psychiatrische Versorgung und der seit Jahren kontinuierlich steigenden Gesundheitskosten im klinisch-psychiatrischen Bereich ein Skandal. Zehn Jahre nach Einführung des Leistungsangebotes „Soziotherapie“ ist diese in der Bundesrepublik – von Ausnahmen abgesehen – nach wie vor nur punktuell verfügbar. Ende 2004 gab es allein in Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz und dem Saarland einen Rahmenvertrag zur Soziotherapie auf Landesebene, so dass dort schrittweise eine Versorgung mit ambulanter Soziotherapie aufgebaut wurde. In allen anderen Ländern fehlten soziotherapeutische Leistungserbringer noch vollständig oder es gab nur Einzelverträge. Folgende Zahl mag das Ausmaß des Scheiterns einer flächendeckenden Umsetzung verdeutlichen: In Bezug auf die erwarteten Kostenfolgen der ambulanten Soziotherapie betrugen die tatsächlichen Ausgaben im Jahr 2004 lediglich 1,5 Prozent der geschätzten maximalen Aufwendungen (vgl. Projektbericht zur Evaluation der Umsetzung des § 37a SGB V (Soziotherapie) der Aktion Psychisch Kranke). Bis Ende 2008 haben sich die Gesamtausgaben der GKV für die Soziotherapie im Vergleich zu 2004 knapp verdoppelt. Keine flächendeckende Umsetzung Nach einer umfangreichen Evaluation der Aktion Psychisch Kranke zur Umsetzung von Soziotherapie (2005), einer breit angelegten Befragung des Gemeinsamen Bundesausschusses (2008) sowie einem Bericht der AG Psychiatrie der Obersten Landesgesundheitsbehörden (2010) liegen die Gründe für die nicht erfolgte Umsetzung offen zu Tage: Ein wesentlicher Grund sind die unrealistischen Quali- 95 fikationsanforderungen und Tätigkeitsprofile an die Mitarbeitenden in den psychiatrischen Diensten und Einrichtungen, die in den Gemeinsamen Empfehlungen der Spitzenverbände der Krankenkassen niedergelegt worden waren (vgl. § 132b Abs. 2 SGB V). Diese hohen Anforderungen führten dazu, dass nur wenige Einrichtungen und Dienste einen förmlichen Antrag als Leistungserbringer für Soziotherapie gestellt haben. Unzureichende Vergütung und hoher Verwaltungsaufwand Als viel gravierenderes Hemmnis stellt sich jedoch die nicht auskömmliche, da nicht kostendeckende Vergütung dar, die von den Krankenkassen angeboten wird. Die Vergütung schwankt je nach Bundesland zwischen 24 und 42 Euro (pro Behandlungseinheit à 60 Minuten) und steht in keinem angemessenem Verhältnis zur geforderten Qualifikation des Leistungserbringers. Von Seiten der Ärztinnen und Ärzte wird ebenfalls die mangelnde Finanzierung sowie der hohe bürokratische Aufwand beklagt. Die Befragung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) hat darüber hinaus ergeben, dass Soziotherapie als Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung innerhalb der Ärzteschaft viel zu wenig bekannt ist. Verbesserungsbedarf bei den Richtlinien Dort, wo Soziotherapie umgesetzt wird, hat sich gezeigt, dass auch die Richtlinien des G-BA überarbeitet werden müssen, wenn eine ausreichende und bedarfsgerechte ambulante Versorgung und Behandlung von Menschen mit chronisch verlaufenden, psychischen Erkrankungen sichergestellt werden soll. So hat das Diakonische Werk der EKD bereits 2008 darauf verwiesen, dass u. a. bei den Indikationen weitere Diagnosen mit aufzunehmen sind. Dabei sollten die Indikationen selbst auf einer Gesamtbewertung von Diagnose, Schweregrad der Erkrankung und Problemen bei der Alltagsbewältigung beruhen. Die Verordnung von Soziotherapie sollte nicht nur bei einer unmittelbar bevorstehenden Krankenhausbehandlung indiziert sein und sowohl von Ärztinnen und Ärzten in Psychiatrischen Institutsambulanzen als auch in sozialpsychiatrischen Diensten ausgestellt werden können. Die Zukunft der Soziotherapie In den letzten zwei bis drei Jahren 96 Rechtsprechung und rechtspraxis haben integrierte Versorgungsverträge nach §§ 140a-d SGB V dazu geführt, dass Soziotherapie flexibler, individueller und mit einer besseren Vergütung angeboten werden kann. Trotz der Chancen, die integrierte Versorgungskonzepte für die Leistungserbringung von Soziotherapie bereithalten, darf nicht außer acht gelassen werden, dass diese Verträge allein die Sicherstellung der Soziotherapie für alle Menschen mit chronischen, psychischen Erkrankungen in einer Region nicht gewährleisten können. Im Rahmen einer Fachveranstaltung „Zukunft der ambulanten Soziotherapie für psychisch Kranke“, die im Februar 2010 von den Verbänden des Kontaktgespräches „Psychiatrie“ durch-geführt wurde, wurden unterschiedliche Lösungsansätze für eine verbesserte Umsetzung vorgestellt und diskutiert (die Dokumentation des Fachtages kann von der Homepage der Aktion Psychisch Kranke heruntergeladen werden). Rechtsdienst 3/2010 Vorschläge zur Verbesserung der Situation Bei einem vertragslosen Zustand sollte auf die Möglichkeit der Selbstbeschaffung von Leistungen nach § 13 Abs. 3 SGB V hingewiesen werden. Auch im Rahmen eines trägerübergreifenden Persönlichen Budgets (§ 11 Abs. 1 Nr. 5 SGB V) besteht ein Rechtsanspruch auf Soziotherapie. In Bezug auf gesetzgeberische Änderungen ist primär zu fordern, die Zugangshürde „Krankenhausvermeidung“ im § 37a SGB V ganz zu streichen (ambulante Versorgung intensivieren). In ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage „Zunahme von psychischen Erkrankungen“ hat auch die Bundesregierung gefordert, den Vorrang ambulanter vor stationärer Hilfeleistung zu stärken, um den betroffenen Menschen ein Leben möglichst außerhalb von Institutionen zu ermöglichen (BTDrs. 17/2663, S. 13). Soziotherapie sollte eine Regelleistung bei allen psychischen Erkrankungen mit komple- xem Behandlungsbedarf und Teilhabeeinschränkung werden (umfassende Hilfe für Menschen mit psychischen Erkrankungen). Auch muss der Zugang zur Leistung Soziotherapie entbürokratisiert und beschleunigt werden (Aufbau einer niedrigschwelligen ambulanten Versorgungsstruktur). Ein derartiges Verständnis von Soziotherapie eröffnet auch die Chance, Artikel 25 der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen in unserem Gesundheitssystem zu verankern. Das dort beschriebene Recht auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit ohne Diskriminierung kann für viele Menschen mit schweren und chronisch verlaufenden Störungen nur durch eine Unterstützung bei der Inanspruchnahme von ambulanten Leistungen der Krankenversicherung schrittweise durchgesetzt werden. Dies umfasst auch Soziotherapie. Zum Thema Soziotherapie siehe auch das nachfolgend vorgestellte Urteil des BSG. SGB V Keine Begrenzung der Soziotherapie auf drei Jahre BSG, Urteil vom 20.04.2010, Az: B 1/3 KR 21/08 R Streitig ist die weitere Gewährung von Soziotherapie nach § 37a SGB V über den Dreijahreszeitraum hinaus. Bei der 1945 geborenen Klägerin besteht seit Jahrzehnten eine psychische Erkrankung. Sie musste deshalb in der Vergangenheit mehrmals stationär behandelt werden. Im Mai 2003 stellte der behandelnde Facharzt erstmals eine „Verordnung Soziotherapie gem. § 37a SGB V“ aus. Er begründete seine Verordnung unter anderem damit, dass der Erhalt des Funktionsniveaus nicht ausreichend sei. Eine Verwahrlosung müsse ausgeschlossen werden. Eine Besserung sei ausschließlich durch eine intensive Betreuung der Patientin zu erreichen. Die beklagte Krankenkasse gewährte mit Bescheiden von September 2003 und Juli 2004 jeweils 30 Einheiten ambulante Soziotherapie. Eine Fortsetzung der Soziotherapie über Mai 2006 hinaus lehnte die Krankenkasse ab, da § 37a SGB V den Behandlungszeitraum drei Jahre begrenze. auf maximal Der behandelnde Facharzt hat die Notwendigkeit der Fortsetzung der Therapie bestätigt und erneut Soziotherapie verordnet. Anspruch auf Soziotherapie kann lebenslang bestehen Das SG Reutlingen hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 26.09.2007; Az: S 2 KR 3235/06). Das LSG BadenWürttemberg hat das Urteil aufgehoben und die Krankenkasse zur Gewährung von Soziotherapie über Mai 2006 hinaus verurteilt (Urteil vom 16.09.2008; Az: L 11 KR 1171/08). Bei einer über drei Jahre hinausgehenden Behandlungsbedürftigkeit trete mit Beginn des nächsten Dreijahreszeitraums ein neuer Krankheitsfall ein und damit ein neuer Anspruch auf Soziotherapie im Umfang von maximal 120 Stunden innerhalb von drei Jahren. Das BSG hat die Revision als un- begründet zurückgewiesen. Das LSG habe zu Recht entschieden, dass die Voraussetzungen des Anspruchs auf Soziotherapie erfüllt seien, ohne dass die Begrenzungsregelung des § 37a Abs. 1 Satz 3 SGB V entgegenstehe. Bei der Klägerin bestehe insbesondere die Indikation für Soziotherapie entsprechend der Soziotherapie-Richtlinie. Auch sei zu erwarten, dass die Klägerin die Therapieziele erreichen könne. Die Begrenzungsregelung des § 37a Abs. 1 Satz 3 SGB V schließe es lediglich aus, dass innerhalb von drei Jahren je Krankheitsfall mehr als 120 Stunden Soziotherapie geleistet werden. Dauere ein Krankheitsfall länger als drei Jahre an, verbiete § 37a Abs. 1 Satz 3 SGB V nicht, dass in einem weiteren Dreijahreszeitraum erneut bis zu 120 Stunden Soziotherapie geleistet werden. Leistung an der Nahtstelle zwischen Krankenbehandlung und allgemeiner Lebenshilfe Rech t s d i e n s t 3 / 2 0 1 0 Dies ergebe sich aus der Auslegung der Regelung nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte, System und Zweck. Dauer und Frequenz der soziotherapeutischen Betreuung hänge von den individuellen medizinischen Erfordernissen ab. Nach Ablauf von drei Jahren könne erneut die Gewährung von Soziotherapie in Betracht kommen, auch wenn dem Therapiebedarf unverändert dieselbe Krankheitsursache zu Grunde liege. Anmerkung Die leistungserbringerrechtliche Korrespondenznorm zum individuellen Rechtsanspruch auf Soziotherapie ist § 132b SGB V (Versorgung mit Soziotherapie). Dort ist geregelt, dass die Krankenkassen mit geeigneten Personen oder Einrichtungen Verträge über die Versorgung mit Soziotherapie schließen können, soweit dies für eine Rechtsprechung und rechtspraxis bedarfsgerechte Versorgung notwendig ist. Die Vorschrift hat bisher ein bundesweit flächendeckendes Netz von Leistungserbringern verhindert, da sie als sogenannte „Kann-Vorschrift“ ausgestaltet ist und eine Bedarfsprüfung vorsieht. Nachdem die Rechtsprechung die „Kann-Formulierung“ bereits in eine „Ist-Formulierung“ umgedeutet hat (i. d. R. Ermessensreduzierung auf Null) sollte dieser Schritt auch im Gesetz nachvollzogen werden. Die gesetzlich vorgesehene zusätzliche Bedarfsprüfung ist nicht notwendig. § 2 Abs. 4 SGB V schreibt bereits vor, dass Leistungen wirtschaftlich und nur im notwendigen Umfang erbracht werden dürfen. Einer weiteren Bedarfsprüfung bedarf es insoweit nicht. 97 Zusätzlich gilt im heutigen Sozialleistungsrecht der Wettbewerbsgedanke: Jeder Träger, der die im SGB V genannten Voraussetzungen erfüllt, hat ein Recht auf Zulassung. Marktregulierung ist nicht Aufgabe der gesetzlichen Krankenkassen. Die Situation der Leistungserbringer ist zusätzlich erschwert, seitdem zum 01.07.2008 § 132b Abs. 2 SGB V aufgehoben wurde. Bis dahin war in § 132b Abs. 2 SGB V geregelt, dass die Spitzenverbände der Krankenkassen gemeinsam und einheitlich in Empfehlungen die Anforderungen an die Leistungserbringer für Soziotherapie festlegen. Ohne diese Verpflichtung ist eine Vereinbarung über bundeseinheitliche Standards in weite Ferne gerückt. (Sch) Vgl. zum Thema Soziotherapie auch den vorherigen Beitrag. SGB V Umfassender Anspruch auf häusliche Krankenpflege auch bei Pflegebedürftigkeit BSG, Urteil vom 17.06.2010 – Az: B 3 KR 7/09 R Der 1956 geborene Kläger erkrankte im Oktober 2004 an einer bakteriellen Meningitis/Meningeoenzephalitis. Seit seiner Entlassung aus der stationären Behandlung im Oktober 2005 wird er in seiner häuslichen Umgebung medizinisch und pflegerisch versorgt. teil von 19 Stunden). Die beigeladene Pflegekasse steuert den monatlichen Höchstsatz der Pflegestufe III bei. Seit der Entlassung aus dem Krankenhaus verbleibt dadurch ein monatlicher Rest von ca. 320 Euro, bis März 2009 sind auf diese Weise Restbeträge von insgesamt ca. 130.000 Euro aufgelaufen. Der Kläger ist dauerhaft schwerstpflegebedürftig (Pflegestufe III) und rund um die Uhr beatmungspflichtig. Eine 24-Stunden-Betreuung durch qualifiziertes Krankenpflege-Fachpersonal ist erforderlich. Die Krankenkasse bewilligte Leistungen der häuslichen Krankenpflege gem. § 37 SGB V nur für 19 Stunden pro Tag, weil während der Maßnahmen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung die Krankenbeobachtung als selbständige Leistung in den Hintergrund trete und die Sachleistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) im Rahmen der Behandlungssicherungspflege (§ 37 Abs. 2 SGB V) auf jene Zeiten beschränkt sei, in denen keine Grundpflege geleistet werde. Die Maßnahmen der Krankenbeobachtung, der sonstigen Behandlungspflege und der Grundpflege werden sämtlich von einem ambulanten Pflegedienst im Dreischichtenprinzip durchgeführt. Die hauswirtschaftliche Versorgung erfolgt durch die Ehefrau, die als Lehrerin berufstätig ist. Die Pflegekosten betragen pro Tag 726 Euro. Die beklagte Krankenkasse trägt davon täglich ca. 575 Euro (An- Das SG Ulm hat die Krankenkasse verurteilt, die Kosten der Behandlungspflege (§ 37 SGB V) in vollem Umfang, verringert um den jeweiligen Sachleistungsanteil der Pflegekasse, freizustellen (Urteil vom 28.08.2007 – Az: S 1 KR 3988/06). Grundpflege (SGB XI) verdrängt nicht Behandlungspflege (SGB V) Das LSG Baden-Württemberg hat die Berufung der Krankenkasse zurückgewiesen (Urteil vom 15.05.2009 – Az: L 4 KR 4793/07). Die Behandlungssicherungspflege nach § 37 Abs. 2 SGB V sei von der Krankenkasse in dem von den Ärzten verordneten Umfang von täglich 24 Stunden zu übernehmen. Dieser krankenversicherungsrechtliche Anspruch werde nicht durch den gleichzeitig gegebenen pflegeversicherungsrechtlichen Anspruch nach § 36 SGB XI verdrängt, sondern nur ergänzt. Krankenbeobachtung und Beatmungskontrolle seien rund um die Uhr auch während der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung notwendig. Sie überlappten sich zwar mit diesen der Pflegeversicherung zuzurechnenden Maßnahmen, würden von diesen aber nicht zu 98 Rechtsprechung und rechtspraxis einer untergeordneten Nebenleistung herabgestuft, sondern seien gleichrangig erforderlich. zur Krankenbehandlung nach dem SGB V grundsätzlich unbeschränkt geleistet werden. Mit der Revision zum BSG vertritt die Krankenkasse die Auffassung, dass der Anspruch auf Pflegesachleistungen nach § 36 SGB XI im zeitlichen Umfang der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung den Anspruch auf Behandlungspflege nach § 37 Abs. 2 SGB V verdränge. Keine Gewichtung der Pflegeleistungen zum Nachteil der Versicherten Das BSG hat die vorinstanzlichen Entscheidungen aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen. Das LSG habe zwar im Grundsatz, aber nicht in der Höhe der Leistung zutreffend entschieden. Krankheitsspezifische Pflege ist häusliche Krankenpflege Die beklagte Krankenkasse habe den Aufwand des Klägers für Behandlungssicherungspflege in größerem Umfang zu tragen. Seit der Gesetzesänderung vom 01.01.2004 durch das Gesundheitsmodernisierungsgesetz (GMG) umfasse der Anspruch auf Behandlungssicherungspflege auch verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen. Dies gelte selbst dann, wenn die Pflegemaßnahmen bei der Feststellung bei Pflegebedürftigkeit nach §§ 14 f. SGB XI zu berücksichtigen seien. Diese Rechtslage sei durch die erneute Änderung des § 37 Abs. 2 SGB V durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) zum 01.04. 2007 nochmals klargestellt worden. Der Kläger habe demnach einen umfassenden Anspruch auf häusliche Krankenpflege, der ergänzt werde durch einen Anspruch gegenüber der Pflegekasse. Dieser Anspruch beinhalte aber nur die reine Grundpflege sowie die hauswirtschaftliche Versorgung; insoweit sei die GKV nicht leistungspflichtig (vgl. § 37 Abs. 2 Satz 6 SGB V). Die Ansprüche aus der GKV nach § 37 Abs. 2 SGB V und die aus der Pflegeversicherung nach § 36 SGB XI stünden gleichberechtigt nebeneinander. Werden die Leistungen der Pflegekasse stärker gewichtet, entstehen insbesondere in Fällen mit hohem Behandlungsumfang erhebliche Finanzierungslücken, wie der zugrundelegende Fall belegt. Die Entscheidung des BSG ist daher nachdrücklich zu begrüßen und entspricht dem geltenden Recht. Wegen der schwierigen Abgrenzung zur Grundpflege gem. SGB XI hat der Gesetzgeber 2007 im GKVWettbewerbsstärkungsgesetz neu geregelt, dass verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen zur häuslichen Krankenpflege gehören. Dies gilt auch dann, wenn die Pflegeleistungen bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit i. S. d. SGB XI zu berücksichtigen sind. Mit Urteil vom 28.01.1999 (Az: B 3 KR 4/98 R) hatte das BSG entschieden, dass der Anspruch auf häusliche Krankenpflege nach § 37 SGB V Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung nicht bei dauernder Pflegebedürftigkeit umfasse (sog. Drachenflieger-Urteil). Die dieser Auffassung zugrunde liegende Annahme, während der Erbringung von Leistungen der Grundpflege trete die Behandlungspflege in den Hintergrund, Rechtsdienst 3/2010 gibt das Gericht mit dieser Entscheidung ausdrücklich auf. Die mit dem GMG und dem GKVWSG vollzogenen Änderungen des § 37 SGB V belegten, dass die gesetzliche Krankenversicherung nach den Vorstellungen des Gesetzgebers insbesondere bei Fällen der Rund-um-dieUhr-Betreuung an den pflegebedingten Aufwendungen stärker beteiligt sein solle. Maßstäbe für eine Abgrenzung der Leistungen Nach Ansicht des BSG ist die Abgrenzung der Behandlungspflege gem. § 37 SGB V von der Pflegesachleistung gem. § 36 SGB XI wie folgt vorzunehmen: Es ist zunächst die von der Pflegekasse geschuldete Grundpflege zeitlich zu erfassen. Dies gilt auch für die hauswirtschaftliche Versorgung wenn diese durch einen ambulanten Dienst erbracht wird. Der so ermittelte Zeitwert ist nicht vollständig, sondern nur zur Hälfte vom Anspruch auf die ärztlich verordnete 24-stündige Behandlungspflege abzuziehen, weil während der Durchführung der Grundpflege weiterhin Behandlungspflege stattfindet und beide Leistungsbereiche gleichrangig nebeneinander stehen. Die Zurückverweisung erfolgte, weil das LSG noch tatsächliche Feststellungen nachholen muss, die der Senat selbst nicht durchführen kann. SGB V Krankenkasse muss bei Hilfsmitteln die Wartungskosten tragen BSG, Urteil vom 10.03.2010 – Az: B 3 KR 1/09 R Anmerkung von Norbert Schumacher Streitig ist die Erstattung der Kosten für die Wartung einer Oberschenkelprothese mit elektronisch gesteuertem Kniegelenkssystem (C-leg). Rechtsstreitigkeiten zwischen Krankenkassen einerseits und Pflegekassen andererseits um die Zuständigkeit haben den Hintergrund, dass die Leistungen der sozialen Pflegeversicherung gedeckelt sind und Leistungen Der 1941 geborene Kläger erlitt im Jahre 1990 einen Unfall, der einen Verlust des rechten Beines zur Folge hatte. Die beklagte Krankenkasse versorgte den Kläger mit einer Oberschenkelprothese mit mechanischem Modular-Kniegelenk. Den Antrag auf Versorgung mit dem teureren C-leg lehnte sie ab. Der Kläger verzichtete auf einen Widerspruch und zahlte die Mehrkosten des C-leg aus eigener Tasche. Im Kaufpreis waren die Kosten für zwei Wartungsservice-Einheiten enthalten, die am Ende des ersten bzw. zweiten Tragejahres ausgeführt wurden. Die Rechtsprechung und rechtspraxis Rech t s d i e n s t 3 / 2 0 1 0 jährlichen Wartungen haben den Vorteil, dass der Gefahr teilweise erheblicher Reparaturkosten des C-leg vorgebeugt wird. Im August 2003 beantragte der Kläger unter Vorlage einer vertragsärztlichen Verordnung die Reparatur der Prothese einschließlich des dritten C-leg-Services. Die Krankenkasse zahlte die Reparaturkosten, lehnte aber die Übernahme der Kosten für den C-leg-Service ab. Dieser Rechnungsposten könne nicht übernommen werden, weil die Krankenkasse den Kläger nicht mit einem C-leg versorgt habe. Der Kläger ließ den dritten und vierten C-leg-Service auf eigene Kosten durchführen. Nachdem die Prothese funktionsuntüchtig geworden war, stattete die Krankenkasse den Kläger 2006 mit einer neuen C-leg Prothese aus. Die Hilfsmittelversorgung umfasst auch regelmäßige Wartungsarbeiten Das SG Hannover hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 23.03.2006 – Az: S 44 KR 101/04). Die Krankenkasse sei lediglich verpflichtet, die Kosten für die notwendigen Instandsetzungsarbeiten an der Oberschenkelprothese zu übernehmen. Die Vergütung für die Gewährleistungspauschale sei von ihr nicht zu erstatten. Auch das LSG Niedersachsen – Bremen hat die Voraussetzungen eines Kostenerstattungsanspruchs nach § 13 Abs. 3 SGB V nicht als erfüllt angesehen (Urteil vom 06.08.2008 – Az: L 4 KR 177/06). Ansprüche auf Instandsetzung eines Hilfsmittels könnten sich nur auf die von der Krankenkasse gewährte Versorgung beziehen. Der Kläger könne sich auch nicht darauf berufen, dass er möglicherweise bereits damals einen Anspruch auf die Versorgung mit einem C-leg gehabt habe. Die frühere Entscheidung der Beklagten sei bindend geworden. Erfolgreiche Nichtzulassungsbeschwerde Gegen die vom LSG nicht zugelassene Revision hat der Kläger Nichtzulassungsbeschwerde erhoben: Reparatur- und Wartungskosten seien nicht nur bei bewilligten Hilfsmitteln zu tragen. Es komme allein darauf an, ob die Krankenkasse ein Hilfsmittel zum Zeitpunkt der Selbstbeschaffung (§ 13 Abs. 3 SGB V) hätte bewilligen müssen, wenn ihr ein entsprechender Leistungsantrag vorgelegen hätte. Das BSG hat die Revision zugelassen, das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen. Die beklagte Krankenkasse habe zu Unrecht angenommen, Reparatur- und Wartungskosten seien nur bei von ihr bewilligten Hilfsmitteln zu tragen. Entscheidend sei vielmehr, dass die Krankenkasse das Hilfsmittel zum Zeitpunkt der Selbstbeschaffung hätte bewilligen müssen, die Ablehnung eines entsprechenden Leistungsantrages also rechtswidrig gewesen wäre. Kostenübernahme auch bei selbstbeschafften Hilfsmitteln Die Pflicht der Krankenkasse erstrecke sich auch auf die Erstattung der notwendigen Kosten einer Hilfsmittelwartung und nicht nur auf die Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln. Dies ergebe sich aus der Regelung des § 33 Abs. 1 Satz 4 SGB V in der seit 01.04.2007 gültigen Fassung. Damit sei lediglich eine Klarstellung des bislang schon geltenden Rechtszustandes erfolgt, wie den Gesetzesmaterialien ausdrücklich zu entnehmen sei. Anmerkung Es spreche viel dafür, dass dem Kläger ein Kostenerstattungsanspruch für den dritten und vierten Wartungs- 99 service zustehe, hat das BSG dem LSG zur Entscheidungsfindung mit auf den Weg gegeben. Eine Leistungspflicht der Krankenkasse sei gegeben, wenn ein C-leg-Service notwendig im Sinne der Vorschriften sei. Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des LSG konnte das BSG hierüber nicht abschließend – positiv oder negativ – entscheiden. Wartungsvertrag schließt Einwände aus Die Notwendigkeit der Wartungsarbeiten wäre zudem ohne weitere Ermittlungen zu bejahen, wenn die Krankenkasse einen generellen Wartungsvertrag mit dem Hersteller geschlossen hätte. Der Einwand der Entbehrlichkeit und Unwirtschaftlichkeit der Wartungsarbeiten wäre dadurch von vornherein ausgeschlossen (§ 242 BGB). Ergänzend hat das Gericht darauf hingewiesen, dass dem Anspruch auf Kostenübernahme auch des vierten Wartungsservice nicht entgegenstehe, dass es möglicherweise an einer vertragsärztlichen Verordnung diesbezüglich fehle. Das BSG habe wiederholt entschieden, dass der Arztvorbehalt des § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB V im Hilfsmittelbereich nicht gelte und das Fehlen einer vertragsärztlichen Verordnung den Leistungsanspruch auf ein Hilfsmittel grundsätzlich nicht ausschließe. (Sch) SGB VI Kein Anspruch auf Gleitsichtbrille gegen Rentenversicherungsträger SG Dortmund, Gerichtsbescheid vom 13.07.2010 – Az: S 26 R 309/09 Die Beteiligten streiten über die Kostenerstattung für eine Gleitsichtbrille als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 16 SGB VI i. V. m. § 33 SGB IX. Der arbeitslose Kläger benötigt zum Lesen eine Brille mit der Stärke 2,5 bis 3,5 Dioptrien, für den Fernbereich 1,25 bis 1,5 Dioptrien. Er beantragte bei dem beklagten Rentenversicherungsträger die Kostenübernahme. Durch die Sehminderung falle ihm das Lesen von Printmedien und Beschei- den sowie die Arbeit am Computer schwer. Die nicht vorhandene Brille verschlechtere seine Chancen einen Arbeitsplatz zu bekommen. Die Brille sei Teil der Wiederherstellung der Arbeitskraft und damit vom Rentenversicherungsträger als Teilhabeleistung am Arbeitsleben zu erbringen. Der Beklagte lehnte die Kostenübernahme ab. Die Brille sei nur als Teilhabeleistung am Arbeitsleben anzusehen, wenn sie ausschließlich für eine bestimmte Form der Berufsausü- 100 Rechtsprechung und rechtspraxis bung benötigt werde. Der Kläger benötige eine Brille aber ersichtlich auch für den privaten Bereich. Die Tatsache, dass derartige Hilfsmittel nicht mehr von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen würden, könne nicht zu einer Leistungsverpflichtung der Rentenversicherung führen. Im Übrigen könnten die besonderen Anforderungen an das Sehvermögen nicht überprüft werden, da der Kläger in keinem unbefristeten Arbeitsverhältnis stehe. Brille nicht ausschließlich für Beruf benötigt Auch das SG Dortmund wies die Klage ab. Die Voraussetzungen der Kostenübernahme nach § 16 SGB VI i. V. m. § 33 Abs. 8 Satz 1 Nr. 4 SGB IX seien nicht gegeben. Der Kläger benötige die Brille unstreitig auch für den privaten Bereich. Die Rentenversicherung wäre aber nur zuständig, wenn das Hilfsmittel ausschließlich für eine bestimmte Form der Berufsausübung oder Berufsausbildung benötigt werde. Anderenfalls sei die materielle Zuständigkeit der gesetzlichen Kranken- versicherung gegeben. Herstellung der Berufsfähigkeit als Aufgabe der Krankenkasse In die Zuständigkeit der Krankenversicherung könnten grundsätzlich auch Hilfsmittel fallen, die nur für die Berufsausübung erforderlich seien. Zwar bestehe eine Leistungspflicht der Krankenkassen nur für solche Hilfsmittel, die zur Ausübung eines elementaren Grundbedürfnisses erforderlich seien. Hierzu zähle jedoch auch die Ausübung einer sinnvollen beruflichen Tätigkeit. Werde der Kläger mit dem von ihm begehrten Hilfsmittel erst in die Fähigkeit versetzt, eine Arbeit zu verrichten, so handele es sich um eine Aufgabe der Krankenversicherung. Auch kein Anspruch gegen Krankenkasse Da der Rentenversicherungsträger seine Zuständigkeit nach § 14 Abs. 1 und 2 SGB IX jedoch selbst bejaht habe, hätte er zwar grundsätzlich auch Rechtsdienst 3/2010 einen Anspruch des Klägers nach § 33 SGB V prüfen müssen. Jedoch sei auch ein solcher nicht gegeben. Nach § 33 Abs. 2 Satz 2 SGB V besteht ein Anspruch gegen die Krankenkasse, wenn mindestens die Stufe I nach der von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Klassifikation des Schweregrades erreicht ist. Diese Sehbeeinträchtigungsstufe erfülle der Kläger nicht. Anmerkung Das SG betont die materiell-rechtliche Zuständigkeitsabgrenzung zwischen der gesetzlichen Krankenversicherung und der Rentenversicherung im Bereich der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Aufgrund der alleinigen Zuständigkeit der Rentenversicherung für Hilfsmittel, die ausschließlich für eine bestimmte Form der Berufsausübung oder Berufsausbildung benötigt werden, könne keine „ersatzweise“ Zuständigkeit begründet werden, für den Fall, dass die gesetzliche Krankenversicherung nicht leisten müsse. (Lg) SGB IX Feststellung des Grades der Behinderung einer Transsexuellen LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23.07.2010 – Az: L 8 SB 3543/09 In Streit ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB). Die 1974 geborene Klägerin ist Transsexuelle. Nach einer geschlechtsangleichenden Operation zur Frau 2002 beantragte sie beim zuständigen Versorgungsamt 2007 die Feststellung des GdB. Das Versorgungsamt bewertete den GdB zunächst mit 30, nach Widerspruch der Klägerin mit Teil-Abhilfebescheid schließlich mit 40, wobei es bei der Klägerin eine seelische Störung (Teil-GdB 30) und Migräne (Teil-GdB 20) zuerkannte. Transsexualität als körperliche Behinderung Hiergegen erhob die Klägerin Klage zum SG Karlsruhe (Az: S 1 SB 2040/08). Das Versorgungsamt habe die Transsexualität nicht (ausreichend) berücksichtigt. Aus der Transsexualität resultierten erhebliche körperliche Behinderungen. Die Transsexualität sei nach den „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht“ (AHP; seit 01.01.2009 Versorgungsmedizinische Grundsätze (VG)) in Analogie zu dem Verlust der Gebärmutter und der Eierstöcke in jüngerem Lebensalter bei noch bestehendem Kinderwunsch mit einem Teil-GdB von 30 zu bewerten. Für die Migräne sei ein weiterer Teil-GdB von 30 sowie für die psychischen Behinderungen ein TeilGdB von 40 und ein Gesamt-GdB von 60 anzusetzen. Das Versorgungsamt vertrat dagegen die Auffassung, die bei der Klägerin vorliegenden Funktionsstörungen seien in vollem Umfang erfasst und mit einem GdB von 40 angemessen bewertet worden. Die Transsexualität bedinge für sich allein keinen TeilGdB. Der GdB richte sich nach dem organischen Ergebnis der geschlechtsumwandelnden Operation sowie den damit verbundenen psychischen Auswirkungen. Hinsichtlich der Transsexualität könne kein für die Bewertung des GdB maßgeblicher organischer Befund festgestellt werden. Allein psychische Folgen zu berücksichtigen Mit Gerichtsbescheid vom 10.07. 