Probiotika bei Diarrhöen - Heinrich-Heine
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Probiotika bei Diarrhöen - Heinrich-Heine
6. Jahrgang, 5. Ausgabe 2012, 142-162 - - - Rubrik Fortbildungsartikel - - - Probiotika bei Diarrhöen Diarrhö Klinische Verwendung Typen von Probiotika Therapeutische Sicherheit Wirkmechanismen Stellenwert in der Apotheke Probiotika bei Diarrhöen - 143 - Probiotika bei Diarrhöen Ziba Mahdizadeh, Sema Sarica* Fachbereich Pharmazie Heinrich - Heine Universität Düsseldorf *Korrespondenzadresse: Sema Sarica Fachbereich Pharmazie Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf Moorenstr. 5 40225 Düsseldorf [email protected] Lektorat: Prof. Dr. Georg Kojda, Institut für Pharmakologie und Klinische Pharmakologie Universitätsklinik, Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf Apothekerin Stephanie Kumpf, Institut für Pharmakologie und Klinische Pharmakologie Universitätsklinik, Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf Den Fortbildungsfragebogen zur Erlangung eines Fortbildungspunktes zum Fortbildungstelegramm Pharmazie finden Sie hier: http://www.uni-duesseldorf.de/kojda-pharmalehrbuch/FortbildungstelegrammPharmazie/Kurzportraet.html Titelbild : Universitätsbibliothek New York , Urheber: Photoprof, Lizenz: Fotolia Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(5):142-162 Probiotika bei Diarrhöen - 144 - Abstract Probiotics are microbial non-pathogenic microorganisms which are suitable for use as pharmaceuticals and can be ingested in foods. They colonize the intestine and exhibit health-promoting effects on the human organism which is partly attributable to improve defensive performance. They are especially useful for the prevention or the treatment of gastrointestinal disorders and are additionally used to support the intestinal flora. In recent years probiotics have become a major subject of clinical studies. Most preparations contain both strains of bifidobacteria or lactobacillus and yeast from saccharomyces strain. Numerous studies have demonstrated the efficacy of probiotics in a wide area of indications. Particularly noteworthy is the diarrhea which is a big problem, especially with regard to the treatment of symptoms. Thus, the results from clinical studies show the potential impact of probiotics in faster recovery, removal and reduction of all symptoms according gastroinstestinal diseases. However, since there is heterogeneity but no homogeneity in terms of a global statement about the effectiveness of probiotics, further research in the future is needed. Since serious side effects are usually missing, probiotics are generally considered to be safe. Nevertheless immunosuppressed patients or patients suffering from pancreatitis and children under two years should be excluded because of potentially severe side effects. Abstrakt Probiotika sind apathogene Mikroorganismen, die zur Anwendung als Arzneimittel und Nahrungsergänzungsmittel geeignet sind. Sie siedeln sich im Darm an und zeigen gesundheitsfördernde Wirkung auf den menschlichen Organismus, welche unter anderem auf einer Verbesserung der Abwehrleistung beruht. Sie werden besonders zur Prävention oder zur Behandlung von gastrointestinalen Störungen und zusätzlich zur Unterstützung der Darmflora eingesetzt. Probiotika sind in den letzten Jahren zu einem bedeutenden Gegenstand der Forschung geworden. Die meisten Präparate beinhalten sowohl Stämme der Bifidobakterien oder Laktobazillen als auch Hefen vom Saccharomyces Stamm. Zahlreiche Studien belegen die Wirksamkeit der Probiotika in einem umfassenden Indikationsgebiet. Besonders hervorzuheben ist die Diarrhö, die ein großes Problem im Hinblick auf die Therapie der Symptome darstellt. Ergebnisse aus klinischen Forschungen zeigen den möglichen Einfluss der Probiotika im Sinne schnellerer Genesung, d.h. eine Aufhebung und Verkürzung sämtlicher Symptome von Erkrankungen im Gastrointestinaltrakt. Da jedoch eine Heterogenität im Hinblick auf eine globale Aussage über die Wirksamkeit der Probiotika besteht, bedarf es in Zukunft weiterer Forschung. Da gravierende Nebenwirkungen üblicherweise fehlen, gelten Probiotika generell als sicher. Dennoch sollten immunsupprimierte oder an Pankreatitis erkrankte Patienten und Kinder unter zwei Jahren aufgrund teilweise lebensbedrohlicher Nebenwirkungen von einer Therapie ausgeschlossen werden. Einleitung Der Begriff Probiotika leitet sich aus dem Griechischen „pro Bios“ (für das Leben) ab (Weblink 1). Dabei handelt es sich um lebende vermehrungsfähige Mikroorganismen, die in ausreichender Menge verabreicht die Darmflora beeinflussen und art- und stammspezifisch positive gesundheitliche Wirkungen erzielen. Probiotika werden entweder als Lebensmittel zur Nahrungsergänzung oder als Arzneimittel in den Handel gebracht, wobei man jedoch die Grenze zwischen Nahrungsergänzungsmittel und evidenzbasierter Medizin zu therapeutischen Zwecken ziehen muss. Diesen werden unterschiedliche Bakterienstämme zugesetzt, die sich in ihrer Art, Menge und Indikationsgebiet unterscheiden. Dabei kommen Bakterien (z.B. Bifidobacteria spp. und Lactobacillus spp.) oder Hefepilze (z. B. Saccharomyces boulardii) zum Einsatz. Von besonderer Bedeutung sind Probiotika bei der Behandlung infektiöser oder entzündlicher Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes, unter anderem Antibiotika-assoziierte Diarrhö Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(5):142-162 Probiotika bei Diarrhöen - 145 - und Colitis ulcerosa, deren positive Wirkungen durch randomisierte klinische Studien