Fahrtenbericht - Ferienhaus Donau

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Fahrtenbericht - Ferienhaus Donau
Wanderrudern des ARC Würzburg vom 23.5. – 31.5.2003 auf der Theiß
Chronik eines Abenteuers
Zu ihrer jährlichen Wanderruder-Tour zog es die Mitglieder der „Stütz-Gruppe“
diesmal in den Osten Europas. Der ungarische Teil des Flusses Theiß sollte unser
vorerst letztes Abenteuer sein. Im Rückblick – wir haben noch mal die große Freiheit
genossen.
Die Durchführung der Tour wäre nicht möglich gewesen ohne den bewundernswerten
und rastlosen Einsatz unseres Ruderkameraden Manfred Klein, ehemals Steuermann
des Deutschland-Achters von 1972 bis 1992, der den meisten Ruderern noch bekannt
sein dürfte. Er hat jetzt ein Ferienhaus in Ungarn, an der Donau gelegen, das er auch
vermietet. Der LRV Berlin hat unter seiner Obhut zwei Gig-Doppelvierer und zwei GigDoppelzweier liegen, die zu einem angemessene Preis vermietet und ggf. auch
transportiert werden können. Der Chronist hat mit Manfred Klein übers Internet
Verbindung aufgenommen und unseren Reisewunsch kundgetan.
Unsere Vorstellung war, die Theiß zu befahren, was mit großen Booten logistisches
Neuland war. Fahrtbeschreibungen von Kanuten gab es wohl, aber für uns waren sie
nicht recht verwertbar.
Manfred hat im Frühjahr schon die ganze Route mit seinem PKW abgefahren und
Tagesetappen nach den Gegebenheiten festgelegt, Anlegestellen gesucht und
Quartiere besorgt. Das ganze wäre nicht möglich gewesen ohne die Unterstützung
durch seine charmante Frau Erika, einer Ungarin. So hatten wir schon sehr früh einen
genauen Wanderplan, der sich rückblickend als optimal erwiesen hat.
Die Theiß, ungarisch Tisza, ist neben der Donau der zweitgrößte Fluß in Ungarn. Der
Fluß durchschneidet das Land von Nord nach Süd und ist im ungarischen Abschnitt
mit 597 km sogar länger als die Donau mit 417 km. Der Fluß strömt nach Ungarn ein im
Nordosten des Landes von der Ukraine kommend und schlängelt sich in unzähligen
Windungen durch die Große Tiefebene, Alföld genannt, bis er südlich von Szeged das
Land verläßt und sich jenseits der Grenze, in Serbien, mit der Donau vereinigt.
In die Schlagzeilen der Weltpresse kam der Fluß, als in Rumänien bei Baia Mare
100 000 Kubikmeter hochgiftiges Zyanid durch einen Dammbruch in einen Nebenfluß
einströmte und sich in die Theiss ergoß. Der Fluß war tot. Alle Fische, natürlich auch
Fischotter, Seeadler, Reiher und alle Lebewesen die mit den Wasserbewohnern und
Wasseranwohnern durch die komplizierte Nahrungskette verbunden waren, wurden
ausgerottet. Mutter Natur half durch ein Unglück im Unglück, nämlich durch ein
verheerendes Frühjahrshochwasser, dem die allerorts befestigten Deiche nicht
standzuhalten vermochten. Die Laune der Natur hatte einen höchst positiven Effekt für
den geschundenen Fluß. Die giftigen Schwermetalle und das Zyanid wurden schnell
ausgewaschen und verdünnt, so daß schon im darauffolgenden Jahr, durch die
Nebenflüsse einwandernd, wieder Fische und alles andere Getier den Fluß
bereicherten. Die endgültige Heilung des komplizierten Ökosystems wird noch einige
Zeit dauern.
Wir Ruderer erlebten einen ursprünglichen Fluß, welcher den Bemühen des Menschen
alles regulieren zu wollen, bis jetzt noch widerstanden hat. Der windungsreiche Fluß
ist sehr breit. Das Wasser ist von guter Qualität und lädt zum Schwimmen ein. Sein
Wasserstand ist sehr instabil. Regenfälle in den Karpaten und an den zahlreichen
Nebenflüssen lassen ihn schnell ansteigen. Trockenheit bei wunderbarem Wetter, wie
wir es hatten, läßt seinen Wasserstand täglich um zehn bis fünfzehn Zentimeter fallen.
Uns schien der Lauf des Flusses natürlich sehr träge. Stehendes Wasser. Bei einem
täglichen Pensum von über 40 Flußkilometern bei brütender Hitze und sengender
Sonne war Ausdauer und Leistung gefordert.
Wir waren diesmal sechzehn. Da wir das Problem des Bootstransports nicht hatten,
gestaltete sich die Anreise von Würzburg nach Tokaj weniger anstrengend als sonst
bei unseren Touren. Für den größten Teil der Strecke über Wien und Budapest stand
uns die Autobahn zur Verfügung. Der lästigen Benutzungsgebühr in Österreich stand
die allfällige Gebühr in Ungarn nicht nach. Für Ungarn braucht man an der Grenze nur
einen Personalausweis. Die Grenzformalitäten verliefen reibungslos. Lästig ist für den
Weiterreisenden ist die fehlende Autobahnumgehung im Norden von Budapest. Die
Ungarische Metropole steht, was Entwicklung und Verkehr betrifft, einer „westlichen“
Stadt in nichts nach. Ein Bus von uns war schon nachts aufgebrochen. Der Chronist
fuhr mit dem Bus, der am Morgen startete. Wir kamen zur rush hour in Budapest an
und quälten uns zur Autobahn nach Norden durch. Die meisten kannten Budapest als
Ziel einer Tour vor Jahren. Es ist aber immer wieder von besonderem Reiz das
spezielle Flair einer Großstadt vom Kern bis in die Randbezirke vom Bus aus auf sich
wirken zu lassen. Wir überquerten eine der zahlreichen Donaubrücken und der
Chronist weiß nur noch, daß man, wenn man das imposante Gebäude des
Hauptbahnhofes aus der Gründerzeit vor sich aufragend sieht, sich scharf rechts
halten mußte. Sonst landete man nirgendwo und mußte lang nach dem Weg suchen.
