Schriftliche Stellungnahme - Rechtsanwalt Peter Kehl
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Schriftliche Stellungnahme - Rechtsanwalt Peter Kehl
Landtag Mecklenburg-Vorpommern 6. Wahlperiode - Innenausschuss - Ausschussdrucksache 6/285 Schwerin, den 29. Oktober 2014 Schriftliche Stellungnahme - Rechtsanwalt Peter Kehl zur öffentlichen Anhörung des Innenausschusses zum Gesetzentwurf der Landesregierung Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Landes- und Kommunalwahlgesetzes - Drucksache 6/3242 - From:Maurer pp. Rechtsanwälte t49 345 29267 29 MAUR.ER.@ KOLLEGEN 29/10/2014 16:00 #435 P.001/010 Matthias J. Maurer Rechtsanwalt R.ECHTSANWÄLTE Steffen Wünsch Rechtsanwalt Rechtsanwälte Maurer pp. • Bernburger Str. 7 · 06108 Halle {Saale} Thomas Goldberg llllm~llllllllim~m~lllll!l~nmm~lmll~llll Rechtsanwalt Peter Kehl Landtag Mecklenburg-Vorpommern Innenausschuss Schloss Lennestr. 1 Rechtsanwalt 19053 Schwerin vorab per Fax: (0385) 525 15 25 Unser Zeichen: X-1040/14-PK (bitte stets angeben) Ihr Zeichen: Drs: 6/3242 Datum: 29.10.2014 Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Landes~ und Kommunalwahlgesetzes Drucksache 6/3242 Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, sehr geehrter Herr Vorsitzender, ich bedanke mich für die Gelegenheit der Stellungnahme zum vorbezeichneten Gesetzesvorhaben . Leider kann ich den Termin der Anhörung nicht persönlich wahrnehmen und überreiche daher meine schriftliche Stellungnahme zum Gesetzesentwurf. Mit freundlichen Grüßen Peter Kehl Rechtsanwalt Kanzlei : Bernburger Str. 7 · 06108 Halle (Saale)- Telefon: {0345) 292 67 0- Telefax: (0345) 292 67 29 E-Mail: [email protected] -Internet: www.mlw-law.com- www.tentas.de- www.online-anwalt.org From:Maurer pp. Rechtsanwälte t49 345 29267 29 29/10/2014 16:00 MAURER.@KOLLEGEN #435 P.002/010 ., Schriftsatz vom 29.10.2014 ~ R.EC.HTSANWÄLTE Gliederung I. Allgemeine Anmerkungen zum Gesetzesentwurf 1. Grundsätzliches 2. Anmerkungen zu den wesentlichen Änderungen im Einzelnen II. Fragenkatalog 1. Vereinbarkeit der Ausschlusstatbestände für Menschen mit Behinderungen mit der UNBehindertenrechtskonvention 2. Änderungsempfehlungen mit Blick auf den internationalen Menschenrechtsschutz 111. Empfehlung zur Regelung der Wahlsichtwerbung Seite 2 von 10 From :Maurer pp. Rechtsanwälte +49 345 29267 29 29/10/2014 16 :00 MAURER.@ KOLLEGEN #435 P.003/010 .. Schriftsatz vom 29.10.2014 1 RE C H T S A NWÄL T E I. Allgemeine Anmerkungen zum Gesetzesentwurf 1. Grundsätzliches Der Gesetzesentwurf hat in seiner Gänze einen überwiegend positiven Eindruck hinterlassen. Die vorgeschlagenen Änderungen und Anpassungen führen meines Erachtens das bisher bestehende Recht folgerichtig weiter und passen es in wünschenswerter Weise den durch das Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätzen zur Größenabweichung von Wahlkreisen an. Positiv aufgefallen sind darüber hinaus auch die Reduzierung von Bürokratie und Verwaltungsaufwand sowie die Stärkung von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit für den Bürger. Weiterhin wird der vorgelegte Entwurf einen Beitrag zur Chancengerechtigkeit zwischen den Parteien und Wählergruppen leisten. Die Auffassung, dass durch das Gesetz die öffentlichen Haushalte nicht stärker belastet, sondern im Gegenteil sogar leicht entlastet werden, wird durch den Verfasser geteilt. Mit Blick auf den Grundsatz der Normenklarheit und zur besseren Verständlichkeit für den Rechtsunterworfenen wird entgegen § 114 des Handbuchs der Rechtsförmlichkeit empfohlen, im Gesetz auf die Verwendung männlicher und weiblicher Formen personalisierter Nomen zu verzichten und sich stattdessen der inklusiven Variante des generischen Maskulinums zu bedienen . Unter Punkt 111. wird schließlich ein Vorschlag zur gesetzlichen Regelung des Umgangs mit Wahlsichtwerbung der Parteien und Wählergruppen im Wahlkampf unterbreitet. 