belegt sind (1). Weitere Indikationsgebiete, die atopische Hauterkrankungen betreffen oder auf dem immunregulatorischen Potential der Probiotika beruhen, sind noch nicht ausreichend belegt und bedürfen weiterer Forschung. Abzugrenzen von Probiotika sind Präbiotika. Auch Präbiotika werden zu Lebensmitteln zugesetzt, um die Zusammensetzung der Darmflora zu beeinflussen. Sie unterscheiden sich jedoch darin, dass sie als unverdaubare Bestandteile im Darm die Aktivität der natürlichen Darmbakterien wie Laktobazillen und Bifidobakterien fördern und als Nahrungsgrundlage für diese dienen. Meistens bestehen Präbiotika aus Kohlenhydraten wie Di-, Oligo- und Polysacchariden, Inulin, Lactulose, Stachyose sowie Fructan und der Oligofructose (Weblink 2). verursachen. Bifidobakterien und Laktobazillen sind mit gesundheitsfördernden Eigenschaften assoziiert, während beispielsweise Clostridien und E. coli auch gesundheitsschädlich sein können. Normalerweise besteht ein Gleichgewicht zwischen apathogenen und potenziell pathogenen Mikroorganismen. Der menschliche Magen-Darm-Trakt Der menschliche Magen-Darm Trakt ist kontinuierlich einer Umgebung fremder Substanzen und Mikroben ausgesetzt. Ungefähr 400 verschiedene Darmbakterien kolonisieren den Darm, wobei diese in den verschiedenen Segmenten in ihrer Art und Keimzahl variieren. Von physiologischer Bedeutung im Gastrointestinaltrakt sind diese Mikroorganismen aufgrund ihrer metabolischen und trophischen Funktion (2, 3). Die mikrobielle Darmbesiedlung ist verantwortlich für die spezifische und unspezifische Immunantwort des darmassoziierten Immunsystems und spielt eine Rolle in der Immunmodulation (Weblink 3). Sie ist für das Darmmilieu auch deshalb unverzichtbar, weil sie als Barriere gegenüber Pathogenen fungieren kann (4). Sie unterstützt die Verdauung der Nahrungsbestandteile, regt die Darmperistaltik an, nimmt an der Detoxifizierung von Xenobiotika teil und produziert kurzkettige Fettsäuren wie Butyrat oder Essigsäure (Weblink 1). Erkrankungen In Tab. 1 und Abb. 1 sind die Besiedlungen der verschiedenen Darmareale mit unterschiedlichen Bakterienarten illustriert. Während ein Großteil der Darmflora gutartige oder gesundheitsfördernde Eigenschaften hat, besitzen einige das Potenzial Krankheiten zu Abb.1 Besiedlung der Darmbakterien in unterschiedlichen Arealen des Darmtraktes (nach (2)). Sobald dieses physiologische Gleichgewicht durch Umweltfaktoren oder physiologische Ursachen gestört wird, ist die Prädisposition für Infektions- und immunentzündliche Krankheiten erhöht. Die veränderte Zusammensetzung und Fehlbesiedlung der Darmbakterien sowie eine gestörte Mukosabarriere sind die wichtigsten Ursachen bei der Entstehung von chronisch entzündlichen und akut pathologischen Veränderungen der Darmschleimhaut (Weblinks 3, 4). Auch können anatomische Veränderungen im Intestinaltrakt schwerwiegende Ursachen einer Darmerkrankung sein (z.B. Morbus Crohn). Eine weitere Beeinträchtigung der Darmflora kann ebenfalls mit oral verabreichten Medikamenten, unter anderem Antibiotika, einhergehen. Die Antibiotika-assoziierte Diarrhö stellt eine Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(5):142-162 Probiotika bei Diarrhöen - 146 - akute Darmstörung dar, die mit oder nach einer Antibiotikatherapie einhergeht. Eine der häufigsten gemeinsamen Symptome bei all diesen Dysfunktionen Zwölffingerdarm ist die Diarrhö (5). Abb. 2 zeigt die Darmbesiedlung sowohl beim gesunden als auch beim kranken Darm. Dünndarm (bezogen auf 1g Darminhalt) Dickdarm 10¹ - 10³ Lactobacillus 10³-106 Lactobacillus 103 -105 Laktobacillus 10¹ - 10³ Enterococcus 10³-106 Enterococcus 102 - 107 Enterococcus 10² Enterobacteria 10³-106 Enterobacteria 105 - 107 Enterobacteria 10² Bacteroides-, Prevotella-,Porphyromonas-Gruppen 104 -107 Bacteroides-, Prevotella-, PorphyromnasGruppen 109 - 1010 Bacteroides-, Prevotella-,PorphyromonasGruppen 109 - 1010 Bifidobacteria 103 - 105 Chlostridien 103 Staphylococcus Tab.1 Besiedlung von unterschiedlichen Darmbakterien eingeteilt in Darmarealen (nach Weblinks 3, 4). Abb.2 Darmbesiedlung bei gesundem und krankem Darm. Eine der wichtigsten Ursachen der Entwicklung chronisch entzündlicher Krankheiten ist die veränderte Darmbesiedlung durch Fremdbakterien (modifiziert nach 2). Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(5):142-162 Probiotika bei Diarrhöen - 147 - Diarrhö Unter Diarrhö versteht man eine vermehrte Stuhlfrequenz von mehr als drei Stuhlentleerungen/Tag einhergehend mit einem Stuhlgewicht von über 200 g/Tag mit veränderter also wässriger und/oder breiiger Konsistenz, über eine Dauer von mindestens zwei Wochen. Meistens wird sie begleitet von Übelkeit, krampfhaften Schmerzen und abdominalen Koliken (6). Das Wort Diarrhö kommt aus dem Griechischen und setzt sich aus „dia“(durch) und „rhein“-(fließen) zusammen. Es handelt sich dabei um keine Krankheit, sondern um ein Symptom, das Haupt- oder Begleitsymptom zahlreicher Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts, aber auch extraintestinaler Erkrankungen sein kann (Weblink 5). In Deutschland leidet pro Jahr fast jeder dritte ein paar Tage unter Durchfall, der jedoch in der Regel harmlos und von kurzer Dauer ist, falls keine anderen pathologischen Probleme bestehen (Weblink 6). Lebensbedrohlich wird der Durchfall, wenn er länger besteht und dadurch zu einem Flüssigkeits - und Mineralverlust des Körpers führt. Besonders davon betroffen sind Kinder und ältere Menschen (Weblink 7). Jährlich treten vier Milliarden Durchfallepisoden weltweit auf, die 4 % aller Todesfälle