Der Aufstands-Dörnberg - Verein für hessische Geschichte und

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Der Aufstands-Dörnberg - Verein für hessische Geschichte und
Der Aufstands-Dörnberg
Zu seiner Rolle im Widerstand gegen Jérôme Bonaparte vor 200 Jahren.
von Hans Günther Bickert
Im Rahmen der Neubewertung des Königreichs Westphalen (1807-1813), deren neueste
Ergebnisse ein opulenter Begleitband zur Hessischen Landesausstellung 2008 in Kassel
dokumentiert1, gilt das Interesse hauptsächlich den Reformen des „Modellstaates“. Da es
sich um ein deutsch-französisches Gemeinschaftsprojekt handelt, wird das Verbindende
besonders betont, ohne daß Kritik vermieden würde. In bisher noch nicht gekannter Ausführlichkeit werden zumeist längst bekannte „Neuerungen von großer und bleibender
Bedeutung“2 vorgestellt, oft in neuer Sicht. Die Modernisierung erfolgte in Westphalen
nach französischem Muster und war ein Ergebnis von Fremdherrschaft, diese eine Folge
militärischer Gewaltanwendung. Wohl in der Erwartung, daß sich letztere in den bilateralen Beziehungen auf Dauer erledigt hat, wird dieser sensible Bereich schonend behandelt.
Das Thema „Militär und Krieg“ gewinnt durch Präsentation zahlreicher schmucker Uniformen und Accessoires bei sparsamer Visualisierung der Desastres de la guerra in fernen Ländern ästhetischen Reiz: Man erfährt einiges von den Feldzügen in Spanien und
Rußland, aber vergleichsweise wenig von den Vorgängen in Westphalen. Nur eine kleine
Vitrine war der Insurrektion von 1809 vorbehalten. Ein aus Braunschweig stammendes
Ölbild des Anführers in farbenprächtiger Uniform, geschaffen von einem unbekannten
zeitgenössischen Maler nach 1815, diente als Blickfang. Die spärlichen Hinweise im
Katalog erweitern unsere Kenntnisse von der kontrovers beurteilten Persönlichkeit kaum.
Gerade am Beispiel ihres Wirkens läßt sich die Spaltung der damaligen Gesellschaft in
Befürworter (Kollaborateure und Sympathisanten) des neuen Regimes und Oppositionelle, in den Worten August Vilmars die „äußerst scharfe soziale Trennung zwischen den
‚Treuen‘ (auch Patrioten, Deutschgesinnte genannt) und den ‚Franzosenfreunden‘3 studieren, die sogar Familien entzweite (Gottlob von der Malsburg gehörte zu den Verschwörern), und erörtern, was es bedeutet, daß nicht ein abtrünniger hessische Offizier
seinen Aufstand vollenden und Jérôme vertreiben durfte, als die militärischen Mittel dazu
zur Verfügung standen, sondern ein russischer General. Wenn auch das gescheiterte Unternehmen in in der älteren Geschichtsschreibung vielfach überschätzt worden ist, so
spricht schon das publizistische Echo gegen die Vermutung, es habe sich lediglich um
eine folgenlose und darum zu vernachlässigende Episode gehandelt.
Wenn man distanziert die damaligen Vorgänge mit dem Ziel betrachtet, sie aus den
Bedingungen ihrer Zeit heraus zu verstehen, darf man nicht vom Preis absehen, der von
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Vgl. König Lustik!? Jérôme Bonaparte und der Modellstaat Königreich Westphalen, München
2008. (Künftig: Katalog 2008).
Vgl. Ernst Rudolf HUBER: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. I, Stuttgart 1960, S. 90.
Vgl. Otto GERLAND (Hg.): Grundlage zu einer Hessischen Gelehrten=, Schriftsteller= und Künstler= Geschichte von 1831 bis auf die neueste Zeit, Bd. 1, Kassel 1863, S. 130.
Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte (ZHG) Band 114 (2009), S. 177-198
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den Geschlagenen zu zahlen war, speziell vom „impôt du sang“4, den sie für das Regime
einer ausländischen Macht zu entrichten hatten. Man hat errechnet, daß rund 3% der
Westphalen von den Kriegszügen Napoleons nicht zurückkehrten5. Zwar weist eine neuere Untersuchung nach, daß es sich hier nicht um eine Gesamtzahl von Toten handelt, weil
auch Gefangene berücksichtigt werden müssen6, doch war der Aderlaß beträchtlich. Zumindest die Hinterbliebenen dürften dies als schrecklich empfunden und ihre Hoffnung
auf Aktionen, nicht auf die Realisierung papierener Programmatik gesetzt haben, wenn
sie ihnen denn überhaupt bekannt gewesen ist. Helmut SEIER hat schon vor Jahren den
„Opfergang der kurhessischen Soldaten auf den Schlachtfeldern Spaniens und Rußlands“
als wichtigste Ursache für einen generellen Meinungsumschwung zuungunsten des Regimes benannt7. Daß auch der bewaffnete Widerstand im Inland Wirkung zeigte, belegt
das Unternehmen Wilhelms von Dörnberg.
Er stammte, wie man erfährt, aus Hausen bei Oberaula im heutigen Schwalm-EderKreis, einem ehedem zu Fulda gehörenden Dorf, dessen Burg erstmals durch die fuldische Historiographie für das Jahr 1311 bezeugt wird8. Mit dieser Persönlichkeit befaßt
sich der folgende Beitrag. Auch bei der Beschränkung auf ein winziges Segment der
rastlosen Tätigkeit des Protagonisten lassen sich Informationen über dessen Handlungsmotive und die Haltung der nicht aufständischen Landbevölkerung seiner engeren Heimat und einzelner Personengruppen gewinnen. Um aus der Fülle heute nicht mehr vertrauter Fakten eine Verständigungsbasis zu finden, liegt es nahe, zunächst Grundinformationen über das Dörnbergsche Unternehmen des Jahres 1809 (I-III) ins Gedächtnis zu
rufen, ihr literarisches Echo (IV) zur Einschätzung der Breitenwirkung zu skizzieren und
dann unter erstmaliger Einbeziehung der weitgehend unbekannten lokalen Überlieferung
und am Beispiel der mißlungenen Ehrung am Geburtsort des militärischen Führers auch
auf die Erinnerungskultur hierzulande einzugehen (V-VI). Es ist beabsichtigt, das Bild
der Ausstellung um einige Facetten zu ergänzen.
I. Zur Vorgeschichte
In der Zeit der französischen Fremdherrschaft9 gehörte Hausen zum Kanton Oberaula
im Distrikt Hersfeld des Werra-Departements im Königreich Westphalen, das Napole-
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Vgl. Anne CREPIN: La conscription en débat ou le triple apprentissage de la nation, de la
citoyenneté, de la République, Arras 1998, S. 30.
Vgl. Bettina SEVERIN-BARBOUTIE: Vom freiwilligen Söldner zum westphälischen Untertan –
Militärische Massenmobilisierung im Königreich Westphalen, in: Katalog 2008, S. 121.
Vgl. Inge AUERBACH: Napoleons Hessen, in: Der hessische Löwe und der russische Bär. Die Beziehungen zwischen Hessen-Kassel und Russland 16.-20. Jahrhundert, Marburg 2003, S. 107-111.
Vgl. Modernisierung und Integration in Kurhessen 1803-1866, in: Das Werden Hessens. Hg. von
Walter HEINEMEYER, Marburg 1986, S. 446.
Vgl. Johann Friedrich SCHANNAT: Codex Probationum Clientelae Fuldensis, Francofurti ad
Moenum 1726, S. 313, Nr. CCCLXX. – Vgl. auch Friedrich SCHUNDER: Die von Loewenstein,
Lübeck 1955, Bd. 2, S. 111, Nr. 113.
Vgl. Helmut SEIER: Das Kurfürstentum Hessen 1803-1866, in: Handbuch der hessischen Geschichte
4.2,1 Marburg 1998, S. 10-38: Kurhessen im Napoleonischen Einflußbereich 1803-1813.
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ons I. jüngster Bruder Jérôme Bonaparte (1784-1860) seit 1807 bis 1813 von Kassel
aus regierte.10 Insbesondere kriegsbedingte Lasten durch Einquartierungen und
Zwangsrekrutierungen, Kontributionen, drakonische Strafen für Deserteure sowie Sippenhaftung für ihre Familien und Herkunftsgemeinden, aber auch Bespitzelung, Übertragung französischer Verwaltungsprinzipien und Amtsbezeichnungen, Einfluß französischen Personals und Einführung des Französischen als Amtssprache brachten das
Regime in Mißkredit. In Verbindung mit dem Ausbruch des Kriegs zwischen Österreich und Frankreich kam es 1809 zu Volksaufständen, deren bekannteste Anführer
Andreas Hofer in Tirol und Ferdinand von Schill in Norddeutschland waren. Jérôme
sah einen Zusammenhang, heißt es doch in seinem Kasseler Dekret vom 24. April 1809
für seine Untertanen: „On veut vous persuader que la guerre de l’Autriche contre la
France et la Confédération du Rhin est une occasion favorable à la révolte“. Wohl handelte es sich zunächst um regional begrenzte Aktionen, aber es bildete sich ein Netzwerk von Patrioten, und angesichts eines sich entwickelnden Nationalbewußtseins auch
in den deutschen Staaten wäre eine Zurückführung der sich häufenden Konflikte mit
der Besatzungsmacht allein auf soziale Ursachen nicht hinreichend.
Nicht mehr geläufig ist der Name der führenden Persönlichkeit im kurhessischen Insurrektionsgebiet. Es handelt sich um den am 14. April 1768 auf Schloß
Hausen11 geborenen Wilhelm Caspar Ferdinand von Dörnberg, einen Sohn Carl
Sigismunds von Dörnberg zu Hausen und seiner zweiten Ehefrau Henriette Eleonore Christine von Mansbach. Er wurde als Vierzehnjähriger in Kurhessen Soldat und
brachte es zum Hauptmann der Garde Kurfürst Wilhelms I. und der leichten Infanterie12, trat 1786 in preußische Dienste und gehörte 1806 zu Blüchers Korps, geriet
bei Lübeck in Gefangenschaft, hatte sich nach seiner Freilassung in England aufgehalten und war nach der Bildung des Königreichs Westphalen infolge der Friedensverträge von Tilsit vom 7. und 9. 7. 1807 durch Dekret Napoleons vom
18.8.1807 und durch die Konstitutionsakte vom 15.11. / 7. 12. 1807 nach Hausen
gezogen. Jérôme befahl nämlich „den in fremden Kriegsdiensten stehenden Soldaten, nach Westphalen zurückzukehren. Falls sie seiner Aufforderung nicht nachkamen, drohte er ihre Einkünfter beschlagnahmen zu lassen“13. Dörnberg fürchtete
den Verlust seiner Güter mit einhergehender sozialer Deklassierung14 und führte
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10 Vgl. Helmut BERDING: Jérôme Bonaparte, in: NDB 10, Berlin 1974, S. 414-415.
