- Mähring

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- Mähring
Universität für Musik und darstellende Kunst
Institut für Film und Fernsehen „Filmakademie Wien“
MAGISTERARBEIT
Schriftlich-theoretische Arbeit für die Magisterprüfung
PRODUKTION
Titel
FILM vs. COMPUTERSPIEL –
Storytelling als gemeinsame Stärke
Verfasser
Roland Hablesreiter
Matr.Nr.: 0203746
Betreuer:
em.o.Univ.Prof. Dkfm. Peter A. Mayer
Wien, im April 2010
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG
Ich erkläre hiermit an Eides statt, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und
ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe. Die aus
fremden Quellen direkt oder indirekt übernommenen Gedanken sind als solche
kenntlich gemacht.
Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht.
Wien, am 12. April 2010
Hablesreiter Roland
2
INHALTSVERZEICHNIS
EINLEITUNG................................................................................................................5
THESE.........................................................................................................................9
METHODIK................................................................................................................12
SPIELEGENRES........................................................................................................14
PRODUKTION EINES COMPUTERSPIELS.............................................................25
DAS ENDE VON FILM & TV DURCH COMPUTERSPIEL & INTERNET?................32
FILMISCHE GESTALTUNGSMITTEL IN COMPUTERSPIELEN...............................35
!
Cut-Scenes......................................................................................................37
!
Regie...............................................................................................................42
!
Drehbuch.........................................................................................................43
!
Produktion........................................................................................................44
!
Kamera & Licht................................................................................................45
!
Schnitt..............................................................................................................49
!
Ausstattung & Kostüm.....................................................................................51
!
2D & 3D (Modeling, Compositing, Animation).................................................51
!
Sound Design und Musik.................................................................................52
!
DarstellerInnen................................................................................................55
!
Filmschaffende in der Spielebranche..............................................................59
COMPUTERSPIELE AUF DER LEINWAND UND UMGEKEHRT
– DIE ADAPTION......................................................................................................61
SYNERGIEN IM TECHNISCHEN BEREICH.............................................................68
HOLLYWOOD UND DIE SPIELE...............................................................................71
DIE SITUATION IN ÖSTERREICH IM ÜBERBLICK..................................................79
TV UND SPIEL...........................................................................................................85
FILMISCHES & INTERAKTIVES ERZÄHLEN...........................................................91
!
Was Film und Game unterscheidet..................................................................91
!
Gameplay vs. Story.........................................................................................92
!
Interaktivität in Film und Fernsehen.................................................................95
,!
3
!
Interaktives Storytelling im Computerspiel.......................................................99
!
!
Storytelling............................................................................................99
!
!
Das WIE..............................................................................................101
!
!
Das Open World Game.......................................................................102
!
!
Dialoge................................................................................................104
!
!
Beeinflussung der Erzählstruktur........................................................105
!
!
Lineares Erzählen...............................................................................106
!
!
Nichtlineares Erzählen und Mischformen............................................107
!
!
Das Drehbuch zur Interaktivität...........................................................111
!
!
Einschränkungen der Freiheit.............................................................112
!
Die emotionale Komponente..........................................................................113
!
!
Die emotionale Komponente im Film..................................................113
!
!
Die emotionale Komponente im Computerspiel..................................115
!
Das Zielpublikum...........................................................................................127
SPIELEANALYSE.....................................................................................................133
!
Fallbeispiel 1: „Uncharted 2: Among Thieves“...............................................133
!
Fallbeispiel 2: „Heavy Rain“...........................................................................142
SCHLUSSFOLGERUNGEN.....................................................................................153
QUELLENANGABEN...............................................................................................155
!
Literatur..........................................................................................................155
!
Internet...........................................................................................................161
!
Interviews.......................................................................................................166
!
Vorträge.........................................................................................................166
!
Film & TV.......................................................................................................166
!
Computerspiele..............................................................................................168
!
Grafiken & Bilder............................................................................................169
ABKÜRZUNGEN......................................................................................................172
DANKSAGUNGEN...................................................................................................175
ʻ
4
EINLEITUNG
Als hätten Filmindustrie und Fernsehen nicht schon genug damit zu tun, sich mit dem
Medium Internet und der Herausforderung Download-Content (ob legal oder illegal)
zu arrangieren, erschrecken nun seit geraumer Zeit Meldungen anderer Art die
Filmschaffenden:
SCHLIMMER ALS RAUBKOPIEN
Der größte Feind der US-Filmindustrie
Neue Studie zeigt, dass nicht die illegalen Downloads aus dem Internet, sondern der
steigende Konsum von Videospielen weniger ZuseherInnen bringt 1
Film und Fernsehen verlieren nach und nach die Gunst der MedienkonsumentInnen.
Dass die Computerspielindustrie die Filmindustrie wirtschaftlich bereits teilweise
überflügelt hat, beschreibt auch diese Pressemeldung:
550 Mio. US-Dollar Umsatz hat Activision Blizzard weltweit in der Releasewoche von „Call Of
Duty: Modern Warfare 2“ mit dem Megablockbuster eingespielt. Nach Herstellerangaben ist es
das beste Fünftageergebnis in der Geschichte der Entertainmentindustrie. Zum Vergleich
werden die bislang erfolgreichsten Kinostarts herangezogen. Warners „Harry Potter und der
Halbblutzprinz“ etwa schaffte innerhalb von fünf Tagen ein weltweites Einspiel von 394 Mio.
Dollar. Damit ist „Modern Warfare 2“ jetzt die offiziell größte Marke im Gamesgeschäft. 2
Und diese Meldungen nehmen kein Ende. In seiner Rede auf einer Computerspielmesse, der gamescom 2009, bringt der Executive VP von Electronic Arts, einem der
weltweit größten Spiele-Publisher, die wirtschaftliche Stärke von Computerspielen
auf den Punkt:
1
Kucera, Gregor: „Schlimmer als Raubkopien. Der größte Feind der US-Filmindustrie“, http://der
standard.at/fs/1242316685441/Schlimmer-als-Raubkopien-Der-groesste-Feind-der-USFilmindustrie
(26. Mai 2009b)
2
Pototzki, Tim; Hammes, Frederik: „,Modern Warfare 2ʻ bricht weltweit Rekorde. Turbulenter Start für
Blockbuster 2009“, GamesMarkt Nr. 23 (26. Nov. 2009), 4.
5
Mit Videospielen wurde hierzulande [in Deutschland, Anm. R.H.] in absoluten Zahlen mehr
Umsatz erzielt als etwa durch den Verkauf von Musik. Und der beträgt mehr als das Doppelte
dessen, was die Filmindustrie an den Kinokassen umsetzt. 3
Die letzten beiden Meldungen übersehen zwar, dass, im Gegensatz zum Computerspiel, ein Kinoticket weniger kostet als ein Spiel und der Kinofilm eine Auswertung
auf DVD, im Fernsehen und in anderen Formaten und Medien genießt und somit mit
weiteren, längerfristigen Einnahmen rechnen kann. Aber so manche/r Filmschaffende
blickt voller Neid auf das Wachstumspotenzial der Computerspielbranche, während
Filmindustrie und Fernsehen ihren Höhepunkt überschritten haben und den
Zuseherschwund fürchten. Selbst die Vorstandsmitglieder der ProSiebenSat.1 Media
AG bestätigen: „Egal ob Computer-, Video-, Mobile- oder Online-Spiele [sic!] gelten
heute als größter Wachstumstreiber der Unterhaltungsbranche.“4
Was bedeutet das nun für uns Filmschaffende? Müssen wir so schnell als möglich
das sinkende Schiff Filmproduktion verlassen und uns in die Welten der interaktiven
Unterhaltung stürzen, während ein paar Letzte die Masse verwalten? Oder ist es
dafür ohnehin schon zu spät, nachdem die Versuche der Filmindustrie, interaktiv
Geschichten zu erzählen, in den 90er Jahren gescheitert sind? Hat die Filmindustrie
den Anschluss an interaktive Unterhaltung verschlafen? Muss sie der Computerspielindustrie das Feld überlassen?
Immerhin schickten während des letzten „Writerʼs Strike“ Hollywood-DrehbuchautorInnen bereits ihre Bewerbungen an das Spieleentwicklerstudio Deep Silver
Vienna, um sich als AutorInnen für Computerspiele „Made in Austria“ zu verdingen.5
Die großen Regisseure der Entertainmentindustrie, unter ihnen Steven Spielberg,
George Lucas, Peter Jackson und andere, arbeiten an Computerspielen und gehen
dabei längst über schlichte Adaptionen ihrer eigenen Kinofilme hinaus.
Die technischen Möglichkeiten, Computerspiele „filmischer“ zu gestalten, sind in den
letzten Jahre rapide gestiegen. Games werden in den Medien mit Filmen verglichen
und sind längst mehr als billige Unterhaltung für Jungs. Ein Beispiel aus
derstandard.at das Computerspiel Uncharted 2 betreffend: „Das Ergebnis ist schlicht3
Florin, Gerhard: „Die Zukunft der Games zwischen Leitindustrie und kultureller Relevanz“,
GamesMarkt Nr. 16 (20. Aug. 2009), 32.
4
Posch, Guillaume de; Englert, Marcus: „Zukunft Fernsehen – Content ist King Kong“. In: Auslaufmodell Fernsehen? Perspektiven des TV in der digitalen Medienwelt. 2008. 170.
5
Kenning, Julian: Art Directing Cursed Mountain. Vortrag bei Pixel 4.0. (27. Sept. 2009)
6
weg glaubhaft, spielerisch mitreißend und für Zuschauer beinahe wie ein Kinofilm.“6
Welche Chancen bietet dieses Medium für Filmschaffende, wenn verheißen wird:
„Making a game more ʻcinematicʼ is a hot topic in todayʼs gaming world.“7
Auf der anderen Seite besteht in der Computerspielbranche zum Teil große Skepsis
gegenüber den Ambitionen, „filmische“ Computerspiele zu erstellen. Der Tenor lautet:
Der Spielspaß steht an erster Stelle, Games sind keine interaktiven Filme, der/die
SpielerIn erzählt und schafft seine eigene Geschichte, d.h. das Spiel darf ihm nicht
die Geschichte des/der Autors/-in aufzwingen, usw. Das geht so weit, dass der Game
Designer Ernest Adams für Computerspielhersteller das „Dogma 2001“, in Anlehnung
an Lars von Triers Dogma 95, verfasste und darin festhielt: „The secret desire of
game designers to be film directors is deleterious to their games and to the industry
generally. This desire must be stamped out.“8 „Deleterious“9 und „stamp out“10 sind
starke Worte für die KollegInnen aus der Spieleproduktion, welche Ambitionen
hegen, Spiele „filmischer“ zu gestalten.
In der Filmbranche wiederum, wie auch in der Gesellschaft, besagen bestehende
Vorurteile, Computerspiele haben nichts mit Kunst und Kultur zu tun und sind lediglich stupider Zeitvertreib. Manchmal werden auch schlichtweg die Möglichkeiten von
Computerspielen unterschätzt. Ein Kollege sagte vor kurzem zu mir: „Ich beschäftige
mich in meiner Arbeit mit zwischenmenschlichen Beziehungen und deren Geschichten. Das lässt sich anhand eines Computerspiels nicht erzählen.“ (Anonymes Zitat
eines Regiestudenten der Filmakademie Wien.)
6
Zsolt, Wilhelm: „Uncharted 2: Das Abenteuer des Jahres“, http://derstandard.at/1254310789424/
Uncharted-2-Das-Abenteuer-des-Jahres (11. Okt. 2009b)
7
Newman, Rich: Cinematic Game Secrets. For Creative Directors and Producers. Inspired Techniques from Industry Legends. 2009, xi.
8
Adams, Ernest: „Dogma 2001: A Challenge to Game Designers“, http://www. gamasutra.com/view/
feature/3104/dogma_2001_a_challenge_to_game .php? page=2 (2. Feb. 2001)
9
schädlich (PONS Globalwörterbuch Englisch – Deutsch. 1997, 293.)
10
u.a. ausrotten, unterdrücken, zunichte machten, niederschlagen, unschädlich machen (PONS
Globalwörterbuch Englisch – Deutsch. 1997, 1170.)
7
Diese Arbeit versucht, mit bestehenden Vorurteilen aufzuräumen und zu zeigen
welches Potenzial in einer Zusammenführung von Film- und Computerspielbranche
steckt und welche Barrieren bestehen. Außerdem untersucht sie folgende Fragen:
Wie werden filmische Elemente in Computerspielen eingesetzt? Welche Bedeutung
hat Storytelling für Computerspiele und welche Chancen bietet interaktives
Geschichtenerzählen?
8
THESE
Film und Computerspiel haben viele Gemeinsamkeiten in der Verwendung ihrer
Mittel. Aufgrund der Interaktivität des Computerspiels gibt es jedoch auch viele
Punkte, die sie trennen. Aber sie haben eine große, gemeinsame Chance –
Interaktives Geschichtenerzählen.
Diese Arbeit untersucht diese neue Form des Geschichtenerzählens, die durch die
Verschmelzung der besten Teile von Film und Computerspiel entsteht. Diese Form
wird das Beste beider Medien umfassen: Interaktivität, Partizipation, Gameplay,
Spielspaß, Immersion, Storytelling, Identifikation, Empathie und Emotionalisierung.
Aber wozu diese Anstrengung unternehmen? Anhand von Games Geschichten zu
erzählen bzw. erlebbar zu machen bedeutet nicht nur eine spannende Herausforderung für die MacherInnen und einen Gewinn für die MedienkonsumentInnen,
sondern ermöglicht einen Zugang zu neuen Zielgruppen. Der Markt für Hardcore
Gamer, zumeist männliche und an den schwierigen, Geschicklichkeit und Schnelligkeit fordernden Spielen Interessierte11, ist größtenteils gesättigt, aber:
In reality, 43 percent of American game players are female, and their average age is 27. [...]
The industry is still trying to figure out how to make games more appealing to women and
girls, because while a great many women play games, a rather smaller number is prepared to
buy them, and thatʼs what we really need.12, 13
Eine zweite Quelle schildert die Ignoranz dieser Fakten:
There is still a concern that this broadening of the audience is not being fully embraced by the
conventional retail sector and that many high profile, big budget games are still aimed at a
young male audience with a preference for adrenalin-stoked gameplay and technology-driven
11
Eine genauere Definition des Hardcore Gamers findet sich auf Seite 129.
12
Adams, Ernest: Break into the Game Industry. How to get a job making video games. 2003, 41.
13
Vgl. eine aktuellere Quelle: „[...] der durchschnittliche Nutzer [ist] inzwischen 35 Jahre alt, 75 Prozent der Spieler [sind] über 18 Jahre alt, 40 Prozent aller Gamer weiblich. (Igler, Nadja: „Mehr Herz
und Hirn für Videospiele“, http://futurezone.orf.at/stories/1624676/ (21. Aug. 2009c))
9
visuals over compelling content. Where are the games that are the equivalent of the chick-lit
novels or films, for instance?14
Ohne den Spielen für den Hardcore-Markt die Legitimation abzusprechen, besteht
am Spielemarkt ein größerer Bedarf als Produkte für Jungs und Männer unter 30 zu
erzeugen. Und dieser Bedarf geht über „rosa Barbiespiele“ hinaus.
In diesem Zusammenhang spielt die emotionale Komponente eine entscheidende
Rolle. Eine Geschichte funktioniert dann, wenn sie beim/bei der Rezipienten/-in eine
emotionale Reaktion hervorruft. (Ich identifiziere mich mit dem Charakter der
Geschichte, wenn ich „mit ihm/-r fühle“.)
Aber nicht nur für Frauen sind diese Aspekte von Bedeutung. Auch die große
Zielgruppe der Casual Gamer (der/die GelegenheitsspielerIn), verfolgt oft gänzlich
andere Interessen beim Spielekauf als der Hardcore Gamer.
Diese Lücken zu schließen ist eine Herausforderung, die eine Fusion aus Game und
Film unter Umständen herzustellen vermag. (Es geht bei dieser Fusion nicht darum,
ein Spiel wie einen Film zu gestalten, sondern darum, die Stärken beider Medien zu
verbinden.)
Für diese Zielgruppen bietet narrativ-interaktiver Content neue Möglichkeiten.
Worin liegen diese neuen Möglichkeiten?
Die Stärke des Films liegt im Geschichtenerzählen, darin, den/die ZuseherIn auf eine
emotionale Reise mitzunehmen. Die Stärke des Spiels liegt in der Partizipation des/-r
SpielerIn, dass er/sie ein Teil der Fantasiewelt sein und diese mitformen kann. Es
liegt nahe, diese beiden Stärken zu vereinen.
Diese Arbeit versucht zu belegen, dass dies das stärkste Band zwischen Spiel und
Computerspiel ist und dass neue Formen dieser Verbindung möglich sind und ein
Bedarf dafür vorhanden ist.
Das Vorhaben von einer Verschmelzung von Film und Game weckt aber auch den
Traum vom interaktiv-narrativen „Übermedium“:
“But wait!” I hear you cry out. “I have a dream of beautiful interactive storytelling—a dream
that rises above mere gameplay, a dream where a wonderfully told story is completely
interactive, and makes the participant feel like they are in the greatest movie ever made, while
14
Ince, Steve: Writing for Video Games. 2006, 55.
10
still having complete freedom of action, thought, and expression! Surely this dream canʼt be
achieved if we continue to imitate past forms of story and gameplay.” 15
Diese Arbeit wird auch klarstellen, dass dieser Traum so nicht möglich ist, dass
Grenzen im Zusammenspiel der beiden Medien bestehen und dass bestimmte
Parameter erfüllt werden müssen. Welche Parameter dafür notwendig sind, um
welche Grenzen es sich handelt und wie spannend die Verknüpfung dieser beiden
Medien sein kann, dies zu zeigen, ist das Ziel dieser Arbeit.
15
Schell, Jesse: The Art of Game Design. A Book of Lenses. 2008, 264.
11
METHODIK
Die Quellen, die für die Recherchen zu dieser Arbeit genutzt wurden, setzen sich
zusammen aus: Fachliteratur zu Film und Computerspiel, Fach- und Konsumentenzeitschriften, Internetrecherchen (hauptsächlich mediabiz.de, sueddeutsche.de, die
Spieleentwicklerseite gamasutra.com und derstandard.at), Film und Fernsehen,
Vorträge und von mir geführte Interviews. Außerdem liegt ein Schwerpunkt auf selbst
ausgeführten Tests und Analysen von Computerspielen – aus der Sicht eines
Filmschaffenden.
Zur Fachliteratur (zum Thema Computerspiele) ist hinzuzufügen, dass es sich in
vielen Fällen um Erfahrungsberichte aus der Praxis von renommierten Game
Designern handelt. Literatur zu diesem sich inhaltlich und technisch schnell
verändernden Medium hat außerdem ein kurzes Ablaufdatum.
Dass es zu Auslassungen bestimmter Game-Typen kommt, ist einerseits bedingt
durch die Fülle an angebotenen Spielen und die schiere Weitläufigkeit des Themas.
Zudem liegt das Hauptaugenmerk dieser Arbeit auf Computerspielen, die überhaupt
eine Handlungsebene erlauben und ein Potenzial dafür haben, Geschichten zu erzählen und erlebbar zu machen. Das reine Puzzle-Spiel ist diesbezüglich das
stärkste Gegenbeispiel – einem elektronischen Sudoku wird es schwer möglich sein,
eine Geschichte, die über das Puzzle selbst, das richtige Ausfüllen von Kästchen,
hinausgeht, zu erzählen.
Nicht berücksichtigt bzw. nur am Rande gestreift werden daher Sport-, Renn- und
Kampfspiele (Fighting Games), Actionspiele, Massively Multiplayer Online Games,
Fitnessspiele, Lernspiele, Browser Games und besagte Puzzles. Auch Shooter, bei
denen ausschließlich Geschicklichkeit und/oder Strategie im Vordergrund stehen,
finden sich nur bedingt in dieser Arbeit wieder. Im Vordergrund stehen hingegen
Action-Adventures, Adventures und Role-Play-Games.16 Der Grund dafür ist, dass
diese drei Genres m.E. am geeignetsten zum interaktiven Geschichtenerzählen sind.
Die zurzeit im Handel angebotenen Games bestätigen dies.
16
Mehr zu den verschiedenen Spieletypen und -genres im folgenden Kapitel „Spielegenres“ (Seite 14
bis 24).
12
Spannend wäre es auch, einen genaueren Blick auf den Umgang von Simulationsund Strategiespielen mit dem narrativen Element zu werfen – dies würde aber den
Rahmen dieser Arbeit sprengen.
Noch ein Hinweis zur Lesbarkeit dieser Arbeit: Mit den Begriffen „Spiel“ und „Game“
ist in dieser Arbeit immer das Computerspiel bzw. Videospiel gemeint, außer es ist
anders vermerkt.
Viele der in dieser Arbeit erwähnten Spiele wurden vom Autor selbst getestet und
zum Teil bis zum Ende gespielt. Eine Auflistung der gespielten Games findet sich in
den Quellenangaben.17 Nicht gespielte Teilbereiche wurden in manchen Fällen über
„Walkthroughs“18 auf youtube.com nachverfolgt. Die Informationen zu nicht getesteten Spielen stammen aus Fachliteratur, Fach- und Tageszeitungen und deren OnlineArtikeln.
17
18
Siehe Seite 168 bis 169.
Ein „Walkthrough“ bedeutet, sein eigenes Spielen, wie es auf dem Monitor ersichtlich ist, via
virtueller Kamera aufzuzeichnen. Dieses wird in Folge online gestellt wie z.B. auf youtube.com, um
anderen seine eigenen spielerischen Fähigkeiten zu beweisen und/oder anderen SpielerInnen den
Lösungsweg zu zeigen.
13
SPIELEGENRES
Es existiert kein allgemein gültiges Regelwerk zur Einordnung und Typisierung von
Spielen in Genres. Manche Genres sind klar definiert, während andere diesem oder
jenem Genre als Subgenre zugeordnet werden, mit einem Überbegriff zusammengefasst werden oder an anderer Stelle ihr eigenes Genre bilden. Bei Spielen kommt
es außerdem oft zu Genre-Überschneidungen.
Dieses Kapitel orientiert sich in seiner Einordnung in Genres am Vorschlag einer
Kategorisierung und deren Beschreibung von Steve Ince in „Writing for Video
Games“19 plus eigenen Erweiterungen. Diese Erweiterungen umfassen die Hervorhebung des Action-Adventures und die zusätzliche Anführung der Genres Serious
Games, Browser Games und der Art Games.
Generell anerkannt ist, dass die Einordnung von Spielen in Genres zuerst nichts mit
der Geschichte, der Erzählform oder dem Setting zu tun hat, sondern mit der Art, wie
das Spiel gespielt wird. Die aus Film und Fernsehen bekannten Genres sind daher
nicht auf diese erste Zuordnung anwendbar. Im Vordergrund steht, wie der/die
SpielerIn welche Aufgaben erfüllen muss: laufen, springen, schießen, eine Welt
erkunden, Rätsel lösen usw.
Die Filmgenres finden ihre Anwendung als Genre-Zusatz. So werden die Spiele der
Silent-Hill-Serie als Action-Adventures20 bezeichnet. Sie bauen in ihrem Setting aber
auf dem Horrorgenre auf und unterhalten den/die SpielerIn mit einer düsteren
Stimmung und Schockelementen und verdienen daher die erweiterte Beschreibung
„Survival Horror“21, ein „Subgenre des Action-Adventures“.22 Im Vordergrund steht
der Begriff „Survival“ – der/die SpielerIn überlebt mit Geschicklichkeit und Reaktions-
19
Ince, Steve: Writing for Video Games. 2006, 22ff.
20
Z.B. in den „mediabiz Datenbanken“, http://www.mediabiz.de/games/firmen/programm/silent-hill-4the-room-pc/30345 (o.J.) – Stand: Jän. 2010
21
„Bei Silent Hill 2 handelt es sich um einen der bekanntesten Vertreter des sog. ,Survival Horrorʻ
Genres.“ (Lange, Andreas: „Silent Hill 2. Eine Einführung“. In: „See Iʼm real...“ Multidisziplinäre
Zugänge zum Computerspiel am Beispiel von Silent Hill. 2005, 15.) An anderer Stelle wird es
bezeichnet als „survival horror adventure“. (Reed, Kristan: „Silent Hill 4: The Room“, http://
www.eurogamer.net/articles/r_silenthill4_x (13. Sept. 2004))
22
Lange, Andreas: „Silent Hill 2. Eine Einführung“. In: „See Iʼm real...“ Multidisziplinäre Zugänge zum
Computerspiel am Beispiel von Silent Hill. 2005, 16.
14
schnelligkeit und hat im Spielprozess mehrere Rätsel zu lösen, um zu überleben.
Das „Horror“-Element gibt dem Spiel eine zusätzliche Note.
Abb. 1: Silent Hill: Shattered Memories. 23
Ein anderes Beispiel ist Mass Effect, welches als Rollenspiel (oder ActionRollenspiel) ebenso als „Science-Fiction Rollenspiel mit 3rd-Person-Shooter-Elementen“ beschrieben werden kann. Hauptsächlich handelt es sich um ein Rollenspiel,
bietet zusätzliche Action-Elemente (in diesem Falle 3rd-Person-Shooter-Elemente)
und ist in einer Science-Fiction-Welt angesiedelt. Außerdem inkludiert es weitere
Mini-Games innerhalb des Spiels in Form von Glücksspielautomaten oder Geschicklichkeitspuzzles, die gelöst werden müssen, um Schlösser zu knacken.
Der Genre-Mix ist beim Computerspiel längst angekommen.
Eine Kategorisierung fällt schwer; trotzdem strebt dieser Versuch einer Kategorisierung einen groben Überblick an.
23
Silent Hill: Shattered Memories. (Screenshot). Bildquelle: © 2010 Konami Digital Entertainment.
2010.
15
Action
Das Action-Genre ist ein Überbegriff für alle Spiele, in denen es auf Geschicklichkeit
und Reaktionsschnelligkeit des/-r SpielerIn ankommt. Es unterteilt sich in Shooter,
Rennspiele, Prügel- und Ballerspiele (Beat ʼem ups und Shoot ʼem ups), Jump ʼnʼ
runs, Tanzspiele usw. Ein reines Actionspiel wird zumeist nur genannt, was nicht in
eine dieser Subkategorien fällt. Zusätzlich wird es dafür verwendet, Genreüberschreitungen wie „Action-Rollenspiele“ zu bezeichnen.
Shooter (1st Person und 3rd Person)
Als Subgenre des Actionspiels nimmt der Shooter durch seine große Popularität eine
besondere Position ein. Der Name ist Programm – meist steuert der/die SpielerIn
einen Avatar24 und kämpft schießend gegen diverse Feinde und den Verlust der
eigenen Lebensenergie. Unterteilt ist der Shooter in den 1st Person Shooter, in dem
der/die SpielerIn durch die Augen des Avatars das Geschehen steuert, und in den 3rd
Person Shooter, in dem sich die virtuelle Kamera hinter dem Avatar befindet und der/
die SpielerIn seiner/ihrer Figur über die Schulter blickt. In anderen Genres werden
Shooterelemente verwendet, um Action und Abwechslung ins Geschehen zu bringen.
Kampfspiele
Kampfspiele unterscheiden sich dadurch von anderen Spielen, in denen auch
gekämpft wird, dass der/die SpielerIn ausschließlich in einer Eins-gegen-einsSituation gegen den Computer oder eine/-n andere/-n SpielerIn kämpft. Mit Spielen
wie Street Fighter oder Mortal Kombat verfügt dieses Genre über einige prominente
und sehr erfolgreiche Vertreter, die noch immer Anklang bei ihren Fans finden.
24
Mit dem Begriff Avatar meine ich in dieser Arbeit die Spielfigur, die vom/-n der SpielerIn durch die
Spielwelt geführt wird und stellvertretend für diesen im Spiel steht – z.B. die Figur Lara Croft in Tomb
Raider. Der/die SpielerIn spielt, auf dem Bildschirm agiert Lara Croft. Eine Ausnahme ist die
Verwendung des Begriffs „Avatar“ in Zusammenhang mit James Camerons gleichnamigem Film und
Spiel: dort steht der Avatar für einen physisch existierenden Körper des Stammes der Naʼvi, der vom
Hauptcharakter Jake Sully geistig gesteuert wird.
16
Adventure
Beim Adventure liegt das Hauptaugenmerk auf dem Erleben einer Geschichte, eines
Abenteuers. Im Gegensatz zum Action-Spiel fordert das Adventure nicht Geschicklichkeit und Reaktionsgeschwindigkeit, sondern verlangt vom/-n der SpielerIn die
Erforschung einer Welt, das Lösen von Rätseln, die Interaktion mit anderen
Charakteren, das Sammeln und richtige Anwenden von Gegenständen usw.
Action-Adventure
Das Action-Adventure kombiniert die beiden im Namen erwähnten Genres; der/die
SpielerIn erlebt sowohl eine Geschichte, muss mit anderen Charakteren interagieren
etc., und er muss seine Geschicklichkeit unter Beweis stellen. Warum dieses CrossGenre eine besondere Erwähnung findet, liegt daran, dass zur Zeit viele erfolgreiche
Spiele auf einer Mischung dieser Elemente aufbauen. Es handelt sich hier um die
aktuelle, praktische Umsetzung der Idee, eine actiongeladene und/oder geschicklichkeitsbetonte Spielführung mit einer Geschichte und Interaktion anzureichern.
Abb. 2: Action-Adventure/Open World Game Grand Theft Auto IV. 25
25
Grand Theft Auto IV (Screenshot). Bildquelle: Rockstar Games. 2008.
17
Während das Spiel Grand Theft Auto IV einerseits als Open World Game 26
bezeichnet wird, so ist es vereinfacht dem Action-Adventure zuordbar, wie dies die
Datenbank von mediabiz.de tut.27
Rollenspiele (RPG)
Im Rollenspiel erfüllt der/die SpielerIn anhand von einem oder mehreren von ihm/-r
gesteuerten Avataren vorgegebene Missionen, sammelt oder erwirbt wertvolle
Gegenstände, erhöht die Spielstufe und verbessert dadurch die Charakterwerte der
Avatare, erforscht die Welt, löst Rätsel, interagiert mit Nichtspielercharakteren oder
bekämpft diese. Wichtige Elemente sind außerdem die Handlung, das Führen von
Dialogen und das Setting (z.B. in einer Fantasy-Welt). Ausschlaggebend für die
Spielweise sind steigerbare Zahlen und Werte, die für die Fähigkeiten des Spielercharakters stehen und den Erfolg oder Misserfolg einer Aktion entscheidend beeinflussen.
Abb. 3: Steigerbare Werte im RPG Mass Effect.28
26
„eine Mischung aus Actionspiel, Autorennen und Improvisation, bei der sich der Spieler selbst entscheiden kann, ob er der Storyline folgt und Missionen erledigt“ (Moorstedt, Tobias: „Von Schönheit
und Krieg. Grand Theft Auto IV“, http://www.sueddeutsche.de/computer/780/440522/text/ (26. April
2008b))
27
„mediabiz Datenbanken“, http://www.mediabiz.de/games/firmen/programm/grand-theft-auto-iv-pc/
48862 (o.J.) – Stand: Jän. 2010
28
Mass Effect. (Screenshot). Bildquelle: Electronic Arts. 2007/2008.
18
MMOG und MMORPG
Hinter den inzwischen sehr gebräuchlichen Abkürzungen MMOG und MMORPG
stecken die Wortkombinationen „Massively Multiplayer Online Game“ und „Massively
Multiplayer Online Role Play Game“.
Das Massively Multiplayer Online Game ermöglicht es über Internetverbindung und
Server einer Vielzahl von SpielerInnen gleichzeitig mit- oder gegeneinander in der
selben Welt zu spielen. Da es in diesem Bereich wiederum unzählige Spielarten und
Sub-Genres gibt, wird an dieser Stelle nicht näher darauf eingegangen.
Das erfolgreichste Format unter den MMOGs ist das „Massively Multiplayer Online
Role Play Game“ (MMORPG), das Online-Rollenspiel mit (beinahe) unbegrenzter
Spieleranzahl. Sein bekanntester Vertreter, das Spiel World of Warcraft, ist in einer
Fantasy-Welt angesiedelt, in der sich der/die SpielerIn mit seinem/ihrem selbst
erstellten und im Laufe des Spiels verbesserten Avatar frei bewegen kann. Im Unterschied zum Einzelspieler-Rollenspiel kann der/die SpielerIn seine/ihre Missionen
alleine und im Team mit anderen SpielerInnen ausführen, Spielercharaktere bekämpfen oder mit ihnen freundschaftlich interagieren, und sein/ihr Avatar befindet
sich in einer Welt, die vom Spieleanbieter ausgebaut und erweitert wird.
Eine große Herausforderung beim Erstellen eines Spieles dieser Art ist das Füllen
dieser Welt mit Content. Wem es gelingt, dem winken jedoch monatliche Abozahlungen der treuen Mitglieder.
Strategie
„The strategy genre is a collection of game types that involve a high degree of
thinking and planning, the movement of pieces on the playing field and often require
the management of resources in some way.“29
Der Faktor Zeit unterteilt das
Strategiespielgenre in zwei Untergruppen: Entweder läuft das Spiel rundenbasiert,
das heißt, dass sich die OpponentenInnen mit ihren Spielzügen abwechseln. In
diesem Spiel, dem „turn-based strategy game“ (TBS), hat der/die SpielerIn in
manchen Fällen ein maximales Zeitlimit, das Spiel läuft ansonsten nicht selbstständig
weiter, solange er/sie keine Aktionen setzt.
29
Ince, Steve: Writing for Video Games. 2006, 34.
19
Oder der Spielablauf erfolgt in Echtzeit, das heißt, die OpponentInnen (Spieler gegen
Spieler oder Spieler gegen Computer) agieren gleichzeitig bzw. das Spiel läuft weiter,
auch wenn der/die SpielerIn keine Aktionen setzt. Dieses Subgenre heißt dann
Echtzeitstrategiespiel oder „real-time strategy“ (RTS). Eine Auseinandersetzung mit
dem taktischen Vorgehen in einem Echtzeitstrategiespiel kann über das aktive
Spielen hinausgehen. Indem der/die SpielerIn im Vorfeld Tastaturkurzbefehle für
verschiedene Spielaktionen vorprogrammiert, erlangt er/sie in z.B. Starcraft einen
entscheidenden Vorteil, da der/die unerfahrene GegnerIn diese Aktionen mühsam
und zeitraubend mit der Maus durchführen muss.
Simulation
In Simulationen erfährt der/die SpielerIn Lebenssituationen, mit denen er/sie sonst
nicht in Kontakt kommt und diese durch das Computerspiel nachvollziehen kann. Die
Subgenres umfassen Flugsimulationen, Businesssimulationen, bei denen der/die
SpielerIn ohne Risiko an der Börse spekuliert, Sportmanagement (der/die SpielerIn
führt z.B. ein Fußballteam durch Managemententscheidungen zum Erfolg, ohne am
Fußballmatch selbst mitzuwirken) usw.
Die erfolgreichste Spielserie, Die Sims, erfährt eine Einordnung als „Lebenssimulation“30, in der das „normale“ Leben eines Avatars simuliert wird – Job finden,
Haus bauen, PartnerIn kennen lernen, Familie gründen, Kinder erziehen, altern. Hier
mag eingeworfen werden, dass dies der oben genannten Definition widerspricht,
dass es sich bei der Simulation um eine nicht erfahrbare Lebenssituation handelt –
dominieren doch Alltagssituationen das Spielgeschehen. Testende JournalistInnen
stimmen diesem Argument nicht zu. Ein Tester argumentiert, dass der/die SpielerIn in
Die Sims 3 eine Überhöhung des „normalen Lebens“ führt: „Es macht einfach Spaß.
Vielleicht liegt es daran, dass man im Spiel ein Leben führen kann, das in der
Realität niemals erreichbar wäre.“31
30
So z.B. in der Zeitschrift PC Games Magazin – siehe: Horn, Robert: „Die Sims 3“, PC Games
Magazin Nr. 07/09, 78ff.
31
Horn, Robert: „Die Sims 3“, PC Games Magazin Nr. 07/09, 78.
20
Abb. 4: Die Sims 3. 32
Sportspiele
Das Sportspielgenre deckt jede erdenkliche Sportart ab, vom Fußball bis zum
Baseball, vom Schwimmen bis zum Wrestling. Die Beliebtheit dieses Spielgenres
bleibt konstant, was sich daran zeigt, dass sich dieselben, etwas überarbeiteten
Neuerscheinungen der gleichen Sportspiele jährlich in den oberen Rängen der
Verkaufsbestenlisten finden.
Rennspiele
Im Rennspiel versucht der/die SpielerIn, meist mithilfe eines fahrbaren Untersatzes,
vor den computergesteuerten oder von menschlichen Rivalen gesteuerten Gegnern
im Ziel einzulangen. Es zählen Geschwindigkeit und Geschicklichkeit.
Puzzles
Das Puzzle, oder Rätsel, besteht aus dem Lösen einer Denkaufgabe, die sich an den
verschiedensten Parametern orientiert (Zahlen- und/oder Buchstabenkombinationen,
Verschiebungen und Anordnungen grafischer Elemente, Labyrinthe etc., manchmal
unter Zeitdruck). Puzzles tragen einen wertvollen Teil zur Abwechslung in anderen
32
Die Sims 3. (Screenshot). Bildquelle: Electronic Arts. 2009.
21
Spielegenres bei; z.B. eine Tür kann nur geöffnet werden, wenn das Zahlenrätsel
gelöst wird.
Die Besonderheit eines Rätsels liegt darin, dass, sobald der/die SpielerIn es gelöst
hat, kein Wiederspielwert desselben Rätsels besteht, da des Rätsels Lösung bekannt
ist. Und, wenn der/die SpielerIn das Rätsel nicht zu lösen vermag, befindet er/sie
sich in einer Sackgasse, die unter Umständen zu Frustration oder vorzeitigem
Beenden des Spiels führt.33
Kinderspiele
Fast alle Genres existieren auch als Spiele für Kinder, sind aber, bedingt durch ihre
Anpassung an das jeweilige Zielgruppenalter, in ihrer Beschaffenheit anders als ihre
Pendants für Erwachsene und bilden daher ein eigenes Genre.
Serious Games
Unter den Serious Games befinden sich Spiele, die über den Unterhaltungsfaktor
hinausgehen, indem sie Wissen, eine Einstellung oder eine Fähigkeit vermitteln und/
oder als Trainingsmittel dienen. Serious Games verfolgen manchmal auch das Ziel,
den/die SpielerIn von einer Idee oder Haltung zu überzeugen oder ein Produkt zu
bewerben. Abseits des Endkonsumentenmarkts (siehe „Lernspiele“) finden Serious
Games u.a. ihre Anwendung in den Branchen Wissenschaft, Medizin & Gesundheit,
Schul-, Aus- und Weiterbildung und beim Militär.
Das Serious Game ist m.E. der „Wirtschaftsfilm“ unter den Spielen (wahlweise auch
der Schul-, Aus- und Weiterbildungsfilm).
Lernspiele
Lernspiele sind dafür gedacht, den Lernprozess für Kinder und Erwachsene mit
einem Unterhaltungswert anzureichern. Das breite Spektrum umfasst Mathematik für
die jeweiligen Altersgruppen, das Erlernen von Sprachen und Vokabeln, das
Wissensquiz unterschiedlichster Fachbereiche usw. Da die Lernspiele in vielen ihrer
33
Schell, Jesse: The Art of Game Design. A Book of Lenses. 2008, 214.
22
Formen ein breites Massenpublikum ansprechen, finden sie hier eine gesonderte
Erwähnung als Subgenre unter den Serious Games.
Browser Games
Zum Konsum eines Spiels dieser Art wird, anstelle von aufwendigen Installationen,
ein Internet-Browser (wie etwa Mozilla Firefox, Safari oder Opera) verwendet – daher
der Name Browser Game. Browser Games gehören meist zur Gruppe der Casual
Games, Spiele, die keiner langen Anlernphase bedürfen und kurzweiliger Unterhaltung dienen, zum Beispiel als Zeitvertreib im Büro – eine andere Beschreibung
lautet auf den Namen „Time Killers“.
Besondere Beachtung kommt ihnen deshalb zu, weil Browser Games zurzeit ein
rasantes Wachstum verzeichnen – als Beispiel dient eine Aussage von Heiko
Hubertz, Geschäftsführer des deutschen Browsergame-Portals Bigpoint, im August
2009: „Mit 80 Millionen registrierten Nutzern und täglich über 200.000 Neuanmeldungen erlangen wir immer mehr Visibilität im Markt.“34
Andere Spiele
Die Aufzählung weiterer Genres und Subgenres wird an dieser Stelle beendet,
obwohl, oder gerade weil, sie sich endlos fortführen ließe: Partyspiele, Singspiele,
Hack & Slay, Retrospiele, Kartenspiele, Casual Games, Fitnessspiele, Advergames,
Arcade Games... Eines jedoch sei noch zusätzlich erwähnt, da es ausschlaggebend
daran beteiligt ist, den kulturellen Wert von Computerspielen zu verdeutlichen...
Art Games
Eine Besonderheit ist das Art Game, das an erster Stelle als künstlerische Ausdrucksform agiert und nicht die Ziele eines kommerziellen Computerspiel verfolgt –
aber: „Videogame art does not exist in isolation, but is in a symbiotic relationship with
34
„Nicht kleckern sondern klotzen! Branche setzt hohe Erwartungen in gamescom“, GamesMarkt Nr.
15 (6. Aug. 2009), 32.
23
commercial videogames.“ 35 Trotzdem bildet das Art Game eine Alternative zu den
Spielen kommerzieller Natur, denn:
[...] mainstream videogames [...] stand in danger of turning in ever-decreasing circles around
the same (stale) content and the same (worn-out) genres—remaining dominant as objects of
consumerist entertainment, yet becoming an increasingly meaningless medium. 36
Die Möglichkeiten sind vielfältig und unbegrenzt – vom Computerspiel oder der
Computerspielinstallation in einer Galerie oder einem Museum für moderne Kunst bis
zu Kunstaktionen innerhalb kommerzieller Computerspiele oder Erweiterungen
dieser.37
35
Mitchell, Grethe; Clarke, Andy: „Introduction“. In: Videogames and Art. 2007, 20.
36
Mitchell, Grethe; Clarke, Andy: „Introduction“. In: Videogames and Art. 2007, 21.
37
Dem/-r am Art Game interessierten LeserIn, der/die mehr über das Genre der Art Games erfahren
möchte, empfehle ich das Buch Videogames and Art von Grethe Mitchell und Andy Clarke, erschienen
im Verlag Intellect Books, welches verschiedene Formen des Art Games näher beleuchtet.
24
PRODUKTION EINES COMPUTERSPIELS
Die Produktion eines Computerspiels unterscheidet sich in mehreren Punkten von
der eines Spielfilms. Die wichtigsten sollen an dieser Stelle ihren Platz finden.
Ein Nachteil, mit dem das Computerspiel von einem der ersten Schritte an zurechtkommen muss, besteht darin, dass Computerspiele nicht eine Förderstruktur
genießen wie der Film. Fördermittel sind wesentlich spärlicher gesät.
In NRW [Nordrhein-Westfahlen; Anm. R.H.] sind in den letzten zehn bis 15 Jahren einige
Computerspielstudios zusammengebrochen. Das Bundesland NRW, das z.B. jährlich über 30
Millionen Euro an Steuergeldern in die Filmproduktion investiert, hat sich dafür leider nie
interessiert. Junge Unternehmen wie Xybris Entertainment verlassen das Bundesland in
Richtung Berlin. 38
Für die Spielebranche gilt: „the Winner takes it all“39 Die Computerspielbranche ist
fast gänzlich vom Verkauf ihrer Produkte abhängig.
Dazu bieten sich für das Entwicklerstudio eines Spiels folgende Möglichkeiten an:
a) Die Idee wird einem Publisher, einem Vertrieb, der das Projekt finanziert,
gepitched und verkauft. Durch das verminderte Risiko bleiben diesem auch der
Großteil der Einnahmen. Die etwaige Beteiligung eines Entwicklerstudios ist
Verhandlungssache.
b) Das Entwicklerstudio wird von einem Publisher mit einer Idee kontaktiert, diese zu
entwickeln, entweder direkt oder in Form einer Ausschreibung an mehrere
Entwicklerstudios.
c) Es ist ohnehin die Sub-Division eines Publishers. Die Finanzierung ist eine
hausinterne Entscheidung.
d) Es geht den Weg einer eigenen, möglichst kostengünstigen Finanzierung und
vertreibt das fertige Produkt unabhängig via Internet und als Download. Ob diese
Herangehensweise zielführend ist, spaltet die Branche. Manche Stimmen preisen
diesen Vertriebs- und Finanzierungsweg als neues, großartiges Geschäftsmodell.
Andere Stimmen, wie etwa Timo Kornetzki vom Entwicklerstudio Sproing
38
Behrmann, Malte: „Was ist los in NRW?“ GamesMarkt Nr. 14 (23. Juli 2009), 16.
39
Behrmann, Malte: „Was ist los in NRW?“ GamesMarkt Nr. 14 (23. Juli 2009), 16.
25
Interactive (welches u.a. die Spiele Panzer Tactics DS und Cursed Mountain
hergestellt hat), bezweifeln, dass dies das Allheilmittel für alle Probleme sein kann.
