Artikel LOKALE GELENKSTABILITÄT der LWS

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Artikel LOKALE GELENKSTABILITÄT der LWS
LOKALE GELENKSTABILITÄT der LWS
Rückenschmerzen durch segmentale Instabilität!
Athleten zahlreicher Sportarten wie z.B. Rudern, Fußball, Turnen, Tennis,
Leichtathletik, Badminton, Handball, Schwimmen, Kampfsportarten, Tischtennis, Golf
usw. werden immer häufiger mit Rückenschmerzen konfrontiert.
Es handelt sich hierbei vor allem um sogenannte „dynamische Sportarten“ mit
dynamisch-explosiven Bewegungsverhalten.
Typische Beschwerdebilder im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) zeichnen sich
besonders bei längeren statischen Haltungen, wie z.B. langes Stehen oder
„schlampiges Sitzen“ ab. Sobald der Körper in Bewegung und dabei nicht allzu
großen Belastungen ausgesetzt ist, werden reflektorisch Muskeln angespannt, die zu
einer besseren Stabilität in der Wirbelsäule beitragen und somit die
Rückenschmerzen lindern können!
Skifahren und Joggen kann demnach oft sogar schmerzfrei ausgeübt werden, wobei
hingegen das Sitzen im Auto bei der Heimfahrt meist schon wieder als unangenehm
und schmerzhaft empfunden wird.
Bei einer „segmentalen Instabilität“ sprechen wir von Problemen im Bereich der
kleinen Facettgelenke (Abb.1), die jeweils von zwei Wirbeln gebildet werden; z.B. die
beiden Facettgelenke zwischen 4. und 5. Lendenwirbel (L4 / L5).
Jedes einzelne Wirbelgelenk ist anatomisch genauso aufgebaut wie die uns besser
bekannten größeren Gelenke im Körper, wie das Kniegelenk oder ein Fingergelenk.
Bei jeder Beanspruchung der Wirbelsäule werden die Gelenke verschiedenen
Belastungen ausgesetzt. Diese können Traktion (Zug), Kompression (Druck),
Translation (Gleiten) oder auch Scherkräfte sein, die einerseits durch
Rotationsbewegungen und/oder kombinierten Beuge- oder Streckdrehbewegungen
des Oberkörpers und somit der Wirbelsäule ausgelöst werden.
Um den kleinen Wirbelgelenken bestmöglichen Schutz zu gewährleisten und sie
somit vor Überlastung (Abnützung) und Degeneration zu bewahren, sind gut
ausgeprägte und aktivierte kleine Muskeln in diesem Bereich eine wichtige
Voraussetzung.
Abb.1
 Dipl. PT Thomas Hebenstreit
Das Konzept der lokalen Gelenkstabilität beschreibt 2 wichtige Muskelsysteme, die
unabhängig voneinander funktionieren, aber dennoch im Verhältnis zueinander
stehen und somit in einem Gleichgewicht, bzw. in muskulärer Balance stehen sollten.
Zum Einen haben wir das „globale“ Muskelsystem, das zwischen Brustkorb und
Becken verläuft und für das Gleichgewicht dazwischen und im gesamten Rumpf
verantwortlich ist. Zum Anderen das sehr wichtige „lokale“ Muskelsystem, das mit
Ansatz direkt an den einzelnen Wirbelkörpern für segmentale Stabilität sorgt (Abb.2).
Globales Muskelsystem:
-
-
gerader Bauchmuskel (M. rectus abdominis)
schräge Bauchmuskulatur (M. obliqu. abd.)
lange Rückenstrecker (M. erector spinae)
Lokales Muskelsystem:
Abb.2
•
-
M. multifidus (longus et brevis)
M. rotatores (Rotatorenmanschette der
Facettgelenke)
M. transversus abdominis
Kein Rückenschmerz
Lokale Muskeln stabilisieren die einzelnen Wirbelsäulensegmente
(tiefes System funktioniert muskulär neuromuskuläre Steuerungsfähigkeit!)
