Berenberg Magazin No. 15

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Berenberg Magazin No. 15
BERENBERG
BERENBERG NO15
DAS M AGA Z I N F Ü R W I RTSC H AF T, G ES E L LSC H AF T & LE B E N SA RT
DAS MAGAZIN FÜR WI RTSCH AFT, GESE LLSCHAFT & LEBENSART
N 15
O
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306 kW (416 PS). Die neue Lithium-Ionen-Batterie kann extern aufgeladen werden
und ermöglicht eine rein elektrische Reichweite von 36 km im NEFZ. Der Verbrauch:
durchschnittlich 3,1 l/100 km. Ganz so, wie es sich für einen Technologieführer gehört.
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Kraftstoffverbrauch (in l/100 km) kombiniert 3,1; CO2-Emissionen 71 g/km; Stromverbrauch kombiniert 16,2 kWh/100 km
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Foto: Berenberg
EDITORIAL
Liebe Kunden,
verehrte Freunde unseres Hauses,
die Bundestagswahl ist vorüber, die Abgeordneten der Freien Demokraten haben ihre Sessel
im Reichstag geräumt. Bis auf einen. Hermann Otto Solms behält sein Büro als ehemaliger
Vizepräsident des Deutschen Bundestags noch vier Jahre. Werner Funk und Hans Peter Schütz
sprachen mit dem FDP-Wirtschaftsexperten über Fehler der Vergangenheit und Chancen in der
Zukunft.
Wahre Abenteuer standen auch einer kleinen Gruppe Wagemutiger um Arved Fuchs bevor.
Sie segelten auf den Spuren der Kabeljaufischer auf einem 80 Jahre alten Trawler entlang
der norwegischen Küste zu den Lofoten – manchmal bei Windstärke zehn. Unser Autor Peter
Sandmeyer und Fotograf Harald Schmitt schlossen sich der Truppe an.
Wer es etwas komfortabler mag, dem sei Wien empfohlen. Die österreichische Hauptstadt
bietet ein unvergleichliches Angebot an Geschichte und Kultur, Lebensart und kulinarischen
Genüssen. Das richtige Ziel für ein langes Wochenende in der kühlen Jahreszeit.
Beim Anvisieren des Ziels steht dem Golfprofi ein Mann zur Seite. Er läuft mit ihm
zusammen über den Platz, trägt die schwere Tasche, reicht ihm den Schläger, säubert den Ball.
Doch welche Bedeutung hat ein Caddie wirklich? Wie tief ist die Beziehung zwischen ihm
und dem Star im Rampenlicht? Welchen Einfluss hat der Caddie auf die sportliche Leistung?
Hans Borchert hat sich dem Thema genähert und kommt zu überraschenden Erkenntnissen.
Viel Vergnügen bei der Lektüre von BERENBERG N° 15 !
Ihre
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Inh
Als einziger Freidemokrat
verfügt Hermann Otto
Solms noch über ein Büro im
Reichstag – die Geschäfts­
ordnung gibt dem ehemali­
gen Vizepräsidenten des
Bundestags dieses Privileg.
Im Gespräch analysiert
Solms die Fehler der Vergan­
genheit und die Aussichten in
der Zukunft: „Wir haben eine
faire Chance.“
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Eine Reise in die Finsternis
Auf den Spuren der legen­
dären Kabeljaufischer aus dem
19. Jahrhundert segelte eine
kleine Gruppe von Forschern
und Abenteurern auf einem
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STÄDTEREISEN
POLITIK
Brückenkopf der FDP
ABENTEUER
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Mehr als einen Trip wert
Wie keine andere Stadt in
Mitteleuropa übt Wien mit
seinem unvergleichlichen
Angebot von Geschichte und
Lebensart, Museen, Musik­
ereignissen und Mehlspeisen
80 Jahre alten Trawler entlang
eine unwiderstehliche Anzie­
der norwegischen Küste zu den
hungskraft auf Connaisseure
Lofoten – ein Bericht über das
aller Länder aus – ein Bericht
Verlassen der Komfortzone.
aus einer Traumstadt.
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halt
MENSCHEN
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Wie wird man ein Star?
Karriereplanung von Kindheit
an, wütend an die richtigen
Türen treten und Sex-Appeal,
unglaublicher Sex-Appeal:
Scarlett Johansson zählt zu
den gesuchtesten Stars des
Jahrzehnts. Und ist auch noch
ungewöhnlich gescheit.
SPORT
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Ein Paar unter Par
Jeder Mensch wirft einen
Schatten, der von Deutschlands bestem Golfer Martin
Kaymer heißt Craig Connelly.
Der Schotte ist sein Mann
an der Tasche und ständiger
Wegbegleiter bei allen
Turnieren. Caddies sind eine
Spezies für sich, und ihre
Aufgaben gehen weit über
das Tragen des Golfbags
EDITION
Albert Watson – Fotograf der Stars
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POLITIK
FDP-Schatzmeister Hermann Otto Solms
über die Chancen seiner Partei
ABENTEUER
Auf den Spuren der Lofotenfischer
STÄDTEREISEN
Unwiderstehliches Wien
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MENSCHEN
Porträt Scarlett Johansson –
ebenso sexy wie gescheit
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T H E AT E R
Hamburgs neue
Schauspielhaus-Chefin Karin Beier
SPORT
Golf-Caddies – eine Spezies für sich
hinaus.
UHRMACHER
Handwerk mit goldenem Boden
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AUTOMOBILE
Die neue Mercedes S-Klasse
62
BERENBERG NEWS
Meldungen
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IMPRESSUM
Herausgeber: Berenberg
Neuer Jungfernstieg 20, 20354 Hamburg;
Projektleitung: Karsten Wehmeier;
Redaktion: Dr. Werner Funk (v. i. S. d. P.); Emanuel Eckardt,
Constanze Lemke, Farimah Justus
Adresse: Dr. Werner Funk, Mittelweg 157, 20148 Hamburg;
Lektorat: www.lektornet.de
Anzeigen: Armin Roth, Telefon (040) 361 31-425,
[email protected]
Druck: NEEF + STUMME premium printing GmbH & Co. KG,
Schillerstraße 2, 29378 Wittingen
Repro: Allzeit Media Consult, 22767 Hamburg;
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung
der Redaktion. Keine Gewähr für unverlangt eingesandte
Manuskripte oder Fotomaterialien
Titelfoto: Albert Watson „Sebastian in Issey Miyake“, 1989
Fotos Inhalt: Steffen Roth; Harald Schmitt,
Peter Rigaud, ddp images/Camera Press, Dorothea Schmid
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EDITION
Watsons Welt Mick Jagger als Leopard, Kate Moss in Marokko, Alfred Hitchcock, Ziyi Zhang als Geisha, eine Reisegesellschaft im Straßenkreuzer und
eine Schöne in Benin
Der Fotograf Albert Watson ist ein überaus vielseitiger
Künstler. Er porträtierte Hollywoodlegenden wie Jack Nicholson und Clint Eastwood, fotografierte den Boxer Mike
Tyson oder Apple-Gründer Steve Jobs. Die Art, wie er die
Filmschönheiten Angelina Jolie und Scarlett Johansson ins
Bild setzte oder Musiker wie Sade, David Bowie und Marilyn
Manson, ließ ihn selbst zur Legende werden. Watson hat
sich nie auf einen Stil festgelegt, er ist ein Wanderer zwischen
den Genres, der Cowboys beim „Calgary Stampede“ ebenso gern fotografierte wie die Königin von England, Alfred
Hitchcock („Die Vögel“) mit einer gerupften Gans, Mick
Jagger als Leopard oder Supermodel Kate Moss nackt in der
Wüste Marokkos. Und doch ist jedes Bild von ihm unverkennbar und unverwechselbar ein echter Watson.
Albert Watson, 1942 in Edinburgh
in Schottland geboren, ist von Geburt
an auf einem Auge blind. Er studierte
Grafikdesign in Dundee, wechselte zum
Filmstudium ans London Royal College
of Art, zog 1970 in die USA und lebt
heute in New York. Er führte Regie bei
rund 650 Werbefilmen, schuf Filmplakate (unter anderem für „The Da Vinci
Code“ oder „Kill Bill“) und zählt zu
den Großmeistern der Modefotografie.
Supermodels wie Naomi Campbell folgten ihm aufs Wort,
er agierte in Tausenden Modeshootings hinter der Kamera,
prägte das Erscheinungsbild der Marken Prada und Chanel.
Sein Lebenswerk ist Kosmos in unendlich vielen Facetten:
Stills oder bewegte Bilder, Porträts oder Reportagen, Werbefilme, inszenierte Szenen oder Milieustudien, Reisebilder aus
Las Vegas oder Marrakesch, farbig oder schwarz-weiß.
Watsons Bilder machen Auflage, zu seinen Bewunderern
zählen Abermillionen Zeitschriftenleser und -leserinnen der
Magazine „Rolling Stone“ oder „Vogue“, für die er einige
Hundert Titel lieferte, aber auch Mohammed VI., König von
Marokko, der ihn zum offiziellen Hoffotografen ernannte.
Seine Fotografien sind Meisterwerke der Lichtregie und
der Komposition, Gelegenheitsarbeiten, Auftragswerke,
Markenartikelwerbung, von den Museen längst als Fotokunst erkannt. Seine Bilder wurden im Metropolitan Museum of Art in New York und in der National Portrait Gallery
in London gezeigt, wanderten in einer spektakulären Einzelausstellung durch Europa (unter anderem in die Hamburger
Deichtorhallen). Seine frühen Vintage-Abzüge, die er selbst
in der Dunkelkammer ans Licht holte, sind heute viele Tausend Dollar wert, eine gut erhaltene der Titelseite von „GQ“
aus den 70er-Jahren kostet schon mal 600 Dollar. Die Branchen-Bibel „Photo District News“ kürte Albert Watson zu
„einem der 20 einflussreichsten Fotografen aller Zeiten“.
Porträtfoto: Gloria Rodríguez
Albert Watson – Der Künstler mit der Kamera
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Das zeigt auch sein Einsatz für ein Baumwollprojekt
im westafrikanischen Benin. Dass Cotton Made in Africa
einen ausgewiesenen Werbe- und Modefotografen darum
bat, Baumwollpflanzer in Benin zu fotografieren, war ein
mutiger Schritt. Die Initiative soll 420.000 Vertragsbauern
in Westafrika zu nachhaltigem Anbau bewegen. Sie verleiht
auch das gleichnamige Gütesiegel der Organisation Aid by
Trade, 2005 gegründet von dem Hamburger Unternehmer
Michael Otto.
Der Auftrag war delikat. Allzu lange haben Fotografen
den Schwarzen Kontinent wie Kolonialherren hinter der
Kamera in Besitz genommen, die sich nicht für die Menschen
und ihre Lebensverhältnisse interessierten, sondern für die
fotogene Exotik unbekleideter Naturvölker. Watson begegnete ihnen mit Respekt.
„Wir standen morgens um sechs auf, frühstückten, fuhren
langsam über rumpelige Schotterpisten ins Land, und wenn
ich etwas Interessantes sah, hielten wir an, und ich arbeitete
bis in den Abend“, erzählt er. Zwei Wochen war er unterwegs und kam mit beeindruckenden Bilddokumenten
zurück. Auf den Fotos sind Kleinbauern in ihrem Lebensumfeld zu sehen, authentische Porträts, anrührend in ihrer
Würde und – bei Watson unvermeidlich – in ihrer Schönheit.
Für Watson war es eine Pionierreise in fotografisches Neuland: Zum ersten Mal hat er digital fotografiert.
EDITION NO 15
Albert Watson
„Sebastian in Issey Miyake” (1989)
76 x 61 cm, Edition von 25,
ab 6200 Euro (ungerahmt / inkl. MwSt.)
Bezugsquelle:
CAMERA WORK Photogalerie
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Tel.: +49 (0) 30/310077-45
Fax: +49 (0) 30/310077-50
http://www.camerawork.de
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„Wir haben
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HERRMAN OTTO SOLMS, Sie gelten derzeit als der wohl am
wenigsten umstrittene Politiker Deutschlands, als rundum akzeptiertm wenigsten umstrittene Politiker Deutschlands, als rutene
Politiker Deutschlands, a
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POLITIK
eine faire Chance“
Vor der Bundestagswahl ließen die hessischen Liberalen Her­
mann Otto Solms, der für sie von 1980 bis 2013 im Bundestag
gesessen hatte, nicht mehr auf dem Spitzenplatz der Landes­
liste antreten. Daraufhin verzichtete Solms, der mit vollem
Namen Hermann Otto Prinz zu Solms­Hohensolms­Lich
heißt, darauf, noch einmal für die FDP anzutreten. Jetzt sitzt er
nach dem Scheitern der FDP als einziger Liberaler doch noch
im Bundestag: Als ehemaliger Bundestagsvizepräsident hat er
für vier Jahre Anspruch auf Büroräume und Mitarbeiter.
Ist die angepeilte parlamentarische Wiederkehr im Jahr
2017 tatsächlich ein realistisches Ziel?
Herr Solms, lassen Sie uns mit der Schuldfrage beginnen.
Warum ist die FDP nach mehr als 60 Jahren Bundestag bei
der Bundestagswahl so kläglich gescheitert?
Wir müssen uns auf unsere Ziele und unser Profil kon­
zentrieren. Wir dürfen uns nicht nach unserem Verhältnis
zu anderen Parteien definieren.
Sie wird eine schwere Aufgabe. Doch wir haben eine faire
Chance.
Wären Ihre Chancen besser, wenn es künftig eine
schwarz-rote Koalition gibt?
Ich glaube, dass das unerheblich ist.
Warum?
Wenn ich Ihre Frage mit einem Satz beantworten darf:
Die FDP hat ihren Markenkern vernachlässigt, die Grund­
botschaften sind nicht mehr durchgedrungen.
Müsste am Anfang der Ursachenforschung nicht eine
detaillierte Fehleranalyse stehen? Wir haben sie von der
FDP bisher nicht gehört! Hat sie in der FDP-Führung denn
bisher nicht stattgefunden? Und ist sie vielleicht mit Ihrer
Analyse identisch?
Nachdem der alte Vorstand zurückgetreten ist, muss
die Partei eine neue Führung wählen. Diese wird eine
gründliche Analyse vornehmen – mit dem Ziel, die FDP
wieder auf ihre Kernbotschaften auszurichten: Schutz der
Bürgerrechte, Chancengerechtigkeit in der Bildung und
Durchsetzung der Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft.
Zu Christian Lindner als neuem Vorsitzenden sehe ich
gegenwärtig keine Alternative.
Die politische Wiederbelebung der FDP hat der künftige
FDP-Vorsitzende Lindner einmal als so schwierig bezeichnet wie die Besteigung des Mount Everest barfuß und ohne
Sauerstoffmaske. Ist das wirklich so dramatisch?
Das ist jetzt für uns wirklich etwas Neues. Wir wissen noch
nicht, wie sich das gestalten lässt, wenn man außerhalb der
parlamentarischen Szene agiert.
Und wann wollen Sie oben sein?
Das Projekt heißt: Wiederaufstieg 2017. Und dass wir es
in diesen vier Jahren schwer haben, überhaupt politisch
sichtbar zu bleiben, ist eines der zu lösenden Probleme.
Wer ist der Hauptschuldige am Scheitern der FDP, Guido
Westerwelle? Oder muss man da weiter zurück in der
Parteigeschichte, etwa bis zu Hans-Dietrich Genscher oder
Otto Graf Lambsdorff?
Ich will nicht über die Schuld Einzelner reden. Schuld tragen
alle. Jeder hat seinen Teil beigetragen, der da mitgewirkt
hat. Ich werfe mir selbst vor, meine häufig abweichende
Meinung nicht deutlicher vorgetragen zu haben.
Sie haben vor der Wahl 2009 ein schlüssiges Steuerkonzept
ausgearbeitet, in das Sie viel Zeit investiert haben. Allerdings
ist das Konzept dann irgendwie verschwunden.
Wenn Sie in den Koalitionsvertrag von 2009 schauen, dann
werden Sie feststellen, dass die Elemente dieses Steuer­
papiers drinstehen. Das haben wir so vereinbart. Aber es ist
nicht realisiert worden.
Warum nicht?
Die Union und Finanzminister Schäuble haben es einfach
nicht gemacht.
Konnten Sie denn keinen Druck auf die CDU/CSU ausüben, gerade in diesem politischen Kernbereich der FDP?
Ich kann nur sagen, es ist nicht umgesetzt worden. Ich war
schließlich nicht in der Regierung. Und wir stellten nicht den
Finanzminister.
Eigentlich war das Finanzministerium doch Ihr politisches Lebensziel.
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POLITIK
„Es war ein Fehler der FDP,
vor der Bundestagswahl
Ihr Parteifreund Kubicki hat vor etlichen Monaten – lange
vor der Bundestagswahl – gesagt, die FDP „hat als Marke
generell verschissen“. Sie selbst sind auch dieser Meinung …
Das ist das, was ich mit der Vernachlässigung des Markenkerns der FDP meine.
Wie kann man dann einen besseren Markenkern auf­
bauen und so formulieren, dass er in der Öffentlichkeit
wahrgenommen wird.
Mir ging es nicht um den Ministerposten. Mir ging es darum,
einer allzu komplizierten wirtschafts- und arbeitsfeindlichen Gesetzgebung im Steuerbereich etwas Einfaches,
Verständliches und Wachstumsfreundliches entgegenzusetzen. Das ist schwierig, aber machbar. Ich wollte zeigen
und habe gezeigt, dass es geht. Ich hatte die Hoffnung, dass
es in der schwarz-gelben Koalition gelingen würde. Aber die
Bereitschaft in der Union war dazu nicht vorhanden.
Welche konkreten Fehler hat Philipp Rösler in der Koa­
lition gemacht? Dass er kein kollegiales Miteinander an der
Parteispitze geschafft hat? In der FDP hört man jetzt, dass
die Abstimmung der beiden Teams um Rösler und Brüderle
schlecht, ja letztlich feindselig war. Rösler sei immer wieder
als „Fippsie“ verspottet worden. Stimmt das?
Ich kann das aus meiner Sicht nicht bestätigen. Das sind
doch nur Parolen aus der zweiten Reihe. Die wahren Gründe
für das Scheitern liegen tiefer.
Wie sinnvoll war es in Ihren Augen, die Zukunft der FDP
auf den politischen Oldie Brüderle zu setzen?
Es war ja zu sehen, dass es die junge Truppe nicht schafft.
Deswegen wollte man sie ergänzen durch einen älteren,
angesehenen, erfahrenen Politiker. Aber das ist jetzt doch
kein Grund, Rainer Brüderle zum Hauptschuldigen zu machen. Er hat mit voller Kraft und unter körperlichen Schmerzen gekämpft. An ihm lag es nicht.
Die erste Reaktion in der Öffentlichkeit ist doch, dass viele
sagen, jetzt wird uns die liberale Stimme fehlen. Die einen,
weil sie sie positiv vermissen, die anderen, weil sie die
FDP gern weiterhin als Gegner hätten. Es wird sich dann
herausstellen, ob die anderen Parteien die Lücke, die die
FDP hinterlässt, schließen können oder ob nicht die Linksdrift der CDU dazu führt, dass die von der FDP hinterlassene Lücke noch größer wird. Dann wird man sich nach der
FDP zurücksehnen.
Am Abend der Bundestagswahl war eines überdeutlich:
Bei allen Parteien – von links bis rechts – war die Häme, die
Schadenfreude über das Scheitern der FDP außerordentlich
ausgeprägt. Wie erklären Sie das, warum waren die alle so
froh, dass die FDP aus dem Bundestag weg war?
Ich fand das primitiv und charakterlos. Aber es hat wohl
damit etwas zu tun, dass die FDP über Jahrzehnte der
Schlüssel zur Macht war. Das war für die anderen Parteien
lästig. Nur dass die FDP Positionen vertrat, die für die Mittelschicht der Gesellschaft existenziell sind, das wird sich jetzt
erst im Laufe der nächsten Monate und Jahre herausstellen.
Vielleicht hätten zum Schluss Sie keine Zweitstimmen­
kampagne machen sollen? War sie ein Fehler? Sie kam bei
den Wählern ja überhaupt nicht an.
Sie war jedenfalls nicht erfolgreich. Darüber hinaus war es
ein Fehler der FDP, die bayerische Landtagswahl nur eine
Woche vor der Bundestagswahl zuzulassen.
Weil die FDP in Bayern traditionell schwach ist?
Ja. Und dann hat die Union Angst gehabt, mit Blick zurück
auf die vorangegangene Niedersachsenwahl. Deshalb hat
sie einen massiven Angriff auf die Zweitstimmenkampagne
der FDP inszeniert. Das hat uns dann die Niederlage bei der
Bundestagswahl eingebracht.
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die bayerische Landtagswahl nur eine Woche
zuzulassen“
Ist der Untergang der FDP nicht eher damit zu erklären,
dass sie sich vor allem als die Partei der Besserverdienenden
präsentiert hat?
Dieser, schon damals unberechtigte Vorwurf, stammt aus
den 90er-Jahren. Wahr ist, dass heute statistisch erwiesen die Grünen die Partei der Besserverdienenden sind.
Für unsere Niederlage gibt es viele Ursachen, die man
diskutieren muss. Vier Jahre vorher, im Jahr 2009, als wir
so erfolgreich waren wie nie zuvor, ist uns vorgeworfen
worden, wir hätten uns verengt auf eine Ein-Thema-Partei.
Aber das hat uns den großen Erfolg 2009 gebracht. Wenn
man sein Thema vernachlässigt, bleibt der Erfolg aus.
Wie man heute sieht. Die Grünen haben ihre Existenz mit
dem Thema Umweltpolitik begründet und damit gut gelebt. Jetzt haben sie sich in dieser Wahl auf das Spielfeld
der anderen begeben, haben bei der Finanz- und Steuerpolitik mit sozialistischen Steuererhöhungen die SPD links
überholen wollen und damit ihr Kernthema vernachlässigt.