2. Anmerkungen zu den wesentlichen Änderungen im Einzelnen Hinsichtlich der rein redaktionellen Änderungsvorschläge wird auf Anmerkungen verzichtet. § 10 (neu) betrifft die Abstimmung über Wahlvorschläge im Wahlausschuss. Zukünftig gelten die- se auch bei Stimmengleichheit für zugelassen, weil sich keine Mehrheit gegen sie gefunden hat. Es wird das Prinzip "Im Zweifel für den Kandidaten" eingeführt. Die Änderung stärkt die Rechtssicherheit und wird der Bedeutung öffentlicher Wahlen im demokratischen Gemeinwesen gerecht; die Änderung wird ausdrücklich empfohlen . § 15 (neu) entschärft für Parteien und Wählervereinigungen das Verfahren zur Kandidatenauf- stellung, indem zukünftig wieder die einfache statt der qualifizierten Meh rheit ausreicht. Ein Kandidat ist demnach aufgestellt, wenn er die meisten Stimmen (und nicht mehr die Mehrheit der abgegebenen Stimmen) auf sich vereinigt. Die Änderung dient der Praktikabilität und der besseren Handhabbarkeit in der Praxis und wird ausdrücklich empfohlen. Seite 3 von 10 From :Maurer pp. Rechtsanwälte t49 345 29267 29 MAUR.ER@KOLLEGEN 29/10/2014 16 :00 ~ #435 P. 004/010 Schriftsatz vom 29.10.2014 ~ R.ECHTSANWÄLTE § 19 (neu) soll eine rechtssichere Regelung für den Fall schaffen, dass ein Kandidat kurz vor dem Wahltag verstirbt. Dieser Todesfall soll dann im Wahllokal öffentlich bekanntgemacht werden, Stimmzettel sollen nur dann geändert werden, wenn das drucktechnisch noch möglich ist. Mit dieser Regelung verfolgt die Landesregierung das Ziel, die Wahl trotzdem rechtzeitig stattfinden zu lassen und durch Neudruck der Stimmzettel oder eine Nachwahl verursachte Kosten zu vermeiden. Dieses Ansinnen ist an sich zu befürworten. Jedoch muss bei der Ausgestaltung in der Praxis darauf geachtet werden, dass die Bekanntmachung offensichtlich und für jeden Wähler verständlich ausfällt. Es steht in diesem Falle gleichwohl ein Anstieg ungültiger Stimmabgaben zu befürchten. Von einer eindeutigen Empfehlung, diese Änderung ins Gesetz aufzunehmen, wird daher abgesehen. Mit dem neuen § 22 soll die Reihenfolge der Bürgermeister- und Landratskandidaten auf den Stimmzetteln an das letzte Kommunalwahlergebnis der jeweiligen vorschlagenden Partei oder Wählervereinigung gekoppelt werden. Damit wird ein Beitrag zur Fairness und Chancengerechtigkeit geleistet. Die Änderung wird empfohlen. Nach § 24 (neu) wird zukünftig auf die gesonderte schriftliche Benachrichtigung verzichtet, wenn ein Bürger Antrag auf Eintragung ins Wählerverzeichnis stellt. Dadurch werden Bürokratie abgebaut und Verwaltungskosten gesenkt. Die Änderung ist deshalb empfehlenswert. § 28 (neu) dehnt das Verbot von Wahlwerbung und Wählerbefragung auch auf Räumlichkeiten aus, in denen die Briefwahl an Ort und Stelle vollzogen werden kann. Diese Anpassung ist folgerichtig und wird daher empfohlen. § 46 (neu) gibt nachrückenden Landtagskandidaten die Möglichkeit, ihr Mandat bereits vor Ab- lauf der Wochenfrist durch ausdrückliche Erklärung anzunehmen. Diese neue Möglichkeit stellt die Arbeitsfähigkeit des