Ohne Publisher kann man eigentlich nicht im AAA-Bereich arbeiten. Und zwar zum einen, weil
die Finanzierung von Blockbuster-Produktionen ohne Publisher sehr schwierig ist, und zum
anderen, weil bis heute noch physische Vertriebskanäle notwendig sind, um Spiele auf dem
Massenmarkt zu platzieren. Letztlich muss es jemanden geben, der dafür sorgt, dass das
Spiel in die Regale der Media- und Saturnmärkte kommt. Solange man nicht einen digitalen
Direktvertrieb hat [...], ist man auf Vertriebsgesellschaften angewiesen – außer für DownloadContent und Download Games.
Für kleinere Indie-Produktionen, die Publisher aus Risikoscheu ablehnen, oder für kleine
Start-Up-Unternehmen, die bisher noch keinen aussagekräftigen „track record“ für eine
Plattform haben, bieten die neuen Kanäle wie XBLA 40 oder PSN 41 eine hervorragende
Chance, ein vergleichsweise breites Publikum zu erreichen. Trotz der medienwirksamen
Erfolge einzelner Produkte, darf man aber nicht vergessen, dass der Marketingaufwand und
die Marketingerfahrung von Publishern einen erheblichen Einfluss auf den Erfolg von
Produkten haben.42, 43
Die Herstellung beginnt mit der Pre-Production, die sich aus folgenden Elementen
zusammensetzt: „Design Work“, „Technical Research and Prototyping“ und „Project
Planning“.44 In der Arbeit am Design wird der Look des Spiels weiterentwickelt; die
technischen Recherchen und der Bau eines Prototyps dienen dazu, Risiken
auszuloten, ob das Spiel in seiner Programmierung, in seinen Produktionsbedingungen und in seinen kreativen Anforderungen so umsetzbar ist, wie der
Spieleentwickler es anstrebt; die Projektplanung versucht, wie in der Filmwirtschaft,
zu prognostizieren, wie viel Zeit, Personal und sonstige Ressourcen eingesetzt
werden müssen. Darüber hinaus wird die Story entwickelt – sofern das Spiel über
40
Xbox Live Arcade
41
PlayStation Network
42
Kornetzki, Timo; Quas, Christoph: Unveröffentlichtes Interview. Geführt von: Roland Hablesreiter.
(21. Juli 2009)
43
Auf weitere Stimmen und Gegenstimmen der unabhängigen Verwertung mithilfe digitaler Distributionskanäle wird an dieser Stelle verzichtet. Wer einen Vergleich zum Thema digitaler Filmdistribution ziehen möchte, empfehle ich die Diplomarbeit „Digitale Film-Distribution – Funktionsweise
und kritische Beleuchtung der Auswirkungen auf die Filmindustrie“ von Hannes Kreuzer. 2009.
44
Adams, Ernest: Break into the Game Industry. How to get a job making video games. 2003, 53ff.
26
eine Story verfügt. Am Ende der Pre-Production kommt es zu einer Präsentation
beim Publisher, der darüber entscheidet, ob das Spiel in Produktion geht.
Im Produktionsprozess wird nun die Technologie für das Spiel geschaffen oder
bestehende Technologien werden angepasst, das Design fertig gestellt, Motion
Capturing vorgenommen, die Animationen geschaffen sowie Sound Design und
Musik, das Voice-Acting aufgenommen und so weiter. Einen wichtigen Punkt, bereits
innerhalb des Produktionsprozesses, nehmen die Tester und die Qualitätssicherung
ein. Dabei geht es sowohl um das Erproben des Spielspaßes als auch um den
technisch reibungslosen Ablauf des Spiels. Der Aufwand bei nachträglichen
Änderungen am Ende der Herstellung eines Computerspiels ist zu groß, um damit
nicht frühzeitig zu beginnen. Jesse Schell verweist in diesem Zusammenhang auf
Barry Boehms Theorie der Arbeitsweise im Loop in der Softwareproduktion und
macht dies mit einer Skizze (Abb. 5) augenscheinlich:
Abb. 5: The spiral model of software development.45
45
The spiral model of software development. (Grafik). Bildquelle: Schell, Jesse: The Art of Game
Design. A Book of Lenses. 2008, 83.
27
Die Skizze zeigt, dass der Entwickler davon ausgehen kann, mehrere Schritte zu
durchlaufen, dabei jedoch auf der zuvor getätigten Arbeit und den bereits gewonnenen Erkenntnissen aufbauen können sollte.
Eine weitere Grafik, die den Produktionsprozess – in diesem Fall in Bezug auf den
Aufwand an MitarbeiterInnen für ein fiktives Projekt – veranschaulicht, stammt von
Ernest Adams:
Abb. 6: A plot of team size versus time for a hypothetical product.46
Diese Grafik verdeutlicht auch, dass die verschiedenen Departments parallel
arbeiten und zu welchem Zeitpunkt das jeweilige Department in das Projekt einsteigt
oder seine Arbeit beendet.
Das Ende der Produktion und den Beginn der Postproduktion markiert die Erstellung
des Gold Masters, wie das finale Master in der Computerspielbranche heißt. Das
46
A plot of team size versus time for a hypothetical product. (Grafik). Bildquelle: Adams, Ernest: Break
into the Game Industry. How to get a job making video games. 2003, 62.
28
Gold Master wird dem Publisher geliefert und dient in Folge der Massenvervielfältigung des Spiels.47
Viele in der Filmherstellung übliche Aufgaben der Postproduktion, wie das Erstellen
von Animationen, Schnitt und so weiter, sind im Hauptproduktionsprozess bereits
abgeschlossen, weswegen für die Postproduktion eines Computerspiels nur noch
folgende Aufgaben verbleiben:
- Vorbereitung des Customer Supports und etwaiger Nachbesserungen (Patches).
- Lokalisierung: Die Erstellung weiterer Versionen für den Verkauf in anderen
Ländern. Hauptsächlich geht es dabei um die verwendete Sprache, aber auch um
einen abgeänderten „Schnitt“, wenn die ursprüngliche Version z.B. zu stark im
Konflikt mit den örtlichen Jugendschutzbestimmungen steht.
- Versionen für andere Plattformen: zum Beispiel die Erstellung einer PC-Version
zum Spielen auf dem Heimcomputer eines ursprünglich für eine Konsole
entwickelten Spiels.
- Marketing und PR.
- Einreichung bei den verschiedenen Rating-Agenturen wie PEGI48 oder USK49 .
- Erstellung von Demoversionen und zusätzlich erwerbbarem Begleitmaterial (z.B.
ein Ratgeberbuch).
- Archivierung.50
Durch die Vielzahl verschiedener Arten von Computerspielen ist der Kostenpunkt der
Herstellung schwer festzulegen – für ein aufwendiges Spiel mit ausgefeiltem
Gameplay, Story, guter Grafik und hohen angestrebten Verkaufszahlen legt Niki
Laber, ehemaliger Geschäftsführer von Deep Silver Vienna und Vorsitzender des
47
Newman, Rich: Cinematic Game Secrets. For Creative Directors and Producers. Inspired Techniques from Industry Legends. 2009, 51.
48
Pan European Game Information
49
Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle
50
Mit Abweichungen und frei wiedergegeben nach: Newman, Rich: Cinematic Game Secrets. For
Creative Directors and Producers. Inspired Techniques from Industry Legends. 2009, 51ff.
29
ÖVUS 51, die finanzielle Latte im Interview mit Media Biz mit rund 20 Mio. Euro für ein
„Triple-A-Spiel52 für drei Plattformen im High-End-Bereich“ fest.53
Tobias Moorstedt, Journalist und Autor, legt die Kosten für große Produktionen noch
höher fest (rechnet dabei aber die Marketingkosten mit ein):
[...] längst nähern sich die Produktionskosten eines Videospiels denen einer Filmproduktion
an, die steigenden Marketingbudgets und Mitarbeiterzahlen kosten zwischen 40 und 50
Millionen Dollar. 54
Am Ende geben die Verkaufszahlen den Ausschlag für den Erfolg des Spiels. Die
verkauften Einheiten bedeuten für den Entwickler nicht nur, wie überzeugt die
Publisher vom Entwicklerstudio für zukünftige Projekte sind, sondern auch, ob es für
den Entwickler zu Rückflüssen aus dem Verkauf kommt, falls er sich diese zu Beginn
des Projektes vertraglich zusichern ließ. Insofern sind die Anteile an den verkauften
Einheiten von Bedeutung, die Jesse Schell in einer Grafik auf der folgenden Seite
(Abb. 7) mit einem angenommenen Beispiel-Preis von US-Dollar 50,- aufschlüsselt:
51
Österreichischer Verband für Unterhaltungssoftware
52
„,Triple-A-Titelʻ ist die Branchenbezeichnung für ein besonders aufwendig produziertes Spiel mit
Kassenschlager-Potenzial.“ (Igler, Nadja: „Outsourcing eines Höllenritts“, http://futurezone.orf.at/
stories/289015/ (14. Juli 2008))
53
54
„Spielt, spielt, spielt...“, Media Biz Nr. 158 (März 2010), 39.
Moorstedt, Tobias: „Über die schwindenden Grenzen zwischen Spiel und Film“. In: Zukunft Kino.
The End of the Reel World. 2008a, 193.
30
Abb. 7: When a consumer buys a $50 retail game title... 55
Anhand dieses Beispiels bleiben dem Entwicklerstudio 16% des Kaufpreises, was in
diesem Fall relativ hoch ist, in Anbetracht dessen, dass der Publisher das größte
Risiko trägt. Es ist daher anzunehmen, dass in diesem Fall das Entwicklerstudio
einen Eigenanteil an der Produktion trägt (während in anderen Fällen der Publisher
dem Entwicklerstudio die volle Produktionssumme zahlt).
Im Unterschied zur Filmindustrie verdient der Entwickler der Konsole mit. Diese
refinanzieren dadurch die hohen Entwicklungskosten ihrer Konsolen, die durch den
Verkauf allein kaum gedeckt werden können.
55
When a consumer buys a $50 retail game title... (Grafik). Bildquelle: Schell, Jesse: The Art of Game
Design. A Book of Lenses. 2008, 435.
31
DAS ENDE VON FILM & TV DURCH COMPUTERSPIEL &
INTERNET?
Kein Medium ersetzt das andere.
In der Vergangenheit hieß es, das Fernsehen würde das Radio ablösen; später, das
Kino sei tot, schuld sei das Fernsehen. Das Radio existiert nicht nur noch immer,
sondern erfreut sich nach wie vor großer Beliebtheit. Das Kino kam bereits mehrmals
zurück, etwa in den 90ern mit Terminator und jetzt ist der 3D-Hype der Retter in der
Not. Während die Medien das Spiel Call of Duty: Modern Warfare 2 als „das beste
Fünftageergebnis in der Geschichte der Entertainmentindustrie“56 feiern, ist Avatar –
der Film, auf gutem Weg, dieses Ergebnis, zwar nicht innerhalb der ersten fünf Tage,
aber längerfristig bei weitem zu überflügeln. (Call Of Duty: Modern Warfare 2 „hat für
Activision Blizzard bereits mehr als eine Mrd. US-Dollar eingespielt“57 – Stand vom
15. März 2010. Avatar – der Film hat hingegen an der Kinokasse bereits ~2,7 Mrd.
US-Dollar erwirtschaftet – Stand vom 5. April 2010.)58 Noch dazu „hinkt der Vergleich
zwischen Spielen und Filmen, da Computergames im Handel üblicherweise drei- bis
viermal mehr kosten als Kinotickets“.59 In diesem Fall, zwischen einem AvatarKinoticket und Modern Warfare 2, ist der Unterschied sogar noch höher, da Modern
Warfare 2 mit einem Preis von € 69,9960 (für die Konsolenversionen für Xbox und
Playstation 3) ins Rennen ging. Fernsehlizenzen und DVD-Verwertung für Avatar
werden noch einen Teil dazu beitragen.
Dass die alleinige Marktvorherrschaft von Film und Fernsehen in der Entertainmentindustrie vorbei und der Höhepunkt überschritten ist, wird nicht wieder rückgängig
56
Siehe dazu das Zitat auf Seite 5 dieser Arbeit (Pototzki, Tim; Hammes, Frederik: „,Modern Warfare
2ʻ bricht weltweit Rekorde. Turbulenter Start für Blockbuster 2009“, GamesMarkt Nr. 23 (26. Nov.
2009), 4.)
57
„UK: ,Modern Warfare 2ʻ zieht an ,GTA IVʻ vorbei“, http://www.mediabiz.de/games/news/uk-modernwarfare-2-zieht-an-gta-iv-vorbei/287149 (15. März 2010)
58
Zahlen zu Avatar – siehe: http://www.boxofficemojo.com/movies/?id=avatar.htm bzw. http://www.thenumbers.com/movies/2009/AVATR.php
59
„Modern Warfare 2 sprengt Milliarden-Umsatzgrenze“, http://derstandard.at/1262209527666/Mo
dern-Warfare-2-sprengt-Milliarden-Umsatzgrenze (14. Jän. 2010)
60
„Empfohlener VK: € 69,99“ – siehe „mediabiz Datenbanken“, http://www.mediabiz.de/games/firmen/
programm/call-of-duty-modern-warfare-2-dt-playstation3/51366 (o.J.) – Stand: Jänner 2010
32
gemacht werden können, bietet aber ProduzentInnen und Anbietern von Medieninhalten neue Möglichkeiten.
Die goldenen Zeiten des Kinos sind ohnehin seit mehr als einem halben Jahrhundert
Vergangenheit: „[...] in 1946 there were over 1,500 million admissions to cinemas and
in 1980 there were 86 million.“61, 62 Doch das Kino lebt noch immer, indem es sich
angepasst und neue Wege zum/-r ZuseherIn gefunden hat, ohne sich so weit entfernt zu haben um die Bezeichnung „Kino“ zu verlieren. Es warten schlichtwegs neue
Herausforderungen – ein Beispiel: „Ästhetik und Technik der Videospiele beeinflussen das Kino ebenso, wie sich die Videospielindustrie Potenziale des Filmmediums aneignet.“63
Auch das Fernsehen wird sich den neuen Anforderungen stellen müssen, denn...
Ergebnisse von zahlreichen Studien belegen, dass sich das Nutzungsverhalten vor allem bei
jungen Menschen geändert hat. 64 [...]
Sie sehen weniger fern, gehen weniger oft ins Kino, verbringen andererseits jedoch mehr Zeit
im Internet und konsumieren mehr Videospiele. 65
Die Zukunft des Fernsehens sehen die Vorstände von ProSiebenSat.1 u.a. in der Erschließung neuer Erlösquellen und in der Delinearisierung:
Schon seit einigen Jahren verfolgen wir eine gezielte Diversifikationsstrategie. Durch die
Expansion in neue Geschäftsfelder und die Erweiterung der Erlösquellen optimieren wir unser
Chancen- und Risikoprofil. So können wir unsere bestehenden Ressourcen durch die
Mehrfachverwertung von Inhalten wesentlich effizienter nutzen. „Content anytime, anywhere“
61
Burchill, Julie: Girls on Film. 1986, 4.
62
Julie Burchill begründet diesen Zuseherverfall mit dem Rückgang an Filmproduktionen für die
weibliche Zielgruppe – siehe dazu auch Lant/Periz: „Research so far suggests a close synchrony
between womenʼs enthusiasms for the film medium and its economic fortunes, a historical basis for
Julie Burchillʼs hunch that the movies went bad when they stopped making them for women.“ (Lant,
Antonia; Periz, Ingrid: „General Introduction“. In: Red Velvet Seat. Womenʼs Writing on the First Fifty
Years of Cinema. 2006, 4.)
63
Moorstedt, Tobias: „Über die schwindenden Grenzen zwischen Spiel und Film“. In: Zukunft Kino.
The End of the Reel World. 2008a, 190.
64
Kreuzer, Hannes: Digitale Film-Distribution – Funktionsweise und kritische Beleuchtung der Auswirkungen auf die Filmindustrie. 2009, 53.
65
Kreuzer, Hannes: Digitale Film-Distribution – Funktionsweise und kritische Beleuchtung der Auswirkungen auf die Filmindustrie. 2009, 119.
33
ist die Devise. Zugleich verringern wir durch die Erschließung neuer Distributionswege und
neuer Märkte die Abhängigkeit vom TV-Werbemarkt. [...]
Heute heißt das Schlagwort ,Delinearisierungʻ. Das bedeutet, dass wir unseren produzierten
Inhalt nicht mehr nur für klassisches Free-TV, sondern für verschiedene Angebote verwenden.
TV-Programme sind heute über ein breites Spektrum an Plattformen, Kanälen und Geräten
verfügbar – als Video-on-Demand (→ VoD), Pay-TV, Handy und andere mobile Endgeräte,
DVDs oder Games. Inhalte werden auf einem Memory-Stick gespeichert oder abgerufen und
auf jedem Gerät zu jeder Zeit konsumiert.66
Computerspiele werden in der Konvergenz Fernsehen/Internet eine bedeutende
Rolle spielen – mehr zu diesem Thema im Kapitel im Kapitel „TV und Spiel“, Seite 85
bis 90.
66
Posch, Guillaume de; Englert, Marcus: „Zukunft Fernsehen – Content ist King Kong“. In: Auslaufmodell Fernsehen? Perspektiven des TV in der digitalen Medienwelt. 2008. 166f.
34
FILMISCHE GESTALTUNGSMITTEL IN
COMPUTERSPIELEN
Die „filmischere Gestaltung“ von Computerspielen ist in der Welt der Spielebranche
ein heikles Thema. Richard Rouse III, ein Game Designer, dazu in einem Interview:
I tend to try to avoid using phrases like “letʼs make this part of the game more cinematic”
because if one is to take that term literally, it would mean to make the game more like a movie
and thus less interactive. And surely no one wants that.67
Dass die Befürchtung in der Spielbranche umgeht, dass Computerspiele dem
Medium Film zu nahe kommen, bestätigt auch Steve Ince: „ʻGames are not films!ʼ
has become almost a rallying cry amongst those who are worried that looking to the
film industry for parallels will take games in the wrong direction.“68
Besondere Missachtung finden in diesem Zusammenhang Cut-Scenes, die
filmischen Zwischensequenzen zwischen zwei Levels oder Aufgaben. Diese sind
meist linear, ohne Interaktionsmöglichkeiten für den/die SpielerIn und können
manchmal nicht übersprungen werden, wenn sie eine Ladezeit überbrücken oder von
den Herstellern absichtlich „unüberspringbar“ programmiert worden sind. Sie sind als
Filmsequenz innerhalb des Spiels das filmischste aller eingesetzten Mittel.
Die Aussagen gehen noch nicht so weit, dass Game DesignerInnen, die Cut-Scenes
einsetzen, als gescheiterte FilmemacherInnen bezeichnet werden, aber unterstellen
ihnen den geheimen Wunsch, als FilmregisseurIn zu fungieren69 und sprechen von
„ersatz movie-making“:
67
Newman, Rich: Cinematic Game Secrets. For Creative Directors and Producers. Inspired Techniques from Industry Legends. 2009, 175.
68
69
Ince, Steve: Writing for Video Games. 2006, 15.
Vgl. das bereits in der Einleitung erwähnte Zitat: „The secret desire of game designers to be film
directors is deleterious to their games and to the industry generally. This desire must be stamped out.“
– Adams, Ernest: „Dogma 2001: A Challenge to Game Designers“, http://www. gamasutra.com/view/
feature/3104/dogma_2001_a_challenge_to_game .php? page=2 (2. Feb. 2001)
35
Of all the more cinematic digressions from gameplay, however, the cut-scenes are probably
the least interesting in formal terms as game-fiction gives way to a form of ersatz moviemaking in which the player has minimal investment or involvement. 70
Bei den SpielerInnen finden die Cut-Scenes angeblich auch keinen Anklang. Warum
sich Cut-Scenes trotzdem seit Jahren in Spielen halten und nicht so schnell
verschwinden werden, wird dieses Kapitel untersuchen. Des Weiteren wird es
erfolgreiche und weniger erfolgreiche Varianten der filmischen Zwischensequenzen,
beleuchten.
Der Begriff „cinematic“ im Zusammenhang mit Computerspielen geht jedoch über die
Verwendung der linearen, filmischen Zwischensequenz hinaus und bezieht sich
außerdem auf einzelne filmische Techniken und Gestaltungsmittel. In diesem Sinne
ist sich die Gamesbranche wieder einig – Richard Rouse III:
[...] if we must use the term [“cinematic”, Anm. R.H.], I prefer to think of ways games can steal
specific filmic techniques and make them part of gameplay. The slow-motion effect in Max
Payne [...] is a great example of this: it was based on a technique that players were used to
seeing in films and made it interactive. The developers didnʼt just put slow-motion sections in
the cut-scenes, they actually added it to the game itself and made it meaningful and a lot of
fun. Simple things like tilting the camera or adding depth of field or using a split screen are all
examples that can be applied to gameplay and open up cool new gameplay dynamics. This
makes a game more “cinematic” while still definitely a game.71
Der zweite Aspekt dieses Kapitels befasst sich daher mit einer Auswahl von
Überschneidungen mit einzelnen Filmdepartments und deren Gestaltungsmöglichkeiten, die in beiden Medien ihre Anwendung finden. Als Mittel bzw. zur Gliederung
dient die Betrachtung aus der Sicht der einzelnen Filmdepartments, inwiefern diese
bei Computerspielen ihre Anwendung finden.
70
71
Atkins, Barry: More than a game. The computer game as fictional form. 2003, 37.
Newman, Rich: Cinematic Game Secrets. For Creative Directors and Producers. Inspired Techniques from Industry Legends. 2009, 175.
36
Cut-Scenes
Cut-Scenes, manchmal auch „Full-Motion Video Sequences“ (FMV) oder „Cinematics“ genannt, sind kurze Animationsfilme.
Es stellt sich die Frage, wie diese besser in Spiele eingebunden werden können und
welche Versuche weniger erfolgreich waren und warum sie weiterhin existieren.
Einige Beispiele:
1. Cut-Scenes hielten in der Vergangenheit oft dem Vergleich mit Filmen nicht stand.
Während sie wie Filme zu wirken versuchten, hatten sie zu viele Defizite,
besonders in den Bereichen Kamera, Schnitt, Dialog und Synchronisation. Eine
der Ursachen lag darin begründet, dass diese Bereiche als Zusatzaufgabe
diesem/-r oder jenem/-r MitarbeiterIn auferlegt wurden, ohne Rücksicht auf
dessen/deren Qualifikation im jeweiligen Bereich. Dieser Aspekt hat sich in den
letzten Jahren wesentlich verbessert, u.a. durch die Aus- und Weiterbildung von
MitarbeiterInnen72 und den Einsatz von externen BeraterInnen.
2. Cut-Scenes haben als lineares Ereignis, das nicht in Echtzeit gerechnet werden
muss, die Möglichkeit, eine bessere Bildqualität zu bieten. Gerade dieser Punkt
findet gerne seine KritikerInnen, da die Cut-Scenes dann zu sehr von der
Gestaltung des Spiels abweichen. Der/die SpielerIn sieht plötzlich Möglichkeiten,
die er/sie während des Spiels sonst nicht zu sehen bekommt, nämlich nicht nur
eine bessere Bildqualität, sondern etwa auch Großaufnahmen, einen Bildschnitt
und Aktionen seines Avatars, die er/sie selbst nicht ausführen kann etc. Um diese
Ablenkung zu verhindern, wurden Varianten von Cut-Scenes geschaffen, die das
gleiche Aussehen wie das (von der Game Engine 73 geschaffene) Erscheinungsbild während des aktiven Spielens haben. (Zur Vereinfachung nenne ich diese Art
der Umsetzung von Cut-Scenes im Folgenden „Game Engine Ästhetik“.) Diese
Ästhetik versucht zu unterbinden, dass der/die SpielerIn aus der Identifikation mit
dem Avatar kippt. Das Problem besteht jedoch darin, dass diese Cut-Scenes,
trotz Game Engine Ästhetik, weiterhin die Interaktionen des/-r SpielerIn einschränken bzw. nicht weiter fördern. Aus meinen eigenen Spielerfahrungen führt
72
Das Angebot an Ausbildungsplätzen für Jobs in der Spielebranche ist in den letzten Jahren
wesentlich gewachsen.
73
Die Game Engine ist das jeweilige Programm, das einem Computerspiel zugrunde liegt. Es
ermöglicht die Echtzeit-Interaktion des/-r SpielerIn im Spielablauf und sorgt für die visuelle Darstellung
auf dem Bildschirm.
37
die Game Engine Ästhetik vielmehr dazu, eine Cut-Scene abzulehnen, da sie in
den meisten Fällen weder Interaktion noch besondere filmische und/oder
erzählerische Qualitäten bietet.
Abb. 8: Gameplay in Assassinʼs Creed. 74
Abb. 9: Cut-Scene in Assassinʼs Creed.75
3. Um dem in Punkt 2 beschriebenen Problem mangelnder Interaktionsmöglichkeiten zu begegnen, erlauben es einige Spiele (deren Cut-Scenes auf der Game
Engine Ästhetik basieren), wie etwa Assassinʼs Creed (siehe Abbildung 8 und 9),
dem/-r SpielerIn selbst die Kameraperspektive zu kontrollieren oder sich frei im
Raum zu bewegen. Assassinʼs Creed bietet außerdem die Möglichkeit, per
Knopfdruck im richtigen Moment einen Schnitt in eine kurze Großaufnahme auszulösen – ansonsten lauscht der/die SpielerIn einem sehr langen Dialog, der
kaum die Hauptfunktionen eines Dialogs erfüllt.76 All diese Varianten bieten weder
eine spannende Ablenkung noch die Möglichkeit, das Geschehen zu beeinflussen. Im Beispiel Assassinʼs Creed kann der/die SpielerIn zwar dem Nichtspielercharakter den Rücken zukehren und in eine andere Richtung blicken, doch einen
Einfluss auf das Geschehen bewirken diese Aktionen nicht.
4. In manchen Spielen, wie Uncharted 2 oder Mirrorʼs Edge, verläuft der Übergang
(in einigen Teilen, nicht in allen) zwischen Cut-Scenes und spielbaren Teilen so
schnell und flüssig, dass der/die SpielerIn den Übergang kaum bemerkt und
davon überrascht wird, plötzlich wieder interagieren zu müssen. Im Fall von
74
Assassinʼs Creed. (Screenshot). Bildquelle: Ubisoft. 2007/2008.
75
Assassinʼs Creed. (Screenshot). Bildquelle: Ubisoft. 2007/2008.
76
Siehe z.B. Syd Field: „Der Dialog hat zwei Hauptfunktionen: Entweder bringt er die Geschichte
voran, oder er offenbart etwas über die Hauptfigur.“ (Field, Syd: Das Drehbuch. Die Grundlagen des
Drehbuchschreibens Schritt für Schritt vom Konzept zum fertigen Drehbuch. 2007, 122.) oder Claus
Peter Hant: „Die große Kunst des Dialogschreibens besteht darin, so viel davon wegzulassen wie nur
irgend möglich.“ (Hant, Claus Peter: Das Drehbuch. Praktische Filmdramaturgie. 1999, 108.)
38
Uncharted 2 ist es gelungen, die KritikerInnen maßgeblich davon zu begeistern:
„Zur fortwährenden Kurzweiligkeit trägt die Mischung aus geskripteten Ereignissen und dynamischen Spielewelten bei.“77
Abb. 10: Kurze Cut-Scene aus Uncharted 2.78
5. Uncharted 2 erhöht außerdem die Qualität seiner Cut-Scenes dadurch, dass mit
den DarstellerInnen anders als üblich gearbeitet wurde: Anstelle des Arbeitsprozesses „Motion Capturing ➝ Animationen ➝ Voice-Acting im Studio“ nahm das
Entwicklerstudio Naughty Dog den Ton schon im Zuge des Motion Capturing auf.
Die DarstellerInnen hatten dadurch ihre tatsächlichen Anspielpersonen vor sich
und konnten gemeinsam improvisieren, was an diesem Punkt noch kreativen
Einfluss auf die Cut-Scenes hatte.79
6. Einen etwas anderen Weg geht Heavy Rain: Das Spiel besteht zu einem Großteil
aus einer Aneinanderreihung von Quicktime-Movies und baut in seinem Gameplay darauf auf. Der/die SpielerIn muss währenddessen ständig Entscheidungen
treffen oder mit einer schnellen Reaktion die richtigen Knöpfe betätigen, was
dementsprechend den nächsten Quicktime-Movie auslöst.80
77
Zsolt, Wilhelm: „Uncharted 2: Das Abenteuer des Jahres“, http://derstandard.at/1254310789424/
Uncharted-2-Das-Abenteuer-des-Jahres (11. Okt. 2009b)
78
Uncharted 2. (Screenshot). Bildquelle: Sony. 2009.
79
Mehr zu dieser Vorgehensweise im Kapitel „DarstellerInnen“ (Seite 55 bis 58).
80
Mehr zur Funktionsweise von Heavy Rain im Kapitel „Fallbeispiel 2: ,Heavy Rainʻ“ (Seite 142 bis
152)
39
Abb. 11: Heavy Rain.81
7. Die Schaffung einer gänzlich anderen Ästhetik bietet eine weitere Herangehensweise, die z.B. die Spiele Cursed Mountain und Anno 1404 für ihre Cut-Scenes
wählten: Die Entwickler wählten eine Form der Umsetzung, die sich von einer
filmisch-realistischen Darstellung bewusst entfernt und streckenweise an eine
vertonte Aneinanderreihung gemalter Bilder (inklusive Animationselemente)
erinnert. Im Spiel Mirrorʼs Edge wiederum findet ein Teil der Cut-Scenes in Form
von Cartoons seinen Platz.
8. Auch der technische Fortschritt hat Einfluss auf die Qualität von Cut-Scenes. Die
erweiterten Möglichkeiten, über die Mimik Emotionen darzustellen, brachten
bereits eine wesentliche Verbesserung mit sich. Mit den Armen wedelnde
Charaktere mussten bislang oft als glanzlose Alternative dienen.
Abb. 12: Cut-Scene aus Cursed Mountain.82
Abb. 13: Cut-Scene aus Cursed Mountain.83
81
Heavy Rain. (Screenshot). Bildquelle: Electronic Arts. 2010.
82
Cursed Mountain (Screenshot). Bildquelle: Deep Silver, a division of Koch Media GmbH. 2009.
83
Cursed Mountain (Screenshot). Bildquelle: Deep Silver, a division of Koch Media GmbH. 2009.
40
9. Eine Sonderstellung nehmen Role-Playing-Games (RPGs) ein: In einigen RPGs
werden die Cut-Scenes dadurch unterbrochen, dass sich der Spieler für eine von
mehreren angebotenen Dialogoptionen entscheiden muss, was den Spielverlauf
in Folge mehr oder weniger beeinflusst.
10. Die meisten SpielerInnen sind sich einig, dass Cut-Scenes keine Zwangsverpflichtung sein sollen (von Spielen abgesehen, die darauf basieren) und es dem/-r
SpielerIn möglich sein soll, eine Cut-Scene per Knopfdruck zu überspringen.
Wenn das Überspringen aufgrund notwendiger Ladezeiten nicht möglich ist,
sollten sich die Cut-Scenes nicht an einer Stelle befinden, an welcher der/die
SpielerIn beim Scheitern einer Mission zwangsläufig wieder vorbeikommt und
sich dieselbe Szene noch einmal ansehen muss.
Warum existieren die angeblich so verhassten Cut-Scenes noch immer? Christoph
Quas, Head of Design beim Wiener Spielerentwickler Sproing Interactive, gibt im
Interview auf diese Frage scherzhaft die Antwort: „Würden wir sie nicht mehr verwenden, würde sich auch jeder beschweren.“84 In dieser Hinsicht ist bei vielen
Spielern ein Gewohnheitseffekt entstanden. Zu Beginn der Cut-Scenes waren diese
eine aufregende Neuheit, was ich aus eigenen Spielerfahrungen bestätigen kann:
Das Spiel Tomb Raider spielte ich damals nur, um die Zwischenanimationen zu
sehen. Als ich im Spiel aufgrund mangelnder Geduld und mangelnden Spielgeschicks nicht mehr vorankam, verwendete ich Cheats („Schwindel-Tricks“) zum
Überspringen von Levels, um die restlichen Filmsequenzen zu sehen, wenngleich
diese mit der Qualität von Filmen oder manchen der heutigen Cut-Scenes nicht
annähernd zu vergleichen sind.
Meine Theorie geht jedoch über den Aspekt des Gewohnheitseffekts hinaus: Die
Beschwerden kommen hauptsächlich aus dem Segment der Hardcore Gamer, die
eine Unterbrechung durch eine Filmszene ablehnen. (So wie Filmschaffende eine
Vergangenheit als Cineasten haben, kommen SpieleentwicklerInnen gerne aus der
Gruppe der Hardcore Gamer. Insofern findet diese Einstellung auch bei SpieleentwicklerInnen ihren Anklang.) Diese Aussagen übersehen, dass es andere Ziel-
84
Kornetzki, Timo; Quas, Christoph: Unveröffentlichtes Interview. Geführt von: Roland Hablesreiter.
(21. Juli 2009)
41
gruppen gibt, die ebendiese Elemente genießen oder gar als Belohnung einer erfüllten spielerischen Herausforderung ansehen.
Regie
Der Begriff der Regie, wie er beim Film verstanden wird, ist beim Computerspiel nicht
klar definiert. Wie bei den Spielegenres sind in diesem vergleichsweise jungen
Industriezweig die Rollenfunktionen nicht in vollem Einverständnis definiert (oder gar
im Kollektivvertrag niedergeschrieben – mit den einzelnen Aufgabenbereichen der
jeweiligen Position).
Vergleichbar ist in diesem Fall die Rolle des/-r Game DesignerIn, der/die die Aufgabe
hat, den kreativen Gesamtüberblick und die Funktionsweise des Spiels im Auge zu
behalten (im Zusammenspiel mit den technischen Möglichkeiten).
They [The Game Designers, Anm. R.H.] take the overall vision of the game and make it real
by fleshing out the details of how it actually works. They devise the core mechanics of the
game and they create the world in which it will take place. They describe the key characters
and determine how those characters will behave and (generally) how they will look. Game
designers define the rules that the player plays by, and all the sights and sounds the player
will experience, although actually creating those sights and sounds is the job of the artists and
audio people.85
Im Unterschied zum/-r FilmregisseurIn benötigt der/die Game DesignerIn mathematische Fähigkeiten:
When 300 archers shoot at 500 charging knights at a distance of 200 yards, you must be able
to devise a formula that determines how many knights will still be alive by the time they get to
the archers.86
In anderen Bereichen kommen sich die beiden Rollen wieder sehr nahe – oft
schreiben die Game DesignerInnen auch das „Drehbuch“ des Spiels (verbunden mit
ähnlichen Diskussionen wie in der Filmbranche, ob es nicht besser wäre, diese
85
Adams, Ernest: Break into the Game Industry. How to get a job making video games. 2003, 148f.
86
Adams, Ernest: Break into the Game Industry. How to get a job making video games. 2003, 151.
42
Aufgabe einem/-r AutorIn zu überlassen), zeichnen die Storyboards und immer
brauchen sie ein Verständnis von allen Departments.
Bei größeren Projekten ist dem/r Game DesignerIn ein/e Lead DesignerIn
übergeordnet, der/die über das kreative Gesamtkonzept wacht. Diese Funktion wird
manchmal auch als „Creative Director“ bezeichnet, aber, wie bereits erwähnt, ist eine
genaue Zuordnung nicht bei allen Funktionen möglich; die verschiedenen Firmen
nutzen die Jobbezeichnungen auf verschiedenste Art und Weise.
Die beiden Aufgaben in der Computerspielherstellung, bei denen zu hundert Prozent
von Regie gesprochen werden kann, sind die Schauspielführung bei Motion
Capturing und die Sprachregie bei den Aufnahmen im Tonstudio.87 Es liegt an der
Größe des Projektes und der Struktur des Entwicklerstudios, ob ein/e eigene/r
RegisseurIn dafür angeheuert wird, sich der/die Creative Director (Lead DesignerIn),
der/die Game DesignerIn oder der/die ProducerIn darum kümmert.
Eine ausschließliche Regiefunktion, wie sie beim Film bekannt ist, fällt ansonsten nur
im Bereich der Cut-Scenes an: „There is another kind of director in the game world
as well—the person who actually directs the cut-scenes within a game, though this
person is usually called a producer.“88
Drehbuch
Welche Bedeutung das „Drehbuch“ für ein Computerspiel hat oder haben kann,
darauf wird diese Arbeit näher im Kapitel „Filmisches Erzählen und Interaktives
Erzählen“ (Seite 91 bis 132) eingehen. An dieser Stelle wird vorweggenommen,
welche verschiedenen Aufgabengebiete das geschriebene Wort in der Computerspielbranche hat.
Wie beim Film birgt das Drehbuch zwei große Aufgabengebiete – die Geschichte
selbst (inklusive Erschaffung der Welt, in der sich die Charaktere bewegen) und der
Dialog. Bei größeren Projekten übernehmen diese beiden Aufgaben verschiedene
AutorInnen, die auf Story oder Dialog spezialisiert sind. Story und Dialog hängen da-
87
Newman, Rich: Cinematic Game Secrets. For Creative Directors and Producers. Inspired Techniques from Industry Legends. 2009, 133.
88
Newman, Rich: Cinematic Game Secrets. For Creative Directors and Producers. Inspired Techniques from Industry Legends. 2009, 133.
43
bei stark mit der Funktionsweise des Spiels zusammen. Daniel Erickson, Autor beim
Spieleentwickler BioWare: „Game writing is at least half game design.“89
Ob die Rolle des/r AutorIn der/die Game DesignerIn oder der/die Creative Director
(Lead DesignerIn) übernimmt, oder ob eigene AutorInnen dafür eingesetzt werden,
hängt wiederum von der Größe des Projektes und der Firmenstruktur ab.
Newman: Do you think this field will continue to grow within the game industry as a
standalone job or do you think writing will be viewed as a function of the game designer or
creative director?
Erickson: For any company that cares about great writing, this will always be a standalone
job and as VO [Voice Over] budgets balloon into the millions of dollars, it only makes sense to
pay for great content to put in the actorsʼ mouths. There is no comparison between a level
designer slumming on some dialogue and a gifted writer whoʼs been studying storytelling for
ten years.90
Darüber hinausgehend werden in der Computerspielbranche AutorInnen eingesetzt
für:
- Texte, die auf dem Bildschirm im Laufe des Spiels dargestellt werden
- Benutzerhandbücher
- weitere technische Texte wie „game design documents“ und „audio/video recording
scripts“91
- die Marketingabteilung
Produktion
Wie die Produktion eines Computerspiels abläuft, wurde bereits im Kapitel
„Produktion eines Computerspiels“ (Seite 25 bis 31) näher erläutert.
Die Rolle des/-r Produzenten/-in in der Computerspielbranche unterscheidet sich
hingegen wenig von der Rolle des/r Filmproduzenten/-in (abgesehen von den
jeweiligen, notwendigen Branchenkenntnissen): Der/die SpieleproduzentIn kümmert
89
Newman, Rich: Cinematic Game Secrets. For Creative Directors and Producers. Inspired Techniques from Industry Legends. 2009, 76.
90
Newman, Rich: Cinematic Game Secrets. For Creative Directors and Producers. Inspired Techniques from Industry Legends. 2009, 78.
91
Adams, Ernest: Break into the Game Industry. How to get a job making video games. 2003, 146f.
44
sich um die Entwicklung und um den Herstellungsprozess eines oder mehrerer
Spiele. Dabei ist er/sie für den Zeitplan und die Fertigstellung verantwortlich und trägt
die finale Entscheidungsgewalt.92
Und wie beim Film ist der Begriff „Producer“ ein schwammiger: „In the film and game
industries, the job title ʻproducerʼ can mean a lot of different things. It all depends on
the context of the position and the medium in use.“93
Kamera & Licht
Die Kameraführung als Qualitätskriterium ist bei der Kritik von Computerspielen
längst angekommen mit Beispielen wie: „Zwar kann es durch so viel rasante Action
und schnelle Kameraschwenks hin und wieder zu einem mulmigen Gefühl in der
Magengegend kommen, doch man gewöhnt sich schließlich an alles.“94
oder
„Packende Kameraführung, glaubwürdige Charakterentwicklung und ausgezeichnet
geschriebene Dialoge lassen die Grenzen zwischen Spiel und Film verschwinden.“95
Die filmischen Cut-Scenes setzen die virtuelle Kamera mit allen Annehmlichkeiten
des Kameraeinsatzes bei Animationsfilmen und computergenerierten Bildern (CGI)
ein. McClean beschreibt die virtuelle Kamera als „a computer-generated camera
effect that can range from simulated camera moves, focus-pulls, and lens effects“96
und bezeichnet sie als großen Vorteil für RegisseurIn und Kameramann/-frau durch
die Freiheiten, die sie ermöglicht:
Underwater shots, subterranean shots, extraordinary angles, transitions to and from different
points of view, and visual links between settings in a form of montage can be made without
any restrictions except the imaginations of the director and the director of photography (DP).
The value that this freedom has for filmmakers is difficult to overstate. 97
92
Adams, Ernest: Break into the Game Industry. How to get a job making video games. 2003. 154f.
93
Newman, Rich: Cinematic Game Secrets. For Creative Directors and Producers. Inspired Techniques from Industry Legends. 2009, 107.
94
Pernkopf, Wolfgang: „Spring (noch) nicht!“, GamingXP Nr. 08 (Dezember 2008 Jän. 2009), 22.
95
Zsolt, Wilhelm: „Uncharted 2: Das Abenteuer des Jahres“, http://derstandard.at/1254310789424/
Uncharted-2-Das-Abenteuer-des-Jahres (11. Okt. 2009b)
96
McClean, Shilo: Digital Storytelling. The Narrative Power of Visual Effects in Film. 2007, 46f.
97
McClean, Shilo: Digital Storytelling. The Narrative Power of Visual Effects in Film. 2007, 49.
45
In den Cut-Scenes stehen dem/-r Kameramann/-frau ebenso keine Grenzen gegenüber, doch die Möglichkeiten der virtuellen Kamera geht über den Einsatz in CutScenes hinaus. Christoph Quas, Game Designer und Head of Design bei Sproing
Interactive Media, gab zu diesem Thema im Interview folgendes Beispiel:
Bei Gears of War, einem Ego-Shooter für die Xbox, gibt es zwei Bewegungsmodi: Gehen und
Laufen. [...] Im Laufmodus nimmt die Kamera eine niedrigere Position98 ein und beginnt zu
shaken und man hat das Gefühl, man läuft mit der doppelten Geschwindigkeit. In Wahrheit ist
das ein reiner Fake der Kameraführung. Die Geschwindigkeit selbst wird nur um den kaum
merklichen Faktor „mal 1,2“ erhöht, die gefühlte Geschwindigkeit ist jedoch doppelt so schnell
– nur durch den Einsatz der Kamera. Und es gibt viele Beispiele dieser Art. 99
Der zuvor erwähnte Slow-Motion-Effekt100 ist ein weiteres Beispiel für den kreativen
Einsatz der virtuellen Kamera.
Auch die Lichtsetzung und die Farbbestimmung sind von Bedeutung, wie sie auch im
Bereich animierter Filme und computergenerierter Bilder Verwendung finden. Um für
den/die SpielerIn genügend Abwechslung zu bieten, setzen die Spieleentwickler
verschiedene Levels nicht nur an verschiedenen Locations an, sondern achten auch
darauf, dass das folgende Level eine andere Lichtstimmung und/oder anderes
farbliches Konzept hat.
Farben werden außerdem dafür eingesetzt, dem Spieler den Weg zu weisen – in
Mirrorʼs Edge etwa weisen rot eingefärbte Objekte in einer eher blau-kühlen
Umgebung auf die einzuschlagende Route hin.
98
Eine niedrigere Kameraposition gibt eine höhere Geschwindigkeit vor; siehe diesbezüglich auch
Jesse Schell: „Their solution was a combination of making the cars move faster [...] and lowering the
camera viewpoint to make the perceived motion faster.“ Schell, Jesse: The Art of Game Design. A
Book of Lenses. 2008, 417.
99
Kornetzki, Timo; Quas, Christoph: Unveröffentlichtes Interview. Geführt von: Roland Hablesreiter.
(21. Juli 2009)
100
Siehe Seite 36.
46
Abb. 14: Mirrorʼs Edge.101
Abb. 15: Mirrorʼs Edge. 102
Ein Unterschied besteht in einigen Spielen in der Anpassung von Licht und Look
durch das bewusst visualisierte Vergehen von Zeit: Wetter- und Tag-Nacht-Wechsel
tragen zur Atmosphäre bei und beeinflussen den Spielverlauf eines Open World
Games wie GTA IV. Zum Beispiel sind Nichtspielercharaktere per Telefon zu
bestimmten Tages- oder Nachtzeiten nicht erreichbar, da sie schlafen oder arbeiten;
Geschäfte sind geschlossen; die Sicht ist schlechter, was durch das Einschalten des
Fernlichts beim Auto wiederum beeinflusst werden kann...
Wenn die Kameraperspektive nicht vom/n der SpielerIn durchgehend gesteuert wird
oder fix festgelegt ist wie zum Beispiel der Point-of-View beim Ego-Shooter, sind
Perspektivwechsel ein mögliches Stilmittel. Dieses Mittel ist außerhalb von CutScenes (und im Wechselspiel mit Cut-Scenes) mit Vorsicht zu genießen. Wenn der/
die SpielerIn aufgrund eines Perspektivwechsels plötzlich die Orientierung verliert,
sich in eine nicht beabsichtigte Richtung bewegt oder die Gegner aus dem Auge
verliert, ist der Wechsel in eine andere Kameraposition kontraproduktiv. Im zweiten
Teil des Survival-Horror-Spiels Resident Evil war dies der Fall, wie es Steven Poole
beschreibt:
[...] the player can get killed by zombies not because the environment is cleverly designed but
because he was deliberately hindered from seeing them coming until it was too late. [...] As
with film, shots are done to you. Silent Hill, meanwhile, sometimes lets the player control the
camera when walking around the streets, but dive into a dim alley and the tilted overhead shot
is the only perspective youʼll get. And this shows how a purely filmic notion of camerawork
101
Mirrorʼs Edge. (Screenshot). Bildquelle: Electronic Arts. 2008/2009.
