Im Visier des FBI - Enquête

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Im Visier des FBI - Enquête
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SchweizNachrichten
23. Februar 2014
teilungen aus. Die Amerikaner
hörten diese Kommunikation
ebenfalls ab und bekamen mit,
dass sich die Schweizer Botschaft
in Washington fragte, wieso das
FBI von den verbotenen Post­
sendungen Wattevilles überhaupt
wusste. «Fügen bei, dass (F)BI
zum Voraus über Versuch Wattevilles orientiert war», kabelte am
28. August 1942 um 17.20 Uhr die
Schweizer Botschaft in Washington an den Schweizer Botschafter
in Lissabon und die Zentrale in
Bern. «Was informed in advance
of Watteville’s attempt», über­
setzten die Lauscher des FBI die
Schweizer Depesche. Der wegen
Spionage angeklagte Bekannte
von de Watteville wurde schliesslich zu 18 Monaten Gefängnis
verurteilt.
von martin Stoll
Bern/Washington Sie stahlen
die Codebücher der Schweizer
Chiffriermaschine Enigma und
öffneten die Briefpost der eid­
genössischen Diplomaten. Lange
bevor die NSA zu ihrem Angriff
auf die Telefon- und Datennetze
der Welt ansetzte, hatte das FBI
die diplomatischen Depeschen
der Schweiz systematisch ab­
gefangen und entschlüsselt. Das
­beweisen bisher unveröffent­lichte
Akten aus einem geheimen USDokumentenlager.
Gestützt auf das US-Öffentlichkeitsgesetz, den «Freedom of
­Information Act», erhielt die
SonntagsZeitung Einsicht in
­historischen Abhörakten der amerikanischen Regierung. Diese zeigen, wie die Schweiz und zahl­
reiche weitere Länder von den
USA akribisch überwacht und
ausgehorcht wurden.
In den 5393 Dokumentseiten,
welche die SonntagsZeitung ab
heute öffentlich zugänglich macht,
finden sich Informationen zu den
Chiffrierschlüsseln des neutralen
Schweden, zu Finnland, Nor­
wegen, Griechenland oder Pa­
nama (siehe Kasten). Die Akten
geben Hinweise auf Lausch­
aktionen in zahlreichen weiteren Ländern und belegen, dass­
die lückenlose Überwachung, die
­Edward ­Snowden letztes Jahr
­enthüllte, bereits im Zweiten
­Weltkrieg begann – im Büro des
legendären FBI-Chefs John Edgar
Hoover.
Berühmt wurde der knorrige
US-Chefermittler wegen seiner
gnadenlosen Hatz auf Kommunisten und weil er zahllose Geheimdossiers führte, in denen er
kompromittierende Informationen zu Showstars, Homosexuellen, Kommunisten und Spitzenpolitikern sammelte. Von Präsident Franklin D. Roosevelt war
Hoover 1940 mit der Herkulesaufgabe beauftragt worden, alle
relevanten Informationen der
westlichen Welt zu sammeln und
aufzubereiten. 1942 nahm er die
Schweiz ins Visier.
Im Visier
des FBI
In den Raubgoldverhandlungen
kannten sie das Höchstangebot
Dokumente belegen: J. Edgar
Hoovers Agenten knackten während
des Zweiten Weltkriegs den
Schweizer Verschlüsselungscode und
lasen systematisch geheime
Diplomatenpost
FBI-Chef John Edgar Hoover: Die Akten zur
Schweiz liess er in einem geheimen Aktenlager
aufbewahren Foto: Getty Images
Eine FBI-Quelle fotografierte
den Schweizer Code
Das Dokument mit der File-Nummer TJM:DMS 65-42389 vom
17. Juni 1942 beschreibt, wie es
den FBI-Beamten gelang, die
Schweizer Geheimschlüssel zu
knacken. Eine «höchst vertrau­
liche Quelle» konnte in New York
Dokumente zur Verschlüsselung
der Schweizer Diplomatendepeschen fotografieren. Das Material
enthalte «Codes, Tabellen und
Chiffren sowie Instruktionen für
dessen richtige Anwendung»,
heisst es im FBI-Memorandum.
Unter dem Material habe sich
«glücklicherweise» die Kopie
eines diplomatischen Schriftstücks befunden, das Codes und
Chiffren «der zahlreichen Schweizer Konsulate» auflistete.