Die letzte Strecke zum Ziel mußten wir von der Autobahn herunter und die Landstraße
nehmen, ein deutlicher Zeitverlust, der uns erst weit nach Sonnenuntergang in Tokaj
ankommen ließ. Tokaj, die Stadt welche dem sagenhaften Wein den Namen gibt.
Schnell waren die Betten in einer Art Jugendherberge, Viziport Turistahaz, mit
Beschlag belegt, drei oder vier Mann teilten sich ein Zimmer. Die sanitären Anlagen
waren ausreichend und wurden nach einer sehr langen Autofahrt dankbar
angenommen.
Trotz der vorgerückten Stunde bekamen wir in der Gaststätte des Hauses noch etwas
zu essen, dem hungrigen Wanderer gerade gelegen. Bei der Bestellung hatten wir die
erste „Begegnung“ mit der einheimischen Sprache. Die Ungarn sprachen eben nur
ungarisch, ihre Muttersprache. Der nur waren sie mächtig. Wir versuchten zwar mit
allen gängigen Idiomen Europas zu verhandeln, allein vergebens. Sogar Roland, unser
Sprachkünstler mußte die Segel streichen. Wir gebrauchten quasi Hände und Füße;
die Gesten für Essen und Trinken sind international. Bei den Uhrzeiten haperte es
schon. Ein Blatt Papier mußte her, den die ungarische Sprache bedient sich gottlob
der lateinischen Buchstaben und der arabischen Ziffern. Man half sich auch mit
kleinen Zeichnungen. Auf dem flachen Lande ist der Wanderer aufgeschmissen,
wenn er was anderes spricht als eben das Ungarische. Das war so bis weit die Theiss
hinunter, bis wir in Gebiete kamen, die schon eine gewisse touristische Erschließung
hinter sich hatten.
Die ungarische Sprache gehört zur den finnisch – ugrischen Sprachen und hat mit den
indogermanischen und den romanischen Sprachen nichts gemeinsam. Jeder
Wanderer auf dem sog. Flachen Lande tut gut daran, ein kleines Wörterbuch mit zu
nehmen oder wenigstens eine Tabelle mit gebräuchlichen Ausdrücken, am besten in
Lautschrift, bei sich zu haben, da gedehnt gesprochene Vokale gegenüber kurz
besprochenen eine ganz andere Bedeutung haben. Das kann zu belustigenden
Mißverständnissen führen.
Wir tranken nach dem reichlichen Essen Bier und versuchten auch den Tokajer Wein.
Wir kommen aus Franken und haben da unsere besonderen Vorstellungen vom
Rebensaft. Der Tokajer war für unsere Zungen etwas ungewöhnlich. Wir tranken
hauptsächlich Roten.
1. Tag: Tokaj – Tiszadob 44 Flußkilometer
Am Morgen begrüßte uns das herrlichste Wetter. Zum reichlichen Frühstück in der
Herberge kamen Manfred und seine charmante ungarische Frau Erika. Sie ist
Deutschlehrerin. Wir besprachen ausführlich die Reiseroute. Die Kleins hatten durch
allen möglichen Telefaxen die Nachtquartieren akribisch bestätigen lassen. Ohne
diese Hilfe hätten wir auf der Reise alt ausgesehen. Nur die schriftlichen
Bestätigungen öffneten uns die verschiedenen Unterkünfte. Der freundliche Schatten
der Kleins, die im benachbarten Gebirge wanderten, begleitete uns per handy die
ganze Fahrt hindurch. Es ist jedem Wasserwanderer nur anzuraten so ein Gerät bei
sich zu haben, da der Landdienst mit diesem Gerät eine geeignete Landestelle im
meist unwegsamen Ufergelände nach mühsamen Suchen den Booten kundtun konnte.
Die Kunststoffboote, zwei schnittige C-Vierer und ein etwas behäbiger D-zweier waren
schnell abgeladen und aufgeriggert. Über einen recht wackligen Steg, wenn er den
Namen denn verdiente, wurden sie zu Wasser gelassen.
Wir waren auf dem Wasser. Es ist immer ein merkwürdiges Gefühl, die erste
Berührung mit einem fremden Fluß, den es zu befahren gilt. Wir wußten schon um die
Herausforderungen die dieser Fluß an uns stellte aus den Erklärungen Manfreds. Wir
sollten sie meistern.
Die Theiß erlebten wir als unrwüchsigen Fluß, der von der sogenannten Zivilisation
noch recht unberührt war. Wir erlebten ihn als breit und träge dahinfließend. Wir
kamen in einer regenarmen Zeit, so daß wir seine Tücken bei Hochwasser nicht
erleben mußten. Dafür hatte der Fluß kaum Strömung. Stehendes Wasser. Jeder
Tageskilometer mußte unter sengender Sonne erkämpft werden.