Parlaments sicher und dient im Allgemeinen der Rechtssicherheit. Sie sollte eingeführt werden. Mit § 60 {neu) wird für die Feststellung der Einwohnerzahlen, die wiederum Grundlage für die Berechnung der Größe kommunaler Vertretungen ist, ein gesetzlicher Stichtag eingeführt. Auf die jeweilige gesonderte Festsetzung eines Stichtages kann deshalb zukünftig verzichtet werden, was zu Einsparungen beim Verwaltungsaufwand führt. Die Änderung sollte angenommen werden. § 61 (neu) statuiert zum einen, dass Wahlbereiche in den Kommunen zusammenhänge Gebiete bilden sollen. Das dient der Übersichtlichkeit in der Wahlbereichseinteilung, indem Exklaven oder )nseln" vermieden werden. Die Änderung wird empfohlen. Hinsichtlich des Aufweichens des Grundsatzes, wonach Wahlbereichsgrenzen der Landkreise selbige der Gemeinden nicht durchSeite 4 von 10 From:Maurer pp. Rechtsanwälte t49 345 29267 29 MAURER@ KOLLEGEN 29/10/2014 16:01 #435 P.OOS/010 ._ Schriftsatz vom 29.10.2014 -c RECHTSANWAUE schneiden dürfen, rät der Verfasser zu Zurückhaltung. Von der neu geschaffenen Ausnahme, nach der das dann möglich sein soll, wenn anders die Obergrenzen abweichender Einwohnerzahlen nicht eingehalten werden können, sollte nach Möglichkeit nur restriktiv Gebrauch gemacht werden. II. Fragenkatalog 1. Vereinbarkeit der Ausschlusstatbestände für Menschen mit Behinderungen mit der UNBehindertenrechtskonvention Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ist am 13.12.2006 ratifiziert worden und für die Bundesrepublik Deutschland am 26.03.2009 in Kraft getreten. Die BRK ruft ins Bewusstsein, dass behinderte Menschen keine schieren Objekte der Fürsorge, sondern aktive und selbstbestimmte Subjekte sind - auch und gerade mit Blick auf die Teilhabe am politischen Geschehen. Das bedeutet, dass sie bei öffentlichen Wahlen gleichberechtigt sein sollen. Vor diesem Hintergrund wird Deutschland im Vergleich zu seinen europäischen Partnern bisher eher als negatives Beispiel benannt, vor allem was den vollständigen Ausschluss einiger Menschen vom Wahlrecht anbetrifft. Reibungspunkte mit dieser Gleichberechtigung bei öffentlichen Wahlen entstehenden vor allem bei zwei selbständig zu betrachtenden Problemfeldern: Das erste betrifft die barrierefreie Ausübung des Wahlrechts an sich. Nach den empirischen Feststellungen in den Materialien zum Gesetzesentwurf ist einerseits die Barrierefreiheit der Wahllokale gegeben, andererseits die Möglichkeit der Stimmabgabe vor einem mobilen Wahlvorstand positiv hervorzuheben. Das zweite Problemfeld ist der Ausschluss des Wahlrechts für einige Menschen mit Behinderungen. Im Gesetzesentwurf sieht§ 5 Nr. 2 vor, dass vom Wahlrecht ausgeschlossen ist, wem für die Besorgung aller Angelegenheiten eine Betreuung bestellt ist. Dieser Ausschluss verstößt jedenfalls dann gegen die BRK, wenn er auch gegen das Grundgesetz verstößt, welches im Lichte der BRK als internationalem Vertrag auszulegen ist. ln Frage kommt ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz gern. Art 3 GG. Ein solcher liegt bei einer Ungleichbehandlung vor, die nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. Seite 5 von 10 From :Maurer pp. Rechtsanwälte t49 345 29267 29 MAUR.ER.