Der Querdenker im Sonnenhaus
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Der Querdenker im Sonnenhaus
DRESDEN Seite 14 ünstler, Wissenschaftler, Sportler, Vertreter der Kirche und weitere Persönlichkeiten öffnen den DNN wieder die Türen ihres Zuhauses. Traditionell stellen wir am Ende des alten und zu Beginn des neuen Jahres interessante Menschen vieler Lebensbereiche auch privat vor. Heute sind wir zu Gast bei Timo Leukefeld. Der Freiberger lebt ohne Heizöl, Strom, Gas und Fernwärme aus dem öffentlichen Netz und verschwendet trotzdem Energie. An einem heißen Sommertag dreht K Freitag, 3. Januar 2014 er schon mal die Heizung auf, um sich Kühlung zu verschaffen. Das Haus, in dem er mit seiner Familie wohnt, hat keine Dämmplatten aus Styropor vor den Wänden. Die seien nur Sondermüll der Zukunft, sagt er. Für all das wird er nicht etwa belächelt. Politiker berufen ihn als Berater in Zukunftskommissionen, Hochschulen als Professor. Dreimal wurde er mit dem Deutschen Solarpreis ausgezeichnet. Denn er beweist immer wieder, dass das, was er sich ausdenkt, auch tatsächlich funktioniert. Der Querdenker im Sonnenhaus Das Dach des Hauses – üppig mit Sonnenkollektoren und Solarzellen bestückt – zeigt: Hier geht es um erneuerbare Energien. Von HOLGER GRIGUTSCH Zum Umzug aus der Stadtwohnung in das schicke Häuschen musste Timo Leukefeld seine Frau Angela, Tochter Lilly (14) und Sohn Leonardo (6) nicht lange überreden – schon wegen des Gartens, den sein Cousin gestaltet hat, ein Gartenbauingenieur mit Vorliebe für alte, fast vergessene Obstsorten. Die vier freuen sich schon darauf, von Frühjahr bis Herbst von duftenden Bäumen und Sträuchern zu naschen, die zu verschiedenen Zeiten Früchte tragen und Felsenbirne, Kartoffelrose oder Nashi heißen. Dass es um Selbstversorgung mit Energie geht, sieht man dem Eigenheim, dessen Dach auf der Südseite komplett aus Sonnenkollektoren und Solarmodulen besteht, schon von weitem an. Hat man es betreten, könnte es aber auch ein ganz normales Ferienhaus sein. Kaum etwas in der Kombination aus rustikaler und moderner Einrichtung deutet darauf hin, dass es vollgestopft ist mit hochinnovativer Technologie. Die steckt zum Beispiel in der Wandfarbe, die Schadstoffe aus der Luft entfernt, im Teppichbelag, der Feinstaub bindet, und auch als Heizung in Wänden, Fußböden und Decken. Um sie auch als Klimaanlage nutzen zu können, hat Leukefeld eine Sonde ins Erdreich graben lassen. Dort wird die Heizflüssigkeit im Sommer gekühlt, statt im Heizkessel erwärmt. Aber auch massive Außenwände aus bis zu 40 Zentimeter dicken Ziegeln halten wie zu Großmutters Zeiten die Räume im Sommer kühl und im Winter warm. Äußere Dämmplatten, räumt der Freiberger ein, sind jedoch nur verzichtbar, weil es sich um Hochtechnologieziegel handelt. Die Verbindung von Traditionellem und Innovation entdeckt der Energieexperte immer wieder als Erfolgsrezept. Über seinen Großvater, den Puppenspieler Rolf Trexler, hat er ein Buch geschrieben. Und er hat an der TU Dresden Figurentheater studiert. Die Figuren des Großvaters sind nicht nur als Erinnerungsstücke mit ins neue Haus gezogen. Wie in dem Puppenstück „Die Botschaft des Lichts“, das auf der Messe „Haus 2007“ in Dresden uraufgeführt wurde, erzählen sie auch hin und wieder vor Publikum etwas über erneuerbare Energien. Der Sinn für Natur und Nachhaltigkeit sei ihm als Spross einer