Die Ufer säumte dichte Bewaldung. Viele der hohen dicht belaubten Bäume haben ihre
Wurzeln vom Wasser fast frei gespült, so daß sie ständig zu stürzen drohten. Ihre
Kronen ragten weit übers Wasser, so daß wir, der Gefahr nicht achtend, jeden
Schatten vor der sengenden Sonne nutzten. Die Ufer waren besonders in den
Außenbögen des Flusses sehr hoch, fast senkrecht. Heller, feiner Sand war zu dichten
Bändern geschichtet, so daß die wechselnden Wasserhöhen wie aufgezeichnet
wirkten. Wegen des gelben Sandes am Ufer und an den zahlreichen Sandbänken wird
die Theiß von den Ungarn auch die „Blonde“ genannt. Die Steilufer waren zu dieser
Jahreszeit die Niststätten der Uferschwalben, eine Besonderheit an diesem Fluß. Der
gelbe Sand war mit Hunderten von Löchern übersät, die Eingänge zu den Nestern der
Vögel. Bei näherem Heranfahren erfreute uns das emsige Umherschwirren dieser
schnellen und wendigen Segler. Wir sahen auch Reiher, ein Zeichen, daß die Theiss
wieder fischreich ist. Andere Wasservögel gab es nicht, da die Ufer für diese zu
unwirtlich sind. Enten und andere Wasservögel gibt es zuhauf in den Altarmen und
verlandeten Seen in der unmittelbaren Umgebung des Flusses und seiner zahlreichen
Nebenarme. Das Wasser schien uns sehr sauber und nur von den natürlichen
Infusorien und dem Sand ein wenig getrübt. Auf dem Wasser wurden wir von lästigen
Stechmücken verschont. An den Ufern mußte man sich nur am Abend schützen. Der
träge Fluß war meist wie Schnee vom weißen Erlenstaub bedeckt. Nur gelegentlich
grüßte ein einsamer Angler vom Ufer oder ein Fischer winkte aus seinem kleinen Boot
zu uns herüber. Je weiter wir flußabwärts kamen, lugte mal eine Kirchturmspitze oder
ein markanter Wasserturm hinter den Bäumen hervor. Die Wassersport-Hysterie , wie
auf den Flüssen bei uns, Flüsse gab es hier gottlob nicht. Wir sahen im Unterlauf
manchmal ein größeres Schiff liegen, gestört durch seine Wellen wurden wir nie. Die
Eintönigkeit dieser grandiosen Flußlandschaft konnte man schon einen besonderen
Reiz abgewinnen. Die Stille und die Weite, der Gleichklang der Ruder, auch die
gleißende Sonne, die Erschöpfung am Ende eines langen Rudertages gehörten zum
Abenteuer, das wir suchten.
Wir nahmen Biegung auf Biegung, die den Weg so lange erschienen ließ. Der
fünfhundert Meter hohe Bergkegel über Tokaj, der am Fuß weite Rebhänge trägt, mit
dem imposanten Fernsehturm, grüßte noch sehr lange zu uns herüber.
Wir legten an ein paar Fischerbooten in der Höhe von Tiszalök an und balangsierten
an Land. Die einzige Kneipe am Ort war von Hochzeitern belegt, so daß wir an einem
Weiher unter kühlen Bäumen auf hartem Grund mit einer kärglichen Mahlzeit,
praktisch auf die Hand gelegt, vorlieb nehmen mußten. Die erschöpften Wanderer
fielen bald in den verdienten Mittagsschlaf.
Am Nachmittag versperrte uns ein imposantes Stauwerk den Weg. Wir wurden nach
kurzem Warten in eine große Schleuse eingelassen und zu Tal gebracht. Die sehr
große Staustufe gehört zu den Bauwerken, die den Fluß bändigen sollen. Gelingen
wird dies nur durch mehr Eingriffe in den natürlichen Lauf des Flusses. Für die
Menschen ein Segen für die Natur wohl ein Fluch.
Unser Tagesziel, Tiszadob, sahen wir wegen des dichten Baumbestandes nicht. Auf
uns wartete als Nachtquartier das Schloß des Grafen Andrassy. Dies ist von einem
Altarm der Theiß malerisch umgeben. Der Landdienst versuchte vergeblich uns in
dieses einladende Gewässer zu locken. Sie hatten nicht die Karte angeschaut. Kein
Zugang zum Fluß. Uns erschreckte eine Pontonbrücke, die flach über den Fluß geführt
war. Sie hatte nur einen schmalen Durchschlupf für Boote. Also, mutig ein paar
"Dicke" – die Brücke knapp über unseren Köpfen, so daß beim Passieren wohl einer
zur Seite zuckte. Es gab eine gefährliche Schieflage des relativ instabilen C-Bootes.
Gute Reflexe noch, nach langer Fahrt, so daß durch heftiges Neigen zur anderen Seite
das Kentern verhindert werden konnte. Hinter der Brücke konnten die Boote sicher
festgemacht werden um in der Nacht in der leichten Strömung zu treiben. Bequeme
Stege waren die ganze Fahrt nur Ausnahmen. Das war ja der Reiz.
Mit den Bussen fuhr man die müden Wanderer durch einen Park zum Schloß des
Grafen Andrassy, das 1860 im elektrischen Stil, also in einem Stilmix gebaut, wie ein
Märchenschloß anmutete. Heute ist es ein Kinderheim. Wir stiegen mit letzter Kraft,
unser vieles Gepäck schulternd, die steile, aber geräumige Dienstbotentreppe hinauf,
vorbei an Horden von fröhlichen Kindern und Jugendlichen. Unter den Zinnen
erwarteten uns geräumige, fast herrschaftliche Zimmer von gewaltigem Ausmaß, die
mit Gelsenkirchener Barock ausgestattet waren. Die Betten waren Pfühle. Die Bäder
einladend. Der müde Wanderer fühlte sich gut aufgehoben.
Der Speisesaal lag in einem moderneren Nebengebäude. Wir wurden von einer
Küchenmaid mimisch herzlich begrüßt. Sie sprach ungarisch. Manfred hatte im
Voraus uns „hungrigen Männern“ immer doppelte Portionen bestellt. „duplo“ nannte
man das hier. Wir bekamen also gewaltige Kellenschläge eines Gemenges von Hirse
und Fleisch auf die Teller. Dazu wurde noch reichlich das allzeit parate weiße Brot
gereicht. Es gab köstlichen Früchtetee. Wer wollte, bekam noch ein paar Schläge der
sättigenden Mahlzeit. Die Küchenfee war mit uns zufrieden.
Die Männer strebten in eine Dorfkneipe, die wir auch im kleinsten Ort immer
vorfanden, meist nur mit Trinkbaren ausgestattet. In den Abend hinein durchschritten
wir das kleine Dorf mit den einstöckigen geduckten Häusern, die meist von einem
hübschen Garten umgeben waren. Schon vor dem Zaun wuchsen buschige
Schwertlilien und Hosta, mit den breiten Blättern in allen Schattierungen. Wir sahen
Storchennester, die sogar Strommasten krönten. Über allem erhob sich ein
imposanter barocker Kirchturm, mit einer eigenartig gedrückten Zwiebel, ein
Wahrzeichen der Hamburger Herrschaft. Die gedrückte Zwiebel darf wohl als Symbol
für diese vergangene Herrschaft stehen.