ausmachen. Besonders in Entwicklungsländern ist die Zahl der Todesfälle pro Jahr sehr hoch (7). Es gibt zwei Arten von Diarrhöen, die man hinsichtlich der Diagnose und Therapie unterscheiden muss. Plötzlich und nicht länger als zwei Wochen auftretende Diarrhö bezeichnet man als akut, wenn sie aber länger als zwei Wochen besteht, spricht man von chronischer Diarrhö. Diarrhöen lassen sich auf vier unterschiedliche Mechanismen zurückführen: • die intestinale Ionensekretion ist erhöht oder die normale aktive Ionenresorption ist gehemmt (sekretorische Diarrhö) • eine gestörte intestinale Motilität geht einher mit erhöhter propulsiver Muskelkontraktion • Schleime, Blut und Proteine werden aus entzündetem Gewebe abgesondert und steigern die Permeabilität des zerstörten Darmepithels (entzündliche Diarrhö) • ungewöhnliche Mengen schlecht oder überhaupt nicht resorbierbarer, osmotisch wirksamer Substanzen besiedeln den Darm (osmotische Diarrhö) (Weblink 5). Ursachen der Diarrhö Diarrhöen können sehr unterschiedliche Ursachen haben. Hierzu zählen Infektionskrankheiten, eine durch Therapie mit bestimmten Medikamenten gestörte Darmflora, eine Dysfunktion des Darmes, pathogene Parasiten oder auch psychische Umstände. Für die Feststellung vermutlicher Ursachen wird eine ärztliche Untersuchung samt Labordiagnosen benötigt. Der häufigste Grund infektionsbedingter Diarrhöen sind akute Magen- und Darminfektionen durch Kolibakterien, Staphylokokken, Salmonellen oder Viren wie z.B. Noroviren. Mit diesen Erregern kontaminierte Lebensmittel oder Trinkwasser können Verursacher der sogenannten Reisediarrhö sein. Zu den schweren Darminfektionen zählen Typhus (Salmonella Typhi), Ruhr (Shigellen oder Amöben) und Cholera (Vibrio Cholerae). In Industriestaaten sind diese Durchfallerkrankungen eher selten, in tropischen Gebieten und Entwicklungsländern hingegen ist das Risiko weit größer. Die Übertragung erfolgt auch hier durch kontaminiertes Trinkwasser und Lebensmittel. Nebenwirkungen bestimmter Medikamente wie Antibiotika sind ebenfalls Grund akuter Durchfälle, die sich vor allem bei Kindern und älteren Menschen stark bemerkbar machen (8, 9). Die Inzidenz während oder nach einer Antibiotikatherapie an Durchfall zu leiden variiert bei Erwachsenen zwischen 5-25 %, bei Kindern liegt sie bei 11 % (10, 11). Länger dauernde chronische Durchfälle können entweder harmlose Ursachen haben oder aber auch ein Symptom für schwerwiegende behandlungsbedürftige Krankheiten sein und bedürfen der exakten diagnostischen Abklärung. Hier können sich gewisse Lebensmittelallergien, chronisch entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa, Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse und der Gallenblase, Diabetes mellitus, im schlimmsten Falle sogar Darmkrebs als Auslöser verbergen. Eine weitere Rolle spielen aber auch psychische Zustände. Angst, Stress und Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(5):142-162 Probiotika bei Diarrhöen - 148 - Nervosität beeinflussen ebenfalls die Darmmotilität und können Durchfälle auslösen (Weblinks 8-10). Therapie Die Prävention und Behandlung der Diarrhö ist allgemein eine wichtige Herausforderung für das Gesundheitswesen. Für chronische Durchfälle basierend auf chronischen Erkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa sind entsprechend der vorgesehenen Leit- und Richtlinien durch den Arzt Therapiemaßnahmen vorzunehmen. Für die Therapie der akuten Diarrhö gibt es jedoch keine eindeutige Orientierung, obwohl sie als Symptom in vielen Leitlinien zu finden ist (Weblink 10). Dennoch sollte sich die Therapie der akuten Diarrhö nach Krankheitsbild und Schweregrad der Erkrankung richten und mit sofortiger Maßnahme erfolgen. Für die Therapie ist es erforderlich als erste Maßnahme den Flüssigkeits- und Mineralstoffverlust auszugleichen. Bei leichteren Fällen genügt es den Verlust durch mineralstoffhaltige Getränke zu ersetzen. Bei schweren und länger dauernden Durchfällen, sollte eine orale Flüssigkeitssubstitution mit der WHOGlukose-Elektrolyt-Trinklösung (ORS = Oral Rehydration Solution, SSS = Simple Sugar-Salt-Solution) verabreicht werden. Die WHO-Salz/Zuckerlösung gehört zu den „essential drugs“ der WHO und stellt eine unverzichtbare und unter Umständen lebensrettende Maßnahme im Rahmen der Flüssigkeit- und Elektrolytsubstitution dar. In Apotheken sind entsprechende Granulate zur Herstellung der Lösung erhältlich. Diese sind zusammengesetzt aus wasserfreier Glucose (20 g), Natriumhydrogencarbonat (2,5 g), Natriumchlorid (3,5 g), Kaliumchlorid (1,5 g), die man in einem Liter Wasser auflöst (Weblinks 10-15). Besonders bei Kindern und Säuglingen sowie bei älteren Menschen ist der Flüssigkeitsersatz aufgrund der Gefahr der schnellen Dehydratation und Exsikkose sehr wichtig. Weitere Maßnahmen sind der Verzicht auf Alkohol und Milchprodukte und eine Ernährungsumstellung. Wenn eine Darmerkrankung, wie Morbus Crohn, Colitis ulcerosa oder Darmtumoren den Durchfall auslöst, ist eine gezielte Behandlung dieser Grunderkrankung notwendig. Sind nach den ersten Maß- nahmen die Symptome jedoch nicht beseitigt, kommen in Tab. 2 (siehe Anhang) aufgelistete Arzneimittel als Antidiarrhoika infrage. Typen von Probiotika Als Probiotika werden Zubereitungen mit lebenden apathogenen Mikroorganismen bezeichnet, die in ausreichender Menge verabreicht die Darmflora beeinflussen und dadurch positive gesundheitliche Auswirkungen entfalten (Weblink 16). Sie markieren eine „Grauzone zwischen Lifestyle-Foods und Medizin“ (Weblink 17). So sind mögliche Indikationsgebiete zahlreicher