2009 stellte das SG bei der Klägerin einen Gesamt-GdB von 50 fest und wies die Klage im Übrigen ab. Die seelische Störung und die Depressionen der Klägerin seien erhöhend mit einem GdB von 40 zu bewerten. Die Migräne sei zutreffend mit einem Teil-GdB von 20 festgelegt worden. Die Transsexualität sei dagegen nicht erhöhend zu berücksichtigen. Sie stelle keine eigenständige Funktionseinschränkung dar. Mit dem Verlust beider Eierstöcke und der Gebärmutter könne der körperliche Zustand der Klägerin ebenfalls nicht gleichgestellt werden. Rechtsprechung und rechtspraxis Rech t s d i e n s t 3 / 2 0 1 0 Auch die dagegen erhobene Berufung hatte keinen Erfolg. Das LSG sah keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB über 50 gegeben. Die Transsexualität nach Durchführung einer geschlechtsanpassenden Operation sei für sich genommen keine eigenständige Funktionseinschränkung mit Auswirkungen auf den GdB. Die Bewertungen der psychischen Folgen und der Migräne seien zutreffend erfolgt. Der Gesamt-GdB sei angemessen festgestellt worden. Keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes Feststellung des Gesamt-GdB angemessen Selbst bei analoger Anwendung der Verordnung und einer Bewertung der Transsexualität mit einem TeilGdB von 20, käme eine Erhöhung des Gesamt-GdB vorliegend nicht in Betracht. Die dann einschlägige Teil-Beeinträchtigung für den Verlust beider Eierstöcke in Höhe von 10 habe sich bereits in einem Teil-GdB für die psychische Beeinträchtigung von 40 niedergeschlagen, womit der Bewertungsspielraum nach Teil B Nr. 3. 7. der VG bereits völlig ausgeschöpft sei. Der körperliche Zustand der Klägerin sei auch nicht dem Verlust beider Eierstöcke und der Gebärmutter gleichzustellen. Maßgeblich sei alleine, dass die medizinisch erfolgreich und komplikationslos durchgeführte geschlechtsangleichende Operation bei der Klägerin keine Gesundheitseinschränkung hinterlassen habe, die bei der Bildung des Gesamt-GdB zu berücksichtigen wäre. Dass die geschlechtsangleichende Operation den körperlich anatomischen Zustand einer Frau nicht erreicht, stelle nach den VG keine berücksichtigungsfähige Beeinträchtigung dar. Auch der Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 GG gebiete nicht, die aufgrund falscher Geschlechtsidentität nach der medizinisch gebotenen Therapiemaßnahme erfolgreich erreichte körperliche Verfassung rechtlich wie den körperlichen Behinderungszustand zu behandeln, der bei normalbedingter Geschlechtsentwicklung eine GdB-Einstufung erlaube. Anmerkung Das LSG stellte in seinen Entscheidungsgründen anschaulich das richterliche Verfahren zur Feststellung des 101 Gesamt-GdB dar. Dabei geben die VG als verbindliche Rechtsverordnung des BMAS nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX i. V. m. § 30 Abs. 17 Bundesversorgungsgesetz den Maßstab vor, nach dem der GdB einzuschätzen ist (vgl. dazu auch BSG, Urteil vom 30.09.2009 – Az: B 9 SB 4/08 R). Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Bildung des Gesamt-GdB Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zunächst EinzelGdB zu bestimmen. Diese dürfen bei der Bildung des Gesamt-GdB jedoch nicht einfach addiert werden. Der Gesamt-GdB ist vielmehr unter Beachtung der VG in freier Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden. (Lg) SGB XI Voraussetzungen des Anspruchs auf zusätzliche Betreuungsleistungen BSG, Urteil vom 12.08.2010 – Az: B 3 P 9/09 R Die 1957 geborene Klägerin, in Pflegestufe II eingruppiert, beantragte zusätzliche Betreuungsleistungen nach § 45b SGB XI. Sie machte geltend, dass bei ihr einmal 14-täglich eine schwere Unterzuckerung und einmal wöchentlich eine leichte Unterzuckerung aufträten, die die Klägerin selbst nicht bemerke und von ihrem Ehemann mit Glukagon therapiert werden müssten. Im Falle der Unterzuckerung gerate sie in einen psychischen Zustand, in dem Einsichtsfähigkeit und Steuerungsfähigkeit vollkommen aufgehoben seien. Im MDK-Gutachten wurden bei der Klägerin eine organische Persönlichkeitsstörung und ein Diabetes festgestellt. Aus dem Katalog des § 45a Abs. 2 SGB XI wurden sieben Merkmale bejaht, sobald eine episodische Unterzuckerung vorliege. Persönlichkeitsstörung und Diabeteserkrankung Die beklagte Pflegekasse lehnte den Antrag ab, da das MDK-Gutachten keine Einschränkung der Alltagskompetenz festgestellt habe, die auf einer demenzbedingten Fähigkeitsstörung, psychischen Erkrankung oder geistigen Behinderung beruhten. Zwar gebe es einen Beaufsichtigungsbedarf wegen der Gefahr der Unterzuckerung, jedoch sei dieser auf die bestehende Diabeteserkrankung zurückzuführen und damit als Folge der somatischen Erkrankung hier leistungsrechtlich nicht beachtlich. Beeinträchtigung der Alltagskompetenz nur aufgrund des Diabetes Klage und Berufung blieben erfolg- los. Das LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 18.12.2008 – Az: L 5 P 12/08) schloss sich der Auffassung des SG Koblenz und der Pflegekasse an. Zwar bestehe bei der Klägerin eine hirnorganische Persönlichkeitsstörung (= psychische Erkrankung), die aber nicht dazu führe, dass eine Fähigkeitsstörung oder dauerhafte und regelmäßige Schädigung nach § 45a Abs. 2 Nr. 1 bis 13 SGB XI vorliege. Dass die Folgen der Unterzuckerung durch die Persönlichkeitsstörung verstärkt würden, reiche für eine Zuordnung zum Personenkreis nach § 45a SGB XI nicht aus. Die Persönlichkeitsstörung alleine führe zu keinerlei Schädigungen und Fähigkeitsstörungen und begründe mithin keine erhebliche Einschränkung der Alltagskompetenz im Sinne von § 45a SGB XI. 102 Rechtsdienst 3/2010 Rechtsprechung und rechtspraxis Auch die eingelegte Revision wurde abgewiesen. Das BSG führt aus, die Bejahung maßgeblicher Items im Assessment nach § 45a Abs. 2 SGB XI sei auf die gelegentliche Unterzuckerung der Klägerin zurückzuführen, nicht aber auf eine demenzbedingte Funktionsstörung, geistige Behinderung oder psychische Erkrankung. Im Übrigen sei die Einschränkung der Alltagskompetenz auch nicht regelmäßig, weil die Unterzuckerung nur an einzelnen Tagen auftrete. (erhöhter Betrag), wenn die Voraussetzungen von § 45a SGB XI vorliegen. Danach müssen bei der pflegebzw. hilfebedürftigen Person demenzbedingte Fähigkeitsstörungen, eine geistige Behinderung oder psychische Erkrankung vorliegen, als deren Folge eine erhebliche Einschränkung der Alltagskompetenz eingetreten ist. Erheblich wird in § 45a Abs. 2 Satz 2 SGB XI als dauerhafte und regelmäßige Schädigung oder Funktionsstörung definiert. Anmerkung Nur sporadischer Betreuungsbedarf genügt nicht Nach § 45b SGB XI haben Versicherte Anspruch auf zusätzliche Betreuungsleistungen in Höhe von 100 Euro (Grundbetrag) bzw. 200 Euro Mit seinem Urteil stellt das BSG klar, dass auch bei Vorliegen einzelner Merkmale nach § 45a Abs. 2 Satz 1 SGB XI diese kausal durch eine demenzbedingte Funktionsstörung, geistige Behinderung oder psychische Erkrankung verursacht sein müssen. Damit begrenzt das Gericht den leistungsberechtigten Personenkreis und schafft Rechtssicherheit. Nach den Richtlinien des Spitzenverbandes Bund der Pflegekassen vom 10.06.2008 bedeutet regelmäßig, dass der Beaufsichtigungs- und Betreuungsbedarf grundsätzlich täglich anfallen muss. Abzustellen ist dabei auf die auftretende Schädigung bzw. Fähigkeitsstörung (hier die Unterzuckerungszustände) und nicht auf die tatsächlich notwendige tägliche Kontrolle, ob ein Therapiebedarf überhaupt besteht. (Lg) SGB XI Bemessung des Zeitaufwands bei Toilettengängen im Heim BSG, Urteil vom 10.03.2010 – Az: B 3 P 10/08 R Die in einem Altenheim betreute Klägerin begehrte die Höherstufung in die Pflegestufe II der Pflegeversicherung nach § 43 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 SGB XI (seit 01.07.08: § 43 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB XI). Das LSG hatte den Hilfebedarf für das Gehen nur insoweit anerkannt, als die Wege zu und von der Toilette, zu und von den Mahlzeiten sowie beim Zubettgehen zu berücksichtigen waren und hatte die dabei benötigte Hilfe nicht auf eine volle Minute pro Wegstrecke aufgerundet. konkret erforderlich sei. Dabei hänge die Ermittlung des maßgeblichen Zeitaufwands jedoch nicht nur vom individuellen Gehvermögen des Pflegebedürftigen ab, sondern auch von den örtlich-räumlichen Verhältnissen. Maßgeblich seien die in einer Wohnung üblicherweise zurückgelegten Wegstrecken. Fehle eine häusliche Umgebung bei einer dauerhaften Betreuung in einem Heim, müsse der Pflegebedarf mangels anderer Anhaltspunkte auf Grundlage pauschalierter Wegstrecken im Heim festgestellt werden. Auch bei Heimpflege zählt Pflegebedarf in häuslicher Umgebung Aufrundung auf Minutenleistungen im Tagesdurchschnitt Das BSG wies die dagegen eingelegte Revision zurück. Bei stationärer Pflege sei grundsätzlich der Pflegebedarf in häuslicher Umgebung zugrunde zu legen, so dass für die Hilfe beim Gehen die Hilfe durch eine nicht als Pflegekraft ausgebildete, durchschnittliche Pflegeperson zu berücksichtigen sei. Entscheidend sei der individuelle, sachlich begründete Bedarf aus Sicht des zu Pflegenden, wobei sich das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit nicht pauschal nach Krankheitsbildern oder Funktionsstörungen ausrichte, sondern danach, welcher Zeitaufwand in Bezug auf den individuellen Pflegebedarf Für den tatsächlichen Hilfebedarf hatte das LSG, für das BSG als Tatbestandsfeststellung bindend, für eine Wegstrecke von acht Metern zur Toilette eine halbe Minute angenommen, und diesen Betrag nicht auf eine Minute aufgerundet. Zwar sei in den Begutachtungsrichtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen, die das BSG als Verwaltungsbinnenrecht anerkennt, in Teil F – Orientierungswerte zur Pflegezeitbemessung – vorgesehen, dass „für jede Verrichtung der Grundpflege stets die vollen Minutenwerte anzugeben“ seien. Diese Formulierung sei aber so zu verstehen, dass für jede der in § 14 Abs. 4 SGB XI genannten Verrichtungen in der jeweiligen Summe und bezogen auf den Tagesdurchschnitt volle Minutenwerte anzugeben seien. Für die Einzelvorgänge, die dieser Verrichtung zuzuordnen seien, müssten jedoch die nicht aufgerundeten Minutenwerte erhoben werden. Eine Rundung bereits bei jeder Einzeltätigkeit führe zu einer erheblichen Ungenauigkeit, und wäre nicht mit der gesetzlichen Vorgabe vereinbar, den Pflegebedarf einzelfallbezogen so genau wie möglich festzustellen. Zwar läge der Schätzung durch den Medizinischen Dienst immer eine gewisse subjektive Unschärfe zugrunde, die aber nicht durch Rundungsschritte bereits bei jeder einzelnen Hilfeleistung, sondern erst beim Tagesdurchschnitt erweitert werden dürfe. Anmerkung Die neuen Begutachtungsrichtlinien vom 08.06.2009 sind mit Hinweisen für die rechtliche Überprüfung der Begutachtung in der 8. Neuauflage der Schrift „Richtig begutachten - gerecht beurteilen“ von Wendt, Stand Januar 2010, enthalten. Diese Schrift ist nicht über den Buchhandel, sondern nur über den Verlag der Lebenshilfe unter www.lebenshilfe.de zu beziehen. (We) Rech t s d i e n s t 3 / 2 0 1 0 Rechtsprechung und rechtspraxis 103 SGB XI Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes auch im betreuten Wohnen möglich LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 13.03.2009 – Az: L 10 P 11/08 Die Beteiligten streiten über die Gewährung eines finanziellen Zuschusses für eine Maßnahme zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes des 2007 verstorbenen Vaters des Klägers. Der Vater erhielt Leistungen der Pflegestufe I. Seit Ende Mai 2007 bewohnte der Vater des Klägers eine Wohnung in einer Altenwohnanlage, in der die Arbeiterwohlfahrt (AWO) eine ServiceEinrichtung (Servicehaus) betreibt. Diejenigen Mieter, die eine Wohnung in diesem Haus bezogen, waren nach dem Mietvertrag verpflichtet, die Serviceleistungen der AWO in Anspruch zu nehmen und mit ihr einen Betreuungsvertrag abzuschließen. Bereits im März 2007 hatte der Vater die Gewährung eines Zuschusses zum barrierefreien Badumbau seiner angemieteten Wohnung im Servicehaus als Maßnahme zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes nach § 40 Abs. 4 Satz 1 SGB XI beantragt, welche im Mai 2007 auch durchgeführt wurde. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 31.05.2007 die Zuschussgewährung ab. Eine Zuschussgewährung könne nach dem Gemeinsamen Rundschreiben der Spitzenverbände der Pflegekassen vom 10.10.2002 lediglich zur Verbesserung des Wohnumfeldes in der Wohnung oder in dem Haushalt des Pflegebedürftigen erfolgen. In Alten- und Pflegeheimen sowie in Wohnungseinrichtungen, die vom Vermieter gewerbsmäßig nur an Pflegebedürftige vermietet werden, liege eine Wohnung bzw. ein Haushalt in oben beschriebenem Sinne nicht vor. Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage vor dem SG Kiel hatte Erfolg, die von der beklagten Pflegekasse eingelegte Berufung zum LSG blieb erfolglos. Die Beklagte habe die Zuschussgewährung nicht allein wegen der Lage der Wohnung in einem sog. Servicehaus der AWO und damit in einer betreuten Wohneinrichtung versagen dürfen. Die Frage, ob das individuelle Wohnumfeld des Vaters des Klägers betroffen gewesen sei, unterliege nämlich nicht dem in § 40 Abs. 4 Satz 1 SGB XI normierten Ermessen der Beklagten. Vielmehr handele es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der durch das Gericht voll überprüfbar sei. Leistungen nach § 40 SGB XI nur im stationären Bereich ausgeschlossen Nach der Rechtsprechung des BSG beschränke sich die Regelung des § 40 Abs. 4 Satz 1 SGB XI nicht darauf, dass nur der behindertengerechte Umbau von normal ausgestatteten Wohnungen bezuschusst werde, die der Pflegebedürftige bereits bewohne. Vielmehr werde generell die Vermeidung der Pflege in einem Pflegeheim bezweckt. Der Begriff des „individuellen Wohnumfeldes“ sei daher nicht auf die vorhandene Wohnung begrenzt, sondern umfasse – in Abgrenzung zum dauerhaften Aufenthalt in einer stationären Einrichtung – jedes Wohnen in einem privaten häuslichen Bereich. Zwar biete die AWO im vorliegenden Fall einen Grund- und Wahl- service an. Jedoch mache dies die Wohnung nicht zu einem Pflegeheim. Bei der vom Vater des Klägers in Anspruch genommenen Wohnform des Betreuten Wohnens handele es sich nicht um einen dauerhaften Aufenthalt in einer stationären Einrichtung. Das LSG bestätigte das Urteil des SG, wonach die Pflegekasse den Antrag des Klägers unter Ausübung pflichtgemäßen Ermessens nach § 39 Abs. 1 SGB I neu zu bescheiden habe. Die Revision wurde nicht zugelassen. Anmerkung Mit diesem erfreulichen Urteil stellt das LSG klar, dass auch in einer betreuten Wohnform grundsätzlich ein Anspruch auf bis zu 2.557 Euro für Umbaumaßnahmen als Maßnahme zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes besteht. Unstreitig war zwischen den Parteien, dass es sich bei dem barrierefreien Badumbau um eine Maßnahme nach § 40 Abs. 4 Satz 1 SGB XI handelt, für die die Pflegekasse zuständig ist (vgl. zur Abgrenzung zu den Hilfsmitteln nach SGB V den Beitrag in RdLh 1/10, S. 16). (Lg) SGB XII Zum Verfahren der Festsetzung eines Kostenbeitrags für die Eingliederungshilfe BSG, Urteil vom 23.03.2010 – Az: B 8 SO 12/08 R Die geistig behinderte Klägerin wird seit 1994 vollstationär betreut, seit 2004 auch in einer WfbM. Mit der Aufnahme wurde in dem Leistungsbescheid die Heranziehung zu einem Kostenbeitrag aus dem Werkstatteinkommen in nicht benannter Höhe an- gekündigt. Die Klägerin erhielt im Mai 2005 eine Unterhaltsnachzahlung von 3.052 Euro und ab April 2004 einen laufenden Unterhalt von 282 Euro. Mit Bescheid vom 16.04.2005 forderte der beklagte Sozialhilfeträger diese Unterhaltszahlungen als Kostenbei- 104 Rechtsdienst 3/2010 Rechtsprechung und rechtspraxis trag für die Eingliederungshilfe ein. Klage und Berufung der Klägerin blieben erfolglos. Mit der Revision machte die Klägerin geltend, der Kostenbeitrag dürfe 26 Euro nicht übersteigen, weil der Vater aufgrund der Regelung in § 94 Abs. 2 SGB XII keinen höheren Unterhaltsbeitrag für die Eingliederungshilfe leisten müsse. Neufestsetzung eines Kostenbeitrags setzt Aufhebung des vorangegangenen Bescheids voraus Das BSG gab der Revision statt. Der Heranziehungsbescheid sei rechtswidrig, weil die Voraussetzungen für die Rücknahme eines bestandskräftigen Bescheids (Leistungsbescheid von 2004) nicht vorlägen. Obwohl eine Rücknahme nicht ausdrücklich ausgesprochen sei, käme § 45 SGB X zur Anwendung. Der teilweise zurückzunehmende Verwaltungsakt betreffe den Leistungsbescheid von 2004, in dem lediglich aus dem Werkstatteinkommen ein Kostenbeitrag eingezogen werden sollte. Einkünfte der Klägerin außerhalb des Werkstattbereichs seien von diesem Bescheid nicht erfasst. Solche Einkünfte würden erst mit dem Heranziehungsbescheid von 2005 angesprochen. Dieser Bescheid ändere also durch eine höhere Belastung den früheren, bestandskräftigen Bescheid von 2004 ab. Dieser begünstigte die Klägerin insoweit, als er das zu diesem Zeitpunkt bereits gewährte Einkommen aus Unterhalt nicht erfasste. Die Voraussetzungen für seine Rücknahme nach § 45 Abs. 1 SGB X seien nicht erfüllt. Der Beklagte habe die Anforderungen einer Rücknahme nicht erkannt. Unerheblich sei, ob die Klägerin den Beklagten vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht über die Unterhaltspflicht des Vaters informiert habe. Dies wäre allein dafür von Bedeutung, ob der ändernde Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit oder nur für die Zukunft hätte erlassen werden dürfen (§ 45 Abs. 1 letzter Halbsatz, Abs. 2 Satz 3 Nr. 2, Abs. 4 Satz 1 SGB X). Tatsächlich gezahlter Unterhalt kann als Einkommen herangezogen werden Auf die von der Klägerin aufgeworfene Frage, ob ein höherer Kostenbeitrag als 26 Euro überhaupt mit Art. 3 Abs. 1 GG zu vereinbaren sei, da die Unterhaltspflicht in diesen Fällen gegenüber dem Sozialhilfeträger gesetzlich begrenzt sei, komme es ebenso wenig an, wie darauf, ob der Beklagte die Klägerin mit Rücksicht auf das Zuflussprinzip (BSG SozR 4-3500 § 83 Nr. 5 Rn. 14) für die Zeit vor der ersten Zahlung des Einmalbetrags für rückständigen Unterhalt überhaupt hätte heranziehen dürfen. Allerdings wies der Senat darauf hin, dass der betragsmäßig begrenzte, von Gesetzes wegen übergegangene Unterhaltsanspruch nach § 94 Abs. 2 SGB XII nicht mit dem tatsächlich geleisteten, höheren Unterhalt vergleichbar sei, der als Einkommen der Klägerin nach § 92 a Abs. 2 SGB XII herangezogen werden könne. Anmerkung Aus dieser Entscheidung wird deutlich, dass die Sachbearbeiter der Sozialhilfe oft nicht die Regeln des Verwaltungsverfahrensrechts beherrschen, wonach bei dem Erlass eines Verwaltungsakts geprüft werden muss, welche Verwaltungsakte in gleicher Sache bereits zuvor ergangen sind, die ggf. aufgehoben werden müssen. Offensichtlich haben aber auch die beiden Vorinstanzen diesen Sachverhalt übersehen. In diesem Fall lag der Fehler des Beklagten bereits darin, dass versäumt worden ist, den gesetzlichen Forderungsübergang für den Unterhalt rechtzeitig bekannt zu geben. Dann hätte der Sozialhilfeträger aus dem Unterhaltsurteil zumindest den Unterhalt in Höhe von 26 Euro geltend machen können. Wegen der gesetzlichen Begrenzung des Unterhaltsbetrags hätte der Vater dann auf dem Zivilrechtsweg eine Abänderung des Unterhaltstitels beantragen können (vgl. OLG Köln, RdLh 4/06, 182 ff., m. Anmerkung Wendt). (We) SGB XII Kein Erstattungsanspruch des ambulanten Pflegedienstes nach Tod des Pflegebedürftigen BSG, Urteil vom 13.07.2010 – Az: B 8 SO 13/09 R Der Kläger betreibt einen ambulanten Pflegedienst. Die Beteiligten streiten über die Übernahme weiterer Kosten, die dem Kläger für die ambulante Pflege der 2006 verstorbenen Hilfeempfängerin im Jahr 2005 entstanden sind. Der beklagte Sozialhilfeträger hat der Verstorbenen Hilfe zur Pflege bewilligt. Die Verstorbene legte Widerspruch ein, weil ein höherer Pflegebedarf als bewilligt bestehe. Nach dem Tod der Hilfeempfängerin zeigte der Kläger unter Hinweis auf § 19 Abs. 6 SGB XII seinen Eintritt in das durch die Verstorbene eingeleitete Widerspruchsverfahren an und beantragte die Übernahme noch ungedeckter Kosten für bereits erbrachte Pflege der Verstorbenen in Höhe von 14.000 Euro. Ambulanter Pflegedienst ist keine Einrichtung Nachdem der Beklagte mit Bescheid gegenüber dem Kläger weitere Pflegekosten in Höhe von fast 3.000 Euro zugebilligt hatte, wies er den Widerspruch zurück, weil § 19 Abs. 6 SGB XII nur Einrichtungen, die Leistungen an Verstorbene erbracht hät- ten, einen Anspruch unmittelbar gegen den Sozialhilfeträger zubillige. Der Kläger betreibe indes einen ambulanten Pflegedienst, für den § 19 Abs. 6 SGB XII keine Anwendung finde. Klage und Berufung blieben ohne Erfolg. Auch die Revision des Klägers blieb erfolglos. Das BSG schloss sich der Auffassung der Vorinstanzen an, dass § 19 Abs. 6 SGB XII auf ambulante Pflegedienste weder unmittelbar noch analog Anwendung finde. Ein ambulanter Pflegedienst falle nicht unter den Begriff der „Einrichtung“ nach § 19 Abs. 6 SGB XII. Rech t s d i e n s t 3 / 2 0 1 0 Anmerkung Rechtsprechung und rechtspraxis 105 Das BSG bestätigt damit seine Rechtsprechung, dass ambulante Dienste nicht unter den Einrichtungsbegriff fallen. genheit gewährt werden können. Davon macht § 19 Abs. 6 SGB XII eine Ausnahme, und überträgt den Anspruch auf den Leistungserbringer, um dessen Kosten für die tatsächlich bereits erbrachte Pflege zu decken. 