Försterfamilie in die Wiege gelegt worden, sagt Leukefeld. Frau und Kindern ist nicht bange bei dem Selbstversuch energieautarken Wohnens, denn der Hausherr kennt jedes Schräubchen und jeden Winkel wie kaum ein anderer. Er war Leiter der Projektgruppe, die das Haus entwickelt und auf den Markt gebracht hat. Als Wissenschaftsjournalistin interessiert sich Timo Leukefelds Frau Angela Elis sehr für das, woran er forscht. Sie moderiert Fernsehsendungen, Talkrunden mit hochkarätiger Besetzung und hin und wieder auch eine seiner Podiumsdiskussionen, hilft so, seine Lösungen auf den Markt zu bringen. Während einer Podiumsdiskussion haben sich die beiden vor acht Jahren auch kennengelernt – sie moderierte und er präsentierte als querdenkender Unternehmer verrückt klingende Ideen. Als gewitzte Moderatorin sei sie charmant uneinsichtig geblieben, hat man Angela Elis einmal nach einer Gesprächsrunde mit dem „FAZ“-Herausgeber Frank Schirrmacher attestiert. Diese charmante Uneinsichtigkeit spürt der Energieexperte zuweilen auch daheim. Zum Beispiel, wenn er mit dem kalten Licht der neuen LED-Strahler für die Wohnräume sprichwörtlich abblitzt. Es sei ihm nichts übriggeblieben, erzählt er, Am Musizieren haben in der Familie alle Spaß. Als Quartett spielen die vier allerdings selten, denn während sich seine Frau Angela und Tochter Lilly vor allem für klassials alles wieder zurückzubringen. Inzwische Klaviermusik begeistern und Sohn Leonardo die Violine für sich entdeckt hat, eifert Timo Leukefeld doch lieber auf der Gitarre seinen Rock-Idolen Jimi Hendrix und schen hat er stromsparende LEDs gefunRory Gallagher nach. Fotos: Samuel Herzog (5), Holger Grigutsch (3), privat den, die warmes Licht abstrahlen und auch der Familie zusagen. alten Wohnmobil machen sie Urlaub am seien für Leonardo ein großes Abenteuer Auf Stromsparen deutet in der Küche nächstgelegenen Badesee oder auch eine gewesen. mit Induktionsherd, Elektro-Backofen, STECKBRIEF 3500-Kilometer-Abenteuerreise durch Zum Abenteuer kann in energieautarDampfgarer und Spülmaschine nichts Österreich, die Schweiz und Italien und ken Häusern auch die Wärmeversorgung hin. Ein großer Kaffeeautomat, über dem – geboren 1969 in Annaberg-Buchholz genießen die gemeinsame Zeit. Oft kommt werden. Anders als Solarzellen können Backofen eingebaut, kann leckere Sachen – 1986 bis 1989 Lehre als Instandhales sonst nicht vor, dass beide Eltern mehSonnenkollektoren mit dem spärlichen zaubern und sich die Lieblingsgetränke tungsmechaniker rere Wochen am Stück zu Hause sind. Licht an kurzen Wintertagen wenig ander Familienmitglieder merken: heiße – Studium der Energetik an der TU BergAuch wenn sein Haus noch rund 90 000 fangen. Der Boiler, in dem warmes WasMilch mit Kakao und viel Schaum für Lilly, akademie Freiberg, 1996 Abschluss Euro mehr kostet als dasselbe Haus ohne ser für die Wintermonate gesammelt doppelten Cappuccino für die Mutter und als Diplom-Ingenieur Energieautarkie, sagt Leukefeld, rechne wird, muss deshalb eigentlich so groß Kaffee lang mit heißer Milch für den Vater. – 1997 bis 2000 wissenschaftlicher Mites sich auf lange Sicht. Immerhin seien in sein, dass er in ein kleines EinfamilienDer ist froh, dass der experimentierfreuarbeiter an der TU Bergakademie jedem der 20 bis 30 Jahre, über die Häushaus gar nicht hineinpasst. Timo Leukedige Leonardo die Möglichkeiten bislang lebauer ihre Kredite