Dafür sind sie bestraft worden.
Muss die FDP zurückfinden zu einem Reformlibera­
lismus, der auch soziale Dimensionen kennt?
Die FDP ist die Partei der sozialen Marktwirtschaft.
Die soziale Komponente ist unverzichtbarer Teil dieses Konzepts. Wir sehen unsere Hauptaufgabe dabei in
Ist die Berufung von Nicola Beer zur FDP­Generalsekre­
tärin ein Signal dafür, dass in der FDP wieder eine Bildungs­
politik diskutiert wird, die im Alltag funktioniert?
Chancengerechtigkeit und Ausbildung spielen auch künftig
eine zentrale Rolle in der FDP. Ich kenne Frau Beer, die wie
ich aus Hessen kommt, sehr gut. Sie ist eine gescheite Frau,
gut ausgebildet, am Anfang arbeitete sie in der Rechtspolitik, dann war sie Staatssekretärin für Europafragen, hat
sich dabei in die europäische Problematik sehr gut eingearbeitet, ist jetzt Kultusministerin. Sie hat in diesem Amt
einen neuen Anfang durchgesetzt: nämlich den Schulen
mehr Eigenständigkeit beim Unterricht zu geben.
Hat die FDP im Wahlkampf vielleicht einen zu euro­
skeptischen Kurs gefahren, etwa über die Rolle des sehr
eurokritischen Abgeordneten Frank Schäffler? Und dadurch
der Alternative für Deutschland (AfD) Wähler zugetrieben,
die sonst vielleicht FDP gewählt hätten?
der Schaffung von Arbeitsplätzen. Das ermöglicht den
betroffenen Menschen, ohne soziale Bevormundung
ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Wer allerdings
unverschuldet in Not gerät, muss sich auf den Sozialstaat
verlassen können.
Das ist ein ganz schwieriges Thema. Weil hier ökonomischer Sachverstand den politischen Zielsetzungen gelegentlich entgegensteht. Ökonomisch sind die Argumente
vom AfD-Vorsitzenden Lucke häufig richtig. Aber in Europa geht es um mehr. Man kann die europäische Zusammenarbeit mit dem Ziel einer friedensstiftenden Wirkung
nicht aufrechnen gegen diese ökonomischen Argumente. Deswegen hat der Kollege Frank Schäffler einen Mitgliederentscheid angestrengt. Und das ist schließlich ein
Weg der demokratischen Willensbildung. Und dazu gehört,
wenn das Parteivolk gesprochen hat, der Souverän in der
Partei, dass sich dann die unterlegene Seite der gewinnenden Seite fügt. Das haben in dieser Frage die Unterlegenen
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POLITIK
„Wir brauchen eine anerkannte Führung der Partei im
nicht getan. Und das hat der FDP geschadet, wie man am
Wahlergebnis sieht.
keiner – weder in den Wahlprogrammen noch in ihrem Auf­
treten nach der Wahl.
Ist es nicht ein sehr guter Ratschlag, den Lindner der
Partei gegeben hat mit dem Gedanken, die FDP dürfe sich
nicht mehr so eng an die CDU binden wie in der Vergangenheit? Und sie müsse auch mehr gesellschaftliche Sensibilität zeigen. Kurz:
Muss die neue FDP
nicht deutlich auf
Distanz gehen zur
eigenen
schwarzgelben Vergangenheit, in der sie nur ein
Anhängsel der Frau
FDP Wahlplakate 1957, 1972, 1976, 2002
Merkel war?
Frank Schäffler, des­
sen ökonomische Ar­
gumente ich häufig
teile, sollte mit uns
gemeinsam
daran
arbeiten, dass die
Risiken für Finanzkri­
sen im Euroraum ab­
gebaut werden. Das
heißt: Langfristig müssen Stabilitätspakt und No­bail­out­
Gebot wieder gelten. Gemeinschaftshaftung für die Schul­
den der Eurostaaten – wie bei Eurobonds – darf es nicht
geben. Aber auf dem Weg dorthin sind Hilfen über den ESM
von stabilisierender Wirkung, wenn sie gegen strikte Auf­
lagen freigegeben werden.
Droht die Gefahr, dass die Grünen das verbliebene
Marktsegment im Bundestag übernehmen? Bei den Grünen
heißt es bereits: „Wir Grünen müssen wieder die Partei der
Freiheit werden.“
Das „Wieder“ ist ganz schön frech, weil sie das ja nie wa­
ren. Diese Drohung ist nicht glaubwürdig. Und die Gefahr,
dass sie die Rolle der wirtschaftsnahen Partei übernehmen,
ebensowenig – im Gegenteil: Sie haben ja bereits die Sozial­
demokraten bei Forderungen nach Staatseingriffen, Gebo­
ten, Verboten und anderen Zumutungen weit überholt.
Aber die Tatsache, dass die FDP nicht fähig war, die
Freiräume der Bürger ausreichend zu verteidigen, können die Grünen als Chance sehen, die Rolle der Liberalen
zu übernehmen, ihre Positionen besetzen und damit die
Wiederbelebung der FDP sehr erschweren? Jede Partei
möchte doch ein möglichst großes Stück vom Fell der erlegten FDP haben.
Da müssten die anderen Parteien erst einmal diese libe­
ralen Positionen der FDP vertreten. Das sehe ich aber bei
Wie ich schon sagte:
Wir dürfen uns nicht im Verhältnis zu anderen Parteien de­
finieren. Soweit wir das getan haben, müssen wir uns davon
lösen. Wir müssen als unabhängige Kraft mit unseren Bot­
schaften antreten.
Was soll man denn unter dem Begriff des „mitfühlenden
Liberalismus“ verstehen, von dem Lindner häufig redet?
Dieser Begriff ist in der Vergangenheit einmal aufgetaucht.
Von mir stammt er nicht. Und ich kann damit auch nicht
sehr viel anfangen. Die anderen Parteien glauben, ihre
Politik sei umso sozialer, je höher ihre Sozialausgaben sind.
Wir sagen, Politik ist umso sozialer, je niedriger sie sind.
Denn wir wollen, dass möglichst wenige Menschen in die
Abhängigkeit von sozialen Zuwendungen geraten. Wir kon­
zentrieren uns darauf, dass der Markt ihnen Arbeit und Brot
und Arbeitsplätze verschafft, weil sie dann nicht mehr von
sozialen Zuwendungen abhängig sind. Man kann bei ande­
ren Parteien den Eindruck haben, es sei ihr Wunsch, dass
die Menschen von sozialen Zuwendungen leben, weil sie
dann von ihnen als Zuwendungsgebern abhängig bleiben.
Ist das das neue, große liberale Thema der FDP?
Eindeutig ja. Denn die Bürger sind umso freier, je selbst­
bestimmter und unabhängiger sie agieren können.
Wolfgang Kubicki hat Herrn Lindner schon einmal als
ein „Juwel der Partei“ bezeichnet. Sehen Sie das auch so?
Fotos: dpa Picture­Alliance, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Deutsches Historisches Museum
Rund 430.000 frühere FDP-Wähler sind zur AfD übergelaufen. Welche Konsequenzen sind daraus zu ziehen.
Schäffler aus der FDP rauswerfen? Hans-Dietrich Genscher
hat den Austritt oder Ausschluss Schäfflers aus der FDP
bereits nahegelegt.
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Bund und eine bessere in einigen Ländern“
Immerhin hat er als Generalsekretär der FDP schon einmal
hingeschmissen …
Bei seiner Kündigung als Generalsekretär gab es unter­
schiedliche Meinungen über den Kurs der FDP. Und da war
es ein Akt der Ehrlichkeit, das Amt abzugeben und nicht
weiterzumachen.
Nirgendwo ist der Abstieg der FDP deutlicher geworden
als in dem bisher so starken FDP-Landesverband BadenWürttemberg. Lag das am FDP-Spitzenkandidaten Dirk
Niebel? Der hat von sich sogar geglaubt, er sei der geborene
nächste FDP-Vorsitzende.
Nein, das liegt an der latenten
Führungskrise, die dort schon
seit vielen Jahren herrscht.
Auch das ist ein Hinweis für die
künftige Führung der Partei im
Bund. Wir brauchen eine aner­
kannte Führung der Partei im
Bund und eine bessere in eini­
gen Ländern. Nur dann können
wir wieder erfolgreich sein.
Er hätte damals ja auch seinen Hut in den Ring werfen
können. Er sei zu jung, hat er
damals gesagt. Jetzt, zwei Jahre
später, ist er nicht mehr zu jung?
Er hat sich damals für zu jung
gehalten. Es ist gleichgültig, ob
er es war oder nicht. Er hat da­
mals konsequent gehandelt.
Werden Sie noch einmal das
Amt des FDP-Bundesschatzmeisters übernehmen, das Ihnen Lindner angetragen hat?
Er hat es mir angeboten, und ich bin bereit, das Amt an­
zunehmen, wenn die Voraussetzungen stimmen. Es ist eine
schwierige Aufgabe, aber sie ist machbar.
Haben Sie Lust auf diesen Job?
Lust habe ich keine. Aber ich sehe natürlich auch, dass sta­
bile Parteifinanzen ein wichtiger Faktor sind, um das Vertrau­
en in die Zukunftsfähigkeit der Partei zurückzugewinnen.
Sie dienen einer Partei, die Sie persönlich nicht mehr für
den Bundestag kandidieren lassen wollte …
Ich diene doch nicht der Partei, ich diene der Durchsetzung
der liberalen Idee. Und diese Durchsetzung braucht eine
liberale Partei, auch wenn ich nicht immer mit ihr einver­
standen bin. Das ist in jeder Partei so.
Wären Sie damit einverstanden, wenn Kubicki Stellvertretender Parteichef wird, nachdem die Generalsekretärin Frau Beer geworden ist?
Ich fände es sehr gut, wenn Wolfgang Kubicki dies würde.
Er ist jedenfalls eine authentische Persönlichkeit. Die Men­
schen wollen in der Politik solche Persönlichkeiten, an denen
sie sich orientieren können, weil die Entscheidungen in der
Sache oft kompliziert und schwer verständlich sind.
Warum ist die FDP zu einer
Partei verkümmert, mit der sich
die Menschen nicht mehr identifizieren wollten? Weil der nichts Besseres mehr einfiel, als
Steuergeschenke an Hoteliers zu verteilen.
Obwohl die Idee von der CSU stammte, haben die Medien
sie uns angerechnet. Sie konnte uns aber auch angerech­
net werden, weil wir nicht entschieden dagegen aufgetre­
ten sind. Im Übrigen stand das auch völlig im Widerspruch
zu den steuerpolitischen Ideen, die die Partei auf meinen
Vorschlag hin verabschiedet hatte: ein einfaches Steuer­
recht ohne Ausnahmen.
Unsere letzte Frage: Wissen Sie, wer einmal gesagt hat:
„Die Idee des Liberalismus muss erst wieder neu erarbeitet
werden. Sie hat im Lauf der Zeit so viel an Klarheit, Schärfe und Magnetismus verloren, dass sie erst wieder wie neues
Tageslicht vor der Bevölkerung aufsteigen muss.“
Friedrich Naumann.
Und wann war das?
Anfang des
Jahrhunderts.
letzten
Wir danken Ihnen
für dieses Gespräch.
DAS GESPRÄCH FÜHRTEN HANS PETER SCHÜTZ
UND WERNER FUNK | FOTOS: STEFFEN ROTH
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Erste Klasse.
Fünf Sterne.
Siebter Himmel.
Was Sie wünschen,
steht an erster Stelle:
die Lufthansa
First Class
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lufthansa.com
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Erleben Sie die First Class unter den
ersten Klassen: Entspannen Sie im
exklusiven Ambiente unserer Lounge,
lassen Sie sich in der Limousine
zum Flieger bringen, genießen Sie
Sterneküche über den Wolken – und
Sie werden verstehen, warum die
Lufthansa First Class im PassagierRating von Skytrax die Bestnote von
Fünf Sternen erhalten hat.
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... MANCHMAL
KÖNNTE EINEM
BANGE WERDEN
Jahrhundertelang kreuzten Fischer im Januar
die norwegische Küste hinauf, um vor den
Lofoten arktischen Kabeljau zu fischen, das Gold
des Meeres. Arved Fuchs und seine Crew
segelten auf ihren Spuren – manchmal bei
Windstärke zehn
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D
er deutsche Standardsarg ist zwei Meter lang,
70 Zentimeter breit und 65 Zentimeter hoch.
Meiner Koje fehlen in jeder Richtung 15 Zentimeter. Hätte ich etwas Humusduft in der
Nase, könnte ich hier trotzdem ein ziemlich
authentisches Gefühl dafür entwickeln, wie ich die nächsten
Jahrhunderte verbringen werde. Doch zum Gefühl der ewigen Ruhe passt das sägende Geräusch 60 Zentimeter über
meinem Kopf nicht. Arved Fuchs schnarcht. Der Sound des
Abenteuers.
Wir beide liegen an Backbord. An Steuerbord, auf der
gegenüberliegenden Seite unserer anderthalb Quadratmeter
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ABENTEUER
Lang ist die Fahrt die norwegische Küste
hinauf, es gibt viel Wind, Schnee und schlechte
Sicht, aber auch klare Tage und Flaute. Die Crew
nutzt sie für einen Imbiss an Deck und zum
Angeln. Wegen der frühen Dunkelheit muss der
Fang bei Stirnlicht zerlegt werden
kleinen Vorschiffkajüte, schlafen Harald und Bernhard, der
Fotograf und der Koch. Ein paar Meter hinter uns, in der
Kajüte mittschiffs, befinden sich weitere sechs Kojen sowie der große Esstisch, der Herd und ein stattlicher Ofen.
Auch bei uns vorn bollert es Tag und Nacht. Die Öfen sind
wichtig. Draußen ist es eiskalt. Es ist Anfang Januar, und
wir sind vor der Küste Norwegens – zehn Mann auf einem
82 Jahre alten Schiff aus Holz von 18 Meter Rumpflänge,
das nach Norden segelt. Ziel: die Lofoten. Beim frostigen
Aufbruch am 28. Dezember in Flensburg rutschten den
Hafenguckern vor lauter Kopfschütteln die Prinz-HeinrichMützen vom Schädel.
Warum tun wir das?
Weil wir fasziniert sind von einem besonderen Kapitel europäischer Seefahrtsgeschichte und es nacherleben
wollen. Es hat zu tun mit einem spektakulären Naturphänomen. Jedes Jahr im frühen Frühjahr ziehen gewaltige
Kabeljauschwärme aus der eisigen Barentssee zu den wärmeren Gewässern der Lofoten, die noch von einem Ausläufer des Golfstroms erreicht werden, um dort zu laichen.
In solcher Menge versammelt sich der Kabeljau dort, so sagt
eine alte norwegische Quelle, „dass ein Eisenstein, der gut
6 ½ Pfund auf die Waage bringt, an eine Schnur gebunden
nicht auf den Grund kommt, so dicht stehen die Fische“.
Und deswegen machten sich jedes Jahr gleich nach Weihnachten seit Jahrhunderten überall an der norwegischen
Küste die Fischer auf den Weg nach Norden, um bei der
großen Ernte auf dem Meer dabei zu sein.
E
s war wie ein Goldrausch, der allerorten ausbrach.
Socken wurden gestrickt, Pullover gestopft, Stiefel geteert und „Lofotkisten“ mit Hartbrot, Butter,
Käse, Pökelfleisch und Wurst gepackt. Dann stellten die
Männer in ihren großen offenen Booten aus geklinkerten Planken einen Mast auf, hissten das Segel und fuhren
los. Tage-, manchmal wochenlang waren sie unterwegs,
bei Sturm, Nebel und Schnee. Sie schliefen in einem engen Verschlag achtern auf dem Boot oder unter dem Segel,
sie bekamen tagelang nichts Warmes zu essen und wurden
immer wieder bis auf die Haut durchnässt von Wasser, das
dann gefror. Aber sie hielten durch, weil Armut sie antrieb
und die Hoffnung, am Ende der Fangsaison die Schulden
beim Dorfkrämer bezahlen zu können und vielleicht sogar
noch etwas übrig zu behalten. Es ist eine Geschichte har-
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ABENTEUER
Blaue Stunde auf dem Westfjord.
Das Festland bleibt zurück,
voraus liegen die Lofoten
ten Kampfes und stillen Heldentums, die der norwegische
Schriftsteller Johan Bojer in seinem Roman „Die Lofot­
fischer“ Anfang des 20. Jahrhunderts ebenso authentisch
wie fesselnd erzählt hat.
Gemessen an den Bedingungen, unter denen die Lofot­
fischer damals fuhren, haben wir es luxuriös. Unter Deck
haben wir immerhin ein Dach über dem Kopf und einen
warmen Ofen vor den Füßen. Außerdem hat jeder seine
eigene Koje, seinen Rückzugsplatz, den er mit einer Schiebe­
klappe nach außen verschließen kann. Die „Dagmar Aaen“,
das Expeditionsschiff von Arved Fuchs, ist ein dänischer
Segelkutter, der früher von Esbjerg aus auf Fangreise in die
Nordsee und den Nordatlantik ging. Segel, Maschine, Elek­
trik und Elektronik wurden modernisiert, doch der Kom­
fort unter Deck ist im Originalzustand erhalten. Es gibt
zwei enge Klos, aber weder Dusche noch Waschmaschine.
Wer mitfährt, weiß, dass er unterwegs viel für den Erhalt
des natürlichen Säureschutzmantels seiner Haut tun wird.
Warmduscher und olfaktorische Sensibilisten sind fehl am
Platz. „Es rauscht wie Freiheit. Es riecht wie Welt“, reimte
Joachim Ringelnatz in seiner Hymne auf Segelschiffe. Auf
dieser Reise rauscht es eher wie volle Regenrinne, und es
riecht wie nasse Socke.
Segeln kann sich ziehen. Das Skagerrak ist starkwindig
und schauervoll. Nach zehn Tagen haben wir gerade mal
Bergen erreicht, Metropole des Regens – an 243 Tagen pro
Jahr prasselt er auf die Stadt – und früher der wichtigste
Außenposten der deutschen Hanse. Hier wurden der Kabel­
jau in Form von Stockfisch und Lebertran umgeschlagen
und zu viel Geld gemacht. Die Pfeffersäcke verdienten am
Fisch besser als die Fischer.
Als Bergen hinter uns liegt, liegt vor uns eine lange Fahrt
durch die norwegischen Fjorde. Sie sind vorbildlich bestückt
mit Tonnen und Leuchtfeuern aller Art, außerdem zeigt uns
die elektronische Seekarte jederzeit, wo wir sind und wo wir
hinmüssen. Und dann gibt es auch noch das „Automatic
Identification System“, kurz AIS, das jedes Schiff, das uns
begegnet oder uns überholen will, mit seinem Namen, seinem
Kurs und seiner Geschwindigkeit in die Seekarte einblendet.
Analog dazu werden auch wir auf der Brücke des anderen
Schiffs wahrgenommen. Das ist beruhigend, denn das Fahr­
wasser schlägt immer wieder plötzliche Haken, sodass man
an Deck erst im letzten Moment erkennt, wo es weitergeht
und wer uns entgegenkommt. Manchmal werden die Fjorde
so eng, dass einem bange werden könnte, links und rechts
himmelstürmende Wände aus glattem Granit und dazwi­
schen wie eingeklemmt klein und rot unser Schiff. Es ist
unvorstellbar, wie sie sich früher ohne Radar, GPS und alle
unsere modernen Hilfsmittel in diesem Gewirr von Fjorden,
Fahrwasserverzweigungen, Buchten, Schären und Inseln
zurechtgefunden haben, in dem sich auch noch die Strö­
mungen mit den Gezeiten ständig verändern. Nach Sicht?
Aber 20 Stunden am Tag ist es Nacht! Und dazu haben wir
noch Neumond. Der Himmel ist dunkel, das Land schwarz,
das Wasser grau, wir fahren die meiste Zeit durch Dun­
kelheit, Düsterkeit und Finsternis – Gerhard Richter hätte
seine Freude.
D
och die vier Stunden Licht pro Tag sind eine
Sensation. Zuerst bildet sich über dem dunklen
Massiv der Berge im Osten ein schwacher rötli­
cher Schein, ein Scheinchen, möchte man sagen, so zart ist
er. Aber dann verbreitert sich der Streifen, spendet Licht,
schließlich so viel, dass sich die Silhouetten der Schä­
ren schwarz aus dem dunklen Wasser schälen, die Sterne
verblassen; das Meer und die Felsen nehmen Farbe an. Die
Sonne bleibt verborgen hinter den Bergen, doch sie füllt den
östlichen Himmel jetzt mit einer Essenz von Morgenlicht.
Es ist wie Genesis in Zeitlupe: „Und Gott sprach: Es werde
Licht! Und es ward Licht.“
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Außer Sonnenauf- und Sonnenuntergang, die man beide
nicht sehen kann, passiert nicht viel. Vier Stunden Wache,
vier Stunden Freiwache, der Rhythmus des Bordlebens.
Man zieht das Ölzeug an, starrt in die Dunkelheit, sucht die
nächste Tonne, achtet auf Kurs und Karte, verfolgt über AIS
die anderen Schiffe. Es sind wenige. Dann die Freiwache.
Man schläft, liest, spielt Karten; Bernhard bereitet das Essen
vor, heute „Spirelli à la Bernàrd“ mit scharfer Sahnesoße;
Fabian, gelernter Konditor, backt ein Brot, was schon wegen
des wunderbaren Dufts, der plötzlich unter Deck den üblichen Mief vertreibt, für allgemeine Freude sorgt. Das Leben
an Bord hat seinen eigenen Pulsschlag. Die Zeit vergeht
eigentlich nicht, sie ist aufgehoben. Man könnte die Tage an
Bord der „Dagmar Aaen“ ereignisarm nennen. Aber keiner
empfindet es so. Vielleicht ist es auch gerade das Fehlen der
Ereignisse, die sonst das Leben bestimmen, das zu einer anderen Art von Ereignis wird. Reduktion als Sensation – viele
Segler kennen dieses Gefühl.