2 SGB XII komme lediglich bei der zweiten Alternative überhaupt zur Anwendung. In jedem Fall würden ambulante Pflegedienste keine Leistungen für Einrichtungen, sondern immer außerhalb von Einrichtungen erbringen. Grundsätzlich gehen Ansprüche gegen den Sozialhilfeträger mit dem Tod der leistungsberechtigten Person unter. Dies folgt aus dem Bedarfsdeckungsprinzip, nach dem Leistungen der Sozialhilfe nicht für die Vergan- Bereits das LSG stellte jedoch klar, dass § 13 Abs. 1 SGB XII eine Differenzierung zwischen Leistungen außerhalb von Einrichtungen und Leistungen für Einrichtungen enthält. Der Einrichtungsbegriff des § 13 Abs. Bei einem teil- oder vollstationären Aufenthalt gehen dagegen nach dem Tod des Pflegebedürftigen die Ansprüche für bereits erbrachte Pflegeleistungen gegen den Sozialhilfeträger auf den Träger der Einrichtung über. (Lg) SGB XII Zulässigkeit einer Schenkungsrückforderung bei Grundsicherungsbezug BSG, Urteil vom 02.02.2010 – Az: B 8 SO 21/08 R Das beklagte Sozialamt lehnte einen im Juni 2003 gestellten Antrag auf Grundsicherung im Alter des 1927 geborenen Klägers ab, da er einen Schenkungsrückforderungsanspruch in Höhe von 21.000 DM aus dem Jahr 1998 gegen seinen Sohn habe, dem er diesen Betrag schenkungsweise zur Tilgung eines Darlehens überlassen habe. Klage und Berufung blieben ohne Erfolg. Mit der Revision rügte der Kläger einen Verfahrensfehler, da das LSG zu Unrecht seinem Beweisantrag nicht stattgegeben habe, seinen Sohn und seine Schwiegertochter dazu zu hören, dass sein Sohn nicht ohne Gefährdung seines eigenen, standesgemäßen Unterhalts imstande gewesen sei, den angeblich gegen ihn bestehenden Schenkungsrückforderungsanspruch zu erfüllen. ANZEIGE Dieses Vorbringen sah das BSG als berechtigt an, und verwies den Rechtsstreit zu erneuten Verhandlung an das LSG NRW zurück. Ein Schenkungsrückforderungsanspruch sei entgegen der Ansicht des LSG keine eigenständige Ausschlussnorm für den Bezug von Hilfe zum Lebensunterhalt, sondern setze die zusätzliche Überprüfung der ergänzenden und konkretisierenden Vorschriften des SGB XII zur Bedarfsprüfung voraus. Das LSG habe daher verfahrensfehlerhaft gehandelt, als es den Beweisantrag des Klägers auf Vernehmung seines Sohnes und seiner Frau als unzulässigen Ausforschungsbeweis abgelehnt habe. Der Sohn könnte nach § 529 BGB eine Einrede erheben, nach der die Herausgabe des Ge- schenks ausgeschlossen sei, soweit der Beschenkte bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande sei, das Geschenk herauszugeben, ohne dass sein standesgemäßer Unterhalt oder die Erfüllung der ihm kraft Gesetzes obliegenden Unterhaltspflichten gefährdet sei. Der Kläger habe eine Erklärung seines Sohnes vorgelegt, wonach dieser dem Vater Kost und Pflege in Gestalt von Naturalleistungen ohne Anerkennung einer Verpflichtung nur unter Vorbehalt eines Erstattungsverlangens bis zur rückwirkenden Bewilligung von Leistungen zum Lebensunterhalt durch den Sozialhilfeträger erbracht habe. Daher hätte das LSG die Höhe des Bedarfs des Klägers und die Höhe der Sachleistungen, die von dem Sohn erbracht wurden, feststellen müssen. (We) 106 Rechtsdienst 3/2010 Rechtsprechung und rechtspraxis SGB XII Zulässigkeit der Überleitung von Steuererstattungen durch den Sozialhilfeträger BSG, Urteil vom 02.02.2010 – Az: B 8 SO 17/08 R Der Kläger und seine Ehefrau bezogen vom 15.06.2000 bis zum 31.12.2004 laufende Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Bei der Antragstellung gaben sie an, dass Geldforderungen gegen das Finanzamt in Höhe von 1.236.707 DM in einem Gerichtsverfahren anhängig seien. In Höhe der geleisteten Sozialhilfe für den Kläger und seine Ehefrau von 29.485 Euro leitete das Sozialamt den Erstattungsanspruch gegen das Finanzamt auf sich über, und erhielt den Betrag nach Abschluss des Rechtsstreits ausgezahlt. Widerspruch, Klage und Berufung des Klägers blieben erfolglos. Mit seiner Revision rügte der Kläger eine Verletzung rechtlichen Gehörs sowie die Verletzung von § 24 SGB X und § 11 BSHG. Das BSG sah die Revision im Sinne einer Zurückverweisung an das LSG BW zur erneuten Verhandlung als begründet an, da das Verfahren an einem von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensmangel leide. Eine notwendige Beiladung der Ehefrau nach § 75 Abs. 2, Alt.1 SGG sei nicht erfolgt, obwohl die Entscheidung den Kläger und seine Ehefrau als Gesamtgläubiger gegenüber dem Finanzamt betreffe. Von einer Nachholung der Beiladung im Revisionsverfahren ge- mäß § 168 Satz 2 SGG habe der Senat abgesehen, da die Rechtmäßigkeit der streitbefangenen Überleitungsverfügung ohne Berücksichtigung der Rechtsposition der Ehefrau erfolgt sei, und damit das Ermessen nach § 90 Abs.1 Satz 1 BSHG rechtsfehlerhaft ausgeübt worden sei. In diesem Zusammenhang müsse das LSG prüfen, ob die Überleitungsanzeige hinreichend bestimmt gewesen sei (§ 33 Abs. 1 SGB X). Anmerkung Die Rechtsvorschrift des § 90 BSHG entspricht heute § 93 SGB XII. (We) SGB XII Fachkraft als Integrationshelferin in Regelschule bejaht Sächsisches LSG, Beschluss vom 03.06.2010 – Az: L 7 SO 19/09 B ER Die Antragsgegnerin ist sehbehindert und leidet an einer Muskelschwäche. Das Regionalschulamt stellte 2001 einen sonderpädagogischen Förderbedarf im Sinne der Sächsischen Blindenschule fest. Einer integrativen Beschulung in der bisher besuchten Montessorischule werde zugestimmt, solange dem erforderlichen sonderpädagogischen Bedarf Rechnung getragen werde. 2006 gab die Beratungsstelle der Sächsischen Blindenschule die Einschätzung ab, dass ein Verbleib an der Montessorischule nur mit einem Integrationshelfer möglich sei. Für das Schuljahr 2006/2007 übernahm der Sozialhilfeträger Kosten für einen Integrationshelfer für 26,5 Stunden wöchentlich bei einem Stundensatz von 29,27 Euro. Für 2007/2008 bewilligte er im Ergebnis eine Kostenübernahme für wöchentlich 30 Stunden, jedoch lediglich für eine Hilfskraft in Höhe von sieben Euro pro Stunde für den nicht sonderpädagogischen Bedarf. Abgrenzung des sonderpädagogischen vom Eingliederungsbedarf ? Im ablehnenden Widerspruchsbescheid führte der Sozialhilfeträger aus, dass die pädagogischen Maßnahmen im Sinne des Bildungsauftrages in den Verantwortungsbereich der Regelschule fielen und für die Eingliederungshilfe nur Assistenzdienste in Betracht kommen würden. Der Sozialhilfeträger entscheide über den Hilfebedarf in eigener Verantwortung. Der sonderpädagogische Bedarf sei von dem behinderungsbedingten Eingliederungsbedarf abzugrenzen. Grundsätzlich sei es nicht Aufgabe der Sozialhilfe, die sonderpädagogische Förderung behinderter Schüler zu finanzieren. Für die Wahrnehmung des vom Sozialhilfeträger abzudeckenden Bedarfs sei keine sonderpädagogische Fachkraft erforderlich. Gegen den Wi- derspruchsbescheid erhob die Beschwerdegegnerin Klage zum SG Dresden (Az: S 19 SO 45/08), über die noch nicht entschieden ist. Im Eilverfahren verpflichtete das SG Dresden (Beschluss vom 11.02.2009, Az: S 19 SO 53/08) den Sozialhilfeträger für das Schuljahr 2008/2009 die Kosten für eine Integrationshelferin als Fachkraft im beantragten Umfang von 34,5 Stunden zu einem Stundensatz von 28,27 Euro zu übernehmen. Das im sächsischen Schulrecht eröffnete Wahl- und Bestimmungsrecht für eine integrative Beschulung wirke auf das Sozialhilferecht ein. Es könne daher nicht eingewendet werden, dass die Kosten bei einer Beschulung durch eine Förderschule nicht angefallen wären. In seiner dagegen erhobenen Beschwerde führte der Sozialhilfeträger aus, das SG habe versäumt, den sonderpädagogischen Bedarf abzugren- Rech t s d i e n s t 3 / 2 0 1 0 zen, für dessen Erfüllung die Schule zuständig sei. Sozialhilfeträger an Vorgaben der Schulbehörde gebunden Das LSG sah demgegenüber einen Anspruch der behinderten Schülerin dem Grunde nach, jedoch nur für 30 statt beantragter 34,5 Stunden, als gegeben an. Die Gewährung eines Integrationshelfers sei nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII i. V. m. § 12 Nr. 1 Eingliederungshilfe-Verordnung als Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung von der Eingliederungshilfe umfasst. Die Sozialhilfeträger seien dabei an die Entscheidung der Schulverwaltung gebunden und könnten nicht selbständig auf den Besuch einer Sonder- oder Förderschule verweisen. Landesschulrechtliche Regelung vorrangig Die Beschulung behinderter Kinder sei nach § 2 SchlVO ff. (sächsische Schulintegrationsverordnung) dahin näher geregelt, dass Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf zu- Rechtsprechung und rechtspraxis sammen mit nichtbehinderten Schülern integrativ in einer öffentlichen Schule unterrichtet werden können, solange gewährleistet sei, dass sie in dieser Schule die erforderliche Förderung erhalten. Die behinderte Schülerin habe demnach einen Anspruch auf eine Integrationshelferin mit pädagogischer Qualifikation im Umfang von 30 Wochenstunden. Anspruch auf Fachkraft Auf eine Nichtfachkraft müsse sie sich dabei nicht verweisen lassen. § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII liefere keinen Anhaltspunkt dafür, dass die vom Sozialhilfeträger zu leistenden Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung auf den nichtpädagogischen Bereich begrenzt seien. Die Ansicht des Sozialhilfeträgers widerspreche auch Art. 24 Abs. 2b der UN-Behindertenrechtskonvention, wonach Menschen mit Behinderungen gleichen Zugang zu integrativem, hochwertigem und unentgeltlichem Unterricht haben. Auch auf den Grundsatz des Nachranges der Sozialhilfe nach § 2 Abs. 1 SGB XII könne sich die Antragstellerin nicht be- 107 rufen, da die Montessorischule deutlich gemacht habe, dass sie die erforderliche Beschulung nicht leisten könne. Anmerkung Das LSG bejahte den Anspruch lediglich für 30 Stunden, da die Montessorischule in einer Stellungnahme davon ausging, dass bei einer Hilfe in diesem Zeitumfang weiterhin eine integrative Beschulung möglich sei. Für die Praxis ist es daher sinnvoll, hier eine Übereinstimmung zwischen den von der Schule empfohlenen und den beantragten Stunden herzustellen, um einer Teilabweisung und möglichen Kostentragung (hier 1/5) im gerichtlichen Verfahren zu entgehen. Auch das sächsische LSG stellte klar: Soweit eine landesrechtliche Regelung diesbezüglich besteht, hat der Sozialhilfeträger keinen Einfluss auf die Wahlmöglichkeit zwischen dem Besuch einer Regel- und einer Förderschule. Nach sächsischem Schulrecht (§ 2 Abs. 2 SchIVO) trifft diese Entscheidung die Schulbehörde nach Anhörung der Eltern. (Lg) SGB XII Ferienfreizeiten als Leistung der Eingliederungshilfe bei ambulanter Betreuung? LSG NRW, Urteil vom 17.06.2010 – Az: L 9 SO 163/10 Die Beteiligten streiten über die Übernahme der Kosten für eine Ferienfreizeit. Der 1965 geborene Kläger ist geistig behindert. Ihm ist ein GdB von 80 sowie die Merkzeichen B, G, H und RF zuerkannt. Der Kläger, der im ambulant betreuten Wohnen lebt, verfügt über eine Rente von monatlich ca. 716 Euro. Aus seiner Tätigkeit in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) bezieht er ein Gehalt in Höhe von etwa 100 Euro monatlich. Erstmalig Anfang 2008 stellte der Kläger einen Antrag auf Übernahme der Kosten einer Ferienfreizeit. Der beklagte Sozialhilfeträger lehnte die Kostenübernahme mit der Begründung ab, dass die Teilnahme an einer Ferienfreizeit im Rahmen des ambulant betreuten Wohnens nicht notwendig sei. Widerspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Im Januar 2009 stellte der Kläger einen neuen Antrag auf Kostenübernahme für eine Ferienfreizeit im Sommer 2010. Auch diesen Antrag lehnte der Sozialhilfeträger ab. Seiner Auffassung nach dienen Ferienfreizeiten dazu, behinderten Menschen ausreichende Kontakte zu nicht behinderten Menschen außerhalb von Einrichtungen zu ermöglichen. Der Kläger, der ambulant betreut werde, habe ausreichend Möglichkeiten, seine Freizeit mit nicht behinderten Menschen zu verbringen. Leistungen der sozialen Teilhabe bei ambulanter Betreuung Im erfolglosen Widerspruchsverfahren hat der Kläger vorgetragen, die im Rahmen des ambulanten betreuten Wohnens gewährte Hilfe sei in erster Linie darauf gerichtet, ihm zu ermöglichen, sich in einer Wohnung allein zurecht zu finden. Die Hilfen zum ambulant betreuten Wohnen böten nicht die Möglichkeit, in einer Gruppe für ein paar Tage hintereinander am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Die sich anschließende Klage zum Sozialgericht hatte Erfolg: Das SG Gelsenkirchen hat den Sozialhilfeträger zur Kostenübernahme einer Ferienfreizeit verurteilt. Durch die Urlaubsreise könne die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden. Mehrtägige Gruppenreisen förderten und stärkten die Integration des behinderten Menschen in die Gesellschaft und entwickelten seine vorhandenen Fähigkeiten zielgerichtet weiter. Der Zweck der Eingliederungshilfe, dem Kläger Kontakt zu anderen Menschen, Geselligkeit und kulturelle Er- 108 Rechtsdienst 3/2010 Rechtsprechung und rechtspraxis lebnisse nahe zu bringen, könne durch die Ferienfreizeit erreicht werden. Nicht ausreichend sei es, wenn ein Mensch mit Behinderung ein Gemeinschaftsgefühl lediglich im Rahmen der Arbeit in einer Behindertenwerkstatt erlebe. Auch könne der Kläger nicht auf die Bewilligung der Hilfe zum ambulant betreuten Wohnen verwiesen werden. Die ambulante Betreuung stelle die soziale Rehabilitation nicht ausreichend sicher. Schließlich könne der Bedarf des Klägers auch nicht durch (Tages-) Ausflüge in die nähere Umgebung befriedigt werden, weil diese nicht in gleicher Weise wie eine Ferienfreizeit zur Zielerreichung geeignet seien (Urteil vom 22.02.2010 – Az: S 8 SO 52/09). Gegen dieses Urteil hat der Sozialhilfeträger erfolgreich Berufung eingelegt: Nach Ansicht des LSG NRW hat der Kläger keinen Anspruch auf Kostenübernahme wegen der Teilnahme an einer Ferienfreizeit im Sommer 2010. Die Voraussetzungen der allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage (§§ 53, 54 SGB XII i. V. m. §§ 55 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 7, 58 Nr. 1 SGB IX) lägen nicht vor. Ein Anspruch auf die begehrte Kostenübernahme scheitere daran, dass die Teilnahme an der Ferienfreizeit im Hinblick auf den Kläger nicht der Erfüllung der besonderen Aufgaben der Eingliederungshilfe diene. Vorliegend bestehe nicht die Aussicht, dass durch die Teilnahme des Klägers an der Ferienfreizeit die Aufgaben der Eingliederungshilfe erfüllt würden. Hierfür wäre erforderlich, dass die Folgen der Behinderung des Klägers mindestens ge- mildert würden. Ferner müsste die Freizeit dazu beitragen, den Kläger in die Gesellschaft einzugliedern, was insbesondere durch die Förderung der Begegnung mit nicht behinderten Menschen gelingen solle (vgl. § 58 Nr. 1 SGB IX). Kontaktpflege mit nicht behinderten Menschen entscheidend Entscheidend spreche gegen eine Kostenübernahme, dass über die angebotene Ferienfreizeit die Begegnung mit nicht behinderten Menschen nicht erkennbar gefördert werde. Eingliederungshilfe in Form der Verwirklichung oder Erleichterung der Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft bedeute eine Förderung von Kontakten auch und gerade zu nicht behinderten Menschen, insgesamt zu allen Personen, die aufgrund gemeinsamer Interessen und Bedürfnisse den behinderten Menschen helfen können, das Gefühl menschlicher Isolierung zu überwinden. Aus dem Vortrag des Klägers sei nicht erkennbar, dass er überhaupt an der Herstellung von Kontakten zu nicht behinderten Menschen interessiert sei. Hinzu komme, dass die geplante Freizeit sehr programmlastig sei. Das dichte und allein auf das Zusammensein der behinderten Menschen in ihrer Gemeinschaft ausgerichtete Programm lasse eine Kontaktaufnahme mit nicht behinderten Menschen kaum möglich erscheinen. Ziel der Ferienfreizeit sei die Förderung von Kontakten zu nicht behinderten Menschen jedenfalls nicht. Außerdem sei festzustellen, dass der Kläger bereits in die Gesellschaft eingegliedert sei. Er fahre regelmäßig Fahrrad und nehme an monatlich angebotenen Freizeitaktivitäten teil. Überdies bekomme er in seiner Wohnung öfter Besuch von Kollegen aus der Werkstatt oder besuche diese an ihren Wohnorten. Laut Zeugenaussage sei er an fünf von sieben Abenden in der Woche nicht allein. Anmerkung Das Gericht hat auch klargestellt, das die Inanspruchnahme von Leistungen des ambulant betreuten Wohnens den Anspruch auf Kostenübernahme für eine Ferienfreizeit nicht von vornherein ausschließt. Die Rechtsansicht des Sozialhilfeträgers sei insoweit unrichtig. Keine Benachteiligung bei ambulanter Betreuung zulässig Diese Rechtsauffassung entspricht dem geltenden Recht. Gem. § 13 Abs. 1 Satz 2 SGB XII haben ambulante Leistungen grundsätzlich Vorrang vor teilstationären oder stationären Leistungen. Diesem Vorranggrundsatz würde es eklatant widersprechen, wenn Menschen mit Behinderung im ambulant betreuten Wohnen im Unterschied zu Bewohnern einer Wohnstätte der Behindertenhilfe von vornherein von der Möglichkeit der Teilnahme an Ferienfreizeiten als Leistung der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen ausgeschlossen wären. Grundsätzlich dürfte die Gefahr sozialer Isolation im ambulant betreuten Wohnen größer sein als beim Leben in einer Wohnstätte. Auch die in den §§ 55, 58 SGB IX geregelten Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft differenzieren nicht zwischen ambulant und stationär betreutem Wohnen. (Sch) SGB XII Zu den Voraussetzungen für Eingliederungshilfeleistungen SG Reutlingen, Gerichtsbescheid vom 17.02.2010 – Az: S 9 SO 2597/08 Die 1935 geborene und 1985 berentete Klägerin leidet an einer chronifizierten schizoaffektiven Psychose. Sie wird nach mehreren Aufenthalten in verschiedenen psychiatrischen Fachkliniken seit März 2002 in einer Einrichtung für psychisch kranke Menschen vollstationär betreut. Der beklagte Sozialhilfeträger übernimmt die ungedeckten Unterbringungskosten im Rahmen der Hilfe zur Pflege. Er forderte die Klägerin mehrfach auf, eine andere geeignete Wohneinrichtung zu suchen. Nach Ansicht des Sozialhilfeträgers lebe die Klägerin weitgehend selbstständig in der Wohnstätte und benötige keine „Rund-um-Versorgung“, sondern Ansprache und Beratung. Die Versorgung in einem Altenpflegeheim sei ausreichend, weshalb gebeten werde, sich um einen geeigneten Heimplatz zu bemühen. Obwohl nach dem Gutachten des MDK nur ein geringer grundpflege- Rech t s d i e n s t 3 / 2 0 1 0 Rechtsprechung und rechtspraxis rischer Hilfebedarf (Pflegestufe 0) bestehe, habe die Klägerin Anspruch auf Hilfe zur Pflege gem. §§ 61 f. SGB XII, weil sie sich aufgrund ihres Gesundheitszustandes nicht selbst versorgen, keinen eigenen Haushalt führen und zur Durchführung der grundpflegerischen Verrichtungen aufgefordert werden müsse. Das Gericht vertrete die Auffassung, dass die Klägerin aller Voraussicht nach ein Leben außerhalb des strukturierenden Umfeldes des Wohnheimes nicht ohne die naheliegende und konkrete Gefahr führen könne, in ihrer Teilhabe an der Gesellschaft erheblich und nachhaltig beeinträchtigt zu werden. Eingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege sind ein aliud Im Fall des ihr aufgedrängten Wechsels in eine andere Einrichtung des betreuten Wohnens sei konkret zu befürchten, dass der erreichte Zustand relativer psychischer Stabilität sowie der erreichte Grad an selbständiger Lebensführung eine nachhaltige Dekompensation und Destabilisierung erfahren und damit eine deutliche Verschlimmerung der Folgen der Behinderung eintreten würde. Die Klägerin sei im Alter von 66 Jahren zunächst als Selbstzahlerin in eine Eingliederungshilfeeinrichtung gezogen, deren umfassendes Hilfeangebot sie nicht benötige und in der überwiegend Menschen mit Behinderung unter 65 Jahren untergebracht seien. Aufgrund ihres Alters und ihres Hilfebedarfs sei die Klägerin von Anfang an auf Leistungen der Hilfe zur Pflege und nicht der Eingliederungshilfe angewiesen. Bei der Klägerin habe damals wie heute im Vordergrund des Bedarfs die hauswirtschaftliche Versorgung sowie die Inanspruchnahme einer gewissen Tagesstruktur gestanden. Beides könne in jedem Alten(pflege)heim gewährleistet werden, eine Aufnahme in eine Eingliederungshilfeeinrichtung sei nicht notwendig. Das Gericht hat der Klage stattgegeben. Die Klägerin erhalte seit Leistungsbeginn Eingliederungshilfe und bedürfe auch im streitigen Zeitraum weiterhin der Leistungen der Eingliederungshilfe (§ 53 SGB XII i. V. m. § 55 Abs. 2 Nr. 6 u. 7 SGB IX). Dabei erfülle die Eingliederungshilfe in ihrem Fall die Aufgabe nach § 53 Abs. 3 Satz 1 SGB XII: Ohne Eingliederungshilfeleistungen drohe eine Verschlimmerung der psychischen Behinderung, deren Folgen weiterhin wesentlich gemildert würden und damit der Klägerin eine bessere Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ermöglichten. Bei dem Wohnheim habe es sich unstreitig um eine Einrichtung der Eingliederungshilfe i. S. d. § 13 Abs. 2 SGB XII gehandelt. Das Alter ist nicht entscheidungserheblich Die Zuordnung zur Hilfe zur Pflege sei der irrigen Auffassung des Sozialhilfeträgers geschuldet gewesen, der sozialhilferechtlich relevante Bedarf der beim Einzug in das Wohnheim bereits 66 Jahre alten Klägerin sei aufgrund ihres Alters und auch im Hinblick darauf, dass sie bis zum Tod ihrer Mutter mit dieser in einem Altenheim gelebt habe, der Hilfe zur Pflege zuzuordnen. Dem Sozialhilfeträger sei zuzugestehen, dass die Klägerin mittlerweile im Wesentlichen noch der „zustandserhaltenden Beheimatung“ in der Einrichtung bedürfe und das eine wesentliche weitere Verbesserung ihrer Teilhabemöglichkeiten, auch im Hinblick auf ihr zwischenzeitlich erreichtes Alter von 74 Jahren, wohl nicht mehr zu erwarten sei. Zustandsbesserung keine Voraussetzung für Eingliederungshilfe § 53 Abs 1 Satz 1 SGB XII binde die Eingliederungshilfe daran, dass eine Aussicht bestehe, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden könne. Aus der Vorschrift sei nicht zu schließen, Voraussetzung der Eingliederungshilfe sei eine Möglichkeit oder gar die Aussicht auf eine Verbesserung des behinderungsbedingten Status quo. Diese Ansicht würde zu kurz greifen. § 53 SGB XII schließe Eingliederungshilfeleistungen nicht aus, selbst wenn es bei der Klägerin nur noch um schlichte Bewahrung des Erreichten ohne Verbesserungsaussicht und damit nicht um ihre weitere Eingliederung in die Gesellschaft gehe. Gem. § 53 Abs. 3 SGB XII reiche bereits das „Mildern“ der Behinderungsfolgen aus, um einen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe zu begründen. Dementsprechend könne die weite Beschreibung der Aufgaben und Ziele der Eingliederungshilfe dazu führen, dass sie gegebenenfalls auch lebenslang zu gewähren sei. Eingliederungshilfe kann lebenslang gewährt werden Ohne die Sicherung ihres gegenwärtig erlangten Status von relativer 109 Stabilität ginge es der Klägerin behinderungsbedingt unmittelbar schlechter. Werde einer gesundheitlichen Dekompensation und einem sozialem Rückzug entgegengewirkt, sei die der Klägerin gewährte Hilfe als Milderung der Behinderungsfolgen eine Leistung der Eingliederungshilfe. Hierfür spreche auch der in § 14 Abs. 1 SGB XII vorgesehene Vorrang präventiver oder rehabilitativer Leistungen. Die Klägerin könne somit bis auf weiteres die ihr im Wohnheim geleistete Eingliederungshilfe beanspruchen. Anmerkung von Norbert Schumacher Das Interesse des Sozialhilfeträgers an einer Unterbringung der Klägerin in einem Alten(Pflege)Heim hat vor allem finanzielle Gründe: Die Unterbringung in der Einrichtung der Behindertenhilfe ist mit Mehrkosten in Höhe von ca. 1.500 Euro monatlich verbunden. Nicht nur wegen des verschiedenen Zwecks von Altenheimen einerseits und Wohnstätten der Behindertenhilfe andererseits ist die richtige Zuordnung der gewährten Leistungen zur Eingliederungshilfe oder zur Hilfe zur Pflege von erheblicher Bedeutung, worauf das Gericht zu Recht hingewiesen hat. Die Leistungen müssen sich nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Bedarfs richten (§ 9 Abs. 1 SGB XII). Eingliederungshilfe ist nicht erfolgsbezogen Ein besonderer Verdienst dieser ausführlich begründeten Entscheidung ist die Feststellung, dass der Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe nicht an die Voraussetzung gekoppelt ist, dass eine Aussicht oder zumindest Wahrscheinlichkeit auf Verbesserung des behinderungsbedingten Status quo besteht. Unrichtigerweise wird in einigen Kommentierungen aus der Formulierung in § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII, wenn und solange Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann, eine „Erfolgsbezogenheit“ der Eingliederungshilfe abgeleitet. Das in § 53 Abs. 3 Satz 1 SGB II normierte Ziel der Eingliederungshilfe, eine Behinderung oder deren Folgen zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern, wird bereits dann erreicht, wenn durch Leistungen der Eingliederungshilfe eine Verschlechterung vermieden und der erreichte Stand der Eingliederung in die Gesellschaft erhalten werden kann. 110 Rechtsprechung und rechtspraxis In diesem Sinne hat auch das LSG NRW entschieden: Es genüge für einen Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn noch eine vom Berechtigten als Verbesserung seiner Gesamtsituation anzusehende Erleichterung seiner behinderungsbedingten Lage erreicht werde. Gehe es dem Leistungsberechtigten ohne die Sicherung seines Status quo behinderungsbedingt unmittelbar schlechter, dann könne eine schlichte Bewahrung des Erreichten ohne Verbesserungsaussicht für Maßnahmen der Eingliederungshilfe leistungsauslösend sein (Urteil vom 07.04.2008 – Az: L 20 SO 53/06). SGB XII Hilfen zur Familienplanung als Leistung der Eingliederungshilfe SG Köln, Urteil vom 31.03.2010 – Az: S 21 SO 199/09 Streitig ist die Erstattung von Kosten für ein Verhütungsmittel. Die 1974 geborene Klägerin hat eine geistige Behinderung. Sie ist schwerbehindert im Sinne des SGB IX mit einem GdB von 100. Zusätzlich sind ihr die Merkzeichen G, H und RF zuerkannt. Die Klägerin ist mit einem ebenfalls geistig behinderten Mann verheiratet, bei beiden besteht eine gesetzliche Betreuung. Die Eheleute arbeiten in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) und beziehen vom Sozialhilfeträger Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII. Die Klägerin hat am 29.07.2008 ein Kind geboren. Die Pflege des Kindes wird durch die Familie der Klägerin sichergestellt, da ihr bzw. ihrem Ehemann nicht klar bzw. bewusst sei, wann und ob ihr Kind der Pflege und Zuwendung bedürfe. Im Februar 2009 beantragte die Klägerin die Übernahme von Kosten zwecks Empfängnisverhütung. Der Sozialhilfeträger lehnte die Kostenübernahme mit der Begründung ab, Leistungen der Sozialhilfe könnten nur in dem Rahmen erbracht werden, wie dies durch die gesetzlichen Krankenkassen erfolgen könne. Die Klägerin sei gesetzlich krankenversichert, die Krankenkasse als vorrangiger Leistungsträger zuständig. Im Widerspruchsverfahren hat die Klägerin vorgetragen, sie sei nicht in der Lage, ein Kind zu betreuen und zu erziehen. Zur Vermeidung einer er- neuten Schwangerschaft sei eine sichere Verhütung mittels Implanon erforderlich. Eine regelmäßige Einnahme der Antibabypille sei bei ihr nicht gewährleistet. Die Krankenkasse hat die Kostenübernahme für das Verhütungsmittel mit der Begründung abgelehnt, dass nach der gesetzlichen Vorschrift (§ 24a SGB V) nur Versicherte bis zum vollendeten zwanzigsten Lebensjahr Anspruch auf Versorgung mit empfängnisverhütenden Mitteln zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung haben. Das SG hat der Klage stattgegeben. Zwar sei die Auffassung zutreffend, dass eine Kostenübernahme nach § 49 i. V. m. § 52 SGB XII ausscheide. Die Kosten des Verhütungsmittels seien aber vor dem Hintergrund der wesentlichen geistigen Behinderung der Klägerin im Rahmen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen als Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft vom Sozialhilfeträger zu erbringen (§ 6 Abs.1 Nr. 7 i. V. m. § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX). Nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung komme über die Altersgrenze von 20 Jahren hinaus eine Kostenübernahme für empfängnisverhütende Mittel nur in Betracht, wenn diese nicht primär der Empfängnisverhütung dienten, sondern wegen Vorliegens einer Krankheit die Verhütung einer Schwangerschaft angezeigt sei. Es müsse also eine medizinische Indikation für das Verhütungsmittel bestehen. Die Klägerin leide an einer wesentlichen geistigen Behinderung, nicht aber an einer Krankheit, die die Ver- Rechtsdienst 3/2010 hütung einer Schwangerschaft erfordere. Die Schwangerschaft der Klägerin, die zur Geburt des Kindes im Jahre 2008 geführt habe, sei offensichtlich problemlos verlaufen. Anspruchsgrundlage für das Begehren der Klägerin seien daher die Vorschriften zur Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach §§ 53 und 54 SGB XII i. V. m. § 55 Abs. 1 SGB IX. Die hier fragliche Leistung falle unter den Oberbegriff der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Der Begriff der Teilhabe sei gem. § 1 Satz 1 SGB IX dahingehend zu verstehen, dass Teilhabe daran zu messen sei, ob es gelinge, die Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe des behinderten Menschen am Leben in der Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden bzw. ihnen