•
Rückenschmerz
Defizite der lokalen Systeme (normale Kraftverhältnisse, keine Fehlhaltungen aber
trotzdem Rückenschmerz) – Mißverhältnis zw. den beiden Muskelsystemen –
Koordinationsdefizit!
 Dipl. PT Thomas Hebenstreit
Laut Konzept verhindert ein optimales Zusammenspiel beider Muskelsysteme eine
segmentale Instabilität und den daraus resultierenden Rückenschmerz.
Wenn das tiefe lokale System inaktiv ist (-) und das globale System zu viel trainiert
(+) oder gekräftigt wird (z.B. mit dynamischen Übungen wie „sit-ups“ für die gerade
Bauchmuskulatur),
dann
kommt
es
zu
muskulären
Dysbalancen
(Ungleichgewichten), welche Rückenschmerzen aus den Wirbelgelenken hervorrufen
können.
Vergleichbar dazu wäre ein instabiles Kniegelenk in der horizontalen Ebene nach
gerissenem vorderen Kreuzband, das nicht operiert möglicherweise früher oder
später zu Abnützungserscheinungen an den Gelenkflächen und somit zu einer
Kniegelenkarthrose führen kann (die Instabilität selbst muss noch keine Schmerzen
im Knie verursachen!).
Was ist nun mit Rückenschmerzen, die durch einen Bandscheibenvorfall und durch
die daraus folgende Nervenwurzelirritation ausgelöst werden?
Natürlich sind der Bandscheibenvorfall oder die Vorwölbung weitere
Diagnosemöglichkeiten im Bereich der Wirbelsäule, die für Rückenschmerzen
verantwortlich sein können.
Meiner Meinung nach stellt das lokale Muskelsystem sehr wohl auch einen
prophylaktischen Schutz gegen Bandscheibenprobleme dar.
Je besser die lokalen Muskeln zwei Wirbelkörper miteinander stabilisieren, desto
weniger kann die dazwischen liegende Bandscheibe auf Zug belastet werden, weil
es zu geringeren Verschiebungen zweier Wirbelsegmente kommt.
Wie vielleicht einige von Euch wissen, wird nämlich die Bandscheibe nicht durch
Druck (Kompression) in Mitleidenschaft gezogen, sondern durch Zug, wobei es zum
Zerreißen von Bandscheibengewebe kommt und auf diese Art und Weise die
Bandscheibe kaputt werden kann.
Dies passiert vorwiegend im hinteren Bereich des Bandscheibenringes, wo das
sogenannte prolabierte Bandscheibenmaterial auf die Nervenwurzel drücken kann
und die typischen Symptome eines Bandscheibenvorfalles auslöst.
Das wären dann u.a. ausstrahlende Beschwerden bis in die Beine und Zehen, je
nach Höhe der Schädigung und zum Teil auch Lähmungserscheinungen in der
Beinmuskulatur.
Haltungsschäden oder schlechte Arbeitshaltungen, wie z.B. langes schlampiges
Sitzen mit gekrümmter LWS führen meist zu Bandscheibenproblemen und Schäden.
Eigenschaften der Muskelsysteme:
Globales System:
-
Gleichgewicht, Bewegung
Kraft notwendig (dynamisch)
Neigung zu Muskeldysbalance
(eingelenkige / mehrgelenkige)
abhängig von Aktivität
= kein direkter Zusammenhang
mit Schmerzen
 Dipl. PT Thomas Hebenstreit
Lokales System:
- segmentale Stabilität
- niedriger Kraftaufwand
- unabhängige Steuerung
- Funktion ist abhängig von
Bewegung, Gleichgewicht, Haltung
- selektive Anspannung
- Kontrolle nicht Kraft (Koordination wichtig!)
= konstanter Zusammenhang mit
Schmerzen
Eigenschaften der stabilisierenden Systeme:
Globale Muskeln:
Lokale Muskeln:
- lang
- oberflächlich
- Muskelfasern =
Hauptbewegungsrichtung
- kräftig
- Ansätze zwischen Becken
und Brustkorb
- für kurze explosive Kraft
- klein / kurz
- tief
- Muskelfasern = quer zur
Bewegung
- direkter Ansatz an LWS
- eher konstante Länge
- in jeder Lage effizient =
Haltungsunabhängig
= GLEICHGEWICHT
= SEGMENTALE STABILITÄT!
