Heidelberger Kinoentwicklung von 1945 bis 1980 von Jo

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Heidelberger Kinoentwicklung von 1945 bis 1980 von Jo
„Gut Licht und volle Kassen!“
Heidelberger Kinos nach dem zweiten Weltkrieg (1945-80)
Von Jo-Hannes Bauer, Heidelberg
Denkt man an die „Goldenen Jahre des Kinos“, so fallen einem sofort die Fünfziger Jahre
ein. Millionenerfolge wie die drei „Sissi-Filme“ und „Grün ist die Heide“ stehen neben
Skandal-Filmen wie „Die Sünderin“ (1951), „Das Mädchen Rosemarie“ und „Die Halbstarken“
(1958).
Für das Bewusstsein der jungen Bundesrepublik spielte die Filmproduktion eine große Rolle
– sowohl in dem, was sie zeigte, wie in dem, was sie verschwieg. Bereits in „Film ohne Titel“
(Rudolf Jugert, 1949) berät ein Drehbuch-Team, wie ein zeitgemäßer Film jenseits der
Trümmer-Ästhetik aussehen könnte. Dass in diesem Film-Projekt die junge Hildegard Knef
die Hauptrolle spielen sollte, passte, denn das junge, unverbrauchte Gesicht läßt bereits den
künftigen Welt-Star ahnen. Tatsächlich prägte sie neben Romy Schneider, Sonja Ziemann,
Ruth Leuwerik und Liselotte Pulver als junge Hauptdarstellerin das Bild des deutschen Kinos
in den Fünfziger und Sechziger Jahren.
Thematisch herrschten Flucht in den Heimat- und Regional-Film vor („Grün ist die Heide“,
„Schwarzwaldmädel“), in Komödien („Das Wirtshaus im Spessart“) und Schlagerfilme
(„Wenn die Connie mit dem Peter“). Der Anteil deutscher Filme an der Kinokasse erhöhte
sich von seinem tiefsten Stand 1949 von 7 % auf erstaunliche 45,9 % 1953. „Deutsche
Lustspiele, Heimat-, Kriegs- und Revue-Filme besetzten von 1952 an regelmäßig die
Spitzenplätze der Kino-Hitlisten, bevor sie dort in den sechziger Jahren von den Karl-Mayund Edgar-Wallace-Serien abgelöst wurden.“ Im ersten „Sissi“-Jahr 1956 gingen insg. über
817 Mio. Menschen ins Kino, das war Nachkriegsrekord! Die Zahl sank dann im Verlauf der
sechziger Jahre auf 320 Mio. und fand ihren Tiefstand 1967 mit 243 Mio. (1)
Eine Auseinandersetzung mit der jüngsten Nazi- und Weltkriegs-Vergangenheit fand
hingegen nur punktuell und ausnahmsweise statt. Sieht man von dem Anti-Kriegs-Klassiker
„Die Brücke“ (1959, Regie: Bernhard Wicki) ab, stellten viele Kriegsfilme deutsche Soldaten
und ZivilistInnen v.a. als Opfer, wenn nicht sogar als Helden dar (z.B. „Nacht fiel über
Gotenhafen“ über den Untergang der „Wilhelm Gustloff“). Selbst ein Holocaust-Überlebender
wie der Filmproduzent Arthur Brauner (CCC) musste erfahren, dass man dem Publikum nur
ein gewisses Maß an Aufklärung zumuten konnte. Ein von seiner eigenen Biographie
inspirierter Film wie „Morituri“ (1948) floppte gnadenlos an der Kasse. Keiner wollte den
Kriegsfilm über das Leben einer jüdischen Widerstandsgruppe in den Wäldern Russlands
sehen. Brauners in Berlin ansässige CCC-Filmproduktion avancierte zu dem bedeutendsten
Lieferanten für deutsche Komödien und Unterhaltungsstoffe, erst in seinem Spätwerk
wendete er sich wieder historischen und v.a. jüdischen Themen zu. (2)
Der „Heidelberg“-Film der Vorkriegszeit allerdings erlebte eine Renaissance. Neben „AltHeidelberg“ und „Heidelberger Romanze“ ist die romantische Kulisse immer wieder
Zwischenstation in Komödien und belanglosen Serienproduktionen. Ein ganz anderes, für
seine Zeit allerdings sehr realistisches Heidelberg-Bild vermittelt die amerikanische HowardHawks-Komödie „I was a male war bride“ (1948) mit einem Army-Hauptquartier im besetzten
Rathaus, einem Motor-Park im Schwetzinger Schloß und kilometerweiten Trümmerbergen in
Mannheim.
Der Film erlebte seine Uraufführung im besetzten „Capitol“-Kino in Bergheim vor geladenen
Gästen. Womit wir bei der Situation der Heidelberger Kinos nach dem Krieg wären.
Nachkrieg und Währungsreform
Die Amerikaner fanden die Stadt bei ihrer Besetzung nahezu unzerstört vor. Alle Kinos
wurden zunächst geschlossen, da die Betreiber zwangsweise der NS-Kulturkammer
angehört hatten und somit erst „entnazifiziert“ werden mussten. Die kleineren Häuser
nahmen den Spielbetrieb jedoch bald wieder auf, nachdem von der „Film Control Branch“
unbelastete kommissarische Leiter gefunden worden waren. Als erstes Kino spielte das
„Schloß” (Hauptstr. 42) im September 1945 wieder, ihm folgte im Januar 46 das „Gloria” mit
einem Kurz- und Dokumentarfilmprogramm. Allein das „Capitol“ blieb bis Juli 1953
beschlagnahmt und diente der US-Army als Truppenbetreuungs- und Versammlungssaal.
Das Programm der ersten Nachkriegs-Monate und -jahre in der amerikanischen
Besatzungszone bestand v.a. aus aktuellen amerikanischen Produktionen, darunter der
Charlie-Chaplin-Klassiker „Goldrausch“, aber auch Filme des ex-Pfälzers William Dieterle,
so die Bio-pics über Madame Curie und über Paul Ehrlich „Dr. Ehrlich`s Magic Bullett“.
Chaplins „The great Dictator“ wurde nach einer Probeaufführung in Berlin zunächst für
Deutschland gesperrt, da die Deutschen die Satire über das Dritte Reich und seinen Führer
offensichtlich nicht zum Lachen fanden. Überhaupt legten die Amerikaner großen Wert auf
den erzieherischen Wert des Films. Demokratische und anti-faschistische Gesinnung sollte
den Deutschen auch durch das Kino-Programm eingeimpft werden. Ein Beispiel dafür waren
die verpflichtend angesetzten Vorführungen von Dokumentarfilmen über die Nazi-Greuel in
den KZs, z.B. der Film „Die Todesmühlen“. Er wurde in Heidelberg just in der
Karnevalswoche anfang März 1946 in einer geschlossenen Vorführung für alle
Gewerkschaftsmitglieder gezeigt.