abzahlen, bis zu feld hat auch bei der Lösung dafür auf noch nicht entdeckt hat. – 1998 bis 2011 Gründer und Geschäfts5000 Euro Einsparung bei Energiekosten Altbekanntes zurückgegriffen. Der Kamin Dafür, dass es auch an trüben Winterführer der Solarfachfirma „Soli fer Sodrin – Tendenz steigend. Beim Wohneiim Wohnzimmer heizt mit seiner Abwärtagen genügend Strom gibt, sorgt eine lardach GmbH“ gentum als Altersvorsorge werde es damit me den Speicher auf, der so vergleichsgroße Kiste mit Bleiakkus neben dem – Seit 2001 verschiedene Lehraufträge immer wichtiger, auch diese „zweite Mieweise klein gehalHaus. Mit der Ka(u. a. TU Bergakademie, Handwerkste“ zu sparen. Fördergeld und Einspeiseten werden kann, pazität von 60 Aukammer, Berufsakademie Glauchau) vergütungen für Sonnenstrom rechnet er aber immer noch tobatterien könnZu Hause bei… – Seit 2011 Honorarprofessor an der Begar nicht mit. Wie unsicher es ist, darauf zwei Stockwerke ten sie es 14 Tage rufsakademie Glauchau, Gründung der Timo Leukefeld zu bauen, hat er erfahren, als er für seine hoch ist und sich lang versorgen. Beratungsfirma „Timo Leukefeld – Firma „Soli fer Solardach GmbH“ auch hinter einer runZeige die WinterIngenieur, Erfinder, Energieexperte Energie verbindet“ wegen zurückgefahrener Solarförderunden Wand versonne sich von ihFür die modern eingerichtete Küche gibt gen Insolvenz anmelden musste – ebenso – Leiter einer Projektgruppe der Helma birgt. Er hat noch rer besten Seite, es im Sonnenhaus genügend Strom. Hier wie sein Freund, der Dresdner SunStromEigenheimbau AG, die 2011 das erste keine Sommersagt Leukefeld, sei muss niemand Geschirr mit der Hand abChef Stephan Riedel, der inzwischen mit bezahlbare energieautarke Eigenheim wärme gespeiaber ein halb leerer spülen. Und selbst Plätzchen backen in der Hälfte seiner Belegschaft einen NeuEuropas auf den Markt bringt chert. Deshalb wird wohl dieses Jahr etSpeicher in ein bis zwei Tagen wieder der Weihnachtszeit funktioniert mit Sonstart gewagt hat. was mehr Holz gebraucht werden als die voll. Es spricht also nichts dagegen, dass nenenergie. Riedel, der Photovoltaik-Experte im eingeplanten zwei bis drei Festmeter für zur Weihnachtszeit Plätzchen gebacken Entwicklerteam, hat gleich nebenan sein 15 Feuerungen, um über einen normalen werden oder Lilly immer mal wieder ein energieautarkes Eigenheim gebaut. Noch Winter zu kommen. Er und Leo hätten leckeres Kochrezept ausprobiert. Die wohnt er in Dresden. Leukefeld hat Riedas Förster-Gen geerbt und riesigen Spaß 14-Jährige besucht die Musikschule, würdels Haus gemietet, ist mit seiner neuen daran, Holz zu spalten und Feuer anzude am liebsten Modedesignerin werden. Firma „Energie verbindet“ dort einzünden, erzählt Timo Leukefeld, und die Trotzdem, erzählt der Freiberger Solargezogen. So muss die Familie nicht stänbeiden Damen fänden an der wohligen pionier stolz, interessiere sie sich für seine dig wie auf dem Präsentierteller leben, Wärme solchen Gefallen, dass während Ideen und habe Spaß daran gefunden, können Häuslebauer, Politiker, Studenvieler gemütlicher Kaminabende in FamiBesucher durchs Haus zu führen und ihten und Schulklassen, die auf der langen lie oder mit Freunden der Speicher die nen alles zu erklären. Dabei lasse sie Interessentenliste für Besichtigungen stefehlende Energie bestimmt ganz nebenbei durchaus Geschäftssinn erkennen, gehe hen, auch durchs