<20%
Steuerung
(neuromuskuläre Steuerung) der lokalen Muskeln ist völlig
unabhängig von der Steuerung der globalen Muskulatur!
Stabilität der lokalen Muskeln durch:
Federsteifigkeit (Stiffness): ist die Fähigkeit Verlängerung / Deformation zu
widerstehen; leistet sofortigen Widerstand zur segmentalen Verschiebung;
befestigt die Wirbelsäule von Wirbelkörper zu Wirbelkörper
Kokontraktion: vermehrt segmentale Stabilität; Agonist und Antagonist gleichzeitig
unter Spannung – immer vorhanden in Alltagsbewegungen
Muskeln: funktionieren wie eine „Zusatzbandage“ direkt ums Gelenk!
(„Rotatorenmanschette“ des Facettgelenks, Abb.3)
Tiefe Muskeln erzeugen Stabilität ohne die Bewegung zu beeinflussen!
(genau dieses Phänomen ist in den sogenannten „dynamischen Sportarten“ von
großer Bedeutung und wichtig, um eine Überlastung und Folgeschäden bzw.
Abnützung in den kleinen Wirbelgelenken zu vermeiden)
Abb.3
 Dipl. PT Thomas Hebenstreit
Musculus MULTIFIDUS: ( 10 in Abb.4 / Abb.5)
tonische Aktivität (Haltearbeit / Spannung)
wirksame Erzeugung der Stiffness
(Multifidus besser als Rotatoren / Erector Spinae ist dazu nicht fähig)
58-80% der segmentalen Stabilität bewirkt der Multifidus allein!
Merke: Wenn M. erector spinae (gerade Rückenstrecker) viel stärker als M.multifidus
ist, können Dysbalancen auftreten!
Ev. Auslöser von Rückenschmerzen (bei Sportlern die viel Extensionstraining an
Geräten machen, d.h. dynamisches Rückenmuskeltraining mit wiederholter, aktiver
Streckung bzw. Aufrichtung des Oberkörpers)
Abb.5: Ein Wirbel im Querschnitt:
Der M. multifidus (medialer Trakt) ist
orange dargestellt und liegt im Gegensatz
zum M. erector spinae (äußerer Trakt),
der hier schraffiert dargestellt wird,
unmittelbar am Dornfortsatz und somit
noch näher und lokaler am Wirbelkörper
bzw. beim Facettgelenk.
Abb.4: Die Zahlen 8 und 9 stehen für die
Mm. rotatores, die eine nahezu
horizontale Verlaufsrichtung aufweisen.
Sie regulieren die Feineinstellung der
Wirbelbogengelenke in den einzelnen
Bewegungssegmenten und tragen
wesentlich zur Stabilisierung bei!
Abb.4
 Dipl. PT Thomas Hebenstreit
Musculus TRANSVERSUS ABDOMINIS: (Abb.6)
Funktion:
Dysfunktion:
- als erster Rumpfmuskel aktiv
- der Bewegung voraus
- Richtungsunspezifisch
- tonische Aktivität (Spannung)
- motorische Kontrolle unabhängig
von Gleichgewichts- oder
Bewegungskontrolle
- verzögert
- nicht voraus
- Richtungsspezifisch
- phasische Aktivität (An/Aus)
- motorische Kontrolle abhängig
von Gleichgewichts- und
Bewegungskontrolle
- steuert sich wie ein globaler
Muskel
Der M. transversus abdominis stellt das
horizontale Bauchmuskelsystem dar;
entspringt mit 6 Zacken von der
Innenfläche der 7.-12. Rippe (9).
Weiters entspringt er auch noch von der
Darmbeinschaufel (10+11) und vom
Leistenband (12).
Seine Fasern verlaufen quer und
horizontal bis zu den einzelnen
Wirbelkörpern und setzen u.a. dort an.