Ab März 1946 spielten auch „Odeon“ und „Kammer“ wieder, so dass die Heidelberger die
Auswahl zwischen vier verschiedenen Programmen mehrmals täglich hatten (jedenfalls an
den Wochenenden). Das Programm wiederholte sich jedoch allmählich – es ist erkennbar,
dass nur ein begrenzter Filmstock zur Verfügung stand und dass die Kinos
„zwangsbewirtschaftet“ wurden.
Deutsche Filme waren in den ersten Nachkriegsjahren eine Rarität. Die Produktion der NSZeit, inbesondere des letzten Kriegsjahrs 1945, die z.T. erst nach dem Krieg fertiggestellt
wurde (sog. „Überläufer“-Filme) lag noch in den Regalen und gelangte nur sehr zögerlich in
den Verleih, da dagegen allgemeiner Ideologie-Verdacht gehegt wurde. Auch waren die
rechtlichen Bedingungen des Filmverleihs in der Nachkriegssituation ungeklärt, da die
Besatzungsmächte zunächst eine eigenständige Kino- und Filmpolitik betrieben und erst mit
der Schaffung der Tri-Zone (1948) ein einheitlicher Wirtschaftsraum in Westdeutschland
entstand.
An einen Wiederaufschwung war erst nach der Währungsreform 1948 zu denken. Dafür
sprossen nun Kinos in allen Stadtteilen aus dem Boden. Allein in Neuenheim zählte man im
Sommer 1949 zwei Kinos, die „Kamera“ in der Brückenstrasse, sowie das „Apollo“ in der
Ladenburgerstr. 26. In der Weststadt, an der Bahnhofstr. eröffnete die „Kurbel“ - ein
Ladenkino, das wegen feuerpolizeilicher Bestimmungen mit einem tragbaren
„Kofferprojektor“ betrieben wurde.
Als in Handschuhsheim das Bachlenz-“Volkstheater“ nicht mehr als Theater genutzt wurde,
wandelte es sich zum Vorort-Kino, das erst 1964 den Spielbetrieb einstellte. Später wurden
die Räume - ebenso wie das „Regina” in Bergheim - von einem Judo-Club angemietet, der
sie bis heute nutzt. Außerdem gab es in Wieblingen in einem Nebensaals der Gaststätte
„Zum Neckartal“ noch die „Neckartal-Lichtspiele” (Mannheimer Straße 177, ab 1950) - heute
ein Restaurant und Supermarkt.
Und es gab in Kirchheim neben dem – seit 1933 von Hanni Moog geführten „Atrium“ noch
das „Roxy“ und in Rohrbach das „Luxor“ im rückwärtig hinter der „Traube“ gelegenen Saal.
1950 eröffnete Theo Bender (3), ein Kinobesitzer aus Mühlhausen im Kraichgau und Pächter
des „Apollo“ in Neuenheim sowie des „Metropol“ in Rohrbach, den „Filmpalast“ im
Pfaffengrund. Sein Bruder, der Schriftsteller und Publizist Peter Bender fungierte
vorübergehend als Geschäftsführer, was mit einer kostenlosen Wohnung über dem Kino
verbunden war. Allerdings hat er diese Zeit heute in schlechter Erinnerung, da der ständige
Lärmpegel durch den Kinobetrieb seine literarische Produktion erheblich störte....
Unnötig zu sagen, dass es bald auch in Eppelheim („Filmbühne“), Leimen, Wiesloch
(„Metropol“) und in Dossenheim („Lido“) Kinos gab. Überall schossen sie wie Pilze aus dem
Boden, eine Entwicklung, die noch bis 1955 anhielt. Für Existenzgründer und
Familienbetriebe, die das Geld für eine Kino-Ausstattung aufbringen konnten, war es nahezu
ein Selbstläufer. Und dies obwohl sich seit Juni 1953 die Konkurrenz in Form des
Fernsehens ankündigte. Anlass für die erste Fernseh-Übertragung war die Krönung von
Elisabeth II zur Königin von England. Für diesen Event wurde die RNZ-Redaktion für einen
Tag zum öffentlichen „Fernseh-Saal“, Public Viewing, sozusagen. Auch das Photo- und
Radio-Haus Wessendorf in der Haupstr. 107 richtete einen „Fernseh-Salon“ ein.
Von den Vorkriegskinobesitzern in Heidelberg blieb – abgesehen von Eugen Reich mit dem
„Capitol“ und Hanni Moock in Kirchheim – nur Arthur Kusch (4) mit „Schloß“ und „Gloria“
übrig. Nach dem Ende der Treuhand-Phase konnte auch er seine Kinos wieder in Besitz
nehmen, allerdings nicht ohne juristische Probleme, da sein Mietvertrag mit den „Schloß“Hausbesitzern Peter Kaiser Erben auslief und er ihn um die Zeit der Beschlagnahmung
verlängern wollte.
Die „Kammer“ wurde inzwischen von August Walter Schwarze (5) betrieben, einem
Westfalen, der in die Mannheimer Kino-Familie Würthele eingeheiratet hatte. Er führte das
Kino bis kurz vor seinem Tod 1973 weiter. Das „Odeon“ wurde von Clara Blank geführt, ab
1955 umbenannt in „Rex“ (100 Plätze) unter der Regie von Theo Bender.
Die wegweisenden Neugründungen waren hingegen von Dr. Heinz Siska (6) inspiriert. Der
ehemalige Journalist und Publizist („Wunderwelt des Films“) hatte zusammen mit Eduard
Wawersig 1949 die „Kamera“ in Neuenheim und in der Weststadt die „Kurbel“ gegründet.
1954 folgte das erste Heidelberger Cinemascope-Kino „Regina“ in Bergheim, und im
Dezember 1955 das „Europa“ (600 Plätze) in der Rohrbacher Strasse.
Die Gerüchte um die Wiedereröffnung des „Capitol“ im Mai 1953 hatten wohl die Phantasie
der Investoren beflügelt. So auch in der Altstadt, wo zu Pfingsten 1953 in den Räumen, wo
sich heute das Sinti-und Roma-Dokumentationszentrum befindet, das Kino „Fauler Pelz“
aufmachte – ein Standort, der sich als „Gilde“-Kino noch bis 1980 halten sollte. Das
Eröffnungsprogramm war der Klassiker „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ - ein Film, der
wohl v.a. Studenten und Jugendliche anlocken sollte, dessen Titel sich jedoch für die beiden
Betreiber Kruppa und Büttner geradezu als programmatisch erwies. Sie hatten – trotz des
allgemeinen Booms in der Branche - zunächst kein Glück und entgingen dem Konkurs im
ersten Jahr nur knapp.