Mit dem 66. Breitengrad nähern wir uns dem Polarkreis, ein kräftiges Hoch bestimmt inzwischen das Wetter,
es ist eisig, und morgens überzieht eine feine, aber gemeine
Eisschicht das Deck. Wir rutschen herum wie Statisten
bei „Holiday on Ice“, verteilen Streusalz und kratzen den
Kompass frei. Beides nützt nicht viel. Kräftiger südöstlicher
Wind drischt Wellen gegen den Rumpf, die sich klatschend
in Gischtfontänen verwandeln und dann als Sprühregen
niedergehen. Überall bilden sich Rutschbahnen und Eiszapfen – auf dem Deck, an den Niedergängen, an Strecktauen,
Seereling, Fendern, Ankerspill. Es sieht malerisch aus, aber
wer einmal versucht hat, mit gefrorenem Tauwerk einen
Palstek zu formen, pfeift auf die Schönheit und flucht über
den Frost. Der Dauerfrost hat noch eine weitere unangenehme Folge: Die Teermasse, mit der die Deckplanken verfugt
sind, wird hart und brüchig, sie bröselt unter unseren Schritten. Jeden Tag muss das Deck jetzt sorgfältig gefegt und der
schwarze Staub beseitigt werden, sonst tragen wir ihn in die
Kajüten und schleppen ihn in die Kojen.
Die Wachen werden unangenehm, besonders die „Hundewache“ von Mitternacht bis vier Uhr. Vier Stunden Kälte
und Nässe sind gefühlte acht Stunden, und mit erstarrten
Fingern und Füßen kann man locker noch einmal zwei
dazurechnen. Die Füße schützen wir mit dick gefütterten Polarstiefeln, die für weit grimmigere Temperaturen
geschaffen sind und daher ihre Aufgabe ziemlich souverän
erfüllen. Mit den Händen ist es schon schwieriger. Denn bei
den notwendigen Arbeiten an Deck kann man unmöglich
dicke Stulpen tragen. Die Kleidung besteht aus diversen
Schichten Funktionsunterwäsche, Fleecejacken und -hosen
sowie Daunenwesten und Segelbekleidung. Mehr geht nicht,
sonst kann man sich nicht bewegen.
M
ehr ließe sich auch in den engen Kajüten gar nicht
unterbringen. Der Platz ist knapper als beengt.
Wenn sich beim spärlichen Kajütlicht um sieben
Uhr morgens die vier Männer im Vorschiff aus ihren Kojen
winden und auf engstem Raum mehrere Schichten Kleidung, dicke Socken und Stiefel anziehen, lässt sich auf den
ersten Blick schwer herausfinden, wer in diesem Knäuel zu
welchem Namen gehört. Alle haben verfilzte Haare auf dem
Kopf, Bärte oder Bartstoppeln im Gesicht und einen unterdrückten Fluch auf den Lippen, weil auch der dritte Versuch, auf einem Fuß stehend den Stiefel über den anderen
Fuß zu ziehen, wegen des Seegangs wieder fehlgeschlagen
ist und sich beim Umkippen gegen die Wand zu den blauen
Flecken an der Schulter ein weiterer gesellt hat. Ein solcher
Tagesbeginn verlangt von den Beteiligten nicht nur Selbstdisziplin und Rücksichtnahme, sondern auch die Fähigkeit
zu viel vorsätzlichem Humor.
In Bodø haben wir den Polarkreis hinter uns und den
Westfjord vor uns, eigentlich eine zum Nordatlantik hin
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ABENTEUER
„Happy Birthday!“ Steuermann Volker hat Geburtstag, die Crew weckt ihn mit einem Ständchen. Auf dem Frühstückstisch
prangt eine selbst gebackene Torte
offene, große Bucht, berüchtigt und gefürchtet. Sie ist die
letzte große Hürde, die genommen werden musste, bevor
die Fischer die Inseln der Lofotenkette und ihre Fang­
gründe erreichten. Mit seiner moderaten Wassertemperatur
von sechs Grad lockt der Westfjord die Kabeljauschwärme
an, er ist einer der fruchtbarsten Äcker des Meeres, aber
er ist auch ein Massenmörder. Im Februar 1848 raubte er
beispielsweise in einer einzigen Nacht 500 Fischern das
Leben. Es sind die jähen Wetterwechsel, die den Fjord so
unberechenbar machen. Stürme entwickeln sich plötzlich
und unvermittelt. Warmes und kaltes Meerwasser prallt
aufeinander und lässt undurchdringliche Nebelbänke ent­
stehen Heftige Weststürme türmen die Wogen zu mörderi­
schen Höhen auf. Die Wellen, steil und tückisch, laufen auf
die Küste zu und explodieren dort an Klippen und Untie­
fen. Wehe dem Schiff, das sich von ihnen nicht freihalten
kann. Der Westfjord ist ein Seerevier, vor dem man auch
heute noch größten Respekt hat und deswegen den Wetter­
bericht lieber von zwei Stationen abhört. Das tun wir.
Ergebnis: Gleich morgen haben wir die besten Aussichten,
danach ist ein schweres Sturmtief im Anzug. Also los.
Es ist ein Erlebnis der besonderen Art, an einem Januar­
sonntag morgens um sieben Uhr in einen winterklaren
Sternenhimmel hineinzusegeln. Kurz nach zehn geht die
Sonne auf, verharrt knapp über dem Horizont und färbt das
Meer blutrot. Und gegen Mittag steigt dann aus diesem ro­
ten Meer vor uns die Zackenlinie einer gewaltigen weißen
Wand auf – die Kette der Lofotenberge, steil aus dem At­
lantik aufragend, fast 200 Kilometer lang, 1000 Meter hoch,
durchzogen von spitzen Gipfeln, scharfen Graten, Zinnen
und Bastionen, eine Skulptur, deren Imposanz den Atem
stocken lässt. Und je näher wir kommen, desto beeindru­
ckender wird dieses Joint Venture aus Bergen und Ozean,
das wirkt, als seien die Alpentäler geflutet und nur noch
die Gipfel ragten aus dem Meer. Es ist schon lange wieder
dunkel, als wir die Küste erreichen, uns noch ein Stück nach
Nordosten tasten und dann auf die Ansteuerungstonne des
Hafens von Henningsvær zuhalten, einem der klassischen
Fischerplätze der Inseln. Es wird Zeit, in den Hafen zu
kommen. Der Wind hat bedrohlich aufgefrischt. Und noch
vor dem traditionellen Bier nach dem Festmachen fallen die
ersten Schneeflocken.
Wenn die Fischer der alten Zeit an ihren Fangplätzen
angekommen waren, nahmen sie den Mast von Bord ihrer
Boote; gefischt wurde mit Rudern. Sie bezogen ein „Ror­
buer“, wörtlich und auch ziemlich zutreffend übersetzt
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Vier Fälle von Kabeljau Im Aquarium von Ålesund füttert
sie ein Taucher. Auf einem Holzgerüst in Henningsvær
trocknen ihre Köpfe. Auf dem Fischmarkt von Bergen
warten sie auf Käufer. Im Speicher von Ragnar Riksheim
lagern sie gedörrt und fertig für den Export nach Afrika
mit „Ruderer-Bude“, meistens eine erbärmliche Holzhütte
mit Grasdach, die innen über einen Vorraum für Netze,
Riemen, Tauwerk und Vorräte verfügte und dahinter über
einen dämmrigen Hauptraum, der Küche, Aufenthaltsraum und Schlafraum zugleich war; man muss ihn sich
wohl noch voller vorstellen als die Kajüte der „Dagmar
Aaen“ und ganz sicher stickiger – zwölf Männer teilten
sich sechs Kojen, auf dem Herd kochten Kartoffeln und
Fisch, überall trockneten nasse Klamotten, und Pfeife
geraucht wurde auch noch. Hier hockten sie dann nicht
nur morgens vor und abends nach dem Fischen, sondern
auch tagsüber, wenn Sturm und Schnee sie im Hafen festhielten – so wie uns jetzt.
„Husvarver“, Hauserschütterer, nennen sie hier diesen Sturm, der mit sieben bis acht Beaufort aus Südwest
weht und im Lofotenwinter alltäglich ist. Es ist ein ziemlich gutes Gefühl, jetzt nicht auf See zu sein. Der heulende
Wind treibt Schnee vor sich her, manchmal so dicht, dass
man die andere Seite des Hafens nicht sehen kann. Um neun
Uhr morgens wird es hell, um zehn wieder dunkel. Panzerkreuzergraue Wolken schlucken jedes Licht und schütten die nächste Schneepackung über dem Ort aus. Schnee,
Schnee, Schnee.
D
er Ort, ein Fischerdorf, das auf zwei kleinen Inseln vor der Südspitze der großen Lofoteninsel
Austvågøya liegt und mit seinen bunten Holzhäusern ein langes geschütztes Hafenbecken umschließt,
hält Winterruhe. Nur ein paar Kinder schieben ihre Ranzen auf Schlitten zur Schule, später schieben Hausfrauen
ihre Schlitten zum Laden von Leif Johansen & Co., wo
es Butter, Brötchen, Socken, Zeitungen, Angelbedarf und
elf Sorten eingelegten Hering gibt und wo im Vorraum
kostenloser Kaffee steht und ein paar beschäftigungslose
Fischer die Zeit totschlagen. Die anderen Geschäfte sind
fast alle geschlossen, auch das „Lofoten Arctic Hotel“, das
Café, das Fischrestaurant. Eine Kneipe gibt es nicht. Kurz
nach 14 Uhr ist Sonnenuntergang, dann werden auch die
Möwen still, die tagsüber in kreischenden Rudeln flach
über dem Hafen kreisen.
Unser Schiff liegt im Hafenbecken wie eingefroren im
Eis. Unter Deck bullern die beiden Kanonenöfen vorn und
mittschiffs, die Crew liest, spielt Skat, döst, schippt Schnee.
Allmählich gehen die Witze aus, trotz Torben, der eigent-
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ABENTEUER
„Vorleinen los, los achtern!“
Die „Dagmar Aaen“ hat abgelegt und
verlässt den Hafen von Moskenes
lich immer noch einen weiß. Wir haben jetzt viel Zeit zum
Kochen, es gibt Linsensuppe süßsauer, Hähnchencurry mit
Reis, selbst gemachte Pizza. Das Essen und das Zusammensitzen danach sind die Highlights des Tages.
A
ber dann ist morgens plötzlich ein neuer Geruch in
der Luft, fischig, streng und scharf, beinahe beißend. Er ist so etwas wie eine olfaktorische Fanfare
– ein untrügliches Signal: Der Skrei ist da, die Saison hat
begonnen. Mitten in Henningsvær hält ein großer Truck
und entlädt Plastikcontainer voller schenkellanger Fische,
geschlachtet, ausgenommen und kopflos. Ein Gabelstapler
bringt die Behälter auf einen Hügel oberhalb der Schule,
wo mächtige Holzgerüste stehen und die Fischleiber jetzt
paarweise zum Trocknen aufgehängt werden: Kabeljau auf
dem Weg zum Stockfisch, der Fisch mit der Lizenz zum
Stinken. Bis zum 12. Juni, dem traditionellen „Abhängetag“ werden die Fische jetzt an der Luft dörren, dabei
mehr als 80 Prozent ihres Gewichts verlieren und ganz
Henningsvær unter eine Duftglocke setzen, die einem
das Gefühl gibt, schon durch schieres Einatmen zu einer
Omega-3-Sättigung zu kommen.
Dass gerade hier auf den Lofoten ganze Quadratkilometer
von Trockengerüsten bedeckt sind und weltweit die größte
Stockfischproduktion stattfindet, hat drei einfache Gründe:
die Luft, den Fisch und das Zusammentreffen beider. Die
Luft nämlich darf nicht zu trocken, aber auch nicht zu feucht
sein und die Temperatur weder zu hoch noch zu niedrig.
Ist die Luft zu trocken, trocknet der Fisch zu schnell, was
schlecht für die Qualität ist, ist sie zu feucht, vergammelt er;
ist die Temperatur zu hoch, wird der Fisch von Würmern
und Fliegen verdorben, ist sie zu niedrig, gefriert er. Und
für die optimale Trocknung muss auch noch der richtige
Wind wehen, am besten einer mit ozeanischen Salzanteilen.
Alle diese Bedingungen treffen auf den Lofoten – und nur
dort – auf das Wunderbarste zusammen. Deswegen ist
Stockfisch von den Lofoten so etwas wie Emmentaler aus
dem Emmental – das Original.
Und mitten hinein in diese optimalen Verhältnisse
schwimmt dann noch der ideale Fisch: Skrei, ein Meeresbewohner mit Migrationshintergrund. In seinem Namen
steckt die gleiche Sprachwurzel wie im deutschen Wort
„schreiten“, man übersetzt ihn mit „der Wanderer“. Kabeljau gibt es nämlich an allen Küsten des Nordatlantiks und
seiner Nebenmeere, in Deutschland am bekanntesten ist der
Dorsch der Ostsee. Die meisten dieser Populationen aber
unternehmen nur kleinere Wanderungen zwischen ihren
Fress-, Laich- und Überwinterungsgründen. Doch der
Skrei ist anders und einzigartig, ein Kabeljau mit besonderer
Wanderlust und von besonderer Güte.
Er wächst auf in der eisigen Barentssee und deswegen
besonders langsam. Und er legt bis zu den Lofoten eine
rund 1000 Kilometer lange Wanderung zurück. Es sind
das langsame Wachstum und die lange Wanderung, die das
weiße Fleisch dieses Kabeljaus unvergleichlich machen, fest,
zart, mager und aromatisch. Zudem enthält die Leber des
Fischs unter allen Nahrungsmitteln den höchsten Gehalt
an lebensnotwendigem Vitamin D, das eigentlich durch
UV-Bestrahlung der Haut im menschlichen Körper selbst
gebildet wird, aber in den sonnenarmen nördlichen Breiten
auf andere Weise aufgenommen werden muss, wenn nicht
Grippe oder Knochenerkrankungen wie Rachitis drohen
sollen. Lebertran, gewonnen aus Kabeljauleber, war deswegen schon das universelle Vorbeugungs- und Heilmittel
für unsere Großmütter und Großväter – und ein Exportschlager Norwegens.
Wie auch der Stockfisch selbst. In der Lagerhalle von
Ragnar Riksheim in Henningsvær stapelt er sich auf großen Paletten in allen Qualitäten. Der 1,90 Meter große
Händler, ein Mann in den Sechzigern von aristokratischer
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Erscheinung, führt den Besucher hindurch wie ein Fürst
durch sein Schloss. Der durchdringende Duft raubt einem
den Atem. Riksheim mag diesen Geruch, er mag auch den
Geschmack. Lässig greift er eine „Westre Magro“-Qualität
vom Stapel, beschnüffelt sie, bricht sie dann auseinander,
bröselt das faserige Trockenfleisch auseinander, kostet und
zeigt sich zufrieden. „Westre Magro“ gehört zur ersten
Wahl, dem „Prima Lofot Kabeljau“; Fische dieser Güte
verpacken seine Arbeiter sorgfältig in luftige Kartons
und versenden sie darin. Trockenfische minderer Qualität
formen sie mit einer hydraulischen Presse stapelweise zu
handlichen Paketen und binden sie mit Draht zusammen.
Die Merkmale und Differenzierungen der unterschiedlichen Qualitäten sind eine Wissenschaft für sich. Das
Fleisch eines guten Stockfischs soll beispielsweise so transparent sein, dass das Licht einer Lampe, die man hinter ihn
hält, hindurchscheint.
Z
weitausend Tonnen Kabeljau verarbeitet Riksheim in
seinem Betrieb pro Jahr. 90 Prozent verkauft er nach
Italien, vor allem die Qualitäten der ersten Wahl.
Die dritte Wahl und unterste Qualitätsstufe heißt „Afrika“
und wird auch dorthin exportiert, ebenso wie die gesondert getrockneten Fischköpfe, die pro Stück für zwei Cent
verkauft werden und überwiegend in Nigeria landen, wo sie
die Grundlage einer beliebten Fischsuppe bilden.
Die innige Beziehung der Italiener zum Stockfisch geht
auf einen Schiffbruch im Jahre 1431 zurück. Der venezianische Kapitän und Kaufmann Pietro Querini und ein
paar Mitüberlebende konnten sich auf eine kleine Schäre
nahe der Lofoteninsel Røst retten, wurden dort von den
Fischern der Insel entdeckt, gerettet und wieder aufgepäppelt. Querini fühlte sich laut dem Bericht, den er nach
seiner Heimkehr für den Senat von Venedig verfasste, wie
„im ersten Kreis des Paradieses“. Er pries die Freundlichkeit
und Freigiebigkeit der Insulaner und hob ihre Schönheit
und Unbefangenheit hervor – „vor unseren Augen zogen
sie sich nackt aus, wenn sie schlafen gehen wollten“. Aber
zu den paradiesischen Erfahrungen zählte er ausdrücklich
auch „i stocfisi seccano al vento e al sole senza sale“, den
Stockfisch, der nur vom Wind und von der Sonne getrocknet, ohne Salz und „duri come legno“, hart wie Brennholz,
sei. Die Schiffbrüchigen traten ihre Heimreise an, und die
Fischer gaben ihnen 60 Stockfische mit – eine gute Investition. Als die katholische Kirche die Fastenvorschriften
mal wieder verschärfte und den Gläubigen verbot, mittwochs und freitags Fleisch, Eier und Milchspeisen zu essen,
wurde der Stockfisch in Italien zum kulinarischen Renner.
In Norwegen war er das nie. Da isst man den Skrei lieber
frisch. Am liebsten gekocht und zusammen mit Rogen
und gebratener Leber als „Mølje“, dem Festessen der alten
Fischer. Als Vorspeise serviert man heute gern panierte
Kabeljauzungen – eine Delikatesse.
Gefangen wird der Fisch heute nicht viel anders als vor
100 Jahren, mit Netzen, Angeln oder Langleinen. Roy
Korneliussen, 58 Jahre alt, zehn Jahre jünger aussehend,
Kapitän und Fischer auf dem knapp elf Meter langen
Trawler „Piraya“, bevorzugt Köder und Haken, weil die
geangelten Fische eine bessere Qualität haben als die von
einem Netz zusammengepressten. Deswegen fischt Roy mit
einer Art Angelmaschine, die sieben Köder und Haken im
Wasser automatisch auf und ab bewegt. Er muss nur noch
auf einen Knopf drücken, dann wird die Leine aufgeholt,
und der Fischer kann die Fische von den Haken lösen. Die
zappelnden Seelachse schmeißt er zurück ins Wasser, den
Kabeljaus schneidet er die Kehle durch. Es läuft gut. Zu gut.
Es gibt aus Sicht der Fischer zu viel Skrei dieses Jahr, die
Preise verfallen.
Die Fischereibiologen aber jubeln. Die Bestände sind
auf einem historischen Höchststand – seit dem Zweiten
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ABENTEUER
Mythisches Sinnbild
Nordlicht galt den Fischern
früher als himmlische Spiegelung
gewaltiger Fischzüge im Meer
Weltkrieg hat es nicht mehr so viel Wanderkabeljau gegeben wie jetzt. Damit hat sich das strenge Schutzprogramm
der letzten Jahre ausgezahlt. 1947 holten noch 20.533 Fischer in einer Saison knapp 146 Tonnen Kabeljau aus dem
Meer. Danach ging es steil bergab. Das Meer wurde leer.
Zur Jahrtausendwende herrschte Alarmstufe Rot. Denn
die Norweger hatten zwar inzwischen rigorose Schutzmaßnahmen für die Wanderer aus dem Polarmeer verabschiedet, doch die Skrei-Bestände wurden schon in der
Barentssee von isländischen und russischen Trawlern so
dezimiert, dass immer weniger Fische die Wanderung zu
den Lofoten überhaupt noch antraten.
Erst ein gemeinsames Abkommen mit Russland brachte den Durchbruch. Heute wird das gesamte Seegebiet
zwischen Nordkap, Spitzbergen und Nowaja Semlja genau überwacht, wechselnde Schutzzonen werden für die
Fischerei gesperrt, und der gesamte Bestand an arktischem
Kabeljau wird von Experten fortlaufend analysiert und
kontrolliert.
P
arallel dazu verfeinerte Norwegen auch sein eigenes
Schutzprogramm. Dessen Grundlage ist eine genaue Fangstatistik, für die schon von Bord der
Fischerboote Daten über Größe, Gewicht, Geschlecht
der gefangenen Fische an Meldestellen entlang der Küste
übermittelt werden. Diese Angaben werden dann von
Wissenschaftlern ausgewertet und mit weiteren Daten aus
der Luftbeobachtung der Schwärme, aus Kontrollfängen
und Eieruntersuchungen nach dem Ablaichen abgeglichen.
Die Kombination aller Untersuchungen und Daten führt
schließlich zur Festlegung der zulässigen Fangmengen für
das folgende Jahr und der Quoten, die den Fischern zugeteilt werden. Und auch Roy Korneliussen muss jederzeit,
im Hafen wie auf See, mit einer strengen Kontrolle rechnen
und einer drakonischen Strafe, wenn er gegen irgendeine
Bestimmung verstoßen hat.
Endlich hat sich der „Husvarver“ ausgetobt. Mit einem
Schlag ändert sich das Wetter. Es hört auf zu schneien,
klart auf, der Wind nimmt ab auf passable fünf Beaufort.
Ein Wetterfenster, von dem unklar ist, wie lange es offen
bleiben wird. Wir wollen nach Værøy segeln, der vorletzten kleinen Lofoteninsel im Südwesten. Rascher Aufbruch
also. Es ist zwar schon später Nachmittag, aber wir schütteln den Schnee von den Segeln, fegen das Deck und tram-
peln auf den gefrorenen Festmacherleinen herum, bis das
Eis in den Knoten knirschend bricht und wir sie wieder
durch die Klüsen ziehen können.