Abb.6
Die Hypothesen des segmentalen Schutzes durch die lokale Muskulatur sind:
-
maximale Gelenkkongruenz; Gelenkflächen sollen so gut
wie möglich
übereinander stehen
gleichmäßige Druckverteilung über den Knorpel (bessere Widerstandsfähigkeit!)
Zentralisierung des Gelenks (sonst ungleichmäßiger Druck auf Knorpel – Arthrose
kann entstehen)
minimale Gelenkverschiebung - durch optimale Spannung der Muskeln rund um
den Wirbel
Merke: die Grundlagen des Konzeptes der lokalen Gelenkstabilität gelten für die
gesamte Wirbelsäule (HWS – BWS – LWS) und können auch vom Prinzip her auf
andere Gelenke übertragen werden, wie z.B. das Schultergelenk.
Das lokale Muskelsystem beim Schultergelenk (Glenohumeralgelenk) ist
die
sogenannte „Rotatorenmanschette“, deren Muskeln für die aktive Zentrierung des
Schultergelenks verantwortlich sind.
 Dipl. PT Thomas Hebenstreit
Eigenschaften des Rückenschmerzes:
-
Schmerz v.a. bei langsamen Bewegungen (natürliche Bewegungen)
-
Oft keine Schmerzen beim Joggen oder Heben von Lasten
-
Schmerzen im LWS-Bereich bei längerem Sitzen, Stehen, Spazierengehen...
Zuerst meist das Koordinationsproblem der tiefen Muskeln (muskuläre Schwäche
und z.T. Atrophie, Dysbalancen) und dann manifestiert sich der „Rückenschmerz“!
Die Kraft der einzelnen Muskeln und die Haltung spielen meist keine Rolle in der
Entstehung bzw. in der Ursache des Rückenschmerzes. Die Aktivität der lokalen
Muskulatur generell ist wichtig. Die neuromuskuläre Steuerungsfähigkeit und die
Rekrutierungsfähigkeit der tiefen Muskeln sind die entscheidenden Faktoren in
Bezug auf die Gelenkstabilität.
Das Training hat also nichts mit einem Krafttraining zu tun, sondern mit vielen
wiederholten Aktivierungen (Rekrutieren) der lokalen Muskeln – sprich die aerobe
Kapazität in den Muskelfasern und somit die Kraftausdauer sind sehr wichtig!
Die Ausführung der Übungen sollte hauptsächlich isometrisch / statisch (Haltearbeit
und Spannung) sein, um eine optimale Voraussetzung und Umgebungssituation für
die lokalen Muskeln (z.B. M. multifidus) zu gewährleisten.
Nur unter diesen Umständen kann das lokale Muskelsystem auch rekrutiert und
aktiviert werden und wird nicht durch zu viele dynamische Bewegungen
ausgeschaltet oder deaktiviert.
Bestehen also bereits Rückenschmerzen, sollten fast ausschließlich isometrische
Rücken – und Bauchmuskelübungen trainiert und durchgeführt werden, um das
lokale System zu aktivieren und nicht das globale System durch Dynamik noch
kräftiger zu machen.
Die typischen „sit-ups“ für die gerade Bauchmuskulatur, bei denen die
Lendenwirbelsäule ständig mitbewegt wird, würden demnach zu größeren
Dysbalancen und mehr Instabilität in den Wirbelsegmenten führen und stellen daher
einen Negativeffekt dar!
Ich hoffe, Ihnen einen nicht allzu komplizierten Einblick in dieses Thema der lokalen
Gelenkstabilität in Bezug auf Rückenschmerzen gegeben zu haben und stehe gerne
für weitere Rückfragen zur Verfügung.
Grundlagen basierend auf dem Konzept der „lokalen Gelenkstabilität“ vom Research
Team der University of Queensland, Australia.
Thomas Hebenstreit, PT
Sport-Physiotherapeut & Personal Trainer
Olympiazentrum Sportland OÖ
4020 Linz, auf der Gugl 30
mobil: 0676-6097055
[email protected]
 Dipl. PT Thomas Hebenstreit