11 Vgl. Hugo Freiherr von DÖRNBERG-HAUSEN: Wilhelm von Dörnberg, Marburg 1936, S. 5. Danach ist Rudolf von BUTTLAR-ELBERBERG: Stammbuch der Althessischen Ritterschaft, Wolfhagen 1888, zu korrigieren, der Hersfeld als Geburtsort nennt; ebenso Jean Tulard, Dictionnaire
Napoléon, Paris 1987, S. 609. Die Kirchenbücher der Evangelischen Gemeinden in Hausen und
Bad Hersfeld enthalten keinen Geburtseintrag.
12 Vgl. [Rainer VON HESSEN], Wir Wilhelm von Gottes Gnaden. Die Lebenserinnerungen Kurfürst
Wilhelms I. von Hessen 1743-1821. Aus dem Französischen übersetzt und hg. von Rainer VON
HESSEN, 1996, Frankfurt am Main / New York, S. 407.
13 Vgl. Bettina SEVERIN-BARBOUTIE: Vom freiwilligen Söldner zum wehrpflichtigen Untertan –
Militärische Massenmobilisierung im Königreich Westphalen, in: Katalog 2008, S. 121.
14 Vgl. Hugo VON DÖRNBERG: Wilhelm von Dörnberg, 1936, S. 29-30, zitiert aus einem in England
verfaßten Brief Dörnbergs an seine Frau: „Wenn es so fortgeht, so seh ich wahrlich nicht ein, wovon wir am Ende leben wollen. In Hessen haben wir 4362 Thaler schon jetzt bezahlen müssen, Na-
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ein Doppelleben. Zum einen und wurde er zum Kopf der Opposition, die sich überall im Land in patriotischen Vereinen zu formieren begann, mit Kontakten nach
England und Preußen (Gneisenau, Lützow, Scharnhorst, Schill). Zum andern sah er
die Notwendigkeit, sich wie andere Untertanen auch mit dem neuen Herrn zu arrangieren, und erwog, Maîre zu werden. Als er von Jérôme den Befehl erhielt, sein
Dienstzeugnis (Etat de service) einzureichen, beugte er sich dem Druck und leistete
den erforderlichen Eid: Mentalreservation darf unterstellt werden. Mit seinem
wichtigsten bürgerlichen Helfer Si[e]gmund Peter Martin trat er zur Tarnung der
Loge Jérôme Napoléon de la Fidelité (Hieronymus Napoleon zur Treue) bei und
wurde wie dieser „Lehrling“.
Dörnberg erhielt den Rang eines Colonel des Chasseurs de la Garde du Roi de
Westphalie15 und wurde Chef eines Elitebataillons der Marburger Gardejäger sowie
Adjutant des Königs, der ihm überdies den namhaften Betrag von 4000 Francs
schenkte, während die Verschwörung bereits im Gang war. Das Geld konnte nicht
zurückgewiesen werden, wurde aber nicht ausgegeben. Konspirative Treffen fanden
in Homberg wahrscheinlich im Bächenturm, auf dessen Resten sich das heutige
„Dörnbergtempelchen“ erhebt, und sicher im 1759 gegründeten adeligen Damenstift
Wallenstein16 statt. Dort lebten drei von insgesamt dreizehn Stiftsdamen: neben der
Kanonissin Erdmuthe von Metzsch die Dechantin Marianne [Maria Anne] vom und
zum Stein (1754-1831), eine Schwester des preußischen Reformers, und die Äbtissin
Charlotte Christiane Wilhelmine von und zu Gilsa. Die Grabsteine der beiden Letztgenannten sind auf dem Alten Friedhof in Homberg erhalten, das gußeiserne Grabkreuz steht im dortigen Heimatmuseum. Aus dem regionalen Adel gehörten u. a. eine
Nichte der Schwester des 1808 verstorbenen Staatsministers Wilhelm Ludwig von
Baumbach-Lenderscheid und der Homberger Landesjägermeister Gottlob Friedrich
Wilhelm von Buttlar-Elberberg zu den Eingeweihten, ferner Georg von Dalwigk zu
Dillich, Dörnbergs Stiefbrüder Friedrich („Fritz“), ehemaliger Oberforstmeister in
Nassau-Usingen, jetzt in preußischen Diensten, sowie Ludwig [Louis], Rittmeister
der Kürassiere [schweren Kavallerie], und aus der Verwaltung die Bürgerlichen Karl
Wilhelm Ernst Berner, Sous-Inspecteur und Bürochef der Domänen- und Forstdirektion, sowie Si[e]gmund Peter Martin (*15. 10. 1780 in Holzhausen, † 20. 11. 1834 in
Homberg/ Efze), Sohn des Homberger Metropolitans Johann Christian Martin, der
nach Jurastudien in Marburg bis 1801 für Bagatellfälle und eilbedürftige Sachen
zuständige königlich-westphälische Friedensrichter (Juge-de-paix) in Homberg/Efze17 und Logenbruder.
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turallieferungen nicht gerechnet. Ich denke, du legst Dich auf die spanische Sprache und ich auf das
Englische, so können wir damit unser Brot verdienen. [...]. Ich gewinne Zeit, mich an die Knechtschaft zu gewöhnen. Ich wollte, wir säßen erst in Hausen und pflanzten unsere Kartoffeln [...].“
15 Vgl. StA MR, Best. 17 II Regierung Kassel. Herrschaftliche Repositur Nr. 1911: Steckbrief.
16 Vgl. Arthur KLEINSCHMIDT: Das Damenstift Wallenstein zu Homberg unter Jérôme, in: ZHG 25
1890, S. 269-291.
17 Vgl. Herausgeberkollektiv: Biographisches Lexikon zur deutschen Geschichte. Von den Anfängen bis 1945, Berlin [Ost] 21971, S. 448 (Artikel von Heinz HEITZER).
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Abb. 1: Schloß Hausen
(Foto Ludwig Bickell, ca. 1880, Bildarchiv Foto Marburg Archivnummer 812.024 a)
Dörnberg plante als Soldat einen Militärputsch mit seinen ehemaligen Marburger
Jägern als Kern- und aufständischen Bauern als Hilfstruppe. Jérôme sollte mit allen
französischen Generalen in der Nacht vom 22. zum 23. April 1809, an einem Wochenende, gefangengenommen und damit die Befreiung der Heimat eingeleitet werden, die
man sich als Ergebnis einer konzertierten Aktion von erprobten Kämpfern sowie von
Bauern, entlassenen Soldaten, Förstern und z. T. deren Söhnen vorstellte. Ein Attentat
war also nicht vorgesehen. Die Fahne der Aufständischen zeigte den „kaiserlichen
schwarzen Doppeladler auf rotsamtenem Grund“18, eben nicht den hessischen Löwen
und die hessischen Farben Rot und Weiß, wie ein verbreiteter Roman suggeriert, d. h.
man kämpfte nicht für eine Person, den geflohenen Kurfürsten, sondern für eine Sache.
Die von Caroline von Baumbach überreichte Fahne trug die Aufschrift: „Sieg oder Tod
im Kampf für das Vaterland“. Dörnberg hoffte, die Deutschen, speziell die adeligen
Offiziere, aber auch Mannschaften im westphälischen Militär zum Abfall veranlassen
zu können, worin er sich täuschte, und nur die Widerspenstigen sollten von den zivilen
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18 Vgl. SEIER: Das Kurfürstentum Hessen (wie Anm. 9), S. 30 Anm. 64.
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Hilfstruppen in Kassel niedergeworfen werden. Die Zivilisten kommandierten „ungeordnete Haufen schlecht bewaffneter Bauern“19, die nach einem Bericht des westphälischen Offiziers Baumann neben Mistgabeln, Pieken und Sensen auch Quersäcke mit
Brot und Würsten als Wegzehrung mit sich führten und Anweisungen ihrer Greben
(Bürgermeister) folgten. Berner befehligte die Trupps aus den Regionen Ziegenhain /
Treysa und Zierenberg / Wolfhagen, Martin als ihr eigentlicher Organisator die Kontingente der Gemeinden an der Schwalm20. Von Teilnehmern aus dem Aulagebiet wurde bisher nichts bekannt. Eine Kolonne von ca. 800 Mann brach am 22. 4. 1809 abends
in Felsberg auf, eine zweite von ca. 1500 kam von Homberg. Glockengeläut begleitete
den Auszug. Die Gesamtzahl war deutlich höher, ist jedoch nicht genau bekannt. Beim
Abmarsch vom Homberger Marktplatz trug der Tuchmacher Philipp Ehrernfeld die
Fahne, und man sang Luthers Nachdichtung des Antiphons Da pacem („Verleih’ uns
Frieden gnädiglich“), bei Wabern sein Trutzlied „Ein’ feste Burg ist unser Gott“21.
Manch einer suchte Trost in einer Kneipe und ging nach Hause.
II. Das Scharmützel an der Knallhütte
Das Vorhaben wurde nach Überzeugung des militärischen Führers verraten, dessen
Relation der in Westphalen vorgefallenen Ereigniße (1809)22 die „ereignisnächste
Quelle“23 ist. Wie man inzwischen weiß, informierte Wilhelm Ernst Ludwig Otto von
der Malsburg, Günstling Jérômes und sein erster Ehrenstallmeister (premier Ecuyer
d’honneur), am Mittag des 22. April 1809 den Monarchen, dann erzählte Leutnant
Franz von Gayl seinem Onkel, dem Kammerherrn Georg Ludwig von Jagow, was ihm
als Mitverschworenem bekannt geworden war, und dieser unterrichtete Jérôme24. Mitentscheidend dürfte aber auch die unerwartete Verlegung der Marburger Jäger nach
Spanien gewesen sein. Dörnberg begleitete sie bis Mainz und wurde dann nach Kassel
zurückgerufen. Die übrigen Truppen verhielten sich loyal. Ehe die Aufständischen ihr
Ziel erreichten, die zudem verfrüht aufgebrochen waren und sich durch Läuten von
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19 Vgl. Aus der Franzosenzeit von Karl Ferdinand Dithmar † mit einem Geleit von Dr. Helmut
ALLENDÖRFER, in: Homberger Hefte 12, 1974, S. 82.
20 Vgl. StA MR, Bestand 76a Präfektur des Fulda-Departements Nr. 204, Bestand 4h Kriegssachen
Nr. 3303: Aufruf Martins.
21 Vgl. August WORINGER: Der Dörnbergsche Aufstand 1809, in: `MHG 1909/10, 1910, S. 24.
22 Vgl. Carl SCHERER: Zur Geschichte des Dörnbergischen Aufstandes im Jahr 1809, in: HZ 84,
1900, S. 260-262.