Zwischen Ästhetik und Pädagogik: der „Heidelberger Filmclub“ 1948-70
Im Sommer 1948 tat sich eine kleine Gruppe von Studenten zu einer „Studentischen
Interessengemeinschaft für internationale Filmkunst an der Universität Heidelberg“
zusammen. Ziel war, dem künstlerisch ambitionierten Film ein größeres Publikum zu öffnen
und Filmvorstellungen mit Fachvorträgen, Diskussionen und Tagungen zu begleiten.
Die Aktivitäten im Wintersemester 1948/49 ließen hoffen: Vor etwa 400 Mitgliedern und
geladenen Gästen wurden monatlich zwei Filme aufgeführt. Insgesamt kamen 18 Kultur- und
Dokumentarfilme aus USA, England, Schweiz und Deutschland zur Aufführung, dies wurde
ermöglicht durch Beziehungen zur Film Section und zur British Film Library in Hamburg und
zum schweizer Konsulat in Frankfurt. Zum Thema „Film und Soziologie“ hielt Prof. Johannes
von Eckardt vom Zeitungswissenschaftlichen Seminar der Universität eine Reihe von
Vorträgen. Auch die Reihe „Kirche und Film“ und „Woche des realistischen Films“
begeisterte das Publikum und führte zu lebhaften Debatten.
Treibende Kräfte unter den zwölf Gründungsmitgliedern waren der schweizer Medizinstudent
Hermann Strobel und Heiner Braun, der später Filmproduzent wurde. Schon nach einem
Jahr erfolgte die Öffnung zur Stadt und ab November 1949 gab es den „Filmclub Heidelberg“
mit 164 Mitgliedern, im Vorstand wiederum Hermann Strobel und der Filmjournalist Dr. Will
Fischer, der die Aktivitäten des Filmclubs publizistisch in der RNZ begleitete.
Im Juli 1951 erfolgte die Registrierung als e.V. mit damals 460 Mitgliedern. In den folgenden
beiden Jahren gelang es, die Mitgliederzahl nahezu zu verdoppeln (831 im Januar 53), aber
zwei Jahre später (im Januar 55) waren diese „Hochzeiten“ schon wieder vorbei, zu einer
MV erschienen von 243 Mitgliedern gerade mal 22. Die MV war nicht beschlußfähig.
Ebenfalls im Jahr 1951 wurde ein „Jugend-Filmring Heidelberg“ gegründet, analog zum
„großen“ Filmklub erhielten Oberstufen-SchülerInnen aus acht Gymnasien die Möglichkeit,
selbständig Filmveranstaltungen mit anschließender Diskussion zu organisieren.
Ein Länderschwerpunkt des „Filmclubs“ war von Anfang an Frankreich. Zum einen waren die
filmischen Entwicklungen im Nachbarland – neben dem italienischen Neorealismus – die
interessantesten und herausforderndsten. Zum Anderen war es durch besondere
Beziehungen nach Mainz möglich, französische Filme ohne deutschen Verleih vorzuführen.
Den Bemühungen des damaligen französischen Kulturoffiziers in Mainz, Tanguy, war es zu
verdanken, dass in den Jahren 1948-53 nicht weniger als 61 französische Filme gezeigt
werden konnten. (RNZ v. 19.7.60)
Bei so viel Umtriebigkeit konnte es nicht ausbleiben, dass irgendwann die Idee eines
Festivals entstand. Freilich sollten die 1951 und 52 veranstalteten „Filmkunst-Tage“ nicht
primär ein Festival mit Preisen und Glamour sein, sondern ein Festival des Geistes, wo die
Filme sich in der Auseinandersetzung mit der Kritik beweisen mussten. Internationalität war
Pflicht, und in der francophilen Atmosphäre Heidelbergs wurde das Organisations-, Auswahlund Jury-Gremium des Festivals in Anlehnung an die Qualifizierungsrennen der „Tour de
France“ als „Criterium“ bezeichnet und sollte eine permanente Plattform für die
Auseinandersetzung der internationalen Kritik mit der Filmkunst sein.
Die Filmkunsttage 1951 und 52 fanden denn auch vor großem Publikum im Juli/August im
Schloß-Kino statt, jeweils mit einer feierlichen Eröffnung durch den Rektor der Universität in
der Alten Aula. Auch Hoffnungen auf Anerkennung als A-Festival machte man sich. Der frz.
Filmjournalist Armand Cauliez sah die „Filmkunst-Tage“ schon auf gleicher Augenhöhe mit
Venedig und Cannes. Eine Hoffnung, die bekanntlich trog: Das Film-Festival in der geteilten
Stadt Berlin sollte sich zum größten Schaufenster der west-deutschen Filmszene entwickeln
und in der Nachbarstadt Mannheim gab es seit 1952 ebenfalls „Kultur- und
Dokumentarfilmtage“, die sich über die Jahre zum „Internationalen Film-Fest MannheimHeidelberg“ mauserten. Heidelberg war mal wieder ganz vorne – im Geiste. In der Realität
zuckelte man hinterher.
Gefährliches Kino
„Eine Zensur findet nicht statt“ - so steht es im Grundgesetz (Art. 5, Abs,1). Wie jedoch
schon der Fall von „The great Dictator“ gezeigt hatte, gab es Themen und Genres, die man
dem Publikum nicht ohne weiteres zumuten wollte. 1949 wurde in Wiesbaden – nach
amerikanischem Modell – die FSK (Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft) etabliert,
eine quasi-staatliche Behörde, die über die Altersfreigabe von Filmen entscheiden sollte.
Damit wurde zwar keine absolute Zensur im Sinne eines Aufführungsverbots ausgeübt, den
Anforderungen des Jugendschutzgesetzes wurde jedoch im Konsens zwischen staatlichen
Organen, Vertretern gesellschaftlicher Gruppen, wie der Kirchen, und der Filmwirtschaft
genüge getan.
Dass die Freigaben der FSK nicht immer unproblematisch waren, zeigt die
Auseinandersetzung um den Hildegard-Knef-Film „Die Sünderin“. Der Film, der im Kern die
Geschichte eines Ehebruchs darstellt, wurde zunächst (1951) ab 16 freigegeben, dann nach
Protesten und gerichtlichen Beschlagnahmungen 1957 erst ab 18 Jahren freigegeben.
Eine andere skurrile Entscheidung, das Totalverbot des Neorealismus-Klassikers „Rom,
offene Stadt“ (Roberto Rossellini, 1945) wurde mit dem Argument begründet, der Film könne
den deutsch-italienischen Beziehungen schaden, hatte auch für Heidelberg Konsequenzen:
Bei einer im Rahmen der Filmkunsttage angesetzten mitternächtlichen Vorstellung dieses
Films in der „Kammer“ war der Andrang so groß, dass es zu Rangeleien und und zu
Körperverletzungen durch das in den Kinosaal drängende Publikum kam.