Probiotika untersucht worden, die Bakterienstämme der Bifidobacteria ssp., Lactobacillus ssp. und Lactococcus ssp., einige Stämme der Escherichia coli und Streptoccocus ssp. und Hefepilze vom Saccharomyces boulardii enthielten. Probiotika sind in verschiedenen Zubereitungen und Rezepturen erhältlich. Als Lifestyle-Foods werden Probiotika Milchgetränken oder Joghurts zugesetzt und zur medizinischen Anwendung kommen sie in Form von Kapseln, Granulaten oder Suspensionen in den Handel. Die genannten Bakterienstämme werden einzeln oder in Kombination zu den möglichen Zubereitungen zugesetzt, unterscheiden sich jedoch in der zugesetzten Menge an Organismen. Auch muss man hinsichtlich der Indikationsgebiete die Arten der Bakterienstämme unterscheiden, da sich die Eigenschaften der Mikroorganismen nicht auf andere übertragen lassen. Ergebnisse aus wissenschaftlichen Studien mit einem bestimmten Bakterienstamm sind nicht auf andere übertragbar. Eine genaue Angabe über die Keimzahl wird nicht getroffen, jedoch spricht man im Allgemeinen davon, dass „aktive“ Probiotika über 100 Millionen, aber weniger als 10 Milliarden Organismen pro Dosis enthalten sollen, um Effektivität zu gewährleisten (1). Die Wirksamkeit der Probiotika beruht auf den gesundheitsfördernden Eigenschaften bei inflammatorischen oder infektiösen Erkrankungen des Gastrointestinaltraktes. Man nimmt an, dass sie die Fähigkeit besitzen die intestinale Durchlässigkeit zu regulieren, die Darmflora zu normalisieren, die Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(5):142-162 Probiotika bei Diarrhöen - 149 - Barrierefunktion zu verbessern und das Gleichgewicht zwischen pro- und antiinflammatorischen Zytokinen aufrechtzuerhalten (1). Wie erwähnt sind probiotische Eigenschaften stammspezifisch. Daher ist es erforderlich die Wirkungen für jeden Bakterienstamm zu untersuchen. Es kommen eine Reihe von Anforderungen im Bezug auf die Beschaffenheit der Stämme zu, um das Überleben im menschlichen Körper zu gewährleisten und ihre potentielle gesundheitsfördernde Effekte zu erzielen. An erster Stelle steht die gesundheitliche Unbedenklichkeit probiotischer Bakterien. Sie dürfen nicht pathogen oder gar toxisch sein. Des Weiteren ist die Magen- und Gallensäureresistenz eine der wichtigsten Voraussetzungen. In Anlehnung an die Probiotika-Definition der WHO müssen Probiotika die Magen-Darm Passage überleben und in aktiver Form und ausreichender Menge den Darm als Zielorgan erreichen (Weblink 16). Diese Voraussetzung erfüllen die wenigsten eingesetzten Bakterienstämme. Sobald das Probiotikum das Zielorgan erreicht hat, ist die nächste wichtige Anforderung die Adhäsion an die Mucosaoberfläche des Darms bzw. der darunter liegenden Epithelien. Hieraus resultiert die weitere Kolonisation dieser Bakterien (12). Präparate in der Apotheke Durch die zunehmende Forschung an Probiotika ist die Anzahl der Präparate, die als „Medizin“ in der Apotheke zu erwerben sind enorm gestiegen. In Tab. 3 (siehe Anhang) sind gängige apothekenpflichtige Präparate aufgelistet. Produkt Keim Kühlregal Wie erwähnt stellen Probiotika eine „Grauzone zwischen Lifestyle und Medizin“ dar. Die Abgrenzung sorgt für Schwierigkeiten, so werden nicht selten in den Medien Lebensmittel beworben, denen probiotische Bakterienkulturen zugesetzt werden. Diese Produkte versprechen mit Werbeslogans wie „Actimel-Aktiviert die Abwehrkräfte“ oder „ Yakult; Fühle deine innere Kraft“ positive Einflüsse auf das körperliche Wohlbefinden (Weblinks 18, 19). In den meisten Fällen fehlt jedoch die wissenschaftliche Evidenz. Angaben zur Menge und Art der probiotischen Kulturen sind entweder sehr vage gehalten oder fehlen komplett (Weblink 17).Wie im vorangegangen Thema schon geschildert wurde, ist gerade die Menge der Keime entscheident für eine erfolgreiche Wirkung. Es handelt sich somit um klassische, von der Werbung unterstützte Pseudoplacebos, die für ein positives subjektives Empfinden sorgen. Die Keime sollten somit nicht arzneilich verwendet werden. Auch werden zum Teil Studien durchgeführt, deren Ergebnisse positiv ausfallen und eine Wirkung der Milchgetränke belegen, die jedoch im Hinblick auf Studiendesign und Auswertung der Ergebnisse erhebliche Defizite aufweisen. Es ist wichtig Abgrenzungskriterien zwischen „Lebensmittel und Medizin“ festzulegen, um auch in rechtlicher Hinsicht eine Linie aufzubauen, die sowohl den Ärzten als auch den Apothekern im Hinblick auf Beratung und Therapiemöglichkeiten mit Probiotika eine einheitliche Orientierung verschafft. In Tab. 4 sind einige prominente Präparate aufgelistet, die in „Kühlregalen“ zu erwerben sind. Anzahl Wirkung Actimel® L. Casei Defensis 1010 Unterstützung der körpereigene Darmflora ,Verbesserung der Barrierefunktion, Erhöhung der Aktivität wichtiger Abwehrzellen Yakult® Lactobacillus casei Shirota 1010 Stärkung der Allergie-„Abwehr“ Regulierung des Gleichgewichts der Darmflora , Förderung eines gesunden Lactobacillus LC1 ® -Verdauungssystems, Verminderung er johnsonii La1 Beschwerden wie Blähungen und Verstopfung Tab.4 Präparate erhältlich in Supermärkten, die probiotische Kulturen beinhalten (Weblinks 17-18). Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(5):142-162 Probiotika bei Diarrhöen - 150 - Wirkmechanismen Es existieren zahlreiche Daten aus Studien über den Wirkmechanismus, jedoch ist der exakte bis jetzt nicht aufgeklärt. Der aktuelle Mechanismus beruht auf tierexperimentellen Ergebnissen, wo protektive Modulationen einzelner Wirtsfunktionen durch Probiotika nachgewiesen wurden (13, 14). Das zentrale Ziel der Probiotikatherapie richtet sich auf die Aufrechterhaltung oder Regenerierung der Barriere-, Immun- und Stoffwechselfunktion des Darmes. In Abb. 3 wird der postulierte Wirkmechanismus auf multifaktorieller Ebene geschildert (modifiziert nach 14). Probiotika hemmen die Adhärenz der pathogenen Bakterien und schließen die mikrobiellen Krankheitserreger aus. Die Aufrechterhaltung der Barrierefunktion gelingt dadurch, dass die tight junctions–Proteine intakt gehalten werden und somit die Aufnahme von intakten Makromolekülen und die Translokation von lebensfähigen Organismen in die Mesenteriallymphknoten verhindert wird. Andererseits besitzen probiotische Stämme die Fähigkeit zur Modulation von Signaltransduktionswegen. Sie blockieren die Aktivierung und Translokation von nuclear factor-kappa B (NFKB), Interferon-γ (IFN) und Mitogenaktivierten Proteinkinasen in den Zellkern des Transkriptionsfaktors. In die Immunabwehr greifen Probiotika durch eine Kaskade von Signalen ein. Sie können die Produktion und Sekretion von entzündungshemmenden Zytokinen, einschließlich Interleukin-10 (IL-10) und dem transformierenden Wachstumsfaktor-β (TGF-β) über eine Untergruppe von Immunzellen, die als regulatorische TZellen gelten, stimulieren. Des Weiteren spielt die humorale Immunantwort auf Probiotika eine Rolle, in dem sie eine verbesserte Produktion von Immunglobulinen, einschließlich des sekretorischen Immunglobulin A (lg A), auslöst (14). Klinische Verwendung Der Einsatz der Probiotika wurde seit dem letzten Jahrzehnt sowohl bei der Behandlung als auch bei der Prävention von Durchfallerkrankungen zunehmend erforscht. Aus der Datenlage der Studien sind vielfältige Einsatzgebiete ersichtlich. Sie werden in vielen Ländern in der klinischen Praxis eingesetzt. Die überwiegende Mehrheit der Studien zeigen statistisch signifikante Vorteile bei der Prophylaxe und Therapie von Diarrhöen. In Tab. 5 sind die Indikationsgebiete, nach unterschiedlichem Evidenzgrad eingeteilt, aufgelistet (1). Abb.3 Der prostulierte Wirkmechanismus der Probiotika .Das zentrale Ziel der Probiotikatherapie richtet sich auf die Aufrechterhaltung oder Regenerierung der Barriere-, Immun- und Stoffwechselfunktion des Darmes (modifiziert nach 14). Prophylaktischer Einsatz In vielfältigen ausgeweiteten klinischen Studien wird mittels verschiedener Bakterienstämme, unterschiedlicher Einsatzdosen und Analysenmethoden das Potenzial der Probiotika zur Behandlung und Vorbeugung der Diarrhö untersucht. Zahlreiche Studien aus älterer und jüngster Zeit liegen zur Wirksamkeit von Probiotika sowohl zur Therapie als auch zur Prävention bei Kindern und bei Erwachsenen vor. Eine der aussagekräftigsten Untersuchungen ist die Metaanalyse von Sazawel et al. (16). Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(5):142-162 Probiotika bei Diarrhöen - 151 - Evidenzbasierte Effekt Nicht evidenzbasierte Effekte Einzelfallberichte Akute (virale) Gastroenteritis Chronische Verstopfung Akute Pankreatitis Antibiotika-assoziierte Diarrhö Zystische Fibrose kollagene Kolitis Pouchitis Helicobacter pylori gastritis1 kolorektales Karzinom Reisediarrhoe Colitis ulcerosa Nicht-alkoholische Steatohepatitis Reizdarmsyndrom (IBS) Morbus crohn mit künstlicher Ernährung assoziierter Durchfall Laktose-Intoleranz Tab. 5: Einsatzgebiete der Probiotika klassifiziert nach Evidenzgrad (1) Es handelt sich hierbei um eine umfassende Metaanalyse von 34 randomisierten, Placebo-kontrollierten Doppelblindstudien, die die Evidenz der Wirksamkeit von Probiotika in der Prävention akuter Durchfälle, unter Betrachtung von unterschiedlichen Altersgruppen der Probanden und Arten der Diarrhö zusammenfasst. Dabei unterscheidet sich auch die Menge und Art der Bakterienstämme, die den Probiotika zugesetzt werden, als auch die Zubereitung und Rezeptur. Anhand der Auswertung der Studien konnte belegt werden, dass Probiotika folgende Risiken reduzieren: • Antibiotika-assoziierte Diarrhö um 52 % (95 % CI 35-65 %), • Reisediarrhö um 8 % (95 % CI 621 %), • akute Durchfälle durch verschieden Ursachen um 34 % (95 % CI 853 %) Signifikante Ergebnisse liefern Auswertungen zur Reduzierung des Durchfallrisikos bei Kindern um 57 % und bei Erwachsenen um 26 %. Für diese Metaanalyse wurden 690 Publikationen ausgewählt und nach Ein- und Ausschlusskriterien genauer untersucht, wobei am Ende insgesamt 34 zur detaillierten Auswertung herangezogen wurden. Die 34 Studien umfassten 4844 Probanden, wobei die Altersspanne zwischen 6 Monaten und 71 Jahren lag. 12 dieser klinischen Studien wurden mit Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren, 21 mit Erwachsenen über 18 Jahren durchgeführt. Nur eine Studie umfasste Probanden zwischen 10-80 Jahren. Hinsichtlich der protektiven Wirkung der einzelnen Bakterienstämme, wie Lactobacillus rhamnosus GG, Lactobacillus acidophilus, Lactobacillus bulgaricus und Saccharomyces boulardii, konnte untereinander nicht signifikant unterschieden werden. In Tab. 6 und Tab. 7 sind die Ergebnisse der Studienzusammengefasst. Arten der Diarrhö Gesamtreduktion des Diarrhörisikos Antibiotikaassoziierte Diarrhö 52 (%) Reisediarrhö 8 (%) Akute Diarrhö unterschiedlicher Ursache 34 (%) Tab. 6 Gesamtreduktion des Diarrhörisikos durch die Probiotika eingeteilt nach unterschiedlichen Typen der Diarrhö. Bei Menschen < 18 Jahre einschließlich Kindern war das Risiko Antibiotikaassoziierter Diarrhö (52 %) etwa doppelt so stark reduziert wie bei Menschen > 18 Jahre (26 %). Die Ursachen hierfür sind nicht bekannt (Daten aus der Metaanalyse von Sazawel et al. (16)). Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(5):142-162 Probiotika bei Diarrhöen - 152 - Probiotischer Stamm Reduktion der Diarrhö (%) Saccharomyces boulardii 52 Lactobacillus rhamnosus 28 Lactobacillus acidophilus /bulgaricus 30 andere kombinierte Stämme 52 Tab.7 Ergebnisse der Studien eingeteilt nach Bakterienstämmen. Sacchharomyces boulardii liefert die höchste Reduktion, dennoch liegt im Vergleich untereinander kein signifikanter Unterschied vor. Die eingeschlossenen Studien zeigen individuelle Unterschiede in Methode und Intervention. Die Größe des Effekts ist je nach Diarrhöart unterschiedlich. Wie aus der vorgestellten Metaanalyse hervorgeht, ist die Wirkung bei Antibiotikaassoziierter Diarrhö am größten, während sie bei der Therapie der Reisediarrhö schwächer ausfällt. Auch ist zu sehen, dass eine Vorbeugung der Diar- rhö sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern vorhanden ist, jedoch fällt das Ergebnis im Vergleich untereinander bei Kindern signifikanter aus. So zeigen Daten aus den medizinischen Forschungen ausreichende Evidenz für die Nutzung der Probiotika als Gesamtresultat. Dennoch sollte das Gesamtresultat nicht auf eine globale Empfehlung extrapoliert werden, da die Analyse keine Studie aus Entwicklungsländer in Betracht genommen hat. Therapeutischer Einsatz Eine prospektive Datenerhebung von Krammer et al. weist auf die Wirksamkeit und die Verträglichkeit des probiotischen Arzneimittels Escherichia coli Stamm Nissle 1917 (EcN) bei der Behandlung gastrointestinaler Störungen hin (17). Anhand 3807 Probanden aus 446 Zentren (Deutschland und Österreich), die mit EcN behandelt wurden, erhob man im Rahmen dieser Anwendungsbeobachtung prospektive Daten zu unterschiedlichen Indikationsgebieten (Abb. 4). Bei dem probiotischen Arzneimittel handelte es sich um Mutaflor®. Zwölf Wochen lang wurden Patienten unterschiedlichen Alters mit variierender Dosierung behandelt. Abb.4 Gastrointestinale Indikation bei denen E. coli Nissle verabreicht wurde (modifiziert nach 16). Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(5):142-162 Probiotika bei Diarrhöen - 153 - Aus der Datenerhebung resultiert eine für die Praxis gut verträgliche Therapie der Probiotika mit EcN. Im Mittel wurde die globale Wirksamkeit von 77,8 % Patienten bestätigt und 81,4 % der Therapeuten gaben eine gute bis sehr gute Bewertung ab. Insgesamt wurde eine Verbesserung im Bezug auf Stuhlfrequenz, Stuhlkonsistenz und Symptome wie abdominale Schmerzen und Meteorismus beobachtet. Die Daten dieser Erhebung liefern Erkenntnisse zur Probiotikatherapie bei einem recht ausgeweiteten Indikationsspektrum (Abb. 4). Bei der genannten Studie handelt es sich um eine sogenannte Beobachtungsstudie, deren Evidenz nicht mit dem der randomisierten Doppelblindstudien zu vergleichen ist. Insofern ist der Erkenntisgewinn im Hinblick auf die Wirksamkeit und Sicherheit des Arzneimittels recht begrenzt. Allerdings unterstützen andere verläßlichere klinische Studien die Ergebnisse der o.g. Datenerhebung. Beispielsweise belegten Henker et al. durch zwei prospektive randomisierte placebokontrollierte Doppelblindstudien die Reduktion der mittleren Durchfalldauer bei Kindern von 4,8 Tage auf 2,5 Tage. Gleichfalls konnte gezeigt werden, dass die Zeit bis zum Therapieansprechen signifikant reduziert wurde (18, 19). Beachtenswert ist der Stellenwert der EcN durch die Aufnahme in die Ausnahmeregelung der Anlage III der Arzneimittel-Richtlinie (Antidiarrhoika) des Gemeinsamen Bundesauschusses. Laut dieser erfüllen probiotische Arzneimittel mit dem Wirkstoff EcN mit mindestens 108 vermehrungsfähigen Zellen pro Dosiseinheit die entsprechende Voraussetzungen für eine Erstattungsfähigkeit durch die gesetzlichen Krankenkassen (Weblink 19). Darüber hinaus ist EcN Bestandteil der aktuellen Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der Colitis ulcerosa 2011 (20). Laut dieser Leitlinie kann bei Unverträglichkeit von Aminosalicylaten (Mesalazin), die als Goldstandard zur Therapie der Remissionserhaltung dienen, der apathogene EcN mit einem starken Konsens und hoher Empfehlungsstärke verabreicht werden. Dies wird durch zwei randomisierte Doppelblindstudien von Kruis et al. belegt (21, 22). In der randomisierten Doppelblindstudie von 2004 wurde über zwölf Monate die Wirksamkeit und Sicherheit des probiotischen Arzneimittels EcN zur Prävention von Rückfällen im Sinne des Auftretens von Durchfällen bei Patienten mit Colitis ulcerosa untersucht. Insgesamt schloss die Studie 327 Patienten ein, wobei die Verum-Gruppe den probiotischen Wirkstoff und die Vergleichs-Gruppe Mesalazin bekam. Das primäre Ziel der Studie war es, die gleichwertige Wirksamkeit („noninferiority“) von EcN gegenüber Mesalazin bei der Prävention von Rückfällen zu bestätigen. 