Zwischen Gut und Böse: Nero Belsazar
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Zwischen Gut und Böse: Nero Belsazar
Zwischen Gut und Böse: Nero Unterrichtserarbeitung von Horst Schädlich lyrix-Thema für September 2016, dem Jahr der Nero-Ausstellungen in Trier Ausstellungen zu Nero in Trier, Museum am Dom, Rheinisches Landesmuseum, Stadtmuseum Simeonstift, vom 14. Mai bis 16. Oktober 2016, geöffnet dienstags bis donnerstags von 10 bis 18 Uhr Wie die Thematik andeutet, geht es lyrix um die Zwischenlage und Zwiespältigkeit, mit der dieser römische Kaiser in unserem Geschichtsbild erscheint. Er ist sicher nicht der blutrünstige, lasterhafte Tyrann, Wüterich, Brandstifter Roms und bestialische Christenverfolger, als der er in der antiken Geschichtsschreibung auftaucht, nachdem er im Jahre 68 nach Christus vom Senat zum Volksfeind erklärt worden war, der seiner Hinrichtung nur durch Selbstmord hatte entgehen können. Nach seinem Tod war er einer sog. „damnatio memoriae“ anheimgefallen, seine prunkvollen Kaiserstatuen waren zerstört, alles Angedenken an ihn ausgelöscht worden. Es ist zu erwarten, dass die Trierer Ausstellungen zu einer differenzierteren Sicht und ggf. auch zu einer Berichtigung des Kaiserbildes von Nero beitragen werden. Dem soll hier nicht vorgegriffen werden. Ein gewichtiger Grund dafür, dass Nero in der öffentlichen Meinung Roms zu dem „schlechten Kaiser“ wurde, dessen Andenken ausgelöscht werden musste, lag wohl in seinem Auftreten in nicht standesgemäßen Rollen. Hierauf weist Michael Sommer hin: „ Nero ist der berühmt-berüchtigte Präzedenzfall für diesen Typus: Ein Kaiser, der als Künstler krankhaft Beifall heischte und darüber die Regierungsgeschäfte vernachlässigte.“ (Michael Sommer: Narren im Purpur, Darmstadt 2012, S. 84 ) Kaiser Augustus, der Begründer der Dynastie, die mit Neros Ermordung endete, hatte seine absolute Herrschergewalt stets als „princeps inter pares“ gegenüber den Senatoren zu bemänteln gesucht, während sich Nero über das, was für ein Mitglied des Senatorenstandes schicklich war, das „mos maiorum“, einfach hinwegsetzte. Unser Ziel bei lyrix ist, die Zwischenlage, das Dazwischenliegende, nicht Ausgesprochene, möglicherweise auch Verheimlichte zu erfassen. Dazu bieten wir zwei Referenzgedichte an, ein klassisches und ein modernes Heinrich Heine: Belsazar (1822 veröffentlicht) Georg Bydlinski: Zwischenvers (2016 für lyrix verfasst) Belsazar Die numinose Ballade »Belsazar« gehört zu Heines bekanntesten Gedichten, 1827 dann auch ins »Buch der Lieder« aufgenommen. Sie ist wohl zur unterrichtlichen Behandlung ab Klassenstufe 7 geeignet. Wir begegnen hier dem aus der Bibel bekannten Herrscher des babylonischen Reiches (vor der Eroberung durch die Perser 539 v. Chr.), dessen Machtfülle und gewaltsamer Tod sich in Parallele zu Nero setzen lassen. Zu dieser Ballade sind im Internet genügend brauchbare Ausarbeitungen zu finden, sodass hier auf eine sorgfältige Strukturanalyse des Textes verzichtet werden kann. Wir beschränken uns deshalb auf die Inhalts- und Handlungsstruktur, die sich in vier Abschnitte gliedern lässt. Dargestellt wird die Geschichte des babylonischen Königs Belsazar, die auf das Buch des Propheten Daniel im Alten Testament, Kapitel 5, Vers 1-30, zurückgeht. In 21 Strophen, die aus jeweils zwei im Paarreim verbundenen Versen im meist vierhebigen Jambus bestehen, erzählt die Ballade von einem ausufernden Trinkgelage am Hofe Belsazars, des Sohnes von König Nebukadnezar. Belsazar, ein sterblicher Mensch, steigert sich während des Königsmahls in seiner Überheblichkeit bis hin zur Herausforderung und Verhöhnung Jehovas, des unsterblichen Gottes der unterworfenen Israeliten, und wird schließlich zum Opfer seiner Hybris bzw. seines Caesarenwahns. Handlungsabschnitt I, Strophen 1 – 6 Kurz vor Mitternacht herrscht in der Stadt Babylon Stille, während es im Königsschloss lärmend zugeht. König Belsazar feiert mit seinem