Auch Rufe nach einem Filmverbot aus der Mitte der Gesellschaft wurden laut – diesmal rief
der Filmklub zur Zensur auf. Als der NS-Propaganda-Regisseur Veit Harlan (7) („Jud Süss“,
„Kolberg“) mit seinem Film „Hanna Amon“ nach dem Krieg 1951 ein Comeback versuchte,
erhob sich deutschlandweit ein Protest, v.a. seitens der jungen Generation der Studenten,
die den Krieg in seinen letzten Monaten noch bewusst erlebt hatten. In Freiburg, wo der Film
im Januar 1952 Premiere hatte, gab es Proteste seitens des AStA. Auch der Heidelberger
Filmklub solidarisierte sich mit dem Freiburger AStA und forderte in einer studentischen
Resolution und in einem Brief an OB Swart das Verbot dieses Films. Als der Film im „Schloß“
anlief, kam es auch zu öffentlichen Protesten und Rangeleien, die Polizei mußten den
Durchgang für das Publikum freimachen und es kam zu Verhaftungen von studentischen
Aktivisten.
Der Kampf um den künstlerischen Film – vom Filmklub zum „Gilde“-Kino
„Unsere Bemühungen werden sich auch weiterhin dahin erstrecken, das Medium Film nicht
nur von der pädagogischen, sondern v.a. auch nach der ästhetischen Seite hin zu
durchleuchten“, so der langjährige Vorsitzende Dr. Dieter Schadt im Rahmen eines
Rückblicks auf zwölf Jahre Filmklubarbeit 1960. In seiner Bemerkung schwingt neben
vorsichtigem Optimismus auch eine Portion Wehmut über die vergangene Größe mit.
Die „Filmkunst-Tage“ hatten sich als Strohfeuer erwiesen, seit 1955 beklagte man
rückläufige Mitgliederzahlen und mangelnden Idealismus. Die Veranstaltungsreihen, wie z.B.
der „Zyklus der Meisterregisseure“ wurden zwar immer noch angenommen, aber mit der
Übernahme des „Faulen Pelz“-Kinos durch Hubertus Wald im Sommer 1954 hatte man nun
zwei „Gilde“ (Filmkunst-)Kinos in Heidelberg (neben der „Kamera“), die qualitativ
ausgewogene Programme zeigten.
Denn im Frühjahr 1953 hatten sich auch eine Reihe von Kino-Besitzern, darunter der
Mannheimer Dr. Künzig und der Heidelberger Dr. Siska, mit dem Ziel zusammengesetzt,
„künstlerische Filme und die Erweiterung des daran interessierten Publikumskreises“ zu
fördern. Die noch heute existierende „Gilde Deutscher Filmkunsttheater“ (seit 1976 mit dem
„Gilde“-Pass) war geboren. Ein Motto der Betreiber war „Wir müssen das Kino verändern,
weil wir es lieben.“
Die Situation der Erstaufführungs-Kinos fasste Dr. Heribert Fröchte, damals Leiter des
wiedereröffneten „Capitol“-Kinos, das nicht zuletzt auf Betreiben des „Filmklubs“ von der USArmee freigegeben wurde, wie folgt zusammen: „Ich sehe gerade in der musischen und
aufgeschlossenen Klima Heidelbergs eine ideale Plattform, um dem sich so stürmisch
weiterentwickelnden Film ... seine publizistische Sichtbarmachung zu garantieren. Wir
spielen 52 Filme im Jahr, deutsche und ausländische, und wir hoffen, mit diesem Querschnitt
... auch unseren Teil zur Förderung des kulturellen Lebens in dieser Stadt beitragen zu
können.“ (RNZ vom 9.5.53)
Obwohl die Mitglieder des Filmklubs gute Beziehungen zu den heidelberger Kinobesitzern
pflegten, stellte sich immer wieder die Frage, wie man unter diesen Umständen eine
Filmklubarbeit sinnvoll, mit ehrenamtlichen Kräften und ohne städtische Subvention aufrecht
erhalten könnte. Einziger Zuschuss war die kostenlose Nutzung eines Büros im Rektorat der
Universität.
Das Ende des Filmklubs kam dann in den Nachwehen der Studentenbewegung. Schon seit
1966 hatte es eine Politisierung der Diskussionen im Filmklub gegeben, allerdings konnten
die aktiven Studenten wohl nichts mit dem Vereins-„Establishment“ anfangen, das ihnen zu
sehr im Bestehenden verhaftet erschien. Bei einer Besetzung des Rektorats im Sommer
1968 wurden die Räume des Filmklubs gleich mitbesetzt und verwüstet.
Von diesem Schlag hat sich der Filmklub nie wieder erholt. Die beiden Vorsitzenden
verließen aus persönlichen Gründen den Verein, bei der ordentlichen MV im Dezember 1969
waren gerade noch drei Mitglieder anwesend. Bei einer weiteren, außerordentlichen MV im
Mai 1970 erschienen dann 40 neu eingetretene Mitglieder, die einen Bruch in der
Vereinsgeschichte herbeiführten. (8)
Heidelberg auf dem Weg zur deutschen Kino-Hauptstadt (1952-58)
Wie wir gesehen haben, unterschied sich die Kino-Situation in der Heidelberger Altstadt bis
ende 1952 nicht wesentlich von der Vorkriegs-Situation. Das „Capitol“ war geschlossen,
„Schloß“ und „Gloria“ wurden von Arthur Kusch geführt, die „Kammer“ von A. W. Schwarze
und das „Odeon“ von Clara Blank. Pfingsten 1953 kam der „Faule Pelz“ dazu.
Hubertus Wald (9), einem Kino-Mogul aus Frankfurt, entging die Notlage der beiden „Faule
Pelz“-Betreiber Kruppa und Büttner nicht. Er traute sich zu, das Kino wieder in die
Gewinnzone zu bringen und so einen Fuß in die Heidelberger Kino-Landschaft zu setzen.
Wald besaß zu diesem Zeitpunkt bereits ca. 25 Kinos in anderen Städten Süddeutschlands
und nannte sein Unternehmen daher „Süddeutsche Filmbetriebe“. Zum 10.04.54 erwarb er
also den „Faulen Pelz“ und beauftragte seinen Ludwigshafener Kino-Leiter O.F. Richter,
einen scharfen Blick auf die Konkurrenz in Heidelberg zu werfen.
O. F. Richter hat in seinen Erinnerungen seine Rolle in dieser Zeit Revue passieren lassen
(10). Er wurde von Hubertus Wald als Geschäftsführer des „Faulen Pelz“ berufen und baute
von da die Wald-Kette zu einem kleinen Quasi-Monopol in Heidelberg aus.