Die Schlüssel zum Dechiffrieren
der Schweizer Depeschen wurden im FBI-Labor am Hauptsitz
des US-Justizdepartements in
Washing­ton DC analysiert. Ge­
leitet wurde das Forensik-Zentrum vom Spezialagenten Edmund
P. Coffey, einem Mann, der mit seinem getrimmten Haar und freundlichen Blick auch als Staubsaugerverkäufer durchgegangen wäre.
Die Akten zum Lausch­
programm versteckte FBI-Chef
Hoover vor parlamentarischen
Kontrollen. 1948 ordnete er an,
die politisch heiklen Papiere in
«Room 6527» zu lagern. Die im
«Confidential File Room» abgelegten Akten waren in keinem
Geschäftsregister verzeichnet. Bei
Anfragen einer parlamentarischen Kontrollkommission konnte das FBI behaupten, in ihren
FBI-Dokument vom 17. Juni 1942: «Die meisten diplomatischen
­Dokumente der Schweiz können jetzt wahrscheinlich entziffert werden»
März 1946, Abreise zu den Washingtoner Raubgold-Verhandlungen:
Auch Minister Walter Stucki (l.) wurde überwacht Foto: Keystone
­ egistern gebe es keine Hinweise
R
auf solche Dokumente.
Kaum hatten die US-Lauscher
den Code der Schweiz geknackt,
machten sie bereits regen Gebrauch davon. Am 19. Juni, zwei
Tage nach der Erfolgsmeldung
über das gelüfteten Geheimnis,
entschlüsselten die Kryptografen
des FBI-Labors eine Depesche
zur Schweizer Hochseeflotte.
«Atlantik-Route der St. Gotthard
führt von New York der Küste
entlang nach Norfolk und von
hier direkt zu den Bermudas und
nach Gibraltar», kabelte die
­ahnungslose Berner Verwaltung
nach New York. Das FBI de­
chiffrierte und übersetzte. Die
Schiffsrouten waren für die Landesversorgung zentral, deshalb
funkte Bern sie verschlüsselt.
Keine zwei Wochen später am
2. Juli 1942 kam wegen entschlüsselter Botschaften bereits ein
­Informant der Schweizer Diplomatie ins Fadenkreuz der FBIAufklärer. Der Schweizer Konsul
in New York hatte vertraulich
nach Bern gemeldet, dass er von
einer Quelle mit Informationen
aus einem vertraulichen Bericht
Die in Südamerika stationierte
geheime Spezialabteilung des FBI
belieferte er mit den Chiffren und
Codes, die von den Schweizer
Vertretungen in Buenos Aires,
Bogotá, Caracas und Rio de
­Janeiro verwendet wurden.
über die Kaperung eines Handelsschiffs im Mittelmeer versorgt
worden sei.
30 Tage nachdem das FBI hinter das Chiffriergeheimnis der
Schweiz gekommen war, verteilte
Hoover die Codes innerhalb des
Special Intelligence Service (SIS).
www.room6527.com
Das Schweiz-Dossier im «Confidential File Room» dokumentiert
auf 160 Seiten das Bemühen des
FBI im Jahr 1942, den diploma­
tischen Code der Schweiz zu entschlüsseln. Weitere Dossiers
­betreffen zusätzliche Länder und
Themen. Die SonntagsZeitung
stellt die 5393 Dokumentseiten
Forschern, Medienschaffenden
und der interessierten Öffentlichkeit
über die Website room6527.com ­
zur Verfügung. Verschiedene
europäische Medien wie die «Süddeutsche Zeitung» (Deutschland),
«L’espresso» (Italien) oder «Le
Monde» (Frankreich) werden ihre
Analysen der Dokumente in den
kommenden Tagen publizieren.
Verdächtiger landete wegen
Spionage im Gefängnis
Auch die US-Army und der Navy
etablierten im Zweiten Weltkrieg
gut ausgebaute Lauschprogramme. Im Gegensatz zu den Militärs
begnügte sich das FBI aber nicht
mit dem Erfassen und Entschlüsseln der Telex- und Funksignale.
Die Agenten Hoovers beschafften
sich auch mit eigentlichen Geheimdienstoperation Zugang zu
fremden Staatsgeheimnissen.