Dann folgt ein Traum. Wir segeln durch eine lange
Dämmerung in eine helle sternenfunkelnde Nacht, die
lakenweißen hohen Berge der Lofotkette an Steuerbord, den
glitzernden Westfjord an Backbord, den aufgehenden Vollmond hinter uns und guten Wind in den Segeln. Man guckt
und schweigt vor Andacht und Glück. Leider wird der
gute Wind bald zum bösen Wind, er nimmt rasend schnell
rasend stark zu, der Traum ist ausgeträumt. Das erste Reff
wird eingebunden, kurz darauf folgt das zweite, dann das
dritte. Dazu muss das Schiff in den Wind gedreht werden.
Ein Kampf mit dem zwölf Meter langen Großbaum, mit
schwerem Tuch auf dem jetzt stampfenden, wild tanzenden
und haltlos torkelnden Schiff. Danach fallen wir wieder ab,
gehen auf Kurs.
Der Wind hat mittlerweile 40 Knoten, in Böen 45 Knoten erreicht. Es ist beängstigend, wie schnell dieser Wetterumschwung passiert. Wir tragen immer noch zu viel
Segelfläche. Der Klüver muss runter. Zum Festmachen des
Segels müssen zwei aus der Mannschaft mit einem Lifebelt gesichert nach vorn, das Klüvernetz entern, das unter
dem Klüverbaum gespannt ist. Bei jeder Welle fahren sie
Achterbahn, bekommen eine eisige Salzdusche ab. Die
beiden befinden sich quasi außerhalb des Schiffs in einer
28
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ungeheuer exponierten Lage. „Witwenmacher“ wurde
der Klüverbaum bei den alten Segelschiffleuten genannt.
Die Bedeutung dieses Wortes wird in dieser stürmischen
Nacht deutlich. Nur unter Fock und dreifach gerefftem
Großsegel laufen wir vor Wind und Wellen. Rauschefahrt.
Atemberaubend, furchteinflößend und faszinierend zugleich. Ein Wetter wie dieses in einem offenen Boot überleben? Unmöglich.
Es ist eine der Nächte, die einen Schiffsführer einsam
macht. Welchen Kurs soll er steuern? Eigentlich hält man
sich bei solchem Wetter von Land frei, riskiert es nicht, in
einem Hafen einzulaufen mit den Klippen und unberechenbaren Kreuzseen davor, sucht lieber die offene See und läuft
ab, bis der Sturm vorüber ist. Aber es gibt hier keine offene See. Vor uns liegt eine Passage, die für ihre Gefährlichkeit geradezu legendär ist – der Moskenes-Strom, Vorbild
aller Gruselfiktionen vom „Mahlstrom“, dessen Wirbel die
Schiffe in die Tiefe saugen.
Der Strom beherrscht die Enge zwischen der großen
Insel Moskenesøya und der kleineren Værøy, vier bis fünf
Kilometer breit, und er ist einer der weltweit stärksten
Gezeitenströme im offenen Meer. Der Meeresboden zwischen den Inseln ist nur 40 bis 60 Meter tief, der Westfjord
bis zu 900 Meter. Wenn sich beim Gezeitenwechsel die
Wassermassen zwischen Westfjord und Atlantik durch diese
flache Meeresenge pressen, beträgt der Höhenunterschied
zwischen dem Wasserspiegel innerhalb und außerhalb des
Moskenes-Stroms bis zu fünf Meter, die Flut wird also zu
einer regelrechten Flutwelle mit Wirbeln und gefährlichen
Strudeln und einer Geschwindigkeit von bis zu sechs Knoten. Die Sogwirkung, die bei Flut davon ausgeht, saugt die
Kabeljauschwärme geradezu hinein in den Westfjord und
treibt sie den Fischern in die Netze. Aber genauso würde
uns diese Flutwelle jetzt ansaugen, und wenn sie gegen den
Wind läuft, würden sich vor uns Monsterwellen aufbauen, schwere brechende Seen, die alles unter sich begraben
und kaputt schlagen können, was nicht stark genug ist. Die
„Dagmar Aaen“ ist ein stabiles Schiff und hat schon manchen Sturm abgewettert, aber bei der Abwägung der Risiken
entscheidet sich Arved Fuchs doch lieber für den Hafen.
Auch das ist riskant, wir müssen, um im Sturm steuerfähig
zu bleiben, mit ziemlich hohem Tempo auf die enge Hafeneinfahrt zu- und hindurchfahren, um dann abrupt aufzustoppen und nicht gegen die Kaimauer zu krachen. Und das
alles bei Dunkelheit und Sturm und in einem unbekannten
Hafen. Aber alles geht gut. Jetzt bewährt sich, dass die Crew
an Bord eingespielt ist und absolut professionell arbeitet,
obwohl die meisten keine Profis sind, sondern Freunde und
Freiwillige, die ihren Urlaub in diese Reise investieren.
G
enauso schnell, wie er gekommen ist, zieht der
Sturm am nächsten Tag wieder ab und lässt nur
Wind zurück. Er war noch einmal eine eindrucksvolle Lektion der Gefahren, mit denen die Fischer früher
rechnen mussten. Auf allen Friedhöfen der Inseln stehen
Gedenksteine für die, die ihr Grab auf See gefunden haben.
Die „Dagmar Aaen“ segelt wieder. Zuerst nach Værøy,
dann zurück über den Westfjord mit nordöstlichem Kurs,
Richtung Hinnøya, Harstad und später zum Endpunkt
dieser Reise nach Tromsø.
Die Tage jetzt im Februar sind schon deutlich länger,
jede Woche nimmt das Licht um eine knappe Stunde zu.
Die Dämmerungsphasen am Vormittag und Nachmittag
sind endlos, die Sonne steigt noch nicht weit über den Horizont, und sie feuert auf der flachen Kurve ihrer Bahn alle
Varianten von Rot und Orange in den Himmel und auf das
Meer, wo sich das Licht dann in tausend Facetten in Wolken und Wellen bricht, eine ganze Skala von Farben glimmt
auf und verlöscht wieder, Tomatenrot, auberginefarbenes
Violett, Mangogelb, immer neue Töne und Mischungen;
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ABENTEUER
Arved Fuchs
über seine Erfahrungen, seine
Gefahrvolles Leben
Wenn die Fischer
in ihren offenen
Booten vom Sturm
überrascht wurden,
hatten sie kaum
eine Chance.
Auf jedem Lofoten­
Friedhof steht ein
Gedenkstein für
die Ertrunkenen.
1947 im über­
vollen Hafen von
Henningsvær gab
es auch die Gefahr,
dass auf einem
Schiff Feuer aus­
bricht
Zehn Männer, die bei Dunkelheit und Kälte wochenlang
eingesperrt sind auf 18 Meter Schiff, das klingt konflikt­
trächtig. Wie viel Streit gab es?
Es muss nicht zwangsläufig Streit geben. Jeder ist ja ein­
gebunden in einen Tages­ und Arbeitsablauf. Wache gehen,
Reinschiff machen, filmen, fotografieren, reparieren, navi­
gieren etc. Konflikte entstehen eher dann, wenn die Leute
Zeit haben – also beispielsweise im Hafen. Es muss aber
jeder eine soziale Kompetenz mitbringen. Selbstdarsteller
oder Wichtigtuer sind dem Bordklima unzuträglich.
Wie oft mussten Sie auf Ihren Reisen schon eingreifen, um
eine Auseinandersetzung zu verhindern?
Viel seltener, als man es erwartet. Natürlich gibt es gelegent­
lich Konflikte zwischen einzelnen Crewmitgliedern. Das ist
aber eher die Ausnahme als die Regel. Viele Crewmitglieder
segeln schon seit Jahren zusammen, kennen sich und freuen
sich aufeinander.
Wie suchen Sie die Crewmitglieder für Ihre Reisen aus?
Wer darf mit, wer nicht?
Zunächst werden bestimmte Kompetenzen benötigt: Steuer­
leute, ein Koch, Maschinist, Fotograf etc. Viele haben eine
Doppelfunktion. Das Schiff fahren, Wache gehen muss irgend­
wie jeder, darüber hinaus gibt es aber Spezialisierungen.
ein grandioses Präludium für das Nordlicht, das an klaren
Tagen bei Dunkelheit folgt. „Heringsblitz“ nannten es die
Fischer, wenn der Himmel von den grünen und violetten
Bögen und Bändern des Nordlichts erhellt wurde. Die geheimnisvoll fluktuierenden Bilder, die der Sonnenwind ans
Firmament malte, galten ihnen als Spiegelung gewaltiger
Fischschwärme im Meer. Noch einmal zieht die grandiose
Kulisse der Lofotenberge an Backbord vorbei, ertrunkenes
Hochgebirge mit unglaublichen Farben, Formen und Konturen. Die Inseln sind heute ein beliebtes Urlaubsziel – im
Sommer. Aber niemand soll denken, er kenne sie, wenn er
diese berauschende Welt nicht auch im Winter gesehen hat.
T E X T: P E T E R S A N D M E Y E R
FOTOS : H A RA L D SC H M I T T
Ein altes Seemannswort sagt: Frau an Bord ist schlimmer
als Mann über Bord. Sie fahren aber auch mit Frauen. Wie
sind die Erfahrungen?
Alles alter Quatsch von gestern. Wir haben oft Frauen im
Team, und ich habe festgestellt, dass ein gemischtes Team
viel harmonischer und leichter zu führen ist als ein reines
Männerteam. Bei Frauen gilt das genauso, wie mir Frauen
versichert haben. Ein gemischtes Team ist ein Stück Norma­
lität, das in einem Alltag, der oft extrem ist, guttut.
Finden Sie immer genügend Crewmitglieder? Die Fahrten
der „Dagmar Aaen“ sind ja alles andere als Kreuzfahrten,
Komfort ist ein Fremdwort. Trotzdem sind Menschen mit
ganz normalen Berufen an Bord, Bauunternehmer, Tisch­
ler, Autohändler, Journalisten. Manche investieren ihren
einzigen Urlaub in eine solche Reise. Warum?
Einen Mangel an Bewerbern gibt es nicht. Für mich stellt sich
eher die umgekehrte Frage: Wer von den vielen Bewerbern
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P
e
Philosophie, seine Pläne
ist für ein solches Leben geeignet? Das herauszufinden ist
nicht immer ganz einfach. Unsere Crewmitglieder kommen
aus allen Berufs- und Altersschichten. Mehr Männer als
Frauen. Viele Menschen suchen das ultimative Naturerlebnis
oder auch die Herausforderung auf verschiedenen Ebenen.
Erleben Sie als Schiffsführer an Bord manchmal einsame
Stunden?
Jeder Schiffsführer kennt diese einsamen Stunden. Nicht
dass man physisch isoliert wäre – es ist oftmals der Weg der
einsamen Entscheidungsfindung in schwierigen Situationen. Weder die Verantwortung noch die Entscheidung kann
einem jemand abnehmen. Eine Fehlentscheidung bedeutet
Gefahr für Leib und Leben aller an Bord. Deshalb muss die
Entscheidung die richtige sein, und diese Verantwortung
macht einsam. Zudem kann man nicht immer Everybody’s
Darling sein. Man muss auch gelegentlich unpopuläre
Entscheidungen treffen und sich damit vielleicht ein wenig in
die Isolation bringen.
Ihre schlimmste Erfahrung?
Schwer zu sagen – die Eispressungen 1994 in Sibirien, wo
wir um ein Haar das Schiff verloren hätten, vielleicht. Aber es
gab auch andere Situationen, die schlimm waren.
Und Ihr größter Triumph?
Eine Aufgabe gemeistert zu haben, von der gesagt wurde:
Das geht nicht, das kann man nicht machen. Das scheinbar
Unmögliche doch möglich zu machen, wie etwa den Nordpol
mit einem Segelschiff erstmals zu umrunden. Das sind Momente des Glücks.
eine Expedition eigentlich wirtschaftlich? Es gibt viele verschieden Aspekte. Grundsätzlich gilt: Eine Expedition ist ein
Unternehmen, und ein Unternehmen ist eine Expedition. Es
gibt da viele Analogien zum Unternehmensalltag. Die Rückschlüsse muss jeder selbst ziehen.
Wenn man sich die bisherigen Reisen der „Dagmar
Aaen“ anguckt, dann war sie eigentlich schon überall, von
Grönland bis zur Antarktis und von Polynesien bis Sibirien.
Warum fahren Sie trotzdem immer wieder los, was gibt es
noch zu entdecken?
Es gibt noch viele Projekte, die mich interessieren – ich weiß
nicht, ob ich sie alle werde realisieren können. Träume sind
der Treibsatz, der mich aufbrechen lässt, und ich habe noch
genug davon. Auch wenn es keine weißen Flecken mehr auf
der globalen Landkarte gibt – auf meiner ganz persönlichen
Landkarte gibt es sie noch.
Entdecken Sie unterwegs auch noch Neues an sich selbst?
Mit zunehmendem Alter verlagern sich die Interessen. Mich
interessieren heute andere Dinge als mit 25 oder 35 Jahren.
Gott sei Dank ist das so. Die Aufgabenstellungen sind andere
geworden – mir geht es heute mehr um Inhalte und weniger darum, sportliche Höchstleistungen zu erbringen oder
sich und der Welt zu beweisen, dass man zum Nordpol oder
Südpol laufen kann. Ich bin in solchen Dingen viel gelassener geworden. Und mit jeder veränderten Aufgabenstellung
bemerkt man auch neue Facetten an sich selbst. Das ganze
Leben – besonders auf Expeditionen – ist eben ein sehr
dynamischer Prozess ständiger Veränderungen.
Sie halten nicht nur Vorträge über Ihre Reisen, sondern
werden auch zu besonderen Veranstaltungen für Manager
und Führungskräfte eingeladen. Was kann eine Führungskraft aus Ihren Erfahrungen lernen?
Sie sind mit 24 zu Ihrer ersten Expedition aufgebrochen,
in diesem Sommer haben Sie Ihren 60. Geburtstag gefeiert.
Wann sind Sie zu alt für Abenteuer?
Es geht nicht darum, dass ich einem Banker oder Manager
erzähle, wie er seinen Job zu machen hat oder wie er sich
selbst oder andere motiviert. Das wäre ja völlig absurd und
vermessen. Ich kann nur über den Bereich sprechen, von
dem ich etwas verstehe – und das sind Expeditionen. Wie
etwa funktioniert eine Expedition? Wie sieht bei uns Teamwork aus? Wie machen wir Risikoanalysen, wie gehen wir mit
Gefahrenmomenten um etc. Auch die Frage: Wie funktioniert
Das Abenteuer, so wie ich es sehe, ist ein kreativer Vorgang,
der zunächst im Kopf stattfindet: Die Bereitschaft, gedanklich aufzubrechen, geht allem anderen voran. Nicht zu früh
zufrieden zu sein und alles zu hinterfragen, sich einzulassen
auf Projekte der unterschiedlichsten Art. Das hat zunächst
mal mit dem Alter nichts zu tun. Solange ich körperlich fit
bleibe, werde ich sicher weiter unterwegs sein. Segeln kann
ich auch noch mit 80.
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STÄDTEREISEN
Wien
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Was diese Stadt von allen anderen Metropolen unterscheidet,
ist die kultivierte Lebensart, das entspannte Zeitunglesen im
Kaffeehaus und das Überangebot an faszinierenden Museen,
Musikereignissen und Mehlspeisen
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STÄDTEREISEN
Blaue Stunde Die Onyx Bar im Haas-Haus liegt nur einen Katzensprung vom Stephansdom entfernt
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T E X T: D O R I A N I V E N
FOTOS: PETER RIGAUD
W
eich gelandet, über blank gewienerte
schwarze Fliesen des Flughafens zum CAT
geschlendert, dem City Airport Train, der
alle halbe Stunde in einem Wimpernschlag
Wien Mitte erreicht. 16 Minuten braucht
er dafür. Angekommen in der Unterwelt, im U-Bahn-Netz,
das dem Flaneur die Stadt nahe bringt, „einidrahn“ würde der Wiener es nennen. In keiner Stadt Europas werden
öffentliche Verkehrsmittel so intensiv genutzt: 907 Millionen Fahrgäste waren im letzten Jahr damit unterwegs, so
viele Menschen leben derzeit in Nord- und Südamerika.
Hinein in die Stadt, deren Charme sich selbst Glücksforscher nicht entziehen können. In der internationalen
Mercer-Studie, die weltweit die Lebensqualität in 221 Städten untersucht, hält Wien seit vier Jahren unangefochten
den ersten Platz (vor Zürich und Auckland). Was für eine
Hauptstadt, die zu einem Drittel aus Wald oder Bauernland
besteht, davon 600 Hektar als Weinbaugebiet! Auch charmant: Eine UNO-Studie ermittelte Wien als wohlhabendste
Stadt der Welt.
Wien im Sommer. Kaiserwetter, die Stadt ein Festplatz des
Laisser-faire, der Hofgarten ein Tagtraum der Gelassenheit,
Liegewiese für Liebespaare und Familien, und am Rande das
Palmenhaus, Café, Brasserie, Bar. Zeit für einen Eiskaffee
mit Schlagobers. Asketen wählen „Null Komma Josef“, das
alkoholfreie Bier.
Hinter dem Zaun tost der Verkehr über den Ring. Eine
Stadtmauer aus Palästen umschließt das Innere der Stadt,
fünf Kilometer lang, ab Mitte des 19. Jahrhunderts anstelle
der alten Stadtmauer entstanden: Eine Parade repräsentativer
Baudenkmäler sichert die Festung der Tradition, Palais an
Palais, Börse, Banken, Theater- und Opernhäuser im Stil
der Neorenaissance, geadelt als kulturelles Welterbe, uneinnehmbar für die Architektur der Moderne. Der Sturm der
Entrüstung, den der Umbau des Haas-Hauses in den 1990erJahren durch den Wiener Stararchitekten Hans Hollein am
Stephansdom auslöste, ist unvergessen.
H
ochhäuser dürfen nicht in die Altstadt hinein. Die
Avantgarde geht weit draußen in Stellung. Am Prater
(U2 Richtung Aspernstraße, Station Messe-Prater) steht
der Campus WU unmittelbar vor seiner Eröffnung. Fünf
Architektenbüros aus Sendai in Japan, London, Barcelona,
Madrid und Hamburg haben hier das größte Universitäts-
Lebendige Schatzkammern Das MuseumsQuartier, drei von
25 Tizians und das Café im Kunsthistorischen Museum Wien
bauvorhaben der Welt realisiert: Wiens neue Wirtschaftsuniversität für 25.000 Studenten, mit einem total schrägen
Bibliotheksgebäude der irakischen Architektin Zaha Hadid
in der Mitte (Website: campuswu.at).
Hans Holleins 2001 errichteter Media Tower durfte
dagegen ganz nah ans Wiener Stadtbild vorrücken, aller-
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STÄDTEREISEN
Publikumserfolge
Hofmöbel im Museumsquartier, das Burgtheater
und das Leopold am
Leopold Museum
dings nur bis zum Donaukanal. Ein schräger Typ, 80 Meter
hoch, vollkommen verglast, mit einem Info­Screen auf dem
Dach. Gleich daneben ragt nun auch das Sofitel Wien in
den Himmel, erbaut vom französischen Architekten Jean
Nouvel. Über dem Restaurant Le Loft im 18. Stock leuchtet
weithin sichtbar eine Art fotografischer Indian Summer, ein
Deckenbild der Schweizer Videokünstlerin Pipilotti Rist.
Weitblick wie im Landeanflug über der Stadt, ein Schwe­
bezustand, in dem sich nur das Licht verändert, das Funkeln
um den illuminierten Stephansdom, der wie eine verzau­
berte Insel aus dem immer reicher wogen­
den Lichtermeer emporwächst. Das Hoch­
gefühl steigert sich noch bei erstklassiger
französischer Küche mit erlesener interna­
tionaler Weinkarte.
Hier möchte man bleiben. Gern auch
zur Nacht in einem der grauen, schwar­
zen oder weißen Zimmer in kühler Strenge
kompromisslosen Designs (sofitel­vienna­
stephansdom.com). Oder eher behaglich in
einem der legendären Grandhotels Impe­
rial, Sacher und Bristol? Oder doch lieber
im neuen Palais Hansen Kempinski am
Ring mit osmanischem Spa? Gern auch im
Do & Co, dem Designhotel im Haas­Haus
am Stephansdom, mit der allabendlich
von den Schönen der Stadt frequentierten
Onyx Bar. Oder im Levante Parliament,
dem cool umgestalteten Sanatorium von
1908 mit Wellness und Gourmet­Restaurant Nemtoi.
Am Ende eingecheckt im Altstadt Vienna, einem Design­
hotel hinter der historischen Fassade eines Patrizierhauses
auf dem Spittelberg, dem Künstlerviertel im 7. Bezirk. Die
42 Zimmer und Suiten reichen kaum für die Kunstsamm­
lung des Hausherrn Otto Ernst Wiesenthal, die er generös
über Flure und Zimmer verteilte. Sanft entschlummert in
Robert’s Place, dritter Stock, einer ruhigen Junior Suite mit
Badewanne von Philippe Starck und einer wilden Poolparty
an der Wand: „Greetings from Cuba“, ein Acrylbild des
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„Wer sich vornimmt, jeden Tag ein anderes Museum
zu besuchen, ist zehn Monate unterwegs“
jungen Wiener Beauty-Pop-Painters Maximilian Otte. Das
Frühstück lässt keine Fragen offen.
Wiens Pfund, mit dem es wuchern kann, ist es, Gäste zu
verwöhnen, das einzige Problem ist die Fülle der Optionen. Die vielen Hundert Antworten auf die einfache Frage:
Wohin gehen? Die Innenstadt lockt mit den diplomatischen
Vertretungen internationaler Labels, ein begehbares Serail
für den Kaufrausch arabischer Prinzen und ihrer Familien,
mit Logenplätzen in Cafés und Restaurants.