Als nach dem Tod von Kusch 1954 eine Verlängerung des Mietvertrags für das „Schloß“Kino zu Vorkriegspreisen durch einen Prozess erstritten werden sollte, schlug Richter zu und
bot der Hauseigentümer-Gemeinschaft Peter Kaiser Erben einen Mietvertrag an, verbunden
mit einer Renovierung des Betriebs. Der Kusch-Erbin Frau Scheuppe blieb nichts anderes
übrig, als sich auf das „Gloria“, das kleinste und unspektakulärste Kino in der Altstadt,
zurückzuziehen. Zum November wurde übernommen und am 1. Weihnachtstag 1955 das
renovierte „Schloß“-Kino eröffnet, also fast zeitgleich mit dem „Europa“.
Ein Blick auf die Kino-Anzeigen zu Weihnachten 1955 zeigt die Vielfalt, aber auch die offene
Konkurrenz, die damals in der Kino-Landschaft herrschte. Da gab es die beiden CS-Kinos
„Regina“ und „Europa“ von Dr. Siska, den „Faulen Pelz“ und das „Schloß“ der Süddeutschen
Filmbetriebe und „Apollo“ und „Rex“ von Theo Bender. Bender bespielte außerdem noch die
das „Metropol“ in Rohrbach, den „Filmpalast“ im Pfaffengrund und das „Bachlenz“ in
Handschuhsheim. Insgesamt spielten in Heidelberg 17 Kinos, 12 davon inserierten
regelmäßig.
Man sollte meinen, damit wäre der Kino-Boom abgeschlossen. Aber für Richter war dies erst
der Anfang. Im nächsten Jahr wurde handstreichartig der „Wormser Hof“ an der
Hauptstrasse mit dem „Harmonie“-Saal von der Welde-Brauerei in Schwetzingen erworben.
Ergebnis war ein Kino-Neubau im Herzen der Altstadt mit zwei großen Sälen. Die Technik
des Theaters war für die damalige Zeit auf dem neuesten Stand. Eine Betondecke von 22 m
Durchmesser spannte sich ohne Säulen über den Kino-Saal. Zwei Projektoren der Firma
Siemens projezierten ein Bild auf eine 18 x 9 m große Leinwand. Die Tonanlage war sowohl
für Licht- wie Vierkanal-Magnetton ausgelegt, zwei Bühnenvorhänge und eine ferngesteuerte
Bildwandabdeckung (Kash) sorgten für eine perfekte Vorführung.
Am 22. Dezember 1956 – genau ein Jahr nach dem „Schloß“ - war festliche Eröffnung. Im
großen Saal der „Harmonie” lief „Sissi, Mädchenjahre einer Kaiserin” - wohl der
erfolgreichste deutsche Film aller Zeiten - und im „Lux” der Carol-Reed-Film „Trapez”. In den
nächsten Jahren kamen „Europa“ und „Regina“ der Siska-Gruppe noch zum Wald-Imperium
hinzu. Die „Kamera“ existierte in den sechziger und siebziger Jahren weiter als RepertoireKino, das Film-Klassiker und Wiederholungen im halbwöchentlichen Wechsel spielte.
Dieser Coup von Hubertus Wald stieß bei den Verleihern zunächst auf Skepsis. Die
hervorragenden Zuschauerzahlen im „Lux/Harmonie“ überzeugten jedoch bald und
ermöglichten eine abgestufte Planung des Programms. Und nach einiger Zeit, als jedes
Haus „sein Gesicht“ erhalten hatte, ergab sich folgendes Bild: Die Theater „Harmonie” und
„Lux” zeigten die Spitzenfilme aller eingekauften Staffeln, das gleichfalls als Premierenhaus
geführte „Schloß” spezialisierte sich auf Familienprogramme, das nunmehrige „Gilde“Theater „Studio Europa” brachte allgemeine Filmkunstprogramme, der „Faule Pelz”
(ebenfalls Gilde-Theater) zeigte ausgewählte Filmkunst.
Die nach dem Tod von Schwarze im Januar 1977 dazu gekommene „Kammer” wurde
Actionkino und die „Kamera” ab 1980 (nach der Schließung des „Faulen Pelzes“) als „Gilde“Kino weitergeführt. Sorgen bereitete Richter nur das „Regina”, das als „Ablagekino” mit
Filmen bespielt wurde, die von den Verleihern übernommen werden mussten, aber für die
anderen Kinos nicht gut genug waren. Im Jahr 1982 endet dann die Tätigkeit O. F. Richters
für die Heidelberger Kinos, er übergab an seinen Nachfolger Michael Huttenlocher und ging
in Rente.
Rein statistisch war Richters Tätigkeit für Wald nicht nur an der Kinokasse erfolgreich, sie
führte auch zu einem skurrilen Rekord, der wohl seitdem nicht mehr erreicht wurde:
Heidelberg war bis Oktober 1958 Kinohauptstadt der Republik, da hier die höchste Zahl von
Kino-Sitzplätzen im Verhältnis zu Einwohnerzahl vorgehalten wurde, nämlich 72 Plätze auf
1.000 Einwohner. Mannheim war zweiter mit 70,5, andere Großstädte landeten weiter hinten
mit Frankfurt (61), München (58) und Stuttgart (45). Man mag dies als „Überbesetzung“
werten, also als Überangebot, das abzubauen war, aber wahrscheinlich war das
Heidelberger Publikum doch so kinofreudig – zumal die studentische Klientel – dass das
reichhaltige Angebot auch eine beherzte Nachfrage nach sich zog. Die Kinos waren voll – im
Durchschnitt ging jeder Einwohner ein Mal pro Monat ins Kino – und das ließ die Kassen
klingeln.
Das Goldene Zeitalter geht zu Ende: Niedergang in den Sechzigern
Um 1960 gab es in der BRD bereits 1 Mio. Fernsehgeräte. Die ARD sendete seit November
1954, 1963 kam das ZDF („Zweites Deutsches Fernsehen“) dazu. Zusammen mit dem Trend
zum eigenen Auto bedeute dies eine Schwächung der Vorort-Kinos, da der Kino-Besuch nun
wieder etwas Besonderes, Einmaliges wurde, für das man gern in die Stadt fuhr. So war der
erfolgreichste Film des Jahres 1963 „Dr. Schiwago“, ein farbenprächtiges BreitwandSpektakel von David Lean mit einem All-Stars-Aufgebot. Der Versuch, den Erfolg ein Jahr
später mit „Ryan `s Daughter“ zu wiederholen, misslang jedoch kläglich.
Denn auch die Filmproduktion – v. a. in Hollywood – reagierte auf das Fernsehen. Waren in
den fünfziger Jahren Schwarz-Weiß-Filme im Academy-Format (1:1,33) noch die Regel,
Farbfilme eher die Ausnahme, wurde nun mit Breitwand-Formaten unterschiedlicher
Provenienz experimentiert (Cinerama, Todd-A-O, Vista-Vision). Ähnlich war bei allen
Ansätzen der Wunsch, das Besondere des Kinos, die große, breite Leinwand über die
gesamte Stirnseite des Kinos (bis zu 20 m Breite und 9 m Höhe), optimal auszunutzen und
mit dem vorhandenen Material (35mm-Film) die maximale Bilddichte zu erreichen.
