archithese Grosser Pavillon im Grünen

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archithese Grosser Pavillon im Grünen
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De-Young-Museum
50 Tea Garden Dr
San Francisco CA 94118, Vereinigte
Staaten von Amerika
© Roland Halbe
Grosser Pavillon im Grünen
SAMMLUNG
Die Verbindung von Natur und Kunst ist eines der ostinaten Themen im Werk von
Herzog & de Meuron. Das neue de Young Museum im Golden Gate Park von San
Francisco stellt gewissermassen die Summe der Beschäftigung mit diesem Thema
dar. Zugleich hat die Bay Area mit dem Grossprojekt ein neues Wahrzeichen
erhalten.
ARCHITEKTIN
von Hubertus Adam
2005
archithese
Herzog & de Meuron
FUNKTION
Museen und Ausstellungsgebäude
BAUENDE
ERÖFFNUNG
Unumstritten ist der Neubau des de Young Museum in San Francisco nicht: zweimal
2005
scheiterte die Petition, das Bauprojekt durch die öffentliche Hand zu unterstützen, an der
Unterstützung durch die Bevölkerung. Es sei in San Francisco leichter, eine Parkgarage
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durchzusetzen als ein Museum, erklärte Dede Wilsey, die Präsidentin des Board of
Trustees, im Vorfeld der Eröffnung. Ohne das Engagement der energischen Dame, die
sich seit Jahrzehnten für kulturelle und karitative Belange in der Bay Area einsetzt, gäbe es
den Neubau nicht. Denn Wilsey gelang das so wohl nur in den USA vorstellbare
Kunststück, das Projekt mit seinen Gesamtkosten von 202 Millionen Dollar rein privat
durch Zuwendungen von Donatoren und Sponsoren zu finanzieren. Die Sammlung des de
Young Museum befindet sich – wohlgemerkt – im städtischen Besitz und umfasst ein
heterogenes Spektrum von amerikanischer Kunst vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart,
ethnographischen Beständen aus Afrika, den beiden Amerikas und Ozeanien sowie eine
Kollektion von Textilien und Kostümen. Seit 1972 ist das de Young mit dem auf
europäische Kunst spezialisierten Museum of the Legion of Honor zu den «Fine Arts
Museums of San Francisco» zusammengeschlossen.
Museum im Park
Der eigentlich strittige Punkt beim Neubau war die Frage des Standorts. Seit seiner
Gründung 1895 liegt das Museum im riesigen Golden Gate Park, der sich nicht in der Nähe
der gleichnamigen Brücke befindet, sondern einige Meilen südwestlich von Downtown San
Francisco. 1870, als der junge Ingenieur William Hall die von Olmsteds Layout für den
Central Park New York inspirierten Pläne entwarf, befand sich das zuvor unwirtliche
Dünengelände noch weit ausserhalb des Siedlungsgebiets; heute ist das breite grüne
Band, das mit seiner westlichen Schmalseite unmittelbar an die Pazifikküste stösst,
durchaus noch der Innenstadt zuzurechnen. Die Idee für ein Kunstmuseum in diesem Park
stammte von William de Young, dem Mitbegründer des San Francisco Chronicle. Der
Zeitungsverleger hatte sich stark für die nach dem Erfolg der Weltausstellung in Chicago
1894 im Golden Gate Park veranstaltete California Midwinter International Exposition
eingesetzt, und auf seine Initiative hin wurde das ägyptisierende Fine Arts Building nach
Ausstellungsende zum dauerhaften Museumsbau umgewidmet. Über die Jahrzehnte
© Hubertus Adam
© Hubertus Adam
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hinweg erfuhr das hinsichtlich seines Sammlungsprofils mehrfach neu programmierte
Museum diverse bauliche Veränderungen, bis das Erdbeben des Jahres 1989 das
Gebäudekonglomerat in Mitleidenschaft zog. Zwar liessen sich die Räumlichkeiten weiter
museal nutzen, Leihgaben konnten aufgrund von Sicherheitsanforderungen indes nicht
mehr ausgestellt werden. Zu dieser Zeit hätte die Möglichkeit bestanden, mit einem
Neubau in die stärker frequentierte Downtown umzuziehen, doch am Ende entschied man
sich – trotz der Kritik von Umweltschützern, die Baumassnahmen im Park verhindern
wollten – für den angestammten Standort. Eine Findungskommission konzentrierte die
Auswahl angefragter Architekten auf sechs Finalisten. Am Ende erhielten Herzog & de
Meuron den Zuschlag – einzig sie, so Dede Wilsey, hätten bei ihrer Präsentation die
Spezifik der Sammlung und den speziellen Standort berücksichtigt. Im Rennen geblieben
waren zuvor noch Tadao Ando, Cesar Pelli, Antoine Predock und Rafael Viñoly.