Wir fanden bald die einzige Kneipe. Unter den Einheimischen saßen wir im Hof an
einfachen Tischen und tranken meist Bier, ein Getränk, das für den ausgelaugten
Wanderer immer eine besondere Kraftquelle ist. Wein tranken wir weniger, wenn dann
höchstens Roten.... Die Einheimischen kredenzten uns Kesselgulasch. Wir konnten
unseren Dank wiederum nur durch Gebärden kundtun. Herzlichkeit auch so. Die Leute
sprachen eben nur ungarisch.
2. Tag: Tiszadob – Tiszacsege 47 Flußkilometer
Schon am frühen Morgen aus seinem Zimmerfenster sehend erfreute sich der
Chronist am einzigen Buchsbaum-Labyrinth Ungarns, das von der frühen Sonne
modelliert wurde.
Wir strebten zum besagten Speisesaal. Zum Frühstück gab es wieder „duplo“Portionen für den hungrigen Wanderer in Form von vier mächtigen staabförmigen
Brühwürsten. Die Haut aus einer feinen Folie konnte durch einen einzigen
Messerstich zum Platzen gebracht werden, so prall war sie gespannt. Dazu gab es
weißes Brot im Überfluß und wieder köstlichen Früchtetee. Wir waren für die
Strapazen des Tages wohl gerüstet. Unter fröhlichem Winken der jungen
Heimbewohner wurden wir verabschiedet.
Der Chronist, für diesen Tag dazu eingeteilt, will von den Strapazen des
Landdienstes berichten, die auf dieser Fahrt nicht ohne Reiz waren. Wir hatten zwei
Kleinbusse, mit denen drei der Wanderer die Gegend erkundeten, die Quartiere und
geeignete Landeplätze suchten. Wir fuhren durch die legendäre Puszta, eine weite
Tiefebene, welche durch die Theiß von Nord nach Süd geteilt wird. Der Chronist sah
flaches, weites Land mit riesigen Feldern und Wiesen. Er sah Schaf- und
Rinderherden, er sah Gänseschwärme. Von der erwarteten Hirtenromantik sah er
nichts. Hier und da sah er die Reste der markanten Ziehbrunnen mit dem queren
Balken. Das Grundwasser ist durch die Flußregulierung so tief gesunken, so daß diese
Brunnen ihren Zweck nicht mehr erfüllen konnten. Die Dörfer und kleinen Ortschaften
waren weit verstreut, die Straßen dazwischen waren leidlich. Sie führten oft weit vom
Fluß weg. Man mußte höllisch aufpassen, daß man trotz Karte, die kleinen
Straßenschilder richtig deutete, da alle Namen sehr lang und irgendwie ähnlich waren.
Schnell hatte man sich dreißig Kilometer verfahren.
Die kleinen Ortschaften waren alle gleich. Nach dem Weg zu fragen war schwierig,
man sprach ungarisch. Der Versuch, an den Fluß zu kommen, um eine Anlegestelle
für die Mittagsrast auszuspähen, endete kläglich. Wir hatten zu tun, um aus dem
tiefen Schlamm, in welchem wir uns plötzlich befanden, wieder heil heraus zu
kommen. Wir versuchten es dann im benachbarten Tiszakeszi. Hier war die Kneipe, in
der man angeblich auch essen konnte, geschlossen. In einer Art Konsum kauften wir
mit Hilfe der schon geübten Zeichensprache Wurst, Brot und Wasser in Mengen. Man
sprach ungarisch.
Wir fanden am diesseitigen Ufer keine Möglichkeit zu landen. Von der diesseitigen
Fährrampe blinkte uns am gegenüberliegenden Ufer eine vielversprechende
Konstruktion an, die wir für eine geeignete Anlegestelle hielten. So setzte uns der
etwas unwirsche Fährmann auf einer Radfähre mitsamt den Bussen über. Der
Chronist sah sich gleich nach der Anlegemöglichkeit um. Nachdem er sich durch das
Unterholz zum Ufer gekämpft hatte, stieß er auf eine völlig verrostete
Eisenkonstruktion, die eine ehemalige Anlegemöglichkeit erahnen ließ. Nichts war’s.
Er wagte sich auf scheinbar trockenen abfallenden Ufersand leichtsinnig zu nah ans
Wasser. Ehe er es sich versah steckte er bis zu den Knien im Schlamm, wie Pech so
fest, und fiel auch noch auf seinem Rücken bis zum Hinterkopf hinein. Es brauchte
Mühe, strampelnd frei zu kommen. Es war ja genügend Wasser zum Waschen und
Kleider zum Wechseln da. Der Schlamm am Ufer sieht in der Sonne trocken und fest
aus, darunter ist er zäh und saugend. Wanderer gehst du an das Ufer der Theiß!
Die Boote landeten an der Fährrampe und wurden über Kiel verlassen, wie so oft auf
der Reise. Man aß noch mal aus der Hand und suchte den kühlen Schatten. Einen
weichen Rasen gab es nicht. Gegen die Abmachung wurden die erschöpften Wanderer
vom unwirschen Fährmann zum Aufbruch gezwungen, der seine Fähre plötzlich auf
unser Ufer zu bewegte. Wir setzten dann mit den Bussen über, um nach wenigen
Kilometer eine Fähre mit einem diesmal freundlichen Fährmann zu benutzen. Sie
brachte uns ans Tagesziel Tiszacsege. Die Stege des kleinen Sporthafens, wenn er
den Namen denn verdiente, waren privatissime und von den Eignern eifersüchtig
bewacht, so daß wir die Boote neben der Fährrampe in einem zum Wasser führenden
Graben über Kiel an Land ziehen mußten und dort liegen ließen.
Wir stillten den ersten Durst in einer kleinen Kneipe am Hafen unter schattigen
Schirmen mit Bier und Wasser. Wein tranken wir nicht....
Die Busse brachten uns in eine Art Hotel, Saturnus Kemping. Nach einer recht
bürokratischen Prozedur der Anmeldung erhielten wir geräumige Zimmer zu Zweien.