Das Todd-AO-Verfahren setzte sogar drei Projektoren ein, die simultan projezierten, wobei
an den Schnittstellen das Bild überlappte. Beim 70mm-Film wurde der 35mm-Film horizontal
durch die Kamera geführt und danach jedes Bild auf einen 70mm breiten Filmstreifen kopiert.
Das Ergebnis war ein Bild im Breitwandformat (1:2,35), das durch seine große Detaildichte
und unverzerrte Perspektivtreue bestach.
Durchgesetzt hat sich das anamorphotische Cinemascope-(CS)-Verfahren, bei dem das
normale 35mm-Bild durch eine optische Verzerrung nach rechts und links auf das doppelte
Format „aufgeblasen“ wird (erstmals eingesetzt bei dem Film „The Robe/Das Gewand“
1953). Da jedoch nicht alle Kinos für das CS-Format geeignet waren (eine besondere Optik
war notwendig), ging man dazu über, nun auch „normale“ Filme im sog. „Breitwand“-Format
(1:1,66 und 1:1,85) zu produzieren.
Weitere Sonderformen des Kinos waren das 3-D-Kino (heute wieder populär), das „Riech“oder „Geruchs“-Kino und das „Grusel“-Kino des William Castle, bei dem bestimmte
„Gimmicks“, mechanische Vorrichtungen, im Zuschauerraum installiert wurden. So flatterte
bei einem Geister-Film ein weißes Gespenst quer durch den Raum und bei dem „Kitzler“
wurden auf manchen Sitzen elektrische Kontakte installiert, mit denen den Zuschauern
Stromschläge versetzt wurden.
Vom Sex-Kino zum Kino-Center: Benders „City“-Filmbar und Riechs „Schachtel-Kino“
Ein anderer Möchte-Gern Mogul, der es Wald gleichtun wollte, war der bereits erwähnte
Theo Bender. Er betrieb zunächst das „Apollo“ in Neuenheim (1949-56), dann den „FilmPalast“ im Pfaffengrund und das „Metropol“ in Rohrbach. Außerdem konnte er Clara Blank
dazu überreden, ihm das „Odeon“ zu überlassen, das er in „Rex“umbenannte. Zeitweise hat
er auch die Programmierung des Handschuhsheimer „Bachlenz“ übernommen.
Gerade die kleinen Kino-Besitzer traf die Krise mitte der 60er Jahre dann jedoch besonders
hart. Fast alle Vorort-Kinos mussten schließen, ein Prozess, der sich allerdings bis anfang
der siebziger Jahre hinzog. Auch die Innenstadt-Kinos mussten sich ständig neuen
technischen Anforderungen stellen – oder sich ein neues Publikum suchen. So gab es in
vielen Städten ein „Aktualitäten-Kino“ mit Non-Stop-Betrieb aus Wochenschauen,
Dokumentar-, Kurz- und Trickfilmen, das zu jeder vollen Stunde wiederholt wurde. Auch gab
es Konzepte für Raucher- und Verzehr-Kinos, was sich jedoch nicht auf Dauer durchsetzte.
Eine weitere Sonderform des Kinos entstand in der Folge von Oswalt Kolles Aufklärungsfilm
„Deine Frau, das unbekannte Wesen“ - das Sex- und Porno-Kino. Waren freizügige Szenen
schon seit jeher Bestandteil der Kino-Attraktion gewesen, so wurde die Handlung nun auf die
Darstellung eindeutiger Nackt-Szenen reduziert. Sex-Klamotten von der Art des
„Schulmädchen-Reports“, die auch erfolgreich in den Erstaufführungskino liefen, trugen dazu
bei, dieses Genre, wo nicht salonfähig, so doch beim Publikum akzeptabel zu machen.
Im Sommer 1973 zeigte schon ein Blick auf das allgemeine Kinoprogramm, von welchen
Titeln man sich Umsatz erhoffte. Im „Lux/Harmonie“ lief ein „James-Bond“ und ein weiterer
Abenteuerfilm, das „Gloria“ (damals von dem Mannheimer Dieter Spickert geführt) zeigte
„Wilder Sex frühreifer Mädchen“, im Nachtprogramm den Beatles-Film „Let it be“. Das
Friedrichsfelder Autokino die Filme „Lass jucken, Kumpel“, „Das Bullenkloster“ sowie „Graf
Porno bläst zum Zapfenstreich“. Das „Rex“ zeigte den „Sex-Träume-Report“ und die Kurbel
die „Liebesschule blutjunger Mädchen“.
Lediglich die „Kamera“ blieb ihrem Programm als Repertoire-Kino treu und zeigte mit
„Woodstock“ und „Zeugin der Anklage“ (mit Charles Laughton und Marlene Dietrich) zwei
Klassiker, die zwar schon etwas angejahrt waren, die aber ihr Publikum hatten. Das KinoAngebot richtete sich somit fast ausschließlich an den Geschmack junger Männer - die
harmloseste Form waren noch die Bud-Spenser-Westernparodien – das anspruchsvolle
Publikum wurde hingegen regelrecht aus dem Kino vertrieben. Dies änderte sich erst mit
dem Aufkommen der Programm-Kinos und dem zunehmenden Erfolg des Autorenfilms.
Auch Theo Bender zog die Notbremse. Als im März 1971 das „Rex/Odeon“ keine
akzeptablen Zahlen mehr einspielte und einer Tiefgarage weichen mußte, eröffnete Theo
Bender in einem Seitengebäude der Hauptstr. 37 die sog. „City-Filmbar“, das erste ErotikKino Heidelbergs. Die „City-Filmbar“ lief Non-Stop, man konnte das Etablissement jederzeit
diskret über einen Seiteneingang betreten und verlassen.
Zehn Jahre später (1981) sollte nun auch das Nebengebäude abgerissen werden. Im
Rahmen der Altstadtsanierung klagte Bender gegen die Stadt, da er angeblich eine
Bestandssicherung für seinen Betrieb erhalten hatte. Bender unterlag, das Hinterhaus wurde
ohne Kompensation abgerissen.
Er gab jedoch nicht auf. Als kurz darauf das „Gloria“ in der Hauptstr. frei wurde (der
Leutershausener Kino-Besitzer Fritsche hatte das Kino von Spickert übernommen und es
vom Schmuddel-Image zu einem anspruchsvollen Programm geführt), übernahm Bender
den Betrieb und kündigte an, im Hinterhof wieder ein Porno-Kino (jetzt: „Film-Klause“)
eröffnen zu wollen. Dagegen erhob sich jedoch öffentlicher Protest – man wollte keine
Werbung für „nackte Tatsachen“ auf der Hauptstrasse dulden. Überhaupt versuchte die
Stadt, dem neuen „Gloria“ das Leben mit hohen Auflagen bezgl. der Werbung schwer zu
machen.