W
ien ist ein Schatz! Opulent ausgestattet mit Kulturgütern und Kulturinstitutionen; Kultur und Lebensart sind der Markenkern der Stadt Wien, ihr Kapital, das
Geheimnis ihrer Sogwirkung auf mehr als zwölf Millionen
Besucher im Jahr. Sie lustwandeln über das Kopfsteinpflaster
der kaiserlichen Hofburg, des größten Museumskomplexes
der Stadt, strömen in die Schlösser Schönbrunn und Belvedere, gehen verloren in Wiens Museen.
Kulinarisches Wien
Klassiker im Topf: Der Tafel­
spitz im Plachutta an der
Oper zergeht auf der Zunge
Also hinein in den kuppelgekrönten Prachtbau des Kunsthistorischen Museums, über die Prunktreppe zum kulturellen Welterbe. Da lächelt Raffaels zauberhafte „Madonna
im Grünen“, lockt der reich ausgestattete Van-Bereich (van
Cleve, van Dyck, van Eyck, van der Goes, van der Weyden
und van Delft), schimmert Österreichs einziger Vermeer,
„Die Malkunst“. Aus der weltgrößten Sammlung echter
Bruegels sticht der berühmte „Turmbau zu Babel“ hervor.
Unglaublich, wie dieses Bild, millionenfach reproduziert,
tausendmal gesehen, nun auf Augenhöhe seine ganz eigene
Magie entwickelt.
Erfrischend lebendig blicken die Alten Meister ins 21. Jahrhundert, die Cranachs, Holbeins und Dürers, die „junge
Venezianerin“, die mehr als drei Jahrzehnte in Deutschland
auf dem Fünfmarkschein durch alle Hände ging.
Dürer ist auch ein Superstar der Albertina, die 140 Zeichnungen und Aquarelle besitzt, darunter den berühmten
„Feldhasen“ und die „Betenden Hände“. Die Albertina mit
dem schrägen, von Hans Hollein entworfenen Flugdach
ist eines der meistbesuchten Museen der Stadt. Davor hat
Alfred Hrdlicka sein Mahnmal gegen Krieg und Faschismus
errichtet. Auf dem Rücken des „Straßenwaschenden Juden“
hat der Künstler Stacheldraht angebracht, weil gedankenlose
Besucher darauf Platz genommen hatten.
Kunstmüde? Erschöpft? Immer noch neugierig? Zur
Gemäldegalerie der Akademie der Künste am Schillerplatz
sind es sieben Minuten zu Fuß. In langen Fluren reiht sich
Wiener Legenden
Apfelstrudel warm,
zuckersüß und mit
Charme serviert
wie die zahllosen
Kaffeespezialitäten
Wer sich vornimmt, jeden Tag ein anderes Museum, eine
andere Sammlung in Wien zu besuchen, und keinen Tag Pause
macht, ist zehn Monate unterwegs, hat fünf Beethoven-Gedenkstätten besucht, die Albertina, das Schloss Schönbrunn,
aber auch das Condomi-Museum, das Fälschermuseum, das
Geldmuseum und das Josephinum – und war immer noch
nicht auf dem Zentralfriedhof.
Was allein die Habsburger im Vollrausch ihrer Kunstleidenschaft zusammengetragen haben, lässt sich kaum
im Vorübergehen erfassen, aber es ist einen Versuch wert.
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STÄDTEREISEN
„Unverwechselbar: Wiener Schmäh, Wiener Klassik,
eine erlesene Sammlung bedeutender Werke von Rem­
brandt, Tizian und Goya. Und das schreckliche Meisterwerk
schwarzen Humors und anschaulich grausamer Höllenqua­
len, das „Weltgerichtstriptychon“ von Hieronymus Bosch.
Von hier aus sind es noch einmal sieben Minuten zum MQ.
Das MuseumsQuartier ist mit rund 40 kulturellen Ein­
richtungen auf dem Gelände der ehemaligen kaiserlichen
Hofstallungen eines der weltweit größten Kunst­ und Kul­
turareale, ein multikultureller Naschmarkt der Erbauung,
Ruhezone und Erlebniswelt zu­
gleich, mit entspanntem Zugang
zu den Themen Musik, Mode,
Theater und Tanz, Literatur, Game
Culture und Street Art, Design
oder Fotografie.
lesen. Und auch zum zugewanderten Espresso wird Wie­
ner Hochquellenleitungswasser im Achtelglas ohne Mehr­
kosten serviert. Das Café Drechsler wurde von Sir Terence
Conran renoviert, hat aber keinen Schaden genommen.
Beim Sacher stellt sich der Mitnehmeffekt ein. Die Sacher­
torte, deren Rezept seit 181 Jahren geheim gehalten wird,
gibt es in verschiedenen Größen, auch im Versand. Das
Meinl, eine Wiener Melange aus Restaurant, Delikatessenge­
schäft und Straßencafé, bietet Logenplätze mit Blick auf den
Graben und shoppende Burkas.
Im Hawelka gibt es immer noch
Buchteln, und vielleicht werden die
Gäste einmal so berühmt wie Elias
Canetti, Arthur Miller und Andy
Warhol, die auch hier gesehen
wurden. Allerdings leidet es etwas
itten der schlichte Kubus des
unter touristischem Dichtestress.
Leopold Museums in weiß
Im Sperl, von internationalen
leuchtendem Muschelkalk, 2001
Gastrokritikern als Österreichs
vom Architektenbüro Ortner &
Nummer eins bewertet, ist die
Ortner in Szene gesetzt. Es wid­
Zeit stehen geblieben, und das ist
met sich dem Erbe Gustav Klimts
gut so. Halb Künstlertreff, halb
und Egon Schieles, deren Werke
Militärcafé, wurde es einst von den
der Augenarzt Rudolf Leopold
Erzherzögen Joseph Ferdinand
seit den 50er­Jahren des 20. Jahr­
und Karl Ferdinand angesteuert,
hunderts gesammelt hat. Gleich
aber auch von den Komponis­
nebenan, schräg in den Raum ge­
ten Franz Lehár und Emmerich
stellt, das mumok – das museum
Kálmán, den Goldjungen der Sil­
moderner kunst stiftung ludwig
bernen Operettenära. Im Prückel
wien, größtes Museum für mo­
am Museum für angewandte Kunst
derne und zeitgenössische Kunst Institution der Muße Das Sperl, traditioneller
ist neuerdings eine historische
in Mitteleuropa, ein markanter Künstlertreff, zählt zu den ältesten Kaffeehäusern Musicbox zu bewundern: Die
schieferschwarzer Bau mit beein­ der Stadt
noch gut funktionierende Wur­
druckender Fahrstuhlarchitektur
litzer begleitet den Weg zu den
und einer Sammlung von rund 7000 Werken des 20. Jahr­ Toiletten im Keller mit Abba und Elvis, Roy Black und Fats
hunderts, darunter 230 bedeutende Arbeiten von Picasso, Dominos „Ain’t That A Shame“.
Rauschenberg, Warhol und Gerhard Richter
Zeit für eine Mußestunde im Kaffeehaus. Wie wär’s mit
ien­Liebhaber suchen das Unverwechselbare, Wie­
dem Café Leopold? Angedockt am Museum als gläserne
ner Klassik und Wiener Moderne, die Wiener Schule
Passage mit Aufstiegsmöglichkeiten zum Dachgarten. Ab der Nationalökonomie und die der Architektur, Wiener
22 Uhr verwandelt es sich in einen Club. Die Wiener Kaf­ Schmäh, Wiener Walzer, Wiener Blut und natürlich das
feehauskultur hat viele Hundert Facetten. Die Mehlspeisen­ original Wiener Schnitzel vom Kalb. Der original Wiener
metropole der Welt pflegt ihre Traditionen. Immer noch Tafelspitz, der Kaiserwalzer unter Wiens Fleischgerichten,
sind Wiens Kaffeehäuser der richtige Ort, die Zeitung zu wird beispielhaft zubereitet im Plachutta Gasthaus zur Oper
W
Fotos: www.peterrigaud.com
M
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21.10.13 14:16
Wiener Walzer und Wiener Schnitzel“
an der Walfischgasse (plachutta.at), Kalbfleisch, dreieinhalb
Stunden im wallenden Wasser gegart, mit Apfelkren und
zeitgleich mit der Brühe als Vorspeise serviert. Tafelspitz
heißt das Gericht, weil der Kaiser, dem es zuerst gereicht
wurde, an der Spitze der Tafel saß.
Das kulinarische Wien ist alles andere als überschaubar.
Doch herausragend wegen seiner fantasievollen Küche und
seit Jahrzehnten Nummer eins in Wien ist Das Steirereck.
Küchenchef Heinz Reitbauer, 1970 geboren, in dem Jahr, in
dem sein Vater das Restaurant am Stadtpark eröffnete, liebt
es „leicht und intensiv“. Nur bei ihm gibt es in Nussbutter
confierte Schleie mit geschmortem Eiszapfen-Rettich, Sojasprossen und Birne. Frühzeitiges Reservieren ist ratsam. Die
Zeit bis zum Termin lässt sich angenehm mit dem Betrachten der Website überbrücken (steirereck.at).
A
uf gleichem Niveau kocht Silvio Nickol im feinen Palais
Coburg, Wiens teuerstem Hotel. Der Meister, 1975 im
sächsischen Hoyerswerda geboren, unter anderem ausgebildet bei Harald Wohlfahrt (Traube Tonbach, Baiersbronn)
und mit zwei Michelin-Sternen gekrönt, wird vom „Gault
Millau“ als „Aufsteiger des Jahres“ hoch gelobt. Seine Gerichte heißen „Picasso“ oder „Ultra-Violett“. Es wird empfohlen, der anspruchsvollen Weinbegleitung zu den einzelnen
Gängen zu folgen (Menü- und Weinkarte unter coburg.at).
In der Kategorie Ethnoküche steht Kim kocht ganz oben.
Die Koreanerin, erste weibliche Sushi-Meisterin in Wien,
kann auf euphorische Kritiken verweisen (kimkocht.at).
Das Fabios pflegt mediterrane, feine Küche, kleine Karte,
aber bis ins Detail von ausgesuchter Qualität, das gilt auch
für die Weinkarte. Schöne Flaniertische an den Tuchlauben
(fabios.at). Hansen im alten Börsengebäude an der Wipplinger Straße 34 teilt sich den Gewölbekeller mit einem
Blumensalon, deshalb fühlt man sich irgendwie im Grünen
(hansen.co.at). Im Wiener Kochsalon Wrenkh am Bauernmarkt wird traditionelle Küche modern verfeinert, gern
auch vegetarisch oder vegan, moderat im Preis und mit kritischem Blick auf die Herkunft der Zutaten.
Der Feldversuch zur Erforschung der besten Beisln
und favorisierten Würstelstände läuft seit Jahren, ist von
Enthusiasmus geprägt, weil viele User ihren Senf dazugeben, kommt aber wie viele Debatten, die im Internet geführt
werden, wahrscheinlich nie zu einem Ende. Am besten, man
überzeugt sich selbst.
SAISON IN WIEN
Die Theatersaison ist die eigentliche Glanzzeit Wiens. Weit
über 100 Bühnen stehen zur Wahl, falls das Burgtheater
ausverkauft sein sollte. Neu im Programm des anerkannt
besten Theaters deutscher Sprache: „Hamlet“ mit August
Diehl (Regie: Andrea Breth), „Mutter Courage und ihre
Kinder“ (Regie: David Bösch) und ab Dezember „König
Lear“ mit Klaus Maria Brandauer (Regie: Peter Stein). Ein
Hinweis am Rande: Von den 1193 Sitzplätzen sind nur rund
300 wirklich zu empfehlen. Die Website des Theaters hilft,
sie im Fledermausflug durch den Theatersaal zu finden
(www.burgtheater.at/Content.Node2/home/burgtheater/
panorama/2709.php).
In der Staatsoper Wien hat am 17. November Mozarts
„Zauberflöte“ unter der Leitung von Christoph Eschen-
Träume in Tüll
In Wien tanzen
Kongresse und
Schwäne im
Tutu. Probenszene auf der
Bühne der
Staatsoper
bach Premiere. Die Karten sind natürlich weg. Aber es gibt
weitere Vorstellungen im Dezember und im Juni (wienerstaatsoper.at). Noch schwieriger sind Karten für den
Opernball am 27. Februar 2014 zu erwischen, denn die Vorbestellungen laufen seit neun Monaten. Preise ab 180 Euro
(Tischanteil für 2 Personen im 6. Stock), Ranglogen kosten
18.500 Euro. Je näher der Termin rückt, desto abenteuerlicher schießen die Preise auf dem freien Markt in die Höhe.
Ähnlich umkämpft sind die Karten für das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker, das in diesem Jahr
Daniel Barenboim dirigieren wird. Das Programm wird
traditionell geheim gehalten.
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MENSCHEN
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S
carlett
Johansson
Wie wird man ein Star?
Karriereplanung von Kindheit
an, wütend an die richtigen
Türen treten und Sex-Appeal
T E X T: J O C H E N S I E M E N S
Hollywoods neue Legende
Scarlett Johansson, selbst­
bewusst, verführerisch,
ein Sexsymbol mit kühlem
Verstand und klaren
Vorstellungen
Foto: ddp images/Camera Press
I
m Studio des großen New Yorker Fotografen Albert
Watson stand einmal an einem Morgen ein mächtiger
alter Korb, der bis zum Rand mit grünen Äpfeln gefüllt
war. Jedem, der im Studio vorbeikam, wurden die Äpfel angeboten, Assistenten, Kurierfahrern: „Hey, nehmt
euch die Äpfel, die müssen weg.“ Doch kaum einer
nahm sie. Bis zum Mittag, als Albert Watson selbst ins Studio kam, den Korb anschaute und sagte: „Ach die Äpfel, die
sind von gestern. Ich habe Scarlett Johansson daraufgesetzt
und fotografiert. Sie war nackt.“ Es ging ein Raunen durch
alle Mitarbeiter, und die Äpfel verschwanden in Taschen und
Beuteln wie in einem Zeitrafferfilm.
Das ist ein paar Jahre her und ob Scarlett Johansson wirklich nackt war, hat der schelmische Watson nie verraten. Am
Abend besah er den leeren Korb wie ein geglücktes Experiment: Das Paradies, der Apfel, Scarlett Johansson als Eva, die
Verführung, alles wie eine Miniatur der Schöpfungsgeschichte könnte man sagen und sich vorstellen, dass diese Äpfel
in dieser Nacht wie Goldstücke durch New York getragen
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MENSCHEN
Vor der Kamera Scarlett Johansson in „Lost in Translation“ mit Bill Murray, als „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“, als
wurden. Darauf hat Scarlett Johansson gesessen. Nackt. Oh
Mann.
W
ichtig an dieser Geschichte ist, dass sie nur mit
Scarlett Johansson funktioniert. Anne Hathaway,
Kirsten Dunst oder irgendeines der aktuellen
Supermodels wie Cara Delevingne nackt auf Granny-SmithÄpfeln? Ganz nett, und sonst? Eben. Aber bei Scarlett
Johansson ist es die gedankliche Fortsetzung von Woody
Allens Satz, sie sei „Sex auf den ersten Blick“. Sie ist auch
Sex beim ersten Gedanken an sie. Oder anders formuliert:
Scarlett Johansson ist Sex zum Denken. Das hat bei ihr mit
Körperlichkeit, aber eben nicht mit Nacktheit zu tun; es gibt
in all ihren Filmen nur ganz wenige hüllenlose Sekunden,
die auch gar nicht zählen. Zählen tut die hundsgemeine wollüstige Art, mit der Scarlett Johansson angezogen so tut, als
habe sie nichts an und als wisse sie gar nicht, wie sie aussieht
und wie sie ihren, dann meist männlichen Zuschauern, den
Verstand auf den Kopf stellt. Sie kommt da wie in Woody
Allens Film „Match Point“ so zufällig blond und überschwappend um die Ecke, dass man glaubt, jemand habe
sie gestern auf einer kalifornischen Obstplantage gefunden,
und dass sie gar nicht wisse,
was sie hier tue. Oder eben
doch, so ganz genau weiß
man das bei ihr dann auch
nicht, und eben dieses changierende Spiel zwischen
Unschuld und Berechnung
macht Scarlett Johansson zu einem gefährlichen
Abenteuer für jeden, der
glaubt, zufrieden verheiratet oder so was zu sein. Es
reicht schon, in dem Film „Vicky Cristina Barcelona“ Scarlett und der anderen, der spanischen Meisterleistung Gottes,
Penélope Cruz, fünf Minuten zuzusehen, und jede zufriedene Ehe geht in die … zumindest Pause. Im Kopf jedenfalls.
Scarlett ist in Wahrheit gar nicht groß, aber auf ihren
1,65 Metern, ihrem Gesicht, ihren Lippen und in ihrem
Blick ist so viel konzentrierte Frau, als wäre sie die Fortsetzung von Marilyn Monroe. Aber mit intelligenten Mitteln.
Und mit List. Neulich bei den Filmfestspielen in Venedig
verriet Scarlett Johansson, dass sie sich von ihrem ersten
Mann getrennt hätte, weil seine Eifersucht die Ehe mühsam
machte, und dass sie nun einen französischen Journalisten,
der in Wahrheit längst Werber ist, liebe und vielleicht auch
einmal in die Politik gehen würde. Muss man nicht so ernst
nehmen, aber irgendwie dachte man, dass Journalist doch
kein schlechter Beruf ist. Die Auflagen sinken zwar, aber
Scarlett. Oh Mann.
So. Jetzt fragt man sich natürlich: Wo kommt denn so
eine her, auf welcher sonnigen Orangenplantage ist die denn
entdeckt worden? Auf gar keiner. Und Talent war bei ihr
höchstens der Körper. Der Rest, jede Regung, jeder Blick,
jedes Zwinkern, jedes Wirken sozusagen ist Ergebnis harter
jahrelanger Arbeit und eiserner Berechnung. Wenn man bei
anderen Stars vom Willen, nach oben zu kommen, spricht,
müsste man bei Scarlett Johansson das Wollen steigern.
Nach oben, bis knapp vor die Hysterie. Sie wurde 1984 als
Kind einer filmverrückten Familie geboren. Ihr Vater, ein
dänischer Architekt, und ihre in der Bronx geborene Mutter lebten zwischen Kinosaal und Bergen von Videokassetten zu Hause. Ständig liefen Filme im Fernsehen, und als
Scarlett acht Jahre war, sah sie dort zur Kinderstunde den
Menschenfresser-Thriller „Das Schweigen der Lämmer“ mit
Anthony Hopkins. Und Scarlett, ihr Name kam auch von
der Leinwand, benannt nach der „Vom Winde verweht“-
Fotos: ddp images (2), Inez and Vinoodh/Trunk Archive, FOCUS FEATURES/Kobal Collection/ images.de, face to face
13-Jährige mit „Pferdeflüsterer“ Robert Redford, mit Jonathan Rhys Meyers in Woody Allens „Match Point“ (unten) und bereit
fürs Titelfoto (rechte Seite)
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Zicke Scarlett O’Hara. Scarlett, drei Minuten
vor ihrem Zwillingsbruder Hunter geboren, sah,
wusste und dachte nichts anderes, als Schauspielerin zu werden. Nein, nicht zu werden, „ich
denke nicht, dass man Schauspielerin werden
kann – man ist Schauspielerin“, sagte sie später
einmal.
G
enauso dachte auch ihre Mutter Melanie
Sloan, die ihre siebenjährige Tochter zu
einer New Yorker Castingagentur brachte. Das Drama war, dass auch Scarletts Bruder
Hunter mitkam und sich die Agenten mehr für
den Jungen als für das Mädchen interessierten.
Die Art, wie die kleine Scarlett dann in dem
Büro herumschrie und tobte und gegen Türen
trat, ist da bis heute überliefert. Mutter Melanie
versuchte, das Kind zu beruhigen, und meldete
sie in einer Ballettschule an, Hauptsache Bühne.
Nee, aber nicht Ballett, Scarlett ging wieder. Ein
halbes Jahr später quälte das Mädchen dann die
Mutter, mit ihr durch alle New Yorker TV-Studios zu tingeln, irgendwo werde schon ein Kinderdarsteller gebraucht, schließlich sei sie eine
Schauspielerin. „Scarlett neigte dazu, es zu sehr
zu wollen, sodass sie manche mit ihrem Übereifer abschreckte“, schreibt der Johansson-Biograf
Chris Roberts.
Und so ging das weiter. Die Ehe der Eltern
war mittlerweile geschieden und Scarlett ein
Mädchen ohne Kindheit, jedenfalls keiner Kindheit aus Ponyhof, Rollschuhbahn oder Pyjamapartys, sondern aus Schauspielschulen, Castings, Rollenlernen und Proben. Sie kannte nur das Auge der Kamera, sie
lebte nur auf, wenn das Aufnahmelicht leuchtete. Es war ein
bisschen wie die Quadratur des Eislaufprinzessin-MutterKarriere-Schemas: Bei den Johanssons trieb eher die Tochter
die Mutter. Mit zehn Jahren spielte sie in ihrem ersten Film,
der „North“ hieß und unwichtig blieb. Mit zwölf Jahren
stand sie mit Sean Connery in „Im Sumpf des Verbrechens“
vor der Kamera und flog gleichzeitig von der renommierten
Lee-Strasberg-Schauspielschule, weil sie zu oft den Unterricht schwänzte. An der nächsten Schule saß sie mit Uma
Thurman und Christian Slater in einer Klasse. Als Jüngste
und Kleinste. Und mit 13 holte sie Robert Redford für die
Hauptrolle in seinem Film „Der Pferdeflüsterer“. Sie spielte
ein beinamputiertes Mädchen, das mit einem ebenfalls verletzten Pferd den Weg in die Normalität suchte. Es war eine
Sensation, es war ihr Durchbruch mit einer fast unheimlichen Profihaftigkeit. „Sie ist 13 und benimmt sich wie 30“,
sagte Redford später über Scarlett. Von den Dreharbeiten
in Montana sind lange, teils heftige Diskussionen zwischen
Redford und Scarlett und Scarletts Mutter überliefert, in
denen Tochter und Mutter den Regisseur belehren wollten,
wie diese und jene Szene besser zu drehen sei. Robert Redford, das muss man sich auch mal trauen.