@ KOLLEGEN 29/10/2014 16 :01 ~ #435 P.006/010 Schriftsatz vom 29.10.2014 ~ R.ECH T S A N WÄ L T E Ungleichbehandlung Der Gesetzgeber differenziert bei der Einräumung des Wahlrechts danach, ob ein Bürger Mecklenburg-Vorpommerns nach den Vorschriften des Bürgerlichen Rechts eine Betreuung in allen Angelegenheiten bestellt bekommen hat und dann nach § 5 Nr. 2 vom Wahlrecht ausgeschlossen ist oder eine solche Betreuung nicht gegeben ist und das Wahlrecht demnach vorliegt. Das Kriterium der Differenzierung ist daher - mittelbar - die geistige Zurechnungsfähigkeit des Bürgers. Anhand dieses Kriteriums behandelt der Gesetzgeber zwei ansonsten gleiche Sachverhalte ungleich, weshalb eine Ungleichbehandlung im Sinne von Art. 3 GG vorliegt. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Die eben festgestellte Ungleichbehandlung führt aber nur dann zur Verfassungswidrigkeit, wenn sie nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden kann. Eine Rechtfertigung kommt nach der s.g. 11 Willkürformel" dann in Betracht, wenn die Ungleichbehandlung nicht evident unsachlich, also von unsachgemäßen Gründen geleitet und damit willkürlich ist. Der Gesetzgeber möchte mit dem Wahlrechtsausschluss für geistig unzurechnungsfähige Menschen bewirken, dass bei der Ermittlung der Zusammensetzung der Volksvertretung Willenserklärungen unberücksichtigt bleiben, deren Urheber Inhalt und Ausmaß ihrer Entscheidung nicht überblicken können. Demnach stellt der Gesetzgeber also nicht auf eine sachfremde und willkürliche Erwägung ab, sondern lässt sich vom - ebenfalls verfassungsrechtlich legitimierten - Zweck der Funktionsfähigkeit des Parlaments leiten. Nach der "Willkürformel" ist die Ungleichbehandlung mithin gerechtfertigt. Im vorliegenden Fall ist hingegen der strengere Prüfungsmaßstab der s.g. 11 neuen Formel" anzuwenden, da gleichzeitig der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl betroffen ist und sich die Differenzierung an das verbotene Kriterium der "Behinderung" nach Art. 3 111 2 annähert. Demnach ist die Rechtfertigungsprüfung nach dem strengen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vorzunehmen: Seite 6 von 10 From:Maurer pp. Rechtsanwälte t49 345 29267 29 29/10/2014 16:01 MAURER.@ KOLLEGEN #435 P.00?/010 ., Schriftsatz vom 29.10.2014 ~ R.ECHTSANWÄLl E Legitimer Zweck. Die Funktionsfähigkeit des Parlaments (s.o.) stellt für sich genommen einen Wert von Verfassungsrang und mithin einen legitimen Zweck dar. Geeignetheit. Der Wahlrechtsausschluss für geistig Unzurechnungsfähige fördert diesen Zweck in der bereits oben dargetanen Weise, indem er dafür Sorge trägt, dass Stimmen von Personen, die nicht im vollen Umfang entscheidungsfähig sind, unberücksichtigt bleiben. Erforderlichkeit. Gibt es ein milderes Mittel als den Wahlrechtsausschluss, um das gesetzgeberische Ziel in gleicher Weise zu erreichen? Zu denken wäre hier zunächst an "unterstützte Entscheidungsfindung", so wie sie die BRK in Art 29 vorschlägt: 11 Die Vertragsstaaten verpflichten sich, sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen wirksam und umfassend am politischen und öffentlichen Leben teilhaben können [ ... ]; unter anderem garantieren sie die freie Willensäußerung von Menschen mit Behinderungen als Wähler [ ... ] und erlauben zu diesem Zweck im Bedarfsfall auf Wunsch, dass sie sich bei der Stimmabgabe durch eine Person ihrer Wahl unterstützen lassen;[ ...]