Konfliktlösend hat in dieser Situation wahrscheinlich gewirkt, dass die Bender-Tochter Inge
Mauerer-Klesel beschloß, den Kino-Betrieb, nach einer Übergangsphase, in der Fritsche
weiter das Programm bestimmte (Juli 1982), von ihrem Vater zu übernehmen und das
„Gloria“ als „Gilde“-Kino mit einem zweiten Haus „Gloriette“ weiterzuführen. Der Erfolg blieb
nicht aus. Nach einer Eröffnungswoche, die dem „Jungen Deutschen Film“ gewidmet war –
der damals auch schon zwanzig Jahre seit dem „Oberhausener Manifest“ 1962 auf dem
Buckel hatte – entwickelte sich das „Gloria/Gloriette“ als heidelberger „Programm-Kino“ zur
ersten Adresse für Filmkunst.
Zurück zu Hubertus Wald: Seine Kino-Kette wurde 1972, als die Kino-Krise auf ihrem
Höhepunkt war und viele kleine Kinos geschlossen werden mussten, an die „Olympic FTB“
verkauft, welche wiederum kurz darauf im UFA-Konzern der Familie Riech aufging. Riech
hatte die UFA-Kinos (35 Kinos) gerade (Dezember 1971) erst von Bertelsmann gekauft und
war mit seinen eigenen 17 Kinos nun größter Kino-Besitzer Deutschlands. Diese
Marktmacht nutzte er aus, er machte sich einen Namen als „König der Schachtelkinos“ und
erbarmungsloser Patriarch, der bis ins Detail in die Befugnisse der örtlichen Kinoleiter
hineinregierte. 1980 wurde das „Schloß“ in ein 3-Saal-Kino umgebaut und auch am
„Harmonie“ ging seine Umbauwut nicht spurlos vorbei. Aus dem großen Saal im
Erdgeschoss samt Foyer und Projektionsraum wurden 1981 vier kleine Säle geschaffen, nur
das „Lux“ im Obergeschoß blieb als großer Saal mit ca. 500 Sitzen erhalten.
Mit seiner Geschäftspolitik, große Säle in viele kleine aufzuteilen und von einem zentralen
Projektionsraum bespielen zu lassen, nahm er die Multiplex-Idee vorweg. Nur, dass die
Qualität der Projektion darunter litt, und dass sich die Zuschauer in den engen und oft langen
„Schachteln“ nicht besonders wohlfühlten.
Dennoch konnte Riech sich anfang der 80er Jahre getrost als „Kinokönig“ fühlen, gehörten
ihm doch bundesweit 230 Kinos, darunter allein 12 Säle in Heidelberg (1979: 6, 1981: 3
„Schloß“-Säle, „Lux“, 4 „Harmonie“-Säle, „Gemini“, „Kammer“, „Studio Europa“ und
„Kamera“) Seitdem hat sich auch eingebürgert, dass nicht mehr von Kino-Standorten,
sondern von Leinwänden geredet wird. Und trotz aller Kritik muß man Riechs UFA- bzw.
Olympic-FTB-Kette Geschäftsinstinkt und Erfolg in einer für das Kino schwierigen Zeit
bescheinigen. Dauernd wurde umgebaut, renoviert, neu eröffnet, mit ständigem Blick auf die
Zuschauerzahlen und auf den Erfolg. Da durfte auch ein „Erotik“-Kino im kleinsten Saal der
„Harmonie“ („Gemini“) nicht fehlen, und sei es nur, um der „City-Filmbar“ Theo Benders
dieses Publikum nicht allein zu überlassen.
Der Kampf um den guten Film geht weiter...
20 Jahre Filmklub-Arbeit hatten – trotz eines kläglichen Endes, doch so viel Wirkung
hinterlassen, dass Anfang der siebziger die Diskussion um ein öffentliche gefördertes Kino
als „kommunales Kino“ wiedereröffnet wurde. Protagonist war diesmal die Volkshochschule
mit ihrem Leiter Siegfried Scheffel (11), die im September 1971 eine Reihe „film-forum“ im
Vortragssaal der Stadtbücherei startete.
Vorausgegangen waren Pläne und Projekte für ein sog. „Arbeitskino“ in einen KneipenNebenraum in der Unteren Straße, wo neben Rauchen und Getränke-Verzehr auch
stundenlange Diskussionen über die gezeigten Filme möglich sein sollten.
Eingeklinkt hatte sich in die Diskussion auch O. F. Richter, der in Beobachtung der Situation
in Frankfurt, wo eines der ersten kommunalen Kinos in Westdeutschland entstand und sich
seine Existenzberechtigung gegenüber der Kinobranche in einem Prozess erstreiten musste,
natürlich den Standpunkt vertrat: Heidelberg braucht kein städtisches Kino!
Denn, so Richter weiter, schließlich schöpfen „gewerbliche“ und nicht-kommerzielle KinoBetreiber letztlich aus dem gleichen Fundus von Filmen, je nach gewünschter Profilierung
ihres Hauses, mag man dies nun „Erstaufführungs-Kino“, wie das „Lux/Harmonie“, „Gilde-“
oder Programm-Kino (wie das „Gloria/Gloriette“) oder eben „kommunales Kino“ nennen.
Diese betriebswirtschaftliche Betrachtungsweise liegt jedoch im Widerspruch zum Anliegen
der Filmklubs und kommunalen Kinos, gerade dem wirtschaftlich nicht attraktiven Film
(Dokumentarfilm, Experimental- und Trickfilm, Autorenfilm) eine Plattform zu bieten, ein
systematisches Verständnis des Mediums „Film“ heranzubilden und Programme nach
gesellschaftspolitischen Fragestellungen, ohne Rücksicht auf den finanziellen Erfolg,
zusammenzustellen.
Allerdings war die Debatte um den „guten Film“ keine Debatte um „Qualität“ im luftleeren
Raum, vielmehr ist sie ein Kampf um den Zuschauer – nicht in der Masse, wohl aber um den
intelligenten Kopf, der gewillt ist, sich durch Kino bilden zu lassen und der intellektuellen
Anspruch mit Unterhaltung zu verbinden weiß.
In diesem Sinne kann ein kommunales Kino auch Wegbereiter für einen Erstaufführer
darstellen, indem es das Publikum zur Qualität hin erzieht. Kommunale Kinos als „Schule
des Sehens“, die „andere Filme anders zeigen“ wollen, wie es die – meist ehrenamtlichen –
Betreiber dieser neuen Kinoform meist pädagogisch wirksam formulierten. In der Praxis
waren dies dann oft bessere Volkshochschul-Kurse mit avantgardistischen Filmbeispielen
aus einem knatternden 16mm-Projektor – ein Vergnügen, für das man schon hartgesottener
Cineast sein musste, oder eben Technik-Freak, der sich daran freute, wenn sich trotz einer
lichtschwachen Lampe noch ein Bild auf der Leinwand bewegte.