entgegenzuwirken. Die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft schließe die Teilhabe am Leben in Familie und Ehe (als Teil der Gemeinschaft/Gesellschaft) mit ein. Leistungen zur Teilhabe umfassten die notwendigen Sozialleistungen, um eine möglichst selbständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen bzw. zu erleichtern (§ 4 Abs. 1 Nr. 4 SGB IX). Teilhabe in diesem Sinne beinhalte auch, dem behinderten Menschen ein selbstbestimmtes Sexualleben zu ermöglichen bzw. zu erleichtern. Die sichere Verhütungsmethode sei Mittel zum Zweck, nämlich der geistig behinderten Klägerin ein selbstbestimmtes Sexualleben in ihrer Ehegemeinschaft zu ermöglichen (vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 4 SGB und § 53 Abs. 3 SGB XII). Im Fall der geistig behinderten Klägerin erfordere ein selbstbestimmtes Sexualleben eine der Behinderung angepasste Verhütungsmethode. Die Klägerin sei aufgrund ihrer wesentlichen geistigen Behinderung nicht in der Lage, übliche und preisgünstige, aber regelmäßig anzuwendende Verhütungsmittel verantwortungsvoll zu nutzen. Anspruchsgrundlage für die Übernahme dieses behinderungsspezifischen Bedarfs sei § 54 Abs. 1 SGB XII i. V. m. § 55 SGB IX als Auffangnorm. Anmerkung In seiner ausführlich begründeten Entscheidung setzt sich das Gericht auch mit den Vorschriften der Hilfen zur Gesundheit einschließlich der Hilfe zur Familienplanung im Sozialhilferecht auseinander (§§ 47 ff. SGB XII). Im Unterschied zum SG Duisburg Rech t s d i e n s t 3 / 2 0 1 0 (Urteil vom 09.09.2008 – Az: S 7 SO 10/07) und dem VG Gelsenkirchen (Beschluss vom 16.03.2004 – Az: 2 L 575/04, vgl. RdLh 3/04, S. 127) hält das Gericht diese Vorschriften für ein erfolgreiches Klagebegehren nicht für einschlägig. Aus § 52 Abs. 1 Satz 1 SGB XII folge, dass die nach Sozialhilferecht zu erbringende Hilfe den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung entsprechen müssten. Die Regelung Rechtsprechung und rechtspraxis des § 52 Abs. 1 Satz 1 SGB XII führe dazu, dass Kosten empfängnisverhütender Mittel für Personen nach Vollendung des zwanzigsten Lebensjahres auch nicht nach § 49 SGB XII übernommen werden können. Die hierin liegende Konsequenz der Abkehr vom Bedarfsdeckungsprinzip der Sozialhilfe bei den Leistungen nach §§ 47 ff. SGB XII sei bedenklich, stehe jedoch auf einem anderen Blatt. (Sch) SGB XII Keine Kürzung der Grundsicherung während Krankenhausaufenthalts SG Detmold, Gerichtsbescheid vom 01.06.2010 – Az: S 2 SO 74/10 Die Beteiligten streiten über die Kürzung der Grundsicherungsleistung für die Dauer eines stationären Krankenhausaufenthaltes. Die Klägerin bezieht Leistungen zur Grundsicherung nach §§ 41, 42 SGB XII. Für die Dauer eines Krankenhaus- und sich anschließendem Rehaaufenthaltes kürzte der beklagte Sozialhilfeträger die Leistungen um 125,65 Euro. Im ablehnenden Widerspruchsbescheid führte er aus, während des vollstationären Aufenthaltes erhalte die Klägerin eine vollständige Verpflegung und erspare somit eigene Aufwendungen für Ernährung. Der Bedarf werde im Sinne von § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII anderweitig gedeckt und daher abweichend festgelegt. Mit ihrer Klage machte die Klägerin geltend, dass keinerlei Einsparungen durch den Krankenhausaufenthalt verursacht wurden. Insbesondere habe die Beklagte keinerlei Feststellungen zu den konkreten Aufwendungen während dieser Zeit getroffen. Konkrete Bedarfsermittlung für häusliche Ersparnis nötig Das SG Detmold entschied zugunsten der Klägerin: Die Verpflegung sei nicht als Einkommen der Klägerin zu sehen, das die Gewährung von Sozialhilfe ausschließe. Auch der Tatbestand des § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII sei nicht gegeben: Zwar könne die vollstationäre Verpflegung als anderweitige Bedarfsdeckung angesehen werden. Jedoch sei eine Gesamtbetrachtung erforderlich: Zu berücksichtigen seien auch die durch die besondere Situation entstehenden höheren Kosten. In jedem Fall müssten konkrete Ausführungen vorliegen, in welcher Höhe eine anderweitige Bedarfsdeckung gegeben und möglicherweise um Beträge für vergebliche Aufwendungen (z. B. verdorbene Lebensmittel zuhause) zu kürzen sei. Die pauschale Kürzung durch den beklagten Sozialhilfeträger sei nicht rechtmäßig. Anmerkung Der Sozialhilfeträger berief sich im Verfahren auf die Entscheidung des BSG zum kostenlosen Mittagessen in Werkstätten für behinderte Menschen (Urteil vom 11.12.2007 – Az: B 8/9b SO 21/06 R; vgl RdLh 1/2008, S. 32). Hier hatte das BSG eine anderweitige Bedarfsdeckung nach § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII bejaht. Das SG stellte jedoch klar, dass sich beide Sachverhalte erheblich unterscheiden. Die Arbeit in einer WfbM sei ein regelmäßiger Vorgang, auf den man sich planend einstellen könne und der keine Kompensationskosten verursache. Demgegenüber müsse man einen Krankenhausaufenthalt meist kurzfristig planen, was regelmäßig mit Kosten (z. B. für Bekleidung, 111 Sportschuhe oder Fahrtkosten) verbunden sei. Rechtsbehelf gegen einen Gerichtsbescheid Das SG entschied ohne mündliche Verhandlung im Wege des Gerichtsbescheids, da es den Sachverhalt als geklärt und keine besonderen Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art sah (§ 105 SGG). Der Gerichtsbescheid ist nach § 105 Abs. 2 Satz 1 SGG entweder mit dem Rechtsmittel, das bei einem Urteil zulässig wäre, anzugreifen oder es ist nach Satz 2 ein Antrag auf mündliche Verhandlung zu stellen. Da im vorliegenden Verfahren die Berufung nicht zugelassen wurde, kommt es zu einer verfahrensrechtlich interessanten Situation: In Betracht kommen sowohl eine Nichtzulassungsbeschwerde (NZB) als auch ein Antrag auf mündliche Verhandlung. Welcher Weg vorteilhafter ist, wird wie immer vom Einzelfall abhängen: Die NZB bringt das Verfahren in die nächste Instanz, ist aber form- und fristgebunden. Fehler bei der Tatsachenermittlung können mit ihr nicht geltend gemacht werden. Bei Verwerfung oder Zurückweisung der NZB ist kein Antrag auf mündliche Verhandlung mehr möglich und der Gerichtsbescheid wird rechtskräftig (§ 105 Abs. 3 i. V. m. § 145 Abs. 4 Satz 4 SGG). Vorliegend entschied sich der Sozialhilfeträger für die NZB zum LSG Nordrhein-Westfalen (Az: L 12 SO 321/10 NZB). (Lg) ANZEIGE Lassen Sie sich nicht abhängen! 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Unter Berücksichtigung des höheren Wohngeldanspruchs sei beabsichtigt, den Antrag auf Grundsicherung abzulehnen. Da die Antragstellerin an ihrem Grundsicherungsantrag festhielt, lehnte der Sozialhilfeträger den Antrag unter Hinweis auf den Nachranggrundsatz der Sozialhilfe ab. Wohngeld sei vorrangig zur Bestreitung des Lebensunterhalts einzusetzen. decken. Dies sei vorliegend der Fall. Keine Ausnahme vom Nachranggrundsatz der Sozialhilfe Die zum 01.01.2009 in Kraft getretene Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 b WoGG (Wohngeldgesetz) sieht vor, dass ein Ausschluss von Wohngeld nicht besteht, wenn durch das Wohngeld die Hilfebedürftigkeit i. S. v. §§ 42 f. SGB XII vermieden oder beseitigt werden kann. Diese Neuregelung stellt eine Reaktion des Gesetzgebers auf Fälle dar, in denen ein an sich vorrangiger Wohngeldanspruch besteht, dieser aber wegen des aktuellen Bezugs von Transferleistungen bislang nicht durchgesetzt werden konnte. Mit der Neuregelung sollte der Wechsel aus dem Transferleistungsbezug in das Wohngeld erleichtert werden, wenn durch Wohngeld die Hilfebedürftigkeit vermieden werden kann. Zumindest übergangsweise soll ein gleichzeitiger Bezug von bestimmten Transferleistungen und Wohngeld möglich sein, der gegebenenfalls auf dem Erstattungswege zwischen den Leistungsträgern ausgeglichen wird. (Sch) Im April 2010 hat die Antragstellerin vorläufigen Rechtsschutz beim Sozialgericht Karlsruhe beantragt. Das Gericht hat den auf die Gewährung von Grundsicherungsleistungen gerichteten Antrag abgelehnt. Es fehle an einem Anordnungsanspruch. Der Sozialhilfeträger habe das Begehren der Antragstellerin zu Recht unter Berufung auf den nach § 2 Abs. 1 SGB XII geltenden Nachranggrundsatz abgelehnt. Die in Folge ihrer niedrigen Rente bedürftige Antragstellerin sei auf vorrangige Wohngeldleistungen zu verweisen. Der Vorrang des Wohngeldanspruchs sei auch unmittelbar durchsetzbar. Bestehe der Wohngeldvorrang, sei weiter zu fragen, ob der Anspruch auf Wohngeld konkret ausreiche, den sozialhilferechtlichen Ergänzungsbedarf der Antragstellerin zu Anmerkung Teilhabe am Arbeitsleben Neues Fachkonzept der BA für Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich von Dr. Sabine Wendt Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hat am 21.06.2010 ein neues Fachkonzept für Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) vorgelegt (HEGA 06/10-02), das bis zum 31.05.2015 Gültigkeit hat. Es ersetzt das Rahmenprogramm von 2002, das mit der BAG WfbM vereinbart worden war. Unter Beteiligung der BAG überörtlicher Träger der Sozialhilfe und BAG WfbM seien die fachlichen Anforderung nach §§ 3 und 4 Werkstättenverordnung (WVO) aktualisiert worden. Durch das Fachkonzept sollen „die Möglichkeiten zur selbstbestimmten Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben verbessert und somit ein Beitrag zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention der UN zur beruflichen Inklusion geleistet werden.“ Dies solle durch eine stärkere Berücksichtigung von Eingliederungsmöglichkeiten in den allgemeinen Arbeitsmarkt, eine personenorientierte Maßnahmegestaltung sowie durch eine Maßnahmekonzeption und -durchführung auf der Grundlage von Kompetenzfeststellungen erreicht werden. Damit regele das Fachkonzept die fachlichen Anforderungen im Rahmen des Anerkennungsverfahrens nach § 142 SGB IX, diene der Qualitätssicherung und solle eine bessere Vergleichbarkeit der Leistungsangebote ermöglichen. Die Umsetzung solle mit der Neuaufnahme von Teilnehmern im Herbst 2010 beginnen. Inhalt der Neuregelungen Folgende Neuerungen gegenüber dem Rahmenprogramm sind vorgesehen: Rech t s d i e n s t 3 / 2 0 1 0 1. Barrierefreier Zugang und Darstellung von Information: Die Teilnehmer müssen in „leichter Sprache“ über die Inhalte des Fachkonzepts informiert werden (Rn. 3.1.). 2. Die Maßnahme steht ganzjährig zur Verfügung, Eintrittstermine sind so zu gestalten, dass maximale Wartezeiten von einem Monat entstehen (Rn. 3.2.). 3. Bei der Erstellung des Eingliederungsplans muss eine teilnehmeradäquate Information sichergestellt werden, und nach dem Wunsch- und Wahlrecht des Teilnehmers Eltern oder Betreuungspersonen eingebunden werden. Für jeden Teilnehmer ist eine dauerhafte Bezugsperson als Bildungsbegleiter zu benennen. Die Zahl und Dauer der Betriebspraktika und ggf. des ausgelagerten Berufsbildungsbereichs sind festzulegen (Rn. 3.2.2.). Betriebspraktika sind als verbindlicher Teil der Berufsbildung vorzusehen, und jährlich im Fachausschuss mit einer Zielvereinbarung in ihrem Umfang festzulegen. Probleme in der Realisierung sind dort zu begründen (Rn. 5.2). Für die Berücksichtigung des Gender Mainstreamings muss auch die Heranführung an eher geschlechtsuntypische Berufsfelder und Tätigkeiten gewährleistet sein (Rn. 3.2.3). Die Entwicklung und Förderung von Schlüsselkompetenzen als übergreifende Kompetenzen ist besondere Aufgabe der WfbM und wird ausführlicher als im Rahmenprogramm unter Rn. 3.3.beschrieben. Neu ist auch die Sicherstellung einer Sozialpädagogischen Begleitung unter Rn. 3.4. u. a. als Krisenintervention und für Alltagshilfen. 4. Die WfbM ist verpflichtet, eine maßnahmebezogene Anwesenheitsliste zu führen, in der die unterweisungsfreien Zeiten (Urlaub, 2,5 Arbeitstage pro Teilnehmermonat und Sonderurlaub aus bestimmten Anlässen) zu kennzeichnen sind (Rn. 3.5.1.). Zeiten der Arbeitsunfähigkeit sind ab dem vierten Tag durch ärztliches Attest nachzuweisen. Alle sonstigen Abwesenheitstage sind als unentschuldigte Fehlzeiten zu kennzeichnen. Mit dieser Regelung kontrolliert die BA verstärkt die Mitwirkungspflichten der Teilnehmer. Zur Einhaltung dieser Regelung müssen die Berufsbildungsverträge zwischen WfbM und Teilnehmern angepasst werden (siehe Muster eines Berufsbildungsvertrags, Werkstatthandbuch der Lebenshilfe, Kapitel O 4.3.). 5. Jede WfbM wird verpflichtet, der Rechtsprechung und rechtspraxis BA und dem Fachausschuss ein Durchführungskonzept einschließlich Qualitätssicherung zuzuleiten (Rn. 3.6.). 6. Anforderungen an das Eingangsverfahren: Dieses dauert grundsätzlich drei Monate, was eine Verbesserung gegenüber dem Rahmenprogramm darstellt, das nur eine Regelung bis zu drei Monaten unter Berücksichtigung des Einzelfalls vorsah. Eine Ausnahme gilt, wenn eine Zuweisung nach einer DIA-AM-Maßnahme erfolgt, in der der diagnostische Teil schon abgeschlossen wurde. In diesem Fall dauert das Eingangsverfahren einen Monat (Rn. 4.2.2). Es kann in Kooperation mit anderen WfbM durchgeführt werden. Unter Einbeziehung von Schulund DIA-AM-Gutachten wird eine individuelle Analyse des Leitungspotentials durch Einzeltestung vorgenommen. Es sind Feststellungen zu treffen zu der sozial-kommunikativen Kompetenz, der Methodenkompetenz, der personalen Kompetenz, der Aktivitäts- und Umsetzungskompetenz und zu der Eignung und Neigungen, wozu u. a. auch die Mobilität (Teilnahme am ÖPNV) gehört. Dabei ist eine übergreifende Langzeitbeobachtung gefordert, um Entwicklungsschritte zu dokumentieren. 7. Der Berufsbildungsbereich muss eine eigenständige und selbständig geführte Organisationseinheit der WfbM sein. Dem entspricht die Tendenz bei großen Werkstattträgern, für alle Verbundwerkstätten und ggf. auch für firmeneigene Integrationsbetriebe ein zentrales Ausbildungszentrum zu schaffen. Werden Maßnahmen auf ausgelagerten Plätzen des allgemeinen Arbeitsmarktes durchgeführt, muss dies transparent und geplant nach dem individuellen Eingliederungsplan und entsprechend den für den Berufsbildungsbereich geltenden Rahmenbedigungen (u. a. § 9 Abs. 3 Satz 2 WVO, Einsatz von qualifiziertem Fachpersonal zur Begleitung) erfolgen (Rn. 5). Damit wird ein ausgelagerter Berufsbildungsbereich oder das Arbeiten im Verbund anerkannt, wobei der Teilnehmer jetzt einen persönlichen Bildungsbegleiter haben muss, sowie einen Eingliederungsplan mit den unter 6. genannten Inhalten. 8. In dem individuellen Eingliederungsplan müssen konkrete Ziele vereinbart werden, die berufliche Orientierung muss in mindestens zwei Berufsfeldern durchgeführt werden. Die Unterteilung in eine Grundkurs und Aufbaukurs nach § 4 Abs. 4 und 5 WVO wird aufgegeben, es wird lediglich verlangt, entsprechende Inhalte in 113 etwa zeitlich gleichen Anteilen zu vermitteln. Die Ausrichtung auf Qualifizierungen, die eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorsehen, hat Vorrang. Dabei soll auch auf aufbauende und ergänzende externe Bildungsangebote hingeführt werden, die sich an den Ausbildungsregelungen nach § 66 BBiG/§ 42 HWO orientieren. Diese vage Formulierung lässt offen, ob es damit auch den WfbM selbst ermöglicht werden soll, solche regulären Ausbildungen anzubieten, damit kein Wechsel zu einem externen Träger erfolgen muss (z. B. Berufsbildungswerk), der mit einer teuren Internatsunterbringung verbunden ist (Rn. 5.1.). In den Qualifizierungsbereichen der WfbM sind Rahmenpläne zu erstellen, die eine Binnendifferenzierung der beruflichen Qualifizierungsstufen ermöglichen. Keine Einbindung in den ASMKReformprozess Das neue Fachkonzept stellt insgesamt eine gelungene Weiterentwicklung des Rahmenprogramms von 2002 dar. Es bleibt abzuwarten, ob die BA ihrerseits den hohen Anforderungen gerecht wird, und die entsprechenden finanziellen und personellen Ressourcen für die Umsetzung zur Verfügung stellt. Auffällig ist, dass zu den in der WVO vorgesehenen Personalschlüsseln von 1:6 im Berufsbildungsbereich (§ 9 Abs. 3 WVO) keine Aussagen gemacht werden. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung vor Abschluss der Beratungen der ASMK zur Reform der Eingliederungshilfe überrascht, da diese sich auch mit einem verbesserten Übergang von der Schule in den Beruf befassen soll.1 So soll unter Beteiligung der BA zwei Jahre vor Ende der Schulzeit ein Clearing-Verfahren stattfinden, um mehr Optionen für eine Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt für Schüler zu schaffen. Während die BA auf Bundesebene in den ASMK-Arbeitsgruppen bisher keine konstruktiven Vorschläge machte, unterstützt die Regionaldirektion Baden-Württemberg seit 2005 ein wichtiges Reformprojekt. Über 1000 Schüler von Sonderschulen konnten dort bereits mit diesem Programm in den allgemeinen Arbeitsmarkt integriert werden2. 1 Hellmann, Weiterentwicklung der Eingliede- rungshilfe für Menschen mit Behinderungen im Bereich Teilhabe zum Arbeitsleben, RdLh 2/09, 55 ff. 2 Ernst, Schnittstelle allgemeiner Arbeitsmarkt- Werkstatt für behinderte Menschen, Behindertenrecht 2008, 125 ff., ders., Aktueller Stand der Diskussion am Beginn des Jahres 2010, Behindertenrecht 2-2010, S. 40 ff. 114 Rechtsprechung und rechtspraxis Rechtsdienst 3/2010 Mit der Aktion 1000 plus wird das von dem Kommunalverband für Jugend und Soziales (KVJS) initiierte Programm modifiziert fortgesetzt. Mit den Schulen und WfbM wird gegenwärtig an 10 Standorten eine von der BA geförderte Maßnahme „Kooperative Bildung und Vorbereitung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt“ (KoBV) gefördert. Durch Praktika auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, verbunden mit zwei wöchentlichen Berufsschultagen, sollen die persönlichen Fähigkeiten und die Möglichkeit der Vermittelbarkeit auf den allgemeinen Arbeitsmarkt getestet werden. Die persönliche Begleitung übernimmt der Integrationsfachdienst nach § 109 ff. SGB IX oder die WfbM, die von der BA bezahlt wird. Nach Beendigung der Schule kann diese Maßnahme entweder in eine Unterstützte Beschäftigung nach § 38a SGB IX münden, oder in das Eingangsverfahren/Berufsbildungsbereich der WfbM nach § 40 SGB IX, wobei die 11-18 Monate Regeldauer der KoBV auf die 27 Monate des Eingangsverfahrens/Berufsbildungsbereich angerechnet werden. Die BA übernimmt die Sozial- und Unfallversicherung und zahlt ein Ausbildungsgeld. In dem Fachkonzept fehlen leider solche Aussagen, Adressat ist ausschließlich die WfbM, weder Schulen noch Integrationsfachdienste werden erwähnt. Dabei wären die in den Jahren 2002-2006 um 18 % gestiegenen Zugangszahlen von Sonderschulabgängern in WfbM3 Anlass gewesen, die daran anschließende Förderung durch den Berufsbildungsbereich neu zu überdenken, um den Automatismus eines solchen Übergangs durch ein qualifiziertes Bedarfsermittlungsverfahren zu ersetzen. Die DIA-AMMaßnahme4 reicht dafür nicht aus, da sie nicht mit der Schule vernetzt ist, wie das KoVB-Verfahren in BadenWürttemberg. organ, das Empfehlungen für die Aufnahme, die Durchführung der Eingliederung und die Beendigung abgibt.5 In ihm ist die WfbM neben den zuständigen Reha-Trägern BA, Sozialhilfeträgern und Rentenversicherung stimmberechtigt, und müsste demnach mit sich selbst eine Zielvereinbarung abschließen, was als Insich-Geschäft gar nicht möglich ist. Die Reha-Träger selbst haben immer wieder darauf hingewiesen, dass der Fachausschuss nur vorbereitend tätig sein kann, und die Leistungsentscheidung allein ihnen vorbehalten bleibt. Zielvereinbarungen sind daher nur dann ein verbindliches Instrument, wenn sie von einem Reha-Träger im Zusammenhang mit der Festsetzung der Vergütung vereinbart werden. Daher können sie nur in Vereinbarungen der für die Finanzierung zuständigen Regionaldirektionen mit der jeweiligen WfbM gelten. Zielvereinbarungen wurden bisher nur in NRW von den Sozialhilfeträgern des Landschaftsverbands Rheinland und Westfalen mit WfbM als Maßnahme der Qualitätsprüfung der Vergütungsvereinbarung nach § 41 Abs. 3 SGB IX abgeschlossen. Zielvereinbarung mit dem Fachausschuss über Betriebspraktika 3 Wendt, Reformschritte zur Vernetzung von Werkstätten für behinderte Menschen und allgemeinem Nach Rn. 5.2. des Fachkonzepts soll der Umfang der Betriebspraktika (Anteil der Teilnehmer und der zeitliche Umfang) jährlich in einer Zielvereinbarung mit dem Fachausschuss festgelegt werden. Fraglich ist, ob das rechtlich zulässig ist. Zielvereinbarungen sind nur dann mehr als reine unverbindliche Absichtserklärungen, wenn an ihre Nichterfüllung Folgen geknüpft werden können. Dazu hat der Fachausschuss aber keine Befugnisse. Der Fachausschuss ist gem. § 2 Abs. 2 WVO lediglich ein Sachverständigen- 4 Diagnose der Arbeitsmarktfähigkeit besonders betroffener behinderter Menschen nach § 33 Abs. 4 Persönliches Budget nach § 17 SGB IX bleibt unerwähnt Bedauerlich ist, dass keine Ausführungen zur Inanspruchnahme des Persönlichen Budgets gemacht werden. Die Handlungsempfehlung der BA, HEGA 12/2007, die dies vorsieht, gilt noch bis zum 31.12.2011.6 Zwar verspricht das Fachkonzept eine „personenorientierte Maßnahme“, definiert diese aber dann doch nur wieder institutionsgebunden als Maßnahme einer anerkannten WfbM. Es gibt aber auch andere Anbieter, die keine WfbM sind, wie z. B. die Hamburger Arbeitsassistenz oder Gemeinsam Leben, Ge- meinsam Lernen in Frankfurt, die die Maßnahme mit Hilfe des Persönlichen Budgets mit höheren Übergangszahlen in den allgemeinen Arbeitsmarkt anbieten, als die örtlichen WfbM.7 Wenn das Fachkonzept „eine stärkere Berücksichtigung von Eingliederungsmöglichkeiten im allgemeinen Arbeitsmarkt“ von dem Berufsbildungsverfahren erwartet, hätte der von der BAG Unterstütze Beschäftigung (BAG UB) entwickelte Ansatz eines „Betrieblichen Berufsbildungsbereichs“ berücksichtigt werden müssen.8 Dieses Konzept „erst platzieren, dann qualifizieren“ wurde bereits für den Personenkreis mit einem Leistungsvermögen oberhalb der WfbM im Rahmen der Unterstützten Beschäftigung nach § 38a SGB IX realisiert, kann aber auch für Personen, die werkstattbedürftig sind, in Frage kommen. Dann muss der Leistungsberechtigte im Rahmen seines Wunsch- und Wahlrechts nach § 9 SGB IX ggf. auch einen anderen Anbieter, als die WfbM, wählen können, wenn dieser eine solche Leistung für die berufliche Qualifizierung vor Ort in der notwendigen Qualität ebenfalls anbietet. Dies sieht auch der personenzentrierte Ansatz der Eingliederungshilfe vor, wonach sich die Hilfe unabhängig von Leistungsort und Leistungsform ausschließlich am individuellen Bedarf orientieren soll.9 Schnittstelle Unterstützte Beschäftigung Bemerkenswert ist, dass die seit 2009 geltende Maßnahme der Unterstützten Beschäftigung nach § 38a SGB IX nicht erwähnt wird, obwohl diese ausdrücklich in § 40 Abs. 4 SGB IX (Anrechnungsvorschrift) erwähnt wird. Auch während der Durchführung des Eingangsverfahrens und Berufsbildungsbereichs ist Arbeitsmarkt, Die Rehabilitation 1-2010, 38 ff., 39 unter Bezugnahme auf die ISB-Studie des BMAS, Entwicklung der Zugangszahlen zu Werkstätten für behinderte Menschen, Bonn 2008. SGB IX, Weisung der Bundesagentur für Arbeit SP II 23 vom 07.02.2008, wiedergegeben in Ernst/ Adlhoch/Seel, SGB IX, Anhang 2 zu § 39. 5C ramer, Kommentar Werkstätten für behinderte Menschen, 5. Auflage § 2 WVO Rn. 17. 6 Wiedergegeben in Ernst/Adlhoch/Seel, Anhang 2 zu § 40 SGB IX, a. a. O auch Finke/Kadoke, § 40 Rn. 39. 7 Basener, Hamburger Arbeitsassistenz, Das Original der Unterstützten Beschäftigung, Verlag 53grad nord Hamburg, 2010; Behncke, Zur Anerkennung eines Betrieblichen Berufsbildungsbereichs auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für Menschen mit Lernschwierigkeiten, Werkstatt-Handbuch der Lebenshilfe Marburg 2007, Kapitel D 13, 2007; Blesiner, Persönliches Budget für Leistungen der WfbM, WerkstattHandbuch der Lebenshilfe Marburg 2009 Kapitel A 3. 8 BAG UB, Konzept eines betrieblichen Berufsbildungsbereichs, Integrative berufliche Eingliederungsmaß- nahme für junge Erwachsene mit Behinderung im Übergang von der Schule in den Beruf, März 2006, http://www.bag-ub.de/publikationen/idx_publikationen.htm, aufgerufen am 16.07.2010. 9 Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Bedarfsermittlung und Hilfeplanung in der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen, NDV 2009, 253 ff. Rech t s d i e n s t 3 / 2 0 1 0 ein Überwechseln in die Unterstützte Beschäftigung jederzeit möglich. Daher hätte in dem Fachkonzept auch das Verfahren des Überwechselns in die Unterstützte Beschäftigung erläutert werden müssen. Es ist durchaus denkbar, dass bei einer Bewährung auf einem betrieblichen Praktikumsplatz eine Umwandlung der Maßnahme in eine Unterstützte Beschäftigung angezeigt ist, für die die BA weiterhin der zuständige Reha-Träger bleibt. Finanzierung rechtlich lückenhaft Vergleicht man das Fachkonzept mit den wesentlich umfangreicheren Werkstattempfehlungen der BAGüS vom 01.01.201010, fällt auf, dass die Frage der Finanzierung mit keinem Wort erwähnt wird. Diese steht nach wie vor rechtlich auf tönernen Füßen, wie Wehrhahn an Hand eines Verfahrens vor dem BSG, das durch einen Vergleich beendet wurde, bereits 2007 belegt hat.11 § 41 Abs. 3 SGB IX regelt nur die Finanzierung des Arbeitsbereichs. § 23a Reha-Anordnung vom 31.07.1975, der die Vergütung des Berufsbildungsbereichs zum Inhalt hatte, wurde durch das SGB IX abgelöst, ohne dass eine vergleichbare Norm geschaffen wurde. Die §§ 102 Abs. 2, 109 Abs.1 SGB III betreffen nur die individuellen Teilnahmekosten, nicht aber den Vertragsabschluss mit einer Rechtsprechung und rechtspraxis WfbM. Es fehlen also gesetzliche Regelungen analog der §§ 75 ff SGB XII, wie die Vergütung zu vereinbaren ist, mit einem Schiedsverfahren als Schlichtung. Als Rechtsgrundlage bleiben lediglich die BA-internen „Grundsätze zur Beurteilung der Angemessenheit von Kosten in Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation“ von 1983 (!), die laufend durch Vergütungsvereinbarungen auf Landesebene oder direkt mit WfbM und Regionalen Einkaufszentren fortgeschrieben werden, indem man sich an den mit den Sozialhilfeträgern ausgehandelten Vergütungen orientiert. Ein Ausschreibungsverfahren, wie in § 47 SGB III für Integrationsfachdienste als vermittlungsunterstützende Leistungen jetzt vorgesehen, wird für Einrichtung der beruflichen Reha (neben WfbM auch Berufsbildungs- und -förderungswerke) nicht praktiziert und wäre auch nicht wünschenswert.12 Spätestens wenn die personenzentrierte Leistungsgewährung in der Sozialhilfe Wirklichkeit wird, wird sich 115 die BA nicht mehr an der „Leitwährung“ Eingliederungshilfe in WfbM orientieren können. Es wird dann keine gesonderte „Werkstattleistung“ mehr geben, weil die individuelle Eingliederungshilfe unabhängig von der Einrichtungsvergütung ermittelt und berechnet wird. Die Werkstattleistung geht dann auf in den tagesstrukturierenden Maßnahmen, die auf Basis von Fachleistungsstunden zusammengefasst werden, und wird im Rahmen des einrichtungsbezogenen Basisbetrags gemeinsam mit dem stationären Wohnen berücksichtigt. Modellhaft erprobt wird dies bereits im Bereich des Landeswohlfahrtsverbands Hessen durch das Verfahren PerSEH.13 Es wird daher Zeit, die Kritik an den fehlenden Rechtsgrundlagen für die Finanzierung ernst zu nehmen, und sich an die Arbeit für eine gerichtsfeste, zukunftsweisende und bedarfsdeckende Finanzierungsregelung für das Eingangsverfahren und den Berufsbildungsbereich zu machen. 