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MENSCHEN
Kampagnenfähig Scarlett Johansson spricht
Das klingt jetzt alles zickig, divenhaft und eben hysterisch ehrgeizig. Und war es wohl auch. Aber was soll’s, das
Ergebnis war ein großer Film mit einem Mädchen in einer
großen Rolle. Es war erarbeitet und nicht aus dem Ärmel
gespielt. Talent hatten andere, manchmal für ein, zwei Filme,
manchmal nur für einen Sommer. Können hatten wenige.
Und Scarlett Johansson wollte können. Natürlich kann man
jetzt einwerfen, sie habe doch keine Kindheit gehabt, keinen
realen Boden unter den Füßen und so weiter. Ein Rampenlichtkind. Ja. So, wie Jodie Foster auch eines war. Und so,
wie es große Musiker oder Sportler auch waren und sind.
Entscheidend ist der eigene Wille, wie auch immer man ihn
bewertet. Michael Jackson wollte nicht der Michael Jackson
werden, sein Vater hat ihn geschlagen und auf Herdplatten
tanzen lassen. Er wurde das Genie, das immer neben sich
stand. Das Ende ist bekannt. Kinderstar Macaulay Culkin,
der berühmte „Kevin allein zu Haus“ wollte spielen, aber
nicht schauspielen, seine Eltern zwangen ihn. Heute ist er
ein umherirrender Hippie ohne Boden. Es sind Kindheiten
mit Verlust und ohne Gewinn. Scarlett Johansson hat Gewinn. Sich selbst.
Aber die wahre Scarlett Johansson, die von heute, kommt
ja noch. Aus dem Mädchen des „Pferdeflüsterer“ wurde eine
junge Frau, sie bekam Formen, einen Busen und einen Po.
Und selbst dieser Po konnte schauspielen. In „Lost in Translation“, diesem filmischen Kammerspiel von Sofia Coppola,
eigentlich ein Zwei-Personen-Stück, gedreht in Tokio, sieht
man ein paar Minuten nur ihren Po in einem durchsichtigen
Slip. Er bewegt sich kaum, aber er bewegt sich. Wie ein Gesicht. Und, klingt jetzt albern, ist aber so, erzählt eine Geschichte. Nach „Lost in Translation“ kam „Das Mädchen
mit dem Perlenohrring“, und immer mehr formten sich
Scarletts Konturen zu einer Figur, die an großes Hollywood,
an Lauren Bacall in ihrer Souveränität und an Marilyn
Monroe in ihrer Verletzlichkeit erinnerten. Man kann dem
Profi Scarlett beruhigt unterstellen, dass sie genau mit diesen
Assoziationen spielte. Scarlett selbst schiebt so etwas beiseite:
„Ich mag, wie ich aussehe, ich mag meine weiblichen Formen, dass ich Brüste habe und einen Arsch. Aber das sind
wirklich nur Äußerlichkeiten, mehr nicht (...) Bei Sexszenen
fragen die Leute immer gleich: ‚Und? War da was? Hattet
ihr wirklich Sex?‘ Hey, Leute, es ist eine ROLLE!“
Diese sehr umfassende Form gleichzeitig tradierter und
moderner Weiblichkeit nahm nicht nur Hollywood, sondern auch die Mode- und Schönheitsindustrie dankbar
auf. Scarlett Johansson wurde das Gesicht von L’Oréal,
Louis Vuitton, Dolce & Gabbana und Calvin Klein. Sie
gehört zur ersten Besetzung der Anzeigen in Blättern wie
„Vogue“ oder „Harper’s Bazaar“. 2008 überraschte sie dann
auch noch mit einer CD, auf der sie die Songs ihres düsteren Hauspoeten Tom Waits sang. Tom Waits und Scarlett Johansson, das rostige
Reibeisen und die Muse,
das war wieder ein bisschen
wie die Monroe und Robert
Mitchum in „Fluss ohne
Wiederkehr“. In einem der
Lieder singt Scarlett „…
sich verlieben, heiraten und
dann rums! Wie zum Teufel
bin ich hier so schnell hingekommen? Ich will wirklich nicht erwachsen werden.“ Und genau da irrt sie.
Sie war es schon immer.
Fotos: ddp images, AdMedia/colourpress.com, Rue des Archives/SZ Photo, W Magazine/Planet PhotosMagazine/Planet Photos
auf dem Parteitag der Demokraten für Barack
Obama, als Cover- und Werbeikone (unten)
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RH
T
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BA
R TI K
ER
Vorhang auf
für Karin Beier
„Karin Beier und die besseren Regisseurinnen und Regisseure
ihrer Generation wollen die Kunst selbst erneuern.
Der Aufstand, den sie proben, gilt der Bequemlichkeit, der
Langeweile, der Beamtenmentalität, die der Tod jeder Kunst ist“
Wolfgang Höbel, Kulturredakteur des „Spiegel“, in seinem Porträt „Karin Beier – Den Aufstand proben“
Theaterereignis des Jahres 2011 Szenen aus Elfriede Jelineks „Das Werk/Im Bus/Ein Sturz“ in Köln uraufgeführt unter
der
4 6 Regie von Karin Beier
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Fotos: Klaus Lefebrve (2) dpa Picture-Alliance (4)
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T H E AT E R
„Ich wünsche mir, dass Theater versucht,
d
H
amburg. Ein Tag im September. Die Theater­
regisseurin Karin Beier probt Shakespeares
„Was ihr wollt“ und hat ein Problem. Wie
bringt man drei schwitzende Männer dazu,
in eine Kiste zu steigen, in die ein einziger
kaum hineinpasst? Zwei der Herren sind, gelinde gesagt,
korpulent, ihre Extremitäten, Hände und Hinterteile quet­
schen sich unheilvoll über dem Abgrund, denn die Kiste ist,
unsichtbar für den Zuschauer, nach unten offen, soll den
heimlichen Abstieg zur Unterbühne gestatten. Die Herren
stöhnen, verdammt, das ist zu eng. Aber Karin Beier hört es
nicht. Sie liegt auf dem Rücken, mit zuckendem Zwerchfell,
lacht sich schlapp. Das ist nun 17 Jahre her. Jetzt probt Karin
Beier wieder in Hamburg, aber Journalisten sind nicht mehr
zugelassen. Schade.
Wieder ein Tag im September. An der Kirchenallee reckt
sich eine Großbaustelle in den Himmel, das Deutsche
Schauspielhaus, eingerüstet, verhängt, umstellt von Kränen
und Containern der Gewerke, die hier heftig zugange sind.
Die Sonne scheint von oben ins Haus, der Bühnenturm wird
erweitert, der Schnürboden angehoben. Nichts bleibt liegen.
Die Unterbühne wird mit einem elektrischen Antrieb aus­
gestattet, der Zuschauerraum unter strikten Vorgaben des
Amtes für Denkmalschutz restauriert. Alles wird höher,
schneller, sicherer. Alles wird gut. Einerseits.
Andererseits: Drei Wochen vor der Premiere schießt der
Eiserne Vorhang während der Bauarbeiten plötzlich in die
Höhe; die Gegengewichte, die ihn am Boden halten sollen,
donnern von oben durch den Bühnenboden. Wie durch ein
Wunder wird niemand verletzt. Der für den 15. November
geplante Beginn der Ära Karin Beier muss ver­
schoben werden.
Das Schauspielhaus ist mit 1200 Plätzen das
größte deutsche Sprechtheater, und für jeden
Intendanten ein Riesenakt. Es ist das Haus der
großen Namen: Gustaf Gründgens, Peter Za­
dek, Ivan Nagel. Und es ist das Haus des gro­
ßen Scheiterns. Die meisten Intendanten sind
bei dem Versuch, diese Aufgabe zu stemmen, in
die Knie gegangen, einige machten sich daran,
das Haus leer zu spielen, aber es gab auch Leitfi­
guren wie Frank Baumbauer, der 2001 zum gro­
ßen Kummer der Hamburger Theaterfreunde
nach München wechselte. Nun wird zum ersten
Mal in über 100 Jahren eine Frau den Job über­
nehmen.
K
arin Beier, geboren am 14. Dezember 1965
in Köln, lernt im Nonnengymnasium, beim
Orden unserer lieben Frau den Schwarm ih­
res Lebens kennen: William Shakespeare. Die
Schule empfand sie als Glücksfall, weil Litera­
tur und Theater eine große Rolle spielten und
weil es in diesem erzkatholischen Milieu herr­
liche Reibungsflächen gab für ein Mädchen mit
Fotos: Klaus Lefebrve (2) dpa Picture-Alliance
TEXT: EMANUEL ECKARDT
Da bleibt kein Auge trocken
Clownsnasen und Charaktermasken im Spiel
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,
die Leute wach zu küssen“
grüngefärbten Haaren und Heavy-Metal-Stickern auf der
Armeejacke. Mit 16 spielt sie Lady Macbeth in einer Schüleraufführung. Die Sprache ist ihr vertraut, ihre Mutter ist
Engländerin.
Sie studiert Anglistik, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften, gründet mit 20 eine internationale Theatergruppe, mit der sie neun Stücke von Shakespeare in Originalsprache in Fabrikhallen und anderen unwirtlichen Orten
in Szene setzt. Volker Canaris holt sie als Assistentin ans
Düsseldorfer Schauspielhaus. Zwei Jahre später ist sie dort
Hausregisseurin. Joachim Lux, damals als Dramaturg an
ihrer Seite, erinnert, wie sie „herkömmliche Theaterusancen
mit Charme und Besessenheit beiseiteschiebt, eine Künstlerin, die ungewöhnlich entschieden ihre Interessen verfolgt“.
Heute ist er als Intendant des Hamburger Thalia Theaters
ihr Lokalrivale.
Die junge Regisseurin fällt früh aus dem Rahmen. Sie
inszeniert „Romeo und Julia“ in Düsseldorf, führt das Stück
auch in London auf. Aber eine Julia, die einfach nur „Wow!“
sagt, wenn Romeo ihr seine Liebe erklärt, ein Romeo, der
angesichts der toten Geliebten versucht, das Gift wieder
herauszuwürgen, das ist nicht der Shakespeare, wie ihn die
Briten lieben. Der Kritiker des „Daily Telegraph“ schreibt,
dass er den Abend lieber mit einer Wurzelbehandlung zugebracht hätte.
Eine Einzelstimme. Auf dem Festland ist der Jubel groß.
„Romeo und Julia“ und der „Sommernachtstraum“ werden
zum Berliner Theatertreffen eingeladen, die „Nachwuchsregisseurin des Jahres“ inszeniert in Hamburg, Bochum,
an den Münchner Kammerspielen und am Wiener Burgtheater. Sie führt Regie bei den Wormser Nibelungenfestspielen und bringt als Opernregisseurin unter anderem
„Carmen“, „Rigoletto“, „Così fan tutte“ auf die Bühnen,
„Die Entführung aus dem Serail“ sogar als Koproduktion
mit der Wiener Staatsoper am Burgtheater in Wien. Sie liebt
die Opernarbeit: „In dem Moment, in dem ein Sänger die
richtige Leidenschaft findet, stellen sich im Zuschauerraum
alle Nackenhaare auf – das schafft man im Schauspiel nie.“
Das Theater nimmt sie gefangen. Die Techniker bauen ihr
einen Laufsteg über die Zuschauersitze, „damit ich während
der Proben auf die Bühne rennen kann. Wenn ich sitze, langweile ich mich.“ Sie scheint keinen Stress, keine Erschöpfung zu kennen, aber sie nimmt auch Auszeiten, reist mit
ihrem Mann, dem Schauspieler Michael Wittenborn, für
Karin Beier
Lokalrivale in Hamburg Joachim Lux, Intendant
des Thalia Theaters
ein halbes Jahr nach Nepal, hütet Schafe in Schottland oder
arbeitet in einem Waisenhaus in Indien.
2006 kommt ihre Tochter zur Welt, im Jahr darauf wird
sie Intendantin am Schauspiel Köln. Dass sie als Frau
in eine Männerdomäne einbricht, findet sie nicht weiter
spektakulär. Im Gegenteil. „Männer im Theaterbetrieb
haben häufig den Drang, sich so darzustellen, als ob sie auf
keinen Fall arbeiten, ständig auf Droge sind und irgendwie zerknirscht. Ich finde das zutiefst lächerlich und sehr
deutsch. Den Frauen, die ich schätze, zum Beispiel Katie
Mitchell, ist diese Attitüde fremd.“
Sie richtet in ihrem Zimmer eine Spielecke für ihre Tochter ein und macht sich an die Arbeit. Bald spielt das Schauspiel Köln in der Topliga deutscher Sprechbühnen, zweimal
wird es als Theater des Jahres ausgezeichnet. Vom Start weg
sprengt sie lustvoll den Rahmen jeder Konvention. Sie besetzt „König Lear“ ausschließlich mit Frauen, holt gleich
in der ersten Spielzeit ein wildes Kopenhagener Performance-Kollektiv nach Köln. SIGNA bringt die Zuschauer
ins Spiel. Sie finden sich in einer verstörenden Parallelwelt
undurchschaubarer Psychospiele von Sex und Gewalt. „Die
Erscheinungen der Martha Rubin“ locken in ein Hüttendorf irgendwo in der Stadt, mit Wirtshaus, Wahrsager und
Peepshow, wo sich die ahnungslosen Mitwirkenden nach
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T H E AT E R
Beiermania in Köln
rauschhaften Stunden im Konflikt zwischen streng religiösen Dorfbewohnern und diktatorischen Besatzern finden
(freigegeben ab 18 Jahren).
Ähnliche Konflikte erlebt Karin Beier bald auf politischer
Ebene. Kölns Stadtväter streben nach einem Prestigeobjekt.
Das in den frühen 1960er-Jahren erbaute Schauspiel- und
Opernhaus soll abgerissen werden und einem glanzvollen
Neubau weichen. Doch die Kassen sind leer. Der Einsturz
des historischen Stadtarchivs im März 2009 reißt ein Riesenloch in den Stadtetat. Es fehlen 550 Millionen Euro.
T
rotzdem beschließt der Magistrat den Neubau der Oper
und den Abriss des Schauspiels. Die Bürger sind auf
der Zinne. Eine Initiative „Mut zu Kultur“ sammelt Unterschriften. Karin Beier plädiert gegen den Abriss und sieht
sich einer Front aufgebrachter Kulturhoheiten gegenüber.
Bürgermeister, Kulturreferent und Opernintendant kämpfen für den Neubau, Karin Beier für eine Sanierung, die
50 Millionen billiger wäre. In wenigen Monaten kommen
53.000 Unterschriften für das Bürgerbegehren zusammen.
Der Stadtrat gibt nach. Theater und Opernhaus bleiben. Die
Intendantin wird auf Kölner Art gefeiert. Ein Festwagen im
Karneval zeigt sie als Befreierin.
Einmischung ist Pflicht. „Im Zeitalter der Unverschämten, in der jeder Entscheidungen treffen und keiner Verantwortung tragen will, lernt jedes Kind, wie dumm es ist,
Verantwortung zu übernehmen. Die Perspektive muss umgekehrt werden: Schuldig an der Demokratie wird derjenige,
der keine Verantwortung übernimmt.“
Sie tut das auf ihre Art, auf der Bühne. Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek steuert eine KatastrophenTrilogie bei. Das Leitmotiv: menschliches Versagen und
Menschenverachtung. Die Uraufführung von „Das Werk/
Im Bus/Ein Sturz“ wird das Theaterereignis der Spielzeit
2010/2011. „Ein Sturz“ behandelt das Verschwinden des
Kölner Stadtarchivs im Abgrund von Inkompetenz und
Verantwortungslosigkeit. Dem Bürgermeister wird es nicht
gefallen haben, dass seine Fensterreden über die „mörderische Naturgewalt“, die das Stadtarchiv zum Einsturz
gebracht haben sollten, über Lautsprecher eingespielt werden und im Theatersaal Hohnlachen, Johlen und Pfeifen
auslösen.
Karin Beier zeigt das Stück auch beim Hamburger
Theater Festival – im Schauspielhaus, ihrer künftigen
Wirkungsstätte. Mit der Spielzeit 2013/14 übernimmt sie
die Leitung des Hauses an der Kirchenallee. Sie hat den
Coup gut vorbereitet, reist im Februar 2011 nach Hamburg. In Hamburg sind Wahlen. Sie trifft sich mit CDUBürgermeister Christoph Ahlhaus, aber auch mit seinem
Gegenkandidaten Olaf Scholz und mit den Grünen. Erst
als alle Parteien ihr verbindlich zusichern, dass der Etat des
Schauspielhauses kräftig aufgestockt würde, unterschreibt
sie den Wechsel.
Das Schauspielhaus zittert unter dem Kraftakt der
Baumaßnahmen, Maschinenlärm hallt durch Flure und
Foyers. Im Vorzimmer der Intendantin hält ihre Assistentin
Narjes Gharsallaoui die Stellung. Das Intendantenzimmer
ist leer, unbenutzt, helles Parkett, schneeweißes Mobiliar,
eine weiße Récamiere, weiße USM-Schränke, ein leerer
Tisch, ein paar Stühle, zwei mit rotem Plüsch. Ein schöner
Raum, frei von der Aura irgendeiner Tätigkeit. Hier passiert
absolut nichts. Aber in Hamburg-Ottensen, auf der Probenbühne in der Gaußstraße. Heute übt dort ein Greisenchor.
Und die Intendantin, so viel ist später zu erfahren, hat sich
schlapp gelacht.
Fotos: dpa Picture-Alliance, interTOPICS
Die Intendantin als Freiheitskämpferin im Karneval
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Luxus und Lifestyle
vollendet erleben
Das Verlangen nach dem absolut Außergewöhnlichen
findet seine ganze Erfüllung in der Exklusivität des
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SPORT
Schattenspieler auf großer Bühne
Profigolfer vertrauen ihrem Caddie blind. Wie wichtig ist der Mann an der Tasche?
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N
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FOTOS : D O ROT H E A SC H M I D
ehmen wir Colin Byrne. Er trägt sein Turnierleibchen wie ein filigranes Kettenhemd und erinnert an
Prinz Eisenherz. Scharf geschnittene Gesichtszüge,
kleiner Spitzbart am Kinn – eine geradezu aristokratisch
anmutende Gestalt. Geboren in Dublin. Also Ire und nicht
Engländer. Sorry about that. Byrne ist der Mann an der
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Allein am Abschlag Ernie Els an Loch 18 des
Old Course von St. Andrews: Der Caddie tritt zurück,
der Spieler ist allein am Zug. Anders auf der Driving
Range (rechte Fotoleiste): Dort säubert Colin Byrne
für Els Bälle, prüft auch die Länge der Übungsschläge.
Stiller Beobachter an der Seite von Branden Grace
ist Caddie Billy Foster. Um die Putt-Linie zu lesen, geht
er zuweilen auf die Knie
Seite von Ernie Els. In dieser Funktion putzt er unentwegt Bälle, säubert Schlägerblätter, trocknet Handgriffe,
prüft mittels modernem Entfernungsmesser die Länge der
Übungsschläge seines Herrn oder reicht ihm eine Banane.
Bissfertig, die Schale geöffnet.
Caddies tun das, aber Byrne ist mehr als nur Caddie. Er
ist Kolumnist der „Irish Times“, ist Buchautor, ist – ja, wie
soll man sagen – eine Art Golf-Psychologe und dazu ein ausgewiesener Menschensammler. Nicht der einzige übrigens in
diesem Geschäft, „denn irgendwie“, so sagt er mit feinem
Lächeln, „sind wir das wohl alle – Menschensammler“.
Immer der eine mit dem andern – so lautet das ungeschriebene Gesetz des Profi-Golfs. Selten lebenslang, so wie
Phil Mickelson und Jim Mackay. Sie sind ein Paar seit 1992.
Und manchmal auch nur für eine Saison. Es gibt ohnehin
keinen schriftlich fixierten Vertrag, alles basiert per Handschlag auf gegenseitigem Vertrauen. Und los geht’s. Oder
eben auseinander.
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SPORT
Byrne kennt das Caddie-Leben seit mehr als 25 Jahren.
„Man kann das nicht lernen“, sagt er am Rande der Dunhill
Links Championship in Schottland. „Es gibt keine Schule,
keine vorgeschriebene Ausbildung. Da ist eines Tages eine
Hintertür, und durch die trittst du auf eine riesengroße Bühne. Das ist alles. Und dazu musst du nicht einmal ein guter
Golfer sein. Was zählt, ist am Ende Gefühl, Erfahrung und
die richtige Tasche. Will sagen: Die Chemie muss stimmen.“
H
ier ein paar Namen. Sie stammen aus Byrnes Sammlung
und lauten David Feherty, Paul Lawrie, Retief Goosen.
Oder Alex Noren, Edoardo Molinari, Camilo Villegas. Oder
eben Ernie Els. Ende der Liste und natürlich: Ende offen.
Wer Byrne fragt, worauf es in seinem Job ankommt, der
erhält zwei erstaunliche Antworten. „Glaube als Caddie
nie, du seist der liebe Gott. Allenfalls bist du sein Schatten.“
Und: „Bewege dich immer im emotionalen Null-Modus.
Jubel nicht, sei nicht enttäuscht – es gibt so viele Ups and
Downs in diesem Spiel, du würdest verrückt.“
Tatsächlich sind Caddies schwerer zu lesen als ihre Spieler. Jedenfalls finden sich in ihren Gesichtern nur ganz selten
besondere Regungen. Stoisch beobachten sie jeden Schlag,
registrieren ausdruckslos sein Ergebnis, schultern die Tasche
und machen sich auf den Weg.