Die Beschränkung auf die 16mm-Technik und auf den Bildungsauftrag war denn auch lange
Jahre die Linie des „Waffenstillstands“ zwischen kommunalen Kinos und gewerblichen
Betreibern (12). Das Kino-Erlebnis mit Popcorn, großer Leinwand und Special Effects, wie
im „Katastrophenfilm“ der achtziger Jahre, blieb den Innenstadtkinos vorbehalten, das
Bildungspublikum konnte seinem Geschmack im „Programm-Kino“ folgen und der
Cineasten-Nachwuchs traf sich im kommunalen Kino der VHS und träumte von einem
eigenen Haus, das endlich der „Filmkultur“ den Durchbruch bringen sollte.
Ein eigener Kino-Saal mit einer Technik, die den gewerblichen Kinos gleichrangig, wenn
nicht sogar überlegen sein sollte, blieb für Heidelberg lange Jahre ein Desiderat. Während es
seit 1972 in Mannheim mit dem „cinema quadrat“ und ab 1980 in Karlsruhe mit der
„Kinemathek“ eigenständige kommunale Spielorte gab, musste Heidelberg sich gedulden.
Ein eigenes Haus für die Filmkultur sollte es erst mit der Eröffnung des Karlstorbahnhofs zu
Weihnachten 1995 geben – somit genau 100 Jahre nach der Erfindung des Films bzw. des
Kinos als öffentlichen Vergnügens. Damit galt auch für das „Karlstor“-Kino das Motto der
„Gilde“-Kinos von 1953 – wenn auch in leichter Abwandlung: „Wir müssen das Kino neu
erfinden, weil wir es lieben“.
Anmerkungen/Quellen:
(1) Zahlen aus:Oliver Castendyk, „Die deutsche Filmförderung“, Konstanz 2008. Zitate aus :
ebd. und Gerhard Midding u.a.: „Deutsch-französische Filmbeziehungen“, Potsdam 2009.
(2) Arthur Brauner (*1919, Lodz) Dt. Filmproduzent „Morituri“ 1948, „Der Stern von Rio“, „Der
20. Juli“ 1955, „Das indische Grabmal“, „Es geschah am hellichten Tag“ 1958, „Hitlerjunge
Salomon“ 1989/90, „Babij Jar“ 2001-03.
(3) Theo Bender (1914 Mühlhausen – 2008 Heidelberg) Kino-Besitzer in und um Heidelberg,
Vorstand des „Vereins der Nachspielkino-Besitzer der Badischen Bergstrasse“
(4) Arthur Kusch (1885-1954), Nachruf RNZ v. 10.8.54; zunächst Kinobesitzer in MAFriedrichsfeld (seit 1911), dann erster Geschäftsführer im „Capitol“-Kino, HD, 192728, ab 1931 Pächter des „Schloß“-Kino und ab 1934 Übernahme des „Gloria“.
(5) A.W. Schwarze (seit 1931 in Kinobranche tätig, ab 45 „Kammer“ , + 8.8.73)
(6) Dr. Heinz Siska (*1927 Danzig, ab 1934 Sportjournalist und Radiosprecher, 1938
Pressesprecher der Tobis, ab 1947 „Baden-Wanderfilm“-Kino mit W. Müller in HD, ab
49 „Kamera“, „Kurbel“, „Regina“ und „Europa“ sowie „Atelier am Zoo“ in Ffm. 1965-72
Vorsitzender des Hessischen Verbands der Filmtheaterbesitzer.
(7) Veit Harlan (1899 Berlin – 1964 Capri) Schauspieler, NS-Filmregisseur „Der
Herrscher“ 1936/37, „Jud Süss“ 1940, „Der große König“ 1940-42, „Kolberg“ 1943.
Nach einem Prozess wegen seiner Beteiligung an „Jud Süss“ und einem nicht
abgeschlossenen Entnazifizierungsverfahren nach dem Krieg wieder als Regisseur
erfolgreich.
(8) „Das Kino“ im Keller des Collegium Academicum, Seminarstr.2, entstand aus einem
Tutorium des „Theaters im Gewölbe“, das beschlossen hatte, Film und Kino als eine
erweiterte, zeitgemäße Form von Theater zu betrachten und die Wirkungen dieser Kunstform
auf das Publikum zu erforschen. „Nach einem dreitägigen Filmseminar, das dem „Theater im
Gewölbe“ schlagartig den Zugang zu einem anderen, weiteren Publikumskreis ermöglichte,
wurde das Theater um einen Nebenraum und einige technische Anlagen erweitert und, um
den Zugang zu wichtigen Filmarchiven zu erhalten, durch Übernahme des Filmclubs
Heidelberg e.V. juristisch ausgewiesen.“ (Rolf Müller im Bericht der Tutoren des CA für das
WS 70/71)
„Das Kino“ im Keller des CA existierte noch bis zur Auflösung dieser Einrichtung im
März 1978. Es spielte zunächst Klassiker des russischen Revolutionsfilms und des
Arbeiterkinos der zwanziger Jahre, aber auch Avantgarde- und Underground-Filme USamerikanischer Provenienz. Legendär waren das „Frauen-Film-Festival“ und die
„Chinesischen Filmwochen“ (jeweils an den Weihnachtsfeiertagen) unter der Leitung von
Reinhard Bütikofer.
(9) Hubertus Wald (1903 Berlin – 2005 Hamburg) Kinobesitzer und Kunstförderer.
1946 Eröffnung der „Kurbel“ in Karlsruhe, 1971 Verkauf der „Süddeutschen
Filmbetriebe“ an Riechs UFA-Konzern. 1993 Gründung der Hubertus-Wald-Stiftung.
(10)
O. F. Richter (*1920, Filmhochschule Prag, Journalistikstudium in Heidelberg)
1954-82 Kinoleiter der „Süddeutschen Filmbetriebe Hubertus Wald“, dann der
„Olympic“-FTB in HD. O.F.Richter, Jo-Hannes Bauer, „HDer Kinogeschichten 195282. Ein Kinoleiter erzählt.“ In: Jahrbuch zur Geschichte der Stadt, Band 5, 2000.
(11)
Siegfried Scheffel (1931 Dresden – 1993 Ladenburg) nach 5 Jahren StasiHaft in der DDR Übersiedelung nach West-Berlin, 1960 VHS Oberhausen, 1962
Abendakademie Mannheim, 1970-91 Leiter der VHS und „filmforum“ Heidelberg.
(12)
Einen Überblick über die Entwicklung der Kommunalen Kinos in der BRD gibt:
Stefan Drößler, Kommunale Kinos und Digitalisierung, in: Recherche Film und
Fernsehen, Zeitschrift der deutschen Kinemathek, Nr.5, 2009