102
Mirrorʼs Edge. (Screenshot). Bildquelle: Electronic Arts. 2008/2009.
47
cannot work in a videogame context. Film manipulates the viewer, but a game depends on
being manipulable.103
Der/die SpielerIn kontrolliert daher in vielen Fällen, abseits der Cut-Scenes, selbst
die Kameraperspektive. In einem Spiel wie Uncharted 2, in dem die Wechsel von
Cut-Scene zum/-r SpielerIn sehr flüssig sind, sind die Übergänge von Cut-SceneKameraperspektive zur Spielperspektive und zurück auf gelungene Weise umgesetzt
und glänzen mit visuellen Überraschungen. In einer Szene etwa detoniert eine
Granate und das Haus, in dem sich der Avatar befindet, beginnt zusammenzustürzen. Dargestellt wird dies als kurze Cut-Scene, in der der/die SpielerIn seinen/
ihren Avatar aus einer leicht veränderten Perspektive auf dem einbrechenden Boden
abrutschen sieht – das Bild vibriert und zittert (die Kamera wird „geschüttelt“). Im
richtigen Moment muss der/die SpielerIn innerhalb der Cut-Scene plötzlich den
„Sprung-Knopf“ drücken, um sich mit einem Satz auf das gegenüberliegende Haus
zu retten. Gelingt dies, sehen wir den Sprung noch als kurze Cut-Scene, um mit der
Landung wieder in der gewohnten Spielperspektive zu landen. Ansonsten sehen wir
Absturz und Ableben der Spielfigur.
Zusammenfassend, die Verwendung einer teilweise vorbestimmten Kameraführung
ist eine schwierige Angelegenheit, kann aber das Spiel durchaus bereichern, wenn
die Umsetzung gut funktioniert und das Gameplay dies erlaubt.
Die virtuelle Kamera im Spiel ist, wenn überhaupt im Ansatz, nie zur Gänze vorherbestimmt (während die Filmkamera für den/die ZuseherIn immer eine Vorauswahl
von Perspektive, Bewegung und Licht trifft).
Die visuelle Struktur eines Films hingegen ist predeterminiert. Jede/r ZuseherIn sieht
den gleichen Film und die gleichen Kameraeinstellungen. Im Computerspiel
hingegen hat der/die SpielerIn in vielen Spielen die Möglichkeit, die Abfolge der
Geschichte zu verändern und die Kamera selbst zu bestimmen.104
Wie für alle anderen filmischen Elemente gilt für die Kamera, dass sie im
Zusammenspiel mit der Interaktivität des Games zu funktionieren hat.
103
104
Poole, Steven: Trigger Happy. Videogames and the Entertainment Revolution. 2004, 81.
Newman, Rich: Cinematic Game Secrets. For Creative Directors and Producers. Inspired Techniques from Industry Legends. 2009, 103.
48
Schnitt
Ähnlich wie bei der Kamera verhält es sich mit dem Schnitt: Der Perspektivwechsel
ist eine heikle Angelegenheit, die nur in manchen Fällen, und selbst dort geschickt
eingesetzt, Vorteile bringt.
Sometimes videogame camera positions change automatically rather than at the playerʼs
behest105; even so, when they do, they are not performing traditional montage but trying to
give the player a better view of the action under his control. This is the case in the Tomb
Raider games, for instance. Such changes of view, however, can and often do employ other
quasifilmic techniques such as tracking and panning. [...] True montage meanwhile, is still not
used. 106
Viele Games bestehen innerhalb des vom/-n der SpielerIn gesteuerten Spielflusses
(außerhalb der Cut-Scenes) nur aus einer einzigen Plansequenz, wie dies auch
Bruce Block107 im Interview mit Rich Newman bestätigt: „Most games tend to be a
single, endless shot, so editing isnʼt usually a factor in a computer game.“108
Montagetechniken kommen in den Cut-Scenes zum Einsatz und darüber hinaus in
einem Übergang von Cut-Scene zurück zum gesteuerten Spielverlauf. In Uncharted
2 sind, wie bereits erwähnt, dieser Übergang und Zusammenspiel mit der
Kameraführung beispielhaft.109
Im gesteuerten Spielverlauf angewandte Montage findet sich im Spiel Fallout 3: Der/
die SpielerIn hat die Möglichkeit, während eines Kampfes, die Zeit anzuhalten,
gezielt einen Körperteil des/-r GegnerIn anzuvisieren (wenn der entsprechende
„Ladebalken“ dieser Fähigkeit der Spielfigur voll genug dafür ist). In Folge kommt es
zu einem Schnitt aus der üblichen Ego-Perspektive (Point-of-View) und der/die
SpielerIn sieht seinen/ihren Avatar „von außen“ und in Zeitlupe das gewählte Angriffs-
105
behest = Geheiß (PONS Globalwörterbuch Englisch – Deutsch. 1997, 96.)
106
Poole, Steven: Trigger Happy. Videogames and the Entertainment Revolution. 2004, 83.
107
„Bruce Block has served as a producer, director or creative consultant on feature films, television
shows, commercials, animated films, computer games, and IMAX movies. His feature film credits
include: The Holiday, Somethingʼs Gotta Give, Stuart Little, As Good As It Gets, The Parent Trap and
Americaʼs Sweethearts.“ (Newman 2009, 102)
108
Newman, Rich: Cinematic Game Secrets. For Creative Directors and Producers. Inspired Techniques from Industry Legends. 2009, 106.
109
Siehe Seite 48.
49
manöver ausführen, um gleich darauf wieder in die Ego-Perspektive und in den
Kampf zurückzukehren (so die Gegner noch stehen). Die Verwendung von Montage
innerhalb des gesteuerten Spiels dient in diesem Beispiel einer angewandten
Funktion des Gameplays.
Abb. 16: Angriffsmanöver Ego-Perspektive.110
Abb. 17: Angriffsmanöver Außenperspektive. 111
Ein weiteres, wenn auch schon etwas älteres Beispiel bietet in diesem Zusammenhang die Funktion der Wiederholung. Manche Spiele zeigen auf Wunsch oder in
gewissen Situationen automatisch eine soeben getätigte Aktion aus einer anderen
Perspektive, eventuell in Zeitlupe.112 Die Einbindung dieser Technik darf den/die
SpielerIn jedoch weder langweilen noch den Spielfluss zu stark behindern.
Wie die virtuelle Kamera birgt die Montage in Computerspielen Gefahren in sich,
wenn sie sich nicht an das interaktive Medium anpasst oder nicht mit der jeweiligen
Form des Gameplays in Einklang zu bringen ist, andererseits bietet sie ein nur
teilweise ausgeschöpftes Potenzial.
[...] videogames are potentially a more flexible form than film. Such borrowings
[Kameraperspektiven & Montage; Anm. R.H.] from cinematic techniques can indeed enhance
the visual experience of a game without compromising its unique intensity.113
110
Fallout 3. (Screenshot). Bildquelle: Ubisoft. 2008.
111
Fallout 3. (Screenshot). Bildquelle: Ubisoft. 2008.
112
Die Inspiration dieser Technik lässt sich auf Sportübertragungen zurückführen: „Television sports
directors have understood for a long while that [...] the cutting together of different viewpoints gives a
better and more visceral understanding of the action.“ (Poole, Steven: Trigger Happy. Videogames
and the Entertainment Revolution. 2004, 84.)
113
Poole, Steven: Trigger Happy. Videogames and the Entertainment Revolution. 2004, 85.
50
Ausstattung & Kostüm
Ausstattung und Kostüm fallen in das Aufgabengebiet des/-r Game Designers/-in als
kreative/r Verantwortliche/r über diesen Bereich, während sich die Game Artists um
die gestalterische Umsetzung kümmern.
Manche zu erstellende Gegenstände werden von spezialisierten Firmen ausgeführt,
die als Sub-Unternehmen von einem Spieleentwickler beauftragt werden. Die Wiener
Firma Rabcat etwa ist unter anderem dafür bekannt, als Sub-Unternehmen Autos zu
erstellen. (Im Track Record finden sich Titel wie GTA Vice City, Test Drive Unlimited,
Motorstorm, Forza Motorsport 3.)114 Für das Spiel Cursed Mountain, dessen SpielLocation im Himalaya angesiedelt ist, wurde der Auftrag der Herstellung der
Requisiten an eine indische Firma vergeben, unter anderem aufgrund eines
„regionalen Vorteil“ in Bezug auf das Aussehen der Requisiten.115
2D & 3D (Modeling, Compositing, Animation)
In Bezug auf das computergenerierte Bild, ob 2D, 3D, Modeling, Compositing oder
Animation, sind sich Film und Computerspiel sehr nahe. Der große Unterschied liegt
jedoch darin, dass im Computerspiel jedes Bild (außerhalb der filmischen
Zwischensequenzen) in Echtzeit gerechnet werden muss, während der animierte
Film den Vorteil genießt, beinahe unbegrenzte Renderzeiten in Anspruch nehmen zu
können.116
Lange Zeit nahmen die technischen Voraussetzungen und der technische Fortschritt
das Hauptaugenmerk in der visuellen Gestaltung von Computerspielen ein. In der
Zwischenzeit hat sich diese Einstellung etwas gewandelt, nicht nur dahingehend,
dass die in diesem Kapitel genannten Elemente wie Story, Kamera usw. eine
bedeutendere Position einnehmen, sondern auch, dass die grafische Gestaltung in
Bezug auf den künstlerischen Schauwert mit anderen Augen betrachtet wird (anstelle
von einem rein technischen Standpunkt heraus):
114
Siehe: „Rabcat Group“, http://www.rabcat.com (o.J.) – Stand: Feb. 2010
115
Kenning, Julian: Art Directing Cursed Mountain. Vortrag bei Pixel 4.0. (27. Sept. 2009)
116
„Pre-rendered animation is one thing; animation on-the-fly, with constantly changing conditions, is
quite another. Considerable research has gone into making creatures and people walk realistically
under all circumstances: fast and slow, up hills and down, and so on.“ (Adams, Ernest: Break into the
Game Industry. How to get a job making video games. 2003, 130.)
51
So gewährte Raphael Lacoste, Senior Art Director Electronic Arts, Montreal, [als Referent
beim Game Forum Germany in Hannover; Anm. R.H.] einen Einblick in die Entstehung der
grafischen Gestaltung von „Assassinʼs Creed“, die u.a. von Gemälden von Caspar David
Friedrich beeinflusst gewesen sei. „Wir dürfen beim Gamedesign nicht allein die technischen
Möglichkeiten im Blick haben“, gab Lacoste zu bedenken, „auch der Stil ist bei der grafischen
Gestaltung äußerst wichtig.“ 117
Abb. 18: Assassinʼs Creed.118
Sound Design und Musik
„Films and games are both thought of as a visual medium, but the reality is that
sound plays almost as important a part in the final product.“119 Doch nicht nur, dass
die Bedeutung des Tons in Film- und Spielebranche manchmal zu Unrecht
unterschätzt wird, teilen die beiden Branchen, sondern auch die Ähnlichkeiten im
Herstellungsprozess: Aufnahmen von Sprache, Atmos, Geräuschen und die
Erstellung von Sound-Effekten, das Anlegen, Tonschnitt und Mischung und so weiter.
117
Laumann, Jörg: „Kommunikation & MaFo spielen wichtige Rolle. 360 Teilnehmer beim Game
Forum Germany in Hanover“, GamesMarkt Nr. 03 (10. Feb. 2010), 16.
118
119
Assassinʼs Creed. (Screenshot). Bildquelle: Ubisoft. 2007/2008.
Newman, Rich: Cinematic Game Secrets. For Creative Directors and Producers. Inspired Techniques from Industry Legends. 2009, 147.
52
„Because of this, many sound designers have worked in both areas, games and
movies, as well as applying their trade to theatre productions and television.“120
Außerdem verfolgt der Ton in beiden Fällen, ob Computerspiel oder Film, das Ziel,
eine emotionale Reaktion bei/m der RezipientIn hervorzurufen, insbesondere die
Musik. Film- und Spielekomponist Bill Brown beschreibt dies im Interview mit Sound
Designer Rob Bridgett:
The score can follow an overall arc in both mediums, it can develop themes, underscore
action, communicate exotic locations, and add dimension to the emotional landscape of either
medium using similar tools. 121
Doch den Unterschied macht wieder die Interaktivität des Computerspiels aus.
Welcher Sound wann ertönt, ist (außerhalb der Cut-Scenes) schwer planbar und ein
endgültiger Tonschnitt bzw. eine endgültige Mischung sind dadurch nicht möglich.
Sämtliche Eventualitäten müssen in der Umsetzung bedacht werden, wobei die verschiedensten Lösungen zum Einsatz kommen. Sound Designer Marc Schaefgen
bietet zwei Lösungen dafür an:
a) Den „ducking mechanism“: wenn eine Dialogzeile gesprochen wird, wird die Lautstärke aller anderen Sounds (oder einer Auswahl) automatisch reduziert.
b) Eine Mischung, in welcher der Dialog trotzdem immer hörbar ist. Schaefgen gibt
an, die zweite Variante zu bevorzugen, sie sei aber auch schwieriger umzusetzen.122
Ein Beispiel für eine weitere Herausforderung für den Umgang des/-r Sound
Designers/-in mit der Interaktivität ist die Lokalisierung eines Tons:
Scoring and designing audio for games can often be much more challenging than motion
pictures. [...] An example of this can be simply demonstrated by a car passing the camera. In
a film or television program, where the picture is established and consistent, the image of the
car pass-by is a linear time-established scene that can be scored, synchronized, recorded,
120
Newman, Rich: Cinematic Game Secrets. For Creative Directors and Producers. Inspired Techniques from Industry Legends. 2009, 147.
121
Bridgett, Rob: „Holllywood Sound: Part One“, http://www.gamasutra.com/view/feature/2406/holly
wood_sound_part_one.php? (16. Sept. 2005)
122
Newman, Rich: Cinematic Game Secrets. For Creative Directors and Producers. Inspired Techniques from Industry Legends. 2009, 155.
53
and mixed by a sound designer or musician. By contrast, in a 3D game environment there can
be hundreds of variables that determine how and where the car exists within a 3D space.
Because a player can view the car from a multitude of angles, the sound must be capable of
being manipulated to match the image from any viewpoint. A simple car sound may need to be
looped, layered, panned, pitch-shifted, down-sampled, and format converted—just to
accommodate a simple car-pass sound.123
Eine wichtige Aufgabe des/-r Sound Designers/-in besteht daher in der Programmierung der Auslöser des jeweiligen Sounds. In Echtzeit muss die Technik hinter
dem Spiel entscheiden, welcher Sound aus welcher Box abgespielt wird: „Most game
sound design relies on library sounds that are programmed in to respond to the
playerʼs decisions.“124
Ähnlich verhält es sich mit der Musik, bei der ebenfalls die Fragen aufkommen, wann
und wie die Programmierung des Spiels den jeweiligen Zeitpunkt für einen Wechsel
in der Musik, den Anfang, das Ende und/oder einen Loop festlegt – und inwiefern
auch die Handlungen des/-r Spielers/-in ein Trigger dafür sein können.
Aber die Interaktivität stellt für Musik und Sound Design nicht nur eine Schwierigkeit
in der Umsetzung dar, sondern bietet auch kreative Möglichkeiten. So können Sound
Design und Musik den/die SpielerIn in seiner/ihrer Handlung beeinflussen. „Any
sound can become a clue, a spur to action.“125 Wie die roten Gegenstände in Mirrorʼs
Edge126 kann die Musik oder ein Sound eine/n SpielerIn in die richtige Richtung
weisen (oder auf die Wahl der falschen Richtung hinweisen), ihn/sie erschrecken und
somit ein Zeichen zum Handeln geben und/oder vor einem Gegner warnen.
So music in a videogame does not work in exactly the same ways as music in a film. In a
game, sound can be functional, a means of providing information that the player then acts
on.127
123
Arem, Keith: „Foreword“. In: The Complete Guide to Game Audio. For Composers, Musicians,
Sound Designers, and Game Developers. 2009, xx.
124
Ament, Vanessa Theme: The Foley Grail. The Art of Performing Sound for Film, Games and
Animation. 2009, 25.
125
Poole, Steven: Trigger Happy. Videogames and the Entertainment Revolution. 2004, 68.
126
Siehe oben: Kapitel „Kamera & Licht“, Seite 45 bis 48.
127
Poole, Steven: Trigger Happy. Videogames and the Entertainment Revolution. 2004, 70f.
54
Sowohl im Spiel Silent Hill: Shattered Memories als auch in Heavy Rain ist ein
Soundeffekt der Clue für das Finden des benötigten Schlüssels: Wenn die Figur in
Silent Hill: Shattered Memories eine Dose in die Hand nimmt und schüttelt, hört der/
die SpielerIn, dass sich darin der gesuchte Schlüssel befindet; ebenso in Heavy
Rain, mit dem einzigen Unterschied, dass es sich beim Versteck um keine leere
Dose, sondern um eine hohle Porzellaneidechse handelt.
DarstellerInnen
Man mag glauben, dass der/die DarstellerIn in der virtuellen Welt keinen Platz mehr
findet und durch den technischen Fortschritt ersetzbar geworden ist. Diese Vermutung übersieht hingegen einige Faktoren, beginnend beim Film:
Auch in der Filmbranche herrscht bereits die Meinung vor, dass der Traum vom
perfekten, animierten Filmcharakter, der vom Mensch nicht mehr zu unterscheiden
ist, nicht mehr als den Beweis technischer Machbarkeit mit sich bringen wird – weder
lassen sich finanzielle Einsparungen durch den Verzicht auf die Gagen von
Schauspielstars rechtfertigen, noch hat es eine besondere Auswirkung auf die
Geschichte des Films und die damit einhergehende Identifikation des/-r Zusehers/-in
mit dem Charakter. Im Gegenteil, ob animiert oder SchauspielerIn aus Fleisch und
Blut, steht die Geschichte bzw. die Entwicklung der Figur im Vordergrund. Der Misserfolg des Films Final Fantasy ist nicht, wie fälschlicherweise manchmal behauptet,
auf die fotorealistisch und zur Gänze animierten Figuren zurückzuführen, sondern
auf die Schwächen der Geschichte.128
Für animierte Charaktere, im Film wie im Computerspiel, ziehen die Animation Artists
Motion-Capturing-Aufnahmen als Referenz heran, was deren Arbeit wesentlich erleichtert. Zwar sei es durchaus möglich, ohne menschliche Vorlage (ob Körperbewegungen oder im Gesicht ausgedrückte Emotionen) zu arbeiten, wie mir bereits
2005 eine Mitarbeiterin der Visual Effects Firma Digital Domain bei einem Besuch der
Niederlassung in Los Angeles versicherte, doch warum solle man darauf verzichten,
da dies wesentlich mehr Aufwand für den Artist bedeutet und sich somit auch
finanziell nicht rechnet.
128
„Although it is easy to reflect on the extent to which the characters do not convincingly represent
humans to a photoreal standard, at the heart of Final Fantasyʼs difficulties is that the characters do not
undergo any personal dilemmas about their roles [...]“ (McClean, Shilo: Digital Storytelling. The
Narrative Power of Visual Effects in Film. 2007,114.)
55
Die Vertonung des animierten Charakters bedarf ohnehin der Verpflichtung eines/-r
SchauspielerIn. Und dass der Starfaktor eines/-r Schauspielers/-in, manchmal
inklusive seines/ihren Privatlebens, zur Vermarktung eines Films in den meisten
Fällen geeigneter ist als eine fotorealistische Kunstfigur, ist über Hollywood hinaus
bekannt. Nicht umsonst klagen FernsehredakteurInnen und ProduzentInnen in Österreich über den Mangel an „Promis“.
Die Computerspielbranche hat einen ähnlichen Bedarf an SchauspielerInnen wie der
computergenerierte Film: Sie kommen in den Arbeitsschritten Motion Capturing und
Voice-Acting zum Einsatz.
Und ob diese gute Arbeit leisten, nehmen die Kritiken von Computerspielen durchaus
wahr129 , denn in der Vergangenheit war schlechtes Voice-Acting ein großer Nachteil
von Computerspielen.
Einen neuen, spannenden Ansatz verfolgen Spiele wie Uncharted oder Fable, die
Wege abseits des gewohnten Produktionsprozesses gehen. (Der gewohnte
Produktionsprozess besteht darin, zuerst Motion-Capturing-Aufnahmen vorzunehmen, später, und unabhängig davon, im Tonstudio das Voice-Acting zu produzieren.)
In Uncharted besetzte Creative Director Amy Hennig die Motion-CapturingDarstellerInnen von Beginn an mit SchauspielerInnen, die über mehr als körperliche
Schauspielfähigkeiten verfügen: Denn diese vollführten nicht nur ihre Bewegungen,
sondern sprachen auch die Texte. Der/die TonmeisterIn vor Ort nahm die Dialoge mit
auf, welche auch im Endprodukt ihre Verwendung fanden. Die DarstellerInnen
spielten also die Szenen wie vor der Kamera – und sie improvisierten dabei. Das
fertige Endprodukt überzeugte mich im Selbsttest: Die Dialoge, die Bewegungen der
Figuren, die Mimik, und so weiter, wirken wesentlich glaubwürdiger als die Produkte
der Mitbewerber.
Eine ähnliche Herangehensweise unternimmt Peter Molyneux in seinem Spiel Fable
III, um die Cut-Scenes aufzuwerten:
129
Z.B. in der Rezeption des neuesten Batman-Computerspiels: Im Angesicht des Jokers hat Batman
auf Konsole und PC bisher noch nie so eine gute Figur gemacht. "Batman: Arkham Asylym" ist die
bislang vielleicht beste Comic-Umsetzung, die alle Fähigkeiten des Fledermausmannes zur Geltung
bringt. Überzeugende Schauspieler, gruselige Charaktere und ein knallrotes Grinsen machen Lust auf
eine Fortsetzung. (Zsolt, Wilhelm: „Die besten Games 2009. Webstandard-Rückblick“, http://der
standard.at/1259281308717/WebStandard-Rueckblick-Die-besten-Games-2009?_slideNumber=3&_
seite=1&sap=2 (6. Dez. 2009d))
56
Um die Story möglichst lebendig schildern zu können, lässt er in einem Studio Schauspieler
eine Performance zu den fertigen Dialogen kreieren. Die Aufnahmen dieser Proben dienen
wiederum als Vorlage für die Spielszenen der Computercharaktere. 130
Die Computerspielbranche verzichtet nicht auf menschliche DarstellerInnen, der
Möglichkeit zum Trotz. Das Gegenteil ist der Fall: Wenn ausreichend Budget vorhanden ist, bedeutet der kreative Einsatz von SchauspielerInnen eine Aufwertung der
Produktion.
Abb. 19: Jack Black (rechts) in Brütal Legend.131
Manche Spiele setzen Stars als Marketing-Zugpferde im Voice-Acting ein, andere
setzen auf unbekannte Stimmen als Abtrennung von gewohnten Stimmen aus Film
und Fernsehen (vermutlich auch aus Kostengründen). In seltenen Fällen dient ein
Star auch als Vorlage und zugleich als Voice-Actor für die Hauptfigur des Spiels (den
vom/-n der SpielerIn geführten Avatar), wie etwa Dan Aykroyd und Harold Ramis
(u.a.) in der Neuauflage des Spiels Ghost Busters, für das sie auch als Autoren
130
Hammes, Frederik: „Die Spiele haben begonnen“, GamesMarkt Nr. 17 (3. Sept. 2009b), 31.
131
Brütal Legend. (Screenshot). Bildquelle: Electronic Arts. 2009.
57
agierten, Kiefer Sutherland in 24: The Game, oder Jack Black in Brütal Legend.132
Während es sich bei Ghost Busters und 24: The Game um Adaptionen handelt, ist
Brütal Legend mit Jack Black ein von Filmvorlagen unabhängiges Spiel.
Abb. 20: Kiefer Sutherland in 24: The Game.133
Abb. 21: Kiefer Sutherland.134
132
Zum Inhalt und der Spielweise von Brütal Legend: „Ein Roadie rettet die Welt. Mit Humor und
seiner E-Gitarre müssen SpielerInnen bei Brütal Legend [...] gegen das Böse kämpfen. [...] ,Brütal
Legendʻ erzählt die Geschichte von Eddie Riggs, gespielt von Jack Black.“ (Kucera, Gregor: „Brütal
Legend. Ein Mann und seine Stromgitarre kämpfen gegen das Unrecht“, http://derstandard.at/124029
7828374/Bruetal-Legend-Ein-Mann-und-seine-Stromgitarre-kaempfen-gegen-das-Unrecht (21. April
2009a)) Das Spiel punktet laut Kritiken vor allen Dingen mit schwarzem Humor und Jack Blacks
humorvoller Umsetzung im Voice-Acting: „[D]ie Charaktere [sind] die sattelfesten Stege, auf denen die
knackigen Dialoge so schrill wie Stahlseiten schwingen.“ (Zsolt, Wilhelm: „Brütal Legend: Metal of
Honor“, http://derstandard.at/1254311866040/Bruetal-Legend-Metal-of-Honor (24. Okt. 2009c))
133
24: The Game (Screenshot). Bildquelle: Sony.
134
Kiefer Sutherland (Foto). Bildquelle: Sony.
58
Filmschaffende in der Spielebranche
Besteht nun Platz für Filmschaffende in der Spielebranche abseits von Stars wie
Jack Black, Dan Aykroyd oder Steven Spielberg?
Diese Frage zu beantworten, ist keine einfache Aufgabe, und sie lässt auch keine
eindeutige Antwort zu.
Für Filmschaffende, die den Wunsch verspüren, in die Spielebranche zu wechseln,
fasst Ernest Adams die Vor- und Nachteile zusammen:
If youʼve got a job in film, television, or some other form of entertainment, you have a head
start in some respects and a handicap in others. Your head start arises from the fact that you
already have a career and you understand some of the basic principles of entertaining people:
pictures, sound, character, story, and so on. [...] Both industries do a certain amount of
creative writing; both require music and audio production; both license intellectual properties
and have relationships with other merchandising businesses. [...]
Your handicap comes from the fact that almost all form of media other than video games are
not interactive and are not presented by computer software. [...] And because games require
engineering, the working style of the game industry is very different from that of film and
television. 135
Wer nicht einen vollständigen Branchenwechsel plant, benötigt ausreichend Erfahrungswerte betreffend die Unterschiede der beiden Medien. AutorInnen, die für
beide Branchen zu schreiben gedenken, müssen die Regeln des jeweiligen Mediums
kennen. (Genügend AutorInnen schickten schon ihre Drehbücher nach Hollywood,
die nie gelesen wurden, weil sie ihre Drehbücher nicht im regulären Drehbuchformat
geschrieben bzw. editiert haben.)136 Wenn ein crossmediales, kreatives Arbeiten
auch keine einfache Aufgabe ist, so ist es aber nicht ausgeschlossen – um ein Beispiel zu nennen: David Freeman schreibt, berät und unterrichtet sowohl in der Film-
135
136
Adams, Ernest: Break into the Game Industry. How to get a job making video games. 2003, 98.
Vgl. Syd Field: „[...] das richtige Format ist sehr wichtig. Als Lektor suche ich immer nach einer
Ausrede, ein Buch nicht lesen zu müssen. Wenn ich also ein Drehbuch in die Finger bekomme,
dessen Äußeres nicht der Norm entspricht, weiß ich sofort: Das hat ein Anfänger geschrieben.“ (Field,
Syd: Das Drehbuch. Die Grundlagen des Drehbuchschreibens Schritt für Schritt vom Konzept zum
fertigen Drehbuch. 2007, 331.)
59
als auch in Spieleindustrie und leitet die Firma „The Freeman Group“, die er als
„game design and writing consultancy“ beschreibt.137 , 138
Selbiges gilt für die Entwicklerfirmen, die ProduzentInnen: Wie bei jeder anderen
Firmengründung oder Erweiterung um ein neues Geschäftsfeld bedarf es des
notwendigen Know-hows. Zu scheinbar obskuren Diskrepanzen kam es offensichtlich schon bei so manchen branchenübergreifenden Projekten und/oder Zusammenarbeiten, zum Beispiel schreibt Ernest Adams als Rat an Filmschaffende: „A note to
Hollywood folks: game developers do things via e-mail, not the phone.“139
Ein weiteres Betätigungsfeld für Filmschaffende in der Spielebranche ist die Funktion
eines externen Beraters für Spieleentwickler, vorausgesetzt der/die BeraterIn verfügt
über genügend Auftraggeber. Gerade den letzten Punkt gilt es in Österreich
realistisch zu betrachten. Die Produktion von aufwendigen und teureren Spielen ist
rar und ohne internationale Vernetzung ist der Tätigkeitsbereich schnell erschöpft.
Meiner Meinung nach und aus meinen eigenen Erfahrungen mit branchenübergreifenden Produktionen schließend, liegt das vielleicht größte Hindernis an
crossmedialem Arbeiten, egal welche Medien betreffend, am Aufbau und an der
Pflege der dafür nötigen Kontakte in mehreren Branchen gleichzeitig.
Aber die Wahrscheinlichkeit, dass sich zukünftig die Sichtweise auf die Zusammenarbeit von Spiele- und Filmbranche verändern wird, erhöht sich durch die steigende
Akzeptanz des Mediums Computerspiel und des vermehrten Eintritts von Kreativen
und GeldgeberInnen in die Arbeitswelt, die mit dem Medium Computerspiel
aufgewachsen sind.
For the Hollywood video game industry relationship to work, you need Hollywood people that
understand video games. The other is easy. Everyone who is a gamer that I know loves
movies. They all grew up with movies. But most of the people who are in power in Hollywood,
didnʼt grow up with video games. Thatʼs gonna change within the next ten years. 140
137
Freemann, David: Creating Emotion in Games: The Craft and Art of Emotioneering™. 2003, viii.
138
Die aktuelle Auflistung von David Freemans Engagement in der Film- und Computerspielbranche
sowie seiner Lehrtätigkeit findet sich unter: „Freemangames.com. Defining the Forefront of Emotion in
Games“, http://www.freemangames.com/idea/short-bio.php (o.J.) – Stand: Feb. 2010.
139
Adams, Ernest: Break into the Game Industry. How to get a job making video games. 2003, 98.
140
Rahimi, Amir: Unveröffentlichtes Interview. Geführt von: Roland Hablesreiter. (30. Sept. 2009)
60
COMPUTERSPIELE AUF DER LEINWAND UND
UMGEKEHRT – DIE ADAPTION
Eine Adaption ist eine Herausforderung und verlangt Können. Das Verb „adaptieren“ bedeutet,
etwas von einem Medium ins andere zu übertragen. Adaption heißt, etwas durch Veränderung
anzupassen. [...] Etwas für ein Drehbuch zu adaptieren, ist eine Kunst, und zwar eine
schwierige. [...] Nur wenige Autoren können mit Adaptionen umgehen.141
Adaptionen sind über alle Medien hinweg weit verbreitete Praxis, ob vom Roman
zum Hörspiel, vom Comic zum Film, vom Theaterstück zur Oper, vom Film zum
Musical... Und wenn das Zusammenspiel funktioniert und der Content dafür geeignet
ist, bringen sie nicht nur einen Effekt namens Cross-Marketing mit sich, sondern
auch eine Fülle von Merchandising-Produkten, von Spielfiguren, T-Shirts, Küchenutensilien, Schlüsselanhängern über Sticker und Poster bis zu „Limited Editions“ und
Download-Angeboten.
Auch abseits vermarktungstechnischer Gedanken, aus einer kreativen Sicht heraus,
ist die Sinnhaftigkeit gegeben: Warum nicht einen Stoff, der sich in einem Medium
bewährt hat, in einem anderen Genre oder Medium auf spannende und/oder neu
interpretierende Weise umsetzen? Oft profitieren Adaptionen auch davon, dass sie
auf einer bereits geschaffenen und beim Publikum etablierten Welt aufbauen können,
siehe das Star-Wars-Universum oder J.R.R. Tolkiens Mittelerde. Jesse Schell
behauptet sogar, dass Adaptionen (und in Folge die Merchandisingprodukte) die
Projektionsmöglichkeiten des/-r RezipientIn erweitern. Er beschreibt dies so, dass
eine Welt gebaut wird, die über die verschie-densten Medien betreten werden
kann.142
141
Field, Syd: Das Drehbuch. Die Grundlagen des Drehbuchschreibens Schritt für Schritt vom
Konzept zum fertigen Drehbuch. 2007, 391.
142
„Another way to build up the playerʼs projection into the world you have created is to provide
multiple ways to enter that world. Many people think of toys and games based on popular movies or
television shows as nothing but a gimmicky way to make a few extra dollars by riding the coattails of a
successful entertainment experience. But these toys and games provide new ways for children to
access an established fantasy world. The toys let them spend more time in that world, and the longer
they spend imagining they are in the fantasy world, the greater their projection into that world and the
characters in it becomes.“ (Schell, Jesse: The Art of Game Design. A Book of Lenses. 2008, 256f.)
61
Wie verhält es sich nun beim Game? Häufiger orientieren sich, Adaptionen betreffend, die Games am Film. Und die Lizenzierung und Adaption eines Films wertet
das Fachmagazin GamesMarkt in vielen Fällen als positives Verkaufsargument.143
Der crossmediale Marketingeffekt ist gegeben, vorausgesetzt die „Marke“ der Filmvorlage ist stark genug.
These games, often tie-ins with movies or books that have a highly recognizable brand name,
can be enormously lucrative. Which do you think will sell better, a game about a suave, welldressed British spy, or a game about James Bond? A game about a brilliant young star pilot,
or a game about Luke Skywalker?144
Aber „Branding“ und/oder Charaktere der Filmvorlage dienen nicht nur als erhoffte,
inhaltliche Aufbesserung, welche die KonsumentInnen anlocken sollen, sondern es
spielt in den Plänen der Publisher auch eine Rolle, dass Hollywood eine große
Menge an ZuseherInnen anzieht, eine einfache Rechnung, wie es Richard Rouse III
im Interview schildert:
Games [...] tend to license properties [...] in the hopes that some subset of the people who
went to see the movie will go buy the game. If they get one-tenth of the film goers to buy the
game, theyʼre making a tidy profit.145
Ein Blick auf das Produktionsaufkommen von Electronic Arts, einem der weltweit
größten Publisher, bestätigt, dass diese Praxis Früchte trägt:
Konzerne wie der Weltmarktführer Electronic Arts erwirtschaften beinahe 50 Prozent ihres
Umsatzes mit Fortsetzungen, Film-Adaptionen und seriellen Titeln [...]. Das Risiko wird
minimiert. Experimente mit Gameplay, Ästhetik oder Spielarchitektur sind selten geworden.
Vor allem was Produktion und Distribution angeht, hat sich die Videospielbranche der
143
Siehe z.B.: „Prügelnde Superhelden. Watchmen: Das Ende ist nah – Teil 1 & 2“, GamesMarkt Nr.
14 (23. Juli 2009), 34. Oder: „Rückkehr des dunklen Ritters. Batman: Arkham Asylum“, GamesMarkt
Nr. 15 (6. August 2009), 52.
144
145
Rollings, Andrew; Adams, Ernest: Andrew Rollings and Ernest Adams on Game Design. 2003, 49.
Newman, Rich: Cinematic Game Secrets. For Creative Directors and Producers. Inspired Techniques from Industry Legends. 2009, 180.
62
Geschäftsstruktur der Filmindustrie angeglichen: Diese ist geprägt durch BlockbusterBudgets, Sequel-Sucht und die Abwesenheit einer lebendigen Independent-Szene.146
Und an dieser Stelle beginnt die Schwierigkeit: Ob Adaption oder nicht, die Qualität
der Umsetzung selbst bestimmt, inwiefern das Produkt überzeugt. Wenn dies nicht
gelingt, ist die Diskussion eine ähnliche wie beim Film – das Mittel Adaption wird
generell in Frage gestellt. Meiner Meinung nach ist weder der Akt der Adaptierung für
eine missglückte Umsetzung zu verantworten, noch ist die Adaption ein Garant für
eine erfolgreiches Produkt. Vielmehr ist es die Herangehensweise, die über den
Erfolg bestimmt – Richard Rouse III beschreibt das Negativszenario so: „[T]oo many
games just copy the setting/theme/tone from a popular work in another medium and
call it done.“147
Um einen simplen Abklatsch zu vermeiden, wählen einige Spiele einen anderen
Weg, als die Geschichte des Films nachzuerzählen, indem sie das Spiel in der Welt
des Computerspiels ansiedeln und der/die SpielerIn dort eine andere Geschichte
erlebt. So spielt der/die SpielerIn in James Cameronʼs Avatar – Das Spiel die
Vorgeschichte zum Film148 und in Enter the Matrix, das Spiel zu Matrix Reloaded,
dem zweiten Teil der Filmtrilogie, eine Nebenhandlung in der Rolle von zwei
Nebenfiguren aus dem Film.149
Wirtschaftlich war Enter the Matrix ein Erfolg,
während es in der Computerspielbranche teilweise zu gemischten Gefühlen führte –
„This was an interesting idea, but if you didnʼt see the movie, it was confusing.“150
146
Moorstedt, Tobias: „Über die schwindenden Grenzen zwischen Spiel und Film“. In: Zukunft Kino.
The End of the Reel World. 2008a, 193.
147
Newman, Rich: Cinematic Game Secrets. For Creative Directors and Producers. Inspired Techniques from Industry Legends. 2009, 180.
148
Siehe dazu Benedikt Schüler, Marketing Director Ubisoft, im Gespräch mit Harald Hesse: „Das
Besondere daran ist, dass das Spiel den Film nicht nacherzählt, sondern in der detailreichen Welt von
Pandora spielt, aber eigenständig zwei Jahre vor den Ereignissen des Films.“ (Hesse, Harald: „Das
Geheimnis der drei As“, GamesMarkt Nr. 22 (12. Nov. 2009b), 26.)
149
Die beiden Nebencharaktere aus Matrix Reloaded sind Niobe und Ghost, siehe dazu: „In den
Hauptrollen von Enter the Matrix: die Hovercraft-Pilotin Niobe und ihr Partner Ghost. [...] Im Spiel wird
ihre Geschichte parallel zur Story von Matrix Reloaded erzählt, stellenweise kreuzen sich die
Drehbücher.“ (Steidle, Rüdiger: „Das Spiel zum Film im Test“, http://www.pcgames.de/aid,176640/DasSpiel-zum-Film-im-Test/PC/ (24. Juni 2003))
150
Schell, Jesse: The Art of Game Design. A Book of Lenses. 2008, 306.
63
Die Kritik bezieht sich in diesem Fall auf die Umsetzung.151 Auch in die umgekehrte
Richtung funktionierte die Umsetzung nicht wirklich – das Spiel wurde verkauft unter
dem Motto, unabdingbar für das Verständnis des Films zu sein. Christoph Quas
beschreibt im Interview seine Bedenken:
Das Spiel wurde damals verkauft mit dem Argument „man versteht den Film nur, wenn man
auch das Spiel dazu kauft und spielt“, was Unsinn ist. So kann ein Film nicht ausgelegt sein,
dass du ihn nur verstehst, wenn du das dazugehörende Videospiel spielst.152
Dass sich Medienunternehmen und Kreative von den wirtschaftlichen Aussichten
eines crossmedialen Auftritts zur kreativen Beeinflussung (Medienunternehmen) oder
Anpassung (Kreative) verleiten lassen, gehört zu den nachteiligen Auswirkungen der
Adaptionswirtschaft.
Der umgekehrte Fall im Adaptionskarussell, die filmische Adaption eines Computerspiels, steht noch stärker im Kreuzfeuer der Kritik – ein paar Beispiele:
Eine Adaption der erfolgreichen Spielereihe Max Payne fiel bei der Kritik, trotz
Starbesetzung Mark Wahlberg in der Hauptrolle, durch.
Hart fällt das Urteil auf der Homepage www.cinema.de aus:
Auch ohne das Spiel zu kennen, ahnt man dessen Identität bereits nach fünf Minuten – nur
ein Indiz dafür, wie uninspiriert und schematisch der Plot von „Max Payne“ dahinplätschert.
[...] Mit diesem weichgespülten und lahmarschigen Adaptionsversuch wird ein Kultspiel
filmisch zu Grabe getragen. 153
151
Eine nähere Ausführung zu den unverständlichen Teilen findet sich in einer Kritik von pcgames.de:
„Manche Abschnitte im Spiel sind ohne Filmkenntnis nur schwer zu verstehen, etwa, warum das
Orakel in Gefahr ist. Umgekehrt führt Enter the Matrix einige Andeutungen von Reloaded weiter aus,
beispielsweise den Kampf um das Kernkraftwerk.“ (Steidle, Rüdiger: „Das Spiel zum Film im Test“,
http://www.pcgames.de/aid,176640/Das-Spiel-zum-Film-im-Test/PC/ (24. Juni 2003))
152
Kornetzki, Timo; Quas, Christoph: Unveröffentlichtes Interview. Geführt von: Roland Hablesreiter.
(21. Juli 2009)
153
„Max Payne“, http://www.cinema.de/kino/filmarchiv/film/max-payne,3420471,ApplicationMovie.html
(o.J.) – Stand: März 2010.
64
Dem widerspricht ein zufriedenstellendes Startwochenende154
und weltweiten
Einnahmen an der Kinokassa in der Höhe von ca. 85 Mio. US-Dollar.155 Ähnlich
ergeht es beim Publikum erfolgreichen und bekannten Adaptionen einer anderen
Computerspiel-Reihe – den Tomb-Raider-Filmen. Der Erfolg an der Kinokassa und
des crossmedialen Marketings wurde zwar durch die Produktion eines zweiten Teils
bestätigt, die Kritik sah die Umsetzung des Tomb-Raider-Computer-spiels als Film
jedoch mit Skepsis: „Das Kino reduziert sich darauf, eines von mehreren Vehikeln für
eine übergeordnete Trademark zu sein.“156
Darüber hinaus erhielt Angelina Jolie für ihre Hauptrolle als Lara Croft eine
Nominierung für die „Goldene Himbeere 2003“ als schlechteste Darstellerin.157
Worin liegt das Problem der Adaptionen von Computerspielen? Eine mögliche
Antwort bietet die Theorie, dass die Figuren aus den Computerspielen keine
emotionale Tiefe mitbringen und deshalb keine Grundlage für einen Film bieten.
Tobias Moorstedt führt dieses Manko, insbesondere in Bezug auf die diversen TombRaider-Umsetzungen, folgendermaßen aus:
Trotz der Vielzahl von 3-D-Effekten bleiben die Figuren in den meisten Spielen „flach“, sie
durchlaufen keine Entwicklung, es gibt keine Brüche in ihrer Biografie, keine dunkle
Vergangenheit. Lara Croft, der erste Superstar des PlayStation-Zeitalters, zeigt auch in den
gefährlichsten und verstörendsten Situationen keine Regung und keine Angst. Die Schatzjägerin, die 2007 ihren zehnten Geburtstag feiert, ist im finalen Level noch die Gleiche wie im
154
Siehe www.cinema.de: „Keine große Überraschung für die US-Charts, aber auch nicht
überwältigend: 18 Millionen Dollar spielte ,Max Payneʻ am Startwochenende ein.“ („US-Charts. ,Max
Payneʻ schießt an die Spitze“ http://www.cinema.de/kino/news-und-specials/news/us-charts-maxpayne-schiesst-an-die-spitze,3424840, ApplicationArticle.html (o.J.) – Stand: März 2010.
155
Siehe „Box Office Mojo“, http://www.boxofficemojo.com/movies/?id=maxpayne.htm (o.J.) bzw. „The
Numbers. Box Office Data, Movie Stars, Idle Speculation“, http://www.the-numbers.com/movies/2008/
PAYNE.php (o.J.) – beide Stand: März 2010.
156
Philipp, Claus: „Pacman, schwer bewaffnet“, http://derstandard.at/630162/Pacman-schwer-bewaff
net?_lexikaGroup=21 (2. Aug. 2004)
157
Den Klimax bezüglich negativer Reaktion auf die filmischen Adaptionen von Computerspielen
seitens der Golden Raspberry Award Foundation erlebte Uwe Boll, der u.a. als Regisseur und
Produzent für die Adaption „Far Cry“ (Film) mit Til Schweiger verantwortlich ist: 2008 erhielt er die
„Goldene Himbeere“ für das „Schlechteste bisherige Lebenswerk“ und wurde als „Deutschlands
Antwort auf Ed Wood“ bezeichnet – siehe: „Razzie Awards“, http://www.razzies.com/history/
08winners.asp (o.J.) – Stand: März 2010.
65
ersten, sie hat höchstens ein paar Punkte mehr oder weniger auf der Erfahrungs-, Lebensenergie- oder Munitions-Skala aufzuweisen. 158
Aus meinen eigenen Erfahrungen mit den Tomb-Raider-Spielen schließend, ist diese
Analyse der Figur Lara Croft zu bestätigen und trifft ein Problem vieler Computerspielcharaktere – das Fehlen einer Charakterentwicklung und einen dadurch
bedingten emotionalen Stillstand, laut Murray in Kombination mit dem Fehlen eines
narrativen Inhalts:
The narrative content of these games is thin, and is often imported from other media or
supplied by sketchy and stereotypical characters. This lack of story depth makes even wildly
popular figures like the Mario brothers of [sic!] the Mortal Kombat fighters impossible to
translate into successful movie heroes. 159
In der Zwischenzeit hat sich diesbezüglich in der Computerspielbranche einiges
verändert und die Entwickler erproben verschiedene Ansätze, um den Charakteren
und auch der Story, soweit vorhanden, mehr emotionale Tiefe zu geben160.
