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7. 5. 2010
Blutungsneigung bei jungen Kälbern
Aktuelle Forschungsergebnisse zum Krankheitsgeschehen beim „Blutschwitzen“
I
n der Klinik für Wiederkäuer in Oberschleißheim wurden bislang 82 Kälber mit Blutungsneigung zur Diagnostik und
Behandlung eingeliefert. Zusätzlich wurden von 282 erkrankten Kälbern Blutproben zur Diagnostik eingeschickt. Somit konnte
am Standort München bislang das
Krankheitsbild bei 364 Kälbern
aus 231 Betrieben bestätigt werden
(Stand 1. 3. 2010). Nachdem sich
die ersten Fälle auf das Einzugsgebiet der Klinik beschränkten, sind
mittlerweile derartige Fälle in allen Regionen Deutschlands aufgetreten. Weiterhin sind gleichartige
Erkrankungen aus Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Luxemburg, Schottland, England, Italien,
Spanien, Ungarn, Nordirland und
Irland gemeldet. Die Erkrankung
tritt in manchen Betrieben auch gehäuft auf, wobei im Einzelfall bis zu
30 Kälber innerhalb von zwei Jahren erkrankten und verendeten.
Häufung handelt. Weitere Krankheitserscheinungen sind Blutungen
unterschiedlicher Ausprägung an
allen sichtbaren Schleimhäuten, am
Flotzmaulrand, an den Nasenöffnungen, am Augapfel (in der weißen Augenhaut) und häufig blutunterlaufene Stellen am Kinn. Die
meisten Kälber haben auch unterschiedlich starke Blutbeimengungen im Kot. Manche setzen fast
reines Blut ab.
Die Mehrzahl der Erkrankten hat
im Verlauf hohes Fieber (bis über
41 °C), das trotz Behandlung oft
mehrere Tage bestehen bleibt. Häufig kommt es dabei zu schwer ausgeprägten Begleiterkrankungen,
wie z. B. Durchfall oder Lungenentzündung sowie zu Komplikationen durch infizierte und zum Teil
abszedierende Blutergüsse.
Fotos: Klinik für Wiederkäuer
In der Vergangenheit gab es vereinzelt Fälle von Blutungsneigung bei
Rindern unterschiedlichen Alters, mit verschiedenen Ursachen.
Seit dem Frühjahr 2007 häufen sich nun Fälle von Blutungsneigung bei
jungen Kälbern. Die Wissenschaftler sind den Ursachen auf der Spur.
Punktförmiger Blutaustritt aus der
unverletzt erscheinenden Haut.
Die Bezeichnung „Blutschwitzen“
ist falsch (irreführend), da es
sich nicht um eine großflächige,
allgemeine Hautblutung handelt.
Spektakuläres
Krankheitsbild
Die klinische Symptomatik, der
Krankheitsverlauf sowie Laborund Sektionsbefunde bei den betroffenen Kälbern sind relativ einheitlich: Der Erkrankungsbeginn
liegt meist in der zweiten oder
dritten Lebenswoche. Ein Teil der
Kälber fällt durch spontane Hautblutungen auf, während andere
wegen einer anderen Neugeborenenerkrankung oder aufgrund
der Störung des Allgemeinbefindens behandelt werden. Die Blutungsneigung fällt dann in Form
von Nachbluten aus Injektionsstellen auf. Meist kommt es bei
diesen Kälbern außerdem zu Hautblutungen. Das frische Blut sickert
dabei punktförmig aus der unverletzt erscheinenden Haut (oft an
verschiedenen Stellen des Körpers), weswegen die Kälber landläufig auch als „Blutschwitzer“ bezeichnet werden.
Jahreszeitlich gehäuft treten die
Fälle in den Sommermonaten auf,
fast die Hälfte wurde von Juni bis
August vorgestellt. Da jedoch die
Hautblutungen auch vor allem in
der wärmeren Jahreszeit auftreten – möglicherweise zeigt sich die
Blutungsneigung im Zusammenhang mit Insektenstichen – geht
man inzwischen davon aus, dass
es sich nur um eine vermeintliche
Bei der Untersuchung des Blutes
erkrankter Kälber fällt stets auf,
dass die Anzahl der Blutplättchen
und der weißen Blutkörperchen
massiv verringert ist. Erstere sind
jedoch für die Blutgerinnung von
großer Bedeutung, Letztere spielen im Hinblick auf die Krankheitsabwehr eine entscheidende Rolle.
Eine ausgeprägte Blutarmut tritt
erst im Verlauf auf. Die meisten
Kälber sterben innerhalb weniger
Tage, zum Teil verbluten sie, oft
verenden sie jedoch wegen einer
schweren Begleiterkrankung.