10 S iehe Besprechung von Wendt in RdLh 2/10, S. 87. 11 Wehrhahn, Vergütungsvereinbarungen für das Eingangsverfahren und den Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen? NDV 9-2007, 364 ff. 12 Engler, Die Leistungserbringung in den SGB II, III, VIII und XII im Spannungsfeld zum europäischen und nationalen Vergaberecht, RsDE 71, 93 ff. 13 PerSEH steht für „Personenzentrierte Steuerung der Eingliederungshilfe in Hessen und wird gegenwärtig modellhaft in den Regionen Werra-Meißner und Fulda durchgeführt, mit einer späteren Option für eine landesweite Einführung, nähere Informationen unter www.lwv-hessen.de Verfahrensrecht Umfassendes Einsichtsrecht in Pflegeakten BGH, Urteil vom 23.03.2010 – Az: VI ZR 327/08 Die Beteiligten streiten um den Anspruch auf Herausgabe von Kopien der Pflegedokumentation einer Heimbewohnerin. Krankenkasse Einsichtnahme in die Pflegedokumentation. Dies lehnte der Heimträger und sein Haftpflichtversicherer ab. Eine schwerst pflegebedürftige Frau wird in einem Altenheim vollstationär betreut. Lageveränderungen im Bett kann sie nur mit personeller Hilfe vornehmen. Im November 2006 erfolgte eine Operation wegen eines Sakraldekubitus. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben (AG Essen, Urteil vom 03.04.2008 – Az: 18 C 462/07), das Landgericht Essen hat im Berufungsverfahren einen Anspruch auf Herausgabe von Kopien der Pflegedokumentation gegen Kostenerstattung verneint (Urteil vom 28.10.2008 – Az: 15 S 120/08). Die Kosten von Operation und Krankenhausaufenthalt trug die gesetzliche Krankenkasse der Heimbewohnerin. Um zu prüfen, ob der Dekubitus möglicherweise eine Folge mangelhafter Pflege sei, verlangte die Einsichtsrecht ist ein vertraglicher Nebenanspruch Der BGH hat einen grundsätzlichen Anspruch der Krankenkasse auf Herausgabe von Kopien der Pflegedokumentationen bejaht und das Urteil des LG Essen aufgehoben. Das Recht auf Herausgabe ergebe sich aus übergegangenem Recht gem. § 116 Abs. 1 SGB X i. V. m. §§ 401 Abs. 1 analog, 412 BGB wegen eines möglichen Schadensersatzanspruches der Heimbewohnerin aus einer Verletzung des Heimvertrags bzw. aus § 823 Abs. 1 BGB. Patienten hätten gegenüber Arzt und Krankenhaus einen Anspruch auf Einsicht in ihre Krankenunterlagen als Nebenanspruch aus dem Behandlungsvertrag. Dieser Anspruch bestehe auch außerhalb eines Rechtsstreits als Ausfluss des Rechts auf Selbstbestim- 116 Rechtsdienst 3/2010 Rechtsprechung und rechtspraxis mung und personale Würde, ohne das dafür ein besonderes rechtliches Interesse erforderlich sei. Gleiche Einsichtsrechte für Patienten und Heimbewohner Diese im Arzt-/Krankenhaus - Patientenverhältnis maßgeblichen Gesichtspunkte gelten auch für das Recht von Heimbewohnern auf Einsichtnahme in ihre Pflegedokumentation. Auch diese enthalte höchstpersönliche Angaben über die Bewohner und berühre in starkem Maße deren Selbstbestimmungs- und Persönlichkeitsrechte (Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG). Die Pflegedokumentation sei eine unverzichtbare Informationsquelle für alle an der Pflege Beteiligten und diene auch dem Nachweis, dass Heimbewohner die ihnen nach dem Inhalt des Heimvertrags zustehenden Leistungen vom Pflegeheimträger erhalten und letzterer seinen Verpflichtungen ihnen gegenüber nachgekommen ist. Insoweit habe die Dokumentation den Heimbewohnern gegenüber auch eine wichtige Schutzfunktion. Übertragung des Einsichtsrechts auf Dritte möglich Anschließend stellt das Gericht fest, dass das Einsichtsrecht der Heimbewohnerin auch auf ihre Krankenkasse übergehen könne. Einsicht in Krankenunterlagen und Pflegedokumentationen seien kein rein höchstpersönliches Recht, das nicht ganz oder teilweise auf andere übergehen könnte. Vielmehr dürfe dieser vertragliche Nebenanspruch bei legitimen wirtschaftlichen Belangen geltend gemacht werden, wie etwa der Klärung von Schadensersatzansprüchen. Einsichtsrechte und Herausgabeansprüche sind nicht auf nach SGB XI zugelassene Pflegeheime beschränkt. Sie gelten gleichermaßen für Bewohnerinnen und Bewohner von Wohnstätten der Behindertenhilfe. Allerdings könne das Einsichtsrecht nur dann übergehen, wenn eine Einwilligung der Heimbewohnerin vorliege oder zumindest von einem ver-muteten Einverständnis auszugehen sei, soweit einer ausdrücklichen Befreiung Hindernisse entgegenstünden. Der BGH verneint einen eigenen, originären Anspruch einer gesetzlichen Krankenkasse auf Übermittlung der erforderlichen Unterlagen. § 294a SGB V (Mitteilung von Krankheitsursachen und drittverursachten Gesundheitsschäden) scheide als unmittelbare Anspruchsgrundlage aus, weil Pflegeeinrichtungen von dieser Vorschrift nicht erfasst seien. Anmerkung Der BGH bekräftigt ein uneingeschränktes und umfassendes Einsichtsrecht von Heimbewohnern in alle sie betreffenden Unterlagen als Ausfluss des grundgesetzlich geschützten Selbstbestimmungs- und Persönlichkeitsrechts. Das Einsichtsrecht sei allerdings kein so höchstpersönliches Recht, dass eine Übertragung auf Dritte nicht möglich sei. Diese Auffassung ist interessengerecht und kommt den Bedürfnissen der Praxis entgegen. In einer nicht geringen Zahl von Fällen bedarf es der Einbeziehung des Sachverstandes Dritter, um eine Angelegenheit zu klären. Einsichtsrecht muss wirksam übertragen werden Eine analoge Anwendung der Norm stehe dem Grundrecht von Heimbewohnern auf informationelle Selbstbestimmung entgegen. Dieses Recht beinhalte die Befugnis des Einzelnen, über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten grundsätzlich selbst zu bestimmen. Dies bedeutet zugleich, dass die Einwilligung betroffener Heimbewohner wirksam erteilt werden muss. Dies wäre zu verneinen, wenn die erforderliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit fehlt. Im Falle einer gesetzlichen Betreuung ist mithin die Einwilligung des gesetzlichen Betreuers notwendig. (Sch) Heimrecht Geldwerte Leistungen an Wohneinrichtungen Ungereimtheiten im Umgang mit § 10 Abs. 4 WTG-NRW von Andreas Mikysek, Justiziar beim Lebenshilfe Landesverband Nordrhein-Westfalen Am 18.11.2008 ist das Wohn- und Betreuungsgesetz (WTG) in NRW in Kraft getreten. Erklärtes Ziel des Gesetzgebers bei Einführung des WTG war es, die Heimbewohner stärker zu schützen und eine Entbürokratisierung der Heimaufsicht herbeizuführen. In § 10 WTG hat der Landesgesetzgeber eine Regelung für Leistungen an den Betreiber einer Betreuungseinrichtung und dessen Beschäftigte aufgenommen. Nach dem ersten Absatz der Regelung ist es dem Betreiber, der Einrichtungsleitung, den Beschäftigten oder sonstigen in der Betreuungs- einrichtung tätigen Personen untersagt, sich von oder zugunsten von Bewohnern oder Bewerbern um einen Platz in der Einrichtung Geld- oder geldwerte Leistungen über das vertraglich vereinbarte Entgelt hinaus versprechen oder gewähren zu lassen. Inhaltlich knüpft das Leistungsverbot des § 10 Abs. 1 WTG an die Vorgängervorschrift des § 14 Abs. 1 HeimG an. Auch die Landesgesetze in Bayern, Baden-Württemberg, Brandenburg, Hamburg, Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein enthalten Vorschriften, die sich an § 14 HeimG orientieren. Inhaltlich sind diese an § 14 HeimG angelehnten Vorschriften teilweise so aufgebaut, dass im jeweils ersten Absatz der Vorschrift das Verbot der Leistung von geldwerten Leistungen an den Träger bzw. dessen Beschäftigte ausgesprochen wird, während in den nachfolgenden Absätzen eine Möglichkeit vorgesehen ist, eine behördliche Ausnahmegenehmigung zu beantragen.1 1 Die Möglichkeit der Beantragung einer Ausnahmegenehmigung findet sich etwa in § 14 Abs. 6 HeimG, § 28 Abs. 5 SbStG, Rech t s d i e n s t 3 / 2 0 1 0 Sonderweg des § 10 WTG Einen Sonderweg geht hingegen die nordrhein-westfälische Regelung. Der Landesgesetzgeber hat darauf verzichtet, eine dem § 14 Abs. 6 HeimG vergleichbare Ausnahmegenehmigungsmöglichkeit in das WTG aufzunehmen. Hingegen hat er in § 10 Abs. 4 Satz 1 WTG eine Ausnahme vom Leistungsverbot für den Fall vorgesehen, dass der Betreiber Spenden annimmt und nachweist, dass er in Bezug auf die Spende einem Bewohner oder einem Bewerber um einen Platz in der Betreuungseinrichtung keine günstigere oder weniger günstige Behandlung zukommen lässt oder hat zukommen lassen als einer anderen Person in einer vergleichbaren Situation zukommt, zugekommen ist oder zukommen würde. Nach § 10 Abs. 4 Satz 2 WTG wird diese fehlende Ungleichbehandlung vermutet, wenn die Spende von einer juristischen Person erbracht wird, die steuerbegünstigte Zwecke verfolgt und deren satzungsmäßiger Zweck die Unterstützung von Hospizen ist. In Brandenburg findet sich in § 14 Abs. 1 Nr. 5 BbgPBWoG eine ähnliche Spendenvorschrift, hier allerdings mit dem Unterschied, dass der Landesgesetzgeber zusätzlich die Möglichkeit der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung vorgesehen hat. Im Folgenden sollen aktuelle Probleme und Ungereimtheiten kurz dargestellt werden, die sich aus der gesetzgeberischen Konzeption des § 10 Abs. 4 WTG-NRW ergeben. Zeitpunkt des Nachweises bei testamentarischen Zuwendungen Die überwiegende Rechtsprechung und Literatur subsumierte unter einem Versprechen oder Gewährenlassen im Sinne des wortlautähnlichen § 14 Abs. 1 HeimG auch eine testamentarische Begünstigung, sofern der Heimträger oder das Heimpersonal bis zum Tode des Erblassers davon Kenntnis erlangt hatte.2 Überwiegend wurde deshalb in § 14 Abs. 1 HeimG ein über die Vorschrift des § 134 BGB hergeleitetes Testierverbot erblickt. Die damit einhergehende Einschränkung der Testier- Rechtsprechung und rechtspraxis freiheit hat das Bundesverfassungsgericht für zulässig erachtet.3 Das Gericht hat die Regelung des § 14 Abs. 1 HeimG jedoch nur deshalb als verhältnismäßig eingestuft, weil der Erblasser, der seinen letzten Willen dem bedachten Heimträger mitteilen will, die Wirksamkeit seiner testamentarischen Verfügung dadurch sichern konnte, dass er vorher eine Erlaubnis für die Zuwendung beantragte. Eine Ausnahmegenehmigung konnte nach überwiegender Ansicht jedoch nur bis zur Errichtung der letztwilligen Verfügung wirksam beantragt werden.4 Zur Begründung wurde dabei insbesondere auf den Wortlaut des § 14 Abs. 6 HeimG und den Zweck der Vorschrift, den Heimfrieden zu schützen, abgestellt. War also ein Testament unter Verstoß gegen § 14 Abs. 1 HeimG errichtet worden, so war eine nachträgliche Heilung des Rechtsgeschäftes durch Einholung einer behördlichen Ausnahmegenehmigung nicht mehr möglich. Da der Landesgesetzgeber NRW darauf verzichtet hat, eine Ausnahmegenehmigungsmöglichkeit in das WTG aufzunehmen, stellt sich zwangsläufig die Frage, welche Auswirkungen dies auf die Testierfreiheit hat. Wenn man unter den Begriff der Spende keine letztwilligen Verfügungen subsumieren will, so wäre die Konsequenz, dass, mangels Ausnahmegenehmigungsmöglichkeit, in § 10 Abs. 1 WTG kein Verbotsgesetz mehr erblickt werden kann, da dem Gesetzgeber schlecht unterstellt werden kann, verfassungswidrige Gesetze zu erlassen. Hält man es hingegen für erforderlich, dass § 10 Abs. 1 WTG nicht nur ordnungsrechtlichen Charakter, sondern auch die Testierfreiheit beschränkende Wirkung haben muss, so kommt man nicht umhin, auch testamentarische Zuwendungen als Spenden im Sinne dieser Vorschrift aufzufassen. Folgt man diesem Standpunkt, stellt sich die Frage, ob durch den Ersatz des Ausnahmegenehmigungsverfahrens durch ein Nachweisverfahren Änderungen hinsichtlich des zeitlichen Zusammenhangs zwischen dem Behördenverfahren und der Errich- § 8 Abs. 5 LHeimGS, Art. 8 Abs. 6 PfleWoqG, § 9 Abs. 5 LHeimG, § 14 Abs. 1 Nr. 4 BbgPBWoG, § 5a Abs. 5 HmbWBG, § 11 Abs. 4 LWTG. 2 Tersteegen, ZErb 2007, 414, 415; ders. RNotZ 2009, 222, 223; Kunz/Butz, Heimgesetz, 10. Auflage, § 14 Rn. 24; BVerfG v. 03.07.1998, Az: 1 BvR 434/98; Plantholz in LPK-HeimG, 2. Auflage, § 14 Rn. 8. 3B VerfG v. 03.07.1998, Az: 1 BvR 434/98. 4 BVerwGE 78, 357; VGH Mannheim, Urteil vom 01.07.2004, Az: 6 S 40/04 = MittBayNot 4/2005, 317 ff.; OLG Berlin, Urteil vom 28.03.1989, Az: 4 B 7.89; Kunz/Butz, Heimgesetz, 10. Auflage, § 14 Rn. 26; Plantholz in LPK-HeimG, 2. Auflage, § 14 Rn. 26. 117 tung der testamentarischen Verfügung ergeben. Für Spenden, die keine letztwilligen Begünstigungen darstellen, dürfte sich aus § 10 Abs. 4 Satz 1 WTG eindeutig ergeben, dass das Nachweisverfahren erst mit bzw. nach der Annahme der Spende betrieben werden muss. Zum einen heißt es in § 10 Abs. 4 Satz 1 WTG, dass der Nachweis zu führen ist, wenn der Betreiber die Spende „annimmt“. Der Begriff der Annahme deutet darauf hin, dass bereits etwas empfangen wurde. Zum anderen lässt die Verwendung der Formulierung „hat zukommen lassen“ vermuten, dass der Nachweis sich auch auf ein Verhalten gegenüber Bewohnern oder Bewerbern in der Vergangenheit beziehen kann. Der Nachweis bezieht sich also auf ein zeitlich vorangegangenes Verhalten, welches im Zusammenhang mit der Zuwendung stehen kann. Ebenfalls lässt die in § 10 Abs. 4 Satz 3 WTG enthaltene Dokumentationspflicht vermuten, dass das Nachweisverfahren erst später betrieben werden kann. Denn dokumentiert werden kann etwas normalerweise erst dann, wenn es zuvor tatsächlich empfangen wurde. Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass die Regelung in § 14 Abs. 6 HeimG, wonach eine Ausnahmegenehmigung nur dann erteilt werden kann, wenn die Leistung noch nicht versprochen oder gewährt wurde, für das in § 10 Abs. 4 WTG geregelte Nachweisverfahren gerade nicht übernommen wurde. Hätte der Landesgesetzgeber gewollt, dass Zuwendungen an den Heimträger außerhalb des Anwendungsbereichs des zweiten Absatzes nur bei vorherigem Nachweis nach § 10 Abs. 4 WTG möglich sind, so hätte es nahegelegen, eine entsprechende Regelung, wie sie in § 14 Abs. 6 HeimG enthalten war, auch in das WTG aufzunehmen. Wenn für einfache Geldspenden also der Nachweis nachträglich geführt werden kann, so müsste dies konsequenterweise auch für testamentarische Zuwendungen gelten, wenn nicht besondere Gründe dagegen sprechen. Hat sich der Gesetzgeber also mit der Regelung des Nachweisverfahrens dagegen entschieden, dass das Behördenverfahren vor der Errichtung des Testaments betrieben werden muss? In Anbetracht des recht eindeutigen Wortlauts des § 10 Abs. 4 Satz 1 WTG wird man diese Frage nur dann verneinen können, wenn Sinn und Zweck dieser Vorschrift es gebieten, dass bei testamentarischen Verfügungen das Nachweisverfahren vor Errichtung des Testaments betrieben wird. In diesem Sinne hatte die Rechtsprechung bereits zur Vorgängervorschrift des § 14 118 Rechtsdienst 3/2010 Rechtsprechung und rechtspraxis Abs. 1 HeimG teilweise die Ansicht vertreten, dass der Schutzzweck des Leistungsverbotes es zwingend erforderlich macht, nachträgliche Genehmigungsverfahren nicht anzuerkennen.5 Das Bundesverwaltungsgericht hat in diesem Sinne den Schutzcharakter des § 14 Abs. 1 HeimG betont und sich im Wesentlichen auf vier Gründe gestützt: es müsse verhindert werden, dass der Heimträger die empfangene Zuwendung dazu nutze, einzelne Bewohner zu bevorzugen (1), dass ein unseriöser Heimträger ein Interesse am vorzeitigen Tod des Heimbewohners habe (2), dass sich ein Heimträger die nachteiligen Folgen des Zeitablaufs bis zur Erteilung der Genehmigung bewusst zunutze mache (3) und dass durch die Anerkennung einer nachträglichen Genehmigungsmöglichkeit das Heimklima gestört werde (4). Was das erste Argument betrifft, so stellt der Landesgesetzgeber durch den Nachweis der fehlenden Ungleichbehandlung gerade sicher, dass einzelne Bewohner nicht bevorzugt oder benachteiligt werden. Der zweite Einwand mag inhaltlich zutreffend sein, ein Interesse am vorzeitigen Tod des Bewohners kann aber bereits dann bestehen, wenn der unseriöse Heimträger Kenntnis von der Absicht des Verfügenden erhält und das Testament noch nicht errichtet ist. Hinsichtlich des dritten Arguments muss man sich fragen, welche nachteiligen Folgen das Gericht hier ins Auge gefasst hat. Denn bis zur Genehmigung bzw. Nachweiserbringung ist das Testament unwirksam, der Träger profitiert hiervon also zunächst nicht. Was das Heimklima betrifft, so hat der Landesgesetzgeber dieses jedenfalls nicht als gestört angesehen, wenn der Heimträger eine einfache Spende annimmt und sodann den Nachweis nach § 10 Abs. 4 WTG führt; es ist nicht ersichtlich, wieso dies bei letztwilligen Verfügungen anders sein soll. Festgehalten werden kann damit zumindest, dass die Diskussion hinsichtlich des Zeitpunktes des Nachweises bei testamentarischen Zuwendungen durch § 10 Abs. 4 Satz 1 WTG wohl neu angefacht werden wird. Freilich bereitet die Vorstellung, dass ein Testament zumindest bis zum geführten Nachweis schwebend unwirksam sein soll, im Hinblick auf die Rechtssicherheit „Bauchschmerzen“. Es ist deshalb bis zur gerichtlichen Klärung der aufgeworfenen Frage der Praxis dringend anzuraten, das Nachweisverfahren so früh wie möglich zu führen, wenn möglich also bereits vor Errichtung einer den Heimträger begünstigenden letztwilligen Verfügung. Abschluss des Nachweisverfahrens Das Genehmigungsverfahren nach § 14 Abs. 6 HeimG fand mit einer formalen Entscheidung der Behörde ihren Abschluss, die für alle Parteien Rechtssicherheit geschaffen hat. Mit Erlass der Genehmigung stand für den Erblasser fest, inwieweit er zugunsten des Heimträgers verfügen kann. Diese Rechtssicherheit ist im Geltungsbereich des WTG-NRW weggefallen, da das Nachweisverfahren nach dem Wortlaut des Gesetzes keinen förmlichen Abschluss vorsieht.6 Im schlimmsten Fall kann die Behörde den Nachweis als geführt ansehen, ohne die Beteiligten darüber zu informieren. Dies kann sich zuspitzen, wenn der begünstigte Einrichtungsträger einen Erbschein beantragt und nicht im Besitz einer feststellenden Entscheidung der Heimaufsicht ist. Man wird deshalb annehmen müssen, dass im Falle einer Begünstigung durch letztwillige Verfügung der begünstigte Heimträger einen Anspruch darauf hat, dass die Heimaufsicht auf Antrag das Ergebnis der Prüfung nach § 10 Abs. 4 Satz 1 WTG feststellt.7 Dies gebietet eine verfassungsrechtskonforme Auslegung des § 10 Abs. 4 Satz 1 WTG. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 03.07.1998 zur Frage der Verfassungskonformität des § 14 HeimG festgestellt, dass heimrechtliche Einschränkungen der Testierfreiheit nur dann den Anforderungen des Art. 14 GG genügen, wenn hierdurch die Errichtung von letztwilligen Verfügungen nicht unzumutbar erschwert wird.8 Wenn der Erblasser aber über das Ergebnis des Nachweisverfahrens im Unklaren gelassen wird, kann er subjektiv nicht einschätzen, inwieweit seine Verfügung Wirksamkeit haben wird. Dies würde eine unzumutbare Erschwerung der Testamentserrichtung darstellen. Problematische Sonderregelung für Hospize Kritik muss an Satz 2 des vierten Absatzes geübt werden, wonach eine gleichmäßige Verwendung der Mittel durch den Betreiber vermutet wird, wenn die Fördereinrichtung steuerbegünstigte Zwecke verfolgt und Hospize unterstützt. Mit anderen Worten: solange die eine Institution gemeinwohlbezogen auftritt, ist davon auszugehen, dass die andere Institution bei der Annahme von Spenden im Interesse aller Heimbewohner handelt. Eine – gelinde gesagt – gewagte Schlussfolgerung. Darüber hinaus bestehen verfassungsrechtliche Probleme im Hin- blick auf Art. 3 I GG und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Zweck der Regelung ist es, dem Umstand Rechnung zu tragen, dass Hospize nach den Regeln des SGB V verpflichtet sind, einen Teil ihrer Arbeit durch Spenden zu finanzieren.9 Der Gesetzgeber wollte also durch § 10 Abs. 4 Satz 2 WTG sicherstellen, dass die Finanzierung der Hospize im Hinblick auf § 10 Abs. 4 Satz 1 WTG nicht gefährdet wird. Dieses Ziel hätte der Gesetzgeber aber auch dann erreichen können, wenn die Vermutungsregelung auf alle oder weitere benannte Fördereinrichtungen mit gemeinnützigem Zweck ausgedehnt worden wäre. Die mittelbare Benachteiligung, die sich aus § 10 Abs. 4 Satz 2 WTG für andere Fördereinrichtungen ergibt, wäre so vermieden worden. Dass die Regelung insgesamt als missglückt zu bezeichnen ist, zeigt auch, dass nach dem Wortlaut der Vorschrift die Vermutungsregelung auch dann greifen würde, wenn die HospizFördereinrichtung unter Verstoß gegen ihren Satzungszweck Spenden an eine andere Betreuungseinrichtung erbringen würde. 5 BVerwGE 78, 357 ff.; VGH Mannheim, Urteil vom 01.07.2004, Az: 6 S 40/04, MittBayNot 4/2005, S. 317. 6 So wohl auch Spall, MittBayNot 2010, S. 9 f., 15. 7 Vgl. aber Spall, a. a. O., der wohl keine Möglichkeit behörderlicherseits sieht, die Wirksamkeit einer Zuwendung festzustellen. Allerdings wird hier nicht die Feststellung der Wirksamkeit des Testaments gefordert, sondern die Feststellung des Ergebnisses des Nachweisverfahrens. 8B VerfG v. 03.07.1998, Az: 1 BvR 434/98. 9 Vgl. LT Dr. 14/6972, S. 54. Rech t s d i e n s t 3 / 2 0 1 0 Rechtsprechung und rechtspraxis 119 Betretensrechte der Heimbeschäftigten für Privaträume für Heimbewohner OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16.10.2009 – Az: OVG 6 N 25.08 Streitig war in diesem Verfahren die Rechtmäßigkeit der einem Heimträger von der Heimaufsichtsbehörde erteilten Anordnung, in die mit den Heimbewohnern zu schließenden Heimverträge Regelungen über die Befugnis der Mitarbeiter des Heimträgers zum Betreten der Heimräume aufzunehmen. Die Anordnung sah insoweit vor, dass das Betreten grundsätzlich vom Einverständnis des Bewohners abhänge, das Betreten zu Reparaturzwecken mindestens eine Woche vorher anzukündigen sei und das Betreten ohne Anmeldung nur bei Gefahr im Verzug für Leben und Gesundheit der Bewohner erfolgen dürfe. Nachdem das Verwaltungsgericht Cottbus mit Urteil vom 14.02.2008 (Az: 5 K 1482/04) den Bescheid der Heimaufsicht aufgehoben hatte, beantragte die Behörde beim OVG BerlinBrandenburg die Zulassung der Berufung. Das OVG hat diesen Antrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat der Senat ausgeführt, das VG habe die umstrittene Anordnung zutreffend für rechtswidrig gehalten, weil die materiellrechtlichen Voraussetzungen zu ihrem Erlass nicht vorgelegen hätten. Als Rechtsgrundlage der Anordnung komme allein § 17 Abs. 1 Satz 1 HeimG in der zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Widerspruchsbescheides geltenden Fassung in Betracht. Nach dieser Vorschrift könnten gegenüber den Trägern Anordnungen erlassen werden, die zur Beseitigung einer eingetretenen oder Abwendung einer drohenden Beeinträchtigung oder Gefährdung des Wohls der Bewohnerinnen und Bewohner, zur Sicherung der Einhaltung der dem Träger gegenüber den Bewohnerinnen und Bewohnern obliegenden Pflichten oder zur Vermeidung einer Unangemessenheit zwischen dem Entgelt und der Leistung des Heims erforderlich sind, wenn festgestellte Mängel nicht abgestellt werden. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen habe das VG zutreffend verneint. Dabei habe es im Ergebnis zu Recht angenommen, dass es bereits an der Feststellung eines eine Aufsichtsmaßnahme erforderlich machenden Mangels im Sinne der Vorschrift fehle. Das Fehlen der verlangten Abrede im Heimvertrag stelle keinen Mangel in diesem Sinne dar. Der den Heimbewohnern ebenso wie jedem anderen Grundrechtsträger zustehende Schutz der Intim- und Privatsphäre bestehe gegenüber den Heimbeschäftigten unabhängig davon, ob hierzu Abreden in den Heimverträgen getroffen würden. Entsprechende Klauseln in den Heimverträgen wären demnach rein deklaratorischer Natur. Das VG weise in dem angefochtenen Urteil im Übrigen zu recht darauf hin, dass in jedem Fall der konkrete Vorgang des Betretens des Zimmers zur Vornahme von erforderlichen Überwachungs-, Betreuungs- und Pflegedienstleistungen oder zu anderen Zwecken die Würde des Bewohners zu wahren habe. Ein fehlerfreies Verhalten werde daher – soweit nicht wichtige Gründe, etwa der besonderen Eilbedürftigkeit entgegen stünden – grundsätzlich Maßnahmen einschließen, die dem Bewohner Gelegenheit geben, seine Privat- und Intimsphäre zu wahren. Der Vortrag der beklagten Heimaufsichtsbehörde, ohne die streitigen Vertragsbestimmungen sei zu befürchten, dass die Mitarbeiter des Heimträgers ohne jede Rücksicht die Räumlichkeiten der Heimbewohner permanent betreten, gehe am Kern der hier aufgeworfenen Fragestellung vorbei. Sollte die Befürchtung zu Recht bestehen, wäre gleichwohl nicht ersichtlich, weshalb es einen Mangel i. S. d. § 17 Abs. 1 Satz 1 HeimG darstellen solle, dass solche Regelungen nicht in den Heimverträgen enthalten seien. Der „Mangel“ läge dann im Verhalten der Heimbeschäftigten, aber nicht in den vertraglichen Vereinbarungen. Unbeschadet dessen sei diese Befürchtung auch gänzlich unsubstanziiert und in ihrer Pauschalität nicht geeignet, Gefährdungen des Wohls der Heimbewohner oder Pflichtverletzungen des Heimträgers zu belegen. Hierfür müsste die Behörde darlegen, dass die geforderte Beeinträchtigung, Gefährdung oder Pflichtverletzung konkret drohe. Sollte sich in einem der betroffenen Heime eine Praxis etablieren oder etabliert haben, die die Privat- und Intimsphäre der Heimbewohner nicht hinreichend beachte, stehe es der Heimaufsicht im Übrigen frei, nach Maßgabe des § 17 Abs. 1 Satz 1 HeimG eine aufsichtsrechtliche Anordnung zur Behebung dieses Zustandes zu erlassen. (He) Betreuungsrecht Voraussetzungen der Unterbringung nach § 1906 BGB BGH, Beschluss vom 23.06.2010 – Az: XII ZB 118/10 Streitig war in diesem Verfahren die Zulässigkeit der auf Antrag einer Betreuerin durch das Amtsgericht genehmigten Unterbringung eines an Schizophrenie leidenden Mannes für die Zeit vom 18.02.2010 bis längstens 19.08.2010. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen hatte das Landgericht zurückgewiesen. Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des LG hat der BGH für nicht begründet erklärt. Allerdings konnten nach Ansicht des Senats die Feststellungen des Landgerichts über das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Unterbringung des Betroffenen nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB die Un- 120 Rechtsdienst 3/2010 Rechtsprechung und rechtspraxis terbringungsgenehmigung nicht tragen. Nach dieser Vorschrift ist eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer zulässig, wenn eine Heilbehandlung notwendig ist, die ohne die Unterbringung nicht durchgeführt werden kann und der Betreute aufgrund einer psychischen Krankheit die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann. Da eine Unterbringung nach dieser Vorschrift gerade nicht an die engeren Voraussetzungen des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB (Suizidgefahr bzw. erhebliche Gesundheitsschädigung) gebunden sei, komme dem Verhältnismäßigkeitsprinzip bei der Anwendung dieser Regelung als notwendigem Korrektiv für Eingriffe in das Freiheitsrecht besondere Bedeutung zu. Für eine die Unterbringung rechtfertigende Heilbehandlung müsse deshalb im Einzelfall eine medizinische Indikation bestehen und der mögliche therapeutische Nutzen der Behandlung gegen die Gesundheitsschäden abgewogen werden, die ohne die Behandlung entstehen würden. Der landgerichtliche Beschluss enthalte keine Erörterungen zur Verhältnismäßigkeit nach diesen Maßstäben. Insbesondere seien – wie von der Rechtsbeschwerde beanstandet – die konkret beabsichtigte Therapie und die Aussichten, die der Krankheitsverlauf mit und ohne diese Therapie nehmen würde, dort nicht ausdrücklich benannt. Zwar habe das LG davon ausgehen dürfen, dass sich Behandlungsbedürftigkeit, Therapie und Unterbringungsnotwendigkeit aus mehreren umfänglichen Gutachten, die im Laufe der aufeinander folgenden Unterbringungsverfahren erstellt worden seien, mit hinreichender Verlässlichkeit und Aktualität erschließen ließen. Auch fänden sich bereits in den vorangegangenen Beschwerdeentscheidungen des LG hierzu nähere Hinweise, deren stete Wiederholung grundsätzlich als unnötige „Förmelei“ erachtet werden könnte. Indes unterscheide sich die angefochtene Entscheidung von den vorangegangenen Beschlüssen durch die nunmehr vorgesehene Unterbringungsdauer von einem halben Jahr nicht unerheblich; angesichts dieses Unterschiedes habe es einer Darlegung bedurft, inwieweit auch die jetzt genehmigte längerfristige Unterbringung unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit von den bisherigen Befunden gedeckt und durch das therapeutische Konzept gerechtfertigt werde. An einer solchen Darlegung fehle es in dem angefochtenen Beschluss. Gleichwohl erweise sich die angefochtene Entscheidung des LG im Ergebnis als richtig, weil das LG seine Entscheidung auch auf § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB gestützt habe. Diese Vorschrift verlange – im Gegensatz zur öffentlich-rechtlichen Unterbringung – keine akute, unmittelbar bevorstehende Gefahr für den Betreuten. Notwendig sei allerdings eine ernstliche und konkrete Gefahr für dessen Leib und Leben, wobei die Anforderungen an die Voraussehbarkeit einer Selbsttötung oder einer erheblichen gesundheitlichen Eigenschädigung jedoch nicht überspannt werden dürften. Die Prognose sei im Wesentlichen Sache des Tatrichters. Das LG sei insoweit dem Gutachten des Sachverständigen M. vom 09.02.2010 gefolgt, nach dem „weiterhin die Gefahr bestehe, dass der Betroffene sich selbst erheblichen gesundheitlichen Schaden zufüge“. Es habe sich außerdem auf die gutachtliche Stellungnahme des den Betroffenen behandelnden Oberarztes P. gestützt, der anlässlich seiner Anhörung vor dem LG die Ergebnisse der Begutachtung durch M. ausdrücklich bestätigt habe. Beiden sachverständigen Äußerungen sei zu entnehmen, dass ohne die Fortsetzung der bisherigen Medikation die Gefahr einer erheblichen Eigenschädigung des Betreuten bestehe, der Betreute in der Vergangenheit die Einnahme der Medikamente stets abgesetzt habe und deshalb die Unterbringung zur kontinuierlichen Fortführung der Medikation erforderlich sei. Weiterer Erkundungen habe es nach Ansicht des BGH nicht bedurft. Insbesondere habe es keiner Ermittlung besonderer tatsächlicher Vorkommnisse aus der jüngeren Vergangenheit bedurft, die sichere Rückschlüsse auf die Gefahr der Eigenschädigung ermöglichen könnten. Ebenso sei es – angesichts der auch in den Gutachten geschilderten Lebenssituation des Betroffenen – verzichtbar, weil fernliegend, gewesen, ausdrücklich auch der Frage nach möglichen Alternativen zur Unterbringung nachzugehen. Aus der von der Rechtsbeschwerde angeführten Stellungnahme der Stationsärztin H., die diese am 26.01.2010 anlässlich einer Anhörung im vorangehenden Genehmigungsverfahren abgegeben habe, ergebe sich nichts Gegenteiliges. Die Stationsärztin hielt zum damaligen Zeitpunkt einen Suizid „grundsätzlich für möglich“, die Suizidgefahr sei jedoch „nicht mehr das vordergründige Thema“. Durch seine Verweigerungshaltung sei der Betroffene in eine perspektivlose Situation geraten. Es sei daher „in der Tat die schlimmste Befürchtung, das derartiges passieren könne“. Nach Auffassung des BGH war es rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstanden, wenn das LG diesen Ausführungen keine Bedeutung zugemessen habe, soweit sie den zuvor wiedergegebenen Darlegungen der beiden anderen Sachverständigen widersprachen. Anmerkung Der BGH unterstreicht mit seiner Beanstandung der unzureichenden Prüfung der Voraussetzungen von § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB die hohe Bedeutung der Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips, welches bei der Genehmigung einer freiheitsentziehenden Unterbringung zur Ermöglichung einer Behandlung angemessen zu berücksichtigen ist. Daneben verdeutlichen die Ausführungen zu den Voraussetzungen des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB die Schwierigkeit, auf der Grundlage entsprechender Prognosen von Sachverständigen eine den Interessen der Betroffenen dienende gerichtliche Entscheidung zu treffen. Maßgeblich sind hier stets die Umstände des Einzelfalles. Die Aussage des BGH, die Anforderungen an die Voraussehbarkeit einer Selbsttötung oder einer erheblichen gesundheitlichen Eigenschädigung dürften bei der Prüfung der Unterbringungsvoraussetzungen „nicht überspannt werden“, sollte dabei untere Instanzen nicht dazu verleiten, es an Sorgfalt bei der Prüfung der Voraussetzungen für derartige Eingriffe in die Freiheitsrechte der Betroffenen mangeln zu lassen. (He) Rech t s d i e n s t 3 / 2 0 1 0 Rechtsprechung und rechtspraxis 121 Zivilrecht/Unterhaltsrecht Zur unbilligen Härte der Unterhaltsleistung von Eltern behinderter Kinder BGH, Urteil vom 23.06.2010 – Az: XII ZR 170/08 Die Eltern eines an paranoider Schizophrenie erkrankten Sohnes wenden sich gegen die Unterhaltsforderung des Sozialamtes, das für den Heimaufenthalt ihres Sohnes in Höhe von 3.857 Euro monatlich aufkommt. Der BGH bestätigte ein Urteil des OVG Zweibrücken, wonach eine Unterhaltspflicht der Eltern nach § 1601 BGB gegeben sei. In Höhe seines Unterhaltsbedarfs sei der Sohn bedürftig, weil er wegen seiner Erkrankung außerstande sei, sich selbst zu unterhalten. Die Beklagten seien in Höhe des zugesprochenen Unterhalts auch leistungsfähig, da sie in guten Einkommensverhältnissen lebten. Der Unterhaltsanspruch könne auch nicht aus Billigkeitsgründen nach § 1611 BGB herabgesetzt werden oder entfallen. Diese Vorschrift setze eine schwere Verfehlung gegen den Unterhaltspflichtigen voraus. Das Fehlen eines familiären Kontakts sei dafür nicht ausreichend. Auch das von den Beklagten geltend gemachte dreimalige Einbrechen in ihr Anwesen, ohne etwas zu entwenden, sei krankheitsbedingt zu bewerten, und deshalb keine schwere Verfehlung. Der Unterhaltsanspruch des Sohnes sei in Höhe von 46 Euro auf die Klägerin nach § 94 Abs. 2 Satz 2 SGB XII als Pauschalabgeltung übergegangen. Diese gesetzliche Vermutung des Übergangs des Unterhaltsanspruchs sei jedoch von den Unterhaltsschuldnern widerlegbar, wenn keine Leistungsfähigkeit vorliege oder die anteilige Haftung nicht beachtet worden sei. Kindergeldbezug für Anspruchsübergang ohne Bedeutung Der Anspruchsübergang sei nicht davon abhängig, ob die Eltern Kindergeld erhalten. Dies ergebe sich weder aus dem Wortlaut noch dem Sinn der Regelung und könne nicht daraus entnommen werden, dass der Anspruchsübergang sich in seiner Höhe an der Entwicklung der Höhe des Kinder- geldes orientiere. Durch die Regelung des § 94 Abs. 2 SGB XII sollten Eltern behinderter Kinder privilegiert werden. Die ohnehin durch die Behinderung des erwachsenen Kindes schwer getroffenen Eltern sollten nicht auch noch mit Pflegekosten belastet werden. Würde diese Privilegierung den Kindergeldbezug voraussetzen, liefe dies diesem Gesetzeszweck zuwider. Materielle und immaterielle Härtegründe Auch eine unbillige Härte i. S. d. § 94 Abs. 3 SGB XII liege nicht vor. Umstände, die bereits nach bürgerlichem Recht ganz oder teilweise einem Unterhaltsanspruch entgegenstehen, zählten allerdings nicht dazu. Soweit ein Unterhaltsanspruch aus diesen Gründen nicht bestehe, könne er auch nicht auf den Träger der Sozialhilfe übergehen. Das Verständnis der unbilligen Härte hänge von den sich wandelnden Anschauungen der Gesellschaft ab. Die Härte könne in materiellen oder immateriellen Gründen bestehen und entweder in der Person des Unterhaltspflichtigen oder des Unterhaltsberechtigten liegen. Bei der Auslegung sei in erster Linie die Zielsetzung der Hilfe zu berücksichtigen; daneben seien aber auch die allgemeinen Grundsätze der Sozialhilfe, die Belange der Familie und die wirtschaftlichen und persönlichen Beziehungen sowie die soziale Lage der Beteiligten heranzuziehen. Entscheidend sei stets, ob durch den Anspruchsübergang soziale Belange vernachlässigt würden. Eine unbillige Härte liege insbesondere vor, wenn und soweit der Grundsatz der familiengerechten Hilfe (vgl. § 16 SGB XII), nach dem auf die Belange und Beziehungen in der Familie Rücksicht zu nehmen sei, ein Absehen von der Heranziehung gebiete. Dies könne gegeben sein, wenn die laufende Heranziehung in Anbetracht der sozialen und wirtschaftlichen Lage des Unterhaltspflichtigen mit Rücksicht auf die Höhe und Dauer des Bedarfs zu einer nachhaltigen und unzumutbaren Beeinträchtigung des Unterhaltspflichtigen und der übrigen Familienmitglieder führen würde. Eine weitere Fallkonstellation sei die Zuflucht in einem Frauenhaus, die durch die Mitteilung der Hilfe an den Unterhaltspflichtigen als gefährdet erscheine. Eine Härte könne auch dann gegeben sein, wenn der Unterhaltspflichtige den Sozialhilfeempfänger über das Maß einer zumutbaren Unterhaltsverpflichtung hinaus betreut oder gepflegt habe. Diese Fallgruppen seien nicht abschließend, weil die gebotene Billigkeitsprüfung stets eine umfassende Abwägung aller relevanten Umstände voraussetze. Im Fall der Beklagten liege keine unbillige Härte vor, weil die vom Gesetz vorgegebene, äußerst geringe Inanspruchnahme die Beklagten bei ihren guten Lebensverhältnissen nicht übermäßig belaste. Die persönliche Entfremdung zu dem Sohn und seine mehrmaligen Einbruchsversuche, um Unterlagen über seine Krankheit zu erhalten, seien krankheitsbedingt und deshalb ebenfalls keine persönliche Härte. Anmerkung Zum Teil wird von Sozialhilfeträgern vertreten, dass aufgrund der geringen Höhe des Unterhaltsbeitrags bei Leistungsfähigkeit bereits eine Härte ausgeschlossen sei. Dies ist nach der Rechtsprechung des BGH nicht zutreffend, da auch immaterielle Härtegründe wie Pflege und Betreuung über das Maß der zumutbaren Unterhaltsverpflichtung hinaus bewertet werden müssen. Dies kann bei Eltern behinderter Kinder gegeben sein, wenn sie sich noch im hohen Alter um ein behindertes Kind in ihrem Haushalt kümmern, und damit dem Sozialhilfeträger die Kosten für eine Heimaufnahme über längere Zeit erspart haben. (We) 122 Rechtsprechung und rechtspraxis Rechtsdienst 3/2010 Kindergeld Grenzbetrag für Kindergeld für volljährige Kinder ist nicht verfassungswidrig BVerfG, Beschluss vom 27.07.2010 – Az: 2 BvR 2122/09 Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, die gegen die im Einkommensteuergesetz (EStG) geregelte Festlegung eines Grenzbetrages für die Bewilligung von Kindergeld gerichtet war. Die Regelung in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG sei verfassungsgemäß. Insbesondere könne keine Grundrechtsverletzung festgestellt werden. Der durch Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz (GG) garantierte staatliche Schutz von Ehe und Familie verbiete nicht, dass der Gesetzgeber die Gewährung von Kindergeld davon abhängig mache, dass bei volljährigen Kindern das Existenzminimum des Kindes nicht durch dessen eigene Einkünfte und Bezüge gedeckt sei. Die Entscheidung des Gesetzgebers, die Grenzbetragsregelung gesetzestechnisch als Freigrenze und nicht als Freibetragsregelung auszugestalten, liege im Rahmen der ihm zustehenden Typisierungs- und Pauschalierungsbefugnis und sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Denn eine Freigrenze, deren Über- schreiten automatisch zum Erlöschen des Anspruchs auf Kindergeld führt, vereinfache den Vollzug der Norm durch die Finanzverwaltung erheblich. Bei einer gleitenden Übergangsregelung durch einen Freibetrag ergäbe sich ein erheblicher Verwaltungsmehraufwand, da bei Kindeseinkünften über dem Grenzbetrag jeweils deren genaue Höhe festgestellt und bei der Berechnung des verbleibenden Kindergeldanspruchs der Eltern mit deren individuellem Steuersatz umgerechnet werden müsste. Anmerkung Im zu Grunde liegenden Fall hatten die Jahresbezüge des Sohnes den im Jahr 2005 maßgeblichen Grenzbetrag von 7.680 Euro um ca. 4 Euro überschritten. Dies hatte nach Ansicht der Familienkasse und der Finanzgerichtsbarkeit zur Folge, dass der Vater für das gesamte Jahr keinen Anspruch auf Kindergeld für seinen Sohn hat. Das BVerfG hat diese Rechtsfolge nunmehr für rechtmäßig erklärt. Im Rahmen der Entscheidung hat das BVerfG auch festgestellt, dass der Gesetzgeber bei der Bestimmung der Freigrenze typisierend von dem für Erwachsene geltenden Grundfreibetrag ausgehen könne. Mehr gebiete das Sozialstaatsprinzip nicht. Damit hat das Bundesverfassungsgericht zugleich den Grenzbetrag für eigene Einkünfte volljähriger Kinder im Jahr 2010 von 8.004 Euro für verfassungsgemäß erklärt. Beim erwachsenen behinderten Kind kann zusätzlich der individuelle behinderungsbedingte Mehrbedarf berücksichtigt werden. Wird kein Einzelnachweis geführt, kann der Behinderten- Pauschbetrag gem. § 33 b EStG als Anhaltspunkt dienen. Besonderheiten gelten bei vollstationärer Unterbringung: In den Heimkosten sind verschiedene Bestandteile enthalten, die vom Pauschbetrag typisierend mit erfasst werden. Insoweit entspricht der Ansatz der Heimkosten dem Einzelnachweis. Bei vollstationärer Betreuung kann somit nur ausnahmsweise und individuell ein zusätzlicher behinderungsbedingter Mehrbedarf berücksichtigt werden. Ein Rückgriff auf den Pauschbetrag ist nicht möglich. (Sch) Steuerrecht Mustersatzung nach § 60 AO: Bundesfinanzministerium rudert zurück In RdLh 2010, S. 37 wurde über die Verunsicherung, die auf Seiten von gemeinnützigen Vereinen durch ein Urteil des Bundesfinanzhofes vom 23.07.2009 sowie durch eine mit dem Jahressteuergesetz 2009 neu eingeführte Mustersatzung für Vereine und andere steuerbegünstigte Körperschaften berichtet. Gem. § 5 der neuen Mustersatzung nach § 60 Abgabenordnung (AO) muss die soge- nannte „Heimfallklausel“ eine Regelung für den Fall der Auflösung, der Aufhebung der Körperschaft oder bei Wegfall steuerbegünstigter Zwecke enthalten. Die Mustersatzung findet Anwendung auf Körperschaften, die nach dem 31.12.2008 gegründet wurden, sowie auf Satzungsänderungen bestehender Körperschaften, die nach dem 31.12.2008 wirksam werden. Um Risiken im Hinblick auf den Erhalt des Gemeinnützigkeitsstatus von Vereinen auszuschließen, wurde den Vereinen empfohlen, bei anstehenden Satzungsänderungen den Begriff der „Aufhebung“ in der entsprechenden Satzungsbestimmung zu ergänzen. Zugleich wurde in dem Beitrag darauf hingewiesen, dass es die staatliche Maßnahme der „Aufhebung“ nach § 87 BGB nur für die Stif- Rech t s d i e n s t 3 / 2 0 1 0 tung gibt, nicht jedoch für Vereine. Deshalb bestehe der Anschein, die Neuformulierung von § 5 der Mustersatzung nach § 60 AO sei im Hinblick auf eingetragene Vereine verfehlt und korrekturbedürftig. Mit Erlass vom 07.07.2010 hat nun das Bundesministerium der Finanzen klargestellt, das Vereine den Begriff „Aufhebung“ nicht in ihre Satzung aufnehmen müssen. Der an die obersten Finanzbehörden der Länder gerichtete Erlass hat insoweit den folgenden Wortlaut: „Dieses Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 23.07.2009 ist nur auf die Fälle anzuwenden, in denen die Satzung eines Vereins keine Bestimmung darüber enthält, wie sein Vermögen im Fall der Auflösung oder bei Rechtsprechung und rechtspraxis Wegfall der steuerbegünstigten Zwecke verwendet werden soll. Eine Regelung für den Fall der Aufhebung des Vereins ist dagegen nicht erforderlich. Die entsprechende Formulierung in § 61 AO bezieht sich auf Körperschaften, für die nach den zivilrechtlichen Regelungen eine Aufhebung in Frage kommt (z. B. Stiftungen, § 87 BGB). Dies ist bei Vereinen nicht der Fall.“ Dieses klarstellende Schreiben steht ab sofort für eine Übergangszeit auf der Internetseite des Bundesministeriums der Finanzen (www.bundefinanzministerium.de) unter der Rubrik Wirtschaft und Verwaltung/Steuern/ Veröffentlichungen zu Steuerarten/ Abgabenordnung zur Ansicht und zum Abruf bereit. Die im RdLh 2010, S. 38 formulierten Bedenken werden damit voll bestätigt. (He) Nachteilsausgleich Autoradios sind von Rundfunkgebühren befreit BVerwG, Urteil vom 28.04.2010 – Az: 6 C 6.09 Träger von Einrichtungen der Behindertenhilfe müssen keine Rundfunkgebühren für die Radios in ihren Kfz zahlen, wenn die Fahrzeuge ausschließlich dem Transport der behinderten Menschen dienen. Die Klägerin betreibt mehrere Einrichtungen für behinderte Menschen. Auf sie sind 68 Fahrzeuge zugelassen, die ausschließlich zur Beförderung behinderter Menschen benutzt werden. Der Beklagte hatte die Anträge der Klägerin auf Gebührenbefreiung nach § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 Rundfunkgebührenstaatsvertrag (RGebStV) abgelehnt. Seiner Ansicht nach könnten nur Radios von der Gebührenpflicht befreit werden, die sich nach dem Wortlaut der Vorschrift „in der Einrichtung“ befänden, was bei den Radios in den Autos der Behinderteneinrichtung nicht der Fall sei. Es sei von einem funktionalen Einrichtungsbegriff auszugehen. Der Begriff der Einrichtung setze eine persönliche, sachliche und räumliche Bezogenheit voraus, weshalb die Bindung an ein Gebäude oder überhaupt an das Räumliche unerlässlich sei. Deshalb seien Kraftfahrzeuge, die dem betreuten Personenkreis dien- ten, nicht vom funktionalen Einrichtungsbegriff erfasst. Es gilt ein funktionaler Einrichtungsbegriff Das VG Minden gab der Klage statt, das OVG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 10.06.2008, Az: 19 A 467/07) wies den Anspruch der Klägerin dagegen zurück. In ihrer Revision führte die Klägerin aus, dass das Tatbestandsmerkmal „in der Einrichtung“ nach § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 RGebStV sehr wohl auch Radios in Fahrzeugen erfasse, die ausschließlich der Beförderung der behinderten Bewohner einer bestimmten Behinderteneinrichtung im Rahmen der Betreuungszwecke dieser Einrichtung dienten. Die Transportfahrzeuge gehörten zur Gesamtheit „Einrichtung für behinderte Menschen“. Dem schloss sich das Bundesverwaltungsgericht an. Der Gesetzeswortlaut lasse es zwar grundsätzlich zu, sowohl lediglich Radios in Räumlichkeiten zu erfassen, in welchen behinderte Menschen untergebracht seien, als auch, die fraglichen Fahrzeuge als unselbständige Teile der Einrichtung zu betrachten. Es sei richtig, dass von 123 einem funktionalen Einrichtungsbegriff auch bei § 5 Abs. 7 Satz 1 RGebStV auszugehen sei, der nach der Rechtsprechung eine persönliche, sachliche und räumliche Bezogenheit voraussetze. Damit sei jedoch nicht gemeint, dass sich die organisatorische Zusammenfassung auch in räumlicher Hinsicht „unter einem Dach“ befinden müsse. In Anlehnung an den „Einrichtungsbegriff“ des § 100 Abs. 1 BSHG a. F. (jetzt § 97 Abs. 3 SGB XII) sei darunter vielmehr ein zusammengefasster Bestand an persönlichen und sachlichen Mitteln zu verstehen, die auf eine gewisse Dauer angelegt und für einen größeren, wechselnden Personenkreis bestimmt seien. Der funktionale Einrichtungsbegriff gestatte es daher, die fraglichen Fahrzeuge als Bestandteile der Einrichtung und die Beförderung des betreuten Personenkreises als Teil des Einrichtungsbetriebs zu begreifen. Ausschließliche Nutzung für Beförderung behinderter Menschen Unter Berücksichtigung der Begründung zu Art. 5 Nr. 5 des Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrages könne dies jedoch nur dann gelten, wenn die zu befreienden Rundfunkempfangsgeräte ausschließlich für den betreuten Personenkreis bereitgehalten werden. Eine Mischnutzung sei daher von der Privilegierung ausgenommen. Mitgeteilt von Rechtsanwalt Harald Moorkamp LL.M., Münster Anmerkung von Ricarda Langer Das Bundesverwaltungsgericht sorgt mit seiner Entscheidung für Klarheit in der praxisrelevanten Frage der GEZBefreiung von Fahrzeugen in Einrichtungen der Behindertenhilfe. Ungewiss ist, ob dies von langer Dauer sein wird. Zum 01.01.2013 sollen die Rechtsgrundlagen der GEZGebühr umfassend geändert werden. Die Länder haben am 17.08.2010 einen ersten Arbeitsentwurf für einen neuen Rundfunkstaatsvertrag vorgelegt. Künftig soll die Gebühr unabhängig von Art oder Anzahl der Empfangsgeräte berechnet werden. Danach ist grundsätzlich jeder Wohnungsinhaber gebührenpflichtig, unabhängig davon, ob er öffentlich-rechtlichen Rundfunk nutzt oder nicht. Auf Antrag sollen sich unter anderem Empfänger von Hilfe zum Lebens- 124 Rechtsdienst 3/2010 Ethik und recht unterhalt, von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung und Empfänger von Hilfe zur Pflege vollständig von der Beitragspflicht befreien lassen können. Des Weiteren sieht der Entwurf für blinde, hörgeschädigte und behinderte Menschen auf Antrag einen ermäßigten Beitragssatz von einem Drittel vor. Eine Beitragsermäßigung für Leistungsempfänger der Eingliederungshilfe nach dem sechsten Kapitel des SGB XII fehlt hingegen. Positiv zu beurteilen ist die (bis- her noch) enthaltene Festschreibung der obigen Rechtsprechung, dass im Beitrag der Werkstätten für behinderte Menschen der Beitrag für auf diese Einrichtung zugelassene Kraftfahrzeuge bereits enthalten ist. Die Neuregelung knüpft für die Befreiung allein an die finanzielle Leistungsfähigkeit der betroffenen Person an. In einer Protokollerklärung zu dem Arbeitsentwurf begründen die Länder den Wegfall der generellen Beitragsfreiheit für blinde, gehörlose und behinderte Menschen damit, dass die Finanzierung barrierefreier Angebote erleichtert werden soll. Die Länder erwarten, dass ARD, ZDF und Deutschlandradio ihr diesbezügliches Angebot ausweiten. Abzuwarten bleibt, ob der Arbeitsentwurf in dieser Fassung von der Ministerpräsidentenkonferenz der Länder übernommen werden wird. Ethik und Recht Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs zur Präimplantationsdiagnostik BGH, Urteil vom 06.07.2010 – Az: 5 StR 386/09 Gegenstand des vor dem 5. Strafsenat des BGH verhandelten Revisionsverfahrens war die Frage nach der Zulässigkeit der Präimplantationsdiagnostik (PID). Ein Frauenarzt hatte derartige diagnostische Maßnahmen vorgenommen, weil bei den betroffenen Patientinnen die hohe Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft mit einem genetisch schwer geschädigten Embryo bestand. Das Landgericht Berlin hatte den beklagten Frauenarzt vom Vorwurf der missbräuchlichen Anwendung von Fortpflanzungstechniken nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG und der missbräuchlichen Verwendung menschlicher Embryonen nach § 2 Abs. 1 ESchG in drei Fällen freigesprochen.1 Der BGH bestätigte diesen Freispruch. PID verstößt nicht gegen § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG Die Richter verneinten eine Verletzung des § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG, denn der Angeklagte habe bei den von ihm behandelten Patientinnen eine Schwangerschaft herbeiführen wollen. Im Zeitpunkt der Befruchtungen sei er jeweils entschlossen gewesen, die jeweils befruchtete Eizelle auf seine Patientinnen zu übertragen. Allerdings habe er die Schwangerschaft nur mit einem gesunden Embryo herbeiführen wollen. Im Falle eines positiven Befundes habe er von der Übertragung 1 Siehe zum Urteil der Vorinstanz RdLh 3/10, S. 40 ff. absehen wollen. Dies stelle jedoch seinen Handlungsentschluss nicht in Frage, denn beabsichtigt und damit handlungsleitend sei die Herbeiführung einer Schwangerschaft gewesen. Der Wille des Angeklagten, pluripotente Zellen auf schwerwiegende genetische Belastungen hin zu untersuchen und den einzelnen Embryo bei positivem Befund nicht zu übertragen, sei von keiner alternativen, zur Annahme der Strafbarkeit führenden Absicht getragen. Verbot der PID lässt sich nicht aus dem Gesamtzusammenhang der PID oder dem Willen des historischen Gesetzgebers herleiten Ein gesetzliches Verbot einer solchen Untersuchung lasse sich nämlich mit hinreichender Bestimmtheit, Art. 103 Abs. 2 GG, weder aus § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG in seiner Einbettung in den Gesamtzusammenhang des Embryonenschutzgesetzes noch aus dem hinter diesem Gesetz stehenden Willen des historischen Gesetzgebers ableiten. Dieser wollte die extrakorporale Befruchtung nur zur Ermöglichung einer Schwangerschaft zulassen; verboten werden sollten die verbrauchende Embryonenforschung sowie die gespaltene Mutterschaft. Ebenso sei die Untersuchung totipotenter Zellen deshalb unter Strafe gestellt worden, weil befürchtet wurde, dass bei der Untersuchung für das spätere Kind relevante Zellen geschädigt werden könnten. Die Untersuchung pluripotenter Zellen, die den Embryo nach derzeitigem medizinisch- naturwissenschaftlichem Erkenntnisstand auch mittelbar nicht nachhaltig gefährde, habe der historische Gesetzgeber gar nicht vor Augen gehabt. Die vom Angeklagten an pluripotenten Zellen durchgeführte Blastozystenbiopsie sei eine Diagnosemethode, die bei Erlass des Embryonenschutzgesetzes nicht zur Verfügung stand und deswegen weder im Gesetzeswortlaut noch in den Materialien ausdrücklich abgelehnt oder gebilligt werden konnte. Ein Diagnostikverbot ergebe sich auch nicht aus dem Schutzzweck des Embryonenschutzgesetzes, denn dieses gewährleiste keinen umfassenden Lebensschutz des Embryos. Ausschlaggebend sei die in § 3 Satz 2 ESchG getroffene Wertentscheidung des Gesetzgebers. Mit der dort normierten Ausnahme vom Verbot der Geschlechtswahl durch eine Verwendung ausgewählter Samenzellen habe der Gesetzgeber die Konfliktlage der Eltern berücksichtigt, denen nicht zugemutet werden sollte, ein schwerkrankes Kind zu bekommen, wenn die Möglichkeit bestehe, mittels einer