Transparent und opak
Ohne Zweifel war die Entscheidung ein Glücksgriff, ist doch die Auseinandersetzung mit
der Beziehung von Landschaft und Architektur, mit dem Verhältnis von Natürlichkeit und
Künstlichkeit eines der Themen, das sich ostinat durch das Œuvre der Basler Architekten
zieht. Am ovalen Gartenraum des Concourse, gegenüber der California Academy of
Sciences, die derzeit von Renzo Piano weitgehend neu errichtet wird, erhebt sich das
langgestreckte Gebäude des neuen de Young. Nachdem sie zunächst mit einem
Ensemble von Pavillons für die unterschiedlichen Sammlungsbereiche operiert hatten,
organisierten Herzog & de Meuron das Raumprogramm schliesslich in drei parallelen
Streifen, die wie bei einer Zieharmonika leicht auseinandergezogen, aber weiterhin
miteinander verbunden sind und von einem gemeinsamen Dach überdeckt werden. Bleibt
das Äussere auch von der orthogonalen Grundrissgeometrie bestimmt, so entstehen als
Keile, Schlitze, Kerben oder Höfe ausgebildete Zwischenräume. Diese reagieren als
negative mit den positiven Formen der umschlossenen Räume und führen dazu, dass sich
die klar definierten Raumfolgen der Galerien stellenweise völlig auflösen. Durch verglaste
Ausschnitte dringt der Park gleichsam in das Volumen ein. Der längste der Einschnitte
begrenzt das Foyer nach Norden und senkt sich entlang der Treppe zum Untergeschoss
hin ab; man mag die Wellenform als Verweis auf die Dünenlandschaft verstehen, welche
den Untergrund des Parks bildet.
Hinsichtlich des Fassadenmaterials dachten Herzog & de Meuron zunächst an Redwood,
das Holz des kalifornischen Küsten-Mammutbaums, das in der Bay Area beispielsweise für
Bernard Maybecks Christian Science Church in Berkeley Verwendung gefunden hat.
Reizvoll erschienen gerade die Alterungsprozesse für ein Museum im Park. Dass man sich
schliesslich dagegen entschied, hatte weniger mit der geringeren Dauerhaftigkeit zu tun als
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mit den Dimensionen des Gebäudes, die eine Holzverkleidung hätten inadäquat
erscheinen lassen. Und damit, dass die Auftraggeberseite ihre Skepsis nicht aufgab.
Zwischenzeitig experimentierten die Architekten mit einem Materialmix aus Holz, Glas und
Metall, welcher die Heterogenität des Sammlungskomglomerats gleichsam am Äusseren
hätte abbilden können, um schliesslich doch der Idee einer All-over-Struktur zu folgen.
Kupfer sollte es sein, das die erwünschten, den Lauf der Zeit offenbarenden
Alterungsspuren ebenfalls bietet. Im Hof des Ateliers an der Rheinschanze wurden
verschiedene Verwendungsarten dieses Schwermetalls erprobt, das Herzog & de Meuron
in Form von Bändern schon an ihren beiden Stellwerken in Basel genutzt hatten.
Drahtgeflecht sowie getriebene oder perforierte Platten waren über lange Zeit im Hof der
Witterung ausgesetzt.