23 Vgl. SEIER: Das Kurfürstentum Hessen (wie Anm. 9), S. 30.
24 Vgl. Arthur KLEINSCHMIDT: Geschichte des Königreichs Westphalen, 1893, S. 232-240. – Demgegenüber erscheint das Verhalten Siegmund Peter Martins , das lange kontrovers diskutiert
wurde, für den Ausgang des Aufstands als vergleichsweise unwichtig. Nach Dithmar (Anm. 19,
S. 69) gehörte er einer Familie von Glaubensflüchtlingen aus Frankreich an, handelte aus religiösem Sendungsbewußtsein und wollte daran mitwirken, „den ‚Antichrist’ vom Thron zu stoßen“.
Martin war seinen militärischen Aufgaben offenkundig nicht gewachsen und floh nach Berlin.
Jérôme verurteilte ihn nach seiner Rückkehr erst zum Tod und begnadigte ihn dann 1811 auf Bitten des 71jährigen Vaters, des Metropolitans Johann Christian Martin. Martin jr. arbeitete bis
1813 unter Jérômes Regime als Notar in Eschwege.
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Sturmglocken angekündigt hatten, traten ihnen disziplinierte regierungstreue Soldaten
entgegen, zersprengten die Freischärler mühelos durch einige Kartätschenschüsse der
reitenden Artillerie sowie Attacken der Kavallerie und ließen die meisten laufen. Der
Putsch brach noch während seiner Entstehung zusammen. Über den Ablauf der Ereignisse sind wir durch verschiedene Augenzeugenberichte unterrichtet, z. B. durch die
loyalen Offiziere Friedrich Baumann25 und Georg Julius von Langenschwarz26 sowie
den Unteroffizier Johannes Pfeffer27; er wird als bekannt vorausgesetzt.
Lange in Erinnerung blieb das auch in Romanen beschriebene Gefecht vom Sonntag, dem 23.April 1809, bei einem „kleinen Wirtshaus in der Nähe einer Ziegelei“
(Baumann) bei Renergshausen unweit der Hertingshäuser Heide bei Kassel, der sogenannten „ Knallhütte“. Das Bestimmungswort dieses Kompositums wurde auf die damaligen Kampfhandlungen bezogen28, außerdem auf den Peitschengebrauch von Fuhrleuten: Davon zeugen Aufschriften an den Wänden eines heutigen Lokals an der A 49,
in dem in Erinnerung an Dorothea Viehmann „märchernhafte“ Menus angeboten werden, ein Hinweis auf die Ereignisse von 1809 aber fehlt. Daneben gibt es auch zwei
andere Deutungen: Das Wirtshaus ‘Zum grünen Baum’ oder ‘Zum Birkenbaum’, in
dem am 8. November 1755 Catharina Dorothea Pierson [verheiratete Viehmann], die
Märchenfrau der Brüder Grimm, geboren wurde, führte schon lange vor den militärischen Aktionen vom 23. April 1809 den Namen ‘Knallhütte’, so bezeugen es Teilnehmer wie der Offizier Baumann. August Vilmar gibt in seinem Mundartwörterbuch29 an,
die Bezeichnung leite sich von „einem daselbst befindlichen bretternen Tanzboden“
her. ‘Knallen’ heiße im hessischen Volksmunde soviel als ‘derb auftretend tanzen’, und
in solchen Bretterhütten gebe „das stampfende Tanzen doppelt den Laut des ‘Knallens’“30. Jérômes Bibliothekar bringt das erste Kompositionsglied aber nicht mit dem
„plötzlichen kurzen schall“ von „geschütz“, „gewehr“ und „peitschen“ in Verbindung,
sondern registriert eine „unter dem volke verbreitete“ vielfältige „bildliche verwendung“, darunter „obscön futuere“, und erklärt Knallhütte als „bordell“31. Diese Zweck-
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25 Vgl. Meine Erlebnisse [1845], Halle a. d. Saale 31912.
26 Vgl. Lebenserinnerungen [1840]. Der Nachlaß befindet sich in der Landesbibliothek in Kassel.
Robert Friderici hat einen Auszug veröffentlicht. Vgl. Altes und Neues zum Gefecht an der
Knallhütte (23. IV. 1809), in: ZHG 59/60, 1934, S. 163-164.
27 August WORINGER hat Pfeffers undatierten Aufzeichnungen über die Zersprengung der Felsberger Aufständischen am 23. April 1809 veröffentlicht in: ZHG 59/60, 1934, S. 166.
28 Vgl. Christian RÖTH / Carl VON STAMFORD: Geschichte von Hessen, Kassel 1886, S. 452.
29 Vgl. August Friedrich Christian VILMAR: Idiotikon von Kurhessen, Marburg und Leipzig 1868,
S. 210, Lemma „Knallhütte“.
30 Vgl. August WORINGER: Der Dörnbergsche Aufstand 1809, in: MHG 1909/10, Kassel 1910, S.
27. – Dorothea Viehmann war das älteste Kind des Gastwirts Johann Friedrich Isaak Pierson.
Wie aus dem Kirchenbuch der Gemeinde Schönberg bei Hofgeismar hervorgeht, stammen ihre
Vorfahren aus Lothringen (Metz). Die Bekanntschaft mit den Grimms datiert aus dem Jahr 1813.
Ludwig Emil fertigte eine Radierung Im Wald bei der Knallhütte (1853). Die Stilisierung eines
Abkömmlings aus einer französischen Hugenottenfamilie zur „urdeutschen“ Märchenfrau erklärt
sich wohl aus der aktuellen Auseinandersetzung mit Napoleon und seinem Clan. Die „Viehmännin“ starb am 17.11.1815.
31 Vgl. Deutsches Wörterbuch von Jacob GRIMM und Wilhelm GRIMM, Bd. 5, Leipzig 1873, Sp.
1335-1336.
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bestimmung kommt als namengebendes Motiv wegen des dauerhaften Bezugs zum
Gebäude am ehesten in Betracht. Sie ist bei einsam gelegenen Gasthäusern der Zeit
nicht ungewöhnlich. Vilmar spricht 1868 vielsagend von einem „jetzt ansehnlichen
Wirtshausgehöft“.
Abb.2: August Woringer: Lageplan des Gefechtsfeldes „bei der Knallhütte“ 1809
III. Empfehlung auf französisch
Dörnberg konnte sich im Unterschied zu seinem Mitstreiter Andreas Emmerich
(1737-1809) in Marburg, der am 18. Juli 1809 bei Kassel erschossen wurde, seiner
Gefangennahme und Exekution gerade noch entziehen: Wie der Westphälische
Moniteur / Le Moniteur Westphalien, die zweisprachige Zeitung des Königreichs
Westphalen, am 4. 5. 1809 meldete, sollten die Anführer der Insurrektion mit dem
Tode bestraft werden. Seine nicht informierte und von Repressalien bedrohte Frau
durfte nach einem Gnadengesuch mit den Kindern von Kassel nach Heidelberg
ausreisen32. Die näheren Umstände der spektakulären Flucht haben die Phantasie
der Zeitgenossen ebenso beschäftigt wie spätere Literaten. Dörnberg floh zunächst
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32 Vgl. VON DÖRNBERG (wie Anm. 14), S. 56-57.
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nach Homberg an der Efze, wo er seine Uniform bei Frau von Buttlar gegen die
eines Kutschers auswechselte. Die Äbtissin von Gilsa versah ihn mit Geld, und
durch das Tal der Efze erreichte er Schwarzenborn 33 im Knüll, wo Pfarrer Adam
Willhelm Eichler seinem Patron Unterschlupf gewährte. Von dort aus geleitete der
Gastwirt Richard, ein ehemaliger Soldat im Marburger Jägerbataillon, den Obristen
nach Oberaula. Der dortige Friedensrichter Karl Georg Koch34, Vater des Schriftstellers Ernst Koch [Eduard Helmer]35, stellte einen Paß auf den Namen des Dörnbergischen Conductors (Pächters) Carl Dietrich Otto aus Hausen aus, dessen Gespann den weiter als Kutscher verkleideten Flüchtling auf einer nicht bekannten
Route nach Fulda brachte. Blickt man auf die Karten36, dann könnte der Fluchtweg
aus der Region Kassel (Departement der Fulda) in Richtung Süden ins Departement
der Werra über Homberg, Schwarzenborn im Knüll und Oberaula sowie die Familiensitze Hausen und Breitenbach am Herzberg via Schlitz ins Fürstentum Fulda
geführt haben. Ohne ortskundige Fluchthelfer wäre das Unternehmen nicht gelungen. In Fulda fand der prominente Reisende die nötige Unterstützung: „Staatsrat
Freiherr von Schenk [zu Schweinsberg] und Postmeister Oswald waren in die Sach-
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33 Kantonsort im Distrikt Hersfeld von 1807 bis 1813. Die Familie von Dörnberg übt seit 1465 das
Patronat über die Kirche aus. Ein Amtsweg führte über Friedigerode nach Oberaula.
34 Vgl. Almanach Royal de Westphalie, pour l’an 1810, Cassel 1810, S. 203, Juge-de-Paix im
Canton OberAula: Koch. Der aus Wanfried stammende Staatsbedienstete bekleidete diese Funktion auch nach dem mißglückten Putsch noch bis 1813, u. a. in Neukirchen (Schwalm), wurde
1816 Oberschultheiß in Witzenhausen und ab 1821 Regierungsrat in Kassel: NDB (Ernst Koch),
Berlin 1980, S. 261. Die Kollaboration war ebensowenig karriereschädlich wie z. B. noch bei Jacob Grimm, der seit dem 5.7.1808 Jérôme als Privatbibliothekar diente und am 1. 5. 1816 eine
Anstellung an der Kurfürstlichen Bibliothek erhielt, die er bis zu seinem Ausscheiden am
31.10.1829 innehatte.
35 Ernst Wilhelm August Koch (* 3.6.1808 in Singlis [Schwalm] † 24.11.1858 in Luxemburg),
verlebte Jugendjahre auch in Neukirchen (Schwalm), legte 1825 das Abitur in Kassel ab, studierte Jura in Marburg und Göttingen, arbeitete nach Examen und Promotion zum Dr. jur. vorübergehend im kurhessischen Staatsdienst, wurde aus politischen Gründen entlassen und ging nach
Auflösung seiner Verlobung und einem Zerwürfnis mit seinem Vater 1834 in die französische
Fremdenlegion. 1839 fand er am Athenäum in Luxemburg eine Anstellung als Professor der
deutschen Sprache. Unter dem Pseudonym Eduard Helmer war er schriftstellerisch tätig. Aus
seinem Roman Prinz Rosa Stramin (1834) wird bis heute der Vergleich zitiert: „Göttingen hat
eine Universität, Marburg ist eine...“ Vgl. Neudruck. Mit Bildschmuck von Otto Ubbelohde und
einem Nachwort von W. Eckhardt, Marburg 1965, und Ernst Koch, Prinz Rosa Stramin. Herausgegeben von Wilhelm A. Eckhardt. Mit Illustrationen von Otto Ubbelohde, Marburg 2008. Der
Band enthält im Anhang die Skizze: Ernestine von L. [= Henriette Treusch von Buttlar], Bürgerhaus. Eines Dichters Liebe [= 2. Teil des Buchs König Jérôme und seine Familie im Exil, Jena
1872].