Um das Hindernis der mangelhaften emotionalen Tiefe zu umgehen, wählte die
Adaption des Survival-Horror-Spiels Resident Evil, bei dem der/die SpielerIn
hauptsächlich Zombies erschießt, mit dem gleichnamigen, ersten Film eine andere
Herangehensweise – und war damit in der Rezeption erfolgreicher als andere
Adaptionen, wie es die Kritik der Süddeutschen exemplarisch beweist:
„Resident Evil“ [...] ist ein Sci-Fi-Puzzle über Traum und Wirklichkeit und diesen filmischen
Moment des Erwachens, in dem Erkenntnis und Geheimnis, Angst und Hoffnung ein
seltsames Spannungsverhältnis eingehen. [...]
Jovovich spielt die Alice [die Hauptfigur; Anm. R.H.] ganz vorzüglich: als schillernden noirCharakter, der auf durchdringende und auch glamouröse Weise versehrt und verloren
erscheint. Die Erkundung des Hive mit all seinen Phantomen, den Untoten, ComputerHologrammen und Verrätern, das ist auch die Erkundung von Alices Psyche. 161
158
Moorstedt, Tobias: „Über die schwindenden Grenzen zwischen Spiel und Film“. In: Zukunft Kino.
The End of the Reel World. 2008a, 200f.
159
Murray, Janet H.: Hamlet on the Holodeck. The Future of Narrative in Cyberspace. 1997, 51.
160
Mehr dazu im Kapitel „Die emotionale Komponente“, Seite 113 bis 127.
161
Schifferle, Hans: „Kino: ,Resident Evilʻ. Alice in Bunkerland“, http://www.sueddeutsche.de/kultur/
175/404953/text/ (21. März 2002)
66
Was den Resident-Evil-Film von den anderen Adaptionen abgrenzt, ist die NichtBefolgung des Computerspiels als Vorgabe. Stattdessen siedelt der Regisseur und
Autor Paul Anderson die eigens für den Film geschriebene Handlung in der ResidentEvil-„Welt“ an und konzentriert sich auf die Stärken des Mediums Film – die
Charakterentwicklung der Figur und ein ständiges Spiel mit den Zuschauererwartungen. Außerdem rückt er die Kampfszenen in den Hintergrund und ersetzt
diese mit Atmosphäre und „Hightech-Action-Mystery“.162
Unabhängig davon, ob das Spiel den Film adaptiert oder umgekehrt, ziehe ich aus
den oben beschriebenen Erkenntnissen den Schluss, dass die Adaption größere
Erfolgsaussichten in kreativer Hinsicht genießt, wenn sie sich die Stärken des
jeweiligen, eigenen Mediums zunutze macht und nicht strikt der Vorgabe folgt,
sondern die „Welt“ als Ausgangspunkt für neue Geschichten und/oder spielerische
Abenteuer nutzt.
162
Kniebe, Tobias: „Im Kino: ,Resident Evil: Apocalypseʻ. Lauter lebende Leichen“, http://www.sued
deutsche.de/kultur/722/404501/text/ (27. Sept. 2004)
67
SYNERGIEN IM TECHNISCHEN BEREICH
„Im technischen Bereich haben wir mit Ubisoft und der Videospiele-Branche einiges
gemeinsam“, sagte Cameron während der Pressekonferenz. „Wir nutzen bei der Produktion
von Avatar höchst anspruchsvolle Techniken.“ 163, 164
Die technischen Bereiche betreffend, sind sich Computerspiel- und Filmindustrie
einig, dass sie Gemeinsamkeiten teilen und Kooperationen zielführend sind. Die
Technik wird zwar bei Computerspielen nicht mehr so sehr im Vordergrund stehen
wie bislang, aber neue Herausforderungen, wie zum Beispiel 3D für den ConsumerMarkt, können trotzdem gemeinsam in Angriff genommen werden. Und es besteht
die Möglichkeit, animierte Objekte gleichzeitig im Film wie im Computerspiel zu verwenden, wenn beide Teams bereits in der Produktion zusammenarbeiten und die
technischen Voraussetzungen dafür erfüllt sind.
Bei James Cameronʼs Avatar stellte die Filmproduktion dem Spieleentwickler Ubisoft
das bereits digital produzierte Material zur Verfügung, wie etwa Kreaturen,
Charaktere, Umgebungen und Landschaften.
Abb. 22: James Cameronʼs Avatar: The Game.165
Abb. 23: James Cameronʼs Avatar: The Game.166
Darüber hinaus nutzen die beiden Branchen gleiche Technologien, wie Motion
Capturing oder digitale Raumvermessung. In der Weiterentwicklung einer Technik
163
Zsolt, Wilhelm: „Ubisoft stellt James Cameronʼs Avatar vor“, http://derstandard.at/fs/12423173283
49/Episch-Ubisoft-stellt-James-Camerons-Avatar-vor (3. Juni 2009a)
164
Aus einer Vorankündigung zu James Cameronʼs Avatar: Das Spiel
165
James Cameronʼs Avatar: The Game. (Screenshot). Bildquelle: Ubisoft. 2009.
166
James Cameronʼs Avatar: The Game. (Screenshot). Bildquelle: Ubisoft. 2009.
68
ergibt sich oft ein Nutzen für beide Branchen, zum Beispiel im Bereich Motion
Capturing mit den erweiterten Möglichkeiten Gesichtsbewegungen festzuhalten.
Auch in Deutschland wird an medienübergreifender Technik gearbeitet – die Firma
Nevigo entwickelte eine Game Engine 167 namens „Articy“, die sie speziell für die
Herstellung von „filmischen“ Computerspielen entwickelte: Die Software bietet
Echtzeit-Compositing, womit der/die NutzerIn auch gefilmte SchauspielerInnen
einfügen kann und die Werkzeuge („Tools“) zur Abfolge der Spielhandlung und des
Compositings.168 Bei der Entwicklung der Software zielte Nevigo darauf ab, die
Handhabung sowohl für Filmschaffende als auch für Kreative aus der Computerspielbranche zugänglich zu machen, wie es Kai Rosenkranz, Geschäftsführer der Nevigo
GmbH, im Interview mit GamesMarkt bestätigt:
Die Engine wird von einem Oscar-prämierten Softwarearchitekten mitgestaltet, der auch die
Zugänglichkeit der Technologie für Kreativschaffende aus der Filmindustrie im Auge behält.
Das unterstreicht den Gedanken, dass wir auf technologischer Ebene Synergiebrücken
zwischen den Branchen Film und Videospiel bauen wollen. 169
Außerdem ermöglicht ein separat ausgekoppeltes Software-Produkt während des
Filmdrehs bereits für das Computerspiel mitzuproduzieren, wenn sich am Set die
zeitlichen Ressourcen dafür bieten170 , Räume und Gegenstände mithilfe von Lasern
zu vermessen. In Folge können die Vermessungsergebnisse für die Echtzeit-3-DDarstellung genutzt werden.
Die Firma Nevigo erhielt für die Entwicklung ihrer Technologie den LARA Start-up
Award 2009.
167
Erklärung des Begriffs Game Engine siehe Fußnote Nr. 73, Seite 37.
168
Nähere Details zur Articy Engine siehe die Homepage der Fa. Nevigo: „Nevigo. Interactive
Entertainment & Technology“, http://www.nevigo.com/init.php?lang=de&pageid=technology_articy_
main&prevpageid=home (o.J.) – Stand: März 2010.
169
170
Heine, Frank: „Brücken zwischen Film und Spiel bauen“, GamesMarkt Nr. 16 (20. Aug. 2009), 30.
Bei einem neuerlichen Besuch der Visual Effects Firma Digital Domain im Jahr 2009 erklärte mir
ein Mitarbeiter, dass sie es ebenfalls anstreben, gleich während des Filmdrehs die Räume und
Gegenstände, in und mit denen gedreht wird, für die DVFx-Postproduktion zu vermessen. Dies sei
jedoch nicht immer möglich, aufgrund von Zeitmangel beim Dreh, konzentriertem Arbeiten der
Filmcrew o.ä., weshalb darauf Rücksicht zu nehmen sei – entweder indem darauf verzichtet oder
versucht wird, dies schnell während der Mittagspause vorzunehmen.
69
An der Spitze medienübergreifender Technik steht George Lucas, was sich nicht nur
auf die Gründung von THX Ltd.171 , ILM 172 und LucasArts 173 (u.a.) beschränkt. Während bei James Cameronʼs Avatar (Film & Spiel) lediglich die Filmproduktion das vorhandene Material dem Spieleentwickler zur Verfügung stellte (s.o.), geht George
Lucas einen Schritt weiter und arbeitet daran, bereits erstellten, digitalen Content
direkt aus dem Film ins Computerspiel importieren zu können – und fand dafür die
Visual Effects Firma GenArts als Partner:
Lucasfilm und GenArts wollen gemeinsam die Entwicklung von visuellen Effekten für
Videospiele und Filme vorantreiben und haben eine Kooperation bekannt gegeben. [...] Mit
der Zusammenarbeit soll sichergestellt werden, dass digitale Effekte über verschiedene
Medien hinweg konsistent bleiben. So soll ermöglicht werden, dass beispielsweise spezielle
visuelle Effekte aus Transformers den Spieleentwicklern zur Verfügung gestellt wird [sic!],
damit das Game ebenso überzeugend aussieht wieder der [sic!] Film. Mit GenArts würden
computergenerierte Bilder organischer und realer aussehen.174
Der Arbeitsaufwand und somit die Kosten könnten dadurch gesenkt und die Qualität
des Computerspiels gesteigert werden. Nicht nur, wenn dieses Vorhaben gelingt, ist
der Synergieeffekt im technischen Bereich gegeben.
171
THX Ltd. entwickelte den THX-Standard, ein Tonwiedergabestandard, erfunden von Tomlinson
Holman im Rahmen der Produktion von Star Wars Episode VI: Return of the Jedi.
172
ILM, Industrial Lights and Magic, ist eine Visual Effects Postproduktionsfirma.
173
LucasArts entwickelt Computerspiele und agiert auch als Publisher von Computerspielen. Bekannte Beispiele sind Monkey Island und eine Vielzahl von Star-Wars- und Indiana-Jones-Spielen.
174
Riegler, Birgit: „Hollywood-Effekte für Games“, http://derstandard.at/fs/1244117208204/HollywoodEffekte-fuer-Games (8. Juni 2009)
70
HOLLYWOOD UND DIE SPIELE
Hollywood sah in der Vergangenheit die Spielebranche aus dem Blickwinkel einer
neuen Geldquelle, die es möglichst einzuverleiben galt. In der Zwischenzeit hat sich
diese Sichtweise verändert, teilweise mit der Aussicht auf Kooperationen (was die
finanzielle Motivation nicht ausschließt, aber die Herangehensweise unterscheidet
sich), teilweise mit Skepsis und/oder Angst vor dem vermeintlichen Konkurrenten.
„The media buzz is that cinema and videogames are on convergent paths. If this is
true, Hollywood ought to be worried that videogames are going to swallow it
whole.“175
Bereits in den späten 70er Jahren versuchten Hollywood-Filmstudios, in der
Spielebranche Fuß zu fassen, angezogen vom damals neuen Medium und der
Goldgräberstimmung rund um die Computerspielherstellung. Dieser Traum fand ein
schnelles Ende, als der rasante Aufschwung in den 80ern ein jähes Ende fand. Die
Blase platzte, da zu viele Spiele, die nicht der notwendigen Qualität entsprachen, um
von den KonsumentInnen akzeptiert zu werden, den Markt überschwemmten.
Computerspiele zu programmieren war damals aufgrund der geringeren technischen
Anforderungen wesentlich einfacher. Eine einzelne Person konnte, „in der Garage
programmierend“, alleine ein Spiel herstellen. Erst Nintendo brachte die Computerspielbranche zurück ins wirtschaftlich bedeutende Geschehen, als es eine Konsole
herausbrachte, für die nur Spiele verkauft werden durften, deren Qualität Nintendo
selbst überprüfte.176
In den 90er Jahren nahm Hollywood einen neuen Anlauf: Die Filmstudios
unternahmen, im Zuge des Aufkommens der CD-Rom, Versuche, sowohl interaktive
Filme zu produzieren177
als auch Computerspiele. Außerdem dachten sie, sie
könnten die Spieleindustrie übernehmen, weil sie dazu in der Lage waren, bessere
Animationen zu erzeugen. Aber die Hollywood-Studios scheiterten. Sie hatten nicht
genug Erfahrung mit Softwareentwicklung, dem Umgang mit Interaktivität und den
Spielmechaniken. Nach einigen Misserfolgen begann Hollywood stattdessen, mit
175
Poole, Steven: Trigger Happy. Videogames and the Entertainment Revolution. 2004, 65.
176
Adams, Ernest: Break into the Game Industry. How to get a job making video games. 2003, 2ff.
177
Mehr Details zum interaktiven Film und dessen Produktion durch die Filmstudios im Kapitel
„Interaktivität in Film und Fernsehen“, Seite 95 bis 99.
71
Spielepublishern zusammenzuarbeiten, statt selbst als Spielepublisher zu agieren.
Laut Andrew Rollings und Ernest Adams realisierten sie, dass die beiden Branchen
nicht zwangsläufig konkurrieren müssen, sondern unterschiedliche Qualifikationen in
eine Kooperation einbringen können.178
Die Computerspielbranche blickte ebenfalls mit Vorbehalten auf Hollywood, bedingt
durch das zum Teil aggressive Vorgehen der Studios und den arroganten Blick von
oben. Andererseits liebäugelten einige SpieleentwicklerInnen auch mit der „Fabrik
der Träume“ und deren Glamour. Eine Anekdote von David Freeman, der in beiden
Branchen gearbeitet hat, umreißt beide Perspektiven auf Hollywood seitens der
Spielbranche – sowohl die verklärt-beeindruckte als auch die skeptisch-zurückhaltende:
I was speaking to a high-placed executive at a large game company. He was quite excited; he
had just begun a relationship with one of the biggest and most prestigious Hollywood
agencies. I could almost hear his heart pound as he told me some of the famous writers these
agents had introduced him to.
I asked him what he had been told heʼd have to pay these famous writers, and his voice
lowered a bit as he mentioned that he was supposed to shell out hundreds of thousands of
dollars, plus offer them all sorts of back-end revenue, in exchange for their story ideas.
I paused for a moment of sad contemplation, the way I always do when I watch the innocent
get led to slaughter. Then I took a deep breath, and explained how he was about to get
fleeced 179. [...]
I asked the executive, if heʼs hiring a famous writer, exactly what is he getting for his money?
There was a long pause on the other end of the line, as the executive realized he was on the
verge of becoming 21st-century roadkill, blindsided by a ten-ton semi in a B-rated Hollywood
shark-o-rama.180
Seit einigen Jahren sind beide Branchen darin engagierter, die Vorbehalte
abzubauen, ohne den anderen wirtschaftlich zu übernehmen oder kreativ zu imitieren. Wie im vorigen Kapitel181 ausführlicher beschrieben, sehen beide Branchen
178
Rollings, Andrew; Adams, Ernest: Andrew Rollings and Ernest Adams on Game Design. 2003, 57.
179
to fleece somebody = jemanden schröpfen (PONS Globalwörterbuch Englisch – Deutsch. 1997,
434.)
180
Freemann, David: Creating Emotion in Games: The Craft and Art of Emotioneering™. 2003, 23f.
181
„Computerspiele auf der Leinwand und umgekehrt – die Adaption“, Seite 61 bis 67.
72
Vorteile im crossmedialen Marketing, wofür sie sogar eigene Veranstaltungen
organisieren.
Im Sommer 2006 kamen die Spitzen der Spiel- und Filmindustrie in Los Angeles auf dem
Hollywood and Games Summit zu einem Gipfeltreffen zusammen. 182 Auf der Tagesordnung
stand unter anderem eine Diskussion zur „Anatomie eines Crossover-Hits“ und die Frage,
„wie man Film und Spiel richtig vermischt“. Denn fiktive Figuren waren noch nie an das
Medium ihres ersten Erscheinens gebunden. 183
Und beide Branchen gehen vermehrt den Weg von Kooperationen, die über
crossmediales Marketing, Synergien im technischen Bereich und die Lizenzierung
von Titeln und Inhalten hinausgehen und die auch RegisseurInnen miteinbeziehen.
Steven Spielberg arbeitet, vorerst unabhängig von existierenden oder sich in
Entwicklung befindenden Filmstoffen, mit Electronic Arts zusammen, die Wachowski
Brüder waren an der Produktion der Matrix-Spiele beteiligt184 sowie Peter Jackson an
Peter Jacksonʼs King Kong – The Official Game Of The Movie. Und das Spiel
namens John Woo Presents Stranglehold wird in der mediabiz-Datenbank als
Fortsetzung von John Wooʼs Film Hard Boiled bezeichnet.185
Wie diese Zusammenarbeit konkret aussieht und inwiefern es sich dabei nur um ein
Vermarktungskonzept handelt, ist von Projekt zu Projekt unterschiedlich. Während
George Lucas an der Computerspielproduktion mit seiner eigenen Firma LucasArts
(als Subfirma von Lucasfilm Ltd.) als einer der Letztentscheider beteiligt ist, ist in
anderen Fällen wahrscheinlich, dass lediglich der Name am Cover den Regisseur
miteinbezieht. Hier betrachtet dieses Kapitel das Wirken von zwei bekannten
Regisseuren – Peter Jackson und Steven Spielberg.
182
Der „Hollywood and Games Summit“ fand ein zweites Mal 2007 statt, siehe: „Hollywood and
Games Summit“, http://www.hollywoodandgames.com (2007)
183
Moorstedt, Tobias: „Über die schwindenden Grenzen zwischen Spiel und Film“. In: Zukunft Kino.
The End of the Reel World. 2008a, 194.
184
„[...] Andy and Larry Wachowski, who wrote and directed "The Matrix" movies and helped create
Matrix games [...]“ (Holson, Laura M.: „ʻKing Kongʼ Blurs Line Between Films and Games“. http://www.
nytimes.com/2005/10/24/technology/24kong.html (24. Okt.2005))
185
„mediabiz Datenbanken“, http://www.mediabiz.de/games/firmen/programm/john-woo-presentsstranglehold-dt-xbox360/ 53420 (o.J.) – Stand: Feb. 2010.
73
Noch bei den Computerspielen zu Peter Jacksons Herr-der-Ringe-Trilogie war es
Peter Jackson nicht erlaubt, an der Herstellung der Spiele mitzuwirken, obwohl er
daran starkes Interesse gehabt hätte.
Mr. Jackson, said close associates, chafed at his dealings with the industry heavyweight,
Electronic Arts, during the making of the Lord of the Rings games. “Electronic Arts was not
interested in input from the filmmaker”, but later marketed the games as if he were closely
involved, said Ken Kamins, Mr. Jacksonʼs manager.186
Für King Kong wählte Jackson daher einen anderen Spieleentwickler – Ubisoft, und
ließ sich seine kreative Beteiligung vertraglich zusichern. Er brachte Zeichnungen
aus der Vorproduktion des Films ein, mimte die Bewegungen von King Kong vor dem
Game Designer, überprüfte regelmäßig Fortschritte und neue Levels, brachte Ideen
ein und gab Teile der Geschichte, der visuellen Darstellung und Elemente der
Spielweise vor. Und Peter Jackson war unüblicherweise prozentuell am Gewinn
beteiligt: „[...] Mr. Jackson will receive a percentage of the gameʼs profits [wie Ubisoft
damals bekannt gab; Anm. R.H.], an unusual arrangement for a movie director.“187
2007 gab Peter Jackson eine Kooperation zwischen seinem selbst gegründeten
Studio Wingnut Interactive und Microsoft bekannt und meinte in der Pressekonferenz: „Für mich sind kommende Videospiele wesentlich interessanter, als die
neuen Blockbuster im Kino“188
Steven Spielberg, nachdem er bereits zwischen 1999 bis 2004 an mehreren Spielen
der Medal of Honor Reihe beteiligt war189 , ging 2005 eine Kooperation mit Electronic
Arts ein: Electronic Arts verkündete damals, dass Steven Spielberg drei Spiele mit
Electronic Arts entwickeln werde.190 Auch wenn Electronic Arts nicht ausschloss,
186
Holson, Laura M.: „ʻKing Kongʼ Blurs Line Between Films and Games“. http://www.nytimes.com/
2005/10/24/technology/24kong.html (24. Okt.2005)
187
Eine genauere Beschreibung von Peter Jacksons Arbeit am Spiel inklusive Statements von Game
Designer Michel Ancel und Spieleproduzent Xavier Poix finden sich im hier zitierten Artikel „ʻKing
Kongʼ Blurs Line Between Films and Games“ von Laura Holson für die New York Times (http://
www.nytimes.com/2005/10/24/technology/24kong.html)
188
Kucera, Gregor: „,Kommende Spiele sind für mich interessanter als die neuen Kinofilmeʻ“, http://der
standard.at/2611363 (2. Jän. 2007)
189
In der Internet Movie Database wird er für sieben Medal of Honor Spiele als Autor und Creator
genannt, siehe: http://www.imdb.com/name/nm0000229/ – Stand: Feb. 2010.
190
Holson, Laura M.: „ʻKing Kongʼ Blurs Line Between Films and Games“. http://www.nytimes.com/
2005/10/24/technology/24kong.html (24. Okt. 2005)
74
dass zu einem späteren Zeitpunkt Filme aus den Stoffen der Spiele entstehen
könnten, so gehe die Entwicklung der Spiele mit Steven Spielberg nicht aus
bestehenden Projekten des Regisseurs hervor:
Spielberg wird Konzept und Story beisteuern sowie die künstlerische Umsetzung beaufsichtigen. Noch ist völlig unklar, welche Stoffe umgesetzt werden sollen. Spiele zu Filmen des
Regisseurs seien jedenfalls nicht geplant.191
Aus der Zusammenarbeit mit Electronic Arts kam 2008 ein erstes Spiel auf den Markt
– Boom Blox, welches, erfolgsbedingt, 2009 seine Fortsetzung mit Boom Blox:
Smash Party (mit neuen Levels und Funktionen) fand. In beiden Spielen, die für
Kinder ab 6 Jahren gedacht sind, versucht der/die SpielerIn mit der bewegungsempfindlichen Steuerung der Wii Konsole auf unterschiedliche Art und Weise Blöcke
umzuwerfen, zu sprengen, aus Kanonen und mit Schleudern abzuschießen und so
weiter.
Abb. 24: Boom Blox: Smash Party.192
Abb. 25: Boom Blox: Smash Party). 193
Um mehr über die Zusammenarbeit zwischen Steven Spielberg und Electronic Arts
herauszufinden und welche Aufgaben Spielberg dabei erfüllt, führte ich ein Interview
mit Amir Rahimi, dem hausinternen Produzenten, zuständig für die mit Steven
Spielberg entstehenden Computerspiele. Amir Rahimi beschreibt zuerst die Aufgabe
191
„Spielberg macht Next-Gen-Titel für EA“, http://www.mediabiz.de/games/news/spielberg-machtnext-gen-titel-fuer-ea/190886 (14. Okt. 2005)
192
Boom Blox: Smash Party. (Screenshot). Bildquelle: Electronic Arts. 2009.
193
Boom Blox: Smash Party. (Screenshot). Bildquelle: Electronic Arts. 2009.
75
der Spieleindustrie generell und zieht daraus die Logik der Zusammenarbeit mit
Spielberg:
I think at the end of the day, what we do is the same what Hollywood does, which is: We try to
figure out what compels people and we deliver that. And at the most basic level they are one
of the same: You are taking a really hard look at human nature. And, trying to figure out, what
the things are that make people laugh or make people cry, things that make peopleʼs
adrenaline feel pumped up, and you try to bring that out. And thatʼs where we really clicked
with Steven, when we first started working with him. Steven, being an advert gamer, was able
to come in and contribute amazing ideas. The first amazing idea was, right when the Wii came
out, he came to us and said: „You know, everyone at some point in their lives has built up a
stack of blox and smashed them to the ground.“ He talked about when he was a kid, his
parents would get him a train set for Christmas, and the first thing he would do—smash the
trains into each other. 194
Außerdem setzt Electronic Arts auf Spielbergs Expertise, was die Umsetzung betrifft
– neue Ideen, neue Kamera- und Motion-Capturing-Techniken und der Umgang mit
diesen (wie Spielberg sie vor kurzem beim Dreh von Tin Tin verwendete) und seine
Fähigkeiten als Regisseur in der Entwicklung von Charakteren und in der
Dialogführung.
Das nächste Spiel dieser Kooperation trägt den Arbeitstitel LMNO, über das wenig
bekannt ist, außer dass es sich um Action-Adventure handeln wird:
„,LMNOʻ wird viel eher den Erwartungen entsprechen, die Spieler an eine Zusammenarbeit
zwischen Spielberg und Electronic Arts stellen“, sagte Neil Young, General Manager von
Electronic Arts L.A. Der Fokus bei „LMNO“ liege auf der Interaktion des Spielers mit anderen
Charakteren. Erscheinen soll das Spiel für PlayStation 3 und Xbox 360. Zum noch
ausstehenden dritten Projekt ließ Young nichts verlauten, das Spiel sei über die Grundidee
noch nicht hinaus. 195
Seit dieser Pressemeldung (gegenüber Reuters) gibt es kaum Nachrichten über
LMNO, mit der Ausnahme von unbestätigten und von Electronic Arts dementierten
Gerüchten im Internet, das Projekt sei eingestellt worden.
194
195
Rahimi, Amir: Unveröffentlichtes Interview. Geführt von: Roland Hablesreiter. (30. Sept. 2009)
„Spielberg macht Puzzle und Action-Adventure“, http://www.mediabiz.de/games/news/spielbergmacht-puzzle-und-action-adventure/236479 (10. Juli 2007)
76
Auch Amir Rahimi gab im Interview keine neuen Informationen preis, mit der
Ausnahme von:
I am also now working on the second game, which is much more sort of in-depth, sort of epicstory, action-adventure game, much more what you would expect of a collaboration between
EA and Spielberg. [...] With the second game the goal is to tell a story. A story that is worthy of
Steven Spielberg actually, in addition to an adventurous, hurt-pounding gameplay. [...] The
code name is LMNO. Itʼs an action-adventure game where you essentially are going on a... itʼs
almost a road trip with a buddy character... we canʼt really tell a lot more than that, though.196
Bei Regisseuren wie Spielberg, Jackson usw. ließe sich einwenden, das seien die
Ausnahmesituationen und außerdem lediglich zugkräftige Namen für das Marketing
des Spiels unter Pseudo-Mitarbeit.
Den Vorwurf, diese Mitarbeit laufe nicht über einen Marketing-Gag hinaus, entkräftet
meiner Meinung nach bereits die Beschreibung der Arbeit von Peter Jackson und
Steven Spielberg an den genannten Spielen. Darüber hinaus sind beide, wie auch
George Lucas, Kenner der Bedürfnisse ihres Publikums, wie ihre Erfolge bestätigen.
(Die Genannten gelten ebenso als Regisseure, die nicht für ihren großzügigen
Einsatz von digitalen Effekten kritisiert werden, da in ihren Filmen meist die Story vor
den Effekten steht.) Unabhängig von digitalen Effekten, beschreibt McClean
Spielbergs Erfolg so: „[...] his films span a wide range of genres and because he
makes films that appeal to very broad demographic [sic!].“197 Amir Rahimi bestätigt
Steven Spielbergs Gespür für das Publikum und nennt es: „An amazing intuitive
sense of what compels people“198
Produzent Jerry Bruckheimer, bekannt für demographisch weitreichende Erfolge, hat
ähnliche Absichten, sein Gespür für das Publikum auf das Medium Computerspiel
auszuweiten und gründete in Kooperation mit dem Musik-Fernsehsender MTV ein
Spielestudio.199
Filmschaffenden, die nicht den Karriere-Status dieser Regisseure oder Produzenten
genießen, scheinen diese Aussichten vielleicht utopisch, doch die Zukunft beider
196
Rahimi, Amir: Unveröffentlichtes Interview. Geführt von: Roland Hablesreiter. (30. Sept. 2009)
197
McClean, Shilo: Digital Storytelling. The Narrative Power of Visual Effects in Film. 2007, 202.
198
Rahimi, Amir: Unveröffentlichtes Interview. Geführt von: Roland Hablesreiter. (30. Sept. 2009)
199
„Bruckheimer und MTV gründen Spielestudio“, http://www.mediabiz.de/games/news/bruckheimerund-mtv-gruenden-spielestudio/246509 (19. Dez. 2007)
77
Medien und ihrer Zusammenarbeit ist offen, um noch einmal das Interview mit Amir
Rahimi zu zitieren:
As people like yourself come into power in Hollywood—you guys are gonna understand video
games. So right there, that synergy is gonna improve. But also, this is what Steven [Spielberg;
Anm. R.H.] told me once: Heʼs noticing some of the extremely talented kids that would
become movie directors, that would become movie producers, they are going into video
games, because the industry is blowing up. And these kids are growing up consuming video
games much more as they are consuming film and TV. With that kind of talent going into the
video game industry, the video game industry is just gonna become stronger and stronger.
And as my generation, the first generation that grew up with video games, develops, matures,
becomes more powerful, the industry is gonna mature. And I think youʼre gonna see really
compelling stories being told in video games. I think theyʼre gonna figure this thing out within
the next ten years. And youʼre gonna see stories that are at a level with Schindlerʼs List being
told through a video game. 200
200
Rahimi, Amir: Unveröffentlichtes Interview. Geführt von: Roland Hablesreiter. (30. Sept. 2009)
78
DIE SITUATION IN ÖSTERREICH IM ÜBERBLICK
Die österreichische Spieleentwicklerbranche ist überschaubar, die Produktion von
Triple-A-Spielen ist selten. In der österreichischen Wirtschaftskammer verfügen die
Entwickler über keinen eigenen Fachverband, sie sind entweder als „IT-Dienstleister“
oder als „Werbeagentur“ gelistet.201
Die Fördersituation ist beklagenswert. Zu den wenigen Förderern, welche die österreichische Spielebranche unterstützen, gehört „departure“. („Eine Initiative der Stadt
Wien, ein Unternehmen des Wiener Wirtschaftsförderungsfonds.“) Departure
schüttete seit 2004 16,2 Mio. Euro aus – diese Summe wird aber aufgeteilt auf 251
Projekte aus den Bereichen Design, Multimedia, Mode, Musik und Architektur.202 Das
macht durchschnittlich nur 65.000,- Euro Förderungssumme pro Projekt aus.
Im Internet wird diskutiert, ob man als Jobsuchender nicht besser das Land
verlässt...203
Doch die österreichische Branche wächst, junge SpieleentwicklerInnen drängen im
Indie-Game Bereich auf den Markt und versuchen mithilfe von Projektentwicklungen
Publisher zu überzeugen. Auch einige etablierte Firmen sind vorhanden – laut Julian
Kenning, vormals Art Director beim Produktionshaus Deep Silver Vienna, sind in
Österreich mehr international agierende Spielefirmen beheimatet als in Deutschland.204
Dieses Kapitel gibt einen kurzen Überblick über einige der etablierten Firmen, gefolgt
von der Beschreibung eines der aufwendigsten, in Österreich produzierten Games.
201
Siehe: „WKO.at. Wirtschaftskammern Österreich. Fimen A-Z. Das Verzeichnis von 427.459 österreichischen Unternehmen.“ http://firmen.wko.at/Web/SearchSimple.aspx (o.J.) – Stand: März 2010.
202
Siehe: „departure“, www.departure.at (o.J.) – Stand: März 2010.
203
Z.B. auf „CGforum“, www.cgforum.at (o.J.) – Stand: März 2010.
204
Kenning, Julian: Art Directing Cursed Mountain. Vortrag bei Pixel 4.0. (27. Sept. 2009)
79
- Avaloop ist bekannt für sein Social-Online-Spiel, das MMOG Papermint. Weitere
Projekte sind noch nicht erschienen, trotzdem verfügt Avaloop über mehr als zehn
fix Beschäftigte.205
- Die Firma Bongfish hat ebenfalls nur einen Titel im Programm – das Snowboardspiel Stoked für die Xbox, von dem aber aber bereits mehrere Nachfolger
erschienen sind. Stoked ging aus einem Studentenprojekt hervor, einem Online
Advertising Game für den PC. Heute hat die Firma, mit Sitz in Graz, an die 25
MitarbeiterInnen.206
- Cliffhanger Productions besteht aus den beiden international erfahrenen
Produzenten Michael Paeck und Jan Wagner. Die Firma produziert selbst und bietet
Projektmanagement und Beratungsleistungen an, entwickelt werden die Spiele aber
von externen Firmen. Als Referenzen hat die Firma „externe Produkionstätigkeiten“
für die international renommierten Triple-A-Titel SpellForce 2, Gothic 3 und Risen
vorzuweisen. Zur Zeit produziert sie das MMOG 7Million, welches von der Firma
Team Vienna (s.u.) hergestellt wird. Als Publisher von 7Million fungierte Deep Silver
Vienna.207
- Deep Silver Vienna ging aus den Aktivitäten der Branchenveteranen Hannes
Seifert und Niki Laber hervor. Seifert und Laber gründeten in den 90er-Jahren das
Studio neo Software, welches später vom Branchenriesen Take 2 Interactive
gekauft und zu Rockstar Vienna umbenannt wurde. Als Rockstar Vienna arbeitete
das Studio an Triple-A-Produkten wie Max Payne und Manhunt 2. Von einem Tag
auf den anderen wurde Rockstar Vienna geschlossen. Seifert und Laber nahmen
2006 einen weiteren Anlauf und gründeten ein neues Studio namens Games That
Matter. Das Geschäftsmodell lag darin, Spiele zu produzieren mit voller Verantwortung über die Art Direction, die Herstellung selbst aber auszulagern. An diesem
Geschäftsmodell Gefallen findend kaufte der deutsche Publisher Koch Media die
Firma und gliederte sie in ihre Entwicklungsabteilung Deep Silver ein. Als Deep
Silver Vienna verfolgten sie weiter ihr Outsourcing-Modell und waren für die
Produktion des Spiels Cursed Mountain verantwortlich. Ende 2009 verließen Seifert
205
Siehe: „Avaloop Immersive Worlds“, http://www.avaloop.com (2008) bzw. „Papermint Pressemappe“, http://www.papermint.at/files/share/de/presskit/papermint_presskit_de.pdf (o.J.) – beide
Stand: März 2010.
206
Siehe: „Bongfish“, http://www.bongfish.com (2009) – Stand: März 2010.
207
Siehe: „Cliffhanger Productions“, http://cliffhanger-productions.com (2008) – Stand: März 2010.
80
und Laber die Firma. Beide gingen davon aus, dass Deep Silver weiter existiere,
doch zu ihrer Überraschung schloss Koch Media ihre Wiener Dependance Anfang
2010. Als Grund gab der Geschäftsführer von Koch Media, Klemens Kundratitz, die
„wirtschaftliche Gesamtlage“ und den Abbau „redundanter Stellen“ an.208 , 209 , 210 An
die 20 MitarbeiterInnen fielen dem Stellenabbau zum Opfer.211
- Greentube ist spezialisiert auf Online Spiele, die sich über „In Game Advertising“
finanzieren. Den Grundstein legte die Erstellung der erfolgreichen Internetseiten
Webschnapsen.com und BauernSchnapsen.com. Internationale Bekanntheit erlangte die Firma über das Spiel Ski Challenge. Anfang 2010 kaufte Astra Games,
eine Novomatic-Tochter, 70% der Firmenanteile.212
- JoWooD Entertainment ist ein international agierender Publisher mit Sitz in Wien
und ca. 90 MitarbeiterInnen.213 Außerdem betreibt JoWooD Niederlassungen in
Madrid, Toronto und Cluj-Napoca (Rumänien). Seit JoWooD 2005 seine Entwicklungsstudios Team Ebensee und Wings Simulations in Deutschland geschlossen
hat,214 stellt die Firma selbst keine Spiele mehr her. Die seitdem von JoWooD als
Publisher in Auftrag gegebenen Spiele werden hauptsächlich außerhalb Österreichs
produziert.
- Miʼpuʼmi Games, gegründet im Februar 2009, stellt Spiele für alle Plattformen her,
spezialisiert sich dabei auf kleinere Spiele mit einer maximalen Entwicklungszeit
von einem Jahr. Besonderes Augenmerk wird auf die Qualität gelegt – das
Firmenmotto lautet: „Great games donʼt have to be big“. Die vier Gründerväter
Gregor Eigner, Tobias Sicheritz, Jurie Horneman und Ronald Kalchhauser, sind
ehemalige Mitarbeiter von Rockstar Vienna und haben in führenden Positionen an
208
Steininger, Stephan: „Koch schließt Deep Silver Vienna. Kostendruck zwingt zur Restrukturierung“,
GamesMarkt Nr. 03 (10. Feb. 2010b), 8.
209
„Koch kauft Games That Matter“, http://www.mediabiz.de/games/news/koch-kauft-games-thatmatter/239074/50019 (22. Aug. 2007)
210
Kenning, Julian: Art Directing Cursed Mountain. Vortrag bei Pixel 4.0. (27. Sept. 2009)
211
Zsolt, Wilhelm: „Entlassungen. Spielestudio Deep Silver Vienna sperrt zu“, http://derstandard.at/
1263706648695/Entlassungen-Spielestudio-Deep-Silver-Vienna-sperrt-zu (3. Feb. 2010a)
212
„Greentube“, http://www.greentube.com/de/company (o.J.) – Stand: März 2010
213
„Aktionärsbrief. 3. Quartal 2009. JoWooD Group“, http://corporate.jowood.com/images/stories/
publications/20091130%20aktion%E4rsbrief%20q3%202009.pdf (2009)
214
„JoWooD schließt Studios“, http://www.mediabiz.de/games/news/jowood-schliesst-studios/171184
(26. Jän. 2005)
81
Titeln wie Max Payne, GTA III und Manhunt 2 mitgearbeitet. Die Zahl der MitarbeiterInnen liegt bei ca. 10 Personen.215, 216
- Rabcat ist ein Unternehmen, welches ausgelagerte Aufträge in der Erstellung von
Computergrafiken annimmt. Rabcat hat mit seinen 25 Beschäftigten an zahlreichen,
namhaften Triple-A-Produkten mitgearbeitet.217
- Sproing Interactive Media existiert seit 2001 als GmbH, gegründet von den zwei
Industrieveteranen Harald Riegler und Gerhard Seiler, und beschäftigt 45 fixe und
zwei bis fünf freie MitarbeiterInnen.218 Das Entwicklerstudio verfügt über ein breit
gefächertes Portfolio an Spielen, von kleineren bis zu größeren Spielen für die
verschiedensten Plattformen. Bekannte Beispiele sind die Spiele der Moorhuhn
Reihe, Spiele für den Internetauftritt der österreichischen Lotterien, das SurvivalHorror-Spiel Cursed Mountain für die Nintendo Wii (und PC), Panzer Tactics DS für
den Nintendo DS...
- Team Vienna ging aus der Entwicklung des Computerspiels Dadʼs Dead hervor,
welches im Jahr 2006 den gleichnamigen MediaMarkt Horrorwerbefilm von David
Schalko begleitete und exklusiv in den österreichischen MediaMärkten erhältlich
war. Zur Zeit arbeitet Team Vienna in Kooperation mit Cliffhanger Productions am
MMOG 7Million. Team Vienna begann 2007 an der Herstellung von 7Million mit vier
Personen, gefolgt von ca. 10 Personen im Frühjahr 2008. Bis zur Fertigstellung
sollen ca. 30 Personen für das Spiel beschäftigt werden.219
- Xendex entwickelt mit seinen über 40 MitarbeiterInnen in Wien und Polen
Mobiltelefon-, Handheld- und Online-Casual Games und versucht gestärkt aus der
215
Eigner, Gregor: Unveröffentlichtes Telefoninterview. Geführt von: Roland Hablesreiter. (12. April
2010)
216
„UIG gibt Zusammenarbeit mit Miʼpuʼmi Games bekannt“, http://www.premiumpresse.de/uig-gibtzusammenarbeit-mit-mi-pu-mi-games-bekannt-PR543942.html (19. Aug. 2009)
217
„mediabiz Datenbanken“ http://www.mediabiz.de/games/firmen/rabcat-computer-graphics/39906
(o.J.) – Stand: März 2010
218
Kornetzki, Timo; Quas, Christoph: Unveröffentlichtes Interview. Geführt von: Roland Hablesreiter.
(21. Juli 2009)
219
Kazemi, Kaweh: 7 Million. Vortrag bei Pixel 4.0. (27. Sept. 2009)
82
Wirtschaftskrise zu gehen, indem es in neue Marktsegmente drängt.220 2009 überraschten sie die Branche mit Investitionen in der Höhe von 3,5 Mio. US-Dollars.221
Große, internationale Publisher wie etwa Ubisoft haben teilweise Dependancen in
Wien, produzieren aber selbst nicht in Österreich.
Das Survival-Horror-Spiel Cursed Mountain war eine der größten in Österreich
durchgeführten Produktionen und soll an dieser Stelle der Illustration der
vorhandenen Möglichkeiten dienen.
Abb. 24: Cursed Mountain.222
Abb. 25: Cursed Mountain.223
Cursed Mountain wurde mit einem Team von 236 Personen aus 16 bis 17 Firmen
aus 14 verschiedenen Ländern produziert, das Produktionsbudget lag bei „weniger
als 20 Mio. Euro“. 224 , 225 Finanziert hat der Publisher Koch Media, hauptverantwortliches Produktionshaus war die Tochterfirma Deep Silver Vienna, die selbst keine
Zeile programmierte.
220
„Xendex. Inspiring People. Company“, http://www.xendex.com/index.php?page=2&menuid=11& PH
PSESSID=54d2de0e2a80f6eacb0d6a61faf20a7f (2010) – Stand: März 2010
221
„IOʼ10: Michael Haberl – Xendex“, http://blog.mobilegamesblog.com/2009/12/io10-michael-haberlxendex.html (15. Dez. 2009)
222
Cursed Mountain (Screenshot). Bildquelle: Deep Silver, a division of Koch Media GmbH. 2009.
223
Cursed Mountain (Screenshot). Bildquelle: Deep Silver, a division of Koch Media GmbH. 2009.
224
„16 Firmen“ – Igler, Nadja: „Die Herausforderungen des verfluchten Bergs“, http://futurezone.orf.at/
stories/1624295/ (18. Juni 2009a)
225
„17 Firmen“ – Kenning, Julian: Art Directing Cursed Mountain. Vortrag bei Pixel 4.0. (27. Sept.
2009)
83
Das Studio Deep Silver Vienna [...] hat die verschiedenen Produktionsschritte an andere
Firmen ausgelagert und war bei dem Spiel für das Konzept, die Produktion, die Finanzierung
und die Koordination zuständig.
Die eigentliche Programmierung wurde vom österreichischen Entwicklerstudio Sproing
übernommen, das wiederum viele Teile selbst zugeliefert bekam, unter anderem von
Immersive Games mit Sitz in London und einem Entwicklungsstudio in Indien und dem
Spieledesigner und Autor Bob Bates, der in der US-Hauptstadt Washington arbeitet.226
Die Vorgehensweise wurde von den Beteiligten als „Hollywood-Modell“ bezeichnet.
Deep Silver Vienna sah sich in der Rolle des „Regisseurs“ und verantwortlich für
Konzept und Vision, während Sproing Interactive und die anderen beteiligten Firmen
als „Filmteam“ betrachtet wurden.227 Die Vorteile dieses Modells liegen darin, dass
der Publisher selbst kein riesiges Team fix anstellen und sich in Folge Gedanken
über die Auslastung machen muss.
„Wenn ich bei Sproing die Programmierung einkaufe, zahle ich natürlich deren Overheads
und auch ihren Gewinn mit. Auf der anderen Seite erspare ich mir so Stehzeiten in meinem
eigenen Team. Es geht vor allem um Kosteneffizienz“, erklärt Seifert. Zudem könne sich der
Publisher die richtigen Leute zu genau dem Zeitpunkt holen, an dem sie auch gebraucht
werden.
Für Harald Riegler, Geschäftsführer von Sproing, liegt der größte Vorteil, Spiele auf diese Art
zu produzieren, in der Ersparnis auf Publisherseite. Sproing habe aber selbst ebenfalls
profitiert: „Bei diesem Projekt haben wir die Mittel bekommen, um etwas zu produzieren, das
auch international relevant ist.“ „Cursed Mountain“ sei eines der wichtigsten Spiele, die jemals
in Österreich produziert wurden. 228
Dass Deep Silver Vienna geschlossen wurde, ist ein Rückschlag für die österreichische Spieleindustrie, aber die Zukunft lässt auf eine positive Entwicklung
hoffen. Im Vergleich zur österreichischen Filmindustrie ist die Gesamtanzahl der
lokalen Spielefirmen zwar geringer als die der Filmproduktionsfirmen, aber die
jeweiligen Spielefirmen sind größer als die meisten Filmproduktionsfirmen und haben
größere Chancen auf international vermarktbare Produkte.
