Einführung in die Sprachwissenschaft Jan Eden Syntax 4

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Einführung in die Sprachwissenschaft Jan Eden Syntax 4
Einführung in die Sprachwissenschaft
Jan Eden
Syntax 4: Subkategorisierung und Argumentstruktur
Verben lassen sich hinsichtlich der Anzahl ihrer Objekte in Unterklassen einteilen (subkategorisieren). Man unterscheidet
intransitive Verben: Der Bauunternehmer schläft.
transitive Verben: Die Opernsängerin hilft den Kindern.
bitransitive Verben: Das Komitee gibt dem Zeugen einen guten Rat.
Die Angabe der vom Verb geforderten Objekte wird als Subkategorisierungsrahmen bezeichnet.
Die Position von Objekten innerhalb einer Phrase wird durch die Objektbeschränkung (ein weiteres Prinzip der X-Theorie) beschrieben:
(1) Subkategorisierte Elemente erscheinen beim Übergang von der X0 - zur X1-Ebene, d.h. X1
dominiert unmittelbar X0 und die von X0 subkategorisierte Phrase. Letztere wird Komplement von X0 genannt.
Auf der Grundlage dieser Beschränkung ergibt sich folgende X-Struktur für die Projektionen transitiver bzw. bitransitiver Verben:
VP
VP
V1
V1
NP
den Schierlingsbecher
V0
leeren
NP
Sokrates
NP
den Schierlingsbecher
V0
reichen
Allerdings lässt sich mit Hilfe des Topikalisierungstests zeigen, dass das direkte Objekt „enger“ an
das Verb gebunden ist als das indirekte Objekt und das Subjekt:
(2)
a.
b.
c.
d.
[ Dem alten Philosophen den Schierlingsbecher gereicht ] hat Perikles.
[ Den Schierlingsbecher gereicht ] hat Perikles dem alten Philosophen.
? [ Dem alten Philosophen gereicht ] hat den Schierlingsbecher Perikles.
* [ Perikles gereicht ] hat dem alten Philosophen den Schierlingsbecher.
1
Verb und direktes Objekt bilden also eine Konstituente. Um diese Beobachtung zu beschreiben,
muss man eine binäre Struktur auch für bitransitive Verben annehmen. In einer solchen Struktur
befindet sich das indirekte Objekt nicht auf derselben Ebene wie der Kopf der Phrase (das Verb)
und das direkte Objekt:
VP
V1
V1
NP
Sokrates
NP
den Schierlingsbecher
V0
reichen
Eine binäre Struktur der Projektion bitransitiver Verben ist nicht kompatibel mit der oben formulierten Objektbeschränkung. Deshalb modifizieren wir diese Beschränkung:
(3) Subkategorisierte Elemente werden von derselben Kategorie (X1, X’, X1) dominiert wie
der Kopf der Phrase (X0 ). Treten mehrere subkategorisierte Elemente auf, wird die X1Ebene iteriert.
Die Objekte (Komplemente) bilden gemeinsam mit dem Subjekt die Argumentstruktur eines
Verbs. Nicht nur Verben haben eine Argumentstruktur, sondern auch die Köpfe von NPs, APs
und PPs:
Entdeckung
treu
trotz
→ Columbus’ Entdeckung Amerikas
→
dem König treu
→
trotz der Rückschläge
Die Anzahl der Argumente bezeichnet man als die Stellenzahl (Stelligkeit) oder Valenz eines
Ausdrucks.
Beispiele
Valenz
0-stellig
regnen, schneien, donnern, blitzen, . . .
1-stellig (intransitiv) schlafen, wiehern, gehen, schnarchen, schwimmen, . . .
2-stellig (transitiv)
nehmen, helfen, gedenken, entraten, wohnen, abmühen, auskennen, glauben, meinen, versuchen,
versprechen, . . .
3-stellig (bitransitiv) geben, widmen, verbitten, beschuldigen, hindern,
bitten, trachten . . .
2
Die Realisierung der Argumente von Verben und Präpositionen ist obligatorisch:
*Er lacht über.