36 Vgl. Royaume de Westphalie Département de la Werre. Charte von dem Departemente der Werra des Königreichs Westphalen. Auf Höchsten Königlichen Befehl entworfen und herausgegeben. Weimar im Verlage des Geograph[ischen] Instituts 1809. – General=Charte von dem Königreich Westphalen zugleich als Tableau d’Assemblage für den durch Königlichen Befehl herausgegebenen Departements=Atlas und als vollständige Post-Charte des Königreichs zu benutzen.
Entworfen und gezeichnet von C. F. Weiland, Weimar im Verlage des Geographischen Instituts
1812.
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lage eingeweiht und sorgten für ein schnelles Weiterkommen“37. Die Poststation
befand sich damals im Gasthaus „Zum weißen Schwan“, wo sich Dörnberg versteckt hielt, bis er sich durch Vermittlung Oswalds einem französischen Kurier
anschließen konnte38 und glücklich über Brückenau, Hammelburg und Schweinfurt
bis in den Raum Bamberg und damit in österreichisch kontrolliertes Gebiet kam,
aus dem er über Bayreuth, Selb und Eger nach Prag zu dem dort im Exil lebenden
Kurfürsten Wilhelm I. gelangte, der nach der österreichisch-kurhessischen Konvention vom 20.3.1809 eigene Pläne zu seiner Restituierung verfolgte. Zwar stellter er
30.000 Taler bereit, machte die Auszahlung aber von einem Erfolg des Aufstands
abhängig39. Eine Offerte mit einer solchen Zielvereinbarung war weder hilfreich
noch annehmbar. In seinen Memoiren äußert sich der Kurfürst distanziert: „Am 1.
Mai [1809] traf unversehens Oberst [Wilhem v.] Dörnberg, ehedem Hauptmann in
meiner Garde, dann in preußischen Diensten, zuletzt in der Garde des Usurpators,
nach einer Revolte in Hessen hier ein. Sie war unglücklicherweise gescheitert“40.
Wilhelm zeigte sich verschnupft, weil seine Warnung vor einer „Insurrection ohne
militärische Hilfe“ speziell Österreichs mißachtet worden sei, und der Anführer der
Putschisten zog es danach vor, in ein braunschweigisches Freikorps, das nach den
Uniformen (schwarzer Waffenrock mit blauen Aufschlägen, schwarzer Tschako mit
Feldbusch und weißem Totenkopf) „Schwarze Schar“ hieß, einzutreten und ein
Engagement in Hessen künftig zu meiden, sieht man von einer kurzen Beurlaubung
aus englischem Dienst 1814 ab, obwohl er am 30. 11. 1814 mit dem Großkreuz des
Hausordens vom goldenen Löwen ausgezeichnet worden war41 und sein Ehrenamt
als Erbküchenmeister nicht aufgab. Ein Bauer aus Hausen hat Dörnbergs Familie in
Kassel die frohe Kunde von der gelungenen Flucht gebracht und ihr versichert, die
Einheimischen würden den Flüchtling niemals verraten42. Dieser galt als Eidbrecher und Hochverräter, wurde mit Dekret vom 29. 4. 1809 von Jérôme zum Tod
verurteilt und steckbrieflich43 gesucht.
––––––––––
37 Vgl. Paul SCHLITZER: Wilhelm von Dörnberg. Ein unbekanntes Bildnis des hessischen Freiheitskämpfers, in: Fuldaer Gbll. 50, 1974, S. 130.
38 Vgl. Ernst ZEIER: Der Posthalter Jean Baptist Oswald 1785-1856, in: Buchenblätter 63, Nr. 12,
15.5. 1990, S. 45.
39 Vgl. VON DÖRNBERG (wie Anm. 14), S. 39.
40 Vgl. Wir Wilhelm von Gottes Gnaden (wie Anm. 12), S. 379.
41 Vgl. Kurfuerstlich Hessisches Hof= und Staats=Handbuch auf das Jahr 1836, Kassel 1836, S. 14
Nr. 13. Ausgezeichnet wurde er als „Kön[iglich] Großbr[itannisch] Hann[overscher] Gener[al]
Lieut[nant] Wilh[elm] Casim[ir] Ferd[inand] v[on] Doernberg.
42 Vgl. Heinrich BISCHOFF: Chronik der Gemeinde Hausen, 1970, S. 51 (Dörnbergische Familienüberüberlieferung). Es handelte sich wohl nicht um einen Boten, sondern einen „Buttermann“,
der regelmäßig seine Ware zum Markt in Kassel brachte und daher unverdächtig war.
43 Vgl. StA MR, Best. 17 II Regierung Kassel, Handschriftliche Repositur Nr. 1911 (Text).
Der Aufstands-Dörnberg
187
Abb. 3: Anonymus: Oberst Wilhelm v. Dörnberg, 1809
(aus: Fuldaer Gbll. 50, 1974, S. 129)
In einem undatierten Aufruf Jérômes in französischer und deutscher Sprache an die
Soldaten44 heißt es: „Der Oberst von Doernberg, den ich wuerdig gehalten habe, zu
eurem Chef zu ernennen, der mein ganzes Zutrauen besaß, und der taeglich mir seinen
Eifer und seine Anhaenglichkeit an meine Person betheuerte, zeigt sich erst jetzt als ein
niedertraechtiger Verraether, indem er sich an die Spitze einer Rebellion stellt und
einige unglueckliche Landlaeute zu verleiten sucht.
Dieser Mensch, unwuerdig des Namens eines Soldaten, sieht sich bereits genoethigt, die Flucht zu errgreifen. Zwei Compagnien eurer braven Cameraden, die er
gleichfalls hatte verfuehren wollen, deren Treue gegen ihren Souverain aber unerschuetterlich war, haben ihn geschlagen. Auf die schaendliche Einladung dieses Verraethers haben sie geantwortet, in dem sie die Waffen wider ihn erhoben.
Jaeger der Garde und Jaeger=Carabiniers! Vergeßt, daß dieser Niedertraechtige die
Ehre genossen hat, an eurer Spitze zu stehen. Vertilgt seinen Namen fuer immer aus
eurem Andenken, oder erinnert euch dessen nur, um ihn der Verachtung, welche er
ueberall erregen muß, Preis zu geben.
Bald soll sein Schicksal entschieden seyn: er wird den Tod sterben, welcher der
Lohn der Verraether und Straßenraeuber ist“.
Wilhelm von Dörnberg beteiligte sich nach dem gescheiterten Staatsstreich im Königreich Westphalen bis zum Schluß an den Befreiungskriegen, wie sein Biograph
Hugo von Dörnberg im einzelnen ausführt. Er beriet z. B. den britischen Botschafter
––––––––––
44 Vgl. StA DA, Best. E 8 A Nr. 357/17.
188
Hans Günther Bickert
und Militärbevollmächtigten in St. Petersburg45, kämpfte in der Schlacht an der Beresina am 31. 10. 1812, war Zeuge der Konvention von Tauroggen am 30. 12. 1812 und
zeichnete sich bei Waterloo aus. Wellington hatte u. a. bei nahegelegenen Höfen wie
Papelotte und Hougoumont Stellung bezogen, Napoleon auf der Anhöhe BelleAlliance. Während der Entscheidungsschlacht am 18. Juni 1815, die durch einen Angriff Jérôme Bonapartes eingeleitet und das Eintreffen preußischer Soldaten bei Papelotte entschieden wurde, erlitt Dörnberg im Rang eines britischen Generalleutnants als
Befehlshaber in der Kavallerie von Wellingtons Stellvertreter Lord Uxbridge und als
Kommandeur der Nachhut bei Hougoumont durch einen Lanzenstich in die linke Lunge eine lebensgefährliche Verwundung und mußte nach Brüssel in Sicherheit gebracht
werden, bevor die Entscheidung gefallen war. Die Erbitterung, mit der auf beiden Seiten gefochten wurde, verdeutlicht der Kampfruf der französischen Angreifer: „ Pas de
pardon pour ces coquins verts – kein Erbarmen mit den grünen Schurken [den Jägern
der Deutschen Legion]!“ Dementsprechend entwickelte sich ein gräßliches Gemetzel46,
in dem auch die Preußen nichts schuldig blieben. Die auch schon früher zu beobachtende Härte der Kriegführung muß man bedenken, wenn man Ernst Moritz Arndts Lied
vom Dörnberg (1813) verstehen will, in dem es etwa heißt: Dörnbergs Mitkämpfer
„dürsten all Franzosenblut / Mit Durst der edlen Leuen“ und „Da mußt’ noch mancher
welsche Hund / Sich blutig auf dem grünen Grund / Durch seinen Säbel legen“.
Viele im Kampf gegen Napoleon verbündete Regierungen haben Dörnbergs diplomatische und militärische Leistungen gewürdigt und höchste Auszeichnungen verliehen, darunter die Würde eines Ehrenkomturs des Bath-Ordens (Knight Commander of
the Bath), weshalb das Dörnbergsche Wappen in der Westminster Abbey angebracht
wurde. Zuletzt war er Hannoverscher Gesandter in St. Petersburg (1825-1835). Als
„königlich großbritannischer Generalleutnant“ vermählte er seine Tochter Selma Thusnelda (6. 7. 1797 – 28. 1. 1869) mit dem königlich preußischen Oberstleutnant im Generalstab Graf Karl von der Groeben (17. 9. 1788 – 13.7.1876) auf Neudörfchen (Ostpreußen). Die Hochzeit fand am 8. Juli 1816 auf Schloß Hausen statt und wurde von
Max von Schenkendorff besungen47. Dieser aus Tilsit stammende Dichter patriotischer
Lyrik (z. B. An den Sandwirt von Passeier) verfaßte ein mythologisch überformtes
Hochzeitsgedicht mit Anspielungen auf die Ossianische Heldendichtung, das Nibelun-
––––––––––
45 Vgl. Encyclopaedia Britannica Vol. 5, London 1958, p. 32: Danach war William Schaw Cathcart
(1755-1843), Sohn des britischen Botschafters in St. Petersburg, Student der Rechte u. a. in
Dresden und Truppenführer in Deutschland 1805, ab 1812 „ambassador and military commissioner in Russia“ bis 1820.