Gefolge ein rauschendes Fest; der Wein fließt in Strömen. Und während seine Untergebenen (des Königs Tross, die Knechteschar) den stolzen Herrscher begeistert feiern, wird dieser unter dem Einfluss des Alkohols immer kecker und großsprecherischer. II, Strophen 7 – 13 Im Rausch fordert Belsazar Jehova, den Gott der von ihm besiegten Israeliten, mit frechen Worten heraus. Doch die verbalen Lästerungen, für die er Applaus von seiner Gefolgschaft erhält, reichen ihm nicht: Er befiehlt seinem Diener, goldene Gerätschaften herbeizubringen, die beim Sieg über Israel aus dem Tempel geraubt wurden. Dazu gehört auch ein heiliger Becher, den Belsazar mit Wein füllt und bis auf den letzten Tropfen austrinkt. Anschließend richtet er erneut höhnische Worte an Jehova. III, Strophen 14 – 19 Mit Strophe 14 setzt die Wende ein: Belsazar graust es plötzlich angesichts des Ungeheuerlichen seiner Tat. Im Festsaal verstummt das Lärmen; es erscheint eine Menschenhand, die Buchstaben aus Feuer an eine weiße Wand schreibt. Noch einmal werden das Verstummen und die Erstarrung von König und Gefolge beschrieben. IV, Strophen 20 – 21 Keiner der herbeigerufenen Magier kann die Bedeutung der Flammenschrift entziffern. Belsazar wird noch in derselben Nacht von seinen Knechten umgebracht. Wesentliche Strukturierungsprinzipien sind Verknappung und Kontrastierung: Die alttestamentarischen Bezüge aus dem Buch Daniel werden radikal reduziert auf die zweimalige Nennung des Gottesnamens (Jehova bzw. Tempel Jehovas). Die Handlung konzentriert sich auf den dramatischen Moment der Ballade, als sich Belsazar, angetrieben von Rausch und liebedienerischem Beifall zur Gotteslästerung hinreißen lässt. In zwei Handlungsabschnitten (insges. 13 Strophen) wird zu diesem Wendepunkt hingeführt. Der Ausgang des frevelhaften Geschehens wird ebenfalls in zwei noch kürzeren Abschnitten (insges. nur 8 Strophen) dargestellt. Die Stimmung von König und Gefolge schlägt total um. Eine Flammenschrift erscheint. Erklärungs- und Deutungsversuche scheitern und können die Ermordung des Königs nur wenig verzögern. Kontraste zeigen sich in der Darstellung des Handlungsortes (in stummer Ruh’ lag Babylon vs. oben ...lärmt des Königs Tross) und des Handlungsverlaufs (das gellende Lachen verstummte ... es wurde leichenstill). Vorausdeutende Hinweise auf das Ende des Königs finden sich in Str. 15 und 18 (leichenstill, totenblass). Die unterrichtliche Behandlung auf Klassenstufe 7 erfolgt am besten im Dreischritt Textbegegnung, inhaltliche und sprachliche Strukturierung, Ausdeutung, wobei selbstverständlich die jeweiligen Vorkenntnisse der Lerngruppe hinsichtlich Gedichtund Balladenbehandlung zu berücksichtigen sind; es sind ggf. auch Vorkenntnisse aus dem Religionsunterricht einzubeziehen. Für Worterklärungen (Babylon, Belsazar, Jehova ...) und Fragen sollte im Rahmen der Textbegegnung genügend Zeit eingeplant werden. Vieles werden die Schüler selbst aus ihren Geschichts-, Religions- und GeographieKenntnissen beitragen können. Die Textstrukturierung kann mit einer Tafelskizze verdeutlicht werden. Die Ausdeutung wird wahrscheinlich über Schülerbeiträge zur „Lehre“ des Gedichts in Gang kommen. Hier sollte nachgefragt werden, worin eigentlich der Frevel besteht, für den König Belsazar bestraft wird: Es ist die Übertretung der Grenzen, die einem sterblichen Menschen gesetzt sind, seine Selbstüberhebung infolge des „Caesarenwahnsinns“! Anhang 1: Textblatt Heinrich Heine: Belsazar Die Mitternacht zog näher schon; In stummer Ruh lag Babylon . Und er leert ihn hastig bis auf den Grund Und rufet laut mit schäumendem Mund: Nur oben in des Königs Schloss, Da flackert's, da lärmt des Königs Tross. "Jehovah! dir künd ich auf ewig Hohn – Ich bin der König von Babylon!" Dort oben in dem Königssaal Belsazar hielt sein Königsmahl. Doch kaum das grause Wort verklang, Dem König ward's heimlich im Busen bang. Die Knechte saßen in schimmernden Reihn