Am Abend aßen wir in einem passablen Fischrestaurant am Hafen. Wir saßen draußen
unter dem Vordach. Keiner hatte an die Angriffe von lästigen Stechmücken gedacht.
Sogar unser Tropenmediziner hatte kein Mittelchen dabei. Vom freundlichen Wirt
bereitgestellte Räucherschlangen fruchteten wenig. Das Essen war gut. Die
Fischsuppen aus Fischen des Flusses mundeten köstlich. Wir tranken viel Bier. Wein
auch, aber mit Maßen, am besten Roten.
3. Tag: Tiszcasege – Kisköre 49 Flußkilometer
Am Morgen bereitete uns Reinhard eine große Freude. Kunstvoll hatte er in einem Bus
zwei Biergartentischen und vier Bänke verstaut. Die wurden jetzt im Vorgarten
aufgeschlagen. Reinhard bedeckte sie mit allen den Köstlichkeiten, die so unser
gewohntes Frühstück auf Reisen ausmachte. Aus Kartons und Koffern holte er mit der
ihm eigenen Bedächtigkeit alles an Eßbarem heraus was uns erfreute. Auf dem
Gaskocher summten die Wasserkessel für Kaffee und Tee. Wir schwelgten.
Nach Durchqueren der großen Straßenbrücke vor Tiszapalkonya hatten wir den
Eindruck, daß die Ortschaften näher am Ufer lagen und ein gewisser Hauch von mehr
„Zivilisation“ spürbar war. Man sah auch manch schmucke Pension oder ein
passables Touristikzentrum in ländlichem Stil. Wir aßen in einem gemütlichen
Restaurant über dem Fluß. Die Speisekarte war sehr reichhaltig. Jetzt sprach man in
den Restaurants immer mehr andere Sprachen als Ungarisch.
Nach ausgiebiger Siesta unter kühlen Bäumen erwartete die glücklichen Wanderer der
wohl eindrucksvollste Abschnitt des Flusses. Wir durchquerten den Theiß-See.
Nach dem verheerenden Hochwasser von Szeged im Jahre 1879, dem fast die ganze
Stadt zum Opfer fiel, wurde ein umfangreiches Flussregulierungsprogramm gestartet.
Der Teil der Theiß, der durch Ungarn führt, wurde durch Regulierung um 360 km
verkürzt und teilweise begradigt, aber die Wildheit des Flusses blieb. Das letzte große
Hochwasser war 1970. Wegen dieses Unglücks legte man den Theiß-See (Tisza-to) an.
Die Wasser werden durch eine gigantische Sperre bei Kisköre gestaut. Inmitten der
ungarischen Tiefebene entstand durch die Planung des Menschen eine gewaltige
Wasserfläche von 127 Quadratkilometer, die vom Fluß durchzogen wird. Auf dem Fluß
entstand ein Wassersportparadies. In die Seenplatte darf der Mensch nicht eindringen.
Alles ist streng geschützt. Auf der größten Seewiese des Kontinents blühen See- und
Sumpfrosen und einmalig, weites zusammenhängendes Grün bildet die seltene
Wasserkastanie, ganz oben auf der „Roten Liste stehend. Die naturbelassene Flora
und Fauna ist einzigartig. Der See bedeutet Lebensgrundlage für die Fische und alles
andere Getier im Wasser. Eine Freude für den Angler.
In der blauen Stunde, wenn die Schatten scharf und länger werden, ruderten wir auf
dem Fluß, rechts und links von einer schmalen Insel oder einem Schilfstreifen vom
paradiesischen See getrennt. Grandios war die Sicht über die weiten Flächen, die bis
zum Horizont reichten.
Ein alter Angler bedeutete uns, von einem alten Holzsteg aus, näher zu kommen. Er
lud uns zum Aussteigen ein. Die Zeit war knapp. Er ließ es sich den Brauch der
Gastfreundschaft nicht nehmen und kam mit einem Tablett mit Gläsern und einer
Flasche Rotwein. Wir tranken mit ihm auf sein Wohl und seine schöne Heimat. Da
brauchte es nicht viele Worte. Eljen! Prosit! Lange winkte er uns nach.
Erschöpft, aber berührt vom Erleben der wunderbaren Landschaft landeten wir
steuerbords, etwas abseits von der Hauptwasserstraße an einem kleinen Bootshafen.
Man konnte die Boote an Land ziehen. Die 49 Kilometer bei stehenden Wasser hatten
sich dennoch gelohnt und unsere Erinnerung bereichert.
Wir bezogen das Erdgeschoß von netten kleinen Holzhäuschen nach Schwedischen
Muster am Campingplatz von Kisköre. Das Abendessen bekamen wir im benachbarten
Restaurant. Wir tranken Bier, weniger Wein, und dann nur den Roten.
4. Tag: Kisköre – Nagykörü 40 Flußkilometer
Wir waren schon um sieben in der Frühe auf dem Wasser, im weiten Becken vor der
grandiosen Schleusenanlage. Der Fahrtdienst hatte schon am Vortag vom Wärter
erfahren, daß er uns nur in der Morgenstunde von sieben bis acht Uhr schleusen
könne. Wir warteten vergeblich bis kurz vor acht Uhr, bis uns der rettende Einfall kam,
daß einer aussteigen und am Ende der Schleusenkammer den Wärter ansprechen
sollte. Gesagt, getan. Man müßte ungarisch können. Der Mann wollte gebeten werden.
Die Tore der riesigen Schleuse öffneten sich prompt und wir konnten nach einer
schnellen Schleusungszeit die Boote an Land ziehen. Die Busse brachten uns zum
Campingplatz, wo uns unser lieber Reinhard mit dem zweiten und letzen Frühstück
nach Wanderruderers Art tröstete.