46 Der ehemalige französische Premierminister Dominique de Villepin zitiert in seinem Buch Les
Cent-Jours ou l’esprit de sacrifice den Befehl des Generals Roguet: „Messieurs, prévenez les
grenadiers que le premier d’entre qui m’amène un prisonnier, je les fais fusiller – Warnen Sie,
meine Herren, die Grenadiere, daß ich den ersten, der mir einen Gefangenen bringt, erschießen
lasse!“
47 Vgl. Seinem ältesten Freunde Karl Graf von der Groeben, als er sich mit dem Fräulein Selma
von Dörnberg vermählte. Auf Schloß Hausen in Kurhessen am 8. Juli 1816, in: Gedichte von
Max von Schenkendorff. Fünfte Auflage. Mit einem Lebensabriß und Erläuterungen herausgegeben von August HAGER, Stuttgart 1878, S. 209-213. – Vgl. auch den Eintrag im Kirchenbuch
Hausen 1774 – 1830, S. 52.
Der Aufstands-Dörnberg
189
genlied (Dörnberg galt anderen als „Siegfried der Befreiungskriege“48) und den aktuellen Krieg. Die Trauung vollzog der Vater des bekannten Marburger Gymnasialdirektors, Germanisten, Theologen und Politikers August Vilmar49, der Ortspfarrer Johann
George Vilmar. Dörnberg, seit 1795 mit Gräfin Julie Maximiliane Friederike Caroline
Eleonore Amöne von Münster-Meinhövel verheiratet, starb am 19.März 1850 in der
evangelischen Militärgemeinde zu Münster in Westfalen und wurde in Ponarien, Kreis
Mohrungen in Ostpreußen [heute Ponary, Wojewodschaft Olsztyn / Allenstein], beigesetzt. Dort lebte seine Tochter Auguste Emilie Asta Ernestine (1.5.1815 – 27.1.1876)
auf dem Anwesen ihres Mannes, des Grafen Arthur von der Groeben.
IV. Literarischer Nachruhm
Als historische Persönlichkeit von überregionaler Bedeutung fand Dörnberg durch Ernst
Moritz Arndt und Max von Schenkendorff Eingang in die zeitgebundene politische Lyrik
der Befreiungskriege wie Andreas Hofer und das Freikorps des Majors Adolf v. Lützow
mit seinen dichtenden Mitgliedern Joseph von Eichendorff und Theodor Körner. Zu Mantua in Banden von Julius Mosen gehörte ebenso zum poetischen Hausschatz wie Der
Jäger Abschied mit den Anfangsversen „Wer hat dich, du schöner Wald, / Aufgebaut so
hoch da droben“ von Eichendorff, der zudem in seinem Roman Ahnung und Gegenwart
auch der Tiroler Gesinnungsgenossen gedachte, während Körners Gedicht Lützows wilde
verwegene Jagd in der Vertonung von Carl Maria von Weber im Liedgut der Männergesangvereine überdauerte. Die Erinnerung an den „Aufstands-Dörnberg“ lebt aber auch in
der hessischen Literatur und in der mündlichen Überlieferung fort, wobei besonders die
Umstände der Flucht, über die unterschiedlich berichtet wird, die Phantasie erregten. In
der großen Dichtung jedoch, für die stellvertretend Lev Tolstojs Vojna i mir (Krieg und
Frieden, 1864-1869) genannt sei, wird Dörnberg ungeachtet seiner Teilnahme an Kriegshandlungen auch auf russischer Seite nicht erwähnt, obwohl sein doppelter Loyalitätskonflikt einen Stoff ergibt, aus dem sich ein Roman wirken läßt.
Daran versuchten sich hessische Schriftsteller nicht ohne Erfolg50: Inzwischen vergessen ist der wohl auflagenstärkste Bestseller König Jérôme’s Karneval (1855) von
––––––––––
48 Vgl. SCHERER: Zur Geschichte des Dörnbergschen Aufstandes (wie Anm. 22), S. 258.
49 August F[riedrich] C[hristian] Vilmar (* 21.11.1800 † 30.7.1868), Gymnasiallehrer in Hersfeld
und Direktor des Marburger Gymnasiums, Vortragender Rat für Kirchen- und Schulwesen im
Innenministerium in Kassel, 1855 Professor für Theologie in Marburg. Aus dem Kreis seiner
Anhänger bildete sich 1866 nach der Annexion die antipreußische „Hessische Rechtspartei“.
Vilmar verfaßte u. a. eine mehrfach aufgelegte Geschichte der deutschen Nationallietratur
(1845) und ein Idiotikon von Kurhessen (1868).
50 Vgl. Milian SCHÖMANN: Napoleon in der deutschen Literatur, Berlin und Leipzig 1930, weiß
nichts davon. – Unergiebig ist Ludwig RELLSTAB: 1812. Ein historischer Roman, 1834. – Nun ist
heranzuziehen: Maria SCHULTZ: „Morgen wieder lustik!“ Die Erinnerungen an Jérôme Bonaparte
und das Königreich Westphalen in Deutschland (1817-1813), in: Katalog 2008, S. 169-175. Geboten wird eine Auswahl, in der allerdings weder Schenkendorff oder der einst verbreitete Roman Sieben Jahre schwere Zeit (1864) von Christian Röth erwähnt werden.
190
Hans Günther Bickert
Heinrich (Josef) König51 aus Fulda (* 19.3.1789, † 23.9.1869 in Wiesbaden), der sich
mit den Verhältnissen in Westphalen beschäftigt, darunter dem Dörnbergschen Aufstand. Dem ehemaligen Abgeordneten im kurhessischen Landtag (1832-1833), der sich
seit 1847 als freier Schriftsteller betätigte, wurde in Marburg auf Antrag des Historikers
Heinrich von Sybel „ob splendidum ingenium elegantissimis libris comprobatum“ 1848
die Ehrendoktorwürde verliehen52. Am bekanntesten ist Karl Ludwig Mohrs Rot-Weiß,
1997 in fünfter Auflage erschienen, aus der während des Hessentages 2008 im „Dörnbergtempelchen“ vorgelesen wurde. Dörnbergs Fall ist komplizierter als der seiner
politischen Freunde in Preußen, die es nur mit einem zögerlichen Landesherrn zu tun
hatten, der Gneisenaus Pläne für einen Volksaufstand „als Poesie gut“ zurückwies, und
sich auch ohne seine Zustimmung zum Handeln entschlossen. Theodor Fontane hat in
Vor dem Sturm (II, Kap. 13) für diese Situation eine Formel gefunden, die auch dem
Selbstverständnis des hessischen Freiheitskämpfers erst recht nach dem Erlebnis von
Tauroggen entspricht: „Sich entscheiden ist schwerer als gehorchen. Schwerer, und oft
auch treuer“. Darauf lassen private Aufzeichnungen schließen53.
Als Beispiel für Dörnbergs Popularität auch außerhalb Hessens kann der Erfolgsroman Bei der Knallhütte (1862) von August Ferdinand Meyer (* 19. 11. 1811 in Pyritz / Pommern † 17.2. 1884 in Joachimsthal / Uckermark) gelten. Er setzt im Damenstift Wallenstein ein, wo sich die Verschwörer beraten, und schildert das Motiv des
Anführers für seinen Eintritt in westphälische Dienste in einem fiktiven Gespräch mit
seinem Bruder Fritz (Bd. 1, S. 60-63), ferner die „Schlacht [!] bei der Knallhütte (Bd.
1, S. 181-187) sowie Niederlage und Flucht Dörnbergs (Bd. 2, S. 21-29) dem damals
geläufigen Wissen entsprechend. Wenn Meyer den Fehlschlag auf Verrat zurückführt,
teilt er Dörnbergs Sicht, und wenn er die Insurgenten mit dem Ruf „Deutschland über
alles!“ aufbrechen läßt, deutet er das Geschehen aus der Perspektive der Nationalbewegung. Dies erklärt auch die Neuauflage 1925.
Dörnbergs Rolle bei der Beseitigung der Fremdherrschaft in seiner Heimat wird auch
von der marxistischen Geschichtsschreibung gewürdigt. Er wird als deutscher Patriot
geschätzt. Wohl werden die Führungsqualitäten und das Urteilsvermögen des „anerkannten Führers des hessischen Aufstandes“ als gering beurteilt, und es trifft ihn der Vorwurf,
sich hauptsächlich auf den althessischen Adel gestützt und einen Volksaufstand nicht
––––––––––
51 Vgl. Karl GOEDECKE: Grundrisz zur Geschichte der deutschen Dichtung, Bd. 10, Dresden 1895,
S. 305-314. – NDB 12, Berlin 1980, S. 339-340. – Deutsches Literatur-Lexikon. Biographischbibliographisches Handbuch. Begründet von Wilhelm Kosch, Bd. 9, Bonn-München 31984, Sp.
95-96. – Königs Geschichtlicher Roman. In drei Theilen erschien bei Brockhaus in Leipzig.
52 Vgl. StA MR, Best. 307 d Nr. 85 Bd. I (nicht paginiert). Sybels Antrag vom 18.3.1848 spricht von
Königs dichterischem Talent, und der Altphilologe Joseph Rubino lieferte die lateinische Begründung,
die sich in dem noch vorhandenen Diplom wiederfindet. Das Datum lautet „die XXV. M. Aprilis
a[nno] MDCCCXLVIII“. Zum Promotor wurde Bruno Hildebrand bestimmt, Professor der Staatswissenschaften, der vom 19.2.1847 bis zum 17.3.1848 wegen Majestätsbeleidigung suspendiert war, „außer Funktion“, wie es im „Verzeichnis des Personals und der Studirenden“ im Wintersemester 1847/48
heißt, und von der reaktionären Regierung in Kassel 1851 sogar unter Hausarrest gestellt wurde, so daß
er in die Schweiz floh und in Zürich lehrte. Es liegt nahe, in der Ehrenpromotion Königs auch die Auszeichnung eines liberalen Oppositionellen durch Gesinnungsgenossen zu sehen.
53 Vgl. VON DÖRNBERG (wie Anm. 14), 1936, S. 44.
Der Aufstands-Dörnberg
191
beabsichtigt zu haben, doch gilt er als einer der „besten Vertreter seiner Klasse und seines
Standes. Er opferte seine angesehene Stellung am Hofe der Befreiung Hessens und ganz
Deutschlands vom Napoleonischen Joch“. Nachdem dieses Ziel erreicht war, wurde
Dörnberg wieder „ein durchschnittlicher Truppenkommandeur, von dem die Geschichte
keine Notiz nahm, als die 25jährige Zeit der Revolutionen und Völkerkriege wieder vorüber war“54. In historischen Romanen blieb er freilich gegenwärtig.