Seit den neunziger Jahren hat die Verwendung von Metall als Fassadenbekleidung an
Aktualtität gewonnen. Besonders Frank O. Gehry wurde durch seine Fassaden aus
rostfreienm Stahlblech (Weisman Art Museum, Minneapolis, 1994) oder Titanzinkblech
(Guggenheim Museum, Bilbao, 1997) bekannt. Mit Kupfer fiel in San Francisco die Wahl
auf ein vergleichsweise traditionell konnotiertes Baumaterial, das seit der Renaissance für
Dächer eingesetzt wird. Das de Young Museum mit seiner Verkleidung von ungefähr 430
Tonnen des Metalls gilt nun als das grösste kupferverkleidete Gebäude der Welt.
Schon an den Fünf Höfen in München sowie im Schaulager Basel hatten Herzog & de
Meuron Metallplatten durch Falzen und Verformen zu dreidimensionalen Elementen
werden lassen. Bei den insgesamt 7200 Kupferpanels, welche die Verkleidung des de
Young bilden, konnte man auf diesen Erfahrungen aufbauen. Fotos von Blättern standen
am Anfang eines mehrstufigen Transformationsprozesses. Ein Punktraster wurde aus
Kreisen mit fünf verschiedenen Durchmessern entwickelt, das als Vorlage für ein
Perforieren der Bleche diente. Gleichsam darüber liegt in einem grösseren Massstab ein
zweiter Raster, der durch Pressungen entstand: napfförmige Vertiefungen in zweierlei
Richtungen – mal eingedellt, mal sich ausstülpend. Von der Ferne homogen wirkend, löst
sich die Fassade aus der Nähe in eine flirrende Struktur aus zwei interferierenden, aus
Perforation und Pressung resultierenden Pixelrastern auf. Mal erscheint die Fassade opak
und wandhaft, mal transparent, je nachdem, welche Funktion sie zu übernehmen hat. Sie
schützt als Filter vor Sonnenlicht, sie ermöglicht Ausblicke, aber sie ist auch dekorativ und
lässt die Aussenhaut des Gebäudes lebendig werden. Und so wirkt das Museum trotz
seiner Dimensionen wie ein Gartenpavillon, wie ein Gewächshaus für die Kunst.
Auch die Dachlinie zeigt sich organisch. Von Ost nach West wölbt es sich in einem
einzigen grandiosen Schwung über das gesamte Gebäude, um dann in einer gewaltigen
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Auskragung zu enden, welche die der westlichen Stirnseite vorgelagerte Terrasse
überdeckt. Als vertikale Dominante und optisches Gegengewicht zu dem fulminanten
Dachüberstand im Westen fungiert ein 30 Meter hoher, tordierter Turm an der Nordostecke
des Gebäudes. Seine Stockwerke sind gegeneinander versetzt: Das untere fügt sich die
Axialität des Museums ein, das oberste, um 40 Grad abgewinkelt, ist auf den
Strassenraster von San Francisco ausgerichtet. Das Aussichtsgeschoss, ohne Eintritt für
alle Besucher zugänglich, bietet ein grandioses Panorama bis hin zu den Hochhäusern der
Downtown und zur Golden Gate Bridge – wenn nicht gerade die für San Francisco
typischen Nebelschwaden von der Küste her aufziehen. Ohne Zweifel, der Turm ist das
eigentliche, die Baumkronen überragende Wahrzeichen des Museums, und er leistet die
formale und visuelle Verknüpfung von Park und Stadt.
Nebeneinander und miteinander
Betritt man das Museum über den vom Concourse aus zugänglichen Eingangshof, so steht
man in einem opulenten Foyer, von dem aus alle wesentlichen Bereiche zugänglich sind.