Wiederholt wurde festgestellt,
dass einzelne Kälber in betroffenen
Betrieben zwar die durch Knochenmarkschädigung bedingten Blutveränderungen aufwiesen, jedoch
keinerlei erkennbare Blutungen
zeigten. Daher muss befürchtet
werden, dass die „blutenden Kälber“ nur die „Spitze des Eisberges“
darstellen. In welchem Umfang (infolge der Abwehrschwäche auf der
Basis niedriger Konzentrationen
der weißen Blutkörperchen) Verluste durch übliche Kälberkrankheiten (Durchfall, Lungen- und
Nabelentzündung) diesem Krankheitskomplex zugeordnet werden
müssen, kann gegenwärtig nur spekuliert werden.
Wenig Chancen
Zahlreiche Hautblutungen bei einem Kalb mit ausgeprägter
Blutungsneigung.
Da eine gezielte Behandlung
der Erkrankung zumindest bislang
nicht möglich ist und Blutübertragungen meist nur eine vorübergehende Besserung bewirken, kommt
vor allem der Behandlung von
Begleiterkrankungen Bedeutung
zu. Allerdings muss die überwiegende Zahl der Kälber trotz zum
Teil aufwendiger Therapie eingeschläfert werden oder verendet.
Bisherige Erkenntnisse zum „Blutschwitzen“
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ie bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse stellen
sich wie folgt dar:
Die Krankheit tritt bei Kälbern
aller in der jeweiligen Region
gehaltenen Rassen und bei Kälbern beiderlei Geschlechts auf.
Oft kommen derartig erkrankte Kälber bestandsweise und
in Betrieben einzelner Tierarztpraxen gehäuft vor.
Mittlerweile sind zahlreiche
Kühe bekannt, die zwei oder
drei Jahre in Folge „Bluterkälber“
zur Welt gebracht haben.
Die ersten derartigen Erkrankungsfälle traten lange vor Be-
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ginn der Impfung gegen die Blauzungenkrankheit auf.
Mit wenigen Ausnahmen
(drei von 364 Kälbern! Stand
1. 3. 2010) sind die Mütter betroffener Kälber BVD-geimpft. Dabei wurde (mit einer Ausnahme) jeweils die gleiche Vakzine
(PregSure®) benutzt. Pfizer Tiergesundheit hat in einer Pressemitteilung am 7. 4. 2010 bekannt gegeben, dass sie in Absprache mit dem
Paul-Ehrlich-Institut entschieden
hat, den Impfstoff PregSure BVD
ab dem 7. 4. 2010 in Deutschland
nicht mehr zu verkaufen. Angesichts der hohen Zahl der mit
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dieser Vakzine geimpften Kühe
steht eine eindeutige Klärung
eines möglichen Zusammenhangs
noch aus.
Dieser Sachverhalt ergibt
sich auch in den europäischen
Nachbarländern (Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Luxemburg, Schottland, England, Italien,
Spanien, Ungarn, Nordirland, Irland), in denen bislang gleichartige Erkrankungen auftraten.
In Österreich und der Schweiz
sind bislang keine gleichartigen Erkrankungen registriert.
In beiden Ländern wird nicht gegen BVD geimpft.
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Hochgradige Blutbeimengung bei
einem Kalb mit Durchfall.
Punktförmige Blutungen auf der Maulschleimhaut
eines Kalbes mit Blutungsneigung.
Schwere Knochenmarkschädigung
Faktoren dabei eine Rolle spielen,
ist Gegenstand zahlreicher komplizierter und möglicherweise langwieriger Forschungsarbeiten.
Auch wenn das klinische Bild
und die Befunde inzwischen hinreichend bekannt sind und somit nicht
mit jeder Probe ein Fortschritt für
die Ursachenfindung zu erwarten
ist, sind Patienten und Blutproben
zur Dokumentation und Bestätigung der auftretenden Fälle sehr
wichtig, und zwar nicht nur zur
Information über regionales Auftreten sowie zum Nachweis von
Bei der Sektion verendeter oder
eingeschläferter Kälber findet man
erwartungsgemäß Blutungen in verschiedenen Körperregionen und
auch Organveränderungen infolge
der Begleiterkrankungen. Der markanteste Befund ergibt sich in allen Fällen bei der Untersuchung des
Knochenmarks. Dieses ist von geleeartiger Beschaffenheit und enthält
nur noch wenige bis keine Vorläuferzellen der Blutplättchen und anderer
Blutzellen. Diese Befunde sprechen
für eine massive Knochenmarkschädigung (Friedrich et al., 2009).
Von allen betroffenen Kälbern
und ihren Müttern wurden Blutproben auf BVD-Virus und zum
Teil auf das Virus der Blauzungenkrankheit untersucht. Das Ergebnis war immer negativ. Die Untersuchung auf Antikörper gegen das
Blauzungenvirus war abhängig davon, ob das Muttertier geimpft war.
Antikörper gegen das BVD-Virus
konnten sowohl bei den Kälbern als
auch bei ihren Müttern mit wenigen
Ausnahmen nachgewiesen werden.