226
Igler, Nadja: „Die Herausforderungen des verfluchten Bergs“, http://futurezone.orf.at/stories/16242
95/ (18. Juni 2009a)
227
228
Kenning, Julian: Art Directing Cursed Mountain. Vortrag bei Pixel 4.0. (27. Sept. 2009)
Igler, Nadja: „Die Herausforderungen des verfluchten Bergs“, http://futurezone.orf.at/stories/16242
95/ (18. Juni 2009a)
84
TV UND SPIEL
Nachdem bislang hauptsächlich von Spielen und Filmschaffenden die Rede war, wirft
dieses Kapitel einen Blick auf den Umgang von Fernsehsendern mit dem Medium
Computerspiel.
Fernsehsender entwickeln sich mehr und mehr zu Anbietern von MultimediaInhalten. Es genügt nicht mehr, über Fernseh- und Radiokanal zu senden und eine
lediglich programmbegleitende Homepage 229 zu betreiben, die kaum über Nachrichten und Hintergrundinformationen zum Programm hinausgeht. Ein gegenwärtiger
Fernsehsender muss auf möglichst vielen verschiedenen Ebenen agieren, um
wettbewerbsfähig zu bleiben. Zu dieser Liste von Aktivitäten einer medialen Streuung
der Inhalte zählen: IPTV, Web-TV, Angebote für das Mobiltelefon und sonstige
portable Geräte, eine Internet-Mediathek, Download-Content, Browser Games,
Foren, Chats, Blogs, sonstige Web-2.0-Anwendungen und -Inhalte und so weiter.
Eigene Events, die Beteiligung daran und die Vermietung von ModeratorInnen für
Veranstaltungen haben sich ebenfalls als bewährte Konzepte erwiesen. Manche
private Fernsehunternehmen sind außerdem im Vertrieb von DVDs und Computerspielen tätig und bieten Pay-TV und Video-on-Demand.
Die Herstellung der sendereigenen Inhalte, abseits der Nachrichten und je nach
Medium, wird dabei vermehrt an spezialisierte Entwickler abgegeben, mit diesen coproduziert und/oder gemeinsam entwickelt. Lizenzierungen machen den anderen Teil
aus. Die Rundfunkunternehmen werden nach wie vor selbst Inhalte herstellen, doch
das Hauptaugenmerk liegt im Bereitstellen von einer Vielzahl von Inhalten auf
verschiedensten medialen Wegen für den/die Medienkonsumenten/-in. Die Sender
mutieren zu Publishern mit multimedialem Angebot. In der Ausweitung des medialen
Angebots werden die Sender mit den Produkten anderer Multimediaunternehmen,
die über keine Sendervergangenheit verfügen, in Konkurrenz treten. Es wird zu
Überschneidungen (aber unter Umständen auch zu Kooperationen) mit MultimediaBranchenriesen wie Amazon230 , Apple, Google usw. kommen, aber sie müssen auch
229
230
sowie Teletext und ein eventuell vorhandenes Nachlesemagazin.
Amazon bietet nicht nur Bücher, DVDs und Elektronikgeräte, sondern auch Download-Content und
ist, wie viele Leute nicht wissen, mit amazon web services einer der weltweit größten Web-HostingAnbieter – siehe: „amazon web servicesTM. Was ist AWS?“ http://aws.amazon.com/de/what-is-aws/
(o.J.) – Stand: Feb. 2010.
85
mit einer Vielzahl weniger bekannter Unternehmen konkurrieren. Und hier verfügen
die Sender über einen Startvorteil gegenüber der Konkurrenz – sie haben einen
bekannten Namen, eine Stammkundschaft, die weiß, was sie von „ihrem“ Sender
erwarten kann, die notwendige Aufmerksamkeit und ein Grundvertrauen von Beginn
an. „Auch auf den neuen Plattformen suchen die Menschen vorwiegend das, was sie
vom TV im Wohnzimmer kennen, nämlich Information und Unterhaltung in bewegten
Bildern.“231 Während die Vorstandsmitglieder der ProSiebenSat.1 Media AG, Posch
und Englert, dies auf das „bewegte Bild“ beziehen, ist diese Aussage, meiner
Meinung nach, weitreichender gültig – die Menschen suchen Inhalte, die sie aus dem
Fernsehen (und aus anderen etablierten, medialen Formen) kennen.
Insofern machen Gedanken, wie sie seitens der Gesetzgeber in Deutschland und in
Österreich gehegt werden, den Zugang der öffentlich-rechtlichen Sender zu anderen
medialen Vertriebskanälen (unter dem Vorwand des Wettbewerbsvorteils) zu
beschränken, wenig Sinn. Sollen die öffentlich-rechtlichen Rundfunksender, die
ohnehin mit schwindenden Marktanteilen kämpfen, von der Weiterentwicklung des
Fernsehens und des Medienanbieters ausgeschlossen werden? Falls ja, würde dies
vermutlich tatsächlich das Ende des Mediums Fernsehen bedeuten.
Welche besondere Rolle nimmt in diesem Zusammenhang das Computerspiel ein,
welches ein Teil dieser multimedialen Erweiterung ist?
Das Computerspiel adaptiert nicht nur Filmstoffe, sondern auch erfolgreiche
Fernsehserien und andere Fernsehformate, als Browser Game, als Download-Game
sowie als „boxed title“232 für die verschiedenen Konsolen und Handheld-Geräte.
Diese Auflistung präsentiert einige der unzähligen Beispiele: ER – Emergency Room,
Anna und die Liebe, Greyʼs Anatomy – The Video-Game, Gina-Lisa Power-
231
Posch, Guillaume de; Englert, Marcus: „Zukunft Fernsehen – Content ist King Kong“. In: Auslaufmodell Fernsehen? Perspektiven des TV in der digitalen Medienwelt. 2008. 171.
232
Ein „boxed title“ ist ein auf einem physischen Datenträger im Handel erhältliches Spiel, zur
besseren Lagerbarkeit und Platzierung auf den Regalen in einer Schachtel verpackt.
86
shopping233, die Alarm-für-Cobra-11- und RTL-Winter-Sports-Reihen, die ORF Ski
Challenge, Einer gegen 100234, tv total Events und so weiter.
Programme wie POPSTARS, Galileo oder Germanyʼs next Topmodel sorgen nicht nur auf
dem Fernsehbildschirm für Begeisterung. Längst haben TV-Sendungen auch den Spielemarkt
erobert. Egal ob Computer-, Video-, Mobile- oder Online-Spiele [sic!] gelten heute als größter
Wachstumstreiber der Unterhaltungsbranche. 235
RTL zieht sich zwar aus dem Retailgeschäft zurück, konzentriert sich aber auf
Onlinegames und konnte mit Spielen zu TV-Inhalten Erfolge erzielen, die auch die
Qualität des Originals übertreffen können, so etwa mit Alarm für Cobra 11, wie die
Fachzeitschrift GamesMarkt feststellt: „Über die Qualität der Fernsehserie ,Alarm für
Cobra 11ʻ lässt sich durchaus streiten. Unbestritten ist dagegen die Qualität der
dazugehörigen Videospielumsetzung [...]“ 236
Fernsehsender wie RTL, Sat.1 etc. können außerdem für ihre eigenen Produkte
wesentlich kostengünstiger Werbungen schalten.237
SevenOne Intermedia, eine Tochterfirma der ProSiebenSat.1 Media AG, will gerade
diese Stärke nutzen, um weiterhin im hart umkämpften Retailmarkt Erfolge zu erzielen, wie es Marc Wardenga, Leiter der Games-Abteilung bei SevenOne Intermedia,
bestätigt:
233
Gina-Lisa Lohfink, Teilnehmerin bei Germanyʼs Next Topmodel und zu sehen auf ProSieben in ihrer
eigenen Sendung Gina-Lisas Welt. – siehe: „Zunächst zwei Mal. ProSieben holt ,Gina-Lisas Weltʻ ins
Fernsehen“, http://www.dwdl.de/story/16286/prosieben_holt_ginalisas_welt_ins_fernsehen/ (11. Juni
2008)
234
Thomas Kritsch, Xbox-Manager: „,Einer gegen 100ʻ ist das erste Spiel in einer Reihe von XboxLive-Spielen, in denen Fernsehen und Videospiele zusammenwachsen. Das Game entsteht in
Kooperation mit Endemol und erlaubt es einer großen Anzahl von Mitspielern zeitgleich in einem live
moderierten Quiz teilnehmen zu können.“ („Einer gegen 100: TV-Quiz wird Online-Game. Spiel soll
neue interaktive Multiplayer-Erfahrung bieten.“, http://derstandard.at/fs/1241622227694/Xbox-LiveEiner-gegen-100-TVQuiz-wird-OnlineGame (8. Mai 2009))
235
Posch, Guillaume de; Englert, Marcus: „Zukunft Fernsehen – Content ist King Kong“. In: Auslaufmodell Fernsehen? Perspektiven des TV in der digitalen Medienwelt. 2008. 170.
236
237
„Ruhrpottrowdys. Alarm für Cobra 11: Highway Nights“, GamesMarkt Nr. 22 (12. Nov 2009), 34.
„Für alle Titel sind, wie sich das für das Publishinglabel eines TV-Senders gehört, umfangreiche
Spots geplant. So wird „RTL Winter Sports 2010“ ab Release in zielgruppenaffinen Umfeldern der
Senderfamilie beworben.“ (Hammes, Frederik: „Heiße Games zur Winterzeit. Blick auf das
Weihnachts-Line-up von RTL interactive“, GamesMarkt Nr. 21 (29. Okt. 2009c), 14.)
87
[...] wir halten nach wie vor an physischen Produkten fest. Der klassische Retailmarkt ist groß
genug, um entsprechende Stückzahlen abzusetzen. Glücklicherweise sind wir als Publisher
von ProSiebenSat.1 [...] in der Lage, unsere Produkte über TV und online massiv zu bewerben, was ein großer Vorteil gegenüber anderen und kleineren Publishern ist. 238
www.sevengames.de ist die zu ProSieben gehörige Spieleseite. ProSieben hat zur
crossmedialen Vermarktung 2007 eine eigene Web-TV-Sendung (Seven Games TV)
kreiert, die schnell 220.000 Abrufe pro Monat zählen konnte.239
Sat.1 verfügt über eine eigene Spieleseite, welche die Spieleadaptionen der
sendereigenen Programme anbietet. Anna und die Liebe, das Spiel zur Sat.1
Telenovela, findet sich als Online-Spiel nur auf www.sat1.de/spiele und nicht auf
www.sevengames.de, während sich die beiden Homepages andere Spiele, die
keinen Kontext zum Sender haben, teilen.
Der Österreichische Rundfunk konnte wiederum große Aufmerksamkeit mit dem
Spiel Ski Challenge erreichen, welches der österreichische Spieleentwickler
Greentube produzierte. Greentube brachte in Folge das Gratis-Spiel in Kooperation
mit Fernsehstationen in über zehn Ländern online und erreichte über 6 Millionen
registrierte SpielerInnen weltweit. Finanziert wurde das Spiel über „In Game
Advertising“, innerhalb des Spiels „geschaltete“ Werbung – zum Beispiel Werbebanner als Pistenbegrenzung bei den Ski-Challenge-Rennläufen.
Wenn es heißt, ein Computerspiel entspreche nicht dem Kulturauftrag und gehöre
nicht in das Umfeld eines öffentlich-rechtlichen Senders, so übersehen diese
Stimmen, dass Veränderungen im Konsum von Inhalten und das Entstehen neuer
Medien Bestandteil unserer Kultur sind.
Computer- und Videospiele sind ein integraler Bestandteil der Popkultur. Sie sind von hoher
kultureller Relevanz und ein Leitmedium im Unterhaltungsbereich. Sie faszinieren Hunderte
Millionen Menschen weltweit. 240
238
Hesse, Harald: „,Aktuelles Portfolio mehr als verdoppelt.ʻ Im Gespräch: Marc Wardenga, Head of
Games SevenOne Intermedia“, GamesMarkt Nr. 03 (10. Feb. 2010b), 23.
239
Posch, Guillaume de; Englert, Marcus: „Zukunft Fernsehen – Content ist King Kong“. In: Auslaufmodell Fernsehen? Perspektiven des TV in der digitalen Medienwelt. 2008. 171.
240
Florin, Gerhard: „Die Zukunft der Games zwischen Leitindustrie und kultureller Relevanz“,
GamesMarkt Nr. 16 (20. Aug. 2009), 32.
88
Und sie sind, meiner Meinung nach, nicht nur Bestandteil der Popkultur. Seit langem
setzen sich die Medienkunst und andere Sparten der Kunst mit dem Computerspiel
auseinander und erzeugen Kunstwerke unterschiedlichster Herangehensweisen, von
Ausstellungsprojekten bis zu downloadbaren, künstlerischen Erweiterungen bestehender Spiele.241
Das Computerspiel wurde zuerst einmal mit Argwohn betrachtet, wie es den meisten
Medien zu Beginn ihrer „Karriere“ erging, bevor sie eine breitere Akzeptanz fanden.
Das Comic wurde in den USA in den 50er Jahren verteufelt, da Studien belegten,
Kinder die Comics lesen, seien statistisch gewalttätiger und krimineller als ihre
comiclosen Alterskollegen. Der Kinofilm verblöde die Menschen und Kinder seien
aus den Kinos nicht mehr rauszukriegen. Das Fernsehen später ebenso. Die Kinder
von heute würden nur noch ihre Zeit im Internet verbringen – oder spielen nur noch
am Computer. Auch bei den Kreativen selbst finden sich manchmal Tendenzen
dieser Art, als ob das ältere Medium das kulturell wertvollere sei; noch heute blicken
manche TheaterschauspielerInnen auf FilmschauspielerInnen herab; und der/die
KinoregisseurIn verheimlicht, wenn er/sie etwas „fürs Fernsehen“ macht. Diese
Haltung spiegelt sich sogar darin wider, welches Medium wie viele Lehrstühle auf
den Universitäten für die wissenschaftliche Forschung innehat, wo das Computerspiel noch kaum vertreten ist, wie es früher auch Film und Fernsehen ergangen ist:
„The same people, or their academic forebears, thought in the 1980s that TV wasnʼt
worth studying, and in the 1960s that film wasnʼt worth studying.“ 242
Konvergenz betrifft mehr als nur die technische Möglichkeit, auf einem Gerät
möglichst viele Funktionen nutzen zu können; Konvergenz betrifft den angebotenen
Content. „Convergence requires media companies to rethink old assumptions about
241
Ein Beispiel: Das australische Spiel Escape from Woomera ist gebaut als Erweiterung eines EgoShooters und bedient sich dessen Steuerung, Spielstruktur und Game Engine, hat aber einen gänzlich
anderen Inhalt: Als illegaler Immigrant wird der/die SpielerIn bei der Einreise nach Australien
festgehalten und im „Detention Center“ von Woomera festgehalten. Der/die SpielerIn versucht nun,
aus dem „Detention Center“ zu entkommen, entweder auf bürokratischem Weg oder per Flucht und
lernt das Schicksal eines Asylwerbers an der eigenen, virtuellen Haut zu spüren. (Swalwell, Melanie:
„Independent Game Development: Two Views from Australia“. In: Videogames and Art. 2007. 160ff.)
Dieses Spiel hat auch bereits seinen Nachahmer gefunden – Frontiers, geschaffen von der Salzburger
Künstlergruppe Gold Extra: „Als virtueller Nutzer muss der Nutzer versuchen, sich von Afrika oder
Ukraine aus, ins gelobte Europa durchzuschlagen.“ (Marot, Jan: „Online-Sturm auf die Festung
Europa“, http://derstandard.at/1262209322511/Online-Sturm-auf-die-Festung-Europa (12. Jän. 2010))
242
Adams, Ernest: Break into the Game Industry. How to get a job making video games. 2003, 88.
89
what it means to consume media, assumptions that shape both programming and
marketing decisions.“243
Die Fernsehsender und Rundfunkanstalten sind nicht die einzigen Unternehmen, die
gegenwärtig ein multimediales Angebot zur Verfügung zu stellen haben. Schon
längst drängen Telekommunikationsunternehmen244 und Internetprovider245 in diese
Märkte. Es hat sich zu einer Notwendigkeit entwickelt, um wettbewerbsfähig zu
bleiben.
243
Jenkins, Henry: Convergence Culture. Where Old and New Media Collide. 2006, 18.
244
z.B. die deutsche Telekom mit 450.000 registrierten KundInnen auf ihrer Spieleplattform
„Gamesload“, 320.000 auf „Videoload“ und ca. 4 Millionen auf der Musikplattform Musicload. (Hesse,
Harald: „,Wir erzeugen Nachfrageʻ. Gamesload hat aktuell 450.000 registrierte Nutzer“, GamesMarkt
Nr. 01 (13. Jän. 2010a), 16.)
245
z.B. United Interned AG mit ihren Marken GMX, WEB.DE und 1&1 als Deutschlands größtes EMail-Portal (Steininger, Stephan: „Ein Channel für alle Gamesaktivitäten. GMX/WEB.DE/1&1 bündelt
Angebot und bereitet Relaunch vor“, GamesMarkt Nr. 22 (12. Nov. 2009), 18.)
90
FILMISCHES & INTERAKTIVES ERZÄHLEN
„Interaktiv“ bedeutet nicht automatisch, dass eine Geschichte erzählt wird. Trotzdem
betrachtet dieses Kapitel Interaktivität aus dem Gesichtspunkt des interaktiven
Erzählens anhand von Computerspielen. Nachdem die grundlegenden Unterschiede
zusammengefasst worden sind („Was Film und Game unterscheidet“), gehe ich
näher darauf ein, welches Konfliktpotenzial filmisches Erzählen im Zusammenhang
mit Computerspiel in sich birgt („Gameplay vs. Story“). In Folge gebe ich einen
Überblick über Interaktivität in Film und Fernsehen und interaktives Erzählen im
Computerspiel.
Was Film und Game unterscheidet
Grundlegende Unterschiede, die das interaktive Erzählen im Computerspiel vom
filmischen abgrenzen, sind:
a) Der/die SpielerIn spielt selbst den Hauptcharakter.246
b) Er/sie hat die Möglichkeit, in das Geschehen einzugreifen und die „story world“ zu
manipulieren.247
c) Die Ordnung von Ereignissen ist, seitens der Herstellers, nicht kontrollierbar.
d) Die Zeitdauer zwischen den Ereignissen ist nicht kontrollierbar.248
Von diesen Unterschieden abgesehen, variieren die Grundgerüste von Computerspiel und herkömmlichem Geschichtenerzählen nicht, wenn man der Argumentation
von Jesse Schell folgt, die über den Tellerrand (Geschichte hier, Spiel dort) blickt:
Ultimately, of course, we donʼt care about creating either stories or games—we care about
creating experiences. Stories and games can each be thought of as machines that help create
experiences.249
246
Schell, Jesse: The Art of Game Design. A Book of Lenses. 2008, 257.
247
Schell, Jesse: The Art of Game Design. A Book of Lenses. 2008, 257 & 263.
248
Freemann, David: Creating Emotion in Games: The Craft and Art of Emotioneering™. 2003, 10.
249
Schell, Jesse: The Art of Game Design. A Book of Lenses. 2008, 263.
91
Gameplay vs. Story
Zwei heftig geführte Debatten beherrschten bislang die Spielebranche. Die eine
Debatte wird bezeichnet als die „Graphics versus Gameplay“-Debatte, in der es
darum ging, ob die grafische Umsetzung des Spiels, die sehr stark von den
technischen Möglichkeiten abhängig ist, von größerer Bedeutung ist oder die Art und
Weise, wie das Spiel gespielt wird. In den 90er Jahren stand die grafische
Umsetzung, bedingt durch die rasche Entwicklung der Computertechnologie dieser
Zeit und das Aufkommen der CD-Rom, stark im Vordergrund. Inzwischen ist diese
Debatte in den Hintergrund getreten und die Streitparteien innerhalb der Spielebranche haben sich darauf geeinigt, dass mit der Aufwertung der Grafikleistung allein
kein Spiel zu machen ist. Diese Debatte gilt seit längerem als beendet – ein Beispiel
aus dem Jahr 2003: „We believe the ʻgraphics versus gameplayʼ debate is no longer
a meaningful one. The truth is that graphics and gameplay must work together to
produce the total play experience.“250
Bei der aktuelleren Debatte handelt es sich um die „Gameplay vs. Story“-Debatte.
Auf wissenschaftlicher Ebene wird diese Debatte auch als „Ludology vs.
Narratology“251
geführt. Nicht jedes Spiel beinhaltet eine Geschichte; gänzlich
abstrakte Spiele wie Tetris oder Sudoku unterliegen nicht dieser Diskussion. Aber die
fortlaufende Herstellung von Spielen, die eine Geschichte beinhalten, trägt zu dieser
Diskussion bei.
Und wie beim Film, wenn etwa Kameraleute mit TonmeisterInnen zusammenstoßen,
kommt es zu sinnlosen Diskrepanzen zwischen den verschiedenen Departments (die
über den Gameplay-Story-Konflikt hinausgehen):
250
251
Adams, Ernest: Break into the Game Industry. How to get a job making video games. 2003, 57.
Gonzalo Frasca, der sich selbst als Ludologen bezeichnet, beschreibt die Ludologie als eine
wissenschaftliche Disziplin, die Computerspiele und anderwertige Spiele erforscht. 2003 publizierte
Gonzalo Frasca einen Artikel mit dem Titel „Simulation versus Narrative: Introduction to Ludology“, in
dem er Spiele unabhänig von Geschichten sah: „Of course, we need a better understanding of the
elements that games do share with stories, such as characters, settings and events. Ludology does
not disdain this dimension of video games but claims that they are not held together by a narrative
structure.“ (Frasca, Gonzalo: „Simulation versus Narrative: Introduction to Ludology“. In: The Video
Game Theory Reader. New York, London: Routledge. 2003a, 222.) Noch im selben Jahr schrieb er in
einem neuerlichen Artikel, dass eine Debatte nie stattgefunden hätte, und beruhigte: „[...] the work of
the so-called ludologists does not reject narrative, nor it wants to finish narrative elements in
videogames.“ (Frasca, Gonzalo: „Ludologists love stories, too: notes from a debate that never took
place“, http://ludology.org/articles/Frasca_LevelUp2003.pdf (2003b) Auch wenn Frasca im zweiten
Artikel zu beweisen versucht, die Debatte habe nicht stattgefunden und ihm sei kein einziger
„Narratologe“ bekannt, so wurde das Thema ausgiebig diskutiert – was die Reaktion Frascas an sich
schon beweist.
92
Game designers tend to believe that mechanics are primary; artists tend to believe the same
about aesthetics; engineers, technology; and writers, story. I suppose it is human nature to
believe your piece is the most important. But, believe me, as a game designer, they are all
your piece. Each has an equally powerful effect on the playerʼs experience of your game, and
thus, each deserves equal attention. 252
(Während beim Film der/die RegisseurIn die ästhetische Verantwortung übernimmt,
trägt sie beim Spiel der/die Game DesignerIn.)
Abseits der menschlichen Komponente stellt sich in der „Gameplay vs. Story“Debatte die Frage, was Gameplay eigentlich ist. Gameplay ist ein „nebulöses
Konzept“ – Rollings und Adams erlebten in vielen Diskussion, dass Leute das
Gameplay eines Spiels lobten und in Folge die verschiedensten Aspekte eines Spiels
beschrieben.253
Dieser Schwierigkeit zum Trotz definiert Steve Ince das Gameplay, im Rahmen
seiner Beschreibung des Game Designs254, folgendermaßen:
This [the creation and development of the gameplay; Anm. R.H.] includes the design of the
player interface (the control mechanism for the game), the gameplay rules and mechanics,
and how the mechanics are put together in varying combinations to give a satisfying gaming
experience.255
Das Gameplay umfasst, dieser Definition folgend:
a) Das Interface, welches sichtbare Steuerelemente auf dem Bildschirm und die
Übersetzung der physischen Bedienungshilfen wie Joystick, Gamepad usw.
umfasst. (Beispiel 1: Der auf dem Bildschirm sichtbare Balken zeigt die Lebensenergie des Avatars an. Beispiel 2: Bei Drücken des Knopfes x auf dem Gamepad
macht der Avatar einen vertikalen Sprung.)
252
Schell, Jesse: The Art of Game Design. A Book of Lenses. 2008, 43.
253
Rollings, Andrew; Adams, Ernest: Andrew Rollings and Ernest Adams on Game Design. 2003, 199.
254
Ince beschränkt sich in seiner Erklärung des Game Design auf die Erstellung des Gameplays. Ich
schließe mich dieser Meinung nicht an. Wie bereits oben erwähnt (siehe Kapitel „Regie“, Seite 42 bis
43), umfasst die Aufgabe des/-r Game DesignerIn mehr Tätigkeiten, wie etwa den Gesamtüberblick
über andere Departments und rein ästhetische Entscheidungen.
255
Ince, Steve: Writing for Video Games. 2006, 9.
93
b) Die Regeln des Spiels und die damit verbundene Spielmechanik: welche
Tätigkeiten kann der/die SpielerIn ausführen, wo wird die Freiheit des/-r SpielerIn
eingeschränkt, was resultiert aus den Aktionen des/-r SpielerIn.
c) Die sinnvolle Anordnung der vom/-n der SpielerIn ausgelösten Aktionen in Zusammenhang mit den vom Spiel vorherbestimmten Ereignissen.
Rollings und Adams betrachten das Gameplay auf ähnliche Weise und erweitern die
Beschreibung um die Aufgaben und Ziele, die dem/-r SpielerIn gestellt werden: „[...]
the core mechanics, along with the user interface, create the gameplay—the
challenges the player faces and the actions he may take to overcome them.“ 256
Worin sich die Feinde von starken Geschichten in Spielen und deren BefürworterInnen einig sind: Ein gut funktionierendes Gameplay ist Voraussetzung für das
Funktionieren eines Spiels. (Ebenso wie das Drehbuch Voraussetzung für einen erfolgreichen Film ist.)257 Der Streit liegt vielmehr darin begründet, dass die Verfechter
des Gameplays das Erzählen von Geschichten als Teil eines Computerspiels oder
gar als Hauptaspekt eines Computerspiels ablehnen. Nichtsdestotrotz werden
weiterhin sowohl Spiele produziert werden, deren Hauptaugenmerk auf dem
Gameplay liegt, als auch Spiele, die Storytelling als Werkzeug einsetzen, um damit
eine andere Qualität zu erzielen.
As game designer Bob Bates once told me: “Story and gameplay are like oil and vinegar.
Theoretically they donʼt mix, but if you put them in a bottle and shake them up real good,
theyʼre pretty good on a salad.” 258
Die Spiele, die sich des Geschichtenerzählens bedienen, werden an der Qualität der
Geschichte und an der Qualität des Zusammenspiels mit dem Gameplay gemessen
werden.
Es bedarf beider Elemente, Gameplay und Story, wenn es das Ziel ist, eine
interaktive Geschichte zu bieten. Und, um die Parallele zum Film zu ziehen:
256
Rollings, Andrew; Adams, Ernest: Andrew Rollings and Ernest Adams on Game Design. 2003, 57.
257
Nur in Ausnahmefällen kann die Ästhetik eines Films über ein schlechtes Drehbuch hinwegtäuschen. Selbiges gilt für das Gameplay.
258
Schell, Jesse: The Art of Game Design. A Book of Lenses. 2008, 262.
94
Unabhängig davon, ob das Drehbuch „gut“ oder „schlecht“ ist, darf deswegen das
Bild nicht überbelichtet sein oder der Ton übersteuert. Während eine künstlerisch
herausragende Kameraführung einen bildaffinen Spezialisten oder eine actionreiche
Kameraführung das Segment junger Männer ins Kino verlocken mag, kann die Geschichte eines Films oder eines Computerspiels mehr: Geschichten können uns
emotional berühren und uns verändern; und interaktiv gehen sie einen Schritt
weiter259 :
As Scheherazade and Jesus both knew, storytelling can be a powerful agent of personal
transformation. The right stories can open our hearts and change who we are. Digital
narratives add another powerful element to this potential by offering us the opportunity to
enact stories rather than to merely witness them. 260
Zusammenfassend: das Spiel braucht das Geschichtenerzählen nicht, aber es kann
sich das Geschichtenerzählen zunutze machen.
Interaktivität in Film und Fernsehen
Spätestens seit Fernsehshows und Quizsendungen zum ersten Mal das Publikum
aufforderten, über das Betätigen der Klospülung oder das Ein- und Ausschalten des
Lichts zu Hause an Entscheidungen zu partizipieren261 , ist Interaktivität bei Film und
Fernsehen ein Thema. Im Kino und im Fernsehen handelt es sich dabei zwangsläufig immer um Mehrheitsentscheidungen. Die technischen Voraussetzungen stellen
in der Zwischenzeit kein Problem mehr dar.
Für das Fernsehen, ob Live-Shows oder sich weiterentwickelnde Serien, bieten sich
Abstimmungen via Telefon, SMS und Internet an. Für das Kino waren zur Zeit des
Projektors die technischen Möglichkeiten nicht gegeben; obwohl die digitale Projektion die Kinos erobert, besteht kein Interesse mehr daran, Interaktivität ins Kino zu
bringen. (Zumindest sind mir keinerlei Bestrebungen für derartige Vorhaben bekannt.)
259
Mehr dazu im Kapitel „Die emotionale Komponente“, Seite 113 bis 127.
260
Murray, Janet H.: Hamlet on the Holodeck. The Future of Narrative in Cyberspace. 1997, 170.
261
Der in Folge unübliche und klar ersichtliche Ausschlag nach oben, der in einem bestimmten
Zeitrahmen erfolgen musste, wurde bei den Wasser- und E-Werken abgelesen – und die Frage nach
der Entscheidung des Publikums war beantwortet.
95
Vielmehr fordern die Produktion der Inhalte und der Umgang mit der Dramaturgie die
Hersteller interaktiver Film- und Fernsehstoffe heraus.
„Mehrheitsentscheidungen262 sind [...] der natürliche Feind jeglicher geschlossenen
Erzähldramaturgie.“263 Die Interaktion der KonsumentInnen erfordert eine andere
Dramaturgie. Insbesonders die ausgefeilte Erzähldramaturgie ist eine Stärke des
Kinofilms. Chris Crawford, vormals in der Spielebranche tätig, seit den frühen 90ern
im Bereich „interactive storytelling“ forschend, beschreibt das Problem des
„interactivized movies“ anhand des ersten Star-Wars-Films (von 1977) – Luke
Skywalker trifft im ganzen Film nur sechs bedeutende Entscheidungen:
Here is the sequence of key decisions that Luke makes during the course of the movie:
1. Agree to take Obi-Wan partway to Mos Eisley Spaceport?
2. Race home to discover the bodies of uncle and aunt?
3. Decide to accompany Obi-Wan to Alderaan?
4. Rescue Princess Leia?
5. Run away from Darth Vader?
6. Trust the force to blow up the Death Star?264
Jede Entscheidung würde die Dramaturgie schwächen, die Geschichte behindern
und vielleicht sogar Unmut gegenüber Luke Skywalker beim/bei der ZuseherIn
erzeugen. Die Geschichte würde sich im Falle negativer Antworten sogar von einem
Weltallmärchen in die Tragödie eines Feiglings im All verwandeln, der den Weg des
geringsten Widerstandes geht.
Das zweite Problem ist die Herstellung der verschiedenen Optionen. Gerade der
Kinofilm ist teuer zu produzieren. Jede mögliche Interaktion des/-r ZuseherIn, welche
die Erzählstruktur beeinflusst, kostet ein Vermögen.
Lösungen für beide Herausforderungen (Dramaturgie und Produktion) hat das
Fernsehen gefunden, auch für narrative Stoffe, abseits von Live-Shows.
262
Ich widerspreche der Verwendung des Begriffs „Mehrheitsentscheidung“ an dieser Stelle, denn
eine interagierende Entscheidung des/-r einzelnen Zusehers/-in erschwert die Dramaturgie auf gleiche
Weise wie die von mehreren Personen. Wenn es sich in der Interaktion um eine „Mehrheit“ handelt,
erschwert dies lediglich die technische Umsetzung.
263
Slansky, Peter C.: „Der Weg zum digitalen Kino“. In: Zukunft Kino. The End of the Reel World.
2008. 72.
264
Craword, Chris: Chris Crawford on Interactive Storytelling. 2005, 49.
96
In der portugiesischen TV-Soap Sofiaʼs Diary (Diário de Sofia) ist es dem/-r
ZuseherIn möglich, das Geschehen in Form von Abstimmungen zu beeinflussen. Alle
ZuseherInnen, die ihre Mobiltelefonnummer bekannt geben und für diesen Service
bezahlen, bekommen regelmäßig SMS von ihrer „TV-Freundin“ Sophie. Die SMS
spricht den/die EmpfängerIn als FreundIn an und liefert scheinbar persönliche Zusatzinformationen rund um die Teenie-Soap. Täglich bittet Sophie den/die „FreundIn“
um Rat, was in der Praxis die Teilnahme an einer Umfrage bedeutete – zum Beispiel:
Sophie fragt, ob sie den Rat ihrer Eltern befolgen soll. Die Produktionsfirma drehte
beide Möglichkeiten vor. Im Fernsehen wurde schließlich die Variante mit den
meisten Stimmen gesendet. Unabhängig von der gewählten Variante liefen die
Fäden der Geschichte wieder zusammen. Die Eltern mögen kurz verstimmt gewesen
sein, da Sophie ihren Rat nicht befolgte, doch die Geschichte geht weiter, wie es die
AutorInnen geplant haben. Im Internet können sich die registrierten Fans der
Seifenoper kostenpflichtig die zweite Variante ansehen. Sofiaʼs Diary wird darüber
hinaus begleitet von einem starken Internetauftritt, Content für Mobiltelefone,
Büchern zur Serie, Merchandising, Radiosendungen und so weiter.265, 266
Die Entscheidungen beeinflussen nur eine Minute Material, das doppelt produziert
werden muss, als Soap aber billiger als etwa ein Kino- oder Fernsehfilm zu
produzieren ist. Die Dramaturgie selbst wird durch die Entscheidungen nicht in ihrer
Struktur verändert.
Im Segment des/-r individuellen Konsumenten/-in (zu Hause vor dem Fernseher)
unternahmen Film- und Computerspielbranche Mitte der 90er einen Anlauf, inter-
265
Bernardo, Nuno: Plenary Module New Technologies. Case Study Sofiaʼs Diary. Vortrag beim EAVE
Workshop 2006 an der Donau-Universität Krems 2006 (1. Juli 2006)
266
„beActive entertainment. Sofiaʼs Diary. Info Sheet“, http://beactivemedia.com/wp-content/uploads/
2010/03/sofias_diary_web.pdf (o.J.) – Stand: März 2010.
97
aktive Filme zu erzeugen.267 Das Aufkommen der CD-Rom und deren erhöhte
Speicherkapazitäten waren verantwortlich für diesen Versuch, der letztlich scheiterte.
A number of interactive movies were produced, and some of them met with considerable
financial success. Taking advantage of the CD-ROM, they presented pictures and sound that
were better than anything seen before.
After the initial excitement was over, however, the interactive movie was abandoned as a
product concept. The biggest problem was the cost of producing all the video needed for a
branching storyline. Back when games were all text you could write large numbers of scenes
for very little money, but when it became necessary to film them all, the cost was prohibitive. In
addition, the CD-ROM, large as it is, still doesnʼt have enough room for all the video that a
truly branching storyline requires. As a result, the storylines of most interactive movies didnʼt
branch very much—which meant that they werenʼt really very interactive. The term “interactive
movie” oversold the concept without really delivering on its promise, and nowadays few
games are called that. 268
Meiner Meinung nach trug auch die damalige Herangehensweise, dass „interaktiv“
eine Geschichte mit sich ausbreitender Baumstrukter („branching“) bedeutet, zum
Scheitern bei. Heute wird „branching“ nicht mehr als Bedingung für Interaktivität betrachtet.269
Auch der Begriff „interaktiver Film“ kehrte zurück, nur kehrte er aus der Spielebranche zurück. Das im März 2010 erschienene Spiel Heavy Rain unternimmt einen
Versuch in Richtung interaktiver Film. Guido Alt, Manager von SCED (Sony
Computer Entertainment Deutschland) im Interview mit GamesMarkt: „Mit ,Heavy
Rainʻ wird ein völlig neues Genre ins Leben gerufen. Es viel [sic!] mehr ein
267
Zuvor, in den späten 80ern, unternahm Spielehersteller Hasbro einen sehr engagierten Versuch,
mit dem Konzept des interaktiven Films einen noch unbekannten Markt zu erobern. Hasbro
entwickelte ein revolutionäres System, das auf VCR-Tapes basierte: „The user needed only to insert a
properly encoded tape into a VCR and hit the PLAY button. The tape never had to shuttle back an
forth. A decoder box sitting between the VCR and the TV set chose (under user control) among
several video and audio tracks and instantly displayed the selected scene.“ (Perlmutter, Martin:
Producerʼs Guide To Interactive Videodiscs. 1991, 122.) Hasbro war seiner Zeit zu sehr voraus. Von
diversen Fehlern in der Entwicklung des Geräts abgesehen (technischer und finanzieller Natur sowie
in der Zeitplanung), fehlte Hasbro das Know-how, um die Inhalte dafür zu produzieren: „The rights to
Police Academy and Star Trek were secured for millions of dollars, and no usable product was
fashioned from them.“ (Perlmutter, Martin: Producerʼs Guide To Interactive Videodiscs. 1991, 123.)
Hasbro scheiterte als einer der ersten am interaktiven Geschichtenerzählen.
268
Adams, Ernest: Break into the Game Industry. How to get a job making video games. 2003, 8f.
269
Mehr dazu im folgenden Kapitel „Interaktives Storytelling im Computerspiel“ Seite 99 bis 113.
98
interaktiver Film als ein reines Spiel.“270, 271 Inwiefern sich dieses neue Genre
durchzusetzen vermag, bleibt mit Spannung abzuwarten.
Sowohl für den interaktiven Film als auch für das Computerspiel, welches eine
Geschichte erzählt, gilt, dass die Dramaturgie nicht so einfach der Dramaturgie eines
klassischen Spielfilms folgt. Um Chris Crawfords Star-Wars-Beispiel noch einmal
aufzugreifen: „If you were playing Luke Skywalker and the key decisions were up to
you, would you answer any of these questions in the negative?“272 Beim interaktiven
Erzählen müssen andere Strukturen angewandt und andere Entscheidungsmöglichkeiten angeboten werden.
Interaktives Storytelling im Computerspiel
„Interactivity depends on the choices available to the user.“273 Bei Interaktivität geht
es darum, dass der/die BenutzerIn Aktionen setzen und Entscheidungen treffen
kann. Die große Kunst der Spielschaffenden ist, mit diesen Entscheidungen
umzugehen und sie möglichst vorherzusehen. 274
Storytelling
Wie wird Storytelling in Games verwendet?
How we want to use interactive storytelling will depend on the type of story we want to tell and
the type of game in which we are telling it. Is our story going to be linear or non-linear? Is the
player able to interact with and affect the story or the plot, or both?275
Eine Grafik verdeutlicht, welche Arten von Spielen einen größeren Bedarf an einer
Story haben:
270
Steininger, Stephan: „Von neuen und treuen Zielgruppen“, GamesMarkt Nr. 03 (10. Feb. 2010c), 9.
271
Mehr zu Heavy Rain im Kapitel „Fallbeispiel 2: ,Heavy Rainʻ“, Seite 142 bis 152.
272
Craword, Chris: Chris Crawford on Interactive Storytelling. 2005, 49.
273
Craword, Chris: Chris Crawford on Interactive Storytelling. 2005, 41.
274
„[...] the storyteller must predict, account for, respond to, and smoothly integrate the actions of the
participant into the experience.“ (Schell, Jesse: The Art of Game Design. A Book of Lenses. 2008,
264.)
275
Ince, Steve: Writing for Video Games. 2006, 19.
99
Abb. 28: The story spectrum.276
Die Zutaten, die für die Geschichten von Computerspielen notwendig sind, unterscheiden sich nicht vom Film: „It is an old maxim of Hollywood screenwriting that the
main ingredients for a story are (1) A character with a goal and (2) obstacles that
keep him from reaching that goal.“277
Hinzu kommt die Belohnung. Wenn der/die SpielerIn sein/ihr Ziel erreicht, benötigt
er/sie eine Belohnung, um weiterhin motiviert zu bleiben. Dies können Punkte,
erlangte Gegenstände (meist Waffen, Munition, Geld, Medi-Packs und Rüstungen),
Spezialkräfte, Fähigkeiten usw. sein – aber auch das schlichte Weiterkommen oder
eine Cut-Scene.
Den Hauptunterschied zum Film machen die Entscheidungen des/-r SpielerIn im
Verlauf der Geschichte aus.
Wenn aber Entscheidungen wie die Luke Skywalkers im ersten Star-Wars-Film für
interaktives Erzählen nicht geeignet sind, da die Entscheidungen zu sehr auf der
Hand liegen („Abenteuer“ erleben oder nicht) – welche Interaktionsmöglichkeiten
bieten sich stattdessen an? Der/die SpielerIn sucht eine vermeintliche Freiheit und
eine Möglichkeit, das Geschehen mitzubestimmen. Davon werden einige näher
betrachtet.
276
The story spectrum. (Grafik). Bildquelle: Rollings, Andrew; Adams, Ernest: Andrew Rollings and
Ernest Adams on Game Design. 2003, 90.
277
Schell, Jesse: The Art of Game Design. A Book of Lenses. 2008, 270.
100
Das WIE
Der/die SpielerIn nimmt meistens keinerlei Einfluss auf das Geschehen, sondern es
geht um das WIE: „The question is never will the prince overcome the dragon but
how will the prince overcome the dragon?“279
Dabei sind die Möglichkeiten oft sehr beschränkt auf die Wahl der Waffen, den
(geografischen) Weg, den der/die SpielerIn wählt, auf die Geschwindigkeit, in der
der/die SpielerIn das Level absolviert, auf die Bestimmung der Abfolge der
Handlungen, die trotzdem allesamt für das Lösen der Aufgabe notwendig sind, und
so weiter. Diese Wahlmöglichkeit funktioniert, um die „Illusion of Choice“ 279 beim/bei
der SpielerIn zu erzeugen, aber es fehlt ihr an emotionaler Tiefe.
Spannender ist in diesem Zusammenhang Barry Atkinsʼ Gedanke, dass die
HeldInnen vieler Geschichten einer Todesgefahr oder Gefahr des Scheiterns ausgesetzt sind:
Action heroes and the heroes of quests do not die (it is a central given of the genres), and yet
the movie-maker or storyteller must constantly place the hero in a position of tension where
death appears to be a possibility. 280
Dies zwingt, den/die SpielerIn des Computerspiels zu ständigen Entscheidungen und
Aktionen, um das Scheitern zu verhindern. Beim Konsum eines Films hingegen
fiebert der/die ZuseherIn mit, ohne ins Geschehen eingreifen zu können.
Dieser Unterschied zum Film führte dazu, dass die Meinung aufkam, dass der/die
SpielerIn der/die AutorIn der Geschichte ist, wie sie sowohl Moorstedt281 als auch
Rollings und Adams282 in Erwägung ziehen. In dieser Hinsicht liegt meine Meinung
näher bei Janet Murrays Ansicht, dass der „Interactor“ nicht zum Autor wird, denn
der/die Spielschaffende gibt trotz allem die Möglichkeiten vor. (Auch wenn manche
278
Atkins, Barry: More than a game. The computer game as fictional form. 2003, 43.
279
Atkins, Barry: More than a game. The computer game as fictional form. 2003, 45.
280
Atkins, Barry: More than a game. The computer game as fictional form. 2003, 44.
281
„Being there: Der Autor ist tot – und wurde als Spieler wieder geboren“ [im Original zur Gänze in
Großbuchstaben; Anm. R.H.] (Moorstedt, Tobias: „Über die schwindenden Grenzen zwischen Spiel
und Film“. In: Zukunft Kino. The End of the Reel World. 2008a, 201.)
282
„At one extreme [...] the game is the story. At the other extreme, itʼs the player who tells the story by
the act of playing. Even Tetris has a story—a story created by the player as she plays.“ (Rollings,
Andrew; Adams, Ernest: Andrew Rollings and Ernest Adams on Game Design. 2003, 10.)
101
Spielefans bewusst versuchen, die Vorgaben zu umgehen, manchmal auch auf sehr
kreative Weise.)283
To what degree are we authors of the work we are experiencing? Some have argued (with
either elation or horror) that an interactor in a digital story [...] is the author of the story. This is
a misleading assertion. There is a distinction between playing a creative role within an
authored environment and having authorship of the environment itself. [...] But interactors can
only act within the possibilities that have been established by the writing and programming.
[...] unless the imaginary world is nothing more than a costume trunk of empty avatars, all of
the interactorʼs possible performances will have been called into being by the originating
author. 284
Das Open World Game
Eine andere Möglichkeit, dem/-r SpielerIn das Gefühl von Freiheit zu geben, ist das
Open World Game. Das Open World Game bietet dem/-r SpielerIn eine Welt, in der
sich diese/r frei bewegen und agieren kann – innerhalb der Grenzen, die ihm/-r der
Spieleentwickler abgesteckt hat. Diese Welt bietet einen Storymodus, der die Geschichte vorantreibt. Der/die SpielerIn kann wählen, ob sie dem Handlungsstrang
folgt oder stattdessen durch die Welt wandert, ohne ein Ziel zu haben oder Nebenmissionen auszuführen. Darüber hinaus kann der/die SpielerIn oft den Ablauf der
jeweiligen Missionen bestimmen, was eine Auswirkung auf die Geschichte haben
kann.