Der Fluß nahm gewaltige Biegungungen, fast im rechten Winkel. Da kam das einzige
Mal auf der Fahrt Strömung auf, und Mitwind. Wir waren seelig. Zu Mittag wurden die
Boote unterhalb des Örtchens Tiszaroff an den dort liegenden Fischerbooten
festgemacht. Wir stiegen zum imposanten Deich hinauf, der wie hier überall zu sehen,
die kleinen Ortschaften vor den jährlichen Hochwassern schützen sollte. Flußseits,
unterhalb der Deichkrone, lag ein größeres reetgedecktes Wirtshaus. Wir wurden von
den Wirtsleuten herzlich begrüßt. Während die dralle Wirtin mit ihrem gelben
Ballettröckchen alle Vorräte zusammensuchte und ein Mahl für die hungrigen Männer
bereitete, zapfte der dicke Wirt mit seinem kräftigen Sohn Bier auf Bier und
Apfelsaftschorle, Glas auf Glas. Wir nahmen zwei hübsche Pavillons in Beschlag, um
die Gegend zu genießen und all das zu Besprechen, worüber die Männer so gerne
reden und so. Manch einer machte schon sein Schläfchen vor der Mahlzeit. Diesmal
war hier wirklich üppiger Rasen und unter kühlen Bäumen.
Das reichliche und schmackhafte Essen mundete uns sehr. Wir ließen die Köchin
hochleben und wurden vom Wirt mit mehreren Lagen Schnaps zusätzlich bewirtet. Die
Stimmung war vorzüglich, eben auch wegen der Hitze. Lautes Schnarchen erfüllte die
Umgebung. Das Lokal war ein bevorzugter Versammlungsort von Anglern. Die Wände
zierten mannigfaltige Photos von stolzen Petrijüngern mit Prachtexemplaren von
Fischen am Haken, hauptsächlich Welse und Barsche. Der Fluß ist am gesunden. Er
Fluß hat seinen alten Fischreichtum nach dem großen Unglück wieder. Früher sagte
man nämlich, schöpfst du einen Eimer Wasser aus der Theiß, so ist ein Fisch mit
darin. Wir wünschen dem Fluß, daß dies wieder von ihm sagen kann und daß es auch
so bleiben möge.
Am späten Nachmittag waren wir auf der Höhe unseres Zieles Nagykörü. Der
Fahrdienst hatte im Steilufer eine schmale Rinne erspäht, die zum Wasser führte.
Unter Ächzen und Fluchen zogen wir die Boote über klumpigen Trockenschlamm nach
oben.
Wir bezogen unser Nachtquartier in einer kleinen Pension mitten im Ort. An einen
geschlossenen weiten Innenhof grenzte eine Art Remise, in die man kleine Zimmer,
wie in einer Puppenstube eingebaut hatte. Jedes Zimmer hatte ein weit
überhängendes Vordach mit einladenden Tisch und Stühlen. Von der Decke hingen
malerisch Stränge von Maiskolben, die Wände zierten bunte Teller und altes
landwirtschaftliche Gerät, wie Dreschflegel und Sensen. Die Blumenpracht vor dem
Haus war beeindruckend. Wir fühlten uns in Ungarn, wie wir es aus den Prospekten,
Büchern und Erzählungen kannten. Im ansprechenden Restaurant, gleich gegenüber,
hatte man eigens einen Kellner engagiert, der deutsch sprach. Das Essen war sehr gut
und typisch. Wir tranken Bier….
Im Hof vor der Remise tranken wir bis in die Nacht hinein roten Wein, den Roland als
Geschenk von Jolanta von zu Hause mitgebracht hatte. Die Nacht war lau. Spät
gingen wir ins Bett.
Auf den Besuch des größten zusammenhängenden Kirschgartens in Ungarn und den
Besuch einer Schnapsbrennerei haben wir verzichtet. Man war abends immer sehr
müde und nicht sonderlich aufnahmebereit.
5. Tag: Nagykörü – Tiszavarkony 44 Flußkilometer
Frühstücken konnten wir im Restaurant, reichlich und gut. Die Boote konnten zu
Mittag am einzigen Bootssteg der Reise anlegen, am Steg des Rudervereins von
Szolnok kurz vor einer großen Brücke über die Theiß inmitten der Stadt Szolnok.
Szolnok war die erste größere Stadt am Fluß mit circa 70.000 Einwohnern. Der
Tourismus hatte hier schon früh Einzug gehalten. Die Parkuhren waren deutsch und
ungarisch beschriftet. Die wichtigsten Gebäude der Stadt waren noch im neobarocken
Stil der Habsburger Zeit gehalten, längst Vergangenheit, es ist eben auch Geschichte.
Wir aßen sehr gut in einem Gartenlokal, das an ein Wiener Heurigenlokal erinnerte. Die
resche Bedienung war eine Augenweide.
Der Landdienst suchte im kleinen Dörfchen Tiszavarkorny nach unserer Pension. Man
sprach leider nur ungarisch, bis uns unvermittelt ein älterer Herr aus dem
Schwabenlande ansprach, dessen Haus am Ufer der Theiss direkt neben der Pension,
die wir suchten, lag. Vom Wirt wurden wir freundlich auf Deutsch begrüßt. Wir
bezogen sehr schöne Appartements mit allem Komfort. Dann führt er uns hinter dem
Haus zum Fluß hin. Das letzte Hochwasser hatte alle Treppen zum Wasser hinunter
abgerissen und wir mußten eine feste etwa 7 Meter hohen Leiter, ans fast senkrechte
Steilufer gelehnt, zum Wasser hinuntersteigen. Der Strand war abschüssig und bis
ans Ufer mit großen Steinen übersät. Kommode Anlegestellen, wie die Pontons für
Fischer, waren alle verschlössen und mit Gittern gesichert. Eine einzige
Landemöglichkeit fand sich in einer Lücke, halbwegs frei von den kantigen Steinen,
die auch das flache Wasser ausfüllten. Die müden Ruderer wurden über Bug ans
„Land“ gehievt. Die Boote überließen wir an langer Leine der Theiss. Schiffsverkehr
war ja nicht zu erwarten.
Der Abend wurde uns vom verschönt durch ein deftiges Kesselgulasch, das in der
Sommerküche hinter dem Haus in malerischer Umgebung kredenzt wurde. Der rote
Wein wurde von spendablen Kammeraden gestiftet. Wir schwelgten in die Nacht
hinein.