Spermienselektion ein gesundes Kind zur Welt zu bringen. Eine gleichgelagerte Konfliktlage bestehe aber bei der hier verfahrensgegenständlichen Situation. Mit dem Ausschluss der PID würde sehenden Auges das hohe Risiko eingegangen, dass ein nicht lebensfähiges oder schwerkrankes Kind geboren werde. Zudem wäre zu befürchten, dass nach einer ärztlicherseits strikt angezeigten Pränataldia- Rech t s d i e n s t 3 / 2 0 1 0 gnostik ein Schwangerschaftsabbruch vorgenommen werde. Senat stellt sich gegen die Verwendung des Begriffs „Schwangerschaft auf Probe“ Der Senat betonte aber, dass die in § 218 a Abs. 2 StGB normierte „medizinisch-soziale“ Indikation keine gesetzliche Legitimierung einer „Schwangerschaft auf Probe“ bedeute. Für die Indikation maßgebend sei nicht eine Behinderung des Kindes, sondern die dort beschriebene schwerwiegende Beeinträchtigung der Schwangeren. Angesichts der in § 3 ESchG getroffenen Wertentscheidung sei aber nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber die PID an pluripotenten Zellen verboten hätte, wenn sie zum damaligen Zeitpunkt schon zur Verfügung gestanden hätte. Verbot der PID kann nicht aus dem Gendiagnostikgesetz abgeleitet werden Ein gesetzliches Verbot der PID könne schließlich nicht aus dem Umstand gefolgert werden, dass § 15 Abs.1 S. 1 des im Wesentlichen am 01.02.2010 in Kraft getretenen Gendiagnostikgesetzes vorgeburtliche genetische Untersuchungen (nur) während der Schwangerschaft erlaubt, § 2 Abs. 1 GenDG. Vielmehr habe der Gesetzgeber im Gendiagnostikgesetz keine Aussage über die Zulässigkeit der PID machen wollen. Sofern wie vom Angeklagten vorgenommen die PID auf die Untersuchung schwerwiegender genetischer Schäden zur Verminderung der genannten gewichtigen Gefahren beschränkt werde, führe dies auch nicht zu einer unbegrenzten Selektion anhand genetischer Merkmale. Die Selektion von Embryonen zum Zwecke der Geschlechtswahl sei nach dem Embryonenschutzgesetz ausdrücklich verboten. Gleiches müsse aber auch für eine gezielte Zeugung von Embryonen mit bestimmten Immunitätsmustern gelten. Jedoch sei eine eindeutige gesetzliche Regelung wünschenswert. PID verstößt nicht gegen § 2 Abs. 1 ESchG Der Senat stellte ferner fest, dass die Zellentnahmen zum Zweck der Untersuchung und das „Stehenlassen“ der Embryonen mit positivem Befund nicht das Gebot des § 2 Abs. 1 ESchG verletzten, einen extrakorporal erzeugten Embryo zu einem nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck zu ver- Ethik und recht wenden. Das Verbot des § 2 Abs. 1 ESchG sollte nach der gesetzgeberischen Intention gewährleisten, dass menschliches Leben nicht zum Objekt fremdnütziger Zwecke gemacht werden dürfe. Gemeint seien damit die Embryonenforschung sowie eine Abspaltung totipotenter Zellen zum Zweck der Diagnostik, weil eine sich daraus ergebende Schädigung des Embryos zu befürchten sei. Auf die hier zu beurteilende Blastozystenbiopsie treffe dies jedoch nicht zu. Der Embryo werde durch die Diagnostik weder instrumentalisiert noch gefährdet. Unter Einbeziehung der sich aus § 3 S. 2 ESchG ergebenden Wertentscheidung könne nicht angenommen werden, dass eine Entnahme von Trophoblastzellen, die den Embryo selbst unberührt lasse, eine missbräuchliche Verwendung darstelle. Demgegenüber stünde die Vermeidung einer Konfliktlage für die Eltern bis hin zu einem real drohenden Schwangerschaftsabbruch. Absterbenlassen der Embryonen verstößt nicht gegen § 2 Abs.1 ESchG Einen Verstoß gegen § 2 Abs. 1 ESchG, weil der Angeklagte die Embryonen mit positivem Befund nicht weiter kultiviert habe, so dass sie in der Folge abstarben, schloss der Senat ebenfalls aus. Es sei dem Angeklagten nämlich weder möglich noch zumutbar gewesen, die Embryonen gegen den Willen seiner Patientinnen in deren Gebärmutter zu übertragen und sich dadurch nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 ESchG und nach § 223 StGB strafbar zu machen. (Leo) Anmerkung von Dr. Bettina Leonhard Das Urteil des Bundesgerichtshofs zur Zulässigkeit der Präimplantationsdiagnostik wirft eine Vielzahl ethischer Fragen auf. Positiv hervorzuheben ist, dass das Urteil den oft verwendeten Begriff der „Schwangerschaft auf Probe“ eindeutig zurückweist und klarstellt, dass die in § 218 a StGB normierte medizinisch-soziale Indikation nicht die Behinderung des Kindes, sondern die schwerwiegende Beeinträchtigung der Schwangeren zum Gegenstand habe. Nicht zwingend erscheint aber, dass die Nichtanwendbarkeit des § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG auch darauf gestützt wird, dass sich aus dem Schutzzweck des Embryonenschutzgesetzes kein umfassender Lebensschutz des Embryos ergebe. In § 3 S. 2 ESchG werde nämlich das Verbot der Geschlechtswahl durchbrochen und eine Spermienselektion erlaubt, um 125 das Kind vor schweren geschlechtsgebundenen Erbkrankheiten zu bewahren. Die daraus hergeleitete Schlussfolgerung, bei der Vornahme einer PID handele es sich um eine gleichgelagerte Konfliktlage, vermag jedoch nicht zu überzeugen. Die PID wird an einem Embryo vorgenommen, während § 3 S. 2 des Embryonenschutzgesetzes die Auswahl einer Samenzelle zulässt und eben nicht das Lebensrecht eines Embryos tangiert. Da unterschiedliche Schutzgüter betroffen sind, bleibt auch die Schlussfolgerung des Gerichts, angesichts der in § 3 des Embryonenschutzgestzes getroffenen Wertentscheidung hätte der historische Gesetzgeber auch die PID an pluripotenten Zellen erlaubt, wenn sie zum damaligen Zeitpunkt zur Verfügung ge-standen hätte, eine bloße Vermutung. Ferner betont der Bundesgerichtshof in seinem Urteil, die PID sei nur zulässig zur Untersuchung von Zellen auf schwerwiegende genetische Schäden. Eine positive Selektion nach bestimmten erwünschten Merkmalen ist damit ausgeschlossen. Unklar bleibt, welche Krankheiten oder Behinderungen so schwerwiegend sein könnten, dass ihr Befund zum Ausschluss der Implementierung des Embryos führen sollte. Hier bedarf es einer gesetzgeberischen Klarstellung, die allerdings eine Diskussion darüber und eine Festlegung dessen, was unter einem schwerwiegenden genetischen Schaden zu verstehen ist, voraussetzt. Eine Differenzierung zwischen Behinderungen, die dem betroffenen Kind und seinen Eltern zugemutet werden können und solchen, die dem Kind und seinen Eltern nicht zugemutet werden können, eröffnet aber eine ethisch hochproblematische Diskussion über lebenswertes und lebensunwertes Leben. Menschen mit chronischen Krankheiten oder Behinderungen müssen sich hierdurch in ihrer eigenen Existenz infrage gestellt und diskriminiert fühlen. Auch kann eine solche Diskussion verbunden mit der Vorstellung, alle Behinderungen seien vorgeburtlich erkennbar und ergo auch vermeidbar, dazu führen, dass die gesellschaftliche Solidarität mit chronisch kranken und behinderten Menschen gefährdet wird. Neben den ethischen Implikationen muss auch festgestellt werden, dass sowohl die Erfahrungen mit der Pränataldiagnostik als auch die Entwicklung der PID im Ausland zeigen, dass die Begrenzung einer derartigen Diagnostik auf einen festumrissenen Anwendungsbereich langfristig nicht gelingt. 126 Rechtsdienst 3/2010 Ethik und recht Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs zur Sterbehilfe BGH, Urteil vom 25.06.2010 – Az: 2 StR 454/09 Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hatte über die Revision eines auf den Bereich des Medizinrechts spezialisierten Anwaltes zu entscheiden, der vom Landgericht Fulda zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten zur Bewährung verurteil worden war. Er hatte seiner Mandantin, Frau G., im Dezember 2007 geraten, den Schlauch für die künstliche Ernährung ihrer Mutter, Frau K., durchzuschneiden. Frau K. lag nach einem Hirnschlag seit 5 Jahren im Wachkoma und war bei einer Größe von 1,59 m auf 40 kg abgemagert war. Sie hatte keine Patientenverfügung errichtet, jedoch im September 2002 ihrer Tochter gegenüber mitgeteilt, sie wolle, wenn sie einmal schwerkrank sei, keine künstliche Beatmung oder künstliche Ernährung. Die Tochter war gemeinsam mit ihrem Bruder zur Betreuerin der Mutter bestellt worden. Als sich der Zustand von Frau K. über Jahre nicht verbesserte, versuchte Frau G. dem Wunsch der Mutter nach einer Einstellung der künstlichen Ernährung nachzukommen. Unterstützt wurde sie vom behandelnden Hausarzt, aus dessen Sicht eine medizinische Indikation zur Fortsetzung der künstlichen Ernährung nicht mehr gegeben war. Die Leitung des Heimes, in dem Frau K. untergebracht war, zeigte sich zunächst einverstanden mit der Beendigung der künstlichen Ernährung, woraufhin die Ernährung schrittweise eingestellt wurde. Wenig später widerrief die Heimleitung jedoch ihre Zustimmung und nahm die künstliche Ernährung wieder auf. Daraufhin erteilte der Angeklagte Frau G. und ihrem Bruder telefonisch den Rat, den Schlauch der Magensonde unmittelbar über der Bauchdecke durchzutrennen, weil gegen die rechtswidrige Fortsetzung der Sondennahrung durch das Heim ein effektiver Rechtsschutz nicht kurzfristig zu erlangen sei. Frau G. folgte diesem Rat und schnitt den Schlauch durch. Ihr Tun wurde wenig später von zwei Pflegekräften entdeckt und die Mutter ins Krankenhaus gebracht, wo sie 2 Wochen später eines natürlichen Todes starb. Das Landgericht Fulda hatte Frau G. freigesprochen, weil sie sich angesichts des Rechtsrats ihres Anwaltes in einem unvermeidbaren Erlaubnisirrtum befunden und daher ohne Schuld gehandelt habe. Der Angeklagte dagegen wurde wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten auf Bewährung verurteilt. Der BGH hob das Urteil des Landgerichts Fulda auf und sprach den Angeklagten frei. Divergenzen in der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Verbindlichkeit des Patientenwillens In ihrem Urteil führen die Richter aus, es habe zur Tatzeit hinsichtlich der Frage, unter welchen Voraussetzungen in Fällen akuter Einwilligungsunfähigkeit von einem bindenden Patientenwillen auszugehen sei, Unklarheit geherrscht. Die Divergenzen zwischen der straf- und der zivilrechtlichen Rechtsprechung des BGH hätten die Verbindlichkeit von sogenannten Patientenverfügungen sowie die Frage betroffen, inwiefern eine lebenserhaltende Behandlung nur bei tödlich verlaufenden Erkrankungen abgebrochen werden dürfe oder vom Stadium der Erkrankung unabhängig sei. Daneben beträfen sie auch die Frage, inwieweit die Entscheidung eines gesetzlichen Betreuers über den Abbruch einer lebenserhaltenden Behandlung gerichtlich genehmigt werden müsse. Diese Unsicherheiten seien durch das Gesetz zur Regelung von Patientenverfügungen beseitigt worden. Wie das Landgericht zutreffend festgestellt habe, sei die im Kompromiss mit der Heimleitung erzielte Entscheidung, die weitere künstliche Ernährung zu unterlassen, rechtmäßig gewesen. Der Behandlungsabbruch sei durch die im September 2002 geäußerte Einwilligung von Frau K. gerechtfertigt gewesen. Deshalb habe die in der Folge von der Heimleitung eingeleitete Wiederaufnahme der künstlichen Ernährung gegen das Selbstbestimmungsrecht der Patientin verstoßen. Unzutreffend sei dagegen die weitere Bewertung des Landgerichts gewesen, die Mitwirkung des Angeklagten am Durchschneiden des Schlauchs stelle einen versuchten Totschlag dar. Zwar liege hier eine direkt auf die Lebensbeendigung zielende Handlung vor, die nach den allgemeinen Regeln nicht als Unterlassen, sondern als aktives Tun anzusehen sei. Deshalb seien bisher lebensbeendende Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt der „Sterbehilfe“ nicht anerkannt worden. Senat gibt äußerliche Unterscheidung zwischen gerechtfertigter und rechtswidriger Herbeiführung des Todes auf Bisher habe eine zulässige „passive Sterbehilfe“ stets ein Unterlassen im Rechtssinne vorausgesetzt; aktives Handeln habe dagegen als rechtswidriges Tötungsdelikt im Sinne der §§ 212, 216 StGB gegolten. An dieser äußerlichen Unterscheidung zwischen gerechtfertigter und rechtswidriger Herbeiführung des Todes halte der Senat, auch im Hinblick auf die zivilrechtliche Rechtslage, die sich durch das Gesetz zur Patientenverfügung geändert habe, nicht fest. Die Regelungen des § 1901 a ff. entfalteten auch für das Strafrecht Wirkung. Die Grenze zwischen erlaubter Sterbehilfe und einer strafbaren Tötung könne nicht sinnvoll durch eine Unterscheidung zwischen aktivem und passivem Handeln bestimmt werden. Es sei deshalb sinnvoll, unter dem Oberbegriff des „Behandlungsabbruchs“ alle Handlungen zusammenzufassen, die neben der Beendigung einer medizinischen Maßnahme auch die subjektive Zielsetzung des Handelnden umfassten, damit den Willen der betroffenen Person zu verwirklichen. Dabei habe niemand einen Anspruch darauf, Dritte zu selbständigen Eingriffen in das Leben zu veranlassen. Einwilligen könne ein Patient nur in solche Handlungen, die einen Zustand wiederherstellten, der einem bereits begonnenen Krankheitsprozess seinen Lauf lasse, indem die Krankheit nicht mehr behandelt wird, so dass der Patient letztlich dem Sterben überlassen werde. Die tatbestandliche Grenze zu § 216 StGB bliebe dadurch unberührt. Im Urteil wird betont, dass für die Feststellung des behandlungsbezogenen Patientenwillens beweismäßig strenge Maßstäbe gelten müssten, die der hohen Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter Rechnung zu tragen hätten. Dies gelte insbesondere, wenn es keine schriftliche Patientenverfügung gäbe, sondern der in der Vergangenheit mündlich geäußerte Patientenwille festgestellt werden müsse. Rech t s d i e n s t 3 / 2 0 1 0 Anmerkung von Dr. Bettina Leonhard Das Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs zum Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen setzt nach dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung für den Bereich des Strafrechts das um, was der Gesetzgeber durch das 3. Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts (Gesetz zur Regelung von Patientenverfügungen) vorgegeben hat. Der Wille des Patienten rechtfertigt den Abbruch einer Behandlung – unabhängig davon, in welchem Stadium der Erkrankung sich der Betroffene befindet. Das Gesetz zur Regelung von Patientenverfügungen weist der schriftlichen Patientenverfügung absolute Bindungswirkung zu. Gleichwohl kann auch weiterhin der vom Betreuer geprüfte nur mündlich geäußerte Patientenwille durchgesetzt werden. Das Urteil stärkt in vielen Fällen das Selbstbestimmungsrecht des Patienten und schafft mehr Rechtssicher- I n t e r n at i o n a l e s heit für die behandelnden Mediziner. Allerdings ist zu bezweifeln, dass der in der Vergangenheit mündlich geäußerte Wunsch, auf bestimmte lebenserhaltende Maßnahmen verzichten zu wollen, in allen Fällen dem tatsächlichen Patientenwillen entspricht. Im Nachhinein ist nicht mehr festzustellen, ob die frühere Aussage eines Patienten eher beiläufig erfolgte oder ob sie auf der Grundlage einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Lebensende erfolgte und daher wirklich das widerspiegelt, was sich der Betroffene vorstellt. Das Gesetz zur Regelung von Patientenverfügungen war kritisiert worden, weil es auf eine Beratungspflicht verzichtet, die eine qualifizierte Auseinandersetzung mit den am Lebensende stehenden Fragen gewährleistet hätte.1 Immerhin ist sich derjenige, der eine schriftliche Patientenverfügung errichtet, aber bewusst über die Verbindlichkeit seines Tuns – was nicht der Fall ist bei bloßen mündlichen Äußerungen zu Behandlungs- 127 wünschen am Lebensende. Auch ist man bei der nachträglichen Ermittlung des Patientenwillens angewiesen auf bloße Erinnerungen Dritter an Wünsche und Überlegungen des Betroffenen – ein Widerspruch dazu, dass – wie das Urteil es hervorhebt – für die Ermittlung des behandlungsbezogenen Patientenwillens beweismäßig strenge Maßstäbe gelten müssten. Seltsam mutet auch an, dass die Richter das Vorgehen der anwaltlich beratenen Frau G., die quasi in Selbstjustiz lebenserhaltende Maßnahmen beendete, ausdrücklich gutheißen. Das Urteil stellt dazu fest, einen gerechtfertigten Behandlungsabbruch könnten nicht nur Ärzte, sondern auch Betreuer und Bevollmächtigte, sowie Dritte als für die Behandlung und Betreuung hinzugezogene Hilfspersonen vornehmen. 1 Vgl. hierzu RdLh 3/09, S. 99 ff. Internationales Wahlrechtsausschluss als Verstoß gegen die europäische Menschenrechtskonvention EGMR rügt die Rechtslage in Ungarn Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in einer Entscheidung vom 20.05.2010 (Kiss./ .Ungarn, Antrag Nr. 38832/06) den im ungarischen Zivilrecht geregelten Wahlrechtsausschluss von Menschen, die ganz oder teilweise unter Vormundschaft gestellt sind, für unvereinbar mit der Europäischen Menschenrechtskonvention erklärt. Beschwerdeführer Alajos Kiss, bei dem im Jahr 1991 eine psychische Erkrankung diagnostiziert wurde, war im Mai 2005 unter Teil-Vormundschaft nach ungarischem Recht gestellt worden. In der zugrundeliegenden Gerichtsentscheidung war ausgeführt, dass er trotz seiner manischdepressiven Erkrankung seine Angelegenheiten angemessen regeln konnte, jedoch manchmal in unverantwortlicher Weise zur Geldverschwendung sowie gelegentlich zu aggressivem Verhalten neigte. Herr Kiss hatte die Vormundschaft akzeptiert und dagegen keine Rechtsmittel eingelegt. Vor den ungarischen Parlamentswahlen bemerkte der Beschwerdefüh- rer im Februar 2006, dass er aus dem Wahlregister gestrichen worden war. Seine dagegen erhobene Beschwerde wurde mit der Begründung zurückgewiesen, dass nach § 70 Abs. 5 der ungarischen Verfassung Menschen unter Vormundschaft kein Wahlrecht haben. In der Folge konnte Herr Kiss an den ungarischen Parlamentswahlen im April 2006 nicht teilnehmen. Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte rügte Herr Kiss, der ihm auferlegte Wahlrechtsausschluss aufgrund der wegen seiner psychischen Erkrankung angeordneten Teil-Vormundschaft sei ein ungerechtfertigter und diskriminierender Entzug seines Rechts, zu wählen. Aufgrund der Verankerung in der ungarischen Verfassung sei dagegen keinerlei Rechtsmittel verfügbar. Gestützt wurde der Antrag an den EGMR überwiegend auf Art. 3 des 1. Zusatzprotokolls zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK). Nach dieser Vorschrift verpflichten sich „die Hohen Vertragsparteien, in angemessenen Zeitabständen freie und geheime Wahlen unter Bedingungen abzuhalten, welche die freie Äußerung der Meinung des Volkes bei der Wahl der gesetzgebenden Körperschaften gewährleisten.“ Der EGMR erklärte den Antrag für zulässig, denn er richte sich gegen den mit der Vormundschaft automatisch verknüpften, aus der Verfassung folgenden Wahlrechtsausschluss, gegen den das ungarische Recht kein Rechtsmittel vorsehe. In der Sache verweist der EGMR zunächst auf die von ihm in ständiger Rechtsprechung aufgestellten allgemeinen Grundsätze1, denen zufolge feststehe, dass Art. 3 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK individuelle Rechte garantiert, einschließlich des Rechts, zu wählen und gewählt zu werden. Das Wahlrecht sei kein Privileg. Im 21. Jahrhundert müsse in einem demokra- 1 Im Originaltext „general principles“. 128 Rechtsdienst 3/2010 I n t e r n at i o n a l e s tischen Staat eine Vermutung zu Gunsten der Inklusion gelten. Dennoch seien die von Art. 3 des 1. Zusatzprotokolls eingeräumten Rechte nicht absolut. Es bestehe Raum für implizite Beschränkungen, und den Vertragsstaaten müsse dafür ein Beurteilungsspielraum erlaubt sein.2 Der EGMR bekräftigt, dass in diesem Bereich der Spielraum breit sei. Allerdings sei es Sache des Gerichtshofes, in letzter Instanz zu bestimmen, ob den Anforderungen von Art. 3 des 1. Zusatzprotokolls genüge getan sei. Eingesetzte Mittel dürften nicht unverhältnismäßig sein. Der Ausschluss jeglicher Gruppen oder Kategorien der allgemeinen Bevölkerung vom Wahlrecht müsse demnach mit den tragenden Grundsätzen von Art. 3 des 1. Zusatzprotokolls vereinbar sein. Auf der Basis dieser allgemeinen Grundsätze hatte der EGMR im vorliegenden Fall darüber zu befinden, ob die ungarische Regelung des Wahlrechtsausschlusses ein legitimes Ziel in einer Art und Weise verfolgt, die dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Die ungarische Regierung habe erklärt, die angegriffene Maßnahme verfolge das Ziel, dass nur Bürgerinnen und Bürger, die die Konsequenzen ihrer Entscheidungen erfassen und bewusste und rechtsgültige Entscheidungen treffen können, in öffentlichen Angelegenheiten mitwirken. Unter Hinweis darauf, dass auch der Antragssteller diese Sichtweise akzeptiert habe, stellte der EGMR zunächst fest, dass die beanstandete Maßnahme grundsätzlich ein legitimes Ziel verfolge. Im Hinblick auf deren Angemessenheit bekräftigt der EGMR, dass es der Entscheidung der Gesetzgebung überlassen bleiben sollte, welche Verfahren zur Feststellung der Wahlfähigkeit von Menschen mit geistiger Behinderung anzuwenden sind. Der Gerichtshof könne allerdings nicht bestätigen, das ein absoluter Wahlrechtsausschluss aller Personen unter TeilVormundschaft – unabhängig von den tatsächlichen Fähigkeiten des oder der Betroffenen – in die zulässige Bandbreite einer solchen Regelung fällt. Trotz der Betonung eines weiten Beurteilungsspielraums des Staates sei dieser nicht allumfassend. Insbesondere dann, wenn eine Beschränkung von Grundrechten eine besonders gefährdete Gruppe der Gesellschaft – wie die Menschen mit geistiger bzw. psychischer Behinderung3 – betreffe, die in der Vergangenheit beträchtliche Diskriminierungen erfahren habe, sei der Beurteilungsspielraum des Staates substanziell enger und dieser müsse sehr gewichtige Gründe für die fraglichen Beschränkungen haben. Der Grund für diese Betrachtungsweise, die bestimmte Klassifizierungen per se hinterfrage, sei der, dass solche Gruppen historisch Vorurteilen mit dauerhaften Konsequenzen ausgesetzt gewesen seien, die zu ihrer sozialen Exklusion führten. Solche Vorurteile könnten zu gesetzgeberischen Stereotypien führen, die eine individualisierte Erfassung von den Fähigkeiten und Bedürfnissen dieser Menschen verhindern. Der EGMR erachtet darüber hinaus die Behandlung von Menschen mit geistigen oder psychischen Behinderungen als „gesonderte Gruppe“ als fragwürdige Klassifizierung; das Beschneiden der Rechte behinderter Menschen müsse Gegenstand strikter Überprüfung sein. Dieser Ansatz spiegele sich auch in anderen Instrumenten des Völkerrechts wieder, auf die in der Endscheidung Bezug genommen wurde.4 Im vorliegenden Fall habe der Antragssteller sein Wahlrecht verloren als Ergebnis einer automatischen, pauschalen Beschränkung gegenüber Menschen unter Vormundschaft. Er könne deshalb in Anspruch nehmen, ein Opfer dieser Maßnahme zu sein. Als Ergebnis stellt der EGMR fest, die unterschiedslose Aberkennung des Wahlrechts, die lediglich auf eine wegen einer geistigen bzw. psychischen Behinderung erforderliche Teil-Vormundschaft gestützt werde, ohne dass eine rechtsförmliche und individualisierte Beurteilung stattfinde, sei nicht mit den berechtigten Gründen für eine Beschränkung des Wahlrechts vereinbar. Der Wahlrechtsausschluss des Antragsstellers sei demzufolge ein Verstoß gegen Art. 3 des 1. Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention. Wahlrechts rechtfertigt, wäre die pauschale Wirkweise der deutschen Regelung ebenfalls zu überdenken. Für eine solche Sichtweise spricht u. a. die Tatsache, dass eine „Betreuung für alle Angelegenheiten“ nach dem betreuungsrechtlichen Erforderlichkeitsgrundsatz nur angeordnet werden, wenn ein Mensch mit Behinderung seine sämtlichen Angelegenheiten nicht besorgen kann und darüber hinaus auch in sämtlichen Lebensbereichen Regelungsbedarf besteht. Bei Vermögenslosigkeit oder stabiler Gesundheit besteht demnach keine Grundlage zur Übertragung der Aufgabenbereiche Vermögenssorge bzw. Gesundheitssorge auf einen rechtlichen Betreuer mit der Folge, dass unabhängig von den Fähigkeiten des oder der Betroffenen auch kein „Betreuer für alle Angelegenheiten“ bestellt werden dürfte. Darüber hinaus bereitet die praktische Handhabe bzw. Interpretation der Totalbetreuung immer wieder Probleme, wie nicht zuletzt die im Rechtsdienst der Lebenshilfe besprochenen Entscheidungen verdeutlichen5. Die Überprüfung der Regelung des Wahlrechtsausschlusses gehört deshalb zu den Themen, die aus dem Bereich des Betreuungsrechts Aufnahme in den von der Bundesregierung vorbereiteten Aktionsplan zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention (BRK) finden müssen. (He) 2 Übersetzung aus dem englischen Originaltext durch den Verfasser. 3 Der EGMR verwendet den Begriff „mental disability“, es kann angenommen werden, dass davon sowohl Menschen mit geistiger als auch mit psychischer Beeinträchtigung erfasst werden. 4 Dies waren insbesondere die Art. 1, 12 und 29 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Behindertenrechtskonvention – BRK) Anmerkung sowie Grundsatz 3 (Maximaler Schutz der Urteilsfähigkeit) der Empfehlung Nr. R (99) Die Entscheidung des EGMR verdeutlicht das Anliegen, auch den im deutschen Betreuungsrecht verankerten Wahlrechtsausschluss nach § 13 Nr. 2 Bundeswahlgesetz (BWG, gleichlautende Vorschriften finden sich im Europawahlgesetz sowie in den Landes- und Kommunalwahlgesetzen) gegenüber allen Volljährigen, für die durch Beschluss des Betreuungsgerichts ein „Betreuer für alle Angelegenheiten“ bestellt ist, einer Überprüfung zu unterziehen. Sollte diese Prüfung zu dem Ergebnis führen, dass der pauschale Anknüpfungspunkt „Betreuung für alle Angelegenheiten“ keinen zuverlässigen Rückschluss auf die tatsächlichen Fähigkeiten eines Betroffenen zulässt, der den Entzug des 4 des Ministerkomitees des Europarates an die Mitgliedstaaten über die Grundsätze betreffend den Rechtsschutz für nicht entscheidungsfähige Erwachsene vom 23.02.1999. 5 Vgl. zuletzt RdLh 2009, S. 132 ff. Rech t s d i e n s t 3 / 2 0 1 0 I n t e r n at i o n a l e s 129 Internationale Aktivitäten zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention von Klaus Lachwitz, Präsident Inclusion International Art. 40 des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Behindertenrechtskonvention-BRK) sieht vor, dass die Vertragsstaaten, die das Übereinkommen ratifiziert haben, regelmäßig „in einer Konferenz zusammentreten, um jede Angelegenheit im Zusammenhang mit der Durchführung dieses Übereinkommens zu behandeln.