V. Die Hausener Lokaltradition
Eine neue Legende vom Hufeisen. – Die Analyse der Augenzeugenberichte hat zu dem
Ergebnis geführt, daß Dörnberg, „der, an seiner westfälischen Uniform ohne weiteres
kenntlich, auf der großen Straße nach Süden davonsprengte“, Reitern nicht hätte entgehen können55. Er wurde aber offensichtlich nicht von Berittenen verfolgt, sei es, weil
sich der kommandierende General Reubel (Rewbel) wegen der Unübersichtlichkeit der
Lage zurückhielt, sei es, weil sich der mit ausgerückte Oberst von Marschall verweigerte. Für die spektakuläre Flucht gibt es in der volkstümlichen Überlieferung eine
andere Erklärung. Wie man sich im Geburtsort des Obristen bis heute erzählt, hat
Dörnberg während einer Rast seinem Pferd die Hufeisen verkehrt herum aufschlagen
lassen, um seine Verfolger zu täuschen56. Die Ortschronik führt dazu aus57: „Martin
Gutberlet, der im Jahre 1786 in Hausen eine geborene Stüber heiratete58, ist der Retter
des Obersten Wilhelm v. Dörnberg gewesen. Als letzterer auf seiner Flucht nach dem
mißlungenen Aufstand bei der ‘Knallhütte’ zu Pferde im Gutshof Hausen ankam, brach
das Roß tot zusammen. Es hatte von dem scharfen Ritt einen Lungenschlag bekommen.
Schnell verscharrten die beherzten Hausener Männer, darunter auch Martin Gutberlet,
der Kutscher des einstmaligen holländischen Hauptmanns Wilhelm v. Dörnberg, das
tote Pferd unter der Dungstätte, damit die nachspürenden Gendarmen Jeromes keine
Anhaltspunkte haben sollten. Der Friedensrichter Koch aus Oberaula stellte auf den
Namen des damaligen Gutpächters Otto in Hausen einen Paß für Wilhelm v. Dörnberg
––––––––––
54 Vgl. Heinz HEITZER: Insurrektionen zwischen Weser und Elbe. Volksbewegungen gegen die
französische Fremdherrschaft im Königreich Westfalen (1806-1813), Berlin [Ost] 1959, S. 165;
164; 143. Es handelt sich um eine überarbeitete Dissertation am Institut für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED. – Vgl. Biographisches Lexikon (wie Anm. 17), S. 138-139 mit falschem Geburtsmonat (Januar statt April).
55 Vgl. Robert FRIDERICI: Altes und Neues zum Gefecht an der Knallhütte (22. IV. 1809), in: ZHG
59/60, 1934, S. 165.
56 Vgl. Paul GÖRLICH: Hausen – einst fuldischer Klosterbesitz, in: Buchenblätter 40 Nr. 21, 1967, S. 81.
57 Vgl. BISCHOFF: Chronik (wie Anm. 42), S. 50-51. Die Auskunft erteilte demnach Frau Gertrud
Hofmann †, eine geborene Gutberlet, die den Kutscher Martin zu ihren Ahnen zählte.
58 Vgl. Kirchenbuch Hausen 1774-1830, S. 15: „Martin Guthberlet, weiland Caspar Guthberlets
von Völkershausen nachgelaßener ehelicher Sohn [copulirt am 26. Juli 1786 mit] Elisabeth Stüberin, Johann George Stübers Einwohners und Schneider Meisters allhier eheliche Tochter“. Der
„gewesene und pensionirte Kutscher“ wurde nach einer Eintragung an anderer Stelle (S. 151) am
13.2.1754 in Hausbreitenbach [bei Berka an der Werra] geboren und starb am 2.2.1831 in Hausen. Nach dem Kirchenbuch Hausen 1830-1861, S. 7 kam seine Ehefrau am 28.10.1756 in Hausen zur Welt und starb dort am 28.8.1833. Grabsteine sind nicht erhalten.
192
Hans Günther Bickert
aus. Martin Gutberlet führte den Verfemten in einem Kutschwagen in hastiger Fahrt
durch die französischen Ketten bis nach Schlitz. Dort wurde der Oberst als Dame verkleidet und die Flucht ging weiter bis nach Böhmen. Martin Gutberlet war stets sein
treuer Begleiter“. Auf Hugo von Dörnberg geht die folgende Ergänzung zurück59: Die
Bevölkerung des heimatlichen Hausen übermittelte Dörnbergs Frau Julie „durch einen
getreuen Boten zugleich mit dem Ausdruck der eigenen Anhänglichkeit die Grüße des
geflüchteten Gatten“. Diese Mitteilung schmückt der Ortschronist aus60: „Als ein Hausener Bauer den nächsten Angehörigen des Obersten in Kassel die Nachricht von der
gelungenen Flucht und dem kurzen Aufenthalt Wilhelm v. Dörnbergs in Hausen brachte, fing das [!] Töchterlein des Freiherrn jämmerlich an zu weinen. Der Bauer aber
tröstete das Fräulein: ‘Alle Leute drücken ihrem Vater die Hand. Fräulein seien beruhigt, wir haben alle den Vater sehr lieb. Solange wir leben, wird keiner von uns den
guten Herrn verlassen, keiner ihn ausliefern, sei der Preis auch noch so hoch, der auf
seinen Kopf gesetzt ist’.“
Die Hausener Version scheint im wesentlichen von der Familie Guthberlet ersonnen
worden zu sein. Sie stimmt mit der Überlieferung in wichtigen Punkten nicht überein.
Wilhelm von Dörnberg selbst erwähnt überhaupt keine Details. Biograph Hugo von
Dörnberg berichtet aus der Familienüberlieferung 1936 von der Rückkehr in die heimische Region und läßt drei Jahre später seinen Helden in Hausen Station machen61. Wilhelms Aufenthalt bei Friedensrichter Koch in Oberaula und die Hilfsdienste des Pächters Otto sowie des Postmeisters Jean Baptist Oswald (2.11.1785-24.7.1856) in Fulda,
dessen Grabstein sich auf dem städtischen Friedhof erhalten hat, sind gesichert62. Der
Vorfall mit dem Pferd gehört aber ebenso ins Reich der Phantasie wie die Flucht des
Obersten in Frauenkleidern und die permanente Begleitung durch seinen Hausener
Kutscher. Dörnberg selbst spricht euphemistisch von „manchen Abenteuern“ auf dem
Weg nach Prag63. Wenn er auch auf seiner „ganzen Route“ keine französischen Truppen bemerkt hat, sieht man einmal von einem unbedeutenden Depot bei Fulda ab64, so
war das Unternehmen doch riskant. Fulda war ein Knotenpunkt militärischer Bewegungen. 1809 passierte die französische Rheinarmee die Stadt auf dem Weg nach
––––––––––
59 Vgl. VON DÖRNBERG (wie Anm. 14), S. 56-57.
60 Vgl. BISCHOFF: Chronik (wie Anm. 42), S. 51.
61 Vgl. Wilhelm von Dörnberg (1768-1850). Generalleutnant, Freiheitskämpfer, in: Lebensbilder
aus Kurhessen und Waldeck 1, 1939, S. 85. Darauf stützt sich offenbar Hans MÖLLER: Meine
Stadt am Knüll, Schwarzenborn 1979, S. 40: „Dörnberg wechselte in Hausen sein Pferd, und sein
Pächter Otto brachte ihn noch am gleichen Tag nach Fulda“.
62 Vgl. WORINGER: Der Dörnbergsche Aufstand (wie Anm. 30), S. 36. Nach der Übernachtung in
Schwarzenborn „brachte ihn [Dörnberg] der Pächter seines Gutes Hausen zu Wagen nach Fulda,
wo ihn der Postmeister Oswald einem französischen Kurier als Begleiter beigab, mit dem er unangefochten nach Böhmen gelangte“.
63 Vgl. die Autobiographie bei Friedrich BÜLAU: Geheime Geschichten Bd. V, Leipzig 1854, S.
420. Ein Beispiel gibt Henrik STEFFENS: Was ich erlebte, 1910, S. 84: „Noch am zweiten Tage
war er [Dörnberg] in Gefahr, ergriffen zu werden. Er ward erkannt und rettete sich nur durch seine Geistesgegenwart“. Außerdem überstand er unbeschadet einen Wagenunfall.
64 Vgl. Relation der in Westphalen vorgefallenen Ereigniße, in: HZ 84, 1900, S. 263.
Der Aufstands-Dörnberg
193
Österreich65, und die Gefahr, entdeckt zu werden, war sehr groß. Ein Steckbrief bedrohte alle Helfer mit dem Tod, und in einer solchen Situation gibt es keine Sicherheit
vor Denunzianten. Alle Eingeweihten haben aber der Versuchung widerstanden. Sie
stammen aus fast allen Teilen der Bevölkerung.
Der signifikanteste Unterschied zu den historischen Quellen ist aber der Hufeisentrick. Davon wird bereits in der friesischen Sage Der Riese Rapel berichtet. Wenn dieser Menschenfresser und Räuber ausritt, „verwirrte“ er seine Spuren, „indem er die
Hufeisen verkehrt herum unternagelte“66. Es gibt aber auch Beispiele aus Hessen, und
regionales Erzählgut dürfte als Vorlage gedient haben. Hofmeister Hans von Dörnberg,
der „heimliche Landgraf“, hat ihn der Sage nach als erster der Dynastie wenn auch zu
anderem Zweck angewendet. Der berüchtigte Chefdiplomat Landgraf Heinrichs III.
von Oberhessen wurde für seine Dienste am 28. 10. 1463 durch Erzbischof Adolf von
Nassau auch mit Schloß Hausen und der Hälfte des Gerichts Oberaula belehnt. Nach
der Gründungssage von Neustadt bei Marburg bewohnte er nach einem Teufelspakt
einen Turm, den um 1480 von Hans Jakob von Ettlingen erbauten Junker-HansenTurm, und ließ bei der Heimkehr seinem Pferd „die Hufeisen mit den Stollen nach
vorn“ auflegen, damit es besser die Mauer erklimmen konnte67. Der genannte Baumeister des hessischen Landgrafen befestigte übrigens auch die Burg Herzberg durch Geschütztürme (1483-1487) und überprüfte wohl auch die Wasserburg in Hausen. Wir
begegnen dem schon bekannten Täuschungsmanöver eines Flüchtigen etwa in der Geschichte Der letzte Ritter von der Landsburg68. Auch berichtet eine Sage um das
Schloß Ulrichstein im Vogelsberg von Raubrittern, die den Pferden die Hufeisen verkehrt auflegten, „um die Verfolger zu trügen“69. In der Sage Die Weidelsburg und die
hessische Weibertreue macht sich Ritter Reinhard von Dalwigk als Straßenräuber viele
Feinde, aber er weiß ihnen immer wieder zu entkommen. Einmal hatten sie ihn beinahe
erwischt: „Da ließ er seinem Pferde die Hufeisen verkehrt aufschlagen“, führte dadurch
die Verfolger in die Irre und war gerettet70.