Das Open-World-Prinzip stößt bei den einen auf Begeisterung – an dieser Stelle im
Zusammenhang mit dem Spiel GTA IV:
Neben den kriminellen Missionen, kann man sich bei einem Schneider neu einkleiden lassen,
in einen Striptease-Club gehen, eine Runde Dart spielen oder doch lieber den Sonnenuntergang beobachten. Und gerade die Zeit, die man nicht damit verbringt, eine der Aufgaben des
Spieles zu lösen oder eines der Hindernisse zu überwinden, schaffen jenes virtuelle Freiheits-
283
Etwa durch Mod Art, eine Kunstform, die durch „Patches“ („Nachbesserungen“) und Modifikationen
Spiele verändert, zum Beispiel indem der Spielefan die Kleidung des Avatars selbst gestaltet oder
Modifikationen wie Velvet Strike anwendet. Velvet Strike ist eine Modifikation der KünstlerInnen AnneMarie Schleiner, Joan Leandre und Brody Condon, mit der der/die AnwenderIn Antikriegsgraffiti
innerhalb der Online-Version des 1st-Person-Shooters Counter Strike anbringen kann, was zu großen
Kontroversen unter den SpielerInnen (zur Zeit der Bush-Administration) führte. (Cannon, Rebecca:
„Meltdown“. In: Videogames and Art. 2007. 40ff.)
284
Murray, Janet H.: Hamlet on the Holodeck. The Future of Narrative in Cyberspace. 1997, 152.
102
gefühl, das es einem Spieler erlaubt, nicht nur in ein Spiel, sondern in eine fremde Welt
einzutauchen.285
Abb. 29: GTA IV – Sonnenuntergang.286
Abb. 30: GTA IV – Spielfigur Niko Bellic. 287
Andere betrachten das Bewegen in einer Welt, in der, bis auf „ein paar Nebenmissionen“, wenig passiert, mit Skepsis:
The poor player wastes hours of time exploring a dead space that offers no further
opportunities for interaction. Sure, the game offers zillions of choices in terms of where the
player might go, but none of those choices is functionally significant.288
Das Open World Game bedarf, meiner Meinung nach, einer ausreichenden Anzahl
von Inhalten, mit der diese Welt befüllt wird. Ansonsten tritt tatsächlich der von
Crawford beschriebene Effekt ein.
Auch wenn schlichtweg die Größe der Welt den Handlungsstrang zu sehr blockiert,
zum Beispiel durch lange „Anfahrtszeiten“, um zur nächsten Misssion zu gelangen,
kann Langeweile auftreten.
Die Umsetzung dieser Gratwanderung ist von Spiel zu Spiel unterschiedlich.
285
Moorstedt, Tobias: „Von Schönheit und Krieg. Grand Theft Auto IV“, http://www.sueddeutsche.de/
computer/780/440522/text/ (26. April 2008b)
286
Grand Theft Auto IV (Screenshot). Bildquelle: Rockstar Games. 2008.
287
Grand Theft Auto IV (Screenshot). Bildquelle: Rockstar Games. 2008.
288
Craword, Chris: Chris Crawford on Interactive Storytelling. 2005, 41.
103
Dialoge
Der nächste Punkt, der Einsatz von Dialogen, bietet ebenfalls verschiedene
Interaktionsmöglichkeiten. (Dialoge sind vor allem für Adventure Games und Role
Playing Games von Bedeutung.)
Dialoge finden sich in drei verschiedenen Formen:
a) Die Dialoge sind zur Gänze gescripted und lassen keinerlei Einfluss des/-r
SpielerIn zu, wie etwa in Cut-Scenes.
b) Der/die SpielerIn wählt eine Dialogoption aus mehreren vorgeschlagenen und
ausgeschriebenen Optionen. In Folge spricht der Avatar den Dialogtext oder der
Nichtspielercharakter antwortet direkt, damit der/die SpielerIn nicht den Dialogtext,
den er/sie schon gelesen hat, noch zusätzlich hört.
Abb. 31: Variante b) Dialogoptionen in Fallout 3.289
c) Der mögliche Dialogtext wird nur als „Mood“-Text angezeigt, das heißt eine
Auswahl von einzelnen Worten oder kurzen Texten, die lediglich die GedankenOptionen des Avatars widerspiegeln. Die Antwort wird, nach der Auswahl des/-r
Spielers/-in eines der vorgeschlagenen „Mood“-Texte, vom Avatar gesprochen.
Inhaltlich trifft der gesprochene Text die Auswahl, aber das hörbare Endergebnis
ist dem/-r SpielerIn vorher nicht bekannt.
289
Fallout 3. (Screenshot). Bildquelle: Ubisoft. 2008.
104
Abb. 32: Variante c) Mood Text in Mass Effect. 290
Die Auswahl der jeweiligen Dialogoption kann einen größeren oder kleineren Einfluss
auf das Spiel haben. Bei geringem Einfluss ändert sich nicht viel an der Situation: Die
Gesprächsreihenfolge ist unterschiedlich oder die Antwort des Gegenübers fällt
anders aus – vielleicht auch die Emotion in der Antwort, aber das Ergebnis bleibt das
gleiche. In ausgefeilteren Varianten lässt es der Dialog offen, ob ein Konflikt vom/-n
der SpielerIn diplomatisch oder mit Gewalt gelöst wird, was Auswirkungen auf den
weiteren Spielverlauf haben kann. Der Ruf eilt der Spielfigur voraus und Nichspielercharaktere benehmen sich deshalb anders. Der/die SpielerIn erreicht durch eine
geschickte Dialogführung Gefälligkeiten – und so weiter. Wenn die Dialoge jedoch
bedeutungslos sind (und auch nicht die Handlung vorantreiben), hat das Spiel
dasselbe Problem wie der Film – es verliert im schlimmsten Fall den emotionalen
Draht zum/-r SpielerIn. „Zu viele Worte führen dazu, daß wir einen Film nur noch
intellektuell verstehen. Damit wird das Aufnehmen einer intuitiven und sehr viel
tieferen Ebene unterbrochen [...]“291
Beeinflussung der Erzählstruktur
Crawfords Luke-Skywalker-Beispiel und Atkinsʼ Drachentöterbeispiel zum Trotz, sind
Entscheidungen des/-r SpielerIn, welche die Handlung beeinflussen, möglich –
sowohl anhand des Dialogs als auch anhand der ausgeführten Aktionen. Voraus-
290
Mass Effect. (Screenshot). Bildquelle: Electronic Arts. 2007/2008.
291
Hant, Claus Peter: Das Drehbuch. Praktische Filmdramaturgie. 1999, 257.
105
setzung dafür ist, dass die weiteren angebotenen Entscheidungen eine ansprechende Alternative bieten und nicht einer Handlungsverweigerung gleichkommen (wie
das bei Crawfords Luke-Skywalker-Beispiel der Fall wäre). Doch Kosten und Aufwand sind nicht zu unterschätzen. Schnell kommt es zu einer Multiplikation von verschiedenen Optionen, weshalb ein Blick auf die verschiedenen Erzählstrukturen folgt
– lineare Struktur, nicht-lineare Struktur und Mischformen:
Lineares Erzählen
Lineares Erzählen im Computerspiel ist ähnlich der klassischen, filmischen
Erzählweise, beschrieben von Syd Field:
Weil ein Drehbuch eine in Bildern erzählte Geschichte ist, können wir uns fragen, was alle
Geschichten gemein haben. Sie haben einen Anfang, eine Mitte, ein Ende, aber nicht
unbedingt in dieser Reihenfolge, wie Jean-Luc Godard sagte. Drehbücher besitzen eine
grundlegende lineare Struktur, die die äußere Form des Drehbuchs bildet, da sie die
einzelnen Bestandteile der Story Line verbindet. 292
Wenn das Computerspiel die lineare Erzählstruktur verwendet, sieht es jedoch etwas
anders aus. Der/die SpielerIn übt seine/ihre Aufgaben aus und löst mit dem Erfüllen
der Aufgabe ein inhaltliches Ereignis aus. Zur „Belohnung“ schreitet die Geschichte
voran.
Abb. 33: Linear story. 293
Die Rechtecke markieren das Ereignis, die Pfeile dazwischen sind die Handlungen
des/-r SpielerIn.
„Many people criticize this method as ʻnot really being interactive,ʼ but players sure
do enjoy it. [...] it is a neat little system that works very well, and it strikes a nice
292
Field, Syd: Das Drehbuch. Die Grundlagen des Drehbuchschreibens Schritt für Schritt vom
Konzept zum fertigen Drehbuch. 2007, 37.
293
Linear story. (Grafik). Bildquelle: Ince, Steve: Writing for Video Games. 2006, 49.
106
balance between gameplay and storytelling.“294 Viele Spiele funktionieren nach
diesem Muster, was den Erfolg des linearen Erzählens bestätigt. Nicht für jedes Spiel
ist Linearität die geeignete Erzählform, aber in vielen Fällen findet die gewohnte
Dramaturgie, mit ihren Ansätzen bei Aristoteles, in der Zwischenzeit schon fast
standardmäßig die „Reise des Helden“ (nach Christopher Vogler)295 genannt, ihren
Anklang.
Nichtlineares Erzählen und Mischformen
Wenn man an das interaktive Erzähl- und Spielerlebnis der Zukunft denkt, träumt
man davon, alle Möglichkeiten ergreifen zu können und zwischen einer Unzahl von
Entscheidungen wählen zu können. Dieser Gedanke führt zur Vision einer „branching
storyline“, einer Geschichte mit Baumstruktur, ersichtlich in Abbildung 34:
Abb. 34: Branching story and gameplay.296
294
Schell, Jesse: The Art of Game Design. A Book of Lenses. 2008, 265.
295
Vogler, Christopher: Die Odyssee des Drehbuchschreibers. Über die mythologischen Grundmuster
des amerikanischen Erfolgskinos. 2004.
296
Branching story and gameplay. (Grafik). Bildquelle: Ince, Steve: Writing for Video Games. 2006, 50.
107
Diese Erzählstruktur funktioniert bereits nach der zweiten Entscheidung des/-r
SpielerIn nicht, da die verschiedenen Wege ins Unendliche ausufern. Die Produktion
der verschiedenen Varianten ist schlichtweg nicht möglich, denn die Kosten wären zu
hoch und es würden zu viele Ressourcen in Teilen des Spiels verschwendet, die der/
die SpielerIn nie zu Gesicht bekommt. Dasselbe trifft, wenn auch nicht in diesem
Ausmaß, auf parallel verlaufende Geschichten im selben Spiel zu:
Abb. 35: Parallel story and gameplay. 297
Diese Erzählstruktur bietet außerdem die Möglichkeit, an gewissen Punkten
zwischen den beiden Erzählsträngen zu wechseln.298
Doch bereits bei zwei unterschiedlichen Wegen produziert der Entwickler eine
Unmenge von Material, welches zwar den Wiederspielwert für hartgesottene Fans
erhöht, aber viele SpielerInnen nicht erleben werden.
This problem is one of the key considerations that scare game designers away from forking
paths in a game (multi-path structure). “Why build assets that many players wonʼt see?”
designers rightly ask. And they readily point out that the money you spend on these potentially
unseen assets could have been better used if spent on other areas of the game that all the
players will encounter. 299
Aus diesen Grafiken ergibt sich, dass das Anbieten von Entscheidungen, die zu sich
gabelnden Wegen in der Geschichte führen, eine schwierige Angelegenheit ist.
Deswegen kommt es zu verschiedensten Mischformen in der Erzählstruktur, je nach
den Bedürfnissen von Gameplay und Story.
297
Parallel story and gameplay. (Grafik). Bildquelle: Ince, Steve: Writing for Video Games. 2006, 51.
298
Ein Beispiel: Der/die SpielerIn wählt am Anfang eine Seite, für die er/sie kämpft, schließt sich
jedoch später der anderen Seite an.
299
Freemann, David: Creating Emotion in Games: The Craft and Art of Emotioneering™. 2003, 274.
108
Um den Rahmen dieser Arbeit nicht zu sprengen, halte ich mich an die weniger
ausufernde Zusammenfassung der Erzählstrukturen von Steve Ince. Zu diesen
gehört:
Abb. 36: Linear story, non-linear gameplay.300
Der/die SpielerIn folgt zwar einer vorgegebenen und linearen Geschichte, kann aber
auf verschiedene Art zum Ziel gelangen. (Ein Beispiel: Statt einen Konflikt mit Gewalt
zu lösen, wählt der/die SpielerIn einen diplomatischen Weg. Das Resultat ist das
gleiche – die Lösung des Konflikts.) Das WIE ist der ausschlaggebende Punkt.
Abb. 37: Linear gameplay, player-influenced story. 301
Im Falle der Abbildung 37 folgt der/die SpielerIn einer geregelten Spielstruktur – das
Lösen der Aufgaben geht einen vorgegebenen Weg, während er/sie die Geschichte
durch Wahlmöglichkeiten innerhalb der Ereignisse beeinflussen kann. Zum Beispiel,
indem der/die SpielerIn innerhalb einer Cut-Scene oder eines Dialoges eine
Wahlmöglichkeit hat, die zu einer Variante führt, aber den Verlauf der Geschichte
nicht maßgeblich beeinflusst. Im Spiel Fallout 3 kommt es im Finale zu einer
Entscheidung dieser Art (Spoiler-Warnung!): Damit „das Gute“ siegt, muss sich
300
Linear story, non-linear gameplay. (Grafik). Bildquelle: Ince, Steve: Writing for Video Games. 2006,
50.
301
Linear gameplay, player-influenced story. (Grafik). Bildquelle: Ince, Steve: Writing for Video Games.
2006, 52.
109
jemand opfern und einen radioaktiven Raum betreten, was zum Tod führt. Der
Nichtspielercharakter stellt den/die SpielerIn vor die Wahl, ob er/sie sich opfert. Falls
ja, ist der/die SpielerIn der/die HeldIn. Er/sie ist tot, aber das Spiel ohnehin zu Ende.
Falls nein, opfert sich der Nichtspielercharakter, das Gute siegt trotzdem und das
Spiel ist ebenfalls zu Ende.
Eine weitere Möglichkeit ist eine kontrollierte Baumstruktur, welche die Entwickler
von Open World Games oft verwenden, um die gefühlte Freiheit weiter zu
vergrößern.
Abb. 38: Controlled branching story and gameplay. 302
Auch in der Struktur von Abb. 38 erreicht der/die SpielerIn nie gewisse Punkte, aber
seine/ihre Wahlmöglichkeiten bewegen sich in einem kontrollierten Rahmen und
steuern trotzdem auf einen Höhepunkt zu. Die Baumstruktur ufert nicht aus, weil...
When the mixture of story and gameplay leads to multiple branching points, the potential for
the story to have an increasing number of variations – with the amount of work involved
escalating exponentially – becomes a very scary prospect. 303
302
Controlled branching story and gameplay. (Grafik). Bildquelle: Ince, Steve: Writing for Video
Games. 2006, 52.
303
Ince, Steve: Writing for Video Games. 2006, 20.
110
Alleine die Wahl der Erzählstruktur eines Spiels zeigt: Interaktives Erzählen ist eine
Herausforderung.
Das Drehbuch zur Interaktivität
Ein kurzes Wort zum Drehbuch eines Computerspiels: Bedingt durch die unzähligen
verschiedenen Varianten existiert kein durchgängiges Standardformat. Die Spannweite reicht vom klassischen Drehbuchformat aus der Filmbranche bis zur sehr technisch geschriebenen Büchern, die detailgetreu die verschiedenen Varianten berücksichtigen. An dieser Stelle ein Beispiel für ein technisch angereichertes Skript von
Steve Ince304:
Edwards: $
Hey, Wilks. $
if(wilks_johnny == false) $
//Greeting used every time
//Not spoken to Wilks about Johnny
{
$
if(wilks_shooting == false) $
!
{
$
$
Wilks: $ $
Whatʼs up?
$
$
Edwards: $
I heard that you witnessed the shooting.
$
$
Wilks: $ $
That so?
!
!
Edwards: $
Just tell me what happened!
$
$
Wilks: $ $
Get lost! I didnʼt see nothing!
$
$
//Edwards looks angry – he should have handled it better
!
!
wilks_shooting = true;
$
}
$
else //Subsequent times
!
{
$
$
$
}
$
if(johnny_shooting == true) //Talked to Johnny about shooting
!
{
$
$
Edwards: $
Your friend Johnny saw you with the body.
$
$
Wilks: $ $
That junkie ainʼt fingering me!
304
//Talk about shooting for first time
//Nervous, but puts on brave face
Wilks: I got nothing to say.
Ein ausgiebigeres und sehr technisch geschriebenes Skript, welches bereits auf die verwendete
Game Engine eingeht, findet sich im Appendix von Steve Inces Buch „Writing for Video Games“. (Ince,
Steve: Writing for Video Games. 2006, 153ff.)
111
$
$
Edwards: $
$
$
//Wilks thinks, weighing his options
!
!
Wilks: $ $
Listen, all I saw was a guy in a leather jacket
$
$
$
running away. The woman was already dead.
$
$
//Leather jacket is key info
!
!
Edwards: $
$
$
wilks_johnny = true;
$
}
$
Itʼs not looking good, man.
Thanks.
}
else
{
$
}
Wilks: Get lost, will you?
305
Dieses Beispiel illustriert, dass der/die SpielerIn als Detektiv Edwards keine
Informationen aus Wilks herausbekommt, solange er/sie nicht mit Johnny
gesprochen hat. Die Dialoge sind in diesem Fall vorgegeben und können nicht
ausgewählt werden.
Andere Spiele wiederum haben andere Bedürfnisse an das Skript. Gameplay und
Erzählstruktur bestimmen die Form.
Einschränkungen der Freiheit
Wie an den Einschränkungen der Erzählstrukturen erkennbar ist, läuft interaktives
Erzählen im Computerspiel nicht darauf hinaus, dem/-r SpielerIn die größtmögliche
Freiheit zu gewähren. Stattdessen gibt das Spiel eine Struktur vor, die das Spielerlebnis verdichtet und dadurch erhöht. Es gibt eine beschränkte Anzahl von Wahlmöglichkeiten und verschiedenen Story-Varianten vor. Dadurch hat die Geschichte
auch die Chance, die notwendige Qualität zu erreichen, statt sich zu einem
Konglomerat von unzähligen Geschichten zu entwickeln, die allesamt nur ok oder
unzureichend sind. Bereits eine einzelne, lineare und gut erzählte Geschichte ist eine
große Herausforderung, an der viele AutorInnen scheitern. Wie schwierig ist erst eine
Geschichte, die mehrere Geschichten in sich vereint?
Das Ziel des Spiels ist es, dem/-r SpielerIn das Gefühl von Freiheit zu vermitteln:
305
Ince, Steve: Writing for Video Games. 2006, 77f.
112
We donʼt always have to give the player true freedom—we only have to give the player the
feeling of freedom. For, as weʼve discussed, all thatʼs real is what you feel—if a clever
designer can make a player feel free, when really the player has very few choices, or even no
choice at all, then suddenly we have the best of both worlds—the player has the wonderful
feeling of freedom, and the designer has managed to economically create an experience with
an ideal interest curve and an ideal set of events. 306
Die Freiheit der Interaktivität wird in vielen Fällen bewusst vorgetäuscht.
Aber wie gibt man dem/-r SpielerIn dieses Gefühl, nicht nur eine Spielfigur in der
Geschichte zu sein, die über eine begrenzte Baumstruktur oder eine Parallelstruktur
hinausgeht?
Die emotionale Komponente
Die emotionale Komponente steht bei der Einbindung des/-r SpielerIn sowie des/-r
ZuseherIn im Vordergrund.
Vor der Analyse der emotionalen Komponente im Computerspiel werfe ich einen
Blick auf den Film und zeige, wie dieser mit der Einbindung des/-r ZuseherIn umgeht.
Auch im Film steht das WIE im Vordergrund, wie der kommende Abschnitt zeigen
wird. Wie schafft es der Hauptcharakter, am Ende erfolgreich aus der „Reise des
Helden“ hervorzugehen? Und dieses WIE ist mit Emotionen verbunden. Und darin
liegt die Stärke des filmischen Erzählens.
Die emotionale Komponente im Film
„[...] great storytelling is about one thing only—engaging the reader emotionally.“307
Wenn der Film den/die ZuseherIn emotional mitnimmt, ihn/sie mitfiebern lässt, taucht
er/sie in die Welt des Films ein, er/sie identifiziert sich mit dem Hauptcharakter. Und
die größte Gefahr, den/die ZuseherIn zu verlieren, ist vergessen – die Langeweile.
„Um eine Geschichte zu schreiben, die die Herzen der Zuschauer bewegt, muß der
Autor den Protagonisten durch echte emotionale Erfahrungen gehen lassen.“308
Doch wie erreichen Filmschaffende diesen Erfolg bei den ZuseherInnen? Das
306
Schell, Jesse: The Art of Game Design. A Book of Lenses. 2008, 284.
307
Iglesias, Karl: Writing for Emotional Impact. Advanced Dramatic Techniques to Attract, Engage, and
Fascinate the Reader from Beginning to End. 2005, 10.
308
Hant, Claus Peter: Das Drehbuch. Praktische Filmdramaturgie. 1999, 26.
113
Stichwort liegt in diesem Zitat, streng betrachtet, nicht bei „echt“, sondern bei
„gehen“. Der Hauptcharakter geht den Weg einer persönlichen Veränderung. Dieser
Weg wird auch als Charakterbogen („character arc“) bezeichnet:
A Character Arc is the rocky path of growth a character undergoes, usually unwillingly or with
difficulty, during which the character wrestles with and eventually overcomes some or all of a
serious emotional FLBW [fear, limitation, block or wound = der innere Konflikt; Anm. R.H.]. 309
Der Charakter überwindet seinen inneren Konflikt – Katharsis findet statt.
Um Veränderung hervorzurufen, braucht es gewisse Werkzeuge:
- Ein Hindernis, einen Konflikt der den Hauptcharakter zur Handlung zwingt.
- Der Hauptcharakter braucht ein Ziel und ausreichend Motivation, um diese
Hindernisse in Angriff zu nehmen. Dazu muss etwas auf dem Spiel stehen; die
Figur muss der Gefahr einer negativen Veränderung ausgesetzt sein.
- Um den Konflikt zu überwinden, muss der Charakter außerdem Entscheidungen
treffen. Diese Entscheidungen erzählen dem/-r ZuseherIn über das Innenleben der
Figur. Und je schwerer ihm/-r die Entscheidungen fallen, desto mehr nehmen sie
den/die ZuseherIn mit.
The dilemma is where the character confronts a critical choice between two equally attractive
propositions, or the lesser of two evils. [...] a good conflict isnʼt all black and white, right or
wrong. A conflict with a clear answer isnʼt a a conflict at all. If you had to choose between
killing a pedophile or a kleptomaniac to save your life, the choice would be clear (I hope). This
is not a dilemma. But having to choose between killing an innocent police officer or a
firefighter, thatʼs not such an easy choice. 310
- Bei ihren Entscheidungen wird die Figur nicht nur vom/-n der ZuseherIn betrachtet,
sondern auch von den anderen Figuren des Films. Wie diese auf ihn reagieren, ihn
sehen und charakterisieren, trägt ebenso zur Figur bei. „Jede Figur enthüllt andere
Aspekte seiner inneren Qualitäten.“311
309
Freemann, David: Creating Emotion in Games: The Craft and Art of Emotioneering™. 2003, 120.
310
Iglesias, Karl: Writing for Emotional Impact. Advanced Dramatic Techniques to Attract, Engage, and
Fascinate the Reader from Beginning to End. 2005, 97.
311
Hant, Claus Peter: Das Drehbuch. Praktische Filmdramaturgie. 1999, 44.
114
- Die inneren Qualitäten des Charakters sind bestimmt von seinen Eigenschaften.
Der Hauptcharakter verfügt über mehrere Eigenschaften, eine Mischung aus
positiven und negativen Eigenschaften. Eine Figur, die nur „gut“ oder nur „schlecht“
ist, kann beim Publikum schnell unglaubwürdig wirken. Besonders mit der Überwindung der „schlechten“ Eigenschaften und der Zweifel präsentiert sich der/die
ProtagonistIn beim Publikum als geeignete Identifikationsfigur.
Wenn das Zusammenspiel all dieser Punkte funktioniert, ist es dem/-r ZuseherIn
möglich, in die Welt des Films einzutauchen (Immersion). Er/sie identifiziert sich mit
der Figur, weil die Möglichkeit zur Empathie, zum Mitfühlen, gegeben ist.312 Nach
dem Film geht er/sie mit einer Emotion aus dem Kino, und im optimalen Fall hat er/
sie sich selbst dabei verändert. „The experience of emotions is the most compelling
reason we go to the movies, watch television, play video games, read novels, and
attend play and sporting events.“ 313 Und mit dieser Aussage trifft Iglesias meiner
Meinung nach den Punkt, der zum nächsten Kapitel führt: Warum nicht die
emotionale Komponente im Computerspiel stärker einsetzen?
Die emotionale Komponente im Computerspiel
Doch woran scheitert es? Um Tomb Raider erneut als Beispiel aufzugreifen314 : die
Hauptfigur Lara Croft vermittelt am Ende die gleiche Emotion wie am Anfang –
nämlich keine Emotion:
[...] Lara Croft is simply a female version of Indiana Jones, except that she doesnʼt have anything like the depth of Indy—his vulnerability, weak spots, and so on. If he is two-dimensional,
then she is one-dimensional. 315
312
„Welche Rolle Empathie im Filmerleben spielt, wird gegenwärtig verstärkt untersucht. Im weitesten
Sinne geht es dabei immer um die Reaktion eines Menschen auf Erlebnisse eines anderen. [...]
Gängige Konzepte zur Empathie lassen erkennen, dass ein sehr breites Spektrum von Bestimmungen
existiert, welches von Empathie als ,Fremdverstehenʻ (gegenüber Perspektiven, Motiven fremder
Personen) bis ,Teilhabe an den Emotionen andererʻ reicht.“ (Wuss, Peter: „Konflikt und Emotion im
Filmerleben. Von Lachsalven bei Chaplin zur empirischen Emotionsforschung“. In: Kinogefühle.
Emotionalität und Film. Marburg: Schüren Verlag. 2005, 217)
313
Iglesias, Karl: Writing for Emotional Impact. Advanced Dramatic Techniques to Attract, Engage, and
Fascinate the Reader from Beginning to End. 2005, 10.
314
Siehe Seite 65 bis 66.
315
Rollings, Andrew; Adams, Ernest: Andrew Rollings and Ernest Adams on Game Design. 2003, 131.
115
Warum tragen die Figuren oft keine emotionale Tiefe in sich und leiden an Eindimensionalität?
Stories are about people. [...] This simple truth—that stories [are; eingefügt v. R.H.] about
about [sic!] people, not things—explains the utter failure of games to incorporate storytelling in
any but the most mechanical and forced manner. Games concern themselves with things:
things you acquire, things you use, things you destroy, and so on. Thatʼs why theyʼre so
emotionally crippled—when was the last time you gave a damn about a thing? [...] The cardboard people in games do for drama what inflatable dolls do for sex.316
In der Zwischenzeit sind Spiele erschienen, die einen anderen Ansatz wählen.
(Vereinzelt gab es sie auch zuvor.) Aber nach wie vor bestehen Computerspiele aus
der Jagd nach Gegenständen. Emotional beschränken sich diese Spiele auf den
Genuss von Erfolg und das Ärgern über den Misserfolg: „ʻYippee!ʼ and ʻDamn!ʼ are
about the limit of it—exhilaration and frustration, respectively.“317 Es spricht nichts
gegen „Yippee!“ und „Damn!“ – sie gehören zu jedem Spiel und sind für manche
Spiele vollkommen ausreichend. Wenn ein Spiel jedoch nachhaltig den/die SpielerIn
ansprechen will, benötigt es mehr als das „Yippee“-Erfolgserlebnis.
Aber sowohl in linearen Spielen wie Tomb Raider als auch in nicht-linearen Spielen
fehlt oft diese Qualität. Das Problem liegt nicht in der Erzählstruktur. Lineare
Strukturen erwecken den Anschein, sie könnten wie ein Film funktionieren und
dadurch sei das Problem gelöst. Rollenspiele – unter ihnen sind viele Vertreter nichtlinearer Strukturen – würden durch ihre oft riesige Welt eine Plattform für
emotionalisierende Momente bieten, doch verlieren sie sich oft im Sammeln von
Gegenständen.318, 319
316
Craword, Chris: Chris Crawford on Interactive Storytelling. 2005, 15.
317
Rollings, Andrew; Adams, Ernest: Andrew Rollings and Ernest Adams on Game Design. 2003, 448.
318
Beim Spielen von Fallout 3, ein Rollenspiel mit Setting in einem postapokalyptischen Amerika,
ertappte ich mich selbst dabei, dass ich nur noch Gegenstände sammelte und mich dabei eigentlich
langweilte. Da ich das Gewichtslimit überschritten hatte, aber zu viele „wertvolle“ Gegenstände
erbeutet hatte, reiste ich mehrmals zwischen dem Ort des Geschehens und der Händlerin hin und her.
Das Resultat war, dass ich dadurch bessere Waffen kaufen konnte, die ich später ohnehin anders
erlangt hätte.
319
Vgl.: Rollings, Andrew; Adams, Ernest: Andrew Rollings and Ernest Adams on Game Design. 2003,
448.
116
Aber diese Herangehensweise ist allein kein Grund zur Aufgabe. Rollings und Adams
wie auch Freeman320 erkannten schon 2003, dass sich Spiele nicht auf den Kampf
um Gegenstände und den „Yippee!“-Effekt beschränken müssen:
In terms of the richness of their emotional content, games are now just about where the
movies were when they moved from the nickelodeon to the screen. Theyʼre no longer just a
few minutesʼ amusement; they are now capable of engaging their audience, and that means
an emotional involvement as well as an intellectual one.321
Welche Möglichkeiten bieten sich im Game an, das Spielerlebnis mit emotionalisierenden Elementen zu versehen?
Voraussetzung ist an erster Stelle ein gutes Zusammenspiel von Gameplay und
Story sowie die Erschaffung einer ansprechenden Welt, in der die emotionalen
Erlebnisse stattfinden können.
Wie im Film braucht es dafür Konflikte und Hindernisse. Ich baue das Drachentöterbeispiel von Atkins322 aus: Der Drache (das Hindernis) muss überwunden werden.
Um diese Tat zu motivieren, ist ein Ziel vonnöten – die Rettung der Prinzessin. Als
Belohnung winken Heldentum und „Yippee!“.
Aber diese Geschichte ist selbst für den schlechtesten Film zu wenig. SpielerInnen
und ZuseherInnen wollen mehr, sie wollen einen Konflikt, der von Bedeutung ist. Die
Konflikte könnten doch den/die SpielerIn in ein Dilemma bringen. Und der Vorteil ist:
Der/die SpielerIn erlebt es selbst!
Ein Beispiel: „In most games, you expect to kill bad guys. So, if someone tricks you
into killing the bad guys—imagine the shock of the player. It would be an emotionally
complex moment.“323 David Freeman gibt eine Reihe weiterer Beispiele, die er
„emotional komplexe Momente“ nennt – eine Auswahl: die Figur (=der/die SpielerIn)
wird gezwungen Böses zu tun, die Figur scheitert daran, einer anderen Figur zu
helfen, oder hat keine Möglichkeit außer hilflos zuzusehen (vorausgesetzt es besteht
eine emotionale Bindung zur Nichtspielerfigur), die Figur wird gezwungen, die eigene
320
Allein David Freemans 2003 erschienenes Buch trägt den Titel Creating Emotion in Games: The
Craft and Art of Emotioneering™.
321
Rollings, Andrew; Adams, Ernest: Andrew Rollings and Ernest Adams on Game Design. 2003, 75.
322
Atkins, Barry: More than a game. The computer game as fictional form. 2003, 43.
323
Freemann, David: Creating Emotion in Games: The Craft and Art of Emotioneering™. 2003, 188.
117
Überzeugung über Bord zu werfen, ambivalente Gefühle gegenüber dem Gegner
kommen auf...324
Der/die HeldIn eines Films ist Entscheidungen und Erlebnissen dieser Art
ausgesetzt. Immer mehr Spiele fordern den/die SpielerIn auf diese Weise heraus,
aber das Potenzial nach oben ist offen.
Wenn die Geschichte des Spiels linear erzählt wird und sich das Fortschreiten der
Handlung auf die Cut-Scenes beschränkt, ist der emotionale Konflikt nicht sehr
schwierig anzuwenden.325 Eine Herausforderung ist die Anwendung des emotionalen
Dilemmas in der nichtlinearen, „multi-path“ Geschichte, denn die Entscheidung des/-r
Spielers/-in soll auch von Bedeutung sein. „A good game gives the player meaningful
choices. Not just any choices, but choices that will have a real impact on what
happens next, and how the game turns out.“326 Und wie beim Film sollen diese
Entscheidungen eine emotionale Auswirkung haben.327 Wenn es gelingt und die
Entscheidung den/die SpielerIn emotional herausfordert, verstärkt sich die Identifikation mit der Spielfigur umso mehr.
Ein Beispiel für den meiner Meinung nach gelungenen Einsatz von moralischen
Entscheidungen ist das Spiel Mass Effect. (Spoiler-Warnung: Auf den kommenden
sechs Seiten werden inhaltliche Informationen, die das Spielerlebnis beeinträchtigen
können, preisgegeben. Die LeserInnen, die Mass Effect noch unvoreingenommen
spielen möchten, bitte ich, auf Seite 124 nach dem zweiten Absatz fortzusetzen.)
Mass Effect ist ein Science-Fiction-Rollenspiel, in dem der/die SpielerIn als
Commander Shepard mit seiner/ihrer328 Crew (nach dem Open-World-Prinzip) durch
die Galaxis reist, um Details zu einer vorerst unbekannten Gefahr aus den Weiten
des Alls herauszufinden und um am Ende das Universum zu retten. Orte der
Handlung sind das eigene und fremde Raumschiffe, Planeten und eine riesige
Raumstation. Die Mitglieder der vom Computer gesteuerten Crew treffen erst nach
und nach auf die Spielfigur und schließen sich ihr an, weshalb Commander Shepard
324
Freemann, David: Creating Emotion in Games: The Craft and Art of Emotioneering™. 2003, 173ff.
325
Warum diese Werkzeuge in Spielen so selten verwendet werden, ist mir nicht verständlich.
Andererseits ist es aber auch nicht einfach, erfolgreiche Filme herzustellen; und die Flops erreichen
meist nie das österreichische Kino.
326
Schell, Jesse: The Art of Game Design. A Book of Lenses. 2008, 179.
327
Vgl. das Iglesias-Zitat: „The dilemma is where the character confronts a critical choice between two
equally attractive propositions, or the lesser of two evils [...]“ (2005, 97) auf Seite 114.
328
Commander Shepard kann als Mann oder als Frau gespielt werden.
118
sie vom ersten Treffen an kennen lernt. Von den sechs Crewmitgliedern kann der/die
SpielerIn als Shepard unterstützend zwei von ihnen auf jede Mission mitnehmen,
was er/sie vor der jeweiligen Mission entscheidet. Jedes Crewmitglied hat
unterschiedliche Fähigkeiten, vier davon sind „Aliens“. In den Missionen kämpft er/
sie, verhandelt, löst Rätsel und Mini-Games, holt Informationen ein und löst diverse
weitere Aufgaben. Zwischen den Missionen kann Shepard Nebenmissionen erfüllen,
frei die Welt erforschen und seine/ihre Crewmitglieder im Dialog näher kennen
lernen. Anhand der Dialoge und anhand der Cut-Scenes beginnt der/die SpielerIn
Zu- oder Abneigung zu den Crewmitgliedern zu entwickeln (je nach persönlicher
Vorliebe).
Im Spiel kommt es zu drei moralischen Entscheidungen (Dilemmas):
Erste Entscheidung: In einer Mission des Spiels muss Shepard eine Söldnergruppe,
die für den Gegenspieler kämpft, angreifen. Die Söldner gehören dem Volk der
Kroganer an. Ein Mitstreiter, der Shepard in der Zwischenzeit als Freund betrachtet,
ist ebenfalls Kroganer und gibt seine Bedenken bekannt, nicht gegen sein eigenes
Volk kämpfen zu können. Doch jede/-r KämpferIn wird benötigt. Shepard hat nun vier
Möglichkeiten:
1. Er/sie versucht ihn von der Sinnhaftigkeit der Sache zu überzeugen. Dazu muss
er/sie über die notwendigen „Fertigkeitspunkte“ für diplomatisches Geschick
verfügen. Der Kroganer ist weiterhin Teil des Teams.
2. Er/sie droht dem Kroganer mit Konsequenzen. Dafür muss Shepard ebenfalls
genügend „Fertigkeitspunkte“ haben, in diesem Fall für erfolgreiches, aggressives
Verhalten.329 Der Kroganer ist weiterhin Teil des Teams.
3. Er/sie versucht den Kroganer zu überzeugen, ohne genug „Fertigkeitspunkte“ zu
haben, aber geht nicht auf einen Kampf ein. Der Kroganer fühlt sich von Shepard
in die Ecke gedrängt und zückt überraschend seine Waffe. Shepard wird von einer
aufmerksamen Soldatin aus dem Team gerettet, indem sie den Kroganer in den
Rücken schießt, als der seine Waffen zückt. Der Wehrmutstropfen: Der/die
SpielerIn verliert ein Teammitglied und dessen Unterstützung in den Missionen.
Außerdem verbleibt der bittere Beigeschmack, dass die (menschliche) Soldatin
zuvor schon ihre ansatzweise rassistischen Bemerkungen gegenüber den „Aliens“
an Bord äußerte.
329
Diese „Fertigkeitspunkte" ergeben sich auch daraus, wie sich der/die SpielerIn in Situationen zuvor
verhalten hat – vorbildlich oder aggressiv.
119
4. Er/sie entscheidet, noch bevor der Kroganer seine Waffe zückt, ihn anzugreifen
und als Fahnenflüchtigen zu exekutieren. Der/die SpielerIn verliert ein Teammitglied und kann sich die Zustimmung der (ansatzweise) rassistischen Soldatin anhören.
Abb. 39: Der Kroganer in Mass Effect.330
Unabhängig von dieser Entscheidung fährt die Geschichte fort und Shepard kann
trotzdem, mit einem Teammitglied mehr oder weniger, das Universum retten. Jedoch
hat der/die SpielerIn, Shepard, auf dem Weg dorthin vielleicht auch einen virtuellen
Freund verloren.
Zweite Entscheidung: Im Rahmen eines größeren Kampfes sind alle Teammitglieder
an unterschiedlichen Orten in den Kampf verwickelt. Während Shepard seinem
menschlichen (männlichen) Soldaten zu Hilfe eilt, der unter Beschuss steht, erreicht
ihn/sie ein Funkspruch von der Soldatin, dass sie ebenfalls angegriffen wird (oder
umgekehrt). Der/die SpielerIn muss sich entscheiden, wem er/sie zu Hilfe eilt, denn
es bedeutet zugleich, den Soldaten oder die Soldatin zu opfern. Nach diesem Kampf
hat das Team ein Mitglied weniger an Bord – der/die SpielerIn muss entscheiden, um
wen es sich handelt. Wer verstirbt, kann auf spätere Missionen nicht mehr
mitgenommen werden und wird vom Spiel automatisch aus den folgenden CutScenes herausgeschnitten.
330
Mass Effect. (Screenshot). Bildquelle: Electronic Arts. 2007/2008.
120
Dritte Entscheidung: Bei dieser Entscheidung handelt es sich um ein „Love Interest“.
Unter bestimmten Voraussetzungen kann Shepard eine Liebesbeziehung mit einem
seiner Teammitglieder eingehen.331 Der Konflikt besteht darin, dass Shepard sein
Glück bei zwei verschiedenen Teammitgliedern versuchen kann und sich früher oder
später entscheiden muss.
Die Voraussetzungen dafür sind:
- Shepard hat nicht die Soldatin in Entscheidung Nummer 2 geopfert.
- Shepard sucht zwischen den Missionen den Dialog mit beiden Damen. Spricht er
nur mit einer, kann er nur die Aufmerksamkeit dieser Figur gewinnen.
- Shepard beleidigt die Damen nicht und zeigt Interesse für ihr Befinden und ihre
Hintergrundgeschichten.
Die beiden Damen sind die (menschliche) Soldatin und eine Wissenschafterin vom
Volk der Asari (ein „Alien“). Ihre Eigenschaften, die Sympathien auslösen oder
beeinträchtigen können, sind:
- Die Soldatin Ashley Williams: Ashley ist eine zähe und zuverlässige Kämpferin, die
das schlechte Gewissen plagt (weil sie nichts dagegen tun konnte, als sie alle
Männer und Frauen ihrer vorherigen Einheit verlor). Für Shepard hegt sie leise
Bewunderung für seine Eigenschaften als Commander und schätzt ihn für sein
Verständnis ihren Sorgen gegenüber. Trotzdem widerspricht sie häufig und stellt
Entscheidungen des Commanders in Frage. Probleme löst sie am liebsten mit
Waffengewalt. Unsympathisch macht sie außerdem ihre Einstellung und ihre
Vorbehalte gegenüber den Aliens an Bord. (In Computerspielforen wurde heftig
darüber diskutiert, ob man sie als rassistisch bezeichnen kann.)
- Die Wissenschafterin Liara TʼSoni vom Volk der Asari: Liara ist die sanftere und
wissbegierigere der beiden Damen und bevorzugt friedliche Lösungen (außer
gegenüber Ashley). Sie interessiert sich für Shepard, vordergründig aus wissenschaftlichem Interesse für das Volk der Menschen, und schätzt seine diplomatischen Entscheidungen. Dummerweise kämpft ihre Mutter für die gegnerische
Seite (die Zerstörung des Universums), was sie nicht verstehen kann und in einen
inneren Konflikt stürzt. Sie versucht die Handlungen ihrer Mutter aufzuklären und
sich gegenüber Shepard von diesen zu distanzieren. (Besonders Ashley hegt
331
Ich gehe dabei, um die Aufzählung der verschiedenen Varianten nicht zu verkomplizieren, davon
aus, dass der/die SpielerIn einen männlichen Avatar spielt. Dasselbe Szenario ist auch mit einem
weiblichen Avatar möglich, führt aber zu unterschiedlichen Teammitgliedern in der Rolle als „Love
Interest“.
121
Zweifel an ihrer Integrität gegenüber dem Team.) Ihre schlechteste Eigenschaft ist
die Eifersucht.
Abb. 40: Die Soldatin Ashley in Mass Effect. 332
Abb. 41: Die Wissenschafterin Liara TʼSoni in Mass Effect.333
Im Lauf der Geschichte spricht die Wissenschafterin (die Asari) Shepard darauf an,
dass sie Gefühle seitens der Soldatin für Shepard bemerkt hat, und fragt ihn „rein
aus Interesse“, wie Shepard zur Soldatin steht. Der/die SpielerIn hat drei Antwortmöglichkeiten mit Folgen:
332
Mass Effect. (Screenshot). Bildquelle: Electronic Arts. 2007/2008.
333
Mass Effect. (Screenshot). Bildquelle: Electronic Arts. 2007/2008.
122
1. Eine abwertende Aussage über die Soldatin. Die Soldatin wird dies erfahren, ist
beleidigt und wird von nun an kein Interesse mehr an Shepard haben.
2. Die Soldatin ist nur eine gute Freundin. Auch dies wird die Soldatin erfahren, sich
in ihren Gefühlen gekränkt fühlen und ebenso kein Interesse mehr an Shepard
haben. Beide Varianten lassen sich nicht rückgängig machen. In beiden Varianten
hat Shepard jedoch die Möglichkeit, eine Liebesbeziehung mit der Asari einzugehen.
3. Shepard bestätigt Gefühle für die Soldatin. Die Asari bedauert es, akzeptiert es,
wird aber, zur Überraschung des/-r Spielers/-in, hartnäckig bleiben, was die
Entscheidung Shepards nur vertagt. Einige Missionen später erscheinen die
beiden Damen vor Commander Shepard wegen einer Streitigkeit und zwingen ihn
zu einer Entscheidung, zu wem er nun steht. Die eine Dame zieht sich beleidigt
zurück. Mit der anderen bleibt die Möglichkeit weiterhin bestehen, eine Liebesbeziehung einzugehen. Variante 3 ist die einzige Möglichkeit, die Soldatin für sich
zu gewinnen (außer Shepard beleidigt zuvor schon grob die Wissenschafterin oder
spricht generell nicht mit ihr).
Wie geht die „Liebesbeziehung“ aus? Kurz vor der entscheidenden Mission ergreift
die jeweilige Dame die Initiative und besucht Shepard in seinem Zimmer. Falls
Shepard nicht ablehnt, haben die beiden Sex. Danach wird angedeutet, dass die
Beziehung vermutlich auch nach der Rettung des Universums fortbestehen wird. (Es
handelt sich nicht um eine Bedienung von männlichen Sexfantasien. Alleine um zur
„Sexszene“ zu gelangen, sind Respekt und ein großes Ausmaß an Interesse
gegenüber der Nichtspielerfigur notwendig.) Obwohl diese Szene harmloser als jeder
Film dargestellt ist (die Charaktere fallen in ihrer Kleidung aufs Bett – Schnitt), sorgte
diese Szene unverständlicherweise für große Aufregung.334
Unabhängig von der jeweiligen Dame, sind die Einstellungen und der Dialog gleich.
Die Game Engine tauscht lediglich die Figuren und die dazugehörigen Stimmen aus.
Emotional funktioniert dieses Konzept, was sich zeigt, wenn man die Reaktionen in
Spielerforen liest: Dort finden sich unzählige Stimmen und Diskussionen, warum man
sich für diese Figur als „Love Interest“ entschied und nicht die andere. Auch in der
anderen Variante, wenn der/die SpielerIn eine weibliche Commander Shepard spielt.