Über die doppelläufige Treppe hinter dem Empfangstresen erreicht man das
Untergeschoss, mit einem dreischiffig organisierten, flexibel einteilbaren und künstlich
beleuchteten Sonderausstellungssaal, der allerdings lediglich Raumhülle ist. Wendet man
sich nach rechts, so gelangt man zum versenkten Auditorium oder in den Turm. Links
hingegen führt der Weg in die zentrale Halle, welche von der speziell in Auftrag gegebenen
Fotoarbeit von Gerhard Richter beherrscht wird. Die seriell repetierten
Mikroskopaufnahmen eines Strontium-Moleküls erinnern an Richters von der Op-Art
inspiriertes Frühwerk, sie harmonieren aber auch kongenial mit dem Interesse der
Architekten für Fragen von Muster, Ornament und Dekoration. Im Nordwesten des
Museums liegen die zum Teil gebäudehohen Säle für amerikanische Gegenwartskunst ,
die an die Säle in der Tate Modern erinnern; den interessanteren Raumsitutationen
begegnet man indes im Obergeschoss. Herzog & de Meuron konzipierten zwei
unterschiedliche Präsentationsstrategien. Die historische amerikanische Kunst ist in eher
traditionell inspirierten Räumen mit moderatem Zuschnitt untergebracht – Böden und
Decken sind in Eukalyptusholz ausgeführt, die Wände farbig gestichen, Licht fällt durch
grosse zentrale Oberlichter ein. Die künstlich belichteten etnographischen Sammlungen
finden sich in den fliessenden Raumbereichen und sind durch leuchtende raumhohe
Vitrinen gegliedert, die mit ihrer Einfassung aus Eukalyptusholz wie grosse Rahmen
wirken. Bedingt durch das architektonische Konzept gibt es verschiedene Übergänge
zwischen den Raumbereichen, die aber jegliche Hierarchisierung vermeiden. Gezielt
wurde hier ein Nebeneinander gesucht, das zuweilen auch zum Miteinander werden kann
– San Francisco versteht sich bekanntlich selbst als eine Stadt, in welcher das
Zusammenleben heterogener Kulturen besser gelingt als in anderen Städten der
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Vereinigten Staaten. Dass die Ansichten der Architekten und der Kuratoren nicht überall
zur Kongruenz führten, zeigt sich allerdings unter anderem daran, dass zum Teil neben
den grossen Schaukästen von Herzog & de Meuron relativ banale Vitrinen stehen, die sich
kaum in das architektonische Konzept einfügen. Anderenorts stört, dass die Sponsoren
offenkundig Einfluss auf die präsentierten Exponate hatten. Es ist der Preis, der zu zahlen
ist, wenn ein Museum rein auf privater Basis finanziert wird.
Gleichwohl: Herzog & de Meuron haben ein komplexes, vielschichtiges und intelligentes
Museum geschaffen, das sich spektakulär und sensibel zugleich zeigt. Es ist nicht
manieriert, lässt aber eine Unzahl architektonischer Themen anklingen. So mag es nicht
zuletzt das Nachdenken über Architektur anklingen – und das ist in San Francisco
besonders wichtig, das keine lebendige Architekturszene besitzt wie Los Angeles. Wie der
San Francisco Chronicle zurecht konstatierte, sind die letzten wirklich bedeutenden Bauten
in der Bay Area mehr als dreissig Jahre alt: William Pereiras spitze Pyramide des
Transamerica Building und der grandios in die Hügel nördlich von San Rafael eingebettete
Komplex des Marin County Civic Center von Frank Lloyd Wright. Irgendwann sähen auch
die Kritiker ein, dass die Metropole neben Golden Gate Bridge, Cable Car und
Transamerica-Pyramide ein viertes Wahrzeichen erhalten habe.
archithese, 05.03.2006
WEITERE TEXTE
Parkpanorama und Stadtblick, Hubertus Adam, Neue Zürcher Zeitung, 17.10.2005
Airport der Kunst, Peter Iden, Frankfurter Rundschau, 27.10.2005
Unterm Förderturm, Manuel Brug, Die Welt, 15.10.2005
Unter der Schlangenhaut, Heinrich Wefing, FAZ, 20.12.2005
Zurück zur Natur, Jörg Königsdorf, Süddeutsche Zeitung, 19.10.2005
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