*Er gibt dem Grafen.
→ Er lacht über den Clown.
→ Er gibt dem Grafen sein Kündigungsschreiben.
Die Valenz von Verben lässt sich deshalb durch die Weglassprobe ermitteln. Wenn eine Konstituente tilgbar ist, gehört sie nicht zur Argumentstruktur des Verbs:
(4)
a. Maria gab Hans am Montag um 15 Uhr mitten auf dem Ebertplatz in Köln eine
Ohrfeige, dass es nur so krachte.
b. Maria gab Hans am Montag um 15 Uhr mitten auf dem Ebertplatz in Köln eine
Ohrfeige.
c. Maria gab Hans am Montag um 15 Uhr eine Ohrfeige.
d. Maria gab Hans am Montag eine Ohrfeige.
e. Maria gab Hans eine Ohrfeige.
f. *Maria gab Hans.
g. *Maria gab eine Ohrfeige.
→ geben ist als bitransitives Verb subkategorisiert.
Die Realisierung der Argumente von Nomina und Adjektiven ist dagegen in der Regel fakultativ.
Erinnerungen sind schön.
Trinkwasser ist wichtig.
Ausnahmen:
*der hörige Igor
*Igor ist ein Ausbund
*Macbeth ist der Inbegriff
→ Michails Erinnerungen an seine Jugend sind schön.
→ Trinkwasser ist wichtig für die Menschen.
→ der seinem Gebieter hörige Igor
→ Igor ist ein Ausbund an Hässlichkeit
→ Macbeth ist der Inbegriff eines Schwächlings
Neben den Objekten des Verbs enthalten (finite) Sätze in der Regel ein Subjekt, das ebenfalls
ein Argument des Verbs ist. Innerhalb der Argumentstruktur nimmt das Subjekt allerdings eine
herausgehobene Rolle ein:
• Es wird im Gegensatz zu den Komplementen in der Spezifikator-Position ([Spec,VP]) der
verbalen Projektion generiert. Diese Position ist die Tochter einer maximalen Projektion
(XP) und die Schwester einer X1-Projektion.
• Es alterniert nicht hinsichtlich seiner Kasuseigenschaften, sondern trägt stets den Nominativ.
• Es kongruiert mit dem Verb.
3
Das Subjekt wird auch als designiertes bzw. externes Argument bezeichnet. Wir werden später
sehen, was es mit diesen Bezeichnungen auf sich hat. In NPs nehmen der Artikel oder eine genitivische NP die Spec-Position ein. Damit stellen sie das Subjekt einer NP dar:
NP
NP
SpecNP
der
N1
AP
alte
N0
Mann
SpecNP
Kleopatras
N1
N0
Tod
Die Valenzeigenschaften eines Wortes sind nicht vorhersagbar, sondern idiosynkratisch. Deshalb
müssen sie gemeinsam mit dem entsprechenden Wort im mentalen Lexikon gepeichert werden.
Das Lexikon enthält alle sprachlichen Informationen, die nicht durch Regeln repräsentiert werden
können. Der Lexikoneintrag eines Wortes enthält
• dessen Lautform
• das mit der Lautform verbundene Konzept (≈ die „Bedeutung“ des Wortes)
• die Wortart
• die Angabe der syntaktischen Umgebungen, in denen das Wort auftreten kann
Hausaufgaben:
1. Lesen Sie bitte Grewendorf/Hamm/Sternefeld (1987), Kap. 6.1 - 6.4
2. Bestimmen Sie die Valenz der folgenden Verben: versagen, aufwachen, überreichen, entgehen,
einholen, entrechten, knechten, schlächten. befreien, erheben, adeln
3. Benennen Sie die Argumente des Verbs in folgenden Sätzen und bestimmen Sie die Verbart:
(5)
a.
b.
c.
d.
e.
f.
* Er elasuphierte.
Er elasuphierte den Knappen.
* Er elasuphierte den Knappen seinem Feudalherrn.
* Die Freiin reparst.
* Die Freiin reparst das Diadem.
Die Freiin reparst das Diadem der Bediensteten.
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