Wie es in ihnen aussieht – etwa wenn der Ball im hohen
Rough liegt –, das geht niemanden etwas an, aber es klingt
in den Worten von Byrnes Kollegen Steve Williams so: „Du
musst die schlechten Gedanken hinter dir lassen, und du
musst weitermachen, auch wenn die Dinge nicht gut laufen.
Das ist vielleicht das Härteste überhaupt: immer positiv zu
sein. Aber nur so gibst du der Geschichte manchmal eine
neue Richtung.“
Williams arbeitete 13 Jahre für Tiger Woods. Er gilt als
Superstar der Szene, ist vielfacher Millionär (man führt ihn
in seiner Heimat Neuseeland als einen der „reichsten Sportler“), ist leidenschaftlicher Speedway-Rennfahrer, Gründer
einer Stiftung, natürlich Buchautor und – wichtig dazu: Er
ist auch ohne seinen ehemaligen Boss mehr als erfolgreich.
Trägt dem Australier Adam Scott die Tasche, bejubelte mit
ihm den Sieg beim Masters in Augusta 2013, und gemeinsam
belegt das Paar Platz zwei der Weltrangliste.
Obwohl „geborener Spitzenreiter“ und mehr als selbstbewusst, fügt sich Williams ganz natürlich in die überschaubar kleine Caddie-Welt. Neid, Missgunst, Rivalität – offen-
sichtlich Fehlanzeige. Behauptet jedenfalls Billy Foster.
„Steve ist einer von uns, und wir sind alle gleich. Kennen
uns seit Jahren, reisen oft gemeinsam, helfen uns gegenseitig,
sind irgendwie Teil der Familie.“
Wie Byrne ist auch Foster ein erfahrener Menschensammler. Reiselust und ein ständig nervender Vater – „ich
war mit 16 Lehrling in seiner Tischlerwerkstatt, und er entließ mich mindestens dreimal die Woche“ – schickten ihn
auf den Weg. „Es waren“, wie er sagt, „die Rocking Eighties.
Viel Geld gab es damals noch nicht zu verdienen, wir fuhren per Anhalter, schliefen in lausigen Hotels, mussten auf
der Range die Bälle noch selbst aufheben, wurden dabei oft
getroffen, aber es war ein großer Spaß.“
So fing das an, und mittlerweile umfasst Fosters Portfolio Namen, die lauten unter anderem Gordon Brand Jr.,
Severiano Ballesteros, Darren Clarke, Sergio García, Lee
Westwood und – aktuell – Berenberg-Markenbotschafter
Branden Grace. Die Tasche des Südafrikaners (er tritt bei der
Dunhill Links Championship als Titelverteidiger an, landet
schlussendlich aber nur im Mittelfeld) ist neu, denn er und
Grace sind erst seit knapp fünf Monaten ein Paar.
Man gewöhnt sich noch aneinander. „Jeder Spieler ist
anders“, weiß Foster. „Du versuchst dich darauf einzustellen, adaptierst sein Verhalten und findest nach und nach die
richtige Ansprache.“ Der Prozess ergibt im besten Fall ein
kongeniales Paar, so wie er es einmal mit Lee Westwood
war. Blindes Verständnis, derselbe Humor, dieselbe Wellen-
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Ein Paar unter Par Martin Kaymer und
Craig Connelly sind nach kurzer Trennung
wieder vereint und knüpfen mit einem Platz
unter den Top Ten an alte Erfolge an. Dabei führt
Connelly das Yardage Book, berät seinen Chef
und versorgt ihn auf der Range mit Bällen
länge. Gemeinsam stürmen sie 2011 die Weltrangliste, doch
dann zieht sich Foster eine schwere Knieverletzung zu, und
plötzlich ist alles aus und vorbei.
„Es war bei einem Caddie-Fußballturnier, und ich habe
vorsorglich nicht einmal daran teilgenommen, habe nur zum
Spaß vor dem Spiel gegen den Ball getreten, bin in einem
Loch hängen geblieben – und danach geradewegs in der
Hölle gelandet.“
K
nie kaputt, drei Operationen, 14 Monate Pause. Statt
Golf englische Seifenoper im Fernsehen, die Eisbeutel
auf dem Bein und im Kopf die blanke Existenzangst. Merke:
Der verletzte Caddie ist schnell der vergessene Caddie.
Immerhin sechs Monate hält Westwood ihm die Treue, dann
kommt der Anruf.
„Ich konnte ihn verstehen“, erinnert sich Billy, „aber
es war so, als wäre meine eigene Frau mit meinem besten
Freund durchgebrannt. Jedenfalls nichts, was ich meinem
ärgsten Feind wünschen würde.“
Es gibt auf der Tour Leute, die behaupten, Foster sei
seitdem ein gebrochener Mann. Aber irgendwie haben sie
das alle schon einmal erlebt und sind doch weitergezogen.
Mit dem nächsten Spieler und einer anderen Tasche.
Rückkehr übrigens nicht ausgeschlossen, wie man an
Craig Connelly sieht. Mit dem Mann aus Glasgow verbinden
sich bislang Martin Kaymers größte Triumphe. Immer der
eine mit dem andern – so war das von 2010 bis Anfang 2011.
„Den richtigen Spieler zu finden
ist für einen Caddie viel einfacher als
umgekehrt“, urteilt Connelly. „Es
macht klick und fühlt sich an wie verliebt.“ Eine Serie von Turniersiegen,
darunter auch der Gewinn der PGA
Championship, macht den Deutschen damals kurzfristig zum besten
Golfer der Welt und Connelly mit
rund 500.000 Euro ganz nebenbei
zum bestverdienenden schottischen
Caddie.
Geld ist in diesen Kreisen natürlich ein großes Thema. Man redet
nicht groß darüber, aber auf den
letzten Spielbahnen eines Turniers,
so heißt es, „liest jeder Caddie die
Putt-Linie mit Dollarzeichen in den Augen“. Verständlich,
denn der Löwenanteil seines Einkommens (hinzu kommen
private Sponsoren oder andere Nebeneinnahmen) speist
sich neben einem frei vereinbarten Fixum je Spielwoche (bis
zu 2000 Euro) aus dem Anteil an den eingespielten Preisgeldern. Grundregel: Schafft der Spieler den Cut, gibt es
fünf Prozent, landet er unter den Top Ten 7,5 Prozent, und
bei Sieg beträgt die Börse zehn Prozent.
Abzüglich Reisekosten und Spesen, denn „wie du unterwegs bist, dich verpflegst und wo du schläfst, das ist ganz
allein deine Sache“, erzählt Bobby Verwey Jr., der einst Gary
Player im Herbst seiner Karriere die Tasche trug. „Es ist
zwar nach wie vor ein hartes Leben, und wenn die Leistung
nicht stimmt, dann fliegt meist der Caddie als Erstes, aber es
ist gerade heutzutage immer mehr Geld im Spiel und – überspitzt gesagt: Bei manchen Jungs fliegt der Boss im großen
und sein Caddie im kleinen Learjet.“
Nicht so Connelly. Der fährt Landcruiser und leistet sich
als persönlichen Luxus eine Dauerkarte auf der Tribüne von
Celtic Glasgow. „Vergiss das Schlechte, behalte das Gute“ –
diese vergebende Einsicht brachte ihn nach kurzzeitiger
Trennung zurück an Martin Kaymers Seite. Scheidung war
im April 2011, neuerliche „Hochzeit“, wie er es nennt, 2012.
„Zu Anfang“, erinnert sich Connelly der damals beginnenden Probleme, „hat ein großer Moment den nächsten abgelöst, aber im Rückblick ist vieles zu schnell passiert, und
leider gibt es für alles Anleitungen, nur nicht für den jähen
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SPORT
Kritisch beäugt Billy Foster schaffte mit
Lee Westwood den Sprung auf Weltranglistenplatz eins. Gleiches strebt er jetzt mit
Branden Grace an
Erfolg. Es hieß, wir hätten zu viele leichte Fehler gemacht,
aber ich denke, Martin stand unter einem extragroßen
Druck. Er hatte den Platz von Tiger Woods eingenommen,
wollte besser, immer noch besser spielen, und wenn das
nicht funktioniert, dann veränderst du eben etwas – auch an
der Tasche.“
H
eute längst Geschichte. Gemeinsam sind sie wieder
unterwegs, und wie gewohnt macht Connelly auch bei
den Dunhill Links vor jedem neuen Spieltag geflissentlich
seine Hausaufgaben. Wer ihm dabei zuschaut, der möchte
nicht tauschen. Gespielt wird an vier Tagen auf drei unter­
schiedlichen Plätzen, was Dauertrab bedeutet.
So sieht man ihn etwa Tag eins frühmorgens um sie­
ben Uhr auf den Spielbahnen von Carnoustie. Das von
Caddies „Bibel“ genannte Yardage Book in der Hand läuft
er über den Platz. Schaut nach der Bodenbeschaffenheit der
Fairways, testet die Grasdichte im Rough, überprüft die
Fahnenpositionen auf den Grüns, auch die Korrektheit der
im Büchlein schon eingetragenen Angaben – etwa kleine,
aus der Ferne unsichtbare Bunker oder die Neigung gen
Loch abfallender Geländewellen.
Notiert wird alles mit einem Bleistift, und dabei läuft
immer „das eigene Kopfkino“, denn natürlich überlegt
Connelly sofort: Wo sollte der Ball landen, wie und vor
allem wie schnell wird er laufen, und was ist zu
tun, wenn er zu kurz oder zu lang ist.
Auch Schnuppern und Schnüffeln gehören
zum Job, da ist ein Caddie fast so sensibel wie
eine Wetterstation. Alles hat seinen Einfluss: der
Luftdruck, die Temperatur, der Wind. Ein Ball in
kalter Luft fliegt eben bei Nordwestwind weniger
weit als ein Ball bei warmer Brise aus Südost.
Kaum ist diese Arbeit erledigt, kümmert sich Connelly
um das Bag, dann trifft er sich mit Martin Kaymer, und
gemeinsam geht es zum Aufwärmen auf die Range. Schon
die erste Begegnung am Tag ist für Caddie und Spieler ein
wichtiger Augenblick. „Du sagst Hi, und danach weißt du
vielleicht schon, ob dein Mann gut drauf ist.“
Sicherheit hat man darüber allerdings erst nach vier, fünf
Probeschlägen. Diese Erfahrung machte jedenfalls Steve
Williams mit Tiger Woods. „Schwingt er gut, dann weißt du,
heute können wir eine aggressivere Linie spielen. Ist er aber
unsicher und fehlt es ihm an Selbstvertrauen, dann musst
du mit ihm reden. Kombiniert mit allen anderen Variablen
ergibt das ein Bild, und meistens weißt du dann schon –
so wird der Tag.“
Andersherum gilt: „Hast du alle Informationen, dann hat
dein Spieler seinen Frieden. Er muss immer wissen, dass er
sich auf seinen Caddie zu 100 Prozent verlassen kann.“
Für Kaymer und Connelly läuft es diesmal nicht
schlecht. Fast fünf Stunden Spiel und drei Schläge unter
Par sind ein vielversprechender Anfang, aber eben erst ein
Anfang. Vor dem Klubhaus geben sie sich gegen 16 Uhr
die Hand, und während Kaymer etwas zu essen bestellt,
düst Caddie Connelly im Land Cruiser rund 60 Kilome­
ter gen Kingsbarns. Die Spielbahnen dieses Golfkurses –
er ist Schauplatz von Turniertag zwei – ziehen sich atem­
beraubend schön entlang der wilden schottischen Küste,
aber Kaymer hat dort noch keine Trainingsrunde gespielt.
„Also muss ich mich jetzt genauer umschauen“, sagt
Connelly, der manchmal versucht, einen Platz mit den Au­
gen des Architekten zu sehen, der ihn entworfen hat. „Man
weiß dann umso besser, wo die Schwierigkeiten liegen und
wie man ihnen im Spiel entgegentritt.“ Damit setzt er seine
Kopfhörer auf und läuft beschwingten Schrittes zu Tanz­
musik im Ohr los.
Wann der Tag endet? „Na ja, mit Materialpflege, Tasche
packen und allem, was dazu gehört, so gegen 21 Uhr.“ Also
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Tief bewegt Wenn Tränen fließen,
ist Großes geschehen: Caddie Steve
Brotherhood wird von David Howells
Sieg überrascht und auch überwältigt
spät. Und die Ansage für morgen? „Ganz früh
aufstehen. Wir starten schon um 9.22 Uhr.“
Es gibt eine Unmenge Anekdoten über Caddies, nur leider: Der moderne Sport ist darüber
hinweggezogen und produziert kaum mehr neue.
Bobby Verwey Jr: „Keine Partys, keine Gelage – es
herrscht absolute Disziplin. Das ist ein hochprofessionelles Geschäft, und jeder weiß: Nur die besten Caddies haben auch die besten Ergebnisse.“
W
omöglich war das schon immer so. Die Geschichte hat
schließlich viele legendäre Paare gesehen. Vielleicht
erinnert sich noch jemand an Alfred „Big Rabbit“ Dyer? Er
trug die Schläger für Gary Player. An Bruce Edwards? Er
begleitete Tom Watson. Vielleicht Angelo Argea? Der zog
über 20 Jahre lang mit Jack Nicklaus um die Welt. An Fanny
Sunesson? Die erste Frau an der Seite eines Profi-Golfers.
Es war Nick Faldo. Oder an Jeff „Squeaky“ Medlin? Seine
hohe Fistelstimme trieb den jungen John Daly zum Sieg
bei der PGA Championship 1991. Mit nur einem Wort vor
jedem Abschlag: „Kill“.
Moderne Caddies bevorzugen leisere Töne. Ohnehin haben sich diese Männer zu regelrechten Allroundern entwickeln müssen. Sind eine Art Co-Spieler, den der Profi mehr
und mehr braucht. Nicht nur für Schlägerwahl oder Entfernungsangabe, sondern ebenso als Coach, Psychologe, als
Taktiker, Swing-Guru, Navigator, Sicherheitschef und Unterhalter. „Es ist“, sagt einer augenzwinkernd, „wie Ehefrau
zu sein, aber davon keinen klassischen Nutzen zu haben.“
Schlusstag und Finale. Kaymer und Connelly liegen gemeinsam mit Ernie Els und Colin Byrne bei 18 Schlägen
unter Par und damit aussichtsreich auf einem zweiten Platz.
Nebeneinander stehen die Spieler auf der Driving Range des
Old Course und folgen ihrer Aufwärmroutine. Sie wissen
ihre Caddies drei Schritte hinter sich, die spielen Ballmaschine und werfen ihnen wortlos blütenweiß gewienerte Kugeln
zu – und hopp, hopp und hopp.
Kaum zu erraten, was jetzt, was später auf der Runde
in ihren Köpfen vorgeht. Steve Williams hat das einmal so
geschildert: „Top-Caddies denken immer. Zuerst auf der
Range: Wie ist sein Schwung heute? Welche Schläge wird
er produzieren? Dann, auf dem Kurs: Was passiert als
Nächstes? Wie spielt man das kommende Par 5? Aus welcher Richtung weht der Wind? Können wir das Loch direkt
angreifen? Und Top-Caddies haben immer eine Strategie
für die letzten drei Spielbahnen. Fall A: Dein Mann führt.
Fall B: Er ist gleichauf. Fall C: Er liegt hinten. Davon hängt
ab: sicher spielen oder aggressiv angreifen. Du trägst nicht
einfach eine Tasche, hältst die Fahnenstange oder liest das
Grün. Du denkst immer drei Schritte voraus.“
Warum auch immer: Sowohl für Kaymer/Connelly als
auch für Els/Byrne reicht es bei dieser Dunhill Links Championship nicht ganz zum Sieg. Dafür triumphiert am Ende
nach einem Stechen mit dem jungen Amerikaner Peter Uihlein der Brite David Howell. Ihn hatte zu Turnierbeginn so
gar keiner auf der Rechnung. Natürlich hat auch Howell
einen Caddie. Er heißt Steve Brotherhood, und da steht er
gerade bei der Siegerehrung und fotografiert, gleich einem
Schaulustigen, mit dem eigenen Handy seinen Chef. Überglücklich natürlich, denn demnächst erhält er einen Scheck
in Höhe von 80.000 Dollar. „Die gönne ich ihm und seiner jungen Familie von Herzen“, sagt Howell später. „Er
hat einen erstklassigen Job gemacht, er ist seit zwei Jahren
ein absoluter Gewinn für mich, und dafür bedanke ich mich
ausdrücklich bei ihm.“
Letzte Frage an den Caddie: Wie wird jetzt gefeiert?
Brotherhood: „Ach, ich fahre jetzt sechs Stunden durch die
Nacht zurück zu meiner Frau und unserer Tochter nach
Nottinghamshire.“
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UHRMACHER
Handwerk mit goldenem
Reparatur und Wartung hochkomplizierter Zeitmesser ist ein ebenso
T E X T: J A N L O R E N Z
| FOTOS: GREGOR SCHLÄGER
I
nnen gleicht das Stammhaus „Gülden Gerd“ des Hamburger Uhren- und Schmuckherstellers Wempe einer
Privatklinik für Zeitmessgeräte. Halogenlampen steuern das Licht automatisch nach Sonneneinstrahlung,
in den Räumen herrscht arbeitsame Stille. Kein Radio
dudelt, kein Mobiltelefon zwitschert oder blökt. Die Uhrmacher sitzen in weißen Kitteln an ergonomisch gestalteten
Arbeitsplätzen mit hohen Armstützen für die ruhige Hand.
Sie sind Chirurgen, die am offenen Herzen operieren, konzentriert auf das, was sie vor Augen haben, auf Winzigkeiten, Schräubchen, Stifte oder Steine, die sich nur mit der Pinzette oder einem Stück Rodico, (einer Art Uhrmacherknete)
greifen lassen.
Serviceleiter Taco L. Walstra, Uhrmacher und Musiker
(Klavier und Saxophon) lenkt die Aufmerksamkeit des Besuchers auf das frei liegende Präzisionsuhrwerk einer „Rolex Daytona“. „Eine Uhr ist wie Musik“, sagt er mit einem
Lächeln. „,Das Wohltemperierte Klavier‘ von Johann Sebastian Bach ist doch wie eine Uhr zusammengeschraubt, in der
die Räder perfekt ineinandergreifen.“ Große Kunst, nur hier
eben im Kleinen.
Uhrmacher mögen es nicht, wenn die Tür des Operationssaals allzu oft geöffnet wird. Sie fürchten Zugluft. Besucher
machen Wind, wenn sie zu schnell durch die Räume gehen. Besucher reden zu laut, stellen Fragen, lenken von der
Arbeit ab. Dies ist eine Werkstatt und kein Menschenzoo für
eine aussterbende Art.
Ein Uhrmacher ist ein Handwerker aus einer anderen Zeit,
Erfinder und Konstrukteur zugleich. Er baut Zeitmessgeräte, anfangs als filigrane Bewegungsapparate mit Glockenspiel für die Wunderkammern technikbegeisterter Fürsten.
Die ersten Uhrmacher waren Schlosser und Schmiede, ein
Tischler erfand den Chronometer: Der Engländer John
Harrison (1693–1776), als Uhrmacher genialer Autodidakt,
baute seine ersten Uhren und ihre Werke komplett aus Holz
und verbrachte sein ganzes Leben damit, verstockten Hofastronomen klarzumachen, dass nur eine präzise Uhr das
sogenannte Längenproblem lösen konnte. Er erfand den
Schiffschronometer, mit dem es möglich war, auf hoher See
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an
m Boden – ein Hausbesuch
o
anspruchsvolles wie unverzichtbares Geschäft für den Uhrenhandel
Längengrade zu ermitteln. Unglaublich: Harrisons Uhren
erreichten schon vor 288 Jahren eine Genauigkeit von etwa
einer Sekunde Abweichung pro Monat.
Bis heute sind Uhrmacher Pioniere der Feinmechanik.
Sie arbeiten als Materialforscher und Physiker, Galvaniker,
Polisseure, Cadranographen, Mikromechaniker und Restauratoren. Sie sind, in aller Bescheidenheit, Meister angewandter Wissenschaft.
„Das Handwerk hat sich in den vergangenen 100 Jahren
kaum verändert“, erklärt Meister Walstra, „aber es gibt neue
Maschinen, neue Materialien, neue Schmiermittel, neue
Beschichtungen, neue Werkstoffe.“
Rad, Anker und Hemmung sind Verschleißteile, die
28.600 bis 36.000 Bewegungen in der Stunde ausführen. Die
klassische Schweizer Ankerhemmung erzeugt – auf kleinstem Raum – viel Reibung. Jetzt scheint ein neues Material
die Uhrenwelt zu revolutionieren: Spiralfedern aus Silizium.
Spiralfedern zählen zu den kleinsten Teilen eines Uhrwerks, sind das schlagende Herz der Uhr. Silizium ist – wie
Gold – antimagnetisch und lässt sich durch nichts aus dem
Takt bringen. „Wir sind vom Magnetismus umgeben, von
Handys und PC-Monitoren. Das iPad ist hochmagnetisch,
der Induktionsherd, die Elektronik im Auto, das sind Störfelder, die auf eine Uhr einwirken. Besonders kleine Uhren
sind anfällig. Deshalb ist die Demagnetisierung so wichtig.“
Tischordnung Die Automatikbaugruppe einer Rolex.
Die Pinzette greift nach dem Klinkenrad aus eloxiertem
Aluminium
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UHRMACHER
Präzision im Blick Von oben nach unten:
Einsetzen eines Unruhklobens mit Spirale,
zerlegtes Werk einer „Rolex Kaliber 3135“,
Test der Wasserdichtigkeit einer „Wempe
Zeitmeister“ und Aufspannen einer Automatikuhr zum Test auf dem Umlaufgerät
Neue Werkzeuge erleichtern präzise Arbeit. Durch das
Erodieren schneidet elektrischer Strom Metall im Wasserbad viel genauer, als es von Hand möglich wäre. Die Maschine wird von einem Rechner gesteuert.