6. Tag: Tiszavarkony – Tiszakürt: 45 Flußkilometer
Nach einem guten Frühstück in der Sommerküche stiegen wir die Leiter hinunter zu
den Booten. Der Fluß muß über Nacht um 10 bis 20 Zentimeter gefallen sein, es war
wochenlang kein Regen gefallen und die seltenen brachten nur Blitz und Donner,
keinen Regen. Ein Boot lag völlig auf den Steinen. Gottlob hatten wir Boote aus
Kunststoff, so daß wir alle drei ohne Blessuren flott machen konnten.
Sengende Sonne, ein wenig Gegenwind, ein wenig Wellen. Da kam Freude auf.
Die Wanderer waren froh, daß sie in Höhe von Tiszakecske die Boote auf einer
aufgelassenen Fährrampe an Land ziehen konnten. Vom Landdienst war schon mit
den entsprechenden Gebärden im verschlafenen Ort eine Kneipe erspäht worden. Der
Chronist versuchte sich an einem Glas Wein. Der Wein „korkte“ fürchterlich. Die
Speisekarte war auch auf Deutsch, der Wirt sprach ungarisch. Der Chronist versuchte
dem freundlichen Wirt das Lästige des „Korkelns“ klar zu machen. Der legte
freundlich den Korken der Flasche neben das Glas. Das war’s. Ob er den Wein
berechnete, weiß ich nicht mehr. Bis Szeged trank er dann lieber Bier.
An der kleinen Fähre weitab von Tiszakürt, wo wir übernachten sollten, half uns der
kundige alte Fährmann beim Entladen und Festmachen der Boote. Sein Häuschen war
direkt am Ufer. Er übernahm die Bewachung der Boote gegen ein kleines, gern
gegebenes Trinkgeld.
Durch weite Uferauen fahrend und Obstgärten streifend brachten uns die Busse zur
Schule des kleinen Ortes, die unser Nachtquartier sein sollte. Es war ein relativ großes
Schulhaus, viel zu groß für den kleinen Ort. Also vermuteten wir eine Verbandsschule
für die ländliche Umgebung. Von dem stellvertretenden Schulleiter, der
Englischlehrerin und freundlichen Putzfrauen wurden wir empfangen. Auf dem
Fußboden des geräumigen Flurs des ersten Stockes hatte man uns das Lager bereitet,
bequeme Matratzen, mit Bettzeug bestückt. Einige kamen in einem Klassenzimmer
unter, dessen Wände mit Landkarten und Schautafeln bedeckt waren - Erinnerungen
an die eigene Schulzeit. Es kam in uns ein Gefühl der Rührung auf. Die Schule war uns
gastlich als Nachtlager offeriert worden. In der ganzen Umgebung hätten wir keine
andere Bleibe gefunden. Auch ein logistisches Meisterstück von Manfred und Erika.
Man richtete sich ein.
Das Abendessen wurde uns im Speisesaal der Schule serviert. Die freundlich
lächelnden beiden Frauen kredenzten uns eine Art Hirsebrei mit Fleischeinlage,
„duplo“ für den hungrigen Wanderer versteht sich, dazu gab es Gurken und einen
köstlichen Früchtetee mit viel Zucker. Energie.
Der Platz vor der Schule mußte wohl der Hauptplatz sein. Er hatte sogar ein
Kriegerdenkmal. Vor der einzigen Kneipe hatte sich alles versammelt, was hier am Ort
Rang oder Namen hatte. Drinnen war es voll. Es gab sogar einen Billardtisch, der
bespielt wurde, ein merkwürdiges Spiel. Auf dem Tisch waren in der Mitte vier kleine
Kegel aufgestellt, die wohl sehr wichtig waren, besonders, wenn sie fielen. Am dicht
bestandenen Tresen bestellten wir Bier. Das gab uns alle die Kalorien und Mineralien
wieder, die wir während der Strapazen des Tages verloren hatten.
Hans-Hilmar hatte eine Weinkneipe erspäht, die wir nach einem kleinen Fußmarsch
über die staubige Dorfstraße bald fanden. Hier saßen die Gestalten aus der Kneipe am
Hauptplatz wieder und grüßten freundlich. Die üppige Wirtin hatte leider nur zwei
Flaschen trockenen Roten. Auf mein mimisches Flehen brachte sie dann noch eine Art
Glasballon mit demselben Wein, wie sie uns glaubhaft gestisch versicherte. Der Wein
wurde uns von Hans-Hilmars Ehegattin gestiftet. Wir tranken auf ihr wohl. Müde legten
wir uns auf unsere Matratzen in der Schule. Ein sanftes Ruhekissen. Der Chronist
machte das Licht am großen Hauptschalter aus. Durch das hohe Flurfenster schien
der Vollmond auf die müden Gestalten.
7. Tag: Tiszakürt – Csongrad 26 Flußkilometer
Geweckt wurde um halb sechs, da wir bis sieben Uhr die Schlafstätten räumen
mußten. Es war voller Schulbetrieb. Bis zum Frühstück schlenderten wir über den
Hauptplatz. Es war Markt da wurde alles angeboten, was man so braucht, Gemüse
und Unterhemden von stabiler Qualität und vieles Nützliche. Die besagte Kneipe hatte
schon auf und war von den Gestalten des Abends vorher umlagert.
Wir frühstückten wieder im Saal, vom Vorabend wohl bekannt. Es gab ein deftiges
Frühstück mit Wurst, Käse und Gurken und das obligate Weißbrot. Dazu tranken wir
natürlich köstlichen Früchtetee.
In die Schule strömten nach den Lehrern die Schüler. Nostalgie. Die Übernachtung in
der Schule hat uns doch sehr berührt.
Ziel der Reise war der Campingplatz hinter Csongrad. Von der Tageshitze gequält und
recht ausgelaugt, zog es die meisten über den Deich der Stadt in deren imposantes
Zentrum. In einem großen Kaffehaus brachte uns die hübsche Bedienung
Eisspezialitäten, Kaffe und kühle Getränke. Wir kauften mineralhaltiges Trockenobst
wegen der lästigen Krämpfe.