So belegt die Übersetzung einer
Meldung des Schweizer Konsulats in New York an die Zentrale
in Bern vom 6. Dezember 1941
jetzt erstmals, dass die Amerikaner sogar die Briefpost der
Schweizer Diplomatie öffneten –
und so gegen elementare Regeln
des internationalen Rechts verstiessen. Der abgefangene und
ins Englische übersetzte Brief
e­ nthielt brisante Anschuldigungen eines Schweizer Pharma­
managers an die Adresse des
Schweizer Konsuls in Mexiko.
Vermutlich brachte das FBI
durch die Kontrolle der Diplomatenpost auch die Affäre um den
Schweizer Jean de Watteville ins
Rollen. Der damalige Delegierte
des Internationalen Roten Kreuzes in den USA hatte während des
Weltkriegs den diplomatischen
Kurier der Schweiz missbraucht
und illegal private Briefe von
Dritten an Adressaten in Europa
geschmuggelt. Wohl weil das FBI
die Post öffnete, kam es dem Rote-Kreuz-Mann auf die Schliche
und verhörte ihn in New York.
Von der Schweiz verlangten die
US-Behörden danach die Herausgabe der Schmuggelpost, denn sie
hatten einen Mann, der seine
Briefe dem Rote-Kreuz-Delegierten mitgegeben hatte, im Verdacht, für die Japaner zu spionieren. Um die diplomatisch heikle
Situation zu bereinigen, tauschten das Politische Departement
in Bern und die Botschaft in
­Washington im August und
­September 1942 zahlreiche Mit­
Die USA begnügten sich nicht mit
der diplomatischen Kommunikation zwischen den USA und der
Schweiz. Lauschstationen des FBI
an der US-Westküste fingen auch
Funksprüche ab, die der Vertreter
der Schweiz in Tokio, Camille
Gorgé, nach Bern, Rom, Genf
oder Bangkok sandte. Nachdem
sie im Juni 1942 in den Besitz der
Codebücher gekommen waren,
konnten sie Geheimes lesen.
In Hoovers Geheimarchiv im
«Room 6527» wurden die Aktenstapel immer höher. Neben Dokumenten zur Bespitzelung «befreundeter» Staaten und zur Jagd
auf Ostspione lagerten hier auch
brisante Dossiers zu aussergewöhnlichen sexuellen Gewohnheiten hoher Beamter und Politiker. Es waren so viele Dokumente, dass die Statik des massigen
Regierungsgebäudes in Washington zu versagen drohte. Wegen
des Gewichts der 26 Akten­
schränke in «Room 6527» müssten ­Geheimpapiere sofort in andere Räume verlagert werden,
heisst es später in einer FBI-internen ­Notiz vom September 1961.
Die Dokumente machen deutlich, dass die USA schon damals einen grossen Aufwand betrieben, um die Schweiz auszu­
forschen. Das FBI-Labor an der
Washingtoner Pennsylvania Avenue ­entschlüsselte und übersetzte
selbst seitenlange Belanglosig­
keiten, wie eine Depesche aus San
Francisco nach Bern: «J. S., Bürger
von Bürglen, Schweiz, Franken
27.10 bezahlt.»
Doch manchmal ging es auch
um sehr viel mehr Geld: Im Mai
1946 war eine Delegation der
Schweizer Regierung, angeführt
von ­Minister Walter Stucki, nach
­Washington gereist. um über
­deutsches Raubgold zu verhandeln. Mit der Regierung in Bern
sprachen die Unterhändler über
«sichere» Leitungen und liessen
sich auch ein Höchstangebot
­ab­segnen: 250 Millionen Dollar
(heute 1,3 Milliarden Franken).
Die Amerikaner gaben nicht nach,
bevor die Schweiz ihr Höchst­
gebot abgegeben hatte. 105 zwischen August 1945 und Juli 1946
abgefangene De­peschen zu den
Verhandlungen, die im US-Na­
tionalarchiv liegen, machen klar:
Die Amerikaner wussten dank
ihrer eifrigen ­Aufklärer auch in
diesem Fall fast alles. Schweizer
Armee, Luftwaffe und die Diplomatie hingegen glaubten lange,
ihre vertraulichen und geheimen
Nachrichten seien von fremden
Augen geschützt. In einem im
Schweizerischen Bundesarchiv
­abgelegten Faktenblatt der Armee
zur Chiffriermaschine Enigma, die
auch in den Schweizer Auslandvertretungen bis 1950 eingesetzt
wurde, heisst es: «Schlüssel­
sicherheit: sehr gut.»
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