Dies ist nicht verwunderlich, da die
Mütter (mit wenigen Ausnahmen)
BVD-geimpft waren (siehe Kasten). Untersuchungen einzelner
Kälber auf verschiedene Chemikalien und Giftstoffe, von denen
bekannt ist, dass sie vergleichbare
Blutungserscheinungen verursachen können, verliefen immer negativ (Friedrich et al., 2009*).
bestandsweise gehäuften Verlusten, sondern auch in Fällen, in denen der Verdacht besteht, dass die
Erkrankung der Kälber in Zusammenhang mit dem Einsatz einer
Vakzine bei den Muttertieren steht.
Zur Meldung solcher Fälle an das
Paul-Ehrlich-Institut ist ein spezieller Meldebogen entworfen worden. Betroffene Landwirte sollten
sich an ihren Hoftierarzt wenden.
Mit dem Erstkolostrum erhält das
Kalb die stallspezifischen Abwehrstoffe, die es für seinen Immunstatus
braucht. Lesen Sie dazu den Beitrag
zur Kolostrumversorgung auf dieser
Seite.
Dr. Günter Rademacher
Dr. Annette Friedrich
Prof. Wolfgang Klee
Klinik für Wiederkäuer, LMU München
*) Friedrich A., Rademacher G., Weber B.K., Kappe E., Carlin A., Assad A., SauterLouis C., Hafner-Marx A., Büttner M., Böttcher J., Klee W.: Gehäuftes Auftreten
von hämorrhagischer Diathese infolge Knochenmarkschädigung bei jungen Kälbern.
Tierärztl. Umschau 2009, 64, 423–431.
Die Basis für die Kälbergesundheit
Optimales Versorgen des Kalbes mit Kolostrum unbedingt nötig
I
m Zusammenhang mit der Blutungsneigung junger Kälber ergaben sich Hinweise, dass mit
dem Kolostrum „Agenzien“ auf
das neugeborene Kalb übertragen werden, die zu einer Schädigung des Knochenmarks führen,
woraus letztendlich die Blutungsneigung betroffener Kälber resultiert. Dies hat im Hinblick auf die
Empfehlungen zur Kolostrumversorgung zu einer erheblichen Verunsicherung von Rinderhaltern,
Beratern und Tierärzten geführt.
Nachfolgend werden deshalb die
wesentlichen Sachverhalte zur Kolostrumversorgung neugeborener
Kälber dargestellt und ihre Bedeutung besonders unterstrichen.
Das Kalb wird in eine „feindliche“, mit zahlreichen (mehr oder
weniger gefährlichen) Krankheitserregern belastete Umwelt hinein
geboren. Es muss sich mit diesen
Keimen bereits während des Geburtsvorganges auseinandersetzen.
Aufgrund der besonderen Verhältnisse in der Gebärmutter des Rindes
bekommt das Kalb die Schutzstoffe (Antikörper) gegen die stallspezifischen Erreger (besonders Viren und Bakterien) nicht schon
während der Trächtigkeit über das
Blut, sondern ausschließlich über
die Biestmilch (Kolostrum).
Im Erstkolostrum sind diese
Schutzstoffe besonders angereichert. Zudem ist es sehr reich
an Vitaminen und anderen Wirkstoffen. Nicht zu Unrecht wird das
Erstkolostrum (besonders älterer)
gesunder Kühe als stallspezifische
Medizin bezeichnet, die durch
nichts zu ersetzen ist. Das Kalb
wird also ohne jede Abwehr geboren. Es ist somit schutzlos den Erregern ausgesetzt. Daher ist es von
zentraler Bedeutung, dass das Neugeborene nach der Geburt sobald
wie möglich über das Erstkolostrum mit den stallspezifischen Antikörpern versorgt wird. Dies ist entscheidend für seine Abwehrkraft,
den Immunstatus des Kalbes.
Empfehlungen
Für Betriebe, in denen bereits
Bluterkälber aufgetreten sind, wird
hinsichtlich der Kolostrumversorgung Folgendes empfohlen: Da
man weiß, dass viele „Bluterkälber“ letztendlich an schwer verlauFortsetzung auf Seite 44
Foto: Klinik für Wiederkäuer
Fazit
Gegenwärtig kann davon ausgegangen werden, dass die Schädigung des Knochenmarks (und
möglicherweise sich schon im strömenden Blut befindender Zellen) das zentrale Ereignis in einem
sehr komplexen Krankheitsgeschehen darstellt. Aus Beobachtungen
von Landwirten und Tierärzten sowie von Ergebnissen wissenschaftlicher Untersuchungen ergaben
sich Hinweise, dass bei einem Teil
der Kühe, unter bestimmten Voraussetzungen, mit dem Kolostrum
vermittelte (übertragene) „Agenzien“ für diese Knochenmarkschädigung verantwortlich sind. Welche
Punktförmige Blutungen an den Lidrändern und
flächenhafte Blutungen in der weißen Augenhaut.
Die Aufstallung neugeborener Kälber in keimarmer Umgebung ist neben der Kolostrumversorgung eine weitere
wesentliche Säule im Hinblick auf die Verringerung von Kälberkrankheiten.