40 von 110 (36,4 %) Patienten in der EcN-Gruppe und 38 von 112 (33,9 %) in der Mesalazin-Gruppe erlitten einen Rückfall. Es stellte sich also kein Unterschied zwischen den beiden Behandlungsgruppen bezüglich der Dauer und der Aufrechterhaltung der Remission im Vergleich zum Goldstandard Mesalazin dar (Abb. 5) (22). Abb. 5: Wahrscheinlichkeit des Remissionserhalts in der Escherichia coli Nissle 1917 (EcN) - und Mesalazin-Gruppe. Es stellte sich kein Unterschied zwischen beiden Gruppen bezüglich Dauer und Aufrechterhaltung der Remission dar (nach (22)). Therapeutische Sicherheit In Anbetracht der Grundanforderung an Probiotika apathogen und nicht toxisch zu sein, gilt allgemein die Annahme, dass Probiotika bedenkenlos eingenommen werden dürfen. In den Fachinformationen der gängigen Präparate wird die Dauer der Einnahme nicht beschränkt (23). Jedoch scheint diese Annahme der Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(5):142-162 Probiotika bei Diarrhöen - 154 - Bedenkenlosigkeit Gefahren mit sich zu bringen. Aufgrund der Tatsache der Stammspezifiät einzelner Stämme und noch unaufgeklärter Wirkmechanismen, sollte eine Verallgemeinerung vermieden werden. Neue Berichte und Studien aus den letzten Jahren haben den Grundstein zur Einschränkung der Probiotika bei schwer kranken Patienten gelegt. So belegt eine randomisierte placebokontrollierte Doppelblindstudie bei Patienten mit akuter Pankreatitis ein 2,5-fach erhöhtes Mortalitätsrisiko unter probiotischer Therapie (Abb. 6) (24). Die Patienten erhielten Milchsäurebakterien (L. acidophilus, L. casei, L. salivarius , L. lactis) und Bifidobakterien, die in kommerziell erhältliche Lebensmittel gemischt waren. Es zeigte sich eine erhöhte Mortalität in der Verumgruppe, die zum vorzeitigen Abbruch der Studie führte. Dieses Ergebnis sorgte für großes Aufsehen, woraufhin die Überprüfung der Sicherheit der Probiotika sowohl bei Risikopatienten als auch Schwangeren intensiviert wurde. Abb. 6: Kaplan-Meyer Analyse der Mortalität innerhalb der ersten 90 Tage nach Randomisierung. Es stellte sich bei Patienten mit akuter Pankreatitis ein 2,5fach erhöhtes Mortalitätsrisiko für Patienten, die Probiotika erhielten (nach 24). Von Dugoua et al. wurde eine Metaanalyse durchgeführt, die elf randomisierte klinische Studien einschloss, um die Sicherheit von Probiotika in der Schwangerschaft zu überprüfen. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass weder Lactobacillus spp. noch Bifidobakterien ssp. Geburtsgewicht, Gestationsalter oder Frühgeburt negativ beeinflussen (25). Allerdings ist die Studienlage über den Gebrauch der Probiotika bei Neugeborenen vage und uneinheitlich. Dies sei auf die nicht ausgereifte intestinale Barriere des Neugeborenen zurückzuführen (26). Zahlreiche Fallberichte und Übersichtsarbeiten berichten über Lactobacillus induzierte Septikämien und durch Saccharomyces-Stämme verursachte Fungämien. Besonders betroffen sind mit Zentralvenenkatheter oder einem peripheren Zugang versorgte immunsupprimierte Patienten. Die Studie von Muñoz P et al. stellte heraus, dass der Stamm Saccharomyces cerevisiae (Synonym mit S. boulardii), der auch als Probiotikum bei Menschen eingesetzt wird, Fungämien auslöste (27). Grundaussage dieser Fälle ist, dass hauptsächlich Patienten mit Immunsuppression, chronischen Erkrankungen und allgemeiner Schwäche von Septikämien oder Fungämien betroffen sein können. Bei gesunden Probanden wurde über solche Fälle nicht berichtet (28). Stellenwert in der Apotheke Die Nachfrage an Probiotika in der Apotheke ist in den letzten Jahren zunehmend gestiegen. Dabei ist der Einfluss der Medien, die mit probiotischen Lebensmitteln werben, sehr hoch. Ähnliches gilt auch für die Nachfrage apothekenpflichtiger Probiotika im Rahmen der Selbstmedikation. Aus der geschilderten Datenlage wird ersichtlich, dass Probiotika bei gesunden Menschen zur Prophylaxe und Therapie akuter Diarrhöen und anderer Darmerkrankungen mit Erfolg eingesetzt werden können. Die Sicherheit bei der Verwendung von Probiotika wird zusätzlich durch das Fehlen von Berichten über gravierende Nebenwirkungen bei gesunden Menschen unterstrichen. Ausgenommen werden müssen beispielsweise an Pankreatitis erkrankte oder immunsupprimierte Patienten. Viele Studien haben gezeigt, dass die Wirksamkeit der Probiotika dosis- und stammspezifisch ist, vor allem bei Kindern. Zudem sei erwähnt, dass die Verabreichung bei Kindern unter zwei Jahren bei einigen Präparaten kontraindiziert ist. Dennoch muss diese therapeutische Alternative vor dem Hintergrund gesehen werden, dass die Möglichkeit der Therapie des Durchfalls bei Kindern mit anderen Antidiarrhoika Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(5):142-162 Probiotika bei Diarrhöen - 155 - streng limitiert ist (Weblink 20). Ein Problem in der Selbstmedikation aber auch für Verordner stellen die relativ hohen Kosten dar, weshalb die Verordnung von Probiotika im Rahmen einer Antibiotikatherapie eher selten ist. Die dosis- und stammspezifische Wirkung von Probiotika sowie die unterschiedliche Anwendbarkeit bei Kleinkindern stellen die Eckpunkte der pharmazeutischen Beratung dar. Um eine klare Empfehlung zur Behandlung mit Probiotika aussprechen zu können, müssen Apotheker eine Nutzen-Risiko-Einschätzung treffen und dabei das Alter und den Gesundheitszustand des Patienten in Betracht ziehen, um ein geeignetes Präparat auszuwählen. Insofern ist es nach heutigem Wissenstand begrüßenswert, dass weitere wissenschaftliche Forschung durchgeführt wird um die Evidenz weiter zu verbessern. Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(5):142-162 Probiotika bei Diarrhöen - 156 - Anhang Carbo medicinalis (Adsorbens) Präparat Wirkstoff Kohle Hevert® Medizinische Kohle. Kohle Pulvis® Medizinische Kohle. Darreichungsform Indikation Kontraindikation Tabletten akuter Durchfall, Vergiftung (Nahrungs- und Arzneimittel) Durchfall mit Fieber, Vergiftungen mit ätzenden Stoffen Pulver akuter Durchfall, Vergiftung (Nahrungs- und Arzneimittel), bei Säuglingen und Kindern nur nach ärztlicher Anweisung Durchfall mit Fieber, Vergiftungen mit ätzenden Stoffen Opioide (Darmmotalitätshemmer) Imodium® Loperamid Hartkapseln Lop-Dia® Loperamid Tabletten Akute infektiöse und nicht infektiöse Durchfälle, auch bei chronischentzündlichen Darmerkrankungen, Durchfall bei Chemotherapie von Krebserkrankungen Kinder < 12 Jahre, Verstopfungen, Darmverschluss, Durchfälle, die mit Fieber/blutigem Stuhl einhergehen, Antibiotika-assoziierte Durchfälle, chronischentzündliche Darmerkrankungen, Lebererkrankung Gerb- und Bitterstoffe (Adstringenzien) Sanguisorbis® N Mischung Großer Wiesenknop, Weißer Nieswurz, Herbstzeitlose, Aloe Tropfen Durchfallerkrankungen wie Darmkatarrh und blutige Ruhr Alkoholkranke, Säuglinge u. Kleinkinder, wegen des Alkoholgehaltes bei Leberkranken, Schwangerschaft, Stillzeit nicht anzuwenden Tab.2 Auflistung einiger gängiger Antidiarrhoika unterteilt nach der Wirkstoffklasse (Weblink 21). Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(5):142-162 Probiotika bei Diarrhöen Präparat Mikroorganismus - 157 - Keimzahl Darreichungs -form Indikation Kontraindikationen Kolibakterien Mutaflor® Mite Mutaflor® Symbioflor 2® E. coli Nissle 1917 E. coli Nissle 1917 E. coli Nissle 1917 108 1010 108 7 10 Kapseln (magensaftresistent) Colitis ulcerosa (in der Remissionsphase), chronische Obstipation Suspension Diarrhö bei Säuglingen,Kleinkinern und unter Sondenernährung, Kolonisationsprophylaxe und Steigerung der postnatalen Immunkompetenz bei Früh- und Reifgeborenen Tropfen Gastrointestinale Störungen, Reizdarmsyndrom, Regulation körpereigener Abwehrkräfte nicht bekannt akute Cholecystis, akute Pankreatitis, Ileus, Marasmus, Kachexie und bei akut fieberhafte Erkrankung absetzen Milchsäurebakterien Infectodiarrstop LGG® Mono Beutel Lactobacillus rhamnosus 109 Pulver Diarrhö bei Säuglingen und Kleinkindern (in Kombination mit oraler Rehydratationslösung) Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(5):142-162 Bewusstseinstrübung bzw. Schock bei schwerer Dehydratation, Durchfälle mit blutigem Stuhl oder Fieber, Patienten mit stark gestörtem Immunstatus oder Immunsuppression, Krebserkrankung oder schwerer gastrointestinaler Grundkrankheit, Säuglinge mit Kurzdarmsyndrom nur unter ärztlicher Beobachtung Probiotika bei Diarrhöen - 158 - Milchsäurebakterien (Fortführung Tab. 3) Lactobacillus acidophilus 108 1010 Hylak® N Lactobacillus helveticus 102m g 315m g Omniflora N® Bifidobacterium longum/ Lactobacillus gasseri Paidoflor® Symbioflor 1® Enterococcus faecalis -- 107 Kautabletten Traditionelle Anwendung zur Unterstützung der Darmfunktion z.B. bei Darmträgheit und Diarrhö Kinder<1 Jahr, Krebserkrankung, geschwächtes Immunsystem akuter Durchfall mit hohem Fieber oder Blutbeimengung, nach Organtransplantation, Leukämie, Lösung Traditionelle Anwendung zur Unterstützung der Darmfunktion z.B. bei Darmträgheit und Diarrhö Kinder<2 Jahre, akuter Durchfall mit hohem Fieber oder Blutbeimengung Kapseln Traditionelle Anwendung zur Unterstützung der Darmfunktion z.B. bei Darmträgheit und Diarrhö akuter Durchfall mit hohem Fieber oder Blutbeimengung , Kinder < 1 Jahr Tropfen Regulierung der körpereigenen Abwehrkräfte, chronisch rezidivierende Infektionen der oberen Atemwege, Entzündungen im Mund-NasenRachenraum und Mittelohr, Erkältungskrankheiten und gastrointestinale Störungen nicht bekannt Hefen Perenterol® 50 mg 50 mg Omniflora akut 250 mg Kapseln 250 mg Pulver Perenterol® Junior 250 mg Saccharomyces boulardii Kapseln akute Diarrhö, Reisediarrhö, Diarrhö unter Sondenernährung Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(5):142-162 Patienten mit gestörtem Immunstatus, Säuglinge und Kleinkinder Probiotika bei Diarrhöen - 159 - Hefen (Fortführung Tab. 3) Peromyces 250 1 A Pharma® 250 mg Kapseln Yomogi® 250 mg Kapseln Perocur® forte 250 mg Kapseln Hamadin® N 250 mg Kapseln Eubiol® 375 mg Kapseln akute Diarrhö, Reisediarrhö, Diarrhö unter Sondenernährung Patienten mit akuter Diarrhö länger als 2 Tage mit Blutbeimengungen oder Temperaturerhöhung akute Diarrhö, Reisediarrhö, Diarrhö unter Sondenernährung Kinder <2 Jahre, geschwächtes Immunsystem, Krebserkrankung Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(5):142-162 Probiotika bei Diarrhöen - 160 - Die Autorinnen Ziba Mahdizadeh wurde in Khoramabad, Iran geboren. Nach Auswanderung nach Deutschland besuchte sie das Weiterbildungskolleg-Abendgymnasium und erlangte 2006 ihr Abitur. Derzeit studiert sie Pharmazie an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Sema Sarica wurde 1987 in Wesel geboren. Sie besuchte das Andreas-Vesalius Gymnasium in Wesel und erlangte dort 2007 ihr Abitur. Seit 2008 studiert sie Pharmazie an der Heinrich Heine Universität in Düsseldorf. Weblinks 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 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Fachinformationen - MiteMutaflor® Mite, Symbioflor 1 ®, Symbioflor 2 ®, Infectodiarrstop LGG® Mono Beutel, Paidoflor®, Hylak® N, Omniflora N®, Perenterol® 50 mg, Omniflora akut, Perenterol® Junior 250 mg, Peromyces 250 1 A, Yomogi®Pharma®, Perocur® forte, Hamadin® N, Eubiol® http://www.fachinfo.de Literatur 1. Girardin M, Seidman EG. Indications for the Use of Probiotics in Gastrointestinal Diseases 2011; 29:574–587 2. Haller D, Hörmannsperger G. Probiotika: Anforderungen und Wirkmechanismen. Pharmazie in Unserer Zeit, 2/2012; 41: 117-133 3. Guarner F. Enteric flora in health and disease. Digestion 2006; 73: 5-12 4. Adlerberth I, Cerquetti M, Poilane I, Wold A, and Collignon A . 2000. Mechanisms of colonisation and colonisation resistance of the digestive tract. Microb. Ecol. Health Dis. 11:2235. Gill HS , Guarner F . Probiotics and human health: a clinical perspective. Postgrad Med J 2004; 80: 516-526 6. DuPont, HL. Guidelines on acute infectious diarrhea in adults. 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