334
Siehe: Schiesel, Seth: „Author Faults a Game, and Gamers Flame Back“, http://www.nytimes.com/
2008/01/26/arts/television/26mass.html?_r=4&ref=arts (26. Jän. 2008)
123
Große Veränderungen des Handlungsstranges sind bei allen drei moralischen
Entscheidungen nicht notwendig. Der/die SpielerIn wird, unabhängig von diesen
Entscheidungen, das Universum retten – aber er hat das WIE beeinflusst, und das
WIE von Mass Effect kann emotionalisieren.
Der Nachteil von Mass Effect liegt darin, dass es in ca. 40 Stunden Spielzeit nur zu
drei Entscheidungen dieser Art kommt. Der/die SpielerIn muss sich zwar noch
anderen moralischen Entscheidungen stellen, diese beschränken sich jedoch meist
darauf, ob er/sie bezwungene Gegner tötet oder verschont oder inwieweit er/sie
Gewalt oder Diplomatie einsetzt.
Anhand des Beispiels Mass Effect ist außerdem ersichtlich, dass zum emotionalen
Erlebnis im Computerspiel die Nichtspielercharaktere gehören. Einerseits können sie
den/die SpielerIn emotional beeinflussen anhand ihres Verhaltens der Hauptfigur
gegenüber.
An example: NPCs [Non-Player-Characters; Anm. R.H.] in one part of the game have heard
about your exploits in another part of the game and act toward you in a friendly or hostile way,
based on your reputation. Or, they may simply remark upon it. 335
Auch in Mass Effect eilt Shepard sein/ihr Ruf voraus. Er/sie gilt entweder als
„Renegade“ oder „Paragon“. Zum Renegade wird, wer den Nichtspielercharakteren
droht, ihnen unnötigerweise Gewalt antut oder sie standrechtlich erschießt, zum
Paragon, wer den diplomatischen Weg wählt, den Gegnern eine Chance zur
Rehabilitation gibt und auf das Urteil der Justiz vertraut. Als Resultat auf diese
Aktionen des/-r SpielerIn reagieren die Nichtspielercharaktere entsprechend. (Außerdem können die Fertigkeitspunkte für „Bedrohen“ oder „Diplomatie“ nur gesteigert
werden, wenn sie der/die SpielerIn auch in der Praxis anwendet.)
Andererseits kann der/die SpielerIn beeinflusst werden durch die Gefühle, die er/sie
für einen Nichtspielercharakter hegt.
335
Freemann, David: Creating Emotion in Games: The Craft and Art of Emotioneering™. 2003, 348.
124
Characters can be a great way to manipulate the choices the player is trying to make, or how
they feel about those choices. But first you have to make the player care about how those
imaginary characters feel. 336
Dabei ist von Bedeutung, dass der Nichtspielercharakter so gebaut ist, dass er mit
seinen Eigenschaften und Geheimnissen, seinen Stärken und Schwächen, seinen
Handlungen und Dialogen Interesse und Empathie beim/bei der SpielerIn erwecken
kann. David Freeman gibt einige Beispiele dafür, wie „Chemie“ zwischen Nichtspielercharakter und SpielerIn entsteht:
◆ The NPC admires you
◆ The NPC reads your mind
◆ The NPC has things in common with you
◆ The NPC anticipates your needs and desires
◆ The NPC makes you grow to become a better person337
Wie die Figur im Film, kann die Spielfigur den Weg einer persönlichen Veränderung
gehen. Selbst in nichtlinearen Geschichten wie Mass Effect ist ein Charakterbogen
vorhanden: Shepard wächst mit seinen Aufgaben. Er/sie beginnt als einzelgängerischer Soldat mit dunkler Vergangenheit, an die er/sie sich, bedingt durch ein
Trauma, nicht erinnern kann. Langsam aber stetig gewinnt er/sie ein Team und
Freunde, findet vielleicht die Liebe und wächst über sich hinaus, als er/sie den
Endgegner beinahe überzeugen kann, aufzugeben.
Freeman wendet ein, dass die Identifikation des/-r SpielerIn nicht so einfach erfolgt
wie die Identifikation des/-r Filmzusehers/-in. Seine Argumentation läuft darauf
hinaus, dass der/die SpielerIn selbst der Hauptcharakter ist.338
Es ist zwar, aufgrund nichtlinearer Strukturen, beim Spiel schwieriger, emotionale
Abfolgen zu erzeugen, Freemans Argument trifft jedoch nicht ganz zu. Der/die
ZuseherIn eines Kinofilms projiziert sich ebenso in die Figur hinein und ist sie nicht
336
Schell, Jesse: The Art of Game Design. A Book of Lenses. 2008, 292.
337
Freemann, David: Creating Emotion in Games: The Craft and Art of Emotioneering™. 2003, 149.
338
„You canʼt just suggest an emotion and assume the player will feel it. [...] You might tell the player
that he is playing a jet pilot with a shameful past. But more likely than not, the player will feel neither
like a jet pilot nor ashamed. Instead, the player is likely to feel just like himself.“ (Freeman, David:
Creating Emotion in Games: The Craft and Art of Emotioneering™. 2003, 10.)
125
selbst. Jesse Schell widerlegt dieses Argument auf ähnliche Weise: „[...] people donʼt
play games to be themselves—they play games to be the people they wish they
could be.“339 Der/die SpielerIn lebt und leidet mit, ob im Spiel oder im Kino,
vorausgesetzt der Hauptcharakter bietet die Möglichkeit zur Empathie. Schell sieht in
diesem Zusammenhang sogar einen Vorteil darin, dass der/die SpielerIn sich in die
Spielfigur hineinprojiziert und sie gleichzeitig mit den eigenen Entscheidungen
ausfüllt:
As game designers, we will make use of empathy in the same ways that novelists, graphic
artists, and filmmakers do, but we also have our own set of new empathic interactions. Games
are about problem solving, and empathic projection is a useful method of problem solving. If I
can imagine myself in the place of another, I can make better decisions about what that
person can do to solve a particular problem. Also, in games, you donʼt just project your
feelings into a character, you project your entire decision-making capacity into that character,
and can become them in a way that isnʼt possible in non-interactive media. 340
Die genannten Emotionalisierungswerkzeuge helfen dem/-r SpielerIn dabei, an der
interaktiven Geschichte emotional teilzunehmen, sich damit zu identifizieren und in
die Welt der Geschichte einzutauchen. Im optimalen Fall verändert er/sie sich dabei
selbst, nicht anders als beim Film.
Das im März 2010 erschienene Computerspiel Heavy Rain unternimmt einen sehr
ambitionierten Versuch, die emotionale Komponente ins Game zu übertragen, wie
Guido Alt, Manager von SCED (Sony Computer Entertainment Deutschland),
versichert:
Die Emotionen, die durch die Storyline und das Setting hervorgerufen werden, sind typisch für
ein Drama oder einen Thriller: Empathie, Liebe, Hass und Trauer. Die Spannweite der Gefühle
ist also viel größer als bei einem Spiel, wo eher Frustration, Adrenalin und Wettbewerb
erkennbar sind. Ähnlich der Erzählweise in einem Film zieht sich ein roter Faden durch die
gesamte Story. Das Psychogram der Charaktere ist vielschichtiger und komplexer. Es ist geht
339
Schell, Jesse: The Art of Game Design. A Book of Lenses. 2008, 314.
340
Schell, Jesse: The Art of Game Design. A Book of Lenses. 2008, 124.
126
[sic!] hier nicht allein um „schwarz“ oder „weiß“ bzw. „gut“ oder „böse“. Durch diese
Tiefgründigkeit ist der Spieler viel stärker im Spielgeschehen. 341
Die Ausführungen dieses Kapitels zeigen, dass auf inhaltlich-emotionaler Ebene der
Unterschied zwischen Film und Spiel nicht so groß ist. Es mag eingeworfen werden,
dass noch viele Unterschiede in den Emotionalisierungstechniken bestehen, zum
Beispiel steht der Aspekt der Belohnung beim Spiel stärker im Vordergrund und die
nicht-lineare Struktur benötigt eine andere Herangehensweise.
Das Konzept der Emotionalisierung jedoch ist das gleiche. Meiner Meinung nach ist
dies zudem die größte gemeinsame Stärke von Computerspiel und Film.
Bevor ich zu den Schlussfolgerungen gelange, analysiert das folgende Kapitel, für
wen dies überhaupt von Bedeutung ist. Im Anschluss daran überprüfen zwei weitere
Fallbeispiele die bisher getätigten Aussagen.
Das Zielpublikum
Aber warum? Warum diese Anstrengungen unternehmen? Computerspiele haben
bislang nach dem Prinzip „Yippee“ & „Damn“ bestens funktioniert und werden sich
mit diesem Grundprinzip weiterhin gut verkaufen...
Tatsächlich spricht nicht jeden die Geschichte in einem Computerspiel an. Die einen
suchen das „Yippee“, während andere die Alltagssimulation (Die Sims) oder soziale
Aspekte suchen, zum Beispiel in Facebook-Spielen. Interaktives Erzählen ist kein
Wundermittel, wie auch nicht jede/r MedienkonsumentIn durch Internet und
Computerspiel automatisch zum/-r reinen Lean-Forward-KonsumentIn mutiert.
Manche genießen Lean-Back und wollen dabei bleiben. Manche genießen „Yippee“
und wollen dabei bleiben – ohne von einer Geschichte gestört zu werden.
Aber Geschichten in Computerspielen eignen sich dazu, neue Zielgruppen zu
erschließen.
Die Computerspielindustrie (und die öffentliche Meinung) war lange geprägt von
einem Missverständnis: „Video Games Are for Boys (and Nerdy Men)“.342
Wie sich dies entwickeln konnte, führt folgende Theorie aus, die auf den Beginn von
Computerspielen zurückgreift, als leistbare Computer aufkamen:
341
Steininger, Stephan: „Von neuen und treuen Zielgruppen“, GamesMarkt Nr. 03 (10. Feb. 2010c), 9.
342
Adams, Ernest: Break into the Game Industry. How to get a job making video games. 2003, 41.
127
The introduction of affordable computers gave us a type of game that:
• Had all social aspects removed
• Had most verbal and emotional aspects removed
• Was largely divorced from the real world
• Was generally hard to learn
• And offered the possibility for unlimited virtual destruction
It is hardly surprising that early computer and videogames were primarily popular with a male
audience. 343
Die Computerspielindustrie ist nach wie vor von Männern dominiert, die Spiele von
Männern für Männer herstellen. Erst langsam steigt der Frauenanteil in der Branche.
The majority of game developers are still male, and they tend to make games that they
themselves would like. The industry is still trying to figure out how to make games more
appealing to women and girls, because while a great many women play games, a rather
smaller number is prepared to buy them, and thatʼs what we really need. 344
In Wahrheit sind über 40% der SpielerInnen Frauen. 345, 346
Auch der Altersdurchschnitt steigt: „The average age of the game player is around 30
and rising slowly all the time.“347
Insofern ist es verwunderlich, dass Spiele wie Die Sims und Tetris die Ausnahmeerscheinungen sind, die ein breiteres Publikum, inklusive Frauen, ansprechen. Die
Erfolge geben ihnen Recht: „Über 100 Millionen Mal hat sich laut EA die Sims-Reihe
bisher verkauft. Damit ist die Alltag-Simulation die meistverkaufte ComputerspieleSerie aller Zeiten.“348
343
Schell, Jesse: The Art of Game Design. A Book of Lenses. 2008, 106.
344
Adams, Ernest: Break into the Game Industry. How to get a job making video games. 2003, 41.
345
Igler, Nadja: „Mehr Herz und Hirn für Videospiele“, http://futurezone.orf.at/stories/1624676/ (21.
Aug. 2009c) – siehe Zitat: Fußnote Nr. 13, Seite 9.
346
Ince, Steve: Writing for Video Games. 2006, 55.
347
Ince, Steve: Writing for Video Games. 2006, 55.
348
„Wussten Sie...?“, PC Games Magazin Nr. 07/09, 149.
128
Der Erfinder von Tetris, der Russe Alexey Pajitnov, beschreibt den Erfolg von Tetris,
insbesondere den Erfolg beim weiblichen Publikum, so:
Diese Grundhaltung des Erschaffens statt des Zerstörens ist mir heute noch sehr wichtig. Es
ging damit auch schon auf weibliche Zielgruppen ein. Frauen mögen nun mal keine Shooter,
und das war sicher auch ein Erfolgsgrund. Bei Tetris konstruiert man und bringt Ordnung in
das Chaos. Das gibt einem über lange Zeit hinweg ein gutes Gefühl. 349
Frauen und Männer unterscheiden sich in ihrem Spielverhalten: Während Männer in
Spielen tendenziell Macht, Wettbewerb, Zerstörung, räumliche Puzzles und die
„Versuchs-und-Irrtums-Methode“ suchen, bevorzugen Frauen Elemente, die an die
„echte Welt“ erinnern, unterstützende Tätigkeiten, Dialog und Rätsel auf der sprachlichen Ebene, Lernen durch Ausprobieren und Emotionen.350 Und mit dem letzten
Punkt, den Emotionen, gelangt dieser Blick aufs Publikum zurück zum Geschichtenerzählen.
Aber nicht nur Frauen wollen andere Aspekte in Spielen. Der Markt spaltet sich auf in
Produkte für Hardcore Gamer und Casual Gamer.
Wie unterscheiden sich diese beiden Gruppen? – Der/die Hardcore-SpielerIn:
The essence of Hardcore players can be summarized as follows:
• Buy and play a lot of games
• Game literate (that is, familiar with the conventions of current games)
• Play games as a lifestyle preference or priority
• Turned on by challenge
• Can be polarized—that is, a large proportion can be made to buy the same title
Der Gelegenheitsspieler:
On the other hand, Casual players can be summarized as follows:
• Play few games—but might play them a lot
• Little knowledge about game conventions
• Play to relax, or to kill time (much as most people view TV or movies)
349
Hammes, Frederik: „Der Herr der Blöcke. ,Tetrisʻ-Erfinder und LARA-Of-Honour-Preisträger Alexey
Pajitnov im Gespräch“, GamesMarkt Nr. 14 (23. Juli 2009a), 11.
350
Schell, Jesse: The Art of Game Design. A Book of Lenses. 2008, 103ff.
129
• Looking for fun or an experience Inherently [sic!] disparate—cannot easily be polarized 351
Dazwischen gibt es noch diverse Mischformen und Untergruppen wie „Testosterone
Gamer“, „Lifestyle Gamer“ und „Family Gamer“.352
Eine Grafik zum Modell der Einteilung in Spielergruppen:
Abb. 42: Audience Model.353
Um ein Beispiel herauszugreifen, der „Lifestyle Gamer“ ist eine Untergruppe des
Casual-Gamer-Segments, macht einen großen Teil des Marktes aus und interessiert
sich für Geschichten in Games:
351
Bateman, Chris; Boon, Richard: „21st Century Game Design: Designing for the Market“, http://
www.gamasutra.com/features/20051110/bateman_01.shtml (10. Nov. 2005)
352
Bateman, Chris; Boon, Richard: „21st Century Game Design: Designing for the Market“, http://
www.gamasutra.com/features/20051110/bateman_01.shtml (10. Nov. 2005)
353
The audience model used by International Hobo from 2000-2003. (Grafik). Bildquelle: Bateman,
Chris; Boon, Richard: „21st Century Game Design: Designing for the Market“, http://www.gamasutra.
com/features/20051110/bateman_01.shtml (10. Nov. 2005)
130
Lifestyle gamers want fun, enjoyable activities in their game, and they donʼt in general want to
be prevented from progressing through the games they play. Easy to grasp control
mechanisms are essential. They are also interested in good stories, a trait not dominant in the
previous two clusters. Like the Cool gamer cluster, Lifestyle gamers need a game that feels
socially acceptable to play—they will (as a generalization) not play anything that could
embarrass them in the eyes of their peer group. 354
Das Bedürfnis nach Geschichten und Emotionen in Spielen ist vorhanden. Insofern
ist es verwunderlich, warum die Triple-A-Produkte (von Ausnahmen wie The Sims
abgesehen) hauptsächlich den Hardcore-Gamer-Markt und dessen Überschneidung
in das Testosterone-Gamer-Segment bedienen. Es gibt zwar viele Spiele für den
Casual-Gamer-Markt, aber die großen, aufwendigen und technisch innovativen
Produkte zielen fast ausschließlich auf den männlichen Spieler ab. Meist geht es
dabei um Kampf in irgendeiner Form: Schießen, Nahkampf, Simulationen und Strategiespiele im Zusammenhang mit kriegerischen Handlungen, sportliche Wettkämpfe
und Rennspiele und so weiter.
Rollings und Adams beschreiben dieses Thema ähnlich; zufällig findet sich bei ihnen
auch der Drache, der besiegt werden will, aber dafür einen Grund braucht:
Not all players are this eager to dive headfirst into the action, however. Casual gamers, who
play for the enjoyment of being in the gameʼs fantasy world, need to have the stage set for
them. They need to feel part of something larger, a story that will excite their imaginations.
Casual gamers also need rewards for overcoming the gameʼs challenges. For them, itʼs not
sufficient to know that theyʼve defeated a dragon; there must be a reason to do it and a
positive consequence for having done it. Both the reason and the consequence are given to
them through narrative, expository material that tells them, “The dragon is eating all our herds
and soon the peasants will starve” and “The King is greatly pleased with you.”
[...] Those who care nothing for narrative will ignore it, but those who need narrative to
motivate them will be rewarded. 355
Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass ein Spiel, welches einen breiteren Markt
zu bedienen versucht, dem Hardcore Gamer (oder dem Casual Gamer, der sich nicht
für die Geschichte interessiert) erlaubt, die Geschichte zu übergehen. Selbst der/die
354
Bateman, Chris; Boon, Richard: „21st Century Game Design: Designing for the Market“, http://
www.gamasutra.com/features/20051110/bateman_01.shtml (10. Nov. 2005)
355
Rollings, Andrew; Adams, Ernest: Andrew Rollings and Ernest Adams on Game Design. 2003,
113f.
131
geschichtenaffine SpielerIn will eine Cut-Scene überspringen können, wenn diese
langweilig oder schlecht umgesetzt ist. (Eine Ausnahme davon sind Spiele, welche
die Struktur „SpielerIn handelt ➝ Ereignis ➝ SpielerIn handelt ➝ Ereignis“
aufbrechen; Spiele, bei denen der/die SpielerIn ständig mit den Ereignissen
interagiert, z.B. Heavy Rain. Diese Spiele bedienen jedoch nicht primär das
Hardcore-Segment.)
Der Schlusspunkt dieses Kapitels lautet: Warum interaktiv Geschichten erzählen? –
Weil es ein Zielpublikum dafür gibt und weil dieses mehr will.
Ein Gespräch David Freemans mit einem Freund untermauert diese Aussage:
I asked Jason, a close friend of mine, if he ever played games.
“No,” he said. “If Iʼm going to invest my time in entertainment, I want it to have meaning.
Thereʼs no meaning to games.”
Upon further questioning, I learned what he meant was that he wanted entertainment
experiences that also contributed to or enriched his life in some way; experiences that werenʼt
just fun diversions.
My friend speaks for a vast group. There are many more people who watch film and television
than play games. Many of these will never be lured into playing games until games begin to
offer the emotional range and depth of the entertainment theyʼre used to enjoying.356
Interaktives Erzählen ist nicht nur ein Spleen von Filmschaffenden und LiebhaberInnen von Geschichten. Aber wie sieht es in der Praxis aus und wo stecken die
Potenziale? Dies wird in den folgenden zwei Fallbeispielen analysiert.
356
Freemann, David: Creating Emotion in Games: The Craft and Art of Emotioneering™. 2003, 14.
132
SPIELEANALYSE
Bei den behandelten Fallbeispielen handelt es sich um zwei für die Playstation 3
exklusiv hergestellte Spiele. Was die beiden außerdem gemeinsam haben, sind ihre
Aktualität und ihr Erfolg beim Publikum. Was die beiden unterscheidet, ist ihre
jeweilige Erzählform.
Uncharted 2: Among Thieves, ein Action-Adventure mit linearer Erzählform, erschien
im Oktober 2009 und ist der Nachfolger des 2007 erschienenen ersten Teils
Uncharted: Drakes Schicksal.
Heavy Rain, erschienen im Februar 2010 als ausgereifterer Nachfolger des Spiels
Fahrenheit aus dem Jahr 2005, wurde sowohl als „interaktiver Film“ 357 als auch als
„interaktives Drama“358 bezeichnet, bei dem die Aktivitäten und die Entscheidungen
des/-r SpielerIn Auswirkungen auf die Erzählung haben.
Beide Spiele verfügen über zukunftsweisenden Ansätze in ihrer Machart und ihrem
Umgang mit Interaktivität, wenn auch auf unterschiedliche Art und Weise.
(Spoiler-Warnung: In den kommenden 2 Kapiteln (Fallbeispiel 1 & 2), Seite 133 bis
152, werden inhaltliche Informationen, die das Spielerlebnis beeinträchtigen können,
preisgegeben. LeserInnen, die Uncharted 2 und Heavy Rain noch unvoreingenommen spielen möchten, bitte ich, auf Seite 153 fortzusetzen.)
Fallbeispiel 1: „Uncharted 2: Among Thieves“
Uncharted 2 ist beispielhaft für die Verwendung filmischer Elemente und dafür, wie
ein Spiel mit linearer Erzählform und ohne Möglichkeiten, die Geschichte selbst zu
beeinflussen, den/die SpielerIn fesseln kann.
357
Siehe z.B. Guido Alt im Interview: „Es viel [sic!] mehr ein interaktiver Film als ein reines
Spiel.“ (Steininger, Stephan: „Von neuen und treuen Zielgruppen“, GamesMarkt Nr. 03 (10. Feb.
2010c), 9.) bzw. Seite 98 bis 99 dieser Arbeit.
358
Siehe z.B.: „,Interaktives Dramaʻ nennt Quantic-Dream-Chef David Cage sein Projekt.“ (Moorstedt,
Tobias: „Über die schwindenden Grenzen zwischen Spiel und Film“. In: Zukunft Kino. The End of the
Reel World. 2008a, 189.) Oder: „[...] laut Cage kein Videospiel im herkömmlichen Sinne, wobei er eine
passende Bezeichnung dafür noch nicht gefunden habe. Intern werde das spielerinteraktives Drama
bezeichnet.“ (Igler, Nadja: „Mehr Herz und Hirn für Videospiele“, http://futurezone.orf.at/stories/1624
676/ (21. Aug. 2009c))
133
Abb. 43: Spielfigur Nathan Drake.
359
Der/die SpielerIn erlebt die Geschichte durch die Figur Nathan Drake, einen
Abenteurer und Schatzsucher im Stile von Indiana Jones. Nathan Drake erwacht zu
Beginn des Spiels aus der Bewusstlosigkeit und muss sich kletternd aus dem von
einer Klippe hängenden Zugwaggon retten. Schließlich sinkt er im Schnee
zusammen und die Geschichte beginnt in Form einer langen Rückblende: Nathan
Drake trifft auf zwei alte Bekannte, die Abenteurer Flynn und Chloe, die ihn für den
gemeinsamen Einbruch in ein Museum anheuern. (Chloe lässt im Zuge dessen ein
früheres Verhältnis zu Drake wiederaufleben, während sie auch mit Flynn zusammen
ist.) Anhand des gestohlenen Artefakts erfahren sie, dass Marco Polo den
berüchtigten Chintamani-Stein, der geheime Kräfte in sich birgt, in der versunkenen
Stadt Shambhala gefunden haben soll. Auf der Flucht aus dem Museum verrät Flynn
die Spielfigur Drake, welcher von der Polizei gefasst wird. Chloe, in Zusammenarbeit
mit Drakes altem Mentor, holt ihn schließlich aus dem Gefängnis und sie verfolgen
Flynn auf dessen Suche nach der versunkenen Stadt Shambhala. Es stellt sich
heraus, dass Flynn im Auftrag des Kriegsverbrechers Lazarevic handelt, der sich mit
dem Finden der Stadt Shambhala und dem dortigen „Lebensbaum“ unbesiegbar
machen und die „Weltherrschaft“ an sich reißen könnte. Dies gilt es für Drake zu
verhindern. Im Laufe der Geschichte stößt Drake auf seine große und unglücklich
verlaufene Liebe aus Teil 1, die Journalistin Elena, was das Leben Drakes,
insbesonders sein Verhältnis zu Chloe betreffend, entsprechend verkompliziert. Nach
359
Uncharted 2. (Screenshot). Bildquelle: Sony. 2009.
134
unzähligen Plot Twists gelingt es Drake und seinen zwei Gefährtinnen, Flynn und
Lazarevic in letzter Sekunde aufzuhalten. Shambhala stürzt in sich zusammen,
Chloe, Elena und Drake springen im letzten Moment über die einstürzende Brücke
und Drake blickt mit seiner wiedergewonnenen Liebe (Elena) schließlich in den
Sonnenaufgang.
Abb. 44: Nathan Drake mit Elena.360
Abb. 45: Nathan Drake mit Chloe.361
Die Interaktionen des/-r SpielerIn bestehen darin, den richtigen Weg zu finden,
Rätsel zu lösen, zu klettern, zu springen, den Gefahren zu entkommen und die Gegner mit Gewalt aus dem Weg zu räumen.
Weder die Geschichte noch die Aktivitäten des/-r SpielerIn sind sonderlich innovativ
– das Außergewöhnliche an Uncharted 2 ist die Umsetzung.
Dem klassischen Muster der Geschichte zum Trotz funktioniert das Drehbuch. Es ist
gespickt mit Plot Twists, die Dialoge unterhalten auf humorvolle Weise und treiben
gleichzeitig die Geschichte voran. Das Drehbuch erinnert an den Film Auf der Jagd
nach dem grünen Diamanten – keine intellektuelle Herausforderung, aber die
Geschichte unterhält auf hervorragende Weise. Der/die SpielerIn hat am Ende das
Gefühl, wieder einmal die Welt gerettet und die wahre Liebe gefunden zu haben.
Dass die Dialoge so überzeugend wirken, liegt, wie bereits weiter oben erwähnt362 ,
auch an der neuen Aufnahmetechnik: Die Motion-Capture-DarstellerInnen wurden
nach allen schauspielerischen Kriterien gecastet und nicht nur nach denen der
körperlichen Beweglichkeit. Die Aufnahmen wurden in einem O-Ton-fähigen Studio
vorgenommen und der Dialog der DarstellerInnen für die Cut-Scenes gleichzeitig
360
Uncharted 2. (Screenshot). Bildquelle: Sony. 2009.
361
Uncharted 2. (Screenshot). Bildquelle: Sony. 2009.
362
Siehe: Kapitel „DarstellerInnen“, Seite 56.
135
aufgenommen. Teilweise improvisierten dabei die SchauspielerInnen und steuerten
zum Humor der Dialoge bei. (Im Regelfall würden die SprecherInnen, unabhängig
von den Motion-Capturing-DarstellerInnen, erst nach der Erstellung der Animationen
zum Projekt hinzustoßen.)
Abb. 46: Concept Art – Chloe. 363
Ein Dialogbeispiel aus einer Cut-Scene, in dem Chloe und Drake die Taktik
besprechen, um an die benötigten Unterlagen zu gelangen:
Chloe: $$
The files are in his tent, and his tent is in the middle of the camp. Itʼs like an
$
armed compound, there are soldiers everywhere.
$
Drake: $$
Well, thatʼs why it has to be an inside job. From someone they know and trust.
Chloe: $$
Oh, okay, I see where this is going.
Drake: $$
Iʼll just need a diversion. You give me five minutes in that tent, thatʼs all itʼll
$
take.
$
Chloe: $$
363
Really, five minutes? Well, thatʼs great, I wonʼt even have to get my top off.
Uncharted 2. (Screenshot). Bildquelle: Sony. 2009.
136
Drake: $$
Chloe, I was thinking more like an explosion.
Chloe: $$
Or that... Can be arranged.364
Im Fall von Uncharted 2 gab es noch nachträgliche Aufnahmen, aber lediglich für die
Dialoge innerhalb der spielbaren Teile (außerhalb der Cut-Scenes). Dazu zählen
Kommentare und kurze Dialoge, die meist durch Handlungen des/-r SpielerIn oder
nach einer bestimmten Zeit automatisch ausgelöst werden, zum Beispiel:
Drake hängt an einem Vorsprung, über ihm steht ein Gegner, der ihn noch nicht
bemerkt hat...
Flynn: $$
Thereʼs a guy above you, thereʼs a guy above you!
Drake:$ $
[Drake, gesteuert vom/-n der SpielerIn, macht einen Satz nach oben, ergreift
$
$
den Gegner und zieht ihn nach unten. Der Gegner stürzt nach unten ins
$
$
Wasser.]
Flynn: $$
Thereʼs a guy below you, thereʼs a guy below you!365
Oder, Drake, wiederum unter der Kontrolle des/-r SpielerIn, schwingend und
springend, ruft Chloe zu, die unten stehend zusieht und auf ihn wartet...
Drake: $$
Alright. Eh, cʼmon. Admit it, youʼre impressed.
Chloe: $$
I am. Iʼll throw you a banana.366
Die DarstellerInnen profitierten bei den nachträglichen Tonaufnahmen davon, ihre
Figuren und ihre KollegInnen aus den Motion-Capturing-Aufnahmen zu kennen. Auch
in diesem Fall improvisierten die DarstellerInnen.
Den Spieletest führte ich (u.a.) gemeinsam mit einem Filmmusikkomponisten durch,
der seine Aufmerksamkeit mit großem Interesse der Musik widmete und sie als sehr
gelungen empfand. Wissend nickten wir uns in den Momenten zu, die darauf
hinwiesen, dass der nächste Gegner wohl gleich erscheinen wird.
Die Dolby-Mischung und das Sound Design tragen in gleichem Ausmaß zum
Spielerlebnis bei.
364
Uncharted 2: Among Thieves. (PS 3). 2009.
365
Uncharted 2: Among Thieves. (PS 3). 2009.
366
Uncharted 2: Among Thieves. (PS 3). 2009.
137
Der Einsatz der Kamera in Uncharted 2 fand in dieser Arbeit schon seine
Erwähnung367, soll an dieser Stelle aber noch um Amir Rahimis Kommentar erweitert
werden:
You get the sense when you play the game that every single shot in the game was
storyboarded at some point. They payed very close attention to what kind of exact camera
move they wanted. And they just delivered in a very cinematic way. 368
Das Zusammenspiel der vorherbestimmten Kamera in den Cut-Scenes mit der vom/
von der SpielerIn gesteuerten Kamera während des Spiels verläuft flüssig und kaum
merkbar. An bestimmten Stellen wird dem/-r SpielerIn die Kontrolle kurzfristig
bewusst entzogen, was die gefühlte Freiheit nicht einschränkt, da es ihm/-r eine
wesentlich bessere Sicht ermöglicht und er/sie in der Hitze des Gefechts nicht auf die
Idee kommt, die Perspektive ändern zu wollen.
Abwechslungsreich sind nicht nur Kamera, Dialog und Musik, sondern auch das
Gameplay. Den EntwicklerInnen gelang eine Mischung aus verschiedenen Aufgaben,
die sich ebenso reibungslos wie die Kameraperspektiven abwechseln.
Die Flüssigkeit der Übergänge trägt dazu bei, dass der/die SpielerIn zwischen den
verschiedenen Aufgaben, den Cut-Scenes und dem Gameplay nicht aus dem
Spielerlebnis herausfällt. „[...] Erzählung und Spiel greifen nahtlos ineinander
über.“369
Belohnt wurde das Spiel mit mehreren Preisen, darunter als bestes Spiel des Jahres
sowohl bei den Spike Video Game Awards 2009 370 als auch den Achievement
367
Siehe: Kapitel „Kamera & Licht“, Seite 48.
368
Rahimi, Amir: Unveröffentlichtes Interview. Geführt von: Roland Hablesreiter. (30. Sept. 2009)
369
Zsolt, Wilhelm: „Uncharted 2: Das Abenteuer des Jahres“, http://derstandard.at/1254310789424/
Uncharted-2-Das-Abenteuer-des-Jahres (11. Okt. 2009b)
370
Die Spike Video Game Awards sind „die größte Preisverleihung der Videospielindustrie. Ausgezeichnet wurden die beliebtesten Games der vergangenen 12 Monate, wobei Spieler aus aller Welt
selbst online abstimmen durften.“ (Zsolt, Wilhelm: „Uncharted 2 ist das beste Spiel des Jahres“, http://
derstandard.at/1259281819713/Ausgezeichnet-Uncharted-2-ist-das-beste-Spiel-des-Jahres (14.Dez.
2009e))
138
Awards der Academy of Interactive Arts and Sciences (AIAS)371 . Die Kritik372 war
begeistert und die Zahlen überzeugten. Obwohl Uncharted 2 erst Mitte Oktober 2009
erschien, belegte es in den deutschen PlayStation-3-Verkaufsjahrescharts den
sechsten Rang.373 In der Woche seines Erscheinens belegte es in den Wochencharts
Rang eins, darauf zwei Wochen lang Platz zwei und eine Woche später noch Platz
drei374 (bevor es auf Platz 7 abrutschte, aber noch bis inklusive Kalenderwoche 04
des Jahres 2010 in den Top Ten verblieb).
Auf das Spiel gestoßen bin ich zum ersten Mal durch Amir Rahimi, der im Interview,
noch bevor Teil zwei erschienen war, den ersten Teil kommentierte mit den Worten: „I
beg you to pick this game [...]. Drakeʼs Fortune 375 is the most immersive story
experience Iʼve had playing a video game.“376 Und bei den Uncharted-Spielen
handelt es sich nicht um Spiele von Electronic Arts, Rahimis Arbeitgeber, sondern um
ein Produkt der Konkurrenz.
Der Einsatz filmischer Mittel in den Uncharted-Spielen dient Electronic Arts jedoch
als Inspiration für zukünftige Projekte, was wiederum die Zusammenarbeit mit Steven
Spielberg beeinflusst – in dieser Hinsicht versucht Electronic Arts von Spielbergs
Umgang mit Innovationen und seinem filmischen Verständnis zu profitieren:
371
„Die AIAS-Awards sind das Games-Pendand zu Oscar, Grammy und Emmy und werden von den
Mitgliedern der Academy, alle Entwickler der Spielebranche, gewählt.“ (Steininger, Stephan:
„Academy-Awards verliehen. Preisregen für ,Uncharted 2ʻ“, GamesMarkt Nr. 04 (24. Feb. 2010d), 8.)
372
z.B.: „,Uncharted 2: Among Thievesʻ hat bewiesen, dass Spiele auf Augenhöhe mit Hollywoods
Krachern stehen können.“ (Zsolt, Wilhelm: „Die besten Games 2009. Webstandard-Rückblick“, http://
derstandard.at/1259281308717/WebStandard-Rueckblick-Die-besten-Games-2009?_slideNumber=3
&_seite=1&sap=2 (6. Dez. 2009d))
373
Siehe: „Die media-control-Jahrescharts 2009. Topmarken weiterhin vorn“ 2010, 23.
374
Siehe: „media control GfK INTERNATIONAL Kalenderwoche 42, 12. Oktober - 18. Oktober 2009“,
GamesMarkt Nr. 21 (29. Okt. 2009), 27. bzw. „media control GfK INTERNATIONAL Kalenderwoche
44, 26. Oktober - 01. November 2009“, GamesMarkt Nr. 22 (12. Nov. 2009), 31. bzw. „media control
GfK INTERNATIONAL Kalenderwoche 46, 09. November - 15. November 2009“, GamesMarkt Nr. 23
(26. Nov. 2009), 31.
375
der volle Titel des ersten Teils lautet: Uncharted: Drakeʼs Fortune.
376
Rahimi, Amir: Unveröffentlichtes Interview. Geführt von: Roland Hablesreiter. (30. Sept. 2009)
139
We are very inspired by the techniques they [die Entwickler von Uncharted; Anm. R.H.] do.
And what we are doing, we are working with Steven to figure out how to take those techniques
to the next level.377
Im Einsatz filmischer Mittel ist Uncharted zukunftsweisend, aber wie verhält es sich
mit der emotionalen Einbindung des/r SpielerIn?
Die Identifikation des/-r SpielerIn mit der Hauptfigur Nathan Drake funktioniert. Dies
liegt einerseits am Spielfluss und der Umsetzung, welche den/die SpielerIn selten
aus der Immersion in die Spielewelt auftauchen lässt, andererseits an der
Geschichte und der Entwicklung der Figur.
Drake ist zwar ein Held, aber er hat seine Fehler. Er leidet und es misslingen ihm
Dinge und der/die SpielerIn leidet mit; er sagt von sich selbst: „Yʼknow, people are
always telling me how lucky I am. But the truth is, everything I touch turns to shit.“
Die Bestätigung folgt etwas später durch die Nebenfigur (namens Karl Schäfer):
Schäfer: "
You were right!
Drake: $$
About what?
Schäfer: $
Everything you touch, does turn to shit!378
Im Zuge der Geschichte gibt er die Schatzjagd nach dem Chintamani-Stein auf, um
stattdessen die versunkene Stadt Shambhala, deren naturverbundene Bewacher und
den dort wachsenden „Lebensbaum“ vor dem Untergang zu bewahren. (Die Stadt
Shambhala stürzt am Ende zwar ein, aber Drake verhindert erfolgreich die
„Übernahme der Weltherrschaft“ durch Lazarevic.) Dafür gewinnt er schließlich die
Liebe Elenas.
Die Liebesgeschichte trägt zur Identifikation des/-r SpielerIn mit der Figur wesentlich
bei. Wie die meisten Liebesgeschichten appelliert sie an die eigenen Erfahrungen
des/-r SpielerIn; die meisten kennen das Gefühl der unglücklich verlorenen Liebe
oder die Situation, eine/-n Dritte/-n zurückweisen zu müssen, weil er/sie eine andere
Person liebt – wie es auch Drake erfahren muss...
Dass die Geschichte linear erzählt wird, macht die Entwicklung von Drakes
Charakterbogen einfacher. Einerseits mag der/die SpielerIn manchmal selbst die
377
Rahimi, Amir: Unveröffentlichtes Interview. Geführt von: Roland Hablesreiter. (30. Sept. 2009)
378
Uncharted 2: Among Thieves. (PS 3). 2009.
140
Entscheidung treffen wollen, andererseits verläuft die Geschichte Drakes in einer
narrativ optimal vorgefertigten Bahn und bereichert das Spielerlebnis auf diese
Weise. Es ist eine Frage nach der Präferenz des/-r SpielerIn: Eigene Entscheidungen treffen auf Kosten der Dramaturgie und/oder der Umsetzung? (Mehrere
Möglichkeiten müssen überlegt und hergestellt werden.) Oder eine festgelegte
Dramaturgie, welche dem/-r SpielerIn die Entscheidungen abnimmt, alle Mittel der
Umsetzung in diese eine Version wirft und versucht, aus allen möglichen
Gabelungen der Geschichte die optimale Linie zu finden? In diesem Fall folgt die
Geschichte durchgehend der vorbestimmten Linie: Drake ist in Elena noch immer
verliebt, ersichtlich in jeder Cut-Scene, manchmal mehr, manchmal weniger subtil.
Warum sollte der/die SpielerIn die Möglichkeit haben, sich für Chloe zu entscheiden?
Was in der Geschichte fehlt, sind die großen Entscheidungen Drakes zu Beginn und
im Mittelteil der Geschichte. Er hat kaum etwas zu verlieren: Der vermeintliche
Schatz würde nicht mehr als eine Einnahmequelle bedeuten. (Interesse erweckt bei
Drake zu Beginn vielmehr, auf Marco Polos Spuren zu wandern.) Elena hat er schon
zuvor verloren beziehungsweise weiß Drake nicht einmal, dass er im Laufe der
Geschichte auf sie treffen wird.
Seine Entscheidungen beschränken sich auf:
- Beim Einbruch ins Museum mitmachen = Anfang der Geschichte.
- Flynn nach dessen Verrat folgen.
- Flynn und Lazarevic immer weiter folgen.
- Elena und ihren Kameramann nicht zurücklassen.
- Kurz vor dem Ende: Lazarevic helfen Shambhala zu finden, um zu verhindern, dass
Lazarevic Chloe oder Elena erschießt.
- Am Ende der Geschichte: Elena statt Chloe.
Fragwürdig sind außerdem die Unzahl an Schießereien, die Drake zu erledigen hat.
Gefühlt über hundert Gegner erschießt der/die SpielerIn im Zuge des Spiels, mehr
als jeder James Bond. Drake bleibt dabei, wie James Bond, gänzlich ungerührt.
Einen Kommentar verdient außerdem die Länge des Spiels. Einem generellen
Längenvergleich von Spielen folgend379, handelt es sich bei Uncharted 2 mit ca.
12-15 Stunden Spieldauer um ein Spiel mittlerer Länge, wenn es nicht sogar als kurz
379
Hardcore-Spieler vertreten oft die Meinung, dass Spiele unter 30 bis 40 Stunden Spielzeit zu kurz
sind.
141
erachtet wird. Trotz der kurzen Spieldauer im Vergleich zu anderen Spielen, halte ich
Uncharted 2 für zu lang. Gegen Ende des Spiels wird das ständige Erschießen von
Gegnern etwas träge und die Plot Twists beginnen sich zu wiederholen. Eine
Geschichte, die einen spannenden eineinhalb- bis zweistündigen Film erzählen
würde, erschöpft sich etwas auf die Dauer von fast 15 Stunden ausgedehnt.
Während der geneigte Hardcore Gamer das Spiel mehrmals und in aufsteigenden
Schwierigkeitseinstellungen beendet, muss der/die GelegenheitsspielerIn erst einmal
15 Stunden aufbringen können, um das Ende der Geschichte zu erleben. Und
Uncharted 2 gelingt es, mehr SpielerInnen als das Segment der Hardcore Gamer
anzusprechen.
Die Geschichte von Uncharted 2 mag nicht sehr in die Tiefe gehen, aber es ist ein
Abenteuer, das der/die SpielerIn miterleben kann. Der/die SpielerIn kann zwar keine
wirklichen Entscheidungen treffen, aber das Publikum, das kein Problem damit hat,
einer linearen Geschichte zu folgen, ist groß genug. Und dieses Publikum vermag
das Spiel mit seiner gelungenen Umsetzung anzusprechen.
Fallbeispiel 2: „Heavy Rain“
Heavy Rain wird von seinen Machern als interaktiver Film bzw. als interaktives
Drama, als Thriller im Stil eines Film noir bezeichnet.380 Das Skript zu diesem Spiel
umfasst mehr als 2000 Seiten für ca. zehn Stunden Spieldauer. Der/die SpielerIn
beeinflusst die Geschichte durch die Entscheidungen, die er/sie trifft und ob ihm/-r
die Handlungen, die er/sie setzt, auch gelingen. Dadurch kann es zu mehreren verschiedenen Enden kommen.
Erklärtes Ziel der EntwicklerInnen ist es, den/die SpielerIn zu emotionalisieren. David
Cage, Chefentwickler bei der französischen Spielefirma Quantic Dream und
Hauptverantwortlicher von Heavy Rain, sucht ernste Stoffe und provoziert, indem er
die Produktion bisheriger Computerspiele als „so eindimensional wie Pornographie“381 bezeichnet. Im/in der SpielerIn will er Emotionen wecken, die über
„Yippee!“ und „Damn!“ hinausgehen, und meint:
380
381
Siehe Seite 98 bis 99.
Moorstedt, Tobias: „Videospiel Heavy Rain. Düstere Entscheidungen“, http://www.sueddeutsche.
de/computer/283/504495/text/ (1. März 2010)
142
[...] wenn Videospiele nicht einfaches Spielzeug, sondern vielschichtig und womöglich auch
kontrovers wie etwa Kunst sein wollen, müssten sie auch soziale Emotionen, etwa Empathie,
Trauer, Eifersucht und Scham erzeugen und mit ausdruckstarken Charakteren tiefergehende
Geschichten erzählen können.382
Das Ziel des Entwicklers scheint bei einem großen Teil des Publikums aufgegangen.
Die Bewertung im Verkauf von befragten Einzelhändlern im Fachmagazin GamesMarkt ergab bei allen Befragten das Resultat „Toptitel, steht nie lange im Regal“.383
Das Spiel spaltet selbst die Gruppe der Hardcore Gamer und mischt die Emotionen
einiger davon erfolgreich auf:
In Internet-Foren finden sich bereits Kommentare von erfahrenen Spielern, die „sonst keine
Probleme haben im Spiel ein paar Kopfschüsse zu verteilen“, nun aber aufrichtig über den
Tod einer Figur betrübt sind, oder verwundert schreiben: „Ich konnte ihn nicht erschießen.“ 384
Das Zielpublikum ist, laut Publisher und Entwickler, aber ohnehin nicht der Hardcore
Gamer, sondern das Spiel soll ein älteres Publikum, Frauen und ein Publikum mit
geringerer Spielerfahrung ansprechen. (Der Einstieg in das Spiel soll durch die
intuitive Steuerung (s.u.) erleichtert werden.)
Die Verkaufszahlen jedenfalls sind zu Beginn sehr positiv verlaufen. Obwohl das
Spiel in der EU erst am 26. Februar 2010 erschien, stürmte es die deutschen
Playstation-3-Verkaufscharts des Monats Februar von null auf Platz eins und
verdrängte damit Call of Duty: Modern Warfare 2 auf den zweiten Platz.385 In den
Verkaufscharts der Kalenderwoche 08, 22. Februar bis 28. Februar 2010, konnte
Heavy Rain sogar Platz eins und zwei gleichzeitig belegen – Platz zwei belegte
zusätzlich die Heavy Rain – Special Edition.386
382
Igler, Nadja: „Mehr Herz und Hirn für Videospiele“, http://futurezone.orf.at/stories/1624676/ (21.