Mit der Übernahme des Motivs sollte wohl zum Ausdruck gebracht werden, daß sich
Dörnberg, wie sein Ahn mit allen Wassern gewaschen und in einer dem Ritter Reinhard
vergleichbaren Lage, seiner Gefangennahme nach Art der „Raubritter und Wegelagerer der
verschiedensten Art“71 entzogen habe. Die Aufnahme einer anrüchigen List in die volkstümliche mündliche Überlieferung macht die Geschichte nicht nur interessant und spannend, zumal das Schicksal des Pferdes in den Blick genommen werden muß, sondern auch
––––––––––
65 Vgl. Peter JACOB: Die Entwicklung des Postwesens im Gebiet des ehemaligen Hochstifts Fulda
von den Anfängen bis zum Ende der Thurn und Taxis-Post, in: Fuldaer Gbll. 76, 2000, S. 42.
66 Vgl. Heinz RÖLLEKE: Das große deutsche Sagenbuch, Düsseldorf 2001, S. 55 Nr. 21.
67 Vgl. Emil SCHNEIDER: Hessische Sagen, Marburg 61936, S. 21 Nr. 24. Nach der Lokaltradition
bediente sich Junker Hans dieses Mittels beim Ausritt zur benachbarten Nellenburg.
68 Vgl. Erika ECKHARDT: Schwälmer Sagenborn, Marburg 1982, S. 124: Hier werden einem Esel
„die Hufeisen verkehrt herum aufgeschlagen“.
69 Vgl. Ulf DIEDERICHS / Christa HINZE: Hessische Sagen, Düsseldorf/Köln 3 1979, S. 212.
70 Vgl. SCHNEIDER: Sagen (wie Anm. 67), S. 95, Nr. 95.
71 Vgl. Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, hg. unter besonderer Mitwirkung von E.
HOFFMANN-KRAYER † und Mitarbeit zahlreicher Fachgenossen von Hans BÄCHTOLD-STÄUBLI,
Berlin-Leipzig 1934, Bd. IV, Sp. 442.
194
Hans Günther Bickert
doppeldeutig. Sie zeugt zum einen von Bewunderung und bewirkte eine derartige Popularität des militärischen Führers des fehlgeschlagenen Aufstands, daß kritische Stimmen wie
diese kaum Gehör fanden : „General von Dörnberg, der vom Volk als derjenige betrachtet
wurde, der all dieses veranlaßt habe, wurde nun der Gegenstand der allgemeinen Erbitterung, und bereits fielen ihm mehrere Bauern in die Zügel und andere wollten ihn vom Pferde reißen“, berichtet eine Zeitzeugin72. Hier scheint aber Vorsicht vor einer Verallgemeinerung situationsgebundener Unmutsäußerungen oder gar ihrer Deutung als Sympathieerklärung für das Regime geboten, denn ebenfalls unter dem Eindruck der Niederlage heftete
nämlich ein Anonymus Ende April 1809 einen Zettel mit folgendem Text in Homberg an:
„Die Niederträchtige [!] Frantzosen und auch die Frantzösische Spitzbuben in unserm Lande sollen doch noch untergehen, sonst müßte kein Gott seyn! Die Königin hat gesagt, die
Hessische Hunde wollen sich gar nicht geben, sie sollen ihr aber noch angestrichen werden“73. Zum andern drückt die unterstellte Ganovenlist Verachtung aus. Dörnbergs Gegner
am Hof in Kassel74 erzielten Wirkung mit ihrem Hinweis auf den Eidbruch. Der Vergleich
mit einem Straßenräuber findet sich im zitierten Aufruf Jérômes von 1809 an seine Soldaten. Da fügt es sich vorteilhaft, wenn ein Räubertrick mit Angehörigen von zwei oppositionellen Familien (Dalwigk und Dörnberg) in Verbindung gebracht werden kann. Es ist nicht
auszuschließen, daß die neue Legende vom Hufeisen von der frankophilen Propaganda
inspiriert wurde und eine andere Wirkung entfaltete als gewünscht.
Vorbereitung und Durchführung des Putschs gründeten weitgehend auf Illusionen75;
auch Organisationsmängel sind nicht zu leugnen. Es muß hier dahingestellt bleiben, ob es
auch unter dem Entscheidungsdruck einer plötzlich geänderten Lage zu rechtfertigen war,
äußerst mangelhaft bewaffnete und nicht trainierte Bauern gegen reguläre Truppen zu
führen, zumal die offenkundige Unterlegenheit nicht durch vorteilhaftes Gelände ausgeglichen wurde76. Auch ist der Zweck der beabsichtigten Geiselnahme unklar. Ein Teilnehmer aus Homberg, dessen Vaterstadt nur mit Mühe der von Jérôme angeordneten
Einäscherung wie zuvor die von Napoleon mit einer Kollektivstrafe belegte Stadt Hersfeld entging, spricht von einem „unverzeihlichen Verbrechen“77. „Unbesonnenheit und
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72 Vgl. Astrid VON BUTTLAR (Hg.): Der Dörnbergsche Aufstand von 1809. Schilderung von Julie
Sophie Caroline von Buttlar, in: König Jérôme und der Reformstaat Westphalen. Ein junger
Monarch und seine Zeit im Spannungsfeld von Begeisterung und Ablehnung, hg. von Helmut
BURMEISTER, Ausstellungs-Katalog Stadtmuseum Hofgeismar 2006, Hofgeismar 2006, S. 213. –
Dörnberg war allerdings 1809 noch nicht General, sondern Oberst (Obrister).
73 Vgl. StA MR, Best. 77a Präfektur des Werra-Departements Nr. 1378.
74 Nach RÖTH / VON STAMFORD (wie Anm. 28), S. 453, Anm., haftet an Dörnbergs Andenken der
Makel des Eidbruchs und „wird durch keinerlei sophistische Wendungen als Schuld von ihm genommen werden und mit der Eigenschaft als patriotische That beschönigt werden können“.
75 Vgl. Willy ANDREAS: Das Zeitalter Napoleons und die Erhebung der Völker, Heidelberg 1955, S.
410: „Der Putsch war mangelhaft vorbereitet; die Bauernhaufen, die mitmachten, liefen vor den
Soldaten des Königs [Jérôme] auseinander, und die Truppen auf Dörnbergs Seite waren zu
schwach, etwas auszurichten“.
76 Während des Spanischen Erbfolgekrieges machten sich die Tiroler Bauern bei ihrem Guerillakampf gegen Bayern und Franzosen ihre Ortskenntnis zunutze. So wurde am 1.7.1803 an der
Landecker Innbrücke das Kontingent des Marquis de Novion durch Lawinen aus Felsbrocken
und Stämmen sowie durch Scharfschützen dezimiert, ein Teil ertrank.
77 Vgl. Aus der Franzosenzeit von Karl Ferdinand Dithmar † mit einem Geleitwort von Dr. Helmut
Der Aufstands-Dörnberg
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Übereilung“ kritisiert auch ein wohlmeinender Historiker wie Franz Schnabel.78 Die
totale Niederlage gereichte dem Verantwortlichen jedenfalls nicht zum Ruhm. Der etwas
rührselige Schluß der Erzählung des Ortschronisten soll diesem Eindruck wohl entgegenwirken. Hugo von Dörnberg verzichtet in seiner Biographie auf die Hufeisenlegende.
VI. Damnatio memoriae
Im Frühjahr 1968 kündigte der Hessische Gebirgsbote das Vorhaben des Knüllgebirgsvereins an, für Wilhelm von Dörnberg „im Jahr seines 200. Geburtstags eine Ehrentafel
aufzustellen“, um ihn „im hessischen Volk wieder in Erinnerung“ zu rufen, „damit er
ihm unter dem Einfluß unserer schnellebigen Zeit nicht verlorengehe“.79 Über die Ausführung des Plans berichtete die Vereinszeitung:80 „[47] Am 23. Juni, an einem herrlichen Sonntag, wurde am „Birke[r]t“ zwischen Oberaula und Hausen (Kreis Ziegenhain) ein Gedenkstein für den in Hausen geborenen General und Diplomaten Wilhelm
von Dörnberg vom Knüllgebirgsverein – Zweigverein Oberaula – enthüllt. Im Schatten
einer jahrhundertealten mächtigen Eiche hatten sich Mitglieder aus allen Zweigvereinen und Bewohner aus Oberaula und Hausen (etwa 250 Teilnehmer) eingefunden.“ Die
Bürgermeister beider Gemeinden traten nicht in Erscheinung.
Abb. 4: Gedenktafel für Wilhelm v. Dörnberg in Hausen, 1968
(Foto Privatbesitz)
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Allendörfer, in: Homberger Hefte12, 1974, S. 81.
78 Vgl. Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Der Aufstieg der Nationen, Freiburg i. B.
[Herder Bücher Nr. 203 / 204], 1964, S. 155.
79 Vgl. Jahrgang 69, Nr. 2, S. 31.
80 Vgl. Hessischer Gebirgsbote 69 Nr. 3, Juli bis September 1968, S. 47-48, mit zwei Abbildungen.
Beide haben inzwischen hohen Dokumentationswert, da die Gedenkstätte beseitigt und die umgebende Landschaft völlig verändert wurde.
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Hans Günther Bickert
Initiator war ein verstorbener Volksschullehrer aus einem Nachbarort. Ein Vertreter
dieses Standes, der sich ehedem durch Vermittlung allgemein historischer wie heimatkundlicher Grundkenntnisse auch als Chronisten und Romanschreiber auszeichnete,
beklagte, daß die Würdigung Dörnbergs „in der Geschichtsliteratur im Schatten anderer
großer Männer zu kurz abgehandelt worden sei“ und man seinen Namen in heutigen
Geschichtsbüchern vergeblich suche. Er habe sich aber als Offizier wie als Diplomat
„für sein Vaterland verdient gemacht“ [48]. Durch die Schaffung einer „Gedenkstätte“
sollte er dafür geehrt werden.
Nach dem Willen des Vorstands sollte sie außerdem der Erinnerung dienen. Da der
Knüllgebirgsverein „auch die Pflege des Heimatbewußtseins und das Bekenntnis zur
geschichtlichen Vergangenheit“ als seine Aufgabe ansah, war es sein Anliegen, „das
Andenken an den Freiheitskämpfer wachzuhalten“. Als Zweck des Monuments definierte der zuständige Repräsentant: „ Auf dieser Anhöhe erinnert nun der Stein mit der
bronzenen Tafel an jenen Mann, der nach Worten von Ernst Moritz Arndt [Das Lied
vom Dörnberg, 1813] der Freiherr fromm und gut vom Kattenland und Kattenblut
war’. Diese Worte stehen auf der Tafel, und unter dem Namen des in ostpreußischer
Erde vor rund 120 Jahren beigesetzten Freiherrn wird vermerkt, daß er ein Kämpfer für
Deutschlands Freiheit gewesen sei“.