Nur noch 2 Kilometer und wir landeten am weiten Sandstrand des Campingplatzes,
von Erika und Manfred schon freudig erwartet. Die Handy-Buschtrommel hatte gut
funktioniert.
Der Fluß machte hier eine weit ausladende Rechtskurve. Am Strand zum Mittelpunkt
des Bogens hin war eine malerische Dünenlandschaft aufgeschwemmt, die uns an die
Dünen der Wüste erinnerten, sanfte Sandhügel, von der flacher stehenden Sonne
modelliert.
Die Boote zogen wir problemlos auf den Sandstrand. Nach dem Abriggern versuchte
man sie dem Wasser abgeschnittener Plastikflaschen zu säubern. Das war uns lästig.
Es erfolgte die seltsamste Bootswäsche, die ich je erlebt habe. Die Männer schleiften
die Boote ins flache Wasser, das ihnen schließlich bis zur Brust stand. Dann wurden
die Boote mit vereinten Kräften im Wasser mehrmals gedreht. Danach konnten sie
sauber und kieloben zum Hänger getragen und verstaut werden.
Das schönste kam noch. Wir schwammen mit Wonne im erfrischenden Wasser der
Theiß. Es war ein wunderbares Erleben. Wir konnten nicht aufhören. Wir nahmen mit
allen Sinnen Abschied von dem Fluß, der für sieben Tage unsere Passion war.
Das obligate Gruppenbild am Strand setzte den vorläufigen Schlußpunkt.
In der Gaststätte des Campingplatzes aßen wir eine Hühnersuppe vom Kessel und
tranken manches kühle Bier.
Voller Dank nahmen wir Abschied von Erika und Manfred. Durch sie war diese Reise
erst möglich gemacht worden. Die Logistik in dem schwierigen Gelände war
ausgezeichnet. Wir können Erika und Manfred als für zukünftige Wanderer aufs Beste
empfehlen.
In Mindszent fanden wir nach langer Suche und nach sprachlichen Hürden unser
Nachtquartier in einem teilweise renovierten älteren Gebäude mit Hof, das sonst als
Unterkunft für Gäste des Bürgermeisters diente. Wir konnten den eigentlichen Zweck
nicht erfahren. Das war uns auch egal. Auf mehrere Räume verteilt fand jeder seine
Liegestatt. Geblümtes Bettzeug wurde sogar von einer Beschließerin eigenhändig
überzogen.
Wir machten uns „landfein“ und fuhren mit den Bussen gen Szeged, das eigentliche
Ziel unserer Reise auf der Theiß. Unterwegs fiel mir ein Ortswegweiser auf
„Hodmezövasarhelykutasipuzta“, direkt neben Bahngeleisen. Ich dachte unwillkürlich
an Hugo Hartungs „Ich denke oft an Piroschka“ und den gleichnamigen Film, der mich
in meiner Gymnasialzeit so rührte. Nostalgie!
Szeged ist die größte Stadt der südlichen Tiefebene an der Theiß, auf uraltem
Siedlungsgebiet gelegen. Sie wird von den Ungarn liebevoll die „Sonnenstadt“
genannt. Wir erlebten die Stadt am frühen Abend. Eine Stadt mit einem ganz
besonderen Flair, das sich daraus ergab, daß die Stadt nach dem verheerenden
Hochwasser von 1879 fast völlig zerstört wurde und damals mit internationaler Hilfe
im eklektischen Stil ganz neu erstand. Die großen Plätze und die breiten Straßen sind
gesäumt von prachtvollen Bauten aus dieser Zeit. Die Mixtur der Stilarten war beim
niedergehenden Licht und der üppigen Straßenbeleuchtung nicht als unangenehmen
empfunden. Auf den großen Plätzen luden Straßenkaffes zum Verweilen ein. Überall
sah man fröhliche junge Menschen. Besonders auffällig waren dem Chronisten und
den anderen Wanderern die außerordentlich schönen jungen Mädchen.
Piroschka...Nostalgie... Die Stadt hat den Namen „Klein Budapest“ zu Recht verdient.
Wir aßen in einem Restaurant am Fluß, die große Theißbrücke vor Augen. Der
Chronist erfreute sich an der besonders guten Fischsuppe und zum letzten Mal an den
köstlichen Topfen-Palatschinken eine wunderbare Mehlspeise, die man hier so gut
bereiten kann. Spät kamen wir ins Quartier.
Am nächsten Tag brachen wir schon sehr früh zur Heimfahrt auf. In der großen Stadt
Kecskemet frühstückten wir auf dem Marktplatz. Wir aßen Köstliches aus der
ungarischen Küche, eben auf der Hand und frisch, so wie die geschäftigen
Passanten, die auf dem Markt ihre Einkäufe tätigten. Wir hörten noch einmal diese
seltsame Sprache, mit dem Klang mittlerweile vertraut, obwohl zur Verständigung nur
die Gebärdensprache dienen mußte. Die sieben Tage waren nicht spurlos für unser
Gemüt an uns vorüber gegangen.
Ab Kecsemet nahmen wir die Autobahn. Budapest wurde im Süden durch eine
Ringautobahn umgangen, so daß sich die Rückfahrt viel schneller gestaltete.
Auf der Heimfahrt wurde uns Männern in den besten Jahren eindrücklich bewußt, daß
wir mit dieser Fahrt auf der Theiss eines unserer letzten großen Abenteuer mit dem
Boot bestanden hatten. Es war ein gewaltiger Fluß mit einer grandiosen Landschaft,
die uns in der Erinnerung gar nicht mehr so eintönig erschien, als wir auf der Strecke
oft dachten. Natur pur, wie erlebt, ist Balsam für Körper und Seele. Die körperliche
Leistungsfähigkeit bis an die Grenzen erprobt zu haben, gab uns ein gewisses Gefühl
der Zufriedenheit und des Stolzes auf das Vollbrachte.
Wir danken noch einmal Erika und Manfred für ihre großartige Leistung bei der
Planung und ihre Präsenz während der Fahrt.
Fünf Mann in einem Boot ist schon etwas Köstliches, so soll es bleiben.
Klaus Riedl, ARCW