Aug. 2009c)
383
„Tops oder Flops?“, GamesMarkt Nr. 05 (10. März 2010), 36.
384
Moorstedt, Tobias: „Videospiel Heavy Rain. Düstere Entscheidungen“, http://www.sueddeutsche.
de/computer/283/504495/text/ (1. März 2010)
385
Siehe: „VIDEOSPIELE.CHARTS März. Erhebungszeitraum 1. bis 28. Februar 2010. Die offiziellen
Videospielecharts ermittelt von media control GfK. Exklusiv von GamesMarkt“ 2010.
386
Siehe: „media control GfK INTERNATIONAL. Kalenderwoche 08, 22. Februar - 28. Februar 2010“,
GamesMarkt Nr. 05 (10. März 2010), 38.
143
Seit dem Erscheinen hält es sich konstant unter den Top Fünf. (Stand vom 6. März
2010.) Wie sich die Verkäufe weiterentwickeln werden – das Spiel ist soeben erst
erschienen – wird sich zeigen.
Die Geschichte von Heavy Rain dreht sich um einen Kindesentführer, genannt der
„Origami Killer“, der seine Opfer im Regenwasser ertrinken lässt und den
Leichnamen ein Origami in die Hand und eine Orchidee auf die Brust legt. Der/die
SpielerIn steuert abwechselnd einen der vier Hauptcharaktere.
Ethan Mars verliert in der „Exposition“, zwei Jahre vor Beginn der Geschichte, einen
seiner zwei Söhne, als ihm dieser in der Shopping Mall entflieht und vor ein Auto
läuft. Sein zweiter Sohn wird nun vom „Origami Killer“ entführt. Von Gewissensbissen
geplagt, will er mit allen Mitteln verhindern, dass er auch noch seinen zweiten Sohn
verliert – vier Tage hat er dafür Zeit. Der „Origami Killer“ lässt ihm auf Origamis
geschriebene Aufgaben und Clues zukommen, darunter sind: als Geisterfahrer auf
die Autobahn fahren, sich selbst den kleinen Finger abschneiden, einen Drogendealer erschießen... Ethan Mars leidet an schizophrenen Anfällen und glaubt nach
einiger Zeit, selbst der „Origami Killer“ zu sein...
Abb. 47: Ethan Mars.387
Abb. 48: Madison Paige.388
Madison Page, eine Fotojournalistin, stolpert zufällig in die Geschichte, als sie in
einem Motel auf den verletzten Ethan Mars trifft und seine Wunden versorgt. Sie
beginnt ihm zu helfen und stellt eigene Nachforschungen an.
Norman Jayden soll als FBI-Profiler die ermittelnde Polizei unterstützen. Im Zuge der
Ermittlungen muss er mehrmals entscheiden, welche Mittel er einsetzt und inwieweit
387
Heavy Rain. (Screenshot). Bildquelle: Electronic Arts. 2010.
388
Heavy Rain. (Screenshot). Bildquelle: Electronic Arts. 2010.
144
er seinen gewalttätigen Kollegen von der Polizei einbremst. Dass er drogenabhängig
ist und immer wieder unter Entzugserscheinungen leidet, erschwert das Gameplay
im positiven Sinn.
Der vierte Charakter ist Scott Shelby, ein Privatdetektiv, der von einigen Familien der
vorigen Opfer beauftragt wurde, im „Origami-Killer“-Fall zu ermitteln, nachdem die
Polizei keine Erfolge erzielen konnte. Er kriegt eine Partnerin wider Willens, als sich
die von ihm befragte Mutter eines anderen Opfers ihm anschließt.
Abb. 49: Norman Jayden (links).389
Abb. 50: Scott Shelby (links).390
Die Kernaussage des Spiels lautet „How far will you go for somebody you love“, mit
der das Spiel auch vermarktet wird.
Der/die SpielerIn steuert die Charaktere, indem er/sie die auf dem Bildschirm
angezeigten Befehle mit dem Controller ausführt. Diese sind u.a.: die richtigen
Knöpfe zum richtigen Zeitpunkt in der richtigen Reihenfolge drücken, gedrückt halten
und loslassen, mehrere Knöpfe gleichzeitig drücken, die analogen Joysticks (auf dem
Controller) in eine oder mehrere Richtungen bewegen (in der richtigen Geschwindigkeit), das physische Bewegen des ganzen Controllers in eine Richtung, das
Schütteln des Controllers usw. Damit kann der/die SpielerIn sämtliche Handlungen
ausführen, die ihm „erlaubt“ und vorgeschlagen werden, vom Ausweichen von
Gegnern, Öffnen von Schränken bis zum Putzen der Zähne. Darüber hinaus kann
der/die SpielerIn die Kameraperspektive per Knopfdruck ändern und den Charakter
per Joystick frei herumgehen lassen. Entscheidungen, die als Handlung und/oder in
Dialogform ausgeführt werden, trifft der/die SpielerIn außerdem, indem er per
389
Heavy Rain. (Screenshot). Bildquelle: Electronic Arts. 2010.
390
Heavy Rain. (Screenshot). Bildquelle: Electronic Arts. 2010.
145
Knopfdruck eine von mehreren Optionen auswählt, die im gegebenen Moment über
seinem Kopf schweben und zur Auswahl stehen.
Abb. 51: Um den Kopf schwebende Gedanken/Entscheidungen. 391
Außer in den Momenten, in denen sich der/die SpielerIn frei bewegen kann, besteht
das Spiel aus einer Aneinanderreihung von kurzen Filmsequenzen, in diesem
Zusammenhang Quicktime Events genannt. Diese Quicktime Events werden unterbrochen von den auf dem Bildschirm als Symbol dargestellten Aufforderungen, eine
Option auszuwählen oder zu interagieren. Handelt der/die SpielerIn nicht in einem
vorgegebenen Zeitraum, wählt das Spiel selbst eine Variante für das nächste
Quicktime Event.
Ein einfaches Beispiel: Eine Schachtel droht zu Boden zu fallen, reagiert der/die
SpielerIn rechtzeitig und geschickt genug, kann er/sie die Schachtel auffangen und
bleibt unentdeckt, reagiert er/sie nicht oder nicht gut genug, fällt die Schachtel zu
Boden und das Spiel löst das Quicktime Event (die Filmsequenz) aus, welches
darstellt, wie der Supermarkträuber die Spielfigur entdeckt.
Ein komplexeres Beispiel im selben Setting mit dem Supermarkträuber: Mit verschiedenen Dialogoptionen versucht der/die SpielerIn, den Räuber entweder zu
beruhigen oder einzuschüchtern, während er/sie gleichzeitig steuern kann, ob die
Spielfigur dem „Hände hoch“-Kommando folgt und ob sie die Hände oben lässt. Die
jeweiligen Aktionen lösen verschiedene Quicktime Events aus. In der „falschen
391
Heavy Rain. (Screenshot). Bildquelle: Electronic Arts. 2010.
146
Kombination“ wird die Filmsequenz ausgelöst, in welcher der Räuber der Spielfigur in
die Schulter schießt und davonläuft. Gelingt es dem/-r SpielerIn, den Räuber zu
überzeugen sein Leben nicht wegzuwerfen, verlässt der Räuber den Laden, ohne
weiteren Schaden anzurichten.
Durch diese Form der Steuerung und deren Einfluss auf die Geschichte soll die
Identifikation des/-r SpielerIn mit der Figur verstärkt werden.
Das Spiel beginnt dabei mit dem Ausführen einfacher Handlungen. Der/die SpielerIn
wacht im Bett als Ethan Mars auf und muss zuerst einmal duschen, rasieren, die
Zähne putzen und die Toilette aufsuchen. Schließlich kommen seine Frau und seine
Kinder nach Hause. Er hilft seiner Frau den Tisch aufzudecken (oder auch nicht),
spielt mit den Kindern im Garten und der/die SpielerIn lernt dabei die Steuerung
kennen, die er/sie später noch brauchen wird.
Die Alltagshandlungen dienen auch dazu, eine neuartige Intimität zwischen Spieler und Figur
herzustellen – David Cage weiß, wenn ein Rezipient nichts für eine Figur empfindet, dann gibt
es keine Geschichte.392
Nach dem traumatischen Verlust seines ersten Sohnes, inklusive Scheidung und
Bruch des Vorstadtidylls, geht der/die SpielerIn mit Ethan Mars zum Therapeuten
und wählt für ihn die Antworten aus.
Die Entscheidungen des/-r Spielers/-in beim Therapeuten wirken sich noch nicht sonderlich auf den Verlauf der Geschichte aus. (Der/die SpielerIn erfährt aber mit dieser
Antwort schon etwas über Ethans Schizophrenie, während dies mit der anderen
Antwort nicht der Fall ist.) Doch die Entscheidungen werden im Laufe des Spiels
immer intensiver.
Zum Beispiel: In der Rolle des FBI-Profilers Norman Jayden muss der/die SpielerIn
eine schnelle Entscheidung treffen, als plötzlich ein Verdächtiger Jaydens Kollegen
mit einer Pistole bedroht. Jayden hat schon die Pistole in der Hand, als die
Auswahlmöglichkeiten „Order“, „Reassure“, „Psychology“ und die Taste „R1“ für das
Abfeuern der Pistole angezeigt werden. Trifft der/die SpielerIn mehrere „richtige“
Entscheidungen hintereinander, kommt er/sie am Ende zur Auswahltaste „R1“ für
392
Moorstedt, Tobias: „Videospiel Heavy Rain. Düstere Entscheidungen“, http://www.sueddeutsche.
de/computer/283/504495/text/ (1. März 2010)
147
den Schuss oder Taste „X“ für „Back off“. Im Selbsttest besprach ich kurz mit meinem
Testkollegen, dass wir nicht abdrücken würden. Durch den Zeitdruck, die Musik und
die Spannung der Situation drückte ich die falsche Taste und das nun nicht mehr
verhinderbare Quicktime Event wurde ausgelöst: Norman Jayden löst den
Abzugshahn aus und erschießt den (falsch) Verdächtigten, gefolgt vom Dialog:
Jayden: $
„I... I shot him...“
Kollege: $
„Yup... looks like you did... Canʼt say Iʼll miss him... Cʼmon, letʼs go.“393
Später, im Auto sitzend, kehren die beiden auf das Ereignis zurück, falls Jayden den
Verdächtigen erschossen hat...
Kollege: $
„Was that the first time?“
Jayden: $
„Sorry?“
Kollege: $
„First time you killed somebody?“
Jayden:"
... [Jayden schweigt]
Kollege: $
„It always does something to you the first time. Then you get used to
$
it...“ 394
$
Der/die SpielerIn kann darauf eine aggressive, defensive oder ehrliche Antwort
wählen. Im Falle der ehrlichen Antwort sagt Jayden: „Iʼm not sure I want to get used
to it.“ Die beiden brechen nach dieser Antwort den Dialog mit dem Entdecken eines
Verdächtigen ab.
Ein Beispiel für eine weitere, intensive Entscheidung des/-r Spielers/-in ist in der
Szene zu erleben, in der Ethan Mars sich eine Fingerkuppe abschneiden soll, um
den nächsten Tip des Mörders zu bekommen, wo sein Sohn versteckt gehalten wird.
Die Szene führte zu einer Diskussion mit meinem Testkollegen, wie wir in der
Geschichte weiter fortfahren sollen...
Es kann im Verlauf des Spiels passieren, dass einer der Charaktere stirbt. In diesem
Fall läuft die Geschichte mit den anderen drei Charakteren weiter – anders, als sonst
in Spielen üblich. In den meisten Spielen bedeutet der Tod der Figur, dass der/die
SpielerIn vom letzten Speicherpunkt wieder zu spielen beginnt. Auch in Heavy Rain
393
Heavy Rain – Special Edition. (PS 3). 2010.
394
Heavy Rain – Special Edition. (PS 3). 2010.
148
kann der/die SpielerIn zum letzten Speicherpunkt zurückkehren und das Kapitel noch
einmal spielen – es ist jedoch keine Notwendigkeit für den weiteren Spielverlauf. Im
Gegenteil, dazu kann das Scheitern des/-r SpielerIn eine spannende Alternative
darstellen.
Die Geschichte selbst verzweigt sich nicht wirklich, die Entscheidungen und
getätigten Handlungen haben jedoch eine Auswirkung auf den weiteren Verlauf und
vor allem auf das Ende. Während die einen kaum Konsequenzen nach sich ziehen,
tun dies andere sehr wohl:
Tote Charaktere tauchen nicht mehr auf, was für den/die SpielerIn bedeutet, dass die
jeweiligen Szenen nicht mehr gespielt werden können und die verstorbene Figur
keine Auswirkung auf das Ende mehr hat.
Es kann passieren, dass es dem FBI-Profiler nicht gelingt, den Ort, an dem Ethans
Sohn festgehalten wird, ausfindig zu machen. Schafft es Madison, hat sie kurz Zeit,
um Ethan oder Jayden anzurufen. Ethan hebt nicht ab, aber sie kann Jayden
informieren, falls dieser noch nicht Bescheid weiß, und so weiter...
Diese Erfolge und Misserfolge entscheiden mit, wie viele Spielercharaktere am
Klimax beteiligt sind, ob es gelingt Ethans Sohn zu retten, wem es gelingt, wer es
überlebt und wer nicht. Wenn es keiner Figur gelingt, Ethans Sohn zu retten, sind
zwei verschiedene Varianten möglich:
Spoiler!!! – In den folgenden vier Zeilen werden zwei mögliche Enden verraten.
- der „Origami Killer“ kommt davon.
- Ethans Sohn stirbt, aber der „Origami Killer“ wird nachträglich von einem
Nichtspielercharakter gerächt, der Mutter eines früheren Opfers – vorausgesetzt
den Fall, sie lebt zu diesem Zeitpunkt noch.
Die Vorteile dieser Form liegen darin, dass der/die SpielerIn das Gefühl hat, die
Geschichte zu beeinflussen, und dies auch zu einem größeren Ausmaß als in
anderen Spielen tut. Wenn gewisse Kapitel auch immer auf die gleiche Art gelöst
werden müssen und in manchen Szenen der/die SpielerIn nicht „scheitern“ oder
„gewinnen“ kann, so glaubt er/sie in den meisten Fällen, die Situation zu
beeinflussen. Und es hat tatsächlich einen Einfluss darauf, ob Ethans Sohn am Ende
gerettet wird oder nicht, sowie darauf, von wem er gerettet wird.
149
Die emotionale Identifikation mit den Charakteren funktioniert. Der/die SpielerIn leidet
mit Ethan und den anderen Charakteren mit. Besonders die Identifikation mit Ethan
gelingt durch die Szenen zu Beginn:
Die Sonne scheint, glückliches Familienleben in der Vorstadtidylle. Ethan ist privat
und beruflich erfolgreich. Die Beziehung zu den Kindern und der Ehefrau wird
erreicht durch Interaktion mit den Nebencharakteren – mit den Kindern im Garten
spielen, mit der Ehefrau das Mittagessen vorbereiten, den Sohn trösten, als der
Wellensittich stirbt. In der nächsten Szene, beim gemeinsamen Einkauf in der
Shopping Mall, ändert sich alles und der/die SpielerIn ist mit dabei. Der/die SpielerIn
als Ethan soll auf den einen Sohn aufpassen, während die Mutter mit dem anderen
Schuhe kauft. Jedoch der Sohn verschwindet in der Menge. Es will dem/-r SpielerIn
nicht gelingen ihm durch die Menschenmenge zu folgen und er läuft aus dem
Shoppingcenter auf die Straße. Man springt noch schützend zwischen Sohn und
Auto, wie im Film, aber zu spät. Danach ist die Ehe zerbrochen und Ethan wohnt in
einem dunklen Reihenhaus. Es ist Herbst und es regnet die ganze Zeit.
Die Identifikation mit den anderen Charakteren fällt schon etwas schwerer. Sie haben
auch weniger Zeit als Ethan. Die Identifikation mit dem FBI-Profiler und dem
Privatdetektiv gelingt anhand ihrer Schwächen – die Unfähigkeit des FBI-Profilers,
sich selbst unter Kontrolle zu halten, der schwere Privatdetektiv, der unfähig wirkt im
emotionalen Umgang mit anderen Menschen, aber im Kern ein weiches Herz zu
haben scheint. Bei Madison Paige, der Fotojournalistin, fehlt jedoch die Motivation,
warum sie Teil der Geschichte ist. Zu Beginn geht man als SpielerIn mit ihr mit – in
der ersten Szene wird zu Hause bei ihr eingebrochen und der/die SpielerIn muss
sich zur Wehr setzen. Plötzlich wacht Madison schweißgebadet im Bett auf, es war
nur ein Traum. Als sie auf den verletzten Ethan trifft, hilft sie ihm, aber warum sie sich
in weiterer Folge so stark um ihn kümmert, bleibt dem/-r SpielerIn vorenthalten. In
Folge kippte ich im Spieletest in den Madison-Szenen aus der Geschichte. SpoilerWarnung!!! (Bis zum Ende des Absatzes!!!) Erst in einer viel späteren Szene löst sich
auf, warum sich Madison für den Fall so interessiert. Sie schreibt ein Buch über den
„Origami-Killer“. Warum sie jedoch im Motel zufällig auf Ethan trifft, ergibt keinen
Sinn, da sie es nicht wissen konnte.
Die filmischen Elemente, Kamera, Montage, Musik, DarstellerInnen und so weiter,
unterstützen die Geschichte und drängen sich nicht zu sehr in den Vordergrund. Die
Umsetzung trägt positiv zum Spiel bei. Besonders die Farbstimmung im Gegensatz
150
Exposition (glückliches Familienleben, Sommer, Sonne, Fröhlichkeit) zu Entführungsgeschichte (Herbst, Regen, grau) ist dem Entwicklerstudio gelungen. Aber nicht nur
die kreative Umsetzung...
Auch technisch ist das Spiel auf einem sehr hohen Niveau. Das weltweit erfolgreiche
Entwicklerstudio Quantic Dreams hat Animations- und Motion-Capturing perfektioniert und
somit eine fesselnd realistisches Gesamtsetting geschaffen.395
Der Stand der Technik, insbesonders die Fortschritte in der Animation von
Gesichtern, in der Darstellung von Mimik, ermöglicht durch den Einsatz von Facial
Motion Capture, kommt dem Spiel entgegen.
Die Schwächen liegen in einigen Teilen der Handlung und deren Motivation, wie die
übermäßige Hilfestellung durch Madison und das erste Aufeinandertreffen mit Ethan
(s.o.) „Logiklöcher und hanebüchene Wendungen“ schrieb eine Kritik unter die
Negativkriterien in ihrem „Wertungskasten“. 396
Spoiler!!! – Im folgenden Absatz ist u.a. zu lesen, wer der „Origami Killer“ ist!
Das größte Logikloch stellt sich am Ende der Geschichte im Erzählstrang des
Privatdetektivs Scott Shelby heraus. Überraschenderweise ist Scott der Mörder.
Warum er die Kinder entführt, diese ertrinken lässt und deren Väter zu absurden
Aufgaben zwingt, hat seine Motivation – sein Zwillingsbruder ertrank als Kind und
sein alkoholsüchtiger Vater, den Scott zur Hilfe rief, rührte keinen Finger, um ihm zu
helfen. Daher ist Scott (mit extremen Mitteln) auf der Suche nach einem Vater, der
bereit ist, alles dafür zu tun, sein Kind zu retten. Die überraschende Wendung, dass
man als SpielerIn selbst Scott spielte und nicht damit gerechnet hat, funktioniert
einwandfrei. Jedoch diese Wendung macht die zuvor getätigten Handlungen Scotts
unlogisch. Warum ermittelt er für die Familien der Opfer? Hat er sich vielleicht selbst
angeboten? Aber falls ja, warum? Warum engagiert er sich so stark für den Fall? Um
die Spuren zu verwischen? Eigentlich verdächtigt ihn keiner. Die wahrscheinlichste
Variante ist, dass er nur vorgibt zu ermitteln, um das Beweismaterial von den
395
396
Steininger, Stephan: „Von neuen und treuen Zielgruppen“, GamesMarkt Nr. 03 (10. Feb. 2010c), 9.
Plass-Fleßenkämper, Benedikt: „Heavy Rain – Test. Test für PlayStation 3“ http://www.gamepro.de/
test/spiele/ps3/action-adventure/heavy_rain_test/1964539/heavy_rain_test.html (o.J.) – Stand: März
2010.
151
Familien der Opfer einzusammeln. (Scott Shelby verbrennt kurz vor dem Ende alle
eingesammelten Beweise in seinem Mistkübel.) Aber zieht er dadurch nicht vielmehr
die Aufmerksamkeit auf sich? Und warum ist dieses Beweismaterial nicht schon
längst bei der Polizei? Der/die SpielerIn wird diese Fragen betreffend im Dunklen
gelassen. Eine erklärende Szene dazu hätte dem Spiel gut getan.
Manchmal gibt auch die Steuerung kurzfristig Grund zur Skepsis beim/bei der
SpielerIn, wenn der Befehl für die Benützung der Toilette dem Befehl für „Gegner
ausweichen“ gleicht. Durch Perspektivenwechsel und nicht immer optimal gewählte
Kamerapositionen fällt manchmal das normale Herumgehen im Raum schwer –
wenn der/die SpielerIn drei Versuche benötigt, um an einem Schreibtisch
vorbeizugehen, droht manchmal das Ende jeglicher Immersion.
Der Geschichte gelingt es aber, einigen Logiklöchen zum Trotz, die meisten
Schwächen aufzufangen und der/die SpielerIn legt vielleicht am Ende anders den
Controller zur Seite als zuvor.
Ein Spieler, welcher seinen „Walkthrough“397 auf youtube.com stellte und diesen
stellenweise im Off selbst kommentierte, meinte: „[...] this kind of game just... you
know, this is real... this is real life. No one puts real life in a game and thatʼs, I think,
what makes this game stand out more...“398 Die Definition „real life“ trifft nicht ganz
zu, aber wie im Film auch, handelt es sich um eine Verdichtung des „echten Lebens“.
Ob es sich bei der Machart von Heavy Rain um ein Format handelt, das sich
langfristig etabliert, oder einen beeindruckenden Einzelfall, wird sich zeigen. Ein
innovativer Schritt in Richtung interaktives Erzählen ist es allemal.
397
398
Beschreibung „Walkthrough“: Siehe Fußnote Nr. 18, Seite 13.
Siehe: „YouTube. Broadcast YourselfTM“, http://www.youtube.com/user/Centerstrain01#p/c/
E5F0684 9BB238CAC/22/aVjq2fxkK80 (o.J.) – Stand: März 2010
152
SCHLUSSFOLGERUNGEN
Ich hoffe, mit dieser Arbeit dem/-r LeserIn aus der Filmbranche das Medium
Computerspiel schmackhaft gemacht zu haben. Das bedeutet nicht, dass wir als
Filmschaffende auf Games umsatteln müssen, aber wir sollten dieses neue Medium
weder ignorieren noch als seichte Unterhaltung wahrnehmen.
Ob Spiele auf einem Level mit Schindlers Liste399 entstehen werden, wird sich
zeigen, aber der/die gegenwärtige MedienunternehmerIn sollte zukünftige Entwicklungen nicht außer Acht lassen.
Eine Conclusio dieses breiten Themas lässt sich nicht in einem Satz beschreiben,
weshalb eine Übersicht über die Schlussfolgerungen aus den einzelnen Themenkreisen folgt:
Der Einsatz filmischer Gestaltungsmittel in Computerspielen macht durchaus Sinn,
solange sie mit der Interaktivität des Mediums in Einklang stehen und die dafür
notwendigen Voraussetzungen erfüllt werden.
Filmschaffende, die in die Spielebranche wechseln wollen, haben vielleicht eine
bessere Ausgangsposition, müssen aber in hohem Ausmaß anpassungsfähig sein
und sollten über entsprechendes Know-how verfügen.
Adaptionen, in welche Richtung auch immer, werden weiterhin, von einem
wirtschaftlichen Standpunkt aus betrachtet, funktionieren. In kreativer Hinsicht
können die Film- und Spielschaffenden davon profitieren, den Stoff in der bereits
bestehenden Welt des anderen Mediums anzusiedeln, ohne die Vorgabe zu
kopieren, sondern die Stärken des eigenen Mediums auszunutzen. Die strikte Kopie
neigt dazu, schief zu gehen.
Im technischen Bereich sieht es danach aus, als würden die Animation Artists bald
3D-Grafiken bauen, die sowohl im Film als auch im Spiel verwendet werden können.
Hollywood und die Computerspielindustrie bauen, nach anfänglichen Differenzen,
langsam aber stetig die Zusammenarbeit aus. Wer in der Entertainmentindustrie das
399
Vgl. Amir Rahimi auf Seite 78.
153
richtige Gespür für das Publikum beweisen kann, wird auf beiden Seiten willkommen
geheißen.
Für Österreich gilt: die Fördersituation könnte besser sein. Die Branche verfügt über
ein gewisses Grundpotenzial, welcher zur Zeit noch auf den guten (oder weniger
guten) Leistungen einzelner Firmen basiert.
Fernsehsender und Rundfunkanstalten müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben,
ein multimediales Angebot in ihrem Portfolio haben. Dazu gehören auch Computerspiele.
Interaktives Erzählen ist eine Herausforderung. Die Vielzahl an Möglichkeiten birgt
viele Fehlerquellen, aber wenn die emotionale Identifikation des/-r Rezipienten/-in
gelingt, ist das Ergebnis umso intensiver, da er/sie selbst dazu beigetragen hat. Es
handelt sich dabei um den größten gemeinsamen Nenner. Dies ist auch der Punkt,
an dem Kreative wie Steven Spielberg ins Spiel kommen – Kreative, die auf die
Bedürfnisse des Publikums eingehen können, ohne dabei banal zu werden.
Mit einem höheren Anspruch an das Publikum und größerer emotionaler Tiefe in
Computerspielen werden neue Zielgruppen angesprochen werden, wenngleich
diese Entwicklung seine Zeit brauchen wird.
Dass in Computerspielen sowohl lineares Erzählen (Uncharted 2) als auch ein
kontrolliertes Angebot an inhaltlich signifikanten Entscheidungen (Heavy Rain) zu
ansprechenden Ergebnissen führen kann, haben die beiden Fallbeispiele bewiesen.
Wohin interaktives Erzählen in Zukunft gehen wird, ist offen, aber die Möglichkeiten
sind zahlreich wie eine sich gabelnde Geschichte – vorausgesetzt, die vorhandenen
Wege werden genutzt. Vielleicht wird es in Zukunft auch mehr Komödien und
romantische Computerspiele geben...
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2008)
Interviews
Eigner, Gregor: Unveröffentlichtes Telefoninterview. Geführt von: Roland Hables!
reiter. (12. April 2010)
Kornetzki, Timo (Finance & Accounting Manager); Quas, Christoph (Head of
!
Design, beide Sproing Interactive Media): Unveröffentlichtes Interview. Geführt
!
von: Roland Hablesreiter. (21. Juli 2009)
Rahimi, Amir (Producer, Electronic Arts): Unveröffentlichtes Interview. Geführt von:
!
Roland Hablesreiter. (30. Sept. 2009)
Vorträge
Bernardo, Nuno: Plenary Module New Technologies. Case Study Sofiaʼs Diary.
!
Vortrag beim EAVE Workshop 2006 an der Donau-Universität Krems 2006 (1.
!
Juli 2006)
Kazemi, Kaweh: 7 Million. Vortrag bei Pixel 4.0. (27. Sept. 2009)
Kenning, Julian: Art Directing Cursed Mountain. Vortrag bei Pixel 4.0. (27. Sept.
!
2009)
Mannewitz, Tobias: Making Anno 1404. Vortrag bei Pixel 4.0. (26. Sept. 2009)
Quas, Christoph: Game Design. Vortrag bei Pixel 4.0. (26. Sept. 2009)
Film & TV
Alarm für Cobra 11 - Die Autobahnpolizei. (TV-Serie). Regie: Raoul W. Heimrich u.a.
!
ProduzentInnen: Hermann Joha u.a. Produktion: action concept Film- und
!
Stuntproduktion u.a. Deutschland. Seit 1996.
166
Auf der Jagd nach dem grünen Diamanten. (Spielfilm). Regie: Robert Zemeckis.
!
ProduzentInnen: Michael Douglas u.a. Produktion: Twentieth Century Fox.
!
Mexiko u. USA. 1984.
Avatar. (Spielfilm). Regie: James Cameron. ProduzentInnen: James Cameron, Jon
!
Landau u.a. Produktion: Lightstorm Entertainment u.a. USA. 2010.
Diário de Sofia. Regie: Gil Ferreira. ProduzentInnen: Nuno Bernardo u.a. Produktion:
!
beActive Produções Interactivas. Portugal. Seit 2005.
ER. (TV-Serie). Regie: Christopher Chulack u.a. ProduzentInnen: Michael Crichton
!
u.a. Produktion: Constant c Productions u.a. USA. 1994-2009.
Final Fantasy: The Spirits Within. (Spielfilm). Regie: ! Hironobu Sakaguchi u. Moto
!
Sakakibara. ProduzentInnen: Jun Aida u.a. Produktion: Square Pictures u.a.
!
Japan u. USA. 2001.
Germanyʼs Next Topmodel. Produzent: Holger Roost-Macias. Produktion: Tresor TV.
!
Deutschland. Seit 2006.
Greyʼs Anatomy. (TV-Serie). Regie: Rob Corn u.a. ProduzentInnen: Shonda Rhimes
!
u.a. Produktion: ShondaLand u.a. USA. Seit 2005.
Indiana Jones and the Raiders of the Lost Ark. (Spielfilm). Regie: Steven Spielberg.
!
ProduzentInnen: George Lucas u.a. Produktion: Lucasfilm Ltd. USA. 1981.
Indiana Jones and the Temple of Doom. (Spielfilm). Regie: Steven Spielberg.
!
ProduzentInnen: George Lucas u.a. Produktion: Lucasfilm Ltd. USA. 1984.
Indiana Jones and the Last Crusade. (Spielfilm). Regie: Steven Spielberg.
!
ProduzentInnen: George Lucas u.a. Produktion: Lucasfilm Ltd. USA. 1989.
Lara Croft: Tomb Raider. (Spielfilm). Regie: Simon West. ProduzentInnen: Lawrence
!
Gordon u.a. Produktion: Mutual Film Company. UK u. USA. 2001.
Lara Croft Tomb Raider: The Cradle of Life. (Spielfilm). Regie: Jan de Bont.
!
ProduzentInnen: Lawrence Gordon u.a. Produktion: Mutual Film Company. UK
!
u. USA. 2003.
Max Payne. (Spielfilm). Regie: John Moore. ProduzentInnen: Scott Faye u.a.
!
Produktion: Dune Entertainment u.a. USA. 2008.
Resident Evil. (Spielfilm). Regie: Paul Anderson. ProduzentInnen: Bernd Eichinger
!
u.a. Produktion: Constantin Film u.a. UK, USA u. Deutschland. 2002.
The Lord of the Rings: The Fellowship of the Ring. (Spielfilm). Regie: Peter Jackson.
!
ProduzentInnen: Barrie M. Osborne u.a. Produktion: New Line Cinema.
!
Neuseeland u. USA. 2001.
167
The Lord of the Rings: The Two Towers. (Spielfilm). Regie: Peter Jackson.
!
ProduzentInnen: Barrie M. Osborne u.a. Produktion: New Line Cinema.
!
Neuseeland u. USA. 2002.
The Lord of the Rings: The Return of the King. (Spielfilm). Regie: Peter Jackson.
!
ProduzentInnen: Barrie M. Osborne u.a. Produktion: New Line Cinema.
!
Neuseeland u. USA. 2003.
TV total. (TV-Comedyshow). ProduzentInnen: Stefan Raab u.a. Produktion: Brain!
pool u. Raab TV. Deutschland. Seit 1999.
Computerspiele
Assassinʼs Creed - Directorʼs Cut Edition. (PC). Enwickler: Ubisoft Montreal.
!
Publisher: Ubisoft. 2008.
Boom Blox: Smash Party. (Wii). Entwickler: EA Los Angeles. Publisher: Electronic
!
Arts. 2009.
Cursed Mountain. (Wii). Entwickler: Sproing Interactive Media, Deep Silver Vienna.
!
Publisher: Koch Media. 2009.
ER - Emergency Room. Das Spiel zur Erfolgs-TV-Serie. (PC). Enwickler: Legacy
!
Interactive. Publisher: Mindscape. 2005.
Fallout 3. (PC). Enwickler: Bethesda Game Studios. Publisher: Bethesda Softworks
!
u. ZeniMax Media. 2008.
Far Cry. (PC). Enwickler: Crytek. Publisher: Ubisoft. 2004.
Germanyʼs Next Topmodel. (Browser-Game). Entwickler: Bigpoint. Publisher: Seven!
One Intermedia. 2007.
Grand Theft Auto IV. (PC). Enwickler: Rockstar North u. Rockstar Toronto. Publisher:
!
Rockstar Games. 2008.
Heavy Rain - Special Edition. (PS 3). Enwickler: Quantic Dream. Publisher: Sony
!
Computer Entertainment. 2010.
LUKA und das geheimnisvolle Silberpferd. (PC). Entwickler: DECK13 Interactive.
!
Publisher: Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes. 2006.
LUKA und der verborgene Schatz. (PC). Entwickler: DECK13 Interactive. Publisher:
!
Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes. 2008.
Mass Effect. (PC). Enwickler: BioWare u. Demiurge Studios. Publisher: Electronic
!
Arts. 2008.
168
Mirrorʼs Edge. (PC) Enwickler: EA Digital Illusions CE. Publisher: Electronic Arts.
!
2008.
Mortal Kombat. (PC). Entwickler: Midway. Publisher: Midway. 1992.
ORF Ski Challenge 2006. (PC). Entwickler: Greentube. Medienpartner: ORF. 2005.
Sega Rally 2. (Arcade). Entwickler: AM5 u. Smilebit. Publisher: Sega. 1999.
Silent Hill 4. The Room. (PC). Enwickler: Konami u. Team Silent. Publisher: Konami.
!
2004.
SimCity. (PC). Entwickler u. Publisher: Maxis. 1989.
The Sims 3. (PC). Entwickler: EA Black Box. Publisher: Electronic Arts. 2009.
The Witcher. !(PC). Enwickler: CD Projekt RED STUDIO. Publisher: Atari u. CD
!
Projekt. 2007.
Tomb Raider. (PC). Entwickler: Core Design. Publisher: Eidos Interactive. 1996.
Tomb Raider II. (PC). Entwickler: Core Design. Publisher: Eidos Interactive. 1997.
Uncharted 2: Among Thieves. (PS 3). Enwickler. Naughty Dog. Publisher: Sony
!
Computer Entertainment. 2009.
World of Warcraft. (PC). Entwickler: Blizzard Entertainment. Publisher: Activision
!
Blizzard. 2004.
Grafiken & Bilder
Abbildung 1: Silent Hill: Shattered Memories. (Screenshot). Bildquelle: © 2010
!
Konami Digital Entertainment. 2010.
Abbildung 2: Grand Theft Auto IV (Screenshot). Bildquelle: Rockstar Games. 2008.
Abbildung 3: Mass Effect. (Screenshot). Bildquelle: Electronic Arts. 2007/2008.
Abbildung 4: Die Sims 3. (Screenshot). Bildquelle: Electronic Arts. 2009.
Abbildung 5: The spiral model of software development. (Grafik). Bildquelle: Schell,
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Jesse: The Art of Game Design. A Book of Lenses. 2008, 83.
Abbildung 6: A plot of team size versus time for a hypothetical product. (Grafik).
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Bildquelle: Adams, Ernest: Break into the Game Industry. How to get a job
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Abbildung 7: When a consumer buys a $50 retail game title... (Grafik). Bildquelle:
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Schell, Jesse: The Art of Game Design. A Book of Lenses. 2008, 435.
Abbildung 8: Assassinʼs Creed. (Screenshot). Bildquelle: Ubisoft. 2007/2008.
Abbildung 9: Assassinʼs Creed. (Screenshot). Bildquelle: Ubisoft. 2007/2008.
169
Abbildung 10: Uncharted 2. (Screenshot). Bildquelle: Sony. 2009.
Abbildung 11: Heavy Rain. (Screenshot). Bildquelle: Electronic Arts. 2010.
Abbildung 12: Cursed Mountain (Screenshot). Bildquelle: Deep Silver, a division of
!
Koch Media GmbH. 2009.
Abbildung 13: Cursed Mountain (Screenshot). Bildquelle: Deep Silver, a division of
!
Koch Media GmbH. 2009.
Abbildung 14: Mirrorʼs Edge. (Screenshot). Bildquelle: Electronic Arts. 2008/2009.
Abbildung 15: Mirrorʼs Edge. (Screenshot). Bildquelle: Electronic Arts. 2008/2009.
Abbildung 16: Fallout 3. (Screenshot). Bildquelle: Ubisoft. 2008.
Abbildung 17: Fallout 3. (Screenshot). Bildquelle: Ubisoft. 2008.
Abbildung 18: Assassinʼs Creed. (Screenshot). Bildquelle: Ubisoft. 2007/2008.
Abbildung 19: Brütal Legend. (Screenshot). Bildquelle: Electronic Arts. 2009.
Abbildung 20: 24: The Game (Screenshot). Bildquelle: Sony.
Abbildung 21: Kiefer Sutherland (Foto). Bildquelle: Sony.
Abbildung 22: James Cameronʼs Avatar: The Game. (Screenshot). Bildquelle:
!
Ubisoft. 2009.
Abbildung 23: James Cameronʼs Avatar: The Game. (Screenshot). Bildquelle:
!
Ubisoft. 2009.
Abbildung 24: Boom Blox: Smash Party. (Screenshot). Bildquelle: Electronic Arts.
!
2009.
Abbildung 25: Boom Blox: Smash Party. (Screenshot). Bildquelle: Electronic Arts.
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2009.
Abbildung 26: Cursed Mountain (Screenshot). Bildquelle: Deep Silver, a division of
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Koch Media GmbH. 2009.
Abbildung 27: Cursed Mountain (Screenshot). Bildquelle: Deep Silver, a division of
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Koch Media GmbH. 2009.
Abbildung 28: The story spectrum. (Grafik). Bildquelle: Rollings, Andrew; Adams,
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Ernest: Andrew Rollings and Ernest Adams on Game Design. 2003, 90.
Abbildung 29: Grand Theft Auto IV (Screenshot). Bildquelle: Rockstar Games. 2008.
Abbildung 30: Grand Theft Auto IV (Screenshot). Bildquelle: Rockstar Games. 2008.
Abbildung 31: Fallout 3. (Screenshot). Bildquelle: Ubisoft. 2008.
Abbildung 32: Mass Effect. (Screenshot). Bildquelle: Electronic Arts. 2007/2008.
Abbildung 33: Linear story. (Grafik). Bildquelle: Ince, Steve: Writing for Video Games.
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2006, 49.
170
Abbildung 34: Branching story and gameplay. (Grafik). Bildquelle: Ince, Steve:
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Writing for Video Games. 2006, 50.
Abbildung 35: Parallel story and gameplay. (Grafik). Bildquelle: Ince, Steve: Writing
!
for Video Games. 2006, 51.
Abbildung 36: Linear story, non-linear gameplay. (Grafik). Bildquelle: Ince, Steve:
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Writing for Video Games. 2006, 50.
Abbildung 37: Linear gameplay, player-influenced story. (Grafik). Bildquelle: Ince,
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Steve: Writing for Video Games. 2006, 52.
Abbildung 38: Controlled branching story and gameplay. (Grafik). Bildquelle: Ince,
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Steve: Writing for Video Games. 2006, 52.
Abbildung 39: Mass Effect. (Screenshot). Bildquelle: Electronic Arts. 2007/2008.
Abbildung 40: Mass Effect. (Screenshot). Bildquelle: Electronic Arts. 2007/2008.
Abbildung 41: Mass Effect. (Screenshot). Bildquelle: Electronic Arts. 2007/2008.
Abbildung 42: The audience model used by International Hobo from 2000-2003.
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(Grafik). Bildquelle: Bateman, Chris; Boon, Richard: „21st Century Game
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Design: Designing for the Market“, http://www.gamasutra.com/features/200511
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10/bateman_01.shtml (10. Nov. 2005)
Abbildung 43: Uncharted 2. (Screenshot). Bildquelle: Sony. 2009.
Abbildung 44: Uncharted 2. (Screenshot). Bildquelle: Sony. 2009.
Abbildung 45: Uncharted 2. (Screenshot). Bildquelle: Sony. 2009.
Abbildung 46: Uncharted 2. (Screenshot). Bildquelle: Sony. 2009.
Abbildung 47: Heavy Rain. (Screenshot). Bildquelle: Electronic Arts. 2010.
Abbildung 48: Heavy Rain. (Screenshot). Bildquelle: Electronic Arts. 2010.
Abbildung 49: Heavy Rain. (Screenshot). Bildquelle: Electronic Arts. 2010.
Abbildung 50: Heavy Rain. (Screenshot). Bildquelle: Electronic Arts. 2010.
Abbildung 51: Heavy Rain. (Screenshot). Bildquelle: Electronic Arts. 2010.
171
ABKÜRZUNGEN
2D!
!
!
zweidimensional
3D!
!
!
dreidimensional
Abb.! !
!
Abbildung
AG!
!
!
Aktiengesellschaft
AIAS! !
!
Academy of Interactive Arts and Sciences
Anm. R.H.! !
Anmerkung Roland Hablesreiter
Aug.! !
!
August
bearb. v.!
!
bearbeitet von
bzw.! !
!
beziehungsweise
ca.!
!
!
circa
CG!
!
!
computer generated
CGI! !
!
computer generated image
Dez.! !
!
Dezember
DP!
!
!
director of photography
dto. ! !
!
dito
DVFx! !
!
digital visual super effects
EA!
!
!
Electronic Arts
ER!
!
!
Emergency Room
etc. ! !
!
et cetera
EU!
!
!
Europäische Union
f.!
!
!
folgende
FBI!
!
!
Federal Bureau of Investigation
Feb.! !
!
Februar
ff.!
!
!
fortfolgende
FMV! !
!
full motion video
GfK! !
!
Gesellschaft für Konsumforschung
GmbH!!
!
Gesellschaft mit beschränkter Haftung
GTA ! !
!
Grand Theft Auto
Hrsg. !!
!
Herausgeber
hrsg. v.!
!
herausgegeben von
ILM! !
!
Industrial Lights & Magic
172
inkl.! !
!
inklusive
IPTV ! !
!
Internet Protocol Television
Jän.! !
!
Jänner
LMNO!!
!
Codename für Steven Spielbergs 2. Spiel in Kooperation mit EA
Ltd.! !
!
Limited company
m.E.! !
!
meines Erachtens
Mio.! !
!
Million/en
MIT! !
!
Massachusetts Institute of Technology
MMO! !
!
massively multiplayer online
MMOG!
!
massively multiplayer online game
MMORPG! !
massively multiplayer online game role play game
Mrd.! !
!
Milliarde/n
Nr.!
!
!
Nummer
Nov.! !
!
November
NPC ! !
!
non-player-character
NRW ! !
!
Nordrhein-Westfahlen
o.ä.! !
!
oder ähnliches/-m/-n
o.J.!
!
!
ohne Jahr
Okt.! !
!
Oktober
ORF! !
!
Österreichischer Rundfunk
ÖVUS!!
!
Österreichischer Verband für Unterhaltungssoftware
PC !
!
!
Personal Computer
PEGI! !
!
Pan European Game Information!
PSN ! !
!
PlayStation Network
R.H.! !
!
Roland Hablesreiter
RPG! !
!
role play game
RTS ! !
!
real-time strategy
SCED!!
!
Sony Computer Entertainment Deutschland
Sept.! !
!
September
SMS! !
!
Short Message Service
s.o.!
!
!
siehe oben
TBS ! !
!
turn-based strategy
TV!
!
!
television
u.!
!
!
und
173
u.a.! !
!
unter anderem/-n
übers. v. !
!
übersetzt von
v. !
!
!
von
v. R.H.!
!
von Roland Hablesreiter
UK!
!
!
United Kindgom
US !
!
!
United States
USA ! !
!
United States of America
USK! !
!
Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle
usw.! !
!
und so weiter
vgl.!
!
!
vergleiche
VO!
!
!
Voice Over
VoD! !
!
Video on Demand
VP!
!
!
Vice President
XBLA !!
!
Xbox Live Arcade
z.B.! !
!
zum Beispiel
174
DANKSAGUNG
Für die Unterstützung bei dieser Arbeit bedanke ich mich sehr herzlich bei:
Ralf Anheier
Kerstin Müller
Electronic Arts
Seckin Özdündar
Helga Bähr
Christoph Quas Amir Rahimi
Christiane Binder
Christoph Rinner
Deep Silver
Rockstar Games
Wolfgang Ebert
Christian Rohrauer
Marlies Frey
Gerlinde Semper
Herbert Habersack
Sony
Horst Heindl
Sproing Interactive Media
Martha & Hubert Hablesreiter
Jutta & Matthias Strohmaier
Martin Hablesreiter
Sonja Stummerer
Alex Hager
Ubisoft
Konami Digital Entertainment
Verena Vlajo
Timo Kornetzki
Anneliese Weidinger
Doris Lagler
Martin Wein
Michael Mähring
Gerrit Wunder
Martin Maier
Katharina Ziegelbauer
Peter Mayer
Elisabeth Zimmermann
175