“ Die Dritte Konferenz der Vertragsstaaten hat vom 01.09. – 03.09.2010 in den Konferenzräumen der Vereinten Nationen in New York stattgefunden. Erweiterung des Fachausschusses für die Recht von Menschen mit Behinderungen (Art. 34 BRK) Wichtigster Tagesordnungspunkt war die Wahl von unabhängigen Expertinnen und Experten in den in Art. 34 BRK vorgesehenen Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Dieses bisher aus 12 Expertinnen und Experten bestehende Gremium wurde von 12 auf 18 Personen vergrößert. Da die Amtszeit von sechs Ausschussmitgliedern abgelaufen war, stand die Neuwahl von insgesamt 12 Personen an. Beworben hatten sich 22 Kandidatinnen und Kandidaten, überwiegend Menschen mit Behinderungen. Zu den neugewählten Mitgliedern des Ausschusses zählt Frau Prof. Dr. jur. Theresia Degener, Professorin für Recht und Disability Studies an der Evangelischen Fachhochschule Bochum. Ihre Kandidatur wurde vom deutschen Botschafter bei den Vereinten Nationen, Miguel Berger, und von einer Regierungsdelegation, der Vertreterinnen und Vertreter des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und des Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen angehörten, eindrucksvoll und erfolgreich unterstützt. Prof. Theresia Degener, die vom Deutschen Behindertenrat einstimmig als Kandidatin Deutschlands vorgeschlagen worden war, wurde mit einem großen internationalen Stimmenanteil in den Fachausschuss der BRK gewählt. Sie hat im Jahr 2002 zusammen mit Prof. Dr. Gerald Quinn, Irland, im Auftrag der Vereinten Nati- onen eine umfangreiche Hintergrundstudie angefertigt, mit der der Nachweis erbracht wurde, dass es notwendig ist, die Menschenrechte von Personen mit Behinderungen in einer eigenständigen UN-Konvention zu regeln. Das Wahlergebnis hat deutlich gemacht, dass Theresia Degener als Menschenrechtsexpertin hohe internationale Anerkennung genießt. Die internationale Behindertenbewegung wird von ihren Aktivitäten und Vorschlägen profitieren, denn der Fachausschuss verfügt über Befugnisse, die nicht nur auf dem Papier stehen, sondern Einfluss auf die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention auch auf nationaler Ebene haben werden. So prüfen die Ausschussmitglieder die sogenannten Staatenberichte, die von den Vertragsstaaten, die das Übereinkommen ratifiziert haben, abgegeben werden müssen. So ist zum Beispiel Deutschland verpflichtet, gegenüber dem Fachausschuss gem. Art. 35 BRK im März 2011 umfassend „über die Maßnahmen zu berichten, die zur Erfüllung der staatlichen Verpflichtungen aus dem Übereinkommen getroffen worden sind.“ Der Ausschuss hat das Recht, die Staatenberichte kritisch zu prüfen (Art. 36 BRK) und kann jeden Bericht mit Vorschlägen und allgemeinen Empfehlungen versehen. Dabei handelt es sich um internationale Auslegungs- und Anwendungshinweise, die auf nationaler Ebene einen wichtigen Beitrag dazu leisten können, die Umsetzung und Verwirklichung der Behindertenrechtskonvention zu forcieren. Es zeichnet sich ab, dass der Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu jedem Artikel der Behindertenrechtskonvention eine Empfehlung (General Comment) entwickeln wird, die geeignet ist, Auslegungs- und Anwendungsprobleme einzelner Menschenrechte auf nationaler Ebene zu lösen und die deshalb auch mittel- und langfristig nicht nur die deutsche Gesetzgebung, sondern auch die Rechtsprechung deutscher Gerichte im Bereich der Behindertenhilfe beeinflussen werden. Der Fachausschuss hat außerdem das Recht, individuelle Beschwerden von Einzelpersonen und Personengruppen zu prüfen, „die behaupten, Opfer einer Verletzung des Übereinkommens durch den betreffenden Vertragsstaat zu sein.“ Dies ergibt sich aus dem Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, das von vielen Vertragsstaaten- darunter auch der Bundesrepublik Deutschland – ratifiziert worden ist. Tagung des Weltdachverbandes für Menschen mit Behinderungen (IDA) Wie schon mehrfach berichtet, ist die Behindertenrechtskonvention in der Zeit zwischen 2004 und 2006 in einem von den Vereinten Nationen eingesetzten ad-hoc-Ausschuss unter Beteiligung von behinderten Menschen aus aller Welt erarbeitet worden. Bei diesen Expertinnen und Experten handelte es sich um Vertreterinnen und Vertreter der weltweit organisierten internationalen Behindertenverbände, zu denen auch Inclusion International, der internationale Dachverband aller Menschen mit geistiger Behinderung und ihrer Angehörigen, zählt. Die jahrelangen Verhandlungen, die in New York stattgefunden haben, haben bewirkt, dass die Weltbehindertenverbände eine internationale Plattform unter dem Namen International Disability Alliance (IDA) gegründet haben. In der Zwischenzeit ist daraus ein Aktionsbündnis entstanden, das sowohl bei den Vereinten Nationen in New York als auch bei den Vereinten Nationen in Genf ein eigenes Büro unterhält, das von Stefan Trömel, einem international anerkannten Menschenrechtsexperten und einem kleinen, hochqualifizierten Team von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geleitet wird. Finanziell wird die International Disability Alliance vom Europäischen Behindertenforum (EDF) Brüssel, und internationalen Stiftungen aus den USA, Schweden u. a. unterstützt. Entscheidungen werden nur getroffen, wenn alle Weltbehindertenverbände, also auch Inclusion International, die empfohlenen Beschlüsse einstimmig mittragen. 130 Rechtsdienst 3/2010 Bücherschau Der Wert dieser neuen Plattform besteht darin, dass sie dazu beiträgt, die Interessen behinderter Menschen nicht nur gegenüber dem Fachausschuss der Behindertenrechtskonvention, sondern gegenüber zahlreichen anderen UN-Agenturen (Weltgesundheitsorganisation, UNESCO, Internationale Arbeitsorganisation usw.) und Gremien zu vertreten und den Mitgliedsverbänden umfangreiche Informationen aus dem komplexen Gefüge der Vereinten Nationen zur Verfügung stellen und erläutern kann. Die International Disability Alliance tagt immer dann, wenn der Fachausschuss für Menschen mit Behinderung zusammentritt bzw. eine Weltstaatenkonferenz stattfindet. Bei diesen Treffen besteht vor allem Gelegenheit, mit den Mitgliedern des Ausschusses in Kontakt zu treten und durch eigene Veranstaltungen daran mitzuwirken, dass die vom Fachausschuss angekündigten Auslegungs- und Anwendungshinweise zu einzelnen Artikeln der Behindertenrechtskonvention (General Comments) rechtzeitig und auf qualitativ hohem Niveau entwickelt werden. Die Alliance hat unmittelbar vor der Dritten Weltstaatenkonferenz vom 27.08. – 31.08.2010 in New York getagt und sich vor allem mit Art. 19 (Recht auf Unabhängige Lebensführung) auseinandergesetzt (vgl. dazu den Beitrag im RdLh 2/10, S. 45 ff.). (La) Bücherschau Stephan Scherer (Hrsg.): Münchener Anwaltshandbuch Erbrecht C. H. Beck Verlag, München, 3. überarbeitete Auflage 2010, 1947 Seiten, Leineneinband, 138 Euro ISBN 978-3-406-58692-7 Dieses bewährte Handbuch stellt die anwaltliche Tätigkeit im Bereich der Rechts- und Vermögensnachfolge umfassend dar. Die systematische Darstellung materiellrechtlicher und prozessueller Fragen des Erbrechts wird durch vielfältige Checklisten, Formulierungsvorschläge, Muster und Praxistipps bereichert, so dass ein schnelles Auffinden der konkreten Problemlage und eine rasche, interessengerechte Falllösung erleichtert wird. Die Neuauflage auf dem Rechtsstand September 2009 berücksichtigt insbesondere die Reform des Erbschafts- und Schenkungssteuerrechts, das neue Erb- und Verjährungsrecht sowie das FamFG und ist deshalb ein nützliches Nachschlagewerk auf aktuellem Stand. Becker/Kingreen (Hrsg.): SGB V – Gesetzliche Krankenversicherung C. H. Beck Verlag, München, 2. Auflage 2010, 1496 Seiten, 119 Euro ISBN: 978-3-406-60085-2 Angesichts des Reformeifers des Gesetzgebers beim Recht der gesetzlichen Krankenversicherung legt der Verlag knapp zwei Jahre nach der ersten Auflage eine neu bearbeitete Auf- lage vor. Für die Neuauflage erfolgte eine grundlegende Überarbeitung und Aktualisierung. Der Kommentar legt besonderen Wert auf die systematische Erfassung des Rechts der GKV und auf eine solide Auswertung der Rechtsprechung. Hierfür stehen die beiden Herausgeber und die Autoren, sämtlich als Wissenschaftler und Rechtspraktiker Spezialisten für die Gesetzliche Krankenversicherung. Das Werk ist eine große Hilfe für alle, die im Arbeitsalltag mit der Gesetzlichen Krankenversicherung befasst sind. Weil der Kommentar geschickt Wichtiges von Unwichtigem trennt, ist ein schneller Zugriff auf das Wesentliche sichergestellt. Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen (Hrsg): SGB IX Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen C. H. Beck Verlag, München, 12. neubearbeitete Auflage 2010, 900 Seiten, 98 Euro ISBN 978-3-406-59161-7 Das Werk enthält die Kommentierung des Schwerbehindertenrechts einschließlich der dazu gehörenden Verordnungen, insbesondere die Werkstätten- und Mitwirkungsverordnung. Darüber hinaus sind alle sozialrechtlichen Bestimmungen des SGB IX sowie das Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen berücksichtigt und erläutert. Die Neuauflage mit dem Stand April 2010 berücksichtigt zahlreiche Änderungen, u. a. das Gesetz zur Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen sowie das Gesetz zur Einführung unterstützter Beschäftigung. Das Werk, das sich an Arbeitgeber, Gewerkschaften, Schwerbehindertenvertretungen sowie Integrationsämter, Rehabilitationsträger und Rechtsanwälte wendet, berücksichtigt im Rahmen der Auswertung aktueller Rechtsprechung auch wichtige Entscheidungen des europäischen Gerichtshofs. Ernst/Adlhoch/Seel: Sozialgesetzbuch IX, Rehabilitation und Teilhabe Kohlhammer-Verlag Stuttgart, 2 Bände, 18. Ergänzungslieferung April 2010, 228 Seiten, Gesamtwerk 96 Euro ISBN 978-3-17-021598-6 Als Anhang 1 zu § 42 sind jetzt die umfangreichen Werkstattempfehlungen der BAGüS mit Stand 01.01.2010 wiedergegeben, die eine wichtige Bedeutung für die Praxis der Leistungsgewährung für WfbM durch die Sozialhilfeträger haben, siehe Besprechung in RdLh 2/10, S. 87. Von Dahm neu kommentiert sind § 17, Persönliches Budget, mit der Wiedergabe der Handlungsempfehlungen der BAR, §§ 51, 53 (Unterhaltssichernde Leistungen), und Kuhlmann, §§ 73 ff., Beschäftigungspflicht der Arbeitgeber, und von Schlembach § 125, Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen mit der neuen Rechtsprechung des EuGH und des BAG. Der von Praktikern der Leistungsgewährung herausgegebene Rech t s d i e n s t 3 / 2 0 1 0 Kommentar gibt daher sachkundig den neuesten Stand der Rechtsprechung zu den genannten Vorschriften wieder und ist damit eine wichtige Arbeitshilfe für die SGB IX-Anwender. Hauck/Noftz (Hrsg.): Sozialgesetzbuch SGB XII – Sozialhilfe Erich Schmidt Verlag, Berlin, 2 Bände, 98 Euro ISBN: 978-3-503-06375-8 Der bewährte Kommentar erhält mit der 20. und 21. Ergänzungslieferung den Stand Juni 2010. Die Kommentierung wurde auf den neuesten Stand von Rechtsprechung und Literatur gebracht. Bei den Vorschriften der Hilfe zur Pflege (§§ 61 ff.) wurden gesetzliche Änderungen eingearbeitet. Neukommentierungen erfolgten insbesondere bei den allgemeinen Vorschriften (§§ 1 ff.) den Grundsätzen der Leistungen (§§ 9 ff.) und der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (§§ 67 und 68). Grube/Wahrendorf (Hrsg.): SGB XII – Sozialhilfe mit Asylbewerberleistungsgesetz C. H. Beck Verlag, München, 3. Auflage 2010, 884 Seiten, 79 Euro ISBN: 978-3-406-60090-6 Das Buch kommentiert praxisnah das Sozialhilferecht einschließlich der Regelungen über die Grundsicherung im Alter. Die sozialhilferechtlich relevanten Bestimmungen des SGB II (Grundsicherung für Arbeitsuchende) werden in der Kommentierung erläutert, soweit das SGB XII entsprechende Vorschriften enthält. Das Werk stellt sich der Herausforderung, anhand des Sozialhilferechts des SGB XII eine Gesamt- Kommentierung des heutigen Fürsorgerechts vorzulegen. Mit der Konzentration auf das Fürsorgeprinzip des SGB XII ist es den Autoren gelungen, die Grundkonzeption existenzsichernder Leistungen wieder deutlicher werden zu lassen. In der Neuauflage (Stand Anfang 2010) sind zahlreiche umfangreiche Gesetzesänderungen berücksichtigt ebenso wie die aktuelle Rechtsprechung, bei der insbesondere die Kommentierungen zur Eingliederungshilfe für behinderte Menschen und zum Bücherschau Leistungserbringungsrecht grundlegend überarbeitet wurden. Marcus Kreutz: Soziale Dienstleistungen durch gemeinnützige Einrichtungen der Freien Wohlfahrtspflege Nomos Verlagsgesellschaft, 362 Seiten, 85 Euro ISBN 978-3-8329-5418-5 Gemeinnützigen Körperschaften werden in Deutschland zahlreiche Privilegien gewährt, z. B. Steuervorteile und Gebührenbefreiungen. Diese Besserstellung im Vergleich zu gewerblichen Anbietern sozialer Dienstleistungen sind tatbestandlich als verbotene Beihilfe im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EGV zu qualifizieren. Die EU-Kommission hat daher in der Vergangenheit Bestrebungen gezeigt, das sog. Gemeinnützigkeitsrecht zu beschneiden. Dabei hat die Kommission jedoch die Besonderheiten personenbezogener sozialer Dienstleistungen, die gemeinnützige Körperschaften erbringen, vernachlässigt und gleichzeitig die Herkunft und Qualität der gewährten Privilegien übersehen. Der Autor weist in dieser Dissertationsschrift nach, dass die Charakteristika personenbezogener sozialer Dienstleistungen, zu deren Gunsten die Besserstellung gewährt werden, dazu führen, sie zur Kultur und zum kulturellen Erbe zugehörig zu betrachten. Eine Rechtfertigung dieser Privilegien über Art. 87 Abs. 3d EGV ist daher nach Auffassung des Autors möglich. Ulla Engler: Die Leistungserbringung in den Sozialgesetzbüchern II, III, VIII und XII im Spannungsverhältnis zum europäischen und nationalen Vergaberecht Nomos Verlagsgesellschaft, BadenBaden, 2010, 219 Seiten, 59 Euro ISBN: 978-3-8329-5315-7 Das Spannungsverhältnis zwischen der Leistungserbringung im Rahmen der deutschen Sozialgesetzbücher sowie dem europäischen und nationalen Vergaberecht beschäftigt Praxis und Recht seit einigen Jahren in zunehmendem Maße. Vermehrt versuchen öffentliche Träger, Leistungen nach Maßgabe des Vergaberechts auszuschreiben. Mit dieser als Band 22 in der Reihe 131 „Schriften zum Wirtschaftsverwaltungs- und Vergaberecht erschienen Dissertation arbeitet die Autorin heraus, dass die Leistungserbringung im SGB II, SGB VIII und SGB XII vom Vergaberecht ausgeschlossen ist. Sehr hilfreich für die Praxis ist die ausführliche Darstellung der Grundzüge der Erbringung sozialer Dienstleistungen, hier insbesondere dass für das SGB VIII und SGB XII typische sozialrechtliche Dreiecksverhältnis. Anschließend werden das europäische und nationale Vergaberecht erläutert. Für die schnelle Lektüre kann die Zusammenfassung der Arbeit am Ende des Bandes in 38 Thesen empfohlen werden. Die Autorin ist Rechtsanwältin und beim Paritätischen Gesamtverband beschäftigt, mithin seit vielen Jahren mit dem Thema befasst. Becker/Hockerts/Tenfelde (Hrsg.): Sozialstaat Deutschland – Geschichte und Gegenwart Verlag J.H.W. Dietz Nachf., Bonn 2010, 360 Seiten, 38 Euro ISBN: 978-3-8012-4198-8 In einer Zeit, in der der deutsche Sozialstaat auf dem Prüfstand steht, erscheint ein Band, der die Geschichte des Sozialstaats Deutschland und seine Zukunftsperspektiven vom Kaiserreich bis zur Europäischen Union behandelt. Am Sozialstaat scheiden sich die Geister: Manche sehen in ihm eine der größten Errungenschaften, andere rücken ihn in die Nähe spätrömischer Dekadenz. Diese gesamte Bandbreite kommt in dem Band zum Ausdruck. Den Herausgebern ist eine ausgezeichnete Mischung aus historischem Rückblick und der Auseinandersetzung mit den Herausforderungen in Gegenwart und Zukunft gelungen. Der Band bietet nicht nur interessante Lektüre, sondern auch eine Menge Diskussionsstoff. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.): Übersicht über das Sozialrecht – Ausgabe 2010/2011 BW Bildung und Wissen Verlag und Software GmbH, Nürnberg, 7. Auflage 2010, 1100 Seiten + CD-Rom, 36 Euro ISBN: 978-3-8214-7246-1 132 Rechtsdienst 3/2010 Bücherschau Was neu ist in der Sozialgesetzgebung und wie die Änderungen in der täglichen Rechtspraxis umgesetzt werden, dass beschreibt die Neuauflage dieses Bandes. Das Buch enthält überblicksartig alle relevanten Gesetze Verordnungen und Regelungen des ‚Sozialrechts mit dem Stand 01.01. 2010. Mit der Übersicht über das Sozialrecht können sich alle Leserinnen und Leser ein Bild davon machen, wie das soziale Sicherungssystem in Deutschland organisiert ist und wie es funktioniert. Ein ausführliches Inhaltsverzeichnis und ein umfangreiches Stichwortverzeichnis erleichtern die Informationssuche. Die Autorinnen und Autoren stammen vor allem aus den Bundesbehörden, die die Gesetze entwickeln und bieten damit Informationen aus erster Hand. Firsching/Schmid: Familienrecht 1. Halbband: Familiensachen C. H. Beck Verlag, München, Reihe Handbuch der Rechtspraxis, 7. neu bearbeitete Auflage 2010, 452 Seiten, Leineneinband, mit CD-Rom, 69 Euro ISBN 978-3-406-58183-0 Dieses Handbuch bietet einen konzentrierten Gesamtüberblick über das Familienverfahrensrecht und berücksichtigt auch die Neuregelungen zum Versorgungsausgleich sowie wichtige Änderungen im Recht des Zugewinnausgleichs und im Güterrecht. Dargestellt sind auch das Eherecht, die Unterhaltspflicht zwischen Verwandten, das Kindschaftsrecht sowie die Behandlung familienrechtlicher Fälle nach dem internationalen Privatrecht. Der zweite Hauptteil ist der Darstellung des familiengerichtlichen Verfahrens gewidmet. Auf einer beigelegten CD befinden sich zahlreiche Textmuster und Formulierungsvorschläge für die Umsetzung der in diesem nützlichen Werk behandelten Rechtsfragen. Firsching/Dodegge: Familienrecht, 2. Halbband: Betreuungssachen und andere Gebiete der freiwilligen Gerichtsbarkeit C. H. Beck Verlag München, Reihe Handbuch der Rechtspraxis, 7. neubearbeitete Auflage 2010, 385 Seiten, Leineneinband + CD-Rom, 59 Euro ISBN 978-3-406-58182-3 Dieses Praxishandbuch bietet einen konzentrierten Gesamtüberblick des Betreuungsrechts unter Berücksichtigung der zum 01.09.2009 wirksam gewordenen FGG-Reform sowie des 3. Betreuungsrechtsänderungsgesetzes (Regelung der Patientenverfügung). In präziser Form werden übergreifend und erstinstanzliche Verfahrensgrundsätze einschl. der Regelungen über verfügbare Rechtsmittel dargestellt. Ausführlich behandelt wird darüber hinaus das materielle Betreuungsrecht einschl. des Unterbringungsrechts. Zahlreiche Textmuster und Formulierungsvorschläge bieten Lösungsvorschläge für die Umsetzung aller wichtigen Rechtsfragen im Bereich der Betreuung. Diese befinden sich auf einer dem Handbuch beigefügten CD. Andreas Jürgens: Betreuungsrecht, Kommentar zum materiellen Betreuungsrecht, zum Verfahrensrecht und zum Vormünder- und Betreuervergütungsgesetz C. H. Beck Verlag, München, 4. völlig überarbeitete Auflage 2010, 758 Seiten, Leineneinband, 49,50 Euro ISBN 978-3-406-59709-1 Dieser bewährte und sehr praxisorientierte Kommentar des Betreuungsrechts berücksichtigt in seiner Neuauflage das zum 01.09.2009 in Kraft getretene FamFG, die Einführung der Regelungen zur Patientenverfügung mit dem 3. Betreuungsrechtsänderungsgesetz sowie die Fülle der seit der vor fünf Jahren herausgegebenen Vorauflage ergangene Rechtssprechung zum Betreuungs- und Unterbringungsrecht. Damit steht für die betreuungsrechtliche Praxis wieder ein aktueller, umfassender und gleichzeitig kompakter Kommentar zur Verfügung, der uneingeschränkt zu empfehlen ist. Birgit Hoffmann: Personensorge – Erläuterungen und Gestaltungsvorschläge für die rechtliche Beratung Nomos Verlagsgesellschaft 2009, 223 Seiten, 34 Euro ISBN 978-3-8329-3072-1 Der Gesetzgeber hat mit einer Reihe von Maßnahmen auf die eklatanten Defizite beim Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Vernachlässigung und Misshandlung reagiert. Dieses neue Handbuch stellt den aktuellen Stand im Bereich der Personensorge dar und berücksichtigt bereits die Änderungen im Verfahren durch das FamFG. Die zunehmende Bedeutung von Elternvereinbahrung und Vollmachten anstelle gerichtlicher Entscheidungen, die Neureglung bzgl. Vaterschaftsanfechtung bzw. der Klärung der Vaterschaft, die jüngste BVerfGEntscheidung zur Umgangspflicht oder der gerichtliche Erörterungstermin in Kindesschutzverfahren sind nur einige aktuelle Stichworte, die in diesem aktuellen Handbuch Berücksichtigung finden. Mathias Schmoeckel (Hrsg.): Demenz und Recht Bestimmung der Geschäftsund Testierfähigkeit Nomos Verlagsgesellschaft, Reihe Schriften zum Notarrecht, Band 18, 1. Auflage 2010, 98 Seiten, 24 Euro ISBN 978-3-8329-5507-6 Die weltweit steigende Zahl der Demenzpatienten wirft zahlreiche juristische Fragestellungen auf. Dieser Tagungsband über ein am 12.06.2009 durchgeführtes Symposion des Rheinischen Instituts für Notarecht ist der näheren Bestimmung der Geschäftsfähigkeit der Betroffenen aus der Sicht der Medizin, Rechtswissenschaft und notarieller Praxis gewidmet. Dabei wird auch der Frage nachgegangen, inwieweit für ernsthaft an Demenz leidende Patienten noch die Möglichkeit einer vorübergehenden Geschäftsfähigkeit bestehen kann. Eberhard Eichenhofer (Redaktion): Sozialrecht in Europa Erich Schmidt Verlag GmbH & Co. KG, Berlin 2010, 170 Seiten, 28,60 Euro, www.esv.info ISBN: 978-3-503-12495-4 Der Deutsche Sozialrechtsverband e. V. legt in seiner Schriftenreihe den Band „Sozialrecht in Europa“ (SDSRV 59) vor. In ihm ist die gleichnamige Sozialrechtslehrertagung 2009 dokumentiert. Die Tagung hatte zum Ziel, den seit den Verträgen von Maastricht, Amsterdam und Nizza merklich gewachsenen Einfluss europäischen Rechts auf das Sozialrecht der Mitgliedstaaten zu er- Bücherschau fassen. Sämtliche Referenten stellten in ihren Beiträgen eine wachsende Einwirkung des EU-Rechts auf das Sozialrecht fest. Deutlich wurde auch die zunehmende Bedeutung des Wechselverhältnisses von Wirtschafts- und Sozialrecht. Das Europäische Sozialmodell wird Realität. Sechs Professorinnen und Professoren stellen in ihren Beiträgen umfassend den Stand der Diskussion vor. Mathias Schmoeckel (Hrsg.): Vorsorgeverfügungen – Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, Betreuungs- und Organverfügung C. H. Beck Verlag, München, Reihe Beck’sche Musterverträge, Band 44, 4. Auflage 2010, 114 Seiten + CD-Rom, 16,90 Euro ISBN 978-3-406-59667-4 Die in diesem Band dargestellten Vertrags- und Fomulartexte sollen Hilfestellung bei der Formulierung von Patientenverfügungen, Vorsorgevollmachten sowie Betreuungs- und Organverfügungen leisten. Die Darstellung erfolgt dabei nach einem einheitlichen Schema, welches in Einführung, Textmuster mit Erläuterungen, vertiefende Hinweise zu Literatur und Rechtsprechung sowie Sachregister untergliedert ist. Damit bietet das Buch praktische Hilfestellung für einen breiten Anwenderkreis. Burkhard Küstermann (Hrsg.): Rechtsratgeber Ehrenamt und bürgerschaftliches Engagement 133 AnZeiGe Kanzlei Siebel Ihre Spezialisten für Interne Revision Bundesverband Deutscher Stiftungen, Berlin 2010, 164 Seiten, 19,80 Euro ISBN 978-3-941368-03-3 Dieses Buch soll in allgemeinverständlicher Form als Handbuch und Nachschlagewerk für bürgerschaftlich engagierte Personen dienen. Zu den behandelten Themen gehören die vertraglichen Grundlagen bürgerschaftlichen Engagements, Haftungsfragen, sozialversicherungsrechtlicher Schutz, sozialrechtliche Fragen, Erfassung im Einkommen- und Umsatzsteuergesetz, Grenzen im Bereich der Rechtsberatung und des Strafrechts sowie Besonderheiten bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Damit bietet das Buch gebündelt Informationen für dieses Tätigkeitsfeld an, die man ansonsten nur sehr aufwendig in den jeweiligen Teilbereichen recherchieren müsste. Der Ratgeber ist deshalb empfehlenswert für alle, die an einer Gesamtdarstellung der Rechtsfragen ehrenamtlichen Engagements interessiert sind. Korrekturhinweis: Seit über 10 Jahren betreut die Kanzlei Siebel erfolgreich viele Sozialunternehmen. Unsere Leistungen im Bereich Interne Revision umfassen: Outsourcing der Internen Revision Gestaltungsberatung zur Organisation der Internen Revision Qualitätsprüfung Ihrer Revision nach den Standards des DIIR e.V. Informieren Sie sich umfassend auf unserer Website und nutzen Sie die langjährige Erfahrung und die Fachkompetenz des gesamten Kanzlei-Teams: www.Kanzlei-Siebel.de In dem Beitrag „Verfassungsrechtlich gebotene Gesetzesänderungen im SGB II“, RdLh 2/10, S. 55, rechte Spalte, muss es nach der Zwischenüberschrift „Anhebung der Vermögensfreigrenzen“ heißen: Oder Sie vereinbaren gleich ein unverbindliches Informationsgespräch mit Herrn Siebel. Telefon (0201) 177 55 04-0 Bereits im Februar 2010 hat der Gesetzgeber die Vermögensfreibeträge in § 12 Abs. 2 SGB II von 205 auf 750 Euro monatlich für notwendige Anschaffungen für jeden in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Hilfebedürftigen angehoben. Ebenfalls gestiegen sind auch die altersgestaffelten Grundfreibeträge für die geldwerten Ansprüche der Altersvorsorge, soweit unwider- Kanzlei Siebel Steuerberater ve re i d i g te r Bu c h p r ü fe r ruflich eine Verwertung vor dem Eintritt des Ruhestands ausgeschlossen ist. Diese betragen jetzt in § 12 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SGB II 48.750 Euro, in Nr. 2 49.500 Euro und in Nr. 3 50.250 Euro. Wir bitten, dieses Versehen zu entschuldigen! Bredeneyer Straße 23 45133 Essen [email protected] issn 0944-5579 Postvertriebsstück: D/13263 F Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e.V. Leipziger Platz 15 10117 Berlin Tel.: (030) 206411-0 Fax.: (030) 206411-204 [email protected] www.lebenshilfe.de Im p r e s s u m Rechtsdienst der Lebenshilfe (RdLh) Herausgeber: Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e. V. Leipziger Platz 15, 10117 Berlin Telefon: (0 30) 20 64 11 - 0 Telefax: (0 30) 20 64 11 - 2 04 Internet: http://www.lebenshilfe.de E-Mail: [email protected] Vorsitzender: Robert Antretter Bundesgeschäftsführer: Ulrich Bauch und Klaus Lachwitz Chefredakteur: Klaus Lachwitz (La) Redaktion: Ulrich Hellmann (He) (geschäftsführender Redakteur) Ricarda Langer (Lg) Dr. Bettina Leonhard (Leo) Norbert Schumacher (Sch) Dr. Sabine Wendt (We) Mit Autorennamen ausgewiesene Beiträge geben die Meinung der Verfasser/-innen wieder und sind urheberrechtlich geschützt. Außerhalb der Grenzen des Urheberrechts sind Reproduktionen – durch Fotokopie, Nachdruck oder andere Verfahren – bzw. die Übertragung oder Veröffentlichung dieser Beiträge in Datenverarbeitungsanlagen ohne Einwilligung der Autoren nicht statthaft. Im Übrigen ist der Nachdruck von Beiträgen mit Quellenangabe honorarfrei gestattet – zwei Belegexemplare erbeten. 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Tel: (02 11)6 40 04 - 0, E-Mail: [email protected] Die fünf Fachverbände repräsentieren mehr als 90 % der Dienste und Einrichtungen für Menschen mit geistiger, seelischer, körperlicher und mehrfacher Behinderung und treffen sich regelmäßig in einem gemeinsamen Arbeitskreis Behindertenrecht sowie in Kontaktgesprächen. Dieser Rechtsdienst ist auf chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt.