Leseprobe - UVK Verlagsgesellschaft

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Leseprobe - UVK Verlagsgesellschaft
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Das Radio ist ein additives Medium, in dem Sendung auf Sendung
folgt. Alles findet nacheinander statt und so haben bereits die ersten
Hörfunkmacher ihre Angebote bewusst nacheinander angeordnet,
anordnen müssen. Zunächst organisierten sie ihre (regionalen) Programme eher intuitiv nach Tageszeiten, Wochentagen und Jahreszeiten.
Seit die ersten öffentlich-rechtlichen Programme in den 1950er-Jahren
miteinander konkurrierten, seit das duale System 1986 etabliert wurde,
erhielt jede Welle ihre spezifische Ausprägung in Musik, Wort und
Anmutung. Nicht mehr die Summe der Einzelsendungen, sondern das
(penibel durchstrukturierte) Format prägte das Programm.
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Radio ist in Deutschland vor allem ein Regionalmedium. Schon in der
Weimarer Republik strahlten neun Sendegesellschaften sehr unterschiedliche Programme aus. Der Sendebeginn, die Sendedauer oder die Sendungen waren von Region zu Region unterschiedlich. Letztlich war jedes
Programm eine regionale Angelegenheit, abhängig von Technik und
Finanzlage, Radiokonzeption, Sozialstruktur, politischen und rechtlichen
Vorgaben, Hörerreaktionen, konkurrierenden Massenmedien und –
nicht zuletzt – den Machern. Und das ist bis heute so geblieben.
Das Radio der Anfangsjahre richtete sich »an alle«, aber früh war klar,
dass dies nicht zu jeder Tageszeit und mit jedem Programmangebot der
Fall sein konnte. Spätestens 1931 wurde der Tag (implizit) in drei Phasen
eingeteilt: Die A-Zeit, in der tendenziell alle Hörer erreichbar waren (18
bis 22 Uhr), die B-Zeiten, in denen viele Hörer aufnahmebereit waren (7
bis 8 Uhr, 15 bis 18 Uhr und 22 bis 24 Uhr) sowie die C-Zeit, in der kaum
jemand Radio hörte (8 bis 15 Uhr).
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Der Weimarer Hörfunk war ein »Mischprogramm«. Sehr unterschiedliche
Programmbereiche wie Kultur, Bildung, Nachrichten, Unterhaltung,
Werbung wurden auf einer Welle gebündelt und zeitlich strukturiert. Die
Aufgabe der Programmplaner war, diese Bereiche innerhalb des Tages,
der Woche, des Monats, kurz: innerhalb von Zeitzonen anzuordnen (und
damit natürlich auch zu werten) und der Hörer hatte sich nach diesen
Vorgaben zu richten. Zunächst positionierte man in den Funkhäusern
einfach Sendung auf Sendung, nach einem Vortrag kam etwa Musik, nach
einem Zielgruppenangebot kam Kultur. Für diese Programmphilosophie
hat man später den Terminus »Kästchenprogramm« erfunden.
Um 1930 bedeutete »Kästchenradio«, dass täglich – je nach Programmdauer – zwischen 13 und 33 Sendungen mit einer durchschnittlichen Länge von 30 Minuten ausgestrahlt wurden. Schon der frühe Hörfunk kannte Zielgruppensendungen für Kinder, Eltern, Arbeiter, Land
und Kirche, stellte für sie bis zu zehn Prozent der Programmfläche zur
Verfügung und ordnete sie durchaus adressatengemäß: Die Zielgruppensendungen für Frauen und Kinder wurden nachmittags, die für Arbeiter,
Beamte oder Ärzte früh abends oder am Wochenende gesendet. Vorträge,
die in den ersten Jahren bis zu 20 Prozent des Programms ausmachten,
wurden vor allem am frühen Abend ausgestrahlt; Kultur und Unterhaltung dominierten die wichtigste Sendezeit: das abendliche Hauptprogramm. Zur gezielten Radionutzung halfen Programmzeitschriften und
Programmvorschauen in Tageszeitungen.
Diese Programmstruktur blieb bis in die 1960er-Jahre mehr oder
weniger prägend – Programmkonzepte wurden »nur relativ geringfügig
und ziemlich langsam« (Jäger 1982, 62) verändert. Das Nachkriegsradio
definierte sich als akustischer »Gemischtwarenladen«, der das Notwendigste ohne große Auswahl bot. Der SDR etwa sendete zu reinen Mittelwellenzeiten morgens (5 bis 8 Uhr) vor allem Unterhaltungsmusik,
unterbrochen durch stündliche Nachrichten, die »südwestdeutsche Heimatpost« und die Morgengymnastik; den Abend ordnete man seit 1950
nach Schwierigkeitsgraden: dienstags, mittwochs und freitags begann
man mit anspruchsvollen Sendungen, an den anderen Tagen mit Unterhaltung. 80 Prozent der Bevölkerung, so stellte man in den 1950er-Jahren
fest, hatten Hauptschulabschluss, 60 Prozent lebten in Dörfern und
Kleinstädten, 80 Prozent waren bis 7 Uhr aufgestanden, 68 Prozent lagen
um 22 Uhr in den Betten. Die Demoskopie wurde also überraschend früh
auch zur Programmplanung herangezogen.
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Auch als nach 1950 die ersten UKW-Programme aufgebaut wurden,
änderte sich an den grundsätzlichen Programmstrukturen wenig. Die
UKW-Angebote wurden zwar nach dem Grundsatz »Gegensätzlichkeit
zur Mittelwelle« positioniert, doch sie blieben Mischprogramme nach
dem »Kästchenprinzip«. Der NDR schuf neben der »Repräsentationswelle« die »Welle der Freude« UKW-Nord; der SDR kontrastierte seine
beiden Programme anders: Während das erste MW-Programm Leichtes
sendete, strahlte das (zweite) UKW-Programm Anspruchsvolles aus und
umgekehrt. Programmreformen beschränkten sich lange auf diese – je
nach Sender sehr unterschiedlichen – »Differenzierungen« zwischen erstem (MW), zweitem (UKW) und dann auch drittem Programm. Beobachter sahen in diesen Programmstrukturen der 1950er-Jahre »Orgo-Schema
live«, sie waren vor allem Ausdruck senderinterner Machtverhältnisse und
Organisationsstrukturen.
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Erst in den 1960er-Jahren war es mit der vierzigjährigen Ruhe vorbei; der
Siegeszug des Fernsehens, die nachlassenden Hörzeiten, die Ausweitung
der Programme, die finanzielle Situation der ARD-Sender führten nach
und nach zu großen Programmreformen in den Sendern. Nun kam es zu
grundsätzlichen Veränderungen: Das Radio wurde vom Abend- zum
Tagesmedium umgebaut, seine Position als eigenständiges, spezifisches,
rein akustisches Medium pointiert. Aber dies waren jahre-, ja jahrzehntelange und regional sehr unterschiedliche Prozesse.
Es waren zunächst eher vereinzelte Initiativen, die bald zu einem kompletten strukturellen Umbau des Radios führten. An erster Stelle standen – von der Forschung bisher vollständig übersehen – die Nachrichten
zu jeder vollen Stunde. Der amerikanische Soldatensender AFN kannte
sie seit Langem, aber erst 1964 wurden sie auf der jungen, werbungsintensiven Europawelle Saar eingeführt, 1966 folgten der NDR und in den
1970er-Jahren dann fast die gesamte ARD. Die Nachrichten waren aber
nicht nur für die aktuelle Information wichtig, sie setzten den Radiohörern erstmals eine neue und strenge Struktur. »Die Einführung des Stundenrasters bei Nachrichten« war »der erste Schritt zur Entwicklung des
Radios zum Begleitmedium« (Arnold 1981, 10).
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Merksatz
Stündliche Nachrichten, Magazinsendungen und popmusikalische
Jugendsendungen leiteten in den 1960er-Jahren den Umbau des
»Kästchenhörfunks« zum Begleitmedium Radio ein. Es waren
zunächst nur punktuelle, auf einzelne Sendungen bezogene Neuerungen, die schließlich zu umfassenden Programmformen führten.
Amerikanischer Herkunft war auch eine zweite neue Radioform: das
Magazin. Es wurde früh von RIAS Berlin und der Europawelle Saar (22
bis 24 Uhr) eingeführt, trat seinen Siegeszug aber erst mit dem WDRMittagsmagazin (1965) an. Im frühen Magazin wurde bisher Getrenntes vereint: Politik, Zeitgeschehen, Kultur, Sport, Buntes und Musik;
die bisherigen Trennungen Information und Unterhaltung, Politik
und Nichtpolitik wurden aufgehoben; der Stil wurde »dialogisch«, die
Ansprache umgangssprachlich. Gleichzeitig veränderten sich auch die
tradierten senderinternen Arbeitsteilungen. Für die neuen, zwei- bis
zweieinhalbstündigen Magazine arbeiteten verschiedene Fachredaktionen zusammen und machten die neue Liveform rasch zum Riesenerfolg. Zunächst gehörte zum »Magazin« die »starke Betonung des
politischen Geschehens« (La Roche1993, 183) – aber diese ließ nach, als
immer mehr Programme Magazine sendeten. Schon 1971 hatte NDR 2
ein Tagesprogramm aus mehreren Magazinen; die Welle war durch die
Magazinform charakterisiert.
Weitere Neuerungen waren schließlich – Politik, Popmusik und Protest erstmals verbindend – spezifische Jugendsendungen wie Der 5-UhrClub (NDR 1969) oder der Zündfunk (BR 1974).
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In den 1970er-Jahren gab es in Deutschland drei verschiedene, unterschiedlich differenzierte Programmtypen:
– Die traditionellen, weiterhin »kästchenartig« organisierten und für die
politische Information zuständigen »ersten Programme«, die ihre
Namen langsam in WDR 1, NDR 1, SDR 1 oder hr1 änderten. Die einst
konkurrenzlosen Leitprogramme behielten weitgehend den Charakter
eines Mischprogramms, verloren aber deutlich an Hörern.
– Die magazinisierten, sehr stark popmusikalisch programmierten und
zum Teil neu gegründeten Service-, Pop-, Informations- oder Unterhaltungswellen wie Europawelle Saar, hr3, Bayern 3, Südfunk 3, SWF 3,
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WDR 2 oder NDR 2. Diese Programme sendeten in der Regel Werbung
und entwickelten sich innerhalb weniger Jahre zu den hörerstärksten
Wellen und faktischen Leitwellen. Beim NDR gab es 1970 folgende
Hörerverteilung: NDR/WDR 1 – die damals noch gemeinsam sendeten: 27 Prozent, NDR 2: 33 Prozent und NDR 3: 2 Prozent (Köhler
1991, 426).
– Die eigenständigen Kulturwellen wie NDR 3, WDR 3, BR 2, Studiowelle Saar, hr2 oder SWF 2. Sie blieben »Kästchenprogramme«, Minderheiten- und Einschaltangebote, zum Teil noch ohne richtige Programmstruktur oder zusätzlich als Gastarbeiterprogramm genutzt.
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Obwohl der Hörfunk seit den Anfängen ein Regionalmedium war, erhielten die Programme durch Programmaustausch oder gemeinsame ARDNachtprogramme immer wieder auch einen überregionalen, ja nationalen
Charakter. Doch auch die Gegenbewegung fand statt: In Bayern wurden
seit 1960 Sendungen von Bayern 1 nicht landesweit ausgestrahlt, sondern
in Regionalfenster »gesplittet«, der SDR experimentierte seit 1979 mit
Kurpfalz-Radio für den Ballungsraum Mannheim-Ludwigshafen.
Merksatz
Das Radio war aus technischen und politischen Gründen seit den
Anfängen vor allem ein Regionalmedium. In den 1980er-Jahren versuchte man, das Regionale durch das Lokale zu ergänzen. Dort, wo
man das Neue bisher noch vor allem vom direkten Hörensagen oder
aus der Zeitung erfuhr, suchte das Radio einen neuen Markt und den
direkten Kontakt mit dem Hörer.
Anfang der 1980er-Jahre ermöglichten es die neuen Kommunikationstechniken, systematisch über eine Subregionalisierung des Hörfunks nachzudenken; 1981 wurde die »Regionalisierung« etwa im WDR
sogar zum neuen Unternehmensziel erklärt. Der öffentlich-rechtliche
Hörfunk zielte einerseits auf die Zeitungsleser als neue Hörer, andererseits auf einen »Ereignisraum, der in besonderer Weise der Integrationsfunktionen der Medien« (Teichert 1982, 238) bedürfe – und scheitere.
Radio Dortmund etwa wurde nach neun Jahren aufgegeben. Fortan
wurde eine Fülle Regionalstudios gegründet und so die (direkte) Nähe
zum Hörer gesucht, eigenständige öffentlich-rechtliche Lokalradios aber
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entstanden nicht. Die neuen Studiotechniken machten jedoch bimediale
Redaktionsarbeit (ökonomisch) sinnvoll, die eher praktisch orientierte
politische Arbeit vor Ort rief bald eine neue regionale Informationsform
hervor: die Abkehr vom traditionellen Primat der Politik in den lokalen
Informationssendungen und die Orientierung an der persönlichen Betroffenheit der Hörer. In der Regel wurden diese lokalen Formen als
»Fenster« in die ersten Programme integriert. Besonders umkämpft war
die Regionalisierung im Norden, wo der NDR gleich drei Bundesländer
›bestrahlte‹. Hier wurde nach heftigen politischen Auseinandersetzungen
1981 die älteste Welle NDR 1 in drei Landeswellen aufgespaltet: NDR 1
Welle-Niedersachsen, NDR 1 Welle Nord sowie NDR 1 Hamburg-Welle;
friedlicher entstanden volkstümliche Wellen wie WDR 4, hr4 oder MDR
1 Radio Sachsen (1992). Alle diese regionalisierten Programme setzten
musikalisch auf deutsch orientierte melodiöse Musik (DOM) und die
älteren Hörer.
Lokale Radios im eigentlichen Sinne, d. h. Radios, die nur in einem
kleinen Sendebereich, einem Kreis oder einer Stadt hörbar waren, wurden
erst nach der Etablierung des dualen Hörfunksystems in Bayern, BadenWürttemberg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen gegründet und wurden in einigen Orten (Radio Köln, 1991) sogar Marktführer. Die Vielzahl der bundesdeutschen Radios hat in der Fülle von
Lokalsendern wie Radio Regenbogen, Antenne Unna oder Radio Dresden
ihre Ursache. Es sind vor allem privatwirtschaftliche Formatradios mit
Werbung, die Musik liegt im AC-Bereich und der Informationsanteil ist
eher gering. Teile der Programme werden von sogenannten Mantelprogrammen übernommen. In NRW liefert Radio NRW diese Programmteile, viele Lokalradios verfügen also teilweise über identischen Content;
das Lokale ist hier eine Fiktion.
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Als das duale Hörfunksystem 1986 startete, gab es im Wesentlichen vier
öffentlich-rechtliche Programmformen: traditionelle »Kästchenwellen«
(1), magazinisierte Rock- und Popwellen mit und ohne Infoschienen (2),
einschaltorientierte Kulturprogramme (3) und seit 1984 erste (dezent)
DOM-orientierte Regionalprogramme (4). Bis auf die Rock- und Popwellen waren alle Angebote noch mehr oder weniger Einschaltprogramme.
Die jungen werbefinanzierten Privatfunkwellen orientierten sich
zunächst an den – werbefinanzierten – öffentlich-rechtlichen Service-,
Pop- und Unterhaltungswellen und konkurrierten vor allem mit ihnen.
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Radio Schleswig-Holstein (RSH) etwa startete – so der ehemalige Unterhaltungschef der Europawelle Saar (1979 bis 1984) und RSH-Gründer
Hermann Stümpert – mit einem breiten Full-Service-Angebot aus
»Versatzstücken von ›Top 40‹, AC, Oldies … und der deutschen Programmtradition«, aber noch nicht mit einem voll formatierten Angebot.
Über die Programmstrukturen und den Sound der frühen Privatradios
weiß man bisher nur wenig; doch die Formatierung hat sich wohl eher
langsam auf dem Privatfunkmarkt durchgesetzt; 1993 waren etwa 50 Prozent der Privatwellen formatiert, was bedeutete, dass sie »durchgehend
gestylt« und durchhörbar programmiert waren. Der Programmschwerpunkt war der Morgen, wichtig wurden die Morgensendungen oder
»Morningshows«, denn morgens gab es die meisten Hörer.
Merksatz
Mit den privaten Hörfunkwellen wird nach 1986 ein ganz neuer, in
Amerika schon vielfach und lange gelungener Programmtyp in
Deutschland eingeführt: das Formatradio oder besser: die Formatradios. Die neuen Wellen sind vor allem durch die Musikfarbe geprägt;
sie sind auf Durchhörbarkeit programmiert. Ein spezifisches Marketing legt das Profil fest, das – vom Anspruch her – akustisch
unverwechselbar sein soll.
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Der Privatfunk hatte in Deutschland keine Grundversorgung zu gewährleisten, er war ein Zusatzangebot und der Informationsanteil war – etwa
in Hamburg bis 2003 – auf 10 bis 15 Prozent festgeschrieben. Die Musik
prägte die Programme also deutlich und sie definierte die Formate. Seit
Beginn der 1990er-Jahre gab es in Deutschland vor allem drei musikdominierte Formate:
– Adult Contemporary (AC) prägte etwa ein Drittel der Sender und galt
als »sichere Wahl«. AC-Radios spielten die Popstandards der letzten
Jahrzehnte und richteten sich an die Kernzielgruppe der 25- bis 49-Jährigen; Werbung, Promotionaktionen, Gewinnspiele oder Anrufsendungen waren feste Programmbestandteile. Zum AC-Format gehören
auch Unterformen wie »Soft AC«, »Oldie based AC«, »Current based
AC« oder »Hot AC«. Frühe und erfolgreiche Wellen mit AC-Format
waren in Deutschland RSH, Radio Gong 96,3 (München), Radio Hamburg, Antenne Bayern, Radio NRW, 104,6 RTL, Radio FFH, Radio PSR
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oder Radio SAW (Magdeburg). Die Playlists wurden von anfänglich
rund 7.000 Titeln auf etwa 2.000 bis 3.000 (1993) reduziert.
– Contemporary Hit Radio (CHR) ist ein Nachfolger der amerikanischen Top-40-Formate. Dieses Format setzte auf die aktuellen
Hits und richtete sich an die 14- bis 25-Jährigen. Die Playlists bestanden aus 60 bis 80 Titeln, Wiederholungen waren entsprechend häufig.
Wortbeiträge waren auf wenige Nachrichten reduziert. Ein frühes,
sehr erfolgreiches CHR-Radio war das Hamburger OK Radio (1988) –
es erreichte Anfang der 1990er-Jahre in seiner Zielgruppe bis zu
60 Prozent.
– Deutsch orientierte melodiöse Musik (DOM) war ein Format, das
speziell für den deutschen Hörfunkmarkt entwickelt wurde und Ende
der 1980er-/Anfang der 1990er-Jahre mit Schlagern, Volksmusik und
Oldies bei den Hörern außerordentlich erfolgreich war. Frühe Vertreter waren das Hamburger Alsterradio oder Radio Brocken. Da die Werbebranche auf das Format und die angesprochene Zielgruppe (40 bis
60 Jahre) zurückhaltend reagierte, entschlossen sich die meisten Sender zum Formatwechsel; die Werbung definierte letztendlich das Format. Inzwischen hat fast jeder ARD-Sender sein – außerordentlich
quotenträchtiges – DOM-Format (WDR 4, hr4, NDR 90,3).
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Anders als in den USA entwickelte sich in Deutschland keine Vielfalt der
Formate. Oldie- oder Klassikformate (Klassik Radio, 1990) blieben eher
unbedeutend, andere wie das Jazzformat (Jazz Welle Plus) Episoden. Und
auch die wortbasierten Formate wie Radioropa (1990), Inforadio 101 (1991
bis 1993), Berlin aktuell 93,6 (1998 bis 2000) oder FAZ Radio 93,6 (2000 bis
2002) konnten sich nicht etablieren. Diese Programme setzten quasi das
Top-40-Konzept im Wort- und Newsbereich um, blieben aber – anders als
die Vorbilder in den USA – auf dem deutschen Markt mit seinen ausgebauten öffentlich-rechtlichen Infostrukturen als Privatangebot erfolglos.
An der Vorherrschaft der AC-CHR-Formate sollte sich bis in die
Gegenwart nichts ändern; in kritischer Absicht beschreibt dies auch der
Terminus »Dudelfunk«. Trotz der identischen Formate unterschieden
sich die Programme aber letztlich in Sound und Struktur doch voneinander. Gerade auf den senderreicheren Märkten in Berlin, Hamburg oder
München entwickelten auch die AC-Sender ihr jeweils eigenes Profil.
Denn nicht nur die Musik, sondern Moderation, Stimmen, Nachrichten,
Wortanteil, Aktionen, Jingles, Claims, Trailer, Rhythmus prägen das ForKRUG, Radio ISBN 978-3-8252-3333-4
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mat. Jede Welle hat ihren eigenen programmtypischen Sound und soll –
idealerweise – sofort vom Hörer identifiziert werden können. Deutlich
werden die Unterschiede in den Programmen schon durch die Zahl der
Elemente: So bestand WDR 2 1992 etwa aus 995 Elementen pro Tag, NDR
2 kam auf 1.076, Antenne Bayern auf 1.403 und RSH auf 1.412.
Merksatz
Der duale Hörfunk begann in Schleswig-Holstein und Hamburg
1986, in München 1988, in NRW 1990 und in Sachsen 1992. Die
Zulassung neuer Sender war von der Technik und den Frequenzen
abhängig, von den Ländern und von der Politik und fand deshalb zu
unterschiedlichen Zeitpunkten statt. Nicht nur das private Angebot
stieg quantitativ, auch die öffentlich-rechtlichen Sender erhöhten die
Zahl der Programme und strukturierten sich neu.
Das duale System brachte vor allem die Zunahme von »Begleitprogramm«-Formen mit AC-Charakter. Die neuen Privatradios trafen
auf inzwischen rund zehn Jahre erfolgreiche öffentlich-rechtliche Popwellen. Und die Folgen waren etwa für NDR 2 desaströs: Bereits 1993
hatte das private Radio Hamburg (in Hamburg) eine größere Reichweite
als die NDR-Leitwelle.
Diese Erfolge des Privatfunks führten innerhalb des ARD-Hörfunks
rasch zu Programmreformen und Neupositionierungen. Man verschob
zunächst die Inhalte und die Wortsendungen. Der NDR, der als erster
öffentlich-rechtlicher Sender landesweiter privater Konkurrenz ausgesetzt war, machte NDR 2 stärker zum überwiegend popmusikbetonten
Fließprogramm, führte ein Wortlimit ein und verbannte große Wortelemente auf andere Wellen. Anfang der 1990er-Jahre war »Durchhörbarkeit« das Zauberwort für Programmreformen; das Gesamtprogramm
erhielt Priorität gegenüber der einzelnen Sendung.
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Es blieb nicht bei den eher feinjustierenden Reaktionen des öffentlichrechtlichen Hörfunks auf die neue Konkurrenz; binnen weniger Jahre
wurden in den ARD-Sendern die Organisationsstrukturen und die Programme vollständig umgebaut und ausgeweitet. Beim NDR wurde das
Hörfunkangebot 1989 »rundum erneuert und erweitert« (NDR Magazin
3/89, 17). Es war nun erstmals prinzipiell musikalisch geordnet: NDR 2
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stand für Rock und Pop, NDR 3 für Klassik und das 1989 neu gegründete
NDR 4 stand – ganz traditionell als »Kästchenradio« oder Einschaltprogramm eingerichtet – fürs Wort. Jede Welle erhielt ihre eigene Programmgruppe, »ihre programm- bzw. kanalbezogene Organisationseinheit«, die
für »das Gesicht, den Charakter einer ganzen Welle« (NDR Magazin 1/89,
13) zuständig war. Etablierte Wortsendungen wie das Echo des Tages wurden auf NDR 4 verschoben und damit fast in die Hörerfreiheit. 1995
wurde ein Prozent der Hörer erreicht. Die traditionelle Politikberichterstattung war vom Publikum abgekoppelt.
Die Konkurrenz zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern
konzentrierte sich zunächst auf die werbenden Begleitwellen und ihre
Musikfarben – NDR 2 gegen ffn, Radio Hamburg oder RSH, hr3 gegen
FFH oder Bayern 3 gegen Antenne Bayern. Doch da die alte Frequenzknappheit beseitigt war, versuchte man parallel, auch durch die Ausweitung und Spezialisierung der Angebote Hörer zu gewinnen. Bereits 1986
wurde mit Radio Bremen 4 ein erstes Jugendradio für die 14-bis 30-Jährigen gestartet – als Versuchsballon. Die Sendungen kamen von Anfang an
aus dem – lange Jahre verpönten – Selbstfahrerstudio, für die Playlists
wurden erste Computer eingesetzt, aber vom »Formatradio« wurde noch
nicht gesprochen. Das Konzept wurde erst durch das Handbuch »RadioManagement« populär, das der ehemalige AFN-Redakteur und damalige
Antenne-Bayern-Chef Mike Haas mit Uwe Frigge und Gert Zimmer 1991
vorlegte. Zugleich stieg die Nachfrage nach einer neuen, sehr diskreten
Tätigkeit: der Radioberatung (Schramm 2009, 103).
Merksatz
Seit Mitte der 1980er-Jahre wurden Computer im Hörfunk eingesetzt, Anfang der 1990er-Jahre begann die langsame Digitalisierung,
und zwar bei den neuen, formatierten Jugendwellen. Außerhalb der
traditionellen Funkhäuser wurden hier reine Wellenredaktionen etabliert, wellen- und zielgruppenspezifisches Arbeiten trainiert und
erste Ansätze bimedialer Hörfunkarbeit erprobt.
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Die Digitalisierung und Formatierung des öffentlich-rechtlichen Radios
begann mit den neu gegründeten Jugendwellen: N-Joy-Radio (1994)
arbeitete erstmals in Deutschland mit digitalisierten Rechnersystemen
und automatischer Senderabwicklung, hohem Musik- und geringem
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Wortanteil. Das jährlich etwa fünf Millionen D-Mark teure Jugendradio galt informierten Beobachtern als »lupenreine« Umsetzung der
Haas’schen Vorstellungen vom modernen Privatradio; Eins Live (1995)
war digitalisiert und wurde – erstmals im WDR – von einer Wellenredaktion produziert; vollständig digitalisiert war die neue Jugendwelle hr
XXL (1998) – alle Schallereignisse außer den Moderationen kamen aus
dem Computer. Die neuen Jugendwellen verließen technisch und organisatorisch die alten analogen Organisationsformen und veränderten durch
die digitalen Techniken Sound, Geschwindigkeit und Format des Radios.
Mancher sprach deshalb von einer Revolution des Radiomachens, mancher von der »Konvergenz« der Systeme (Merten 1995). Erstmals wurden
bei Eins Live bimediale Arbeitsweisen erprobt: man sendete die Talksendung Domian in Radio und Fernsehen.
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Zunächst waren die Digitalisierungen Insellösungen, 1999 digitalisierte
der Hessische Rundfunk seine acht Hörfunkwellen und die anderen
Anstalten folgten. Die neue Technik veränderte und automatisierte fortan
die Arbeitsprozesse, alte Arbeitsteilungen zwischen Redaktion und Technik wurden aufgehoben: Der Hörfunkjournalist der 1990er-Jahre musste
Stimme, Recherche, Schnitt und Technik verbinden und zudem wellenspezifisch arbeiten können.
Die private Konkurrenz und die technischen Neuentwicklungen der
Redaktionssoftware führten zu umfangreichen Neustrukturierungen der
öffentlich-rechtlichen Programme und der Radioarbeit, Programmreform folgte auf Programmreform. Bis in die 1990er-Jahre hatten Fachredaktionen sämtliche Wellen beliefert; die Kultur etwa NDR 1, NDR 2 und
NDR 3; da die Programmideale und die Terminologien von Fachredaktionen wie »Zeitfunk« oder »Kultur« aber differierten, gelangte sehr Unterschiedliches in die Programme. Die Fachredaktionen (und das bisherige
Integrationsmodell) wurden deshalb mit der fortschreitenden Formatierung nach und nach aufgelöst und in Wellenredaktionen überführt, die die
Einheitlichkeit, Durchhörbarkeit, Zielgruppenorientierung und das Profil
des Programms gewährleisten sollten. Die verschiedenen Wellen wurden
nun – als Unternehmensziel – deutlich gegeneinander positioniert, jedes
Programm sollte Tag für Tag wie ein jederzeit leicht zu identifizierendes
Ganzes wirken. Die Nachrichten oder die Korrespondentenberichte wurden den Anforderungen der jeweiligen Welle angepasst.
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An der Spitze jeder Welle stand seit den 1990er-Jahren ein Wellenchef, der
nur dem für alle Wellen verantwortlichen Hörfunkdirektor und dem
Intendanten untergeordnet war. Auch bei der Etablierung des Wellenkonzepts variierte die Umsetzung. 1995 installierte der WDR seine erste Wellenredaktion bei Eins Live, peu à peu wurden auch die anderen Programme umgebaut; der Saarländische Rundfunk begann 1998. Über
diese Umbauprozesse und die Folgen für den Hörfunkjournalismus und
die Programme weiß man nur wenig. Sicher scheint, dass die Reformen
keiner einheitlichen Radioidee folgten, sondern schwer zu rekonstruierenden Organisationsprozessen, Macht- und Konkurrenzlagen.
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Anfang des 21. Jahrhunderts war das Radio weiterhin ein UKW- und ein
Regionalmedium, doch innerhalb aller ARD-Radios hatten sich ähnliche
Strukturen und Formate herausgebildet: Die Programme waren gegeneinander profiliert, nach Musikfarben und Zielgruppen geordnet, digital
produziert, formatiert und – in der Regel bis auf die Abendstunden – auf
Durchhörbarkeit, Verlässlichkeit und »Nebenbeihören« programmiert.
Für den Zusammenhalt der Senderangebote waren nun die Öffentlichkeitsarbeit, das Corporate Design und die Off-Air-Präsentation,
kurz: das Marketing, zuständig. 2006 hatten ARD-Sender zwischen
vier und acht unterschiedliche, weitgehend formatierte und auch auf
die private Konkurrenz reagierende terrestrische Wellen. Der NDR
hatte folgende – etwa vom WDR- oder SWR-Hörfunkangebot abweichende – Differenzierung:
– NDR 1 Welle-Nord (Landesprogramm (LP) Schleswig-Holstein).
Musikfarbe (MF): Schlager. Zielgruppe (Z): 50+. Musikanteil (M):
68,2 %. Wortanteil (W): 31,8 %. Hörer: 685.000 (Tagesreichweite
bundesweit).
– NDR 1 Radio-MV (LP Mecklenburg-Vorpommern). MF: melodiös/
Schlager. Z: 50+. M: 64,3 %. W: 35,7 %. Hörer: 509.000.
– NDR 1 Niedersachsen Welle (LP Niedersachsen). MF: Schlager. Z: 50+.
M: 64,9 %. W: 35,1 %. Hörer: 2,58 Millionen.
– NDR 90,3 (LP/Stadtsender Hamburg). MF: Schlager. Zielgruppe: 50+.
M: 69,4 %. W: 30,6 %. Hörer: 402.000.
– NDR 2 (Popwelle). MF: Pop. Z: 30 bis 49. M: 76,0 %. W: 22,7 %. Werbung: 1,3 %. Hörer: 1,89 Millionen.
– NDR Kultur (Klassik- und Kulturwelle). MF: Klassik. Z: 30 bis 49. M:
73,5 %. W: 26,5 %. Hörer: 280.000.
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– NDR Info (Informationswelle). Z: 30 bis 49/50+. M: 26,2 %. W: 73,8 %.
Hörer: 381.000.
– NDR N-Joy (Jugendwelle). MF: Rap, Hip-Hop, Rock, Dance. Z: 14 bis
19. M: 82,4 %. W: 17,6 %. Hörer: 879.000.
Merksatz
Während der alte Hörfunk, das sogenannte Dampfradio, Wort und
Musik, Politik und Unterhaltung auf einer Welle bündelte, löste der
Siegeszug des Formatradios diese Verbindungen endgültig auf. Formatradio ist eine Form serieller Organisation im Radio, die alle Programmbereiche den Formatvorgaben unterwirft. Damit wurde aber
auch die Art und Weise standardisiert, wie Politik und Sport, Kultur
und Werbung, Religion und Nachrichten berücksichtigt werden. Die
Radioforschung hat sich bisher der Analyse dieses (inhaltlichen)
»Begleitsounds« entzogen.
Radio wurde schon immer »programmiert«, ob es sich nun um das traditionelle »Kästchenradio« oder das »Magazinradio« handelte. Die konsequenteste Form der Programmierung ist bisher das – weitgehend aus
Amerika importierte – Konzept des Formatradios. Es orientierte sich an
einer – fiktiven – Zielgruppe, der Durchhörbarkeit, dem Nebenbeihören,
dem Tagesrhythmus, der Stundenuhr und den demoskopisch ermittelten
Hörererwartungen. Das Formatradio wird vor allem durch die Stundenuhr geprägt, die Tag für Tag und Stunde für Stunde vorgibt, was für eine
Musik gespielt werden soll, welcher Programmbereich an der Reihe ist
und welches Thema in wenigen Minuten angerissen werden kann.
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»Die eigentliche Botschaft der Massenmedien lautet: Die Ereignisse
wechseln, der Senderahmen bleibt konstant« (Bolz 2007, 59). Jeder Tag
und jede Stunde haben ihre spezifische, quasi serielle Struktur, für die
sich im öffentlich-rechtlichen Bereich etwa der Terminus Verlässlichkeit
etabliert hat. Formatradios haben also eine feste formale Struktur, die
sich Tag für Tag wiederholt – nur das Wochenende, gelegentlich auch der
Abend, folgen anderen Rhythmen. 1999 sahen solche Tagesstrukturen
etwa so aus:
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NDR 2
05:30: Frühkurier
09:00: Am Vormittag
12:00: Mittagskurier
13:00: Am Nachmittag
17:00: Abendkurier
18:00: Der Club
00:05: Nacht
SWR 3
04:05: Up
06:05: Puls
09:05: Magma
12:05: Nun
14:05: Hithop
16:05: Hiline
19:05: Club
22:05: Intensiv
00:05: Luna
FFN
05:05: Morningshow
09:05: Vormittag
13:05: Nachmittag
17:05: Feierabendshow
21:05: Am Abend
00:05: Nordnacht
Die konzeptionellen und organisatorischen Absichten hinter diesen Programmstrukturen, die demoskopischen und medienwissenschaftlichen
Hintergründe, sind weitgehend internes Senderwissen; über die relativ
junge Beteiligung externer Radioberater, »ohne die kein erfolgreiches
Radioprogramm mehr operiert« (Hagen 2005, 358), weiß man fast
nichts – aber ihr Arbeitsspektrum ist breit. Einer beriet 1994 etwa
»diverse« private Sender, »Alsterradio, Radio Brocken, RPR II, Radio NRW,
Radio F, Charivari, Radio RT.1, Antenne 1. Es gibt so viele, dass es mir
schwer fällt, sie alle aufzuzählen« (Radio-Journal 6/1994). Öffentlichrechtliches und privates Radio haben für ihre gerade im Popbereich sehr
ähnlichen Programmierungen unterschiedliche Terminologien gefunden.
Der Tag wird im Formatradio in verschiedene Phasen aufgeteilt, die sich
an den – demoskopisch ermittelten – Lebensumständen der Hörer orientieren sollen. Morgens sind Musik und Moderation also rhythmischer und
aggressiver, nachmittags melodischer und entspannter, morgens sind
(obwohl zwischen »Tagesschau« und Aufstehen in der Regel nur wenig
Neues passiert) die Nachrichten häufiger als am Nachmittag oder gar am
Abend, und die Zeitansagen sind zur Aufstehzeit präsenter. Der Sound des
Formatradios ist am Morgen also ein anderer als am Nachmittag oder am
Abend und selbst die Themen dürften sich – in internen »Stylebooks« festgelegt – nach den »Bedürfnissen« der Hörer richten: um wie viel Uhr wird
Comedy gesendet, wann spricht der Moderator, wann ist ein politischer
Beitrag dran und wann ein kultureller (oder auch nicht). Zugleich sollte
eine Station nach zwei Titeln erkennbar sein (Krug 2002, 125).
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Doch das war noch nicht alles. Im modernen Formatradio ist – anders als
etwa in den Magazinen – auch jede Stunde bis auf die Minute, ja Sekunde
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genau getaktet. Alle Elemente sind in der Stundenuhr festgehalten und
festgelegt: die Länge der Nachrichten und ihre Schwerpunkte, das Musikbett beim Wetter und beim Verkehrsbericht, die akustischen Zeichen zwischen einzelnen Nachrichten, der Zeitpunkt der Werbung, die Länge der
Moderationen, die Dauer jeder Musik und ihre »Anmutung«, die »Verpackung«, also der Zeitpunkt und die Häufigkeit der Jingles und Claims
(Senderkennungen) und ihre jeweilige Form.
Die moderne Radiosoftware bietet die Möglichkeit, diese Prozesse präzise und vorausschauend zu planen. So lassen sich nicht nur zu häufige
Wiederholungen von Musiktiteln oder Wortbeiträgen durch Programmierung vermeiden. »In kleineren Sendern ist es durchaus möglich, dass
ein Mitarbeiter mit seinem Computer das gesamte 24-Stunden-Programm im Fließbandverfahren produziert. Wer seine Ausgaben im musikredaktionellen Bereich noch mehr reduzieren will, kann sein komplettes
Programm als CD-Stapel von einem Radioconsultant erwerben. Es gibt
sogar schon Sender, die auf eine eigenständige Musikredaktion vollständig verzichten« (Münch 1995, 175).
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Nichts wird im modernen Radio dem Zufall überlassen; und vor allem
wird alles akustisch gesteuert: Nicht mehr das Wort oder die Musik
machen eine Formatwelle aus, sondern der Sound oder das Klangbild.
»Das Klangbild ist abhängig von der Abfolge und Verdichtung der im
Hörfunk akustisch wahrnehmbaren Klangelemente« (Drengberg 1993,
189). Vor allem zwei Begriffe sind für dieses moderne Klangmanagement
relevant geworden: Soundprocessing, der technische Ausgleich dynamischer Unterschiede zwischen Musik und Wort durch einen Prozessor,
sowie Pitching, die Veränderung der Geschwindigkeit – und damit der
Wirkung – einzelner Titel um ein bis zwei Prozent. Weder die Mediennoch die Kommunikationswissenschaft haben bisher Untersuchungen
zum formatierten Radioklang vorgelegt, zum Radioklang etwa der Berliner Republik. Empirisch freilich dürfte dies vor allem ein Sound aus der
Kombination von Top 40 und AC, CHR, Schlager sowie Klassik sein.
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Auch das Inforadio kam aus den USA und existierte dort als »All-news
radio« in fast jeder Großstadt. 1991 adaptierte der Bayerische Rundfunk
das Konzept und gründete die Infowelle B5 aktuell. Die Welle war nach
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einer Stundenuhr strukturiert. Jeder Werktag hatte die gleiche Struktur,
jede Stunde war im 15-Minuten-Takt gegliedert. Immer auf 00, 15, 30
und 45 gab es Nachrichten mit oder ohne Originalton und jede Ausgabe
begann mit den Topnews – ein neuer Informationstypus entstand, der
durch Fakten, Fakten, Fakten und hohe Redundanz geprägt war. Nicht
zufällig gelten die großen Krisensituationen als die Sternstunden der
Inforadios (Krug 2002).
Merksatz
Anfang der 1990er-Jahre wurde in Deutschland damit begonnen,
eigenständige und anspruchsvolle Formatradios mit dem Schwerpunkt Wort zu etablieren. Nicht mehr die Musik, sondern ausschließlich Politik, Information, Kultur, Sport und Werbung wurden seriell
organisiert.
Nach den Nachrichten folgten Hintergrundberichte und Spezialangebote
(Kultur, Sport). Wetter, Verkehr, Senderkennung und Werbung waren
nach einem festen Rhythmus eingebaut. B5 aktuell war ein Bruch mit
traditioneller Radioarbeit: Die Welle wurde von der BR-Nachrichtenredaktion vollständig abgekoppelt, das Inforadio erforderte eigene Arbeitsstrukturen zwischen Moderatoren, Nachrichtenredakteuren, Studioredakteuren und dem Chef vom Dienst. Und auch die Absicht war neu:
Diese Welle richtete sich nicht mehr an den dauerhörenden Nebenbeihörer, sondern an den zappenden, bewusst einschaltenden Zuhörer.
Das Wortformat »Inforadio« wurde regional sehr unterschiedlich
umgesetzt. In Berlin setzte Inforadio auf einen 20-Minuten-Rhythmus,
NDR Info beschränkte sich auf die Zeit von 6 bis 19 Uhr und unterbrach
das Format mittags durch das traditionelle Mittagsecho. So wie die musikalischen Formate unterscheiden sich auch Infoformate durch Rhythmus, Themen und Themenspektrum, Nachrichten, Moderation und
ihren spezifischen Sound. Die Formatstruktur gilt im Wesentlichen nur
innerhalb der Woche, am Wochenende dominieren – ganz älteres Radio –
die Wortmagazine mit dem Hintergrundwissen. 2005 etablierte Deutschlandradio Kultur mit dem insgesamt sechsstündigen Radiofeuilleton erstmals auch Kultur im Wortformat.
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Mit den Inforadios wurden erstmals eigenständige Reporterpools mit
dem Auftrag aufgebaut, zu recherchieren und Themen zu finden. Inzwischen deutet sich eine weitere, technisch-organisatorisch verursachte Veränderung an: Die neu gebauten, digitalisierten Funkhäuser in Saarbrücken und Bremen bündeln in ihren nach 2006 eingerichteten Newsrooms
Audio, TV und Internet. Wellenspezifisches Arbeiten wird hier – zunehmend – durch trimediales Arbeiten (wieder in Fachredaktionen) und ein
herausgehobenes Themenmanagement ersetzt. Groß angelegte Themenangebote der ARD wie der Schwerpunkt Mehr Zeit zum Leben – Chancen
einer alternden Gesellschaft (2008) sind hier Vorboten. Sie dauerten 2008
287 Radiostunden und 340 Fernsehstunden.
Merksatz
Radioprogramme haben ihre jeweils spezifische Programmierung
oder Formatierung. Sie orientieren sich am Nebenbeihörer; Morgenprogramm und Abendprogramm etwa unterscheiden sich vielfältig.
Dieser Programmcharakter ist mit den On-Demand-Angeboten im
Internet aufgelöst: hier zählt nur noch der einzelne Beitrag. Die
Musik hat – schon aus Rechts- und Kostengründen – hier keine
Bedeutung mehr.
Die letzte Form des UKW-Radios ist das Formatradio, aus den frühen
Warenhäusern, Gemischtwarenläden und Fachgeschäften sind Discounter mit beschränkter, aber standardisierter Produktpalette geworden.
Ob (oder wann) sich in Deutschland ein digitales Radio etablieren kann
ist offen, welche Formate die dann wohl nicht mehr regional beschränkten Formen DAB oder Digital Radio Mondiale (DRM) entwickeln könnten ebenso. Die Digitalisierung der Medien wirkt hier in zwei Richtungen:
1. Die trimedialen Newsrooms ändern das Verhältnis zwischen den Wellen; sie werden nicht mehr konkurrieren, sondern kooperieren und TV
und Internet mit abdecken müssen. Welch ein radikaler Wechsel hier
stattfindet, wird deutlich, wenn man sich daran erinnert, dass sich das
Begleitradio gegen das Fernsehen erfand. 2. Das Internet bietet inzwischen mit Audio-on-Demand eine neue Form des Radiokonsums an. Sie
ist den formatierten Strukturen entwachsen und jederzeit möglich. Das
Internet erfordert also etwas, was aktuell im Radio vor allem in Häppchen
angeboten wird: Inhalt oder neudeutsch: Content.
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Der Hörfunk verband seit den Anfängen sehr heterogene, eigenen
Logiken verpflichtete Programmbereiche: Unterhaltung, Musik, Politik, Nachrichten, Kultur und Werbung. Diese Bereiche wurden durch
Programmstrukturen mehr oder weniger fest miteinander verbunden
und dienten einem Zweck: der »ständigen« akustischen »Erzeugung
und Bearbeitung von Irritation« (Luhmann 1996, 174). Zum wichtigsten, allgegenwärtigen und das gesamte Programm strukturierenden Programmbereich entwickelten sich die Nachrichten.
»Nachrichten berichten nicht was geschieht, sondern was andere für
wichtig halten« (Bolz 1999, 21), und da es immer mehr Nachrichten als
Sendezeit gab, mussten sie stets ausgewählt, selektiert und geordnet werden. Die ersten Hörfunknachrichten waren vor allem verlesene Zeitungsnachrichten. Ihre Aktualität war gering. Seit 1926 wurden die Nachrichten von der Drahtloser Dienst AG (Dradag) zentral geliefert. Sie war zu
strikter politischer Neutralität verpflichtet. Die regionalen Gesellschaften
waren auf der Nachrichtenebene also nationalisiert; interessanterweise
hatte die Dradag keine eigenen Korrespondenten, sondern nutzte traditionelle Agenturen und schrieb deren Meldungen zu Hörfunkmeldungen
um. Hörfunkgemäß hieß etwa: »Die Hörerschaft setzt sich zusammen aus
allen Stämmen, Konfessionen, Ständen, Parteien und Bildungsschichten.
Das Urteil über die Fassungskraft des Hörers hat sich zu richten nach den
naivsten Hörern!« (Leonhard 1997, 428).
Nachrichten waren anfangs selten und nur eingeschränkt politisch
ausgerichtet; es waren vor allem Wirtschaftsnachrichten. Die Kölner
Werag hatte täglich drei Nachrichtentermine: vormittags zwischen 10 und
11 Uhr, mittags gegen 13 Uhr und abends nach dem Abendprogramm.
1930 kam für die »werktätige Hörerschaft« ein vierter Nachrichtentermin
um 21 Uhr hinzu – die Nachrichten, Meldungen und Bekanntmachungen
galten grundsätzlich als staatsnah. Auch nach 1933 kamen die Nachrichten zentral von der Dradag, die nun dem Propagandaministerium angegliedert war. Mit Kriegsbeginn stieg die Zahl der Sendungen auf sieben;
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1938 gab es erstmals auch zehnminütige Angebote. Eine besondere Form
der Nachricht waren nach 1940 die militärischen Meldungen, dann die
Sonder- und Warnmeldungen etwa vor Luftangriffen.
Nach 1945 wurden die Nachrichten regional produziert. Beim alliierten Radio Hamburg und dann beim NWDR war »News« der am schärfsten kontrollierte Programmbereich; Nachrichten waren das »journalistische Kardinalkriterium der ›Re-education‹« (Köhler 1991, 129)
und machten beim NWDR etwa neun Prozent des Programms aus. Die
alten Sprecherstimmen und Sprechstile blieben weitgehend erhalten – im
Nachrichtensound gab es also Kontinuität.
Nachrichten bringen nicht nur das Neue und Unbekannte, sondern sie
irritieren auch; sie setzen – so Niklas Luhmann – »Individuen als kognitiv
interessierte Beobachter voraus, die nur zur Kenntnis nehmen, was ihnen
vorgeführt wird«. Nur »sozial zugewiesene Prominenz« handelt in den
Nachrichten, dem Hörer wird seine passive Rolle bestätigt (Luhmann
1996, 131). 1953 gab es im Saarländischen Rundfunk neun tägliche Nachrichtensendungen, beim Süddeutschen Rundfunk wurden Nachrichten
noch zu ungeraden Sendezeiten, etwa um 5:20 Uhr oder 12:45 Uhr gesendet und mancherorts dauerten die Nachrichten 10 oder sogar 15 Minuten. Dennoch wurden die Nachrichtenblöcke beliebter: Mitte der
1950er-Jahre hörten im Bundesdurchschnitt 55 bis 60 Prozent regelmäßig Nachrichten, vier Jahrzehnte später sollten es nur noch 50 Prozent
sein. Konrad Dussel sieht die »demokratiepraktischen Verdienste des
öffentlich-rechtlichen Rundfunks in seiner ersten Phase hauptsächlich in
einer umfangreichen, weitgehend unverzerrten Nachrichtenproduktion«
(Dussel 2004, 213).
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1960 konnte der WDR zu jeder Stunde Nachrichten anbieten – aber noch
nicht auf jeder Welle. Zur gleichen Zeit erhöhte der Hessische Rundfunk
die Dauer der Nachrichten in seinem ersten Programm von 105 Minuten
(1961) auf 120 Minuten (1967) täglich. 41 Jahre nach dem Start des Hörfunks etablierte der Saarländische Rundfunk 1964 erstmals Nachrichten
zu jeder Stunde, und zwar auf seiner Werbung sendenden, musikorientierten Europawelle; 1966 folgten NDR 2 und andere ARD-Sender. Aber es
dauerte Jahre, bis sich diese stündliche Form breit durchgesetzt hatte und
vermutlich brachten erst die Formatradios und ihre Philosophie des
Nebenbeihörens den endgültigen Durchbruch.
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Merksatz
Die größte Veränderung bei den Nachrichten fand in den 1960erJahren statt: stündlich wurden nun die aktuellen Nachrichten vermittelt. Damit war nicht nur eine neue Verlässlichkeit implementiert; alle weiteren Radioproduktionen hatten den neuen
60-Minuten-Radio-Rhythmus zu berücksichtigen.
Die Stundennachrichten waren nicht mehr nur Information, sie prägten
nun auch die Programmstruktur; die Neuigkeiten hatten regelmäßige
Plätze, Irritation war ein serielles Ereignis im Radio. Und diese zweite
Funktion änderte auch den Charakter der Nachrichten: Die Nachrichtenblöcke wurden auf Dauer kürzer und stärker auf die Topnews beschränkt,
Wetter und Verkehr, Service also, kamen dazu bzw. danach. Dann wurde
auch akustisch modernisiert. 1970 übernahm der Saarländische Rundfunk eine amerikanische Praxis und erweiterte seine nur gelesenen, »klassischen Nachrichten« durch sogenannte Originalton- oder O-Ton-Nachrichten. Es verlas nun kein Chef- oder Nachrichtensprecher mehr das
Neueste, sondern Originaltöne wurden zunächst angehängt und dann
eingebaut. Ein O-Ton war alles, was nicht im Nachrichtentext stand. Was
in Saarbrücken als Nachricht »neuen Stils«, gar als »Revolution« verstanden wurde, wurde innerhalb der ARD konsequent abgelehnt – denn mit
den O-Tönen drang die Subjektivität des Sprechenden in den um
Objektivität und Neutralität bemühten Nachrichtenstil. Erst die Privatradios popularisierten nach 1986 diesen Sendungstyp und nutzen ihn
durchweg. Öffentlich-rechtliche Wellen übernahmen die neue Form
langsam und gezielt. Heute werden – je nach Welle, Format und Tageszeit – Nachrichten mit und auch ohne O-Töne ausgestrahlt.
Nachrichten gelten einerseits als eine journalistische Grundform im
Radio, andererseits ist der Anteil der »selbst erarbeiten Fakten und Daten«
seit den Anfängen eher gering. Der Hörfunk konzentrierte sich auf die
Verbreitung, Zeitungen und Radio recherchieren und positionieren – wie
Hans Mathias Kepplinger (1985) zeigte – durchaus unterschiedlich. Die
Menge der zu verarbeitenden Nachrichten und Daten wuchs dabei in den
letzten Jahrzehnten enorm: Die Deutsche Presseagentur (dpa) lieferte
1963 in ihrem Basisdienst etwa 150 Meldungen, 1993 waren es 400. Die
Nachrichtenzentralredaktion des SWF-Hörfunks erhielt 1993 über 2.000
Meldungen pro Tag.
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Nachrichten vermittelten in Deutschland traditionellerweise das Politische im engeren Sinne. Sie wurden – akustisch – in einem spezifischen,
fast hoheitlichen Sicherheitston von Männern gelesen und sollten objektiv und wahr sein sowie das Wesentliche berücksichtigen. Dass die »Regierenden« bevorzugt zu Wort kommen, liegt etwa für Bernd-Peter Arnold,
den langjährigen Nachrichtenchef des Hessischen Rundfunks, in der
»Natur der Sache. Eine Partei, die die Regierung stellt, hat nun einmal
mehr Gelegenheiten, ›politisch Relevantes‹ zu äußern. Sie hat vor allem
Möglichkeiten, ›Fakten‹ zu schaffen, an denen der Nachrichtenjournalist
nicht vorbeikommt« (Arnold 1981, 57).
Seit die Nachrichten in den 1970er-Jahren ein Strukturelement der
neuen Service- und Popwellen wurden, veränderte sich ihr Charakter
wellenspezifisch immer wieder. Die Servicewellen erforderten hörerbezogene Informationen, die Jugendwellen knappste Daten, die Lokal- und
Landeswellen bevorzugten das Lokale, die Inforadios das eigentlich Politische und einige Wellen ersetzten die Nachrichten durch »News«.
Radionachrichten vermitteln also spätestens seit den 1970er-Jahren nicht
mehr »die Wahrheit«, sondern sie vermitteln zielgruppenspezifisch selektierte und nach dramaturgischen Gesichtspunkten geordnete Informationen. Es entwickelte sich, so eine empirische Analyse 2005, »eine deutliche Korrelation zwischen Anmutung und Zielgruppe eines Senders sowie
seiner Nachrichtengebung« (Volpers 2005, 122).
Seit den 1970er-Jahren gab es immer wieder Debatten um die Verständlichkeit von Nachrichten (Horsch 1994). Sie führten zu vielfältigen
und stillen Neujustierungen in Stil, Struktur, Tempo, Musikbett und Timbre der Blöcke, ohne die zentrale Funktion von Nachrichten zu verändern: die permanente (und professionelle) Erzeugung von Irritationen.
1998 ersetzte der Saarländische Rundfunk die traditionellen Nachrichtensprecher durch die verantwortlichen Nachrichtenredakteure,
andere Sender folgten. Spätestens um die Jahrtausendwende waren Nachrichtenblöcke Kombinationen aus Nettonachrichten und anderen
Bestandteilen wie Jingle, Begrüßung, Teaser, Name des Nachrichtensprechers (Bruttonachrichten). Sie lagen (2005) in Norddeutschland zwischen 9,3 (NDR 90,3) und 26,7 Prozent (Ostseewelle).
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Merksatz
Nachrichtensendung ist nicht gleich Nachrichtensendung. »Die
Nachrichten« folgen nicht nur spezifischen, professionalisierten
Nachrichtenwerten; sie unterliegen auch den Formatvorgaben der
Wellen und haben sich – je nach Welle – insgesamt vom traditionell
Politischen entfernt.
Auch die Vorstellungen darüber, was mitteilungswert sei, änderten sich
im Verlauf der Jahre. Neben die Berichte über Kanzler, Minister und Parteien trat auch – je nach Welle – Regionales, Lokales, Boulevardeskes und
Spektakuläres. Die (empirische) Lage ist auch hier unübersichtlich. 2005
entfielen in norddeutschen Vollprogrammnachrichten 51 Prozent auf
politische Sachthemen, 22 Prozent auf Human Touch, 16 Prozent auf
gesellschaftliche Sachthemen und 9,5 Prozent auf Sport. Doch zwischen
den Wellen haben sich erhebliche Differenzierungen herausgebildet. Das
Inforadio B5 aktuell etwa sendet täglich knapp 100 Nachrichtenausgaben,
4 pro Stunde. Einige Privatradios verzichten inzwischen auf eigene
Nachrichten: RSH, das 1986 als Marketinggag und Alleinstellungsmerkmal gegen den NDR die Nachrichten »fünf vor« einführte, besitzt keine
Nachrichtenredaktion mehr, sondern kauft sie bei einem Hörfunkdienstleister für Nachrichten; Lokalradios wie Antenne Unna oder Radio
Bonn erhalten ihre Nachrichten vom Mantelprogrammanbieter Radio
NRW. Bei einigen Jugendwellen und Privatsendern haben »Hörfunknachrichten immer mehr die Bedeutung von Teasern« (Bauer 2004, 10);
ihnen bieten, so könnte man paraphrasieren, »anhaltende Traditionen
der Radiogeschichte« nur noch »die Hülle« (Hagen 2005, 379).
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