Nachbarhaus geführt einsammeln werde. hinterher schon mal mit dem Hut herum. werden. Und es bieten sich Chancen, Der Winter dauert im energieautarken Leonardo, der mit dem Vater gern in weitere (noch) etwas verrückt klingende Haus nur von November bis Januar. Dann einem kleinen Bastelschuppen hämmert Ideen auf Praxistauglichkeit zu testen – beginnt die Zeit des „intelligenten Verund schraubt, möchte natürlich Förster zum Beispiel jene, beide Häuser zu verschwendens“, wie Timo Leukefeld es werden. Das ändere sich aber wöchentnetzen, damit sie Energie untereinander nennt. „Wir werden wohl die ersten sein, lich, erzählt Timo Leukefeld: „Polizist, Bäaustauschen können – je nachdem, wo die in den sonnengewärmten Pool neben cker..., meistens aber etwas Handwerkligerade Bedarf oder Überschuss besteht. dem Haus klettern können“, nennt er als ches“. Vielleicht gehe es ja auch in Versorger sollen überschüssigen Strom Beispiel. Auch der Ladestrom fürs ElekRichtung Naturwissenschaft. Mit dem aus erneuerbaren Energien in Strom- und troauto falle quasi nebenbei ab. Mitten im Forscher Ernst Ulrich von Weizsäcker, mit Wärmespeicher eines der Häuser zwiSommer, wenn sie vom Dach soviel Sondem Leukefeld befreundet ist, und der im schenlagern, bei Bedarf wieder abrufen nenenergie ernten, dass sie, wie LeukeOktober zur Einweihung des Hauses in Energieautarkes Wohnen ist zumindest an der Einrichtung nicht zu erkönnen. Es wird also wohl auch in Zufeld sagt, „sogar alle Nachbarn zum VerFreiberg die Festrede gehalten hat, habe kennen. Das helle Wohnzimmer mit großen Fenstern zeigt allenfalls den kunft noch viel zu berichten geben über schwenden einladen könnten“, ziehen die sich der Sechsjährige immerhin lange und Sinn seiner Bewohner für die Verbindung von Tradition und Modernem. den Querdenker aus Freiberg, der im vier auch gern mal in ihr kleines „rollensehr interessiert über den Urknall unterSonnenhaus wohnt. des Sommerhaus“ um. Mit dem 20 Jahre halten. Die Bauarbeiten für das neue Haus Nur in der Ecke des Heizungsraumes ist der 9000Liter-Langzeitwärmespeicher mit seiner blauen Isolierung zu sehen. Rundherum gibt es mehr Technik als üblich. Für Forschungszwecke werden von rund 150 Messpunkten im Haus Daten gesammelt und per Internet an die Forscher der Bergakademie gesendet. Die mit lustigen Familienfotos bedruckten Tassen zählen zu den wenigen Dingen im Haus, zu denen nicht irgendein Forschungsprojekt läuft. Mit erhobenem Zeigefinger geht Timo Leukefeld trotzdem nicht herum. Energieautarkes Wohnen muss vor allem Spaß machen, sagt er. Und den haben die vier. Leonardo beim Fliesenkleben. Der Sechsjährige interessiert sich begeistert für alles, was mit Bohren, Hämmern, Sägen und Basteln zu tun hat und war während der Bauarbeiten genau in seinem Element. Die Figuren – Erbstücke von Timo Leukefelds Großvater, dem Puppenspieler Rolf Trexler – stammen aus einer Zeit vor Photovoltaik und Solarthermie. Auf Messen bringen sie dem Publikum aber schon mal in eigens dafür geschriebenen Stücken die Ideen des Solarpioniers auf unkonventionelle Art nahe. Holz verfeuern im Eigenheim ist nicht jedermanns Sache. Der Freiberger Professor, der ohne Stromanschluss und Fernwärme auskommen möchte, hat sich damit aber selbst von der Sonnenenergie ein Stück weit unabhängig gemacht. Und bei seiner Familie gehört der Kamin sowieso zu den Rennern schlechthin im neuen Haus.