Zustimmend äußerte sich auch der einzige Politiker, der das Wort ergriff. Der
Kreisbeigeordnete dankte im Namen des Landrats und der Kreiskörperschaften für die
Errichtung der Gedenkstätte und bemerkte, die Lebensgeschichte Wilhelm von Dörnbergs lasse erkennen, daß damals schon „Männer gegen Unterdrückung, Verrat und
Hinterhältigkeit aufgestanden“ seien, und schloß: „Wir freuen uns, daß dieser Stein im
Gedenken an einen Mann enthüllt wird, der für Freiheit und gegen Gewalt gekämpft
und gelitten hat“.
Der Vorsitzende des Schwälmer Heimatbundes verband mit dem Denkmal einen
pädagogischen Zweck: „Wir wollen darin eine Verpflichtung sehen, auch unsererseits
alles für die Freiheit zu tun. Das Sich-Sonnen im Wohlstand ist eine Gefahr für die
Freiheit und für die Demokratie. Der Freiheitskämpfer Wilhelm von Dörnberg ist ein
Vorbild dafür, daß jeder einzelne für Recht und Freiheit einstehen soll. Der ihm zu
Ehren aufgestellte Stein sollte für die Kreisbevölkerung ein Mahnmal für die Freiheit
sein, aber auch die auswärtigen Besucher daran erinnern, daß es mehr gibt als Urlaub,
Sattheit und Wohlstand, und daß die Demokratie nur dann bestehen kann, wenn jeder
einzelne bereit ist, etwas dafür zu tun“.
Die Errichtung der Gedenkstätte war weder von der Familie noch von Politikern initiiert, sondern von Personen, die sich der Förderung der Heimatliebe und der Tradition
verpflichtet fühlten und einen „der treuesten Heimatsöhne“ anläßlich seines 200. Geburtstages vor dem Vergessenwerden bewahren wollten. Sie verstanden die auf einen
Quarzitblock montierte Tafel als Denk-, Ehren- und Mahnmal. Als Erinnerungsort
wählten sie eine Quarzitkuppe, Teil eines bedeutenden, inzwischen teilweise durch
Überbauung zerstörten altsteinzeitlichen Fundplatzes81. Die Familie von Dörnberg
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81 Vgl. Lutz FIEDLER: Jäger und Sammler der Frühzeit. Alt- und Mittelsteinzeit in Nordhessen,
Kassel 21997, S. 88; 92.
Der Aufstands-Dörnberg
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stellte den Standort unentgeltlich zur Verfügung. Das Areal wurde mittlerweile an einen Investor verkauft, der ein Gestüt einrichtete.
Das unter Kiefern errichtete Denkmal, an dem ein neu angelegter Heinrich-RuppelWanderweg82 vorbeiführte, wurde kurz nach der Einweihung demoliert, nach einiger Zeit
restauriert und erneut zerstört. Die abgerissene Ehrentafel hat sich bisher nicht wieder
gefunden. Über Urheber und Motiv der Tat wurde ohne Ergebnis spekuliert. Der zunächst gehegte Verdacht, es könne sich um einen parteipolitisch begründeten Akt des
Wandalismus handeln, scheint unbegründet, da die Ehrung von allen demokratischen
Parteien befürwortet wurde, auch durch den Landrat, einen Sozialdemokraten. Wie er
dachten damals auch andere hessische Genossen. So verfaßte Ministerpräsident Albert
Osswald ein Geleitwort zu einer für ein breites Publikum bestimmten Kurzdarstellung der
hessischen Geschichte des Frankfurter Hirschgraben-Verlages, in der die Rolle des Obersten „Freiherr von Dörnberg“ während der Befreiungskriege erwähnt wird83. Es ist aber
auch nicht auszuschließen, daß speziell die Nachfahren getroffen werden sollten, denn als
der Kirchenpatron, „eine Bank für die alten Bürger“ gestiftet hatte, wurde das darauf
angebrachte Widmungsschild „entfernt“84. Es liegt nahe, die Zerstörung des Denkmals
nicht lediglich als lokales Ereignis zu sehen, sondern auch einen Zusammenhang mit dem
gesellschaftlichen Umbruch jener Jahre in Betracht zu ziehen.
Davon ergriffen war auch die Evangelische Kirche, die sich von der „moralischen
Aufrüstung“ abwendete und teilweise der „Friedensbewegung“ des tschechischen Nationalisten und Theologen Josef Hromádka85 und seiner deutschen Parteigänger um Pastor
Martin Niemöller öffnete, beide Lenin-Preisträger und Aktivisten in der Christlichen
Friedenskonferenz, die die Agitation des Warschauer Paktes gegen den „westdeutschen
Militarismus“ unterstützte. Daß sich hier dem Staatssicherheitsdienst der DDR ein Betätigungsfeld bot, ist inzwischen bekannt. Die Einschätzung der Neuen Züricher Zeitung
vom 20. 10. 1955 hat sich bestätigt, Hromádka sei „Fellow Traveller der kommunistisch
gegängelten Weltfriedensbewegung“. Ein Indiz für den neuen, religiös verbrämten, auch
militanten Pazifismus war der Wandel im Totengedenken. Schon vor 1963 wurden unter
Protest des Patrons Hugo Tafeln mit den Namen der Gefallenen des deutschfranzösischen Krieges von 1870/71 samt zugehörigen Metallkränzen aus der Kirche entfernt und beseitigt. Ob Pfarrer und Kirchenvorstand aus Mangel an Geschichtsbewußtsein
oder pazifistischem Übereifer handelten, steht dahin. Das Ergebnis ließ sich nachträglich
als volkspädagogisch wünschenswert und politisch weitsichtig deuten, weil einer ange-
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82 Der Bauernsohn aus Hünfeld (1886-1974), der als Volksschul- und Taubstummenlehrer in Homberg lebte, war durch volkstümliche Erzählungen auch im Dialekt hervorgetreten. Aus Anlaß der
Einweihung der neuen Schule in Hausen am 19.10.1958 hatte er ein Mundartspiel Eine lustige
Eisenbahnfahrt von Rhünda nach Hausen verfaßt, das mit großem Erfolg aufgeführt wurde und
ein Grund für seine Ehrung gewesen sein dürfte.
83 Vgl. Kurt FINKE: Hessen Vergangenheit und Gegenwart, Frankfurt am Main 1970, S. 103. – Der
Schulfunk des Hessischen Rundfunks widmete dem „Aufstand von Homberg“ eine Sendung und
verantwortete ein Begleitheft.
84 Hans-Eppo FRH. VON DÖRNBERG: Streiflichter. Hausener und Oberaular Nachkriegspolitik,
www.deskprint.de (2001), S. 23 spricht ironisch von „Lausbuben“ als den Tätern.
85 Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 7.9.1968, S. 5: Abdruck des dekouvrierenden Briefs
an Sowjetbotschafter Tschernowenko anläßlich der Niederschlagung des „Prager Frühlings“.
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Hans Günther Bickert
strebten und 1997 endlich erreichten Jumelage mit einer französischen Gemeinde förderlich. Es kann Zufall sein, daß sich der Hausener Denkmalfrevel 1968 ereignete. Da es
seinerzeit auch anderswo „Aktionen“ anderer Täter gegen Gedenkstätten gab, speziell
gegen Bismarckdenkmale, ist auch er Ausdruck des Zeitgeistes.
Die Hausener reformierte Kirche gehört zu den wohl noch nicht vollständig erfaßten Gebäuden, in denen sich noch Erinnerungsstücke an die Befreiungskriege befinden.
Erhalten haben sich zwei Holztafeln, die im Patronatsstand auf der Südempore den
neuen Ikonoklasten entgangen sind, mit den Namen von 17 Teilnehmern, davon drei
Mitglieder der Familie von Dörnberg. Elf der restlichen Personen lassen sich mit Hilfe
eines Einwohnerverzeichnisses86 identifizieren. Darunter sind zwei Söhne des oben
erwähnten Conductors und Fluchthelfers Otto, von denen einer in Marburg Theologie
studiert hat87 und Feldprediger wurde, außerdem zwei Söhne des Dörnbergischen Försters Schilling, die als Vierzehn- bzw. Sechzehnjährige zu den jüngsten Freiwilligen
gehörten und 1816 bzw. 1825 als Studenten der Theologie und Medizin immatrikuliert
waren. Auch ein Angehöriger der Familie Gutberlet wird genannt. Die Zwangsrekrutierten, die während des Rußlandfeldzugs auf Seiten Napoleons ihr Leben verloren,
bleiben unerwähnt. Auch der Name Wilhelm von Dörnberg fehlt. Insoweit hat sich
Jérômes oben zitierter Befehl an die Truppe erfüllt: „Oubliez à jamais sa mémoire!“
Unabhängig davon, wie man den mißlungenen Aufstand, den Text der verschwundenen Widmungstafel von 1968, mit dem Hugo von Dörnberg seine Lebensbeschreibung 1936 beschließt, und die Charakterisierung der Festredner heute beurteilt: Wilhelm von Dörnberg hat nicht nur persönliche und „vaterländische“ Ziele verfolgt, sondern auch im Interesse ausländischer Regierungen an der Befreiung Europas von einem
Hegemon mitgewirkt. Dafür wurde er nicht nur in Hannover und Preußen, sondern
auch in England, den Niederlanden und in Rußland hoch dekoriert. An seinem Geburtsort aber gibt es nicht einmal eine Hinweistafel.
Wilhelm von Dörnberg war mehr als ein Haudegen ohne Fortune bei der Knallhütte.
Ob er sich im Fall eines Erfolgs mit der Bildung einer Übergangsregierung und der Rückführung des Kurfürsten beschieden hätte oder ein Programm zur Erneuerung Kurhessens
etwa in Abstimmung mit seinen preußischen Gesinnungsgenossen verfolgte, bleibt ebenso zu klären wie seine Rolle auf der europäischen Bühne. Eine dem neuesten Forschungsstand entsprechende, auch alle die diplomatische Tätigkeit betreffenden Akten in
ausländischen Archiven berücksichtigende Biographie ist ein Desiderat.
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86 Vgl. StA MR, Best. 340 (von Dörnberg), S. 63: Register über die in der Gemeinde Hausen sich
aufhaltenden Individuen, aufgestellt den 25ten Januar 1809.
87 Vgl. Theodor BIRT: Catalogus studiosorum Marpurgensium 1633-1830, Marburg 1914, S. 437:
Abel Otto Hausena-Hessus. – Ferner Nr. 377 und 378.