." Im Falle einer Betreuung in allen Angelegenheiten kommt die unterstützte Entscheidungstindung einer Wahl durch einen anderen gleich. Denn auch eine unterstützte Stimmabgabe setzt beim Unterstützten zunächst voraus, dass dieser die Entscheidung für sich selbst herbeiführt. Fehlt es an dieser grundlegenden Voraussetzung, trägt auch eine Unterstützungshandlung eines anderen nichts zum Ziel des Gesetzgebers bei. Im Gegenteil öffnet eine solche Regelung dem Missbrauch des- gut gemeinten -Wahlrechts für geistig Behinderte Tür und Tor. Angemessenheit. Schließlich darf die gesetzliche Regelung des § 5 Nr. 2 zum verfolgten Ziel nicht einem krassen Missverhältnis stehen und muss angemessen, bzw. verhältnismäßig im engeren Sinne sein. Zwar ist das Grundgesetz unter dem Blickwinkel der BRK und insbesondere deren Art 12 II auszulegen, in dem es heißt: "Mensch mit Behinderungen genießen in allen Lebensbereichen gleichberechtigt mit anderen Rechts- und Handlungsfreiheit." Jedoch steht zu bedenken, dass eine Betreuung in allen Angelegenheiten, bzw. "zur Besorgung aller Angelegenheiten" gem. § 1896 8GB nur in engen Ausnahmefällen und nur als ultima ratio, als letztes Mittel, in Betracht kommt. Seite 7 von 10 From :Maurer pp . Rechtsanwälte t49 345 29267 29 29/10/2014 16:01 MAUR.ER.@ KOLLEGEN #435 P.OOS / 010 I> Schriftsatz vom 29 .10.2014 ~ R. E C H I SAN W Ä LlE § 1896 II BGB sieht vor, dass eine Betreuung nicht für Angelegenheiten angeordnet werden darf, die der Betroffene noch selbst besorgen kann oder die von Dritten, insbesondere Vorsorgebevollmächtigten, besorgt werden können . Axel Bauer schreibt im Heidelberger Kommentar zum Betreuungs- und Unterbringungsrecht, dass eine Betreuung in allen Angelegenheiten nur in Betracht kommt, "wenn der Betroffene keine seiner Angelegenheiten selbst besorgen kann, er also krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage ist, den seiner bisherigen Lebensgestaltung entsprechenden Alltag wenigstens teilweise zu beherrschen und zu gestalten." Es handelt sich mithin also um eine geringe Zahl an Fällen. Dazu kommt, dass die Möglichkeit besteht, durch eine oben bereits angesprochene Vorsorgevollmacht der Komplettbetreuung und mithin dem Wahlrechtsausschluss zu entgehen . Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung BVerfGE 36, 139 aus dem Jahre 1973 festgestellt, dass es mit dem Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl vereinbar ist, dass vom Wahlrecht ausgeschlossen bleibt, wer entmündigt ist oder wer wegen geistigen Gebrechens unter Pflegschaft steht. Später {BVerfGE 67, 146 aus dem Jahre 1984) stellten die Karlsruher Richter klar, dass der Wahlrechtsausschluss von Menschen, denen die Einsichtsfähigkeit in das Wesen einer Wahl fehlt, Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung ist. Nach alledem ist festzustellen, dass ein Verstoß gegen die Angemessenheit von § 5 Nr. 2 nicht gegeben ist. Ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz liegt deswegen nicht vor. Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung ist auch nach der "neuen Formel" gegeben. Der Gleichheitsgrundsatz ist nicht verletzt. Die Regelung des § 5 Nr. 2 ist verfassungsrechtlich und mithin auch vor dem Hintergrund der BRK nicht zu beanstanden. 2. Änderungsempfehlungen mit Blick auf den internationalen Menschenrechtsschutz Der Verfasser sieht keine Veranlassung zu Änderungen am Gesetzesentwurf, die sich aus Erwägungen des internationalen Menschenrechtsschutzes ergeben könnten. Insbesondere ist eine Ausdehnung des Wahlrechts für Ausländer über die bereits jetzt bestehende Regelung hinaus nicht angezeigt. Seite 8 von 10 From:Maurer pp. Rechtsanwälte t49 345 29267 29 MAUR.ER.