Rolex, unbestritten Marktführer im Luxussegment, setzt
die Standards. „43 Prozent der Uhren, die zu uns gebracht
werden, sind Rolex-Uhren, nicht weil sie so oft kaputtgehen,
sondern einfach, weil so viele gekauft werden.“ Eine „Rolex
GMT“ zu zerlegen heißt, 100 Bauteile inklusive Schrauben
im Blick zu haben, gründlich zu reinigen, mit Rolex-Spezialwerkzeugen zu bearbeiten und wieder zusammenzusetzen.
Zur Kontrolle gehören die Reinigung mit Ultraschall und die
Dichtigkeitsprüfung. In einem geschlossenen Stahlzylinder
werden 1250 Meter Wassertiefe simuliert, die Uhr durchläuft
einen Tauchgang in drei Phasen zu je 20 Minuten, wird dann
auf eine Heizplatte mit 36 Grad Celsius gelegt und zugleich
einem Cold Spot (Kältepunkt) ausgesetzt. Wenn unter dem
Glas winzige Tröpfchen Kondenswasser sichtbar werden,
müssen die Dichtungsringe erneuert werden.
Keine Inspektion ohne Ölwechsel. 13 verschiedene Spezialöle und Fette stehen bereit. Mit Minimalpipette an den
richtigen Punkt gesetzt, garantiert ein einziges Tröpfchen
harzfreies Schmiermittel eine Laufzeit von sieben Jahren.
In der Polierabteilung wird mit Nesselschwabbel und
Plüschmulle am Hochglanz gearbeitet und mit Mattschlagbürste an den satinierten Bereichen. Der Polisseur wendet
mit zärtlich anmutenden Bewegungen seiner kuschelweichen
weißen Handschuhe die Glanzstücke in seinen Händen,
lässt Arbeitsspuren, feine Grate und Schweißrückstände
verschwinden. Was bleibt, ist spiegelnder Glanz.
Alle Uhrmacher sind auf Rolex geschult, es gibt aber auch
Spezialisten für A. Lange & Söhne, Jaeger-LeCoultre, Audemars Piguet und Patek Philippe. Uhrmachermeister Ralf
Borcherding hat bei Patek Philippe das Level vier erreicht,
die höchste Qualifikation, Walstra stellt ihn als „unseren
Olympiasieger“ vor.
J
unguhrmacher lernen im À-la-carte-Kurs den Umgang
mit den Traditionsmarken. „Wir bilden auch UhrenSommeliers aus“, erzählt Walstra stolz. Das Problem ist,
Nachwuchs zu finden. Es gibt mehr freie Stellen als gute
Uhrmacher. Die Jobcenter schicken junge Leute, die für den
Beruf nicht geeignet sind. Bei der Generation Nintendo, die
mit Computerspielen aufgewachsen ist, zählt das Uhrma-
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Jede Sekunde zählt Feinuhrmacher­
meister Ralf Borcherding mit einer „Lange
& Söhne Zeitzone“, Schraubensortiment
im Ersatzteillager, Blick in die Uhrenwerk­
statt und Meister Bernd Thalemann in der
Wempe­Niederlassung am Jungfernstieg
cherhandwerk nicht unbedingt zu den Trendberufen. Stillsitzen ist uncool.
„Uhrmacher brauchen wie Geigenspieler nicht nur Fingerfertigkeit, sondern auch Talent“, weiß Meister Walstra.
„Ganz wichtig ist das Gefühl für technische Abläufe. Das
muss da sein, denn lernen kann man es nicht.“ EDV-Kenntnisse helfen nicht weiter. „Die EDV hat großen Einfluss
auf die Entwicklung der Maschinen und Werkzeuge, aber
keinen Einfluss auf das Handwerk. Bei allem Respekt für die
Feinmotorik: Entscheidend ist der Kopf.“
„Wir kümmern uns um Uhren, die getragen werden.
Manche sind Familienerbstücke“, erklärt Meister Walstra.
„Nicht immer gibt es noch die Originalteile. Wir müssen sie
nachbauen. Firmen wie Rolex und Patek Philippe sammeln
alte Teile, kaufen sie zurück.“
Service kostet Geld. Eine komplizierte Uhr auf neuesten
Stand zu bringen kann schon mal 1600 Euro kosten. „Die
Werkstätten tragen sich selbst“, betont Walstra, „aber sie
sind keine eigenen Profitcenter und erwirtschaften keine
signifikanten Gewinne.“
L
uxusuhren sind gefragt wie nie zuvor, doch im Kielwasser des Booms strudeln dunkle Geschäfte. Im Internet läuft das Geschäft mit billig gemachten Replika unter
200 Euro, die nur entfernt aussehen wie Originale, die mehr
als das 100-Fache kosten. Doch es gibt auch Fälschungen,
die nicht sofort als solche zu erkennen sind, weil die Fälscher mit großer Umsicht zu Werke gehen und neben hochwertigen Uhren auch Zertifikat und Originalverpackung
kopieren. Die Papiere sind scheinbar in Ordnung, die Nummer stimmt. Selbst Spezialisten eines renommierten Herstellers brauchten einige Zeit, ehe sie dahinterkamen, dass
da etwas nicht stimmte. Es waren Kleinigkeiten. Dass eine
Fläche nicht richtig angliert und poliert wurde, dass einige
Schrauben niemals die strenge Endkontrolle des Werks hätten passieren dürfen. Offenbar waren statt 100 verkaufter
und registrierter Uhren 10.000 Nachbauten in Umlauf. Jemand muss dabei sehr gut verdient haben.
Um dieser Kriminalität einen Riegel vorzuschieben, haben
viele Hersteller die „Individualnummernverfolgung“ eingeführt. Sie wissen, an wen die Uhr ausgeliefert und von wem
sie verkauft wurde. „Wir kennen den Lebenslauf der meisten
Uhren, die bei uns zur Überholung abgegeben werden“, versichert Meister Walstra, „oft über Generationen hinweg.“
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AUTOMOBILE
Mercedes 300
Baujahr: 1955
Leistung: 125 PS
Höchstgeschwindigkeit: 160 km/h
Preis: 22.000 DM
„Das Beste oder nichts“?
Mit beispiellosem technischem Aufwand hat Mercedes-Benz sein Flaggschiff,
leistete das Spitzenprodukt des damals technologisch weltweit führenden Unternehmens aus Stuttgart gute Dienste.
Heimlich, ohne Wissen
der Eltern, wechselte
unser Gymnasiast vom
Beifahrersitz auf den
Fahrersitz und lernte auf
den Feldwegen seines
Heimatdorfs das Autofahren. Und ohne Klagen
nahm der 300er so manches Abwürgmanöver, so manch
flotte Fahrt durch die Schlaglöcher der Feldwege hin: massives Holz im Armaturenbrett, satt schließende Türen, kein
Knarren oder Knacken!
H
eute, runde 60 Jahre später, wieder das Spitzenprodukt
des Hauses, der brandneue S 500 in der Lang-Version,
stolze 5,36 Meter lang, gute 2000 Kilogramm schwer, begleitet von einer Betriebsanleitung von schlappen 800 Seiten,
ausgestattet mit allen denkbaren Extras, die derzeit von der
automobilen Spitzentechnologie bereitgehalten werden, und runde
150.000 Euro teuer. Ist
dies wirklich das beste
Auto, das derzeit auf
dem Markt zu haben
ist, erfüllt es die hohen
Fotos: ©Daimler
E
rinnerungen tauchen auf: Ein hoch aufgeschossener
Gymnasiast von vielleicht 14 Jahren sitzt neben
seinem Vater und beobachtet ihn beim Autofahren – wie er mit der Lenkradschaltung umgeht
und den Signalring am Lenkrad dreht, wie er die Handbremse beim Anfahren an einer Steigung löst und die Kupplung kommen lässt.
Das Auto ist ziemlich neu, vielleicht zwei, drei Jahre
alt. Und es ist das Beste, was es damals, Mitte der 50erJahre, zu kaufen gab: ein
Mercedes 300, „der Dreihunderter“, im Volksmund auch „AdenauerMercedes“ genannt. Der
Vater des Jungen hatte
ihn gekauft, weil er –
überwiegend mit Chauffeur – einige Zehntausend Kilometer im Jahr unterwegs war.
Dafür gönnte er sich nun einmal die bequemste, sicherste
und schnellste Limousine auf dem Markt. Und das war ohne
Frage das Flaggschiff des Daimler-Konzerns. Es gab noch
einen anderen Grund für die Anschaffung des vergleichsweise teuren Autos: Die Familie brauchte ein Fahrzeug, das
auch mit sechs Personen an Bord – Eltern, vier Kinder und
reichlich Gepäck – den holprigen Straßen der 50er-Jahre
standhielt und nicht in die Knie ging. Das schaffte der 300er
mühelos: Mit einem massiven Drehknopf am Armaturenbrett konnten die Federn verstärkt werden. Aber auch sonst
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Mercedes S 500 lang
Baujahr: 2013
Leistung: 450 PS
Höchstgeschwindigkeit: 250 km/h (abgeregelt)
Preis: ab 110.000 Euro
Einiges spricht dafür
die S-Klasse, zur wohl komfortabelsten Limousine der Welt gemacht
Erwartungen, die von der Firmenwerbung mit dem Slogan
„Das Beste oder nichts“ geweckt werden?
K
eine Frage: Die neue S-Klasse ist – wie professionelle
Autotester herausgefunden haben – den Konkurrenzprodukten von Audi und BMW in allen wichtigen Disziplinen wie Sicherheit und Straßenlage, Beschleunigung und
Bremsen, Fahrleistungen und Fahreigenschaften zumindest
gleichwertig, zum Teil auch überlegen.
Weltweit fahren allenfalls die Autos der VolkswagenTochter Bentley, der BMW-Tochter Rolls-Royce und – mit
Einschränkung – der Toyota-Tochter Lexus in dieser Liga
der Luxuslimousinen: Motor und Getriebe, Quer- und
Längsbeschleunigung, alles makellos.
Sogar das Design, im letzten Jahrzehnt gewiss nicht die
Stärke der Mercedes-Männer, scheint gelungen: Trotz seiner
stattlichen Dimensionen
wirkt das Auto nicht aufdringlich, sondern gut
gezeichnet, mit stimmigen Proportionen und
angemessen zurückhaltendem Auftritt. Warum
diese Stilsicherheit im
Innenraum nicht ganz durchgehalten wurde – arg viele Steppnähte, ein überkandideltes Lenkrad mit nicht weniger als drei
Materialien (Leder, Holz, Aluminium) und eine à la Bentley
deplatzierte Analog-Uhr –, wissen nur Eingeweihte. Aber
das spielt auch keine Rolle, denn die eigentliche Stärke, der
USP des Autos, ist der Komfort, das Gefühl von Ruhe und
Gelassenheit. Mit ungezählten Sensoren, Elektromotoren und einer
ausgefeilten
Software
bietet die neue S-Klasse
einen wohl unerreichten
Federungskomfort.
Dank seines „Road
Surface Scan“ werden Löcher, Rillen und sogar die in immer
mehr Ortschaften verbauten Bodenschwellen von einer im
Innenspiegel eingebauten Kamera erfasst und über einen
Rechner in die Steuerung der Öldruckzylinder des Fahrwerks
gegeben. Deshalb fährt die neue S-Klasse mit ihrem „Magic
Body Control“-System in der Tat konkurrenzlos sanft über
Widrigkeiten aller Art. „Der Aufbau schaukelt nicht, es gibt
keine Schläge, das Auto fährt einfach weiter“, schwärmte sogar der Profi-Tester der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.
Noch königlicher geht es auf dem rechten Rücksitz zu,
jedenfalls wenn alle Optionen wie Liegesitz, Klapptische,
Fernseher, Steuergerät für Navigation und die BurmesterAudioanlage geordert und (mit einer Summe, die dem
Neupreis eines VW-Golfs entsprechen dürfte) bezahlt sind.
Damit verfügt der Besitzer eines S 500 L über Komfort,
Entertainment-Angebot und Exklusivität eines LufthansaFirst-Class-Passagiers. Das Einzige, was er dann noch brauchen kann: einen guten – besser keinen 14-jährigen – Fahrer.
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BERENBERG NEWS
Vortragsabend bei Berenberg
Claus Döring (Börsen-Zeitung),
Dr. Hans-Walter Peters (BERENBERG),
Joe Kaeser (Siemens)
„Agenda 2020“ für Deutschland
150 Gäste kamen auf Einladung von Berenberg und der
„Börsen-Zeitung“ zu einem Vortrag von Joe Kaeser, dem
Vorstandsvorsitzenden von Siemens, in die Kassenhalle von
Berenberg in Hamburg. „Regieren und Wirtschaften“ hatte
der neue Siemens-Chef seinen Vortrag überschrieben – ein
Thema, das bei den Gästen auf außerordentlich großes Interesse stieß. In einem seiner ersten Auftritte als Chef eines
der größten deutschen Indutrieunternehmen entwarf Kaeser so etwas wie seine „Agenda 2020“: Ein eindrucksvolles
Plädoyer für Innovationsbereitschaft und Offenheit, für
Nachhaltigkeit und Toleranz. Sein Forderungskatalog an die
künftige Bundesregierung erschien den Berenberg-Gästen
so plausibel, dass sie empfahlen, das Konzept unverzüglich
an das Kanzleramt weiterzureichen.
BerenbergKids
100.000 Dollar für
bedürftige Kinder
Mehr als 100.000 Dollar kamen beim Gary Player Invitational, presented by Berenberg im renommierten Went-
worth Club in London zusammen. Golfikone Gary Player
(Foto), der seit Langem mit dem Hause Berenberg freundschaftlich verbunden ist und auch als Turnierbotschafter
für die Berenberg Masters aktiv ist, sammelte mit seiner
Stiftung in den vergangenen 30 Jahren rund 50 Millionen
Dollar für bedürftige Kinder.
Investorenkonferenz
Intensiver Dialog zwischen
Unternehmen und Investoren
114 Unternehmen aus DAX, MDAX, SDAX und TecDAX präsentierten sich Ende September bei der zweiten Berenberg and Goldman Sachs German Corporate
Conference in München – ein Zuwachs von 20 Prozent
im Vergleich zum letzten Jahr. 90 Prozent der DAX-30Unternehmen waren dabei. Groß war auch das Interesse auf
Anlegerseite: 426 Investoren
aus 22 Ländern waren gekommen, darunter 14 der 20
weltweit größten Asset Manager. „Als viertgrößte Volkswirtschaft der Welt genießt
Deutschland
international
einen hervorragenden Ruf.
Gemeinsam mit Goldman
Sachs bieten wir ein Forum
für einen intensiven Dialog
zwischen deutschen Unternehmen und internationalen
Investoren“, sagt BerenbergPartner Hendrik Riehmer.
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14.000 Besucher erlebten ihre Idole bei den Berenberg Masters 2013 in Köln
Berenberg Masters
Flagship Event der European Senior Tour
Bernhard Langer hatte alles gegeben, um seinen Rückstand
von nur zwei Schlägen wettzumachen. Vier Konkurrenten
konnte er bei seinem einzigen Auftritt auf deutschem Boden
überholen, doch Steen Tinning aus Dänemark behielt auf
einer spannenden Schlussrunde die Nerven und holte sich
im Golf- und Land-Club Köln den Titel bei den Berenberg
Masters 2013. Insgesamt 207 Schläge (–9) hatte der Däne
auf seiner Scorekarte notiert und erhielt dafür den Siegerpokal. „Es waren drei harte Tage, und ich war froh, als ich
die 18 gespielt hatte“, so der 51-jährige Däne.
Langer zeigte dem Publikum und seiner Mutter, die am
Finaltag ihren 90. Geburtstag feierte, unglaublichen Kampfgeist und hervorragendes Golf. Doch leider fielen einmal
mehr die Putts nicht wie gewünscht und verhinderten ein
noch besseres Ergebnis. Am Ende blieb nach einer Runde
von 68 Schlägen und einem Gesamtergebnis von 208 (–8)
ein Schlag Rückstand auf den Spitzenplatz. „Ich habe heute
noch besser gespielt als an den beiden ersten Tagen. Besonders die Eisenschläge sind mir hervorragend gelungen.
Leider hatte ich bei den Putts richtiges Pech.“
Auf Platz drei beendete Nick Job (England) mit 209 Schlägen (–7) das Turnier. Dahinter kam mit 210 Schlägen (–6)
Miguel Ángel Martín (Spanien) auf Rang vier.
Nicht nur die sportlichen Leistungen der 73 Spieler waren herausragend, sondern das gesamte Turnier hat seine
Position als Flagship Event auf der European Senior Tour
weiter ausbauen können. „Mit mehr als 14.000 Besuchern
an drei Turniertagen wurde eine neue Rekordzahl erreicht,
die ich vielleicht erhofft, aber sicher nicht erwartet habe“,
meinte Berenberg-Chef Dr. Hans-Walter Peters.
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BERENBERG NEWS
Oldtimer vor
Schloss Bensberg
Berenberg online
Schloss Bensberg Classics
Berenberg-Team fährt
in die Top Ten
Die Schloss Bensberg Classics hat sich in nur fünf Jahren
zur hochkarätigsten Oldtimerveranstaltung in Deutschland
entwickelt. Berenberg hat das aus Rallye und Concours
d’Elegance bestehende Event von Anfang an als Sponsor­
partner unterstützt. In diesem Jahr gelang dem „1590 Beren­
berg Classic Team“ erstmals der Sprung unter die Top Ten
der Rallye­Gesamtwertung. Dieter Asbach und Gunter
Blum belegten mit ihrem Porsche 914/6 Platz acht. Mit drei
Teams unter den ersten 20 konnte Berenberg sogar die Werk­
teams von Porsche, Audi und Volkswagen hinter sich lassen.
Jeden Morgen um
acht Uhr heißt es in
unserer Niederlassung
London „Ruhe, bit­
te!“. Fünf Videoclips
werden täglich produ­
ziert und auf der Web­
site berenberg.de und
auf dem Berenberg­
Youtube­Channel on­
line gestellt. „Equities
in 100 seconds“ heißt Berenberg-Website ausgebaut zu
das Format, mit dem einem Newsportal mit einer Vielzahl
an aktuellen Informationen
unsere Aktienanaly­
sten die wichtigsten Bewertungen des Tages vorstellen. Da
Berenberg mittlerweile 500 europäische Aktienwerte beo­
bachtet, ist die Berenberg­Website zu einer gefragten Platt­
form für Investoren geworden, die sich für europäische Un­
ternehmen interessieren. Neben den Videoclips, einem Blog
und einer Mediathek gibt es aber auch ein breites Angebot an
schriftlichen Informationen – von aktuellen volkswirtschaft­
lichen Nachrichten bis zu unserem gesamten Aktien­ und
Fixed Income Research, zu dem sich jeder Interessent anmel­
den kann und Zugriff erhält.
Fotos: Reinhard Klein, Berenberg
„Equities in 100 seconds“
U N S E R E STA N D O R T E
Hamburg
Neuer Jungfernstieg 20 • Telefon 040 350 60-0
Boston
255 State Street • Telefon +1 617 292-82 00
Bielefeld
Welle 15 • Telefon 0521 97 79-0
Genf
29, Quai du Mont-Blanc • Telefon +41 22 308 59-00
Braunschweig
Vor der Burg 1 • Telefon 0531 12 05 82-0
London
60 Threadneedle Street • Telefon +44 20 32 07-78 00
Bremen
Hollerallee 77 • Telefon 0421 348 75-0
Luxemburg
46, Place Guillaume II • Telefon +352 46 63 80-1
Düsseldorf
Cecilienallee 4 • Telefon 0211 54 07 28-0
New York
712 Fifth Avenue • Telefon +1 646 445-72 00
Frankfurt
Bockenheimer Landstraße 25 • Telefon 069 91 30 90-0
Paris
48, avenue Victor Hugo • Telefon +33 1 58 44 95-00
München
Maximilianstraße 30 • Telefon 089 25 55 12-0
Shanghai
841, Yan an Road (M.) • Telefon +86 21 64 18 84-11
Stuttgart
Bolzstraße 8 • Telefon 0711 490 44 90-0
Wien
Schottenring 12 • Telefon +43 1 227 57-0
Zürich
Kreuzstrasse 5 • Telefon +41 44 284 20-20
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TRAUM | EWIGKEIT
UHREN SCHMUCK JUWELEN
Berlin Düsseldorf Frankfurt Hamburg München Nürnberg | Basel Bern Davos Genève Interlaken Lausanne
Locarno Lugano Luzern St. Gallen St. Moritz Zermatt Zürich | Wien | Paris | bucherer.com
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April 1819. François Constantin beginnt mit der internationalen Ausweitung
der Handelstätigkeiten von Vacheron Constantin. Während einer
Italienreise hält der Visionär in einem Brief an die Manufaktur jene Worte
fest, die zum Leitgedanken des Unternehmens werden sollten: „faire mieux
si possible, ce qui est toujours possible…“ [„das Unmögliche möglich machen“].
Getreu dem Leitgedanken, der die Geschichte des Hauses
prägte, definiert Vacheron Constantin die Grenzen in der
Uhrmacherkunst immer wieder neu, um seinen Kunden
den höchsten Standard an Technik und Ästhetik, mit Liebe
zum Detail, zu bieten.
Patrimony Traditionnelle Tourbillon 14 Tage
Kaliber 2260, Rotgold (5N) 18K, Versilbertes Opalin-Zifferblatt,
Genf
Genfer Punze, Mechanisches Uhrwerk mit Handaufzug,
Tourbillon, Ø 42 mm
Ref. 89000/000R-9655
Vacheron Constantin · Postfach 21 01 20 · 80671 München · Tel. +49 (0)89 55 984 325 · Fax +49 (0)89 55 984 310
www.vacheron-constantin.com · www.thehourlounge.com
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