@ KOLLEGEN #435 P.009/010 29/10/2014 16 :01 ~ Schrihsatz vom 29.10.2014 • RECHTSANWÄLTE 111. Empfehlung zur Regelung der Wahlsichtwerbung Plakate und Wahlsichtwerbung im öffentlichen Straßenraum in Zeiten des Wahlkampfes sind immer wieder Anlass zu Streitigkeiten und rechtlichen Auseinandersetzungen zwischen Parteien, bzw. Wählervereinigungen und den Sicherheitsbehörden. ln der Vergangenheit war nicht selten zu beobachten, dass die Kommunen übermäßiges Plakatieren im Wahlkampf ordnungsrechtlich einschränken wollten. Dies nicht zuletzt deshalb, weil sich immer mehr Einwohner durch die vielen Plakate gestört fühlten. Möglicherweise aber auch deshalb, weil die Wahlplakate den Platz für kommerzielle Werbung und die damit verbundenen Einnahmen reduzieren. Dabei wird häufig übersehen, dass den politischen Parteien eine wichtige Funktion im freiheitlich demokratischen Staat zukommt. Verfassungsrechtlicher Ausgangspunkt ist die Funktionszuweisung des Grundgesetzes. Das Grundgesetz bestimmt in Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG, dass die politischen Parteien die Aufgabe haben, bei der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken. Es ist die Aufgabe der Parteien, politische Ziele zu formulieren und diese den Bürgern zu vermitteln. Sie helfen dabei, dass die Probleme der Gesellschaft und des einzelnen Bürgers erkannt, benannt und angemessenen Lösungen zugeführt werden. Ferner ist es Aufgabe der Parteien, die Rückkopplung zwischen Staatsorganen und Volk sicherzustellen. Die politischen Parteien können diesen Auftrag des Grundgesetzes nur dann wirksam wahrnehmen, wenn sie nicht nur innerparteilich arbeiten, sondern auch nach außen tätig und sichtbar werden. Nur durch den offenen Wettbewerb mit anderen Parteien und Verbänden wird der für die Demokratie entscheidende pluralistische Diskurs gewährleistet. Diese Grundsätze gelten auch für Wählervereinigungen und Einzelbewerber. Gleichwohl bestehen auch berechtigte Interessen, an einem geordneten Ablauf des Wahlkampfes, um die öffentlichen Sicherheit und Ordnung einschließlich der Verkehrssicherheit zu gewährleisten. Bedauerlicherweise wird dies von den Kommunen sehr unterschiedlich gehandhabt. Zur Sicherstellung des verfassungsmäßigen Auftrages der politischen Parteien und der Gleichbehandlung von Wählervereinigungen und Einzelbewerbern ist eine gesetzliche Klarstellung sinnvoll. Seite 9 von 10 From:Maurer pp. Rechtsanwälte t49 345 29267 29 MAUR.ER@ KOLLEGEN 29/10/2014 16:02 #435 P. 010/010 .. Schriftsatz vom 29.10.2014 • R.ECHlSANWÄLTE Zum Ausgl_eich der vorbezeichneten Rechtsgüter und unter Einbeziehung einschlägiger Rechtsprechung schlage ich deshalb vor, einen neuen Paragrafen 21a in das Gesetz aufzunehmen, der den Titel "Wahlsichtwerbung" trägt und wie folgt lauten könnte: § 21a Wahlsichtwerbung "(1) Parteien, Wählergruppen und Bewerber, die nach den Vorschriften dieses Gesetzes an Wahlen teilnehmen, haben Anspruch auf Durchführung von Wahlsichtwerbung nach eigenem Ermessen im öffentlichen Raum während einer Wahlkampfzeit von 6 Wochen vor dem Wahltag. (2) Sondernutzungserlaubnisse nach den Vorschriften des Straßen- und Wegerechts sind innerhalb der Wahlkampfzeit zu diesem Zweck gebührenfrei zu erteilen. Nebenbestimmungen sind nur ausnahmsweise und nur zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit, zur Wahrung des Ortsbildes, zur Vermeidung von Beschädigungen und Verschmutzungen des Straßenraums, sowie zur Gewährleistung der Chancengleichheit zulässig. (3) Sonstige Iandes- und bundesrechtliche Vorschriften bleiben unberührt. Seite 10 von 10