Und leerten die Becher mit funkelndem Wein. Das gellende Lachen verstummte zumal; Es wurde leichenstill im Saal. Es klirrten die Becher, es jauchzten die Knecht; So klang es dem störrigen Könige recht. Und sieh! und sieh! an weißer Wand Da kam's hervor wie Menschenhand; Des Königs Wangen leuchten Glut; Im Wein erwuchs ihm kecker Mut. Und schrieb, und schrieb an weißer Wand Buchstaben von Feuer, und schrieb und schwand. Und blindlings reißt der Mut ihn fort; Und er lästert die Gottheit mit sündigem Wort. Der König stieren Blicks da saß, Mit schlotternden Knien und totenblass. Und er brüstet sich frech, und lästert wild; Der Knechtenschar ihm Beifall brüllt. Die Knechtenschar saß kalt durchgraut , Und saß gar still, gab keinen Laut. Der König rief mit stolzem Blick; Der Diener eilt und kehrt zurück. Die Magier kamen, doch keiner verstand Zu deuten die Flammenschrift an der Wand. Er trug viel gülden Gerät auf dem Haupt; Das war aus dem Tempel Jehovahs geraubt. Belsazar ward aber in selbiger Nacht Von seinen Knechten umgebracht. Und der König ergriff mit frevler Hand Einen heiligen Becher, gefüllt bis am Rand. (entstanden bis 1822) Anhang 2: mögliche Strukturskizze I) König Belsazar feiert mit seinem Gefolge Kontrast: Stille Stadt, Mitternacht <----> lärmendes Gefolge II) der König fordert Jehova heraus Steigerung des Frevels: Gotteslästerung, goldene Tempelgeräte, Becher als Trinkgeschirr entweiht, Verhöhnung Jehovas III) Wende des Geschehens/ Stimmungsumschwung: Erschrecken des Königs, Flammenschrift an der Wand Leichenstille im Saal, König totenblass IV) Magier können die Flammenschrift nicht deuten König Belsazar (totenblass) wird noch in der selben Nacht umgebracht Zwischenvers Dieses Gedicht ist vom Autor Georg Bydlinski eigens für den lyrix-Gedichte-Workshop verfasst worden, der Anfang September 2016 in Trier stattfindet und der Anstöße geben soll, sich kreativ der Thematik zu nähern. Es stellt in vielerlei Weise das genaue Gegenteil zur vorangestellten klassischen Ballade dar. Eine sorgfältige Strukturanalyse ist deshalb angebracht, in der die formalen und inhaltlichen Gestaltungsmittel genau betrachtet werden. äußere Form: Schon auf den ersten Blick fällt auf, dass der Autor wenig Wörter verwendet und viel weißes Papier lässt. Auch auf Satzzeichen wird verzichtet – abgesehen von einem Doppelpunkt (Kolon) in Zeile 5. Der gesamte Text (ohne Überschrift) ist auf 17 Zeilen verteilt, die fünfmal nur aus einem Wort bestehen. Diese „Verse“ sind überwiegend zweihebig; es finden sich aber auch einhebige (Zeilen 5, 7 und 13) und dreihebige Verse (Z. 3, 14, 15). Ein genaues Metrum ist nicht sicher festzulegen. Das Schriftbild ist durch größere Abstände zwischen den Verszeilen gegliedert. Es ergeben sich so 6 Vers-Komplexe („Strophen“?), die bei Einbeziehung der linksbündig gesetzten Großbuchstaben am Zeilenanfang zu 4 Strophen zusammengefasst werden können. Anfang bzw. Ende des Gedichts fallen auf durch zeilenweise Erweiterung (Aufbau) bzw. Reduzierung (Abbau). Im Textinnern sind innerhalb der Strophen Leerstellen gelassen, die wohl Pausen markieren sollen. Ein Parallelismus bindet die Zeilen 14 und 16 zusammen, die Zeilen 16 und 17 enden mit klingender Kadenz (weibl. Reim.) Inhalt: Strophe I (3 Verse) Das sinntragende Nomen ist „Gebäude“. Der Begriff wird beim zeilenweisen Aufbau festgelegt auf „überall“, „genormt“, „mit Türen und Fenstern“. Es wird eine sich überall hin ausbreitende Architekturwelt benannt. Strophe II (4 Verse) Das sinntragende Nomen ist „Räume“. Der Begriff bezieht sich auf das, was zwischen den Gebäuden ist, die ebenfalls Räume umschließen. Hier soll (sollte?) produktives Tun des Sprechers/ Schreibers und des Lesers/ Hörers einsetzen, „sich Räume schaffen“, durch Kolon markiert: Raum zum Atmen und Denken! Strophe III (zweigeteilt, 6 Verse) Der Leser/ Hörer soll „dahinterkommen“, dass er sich nur „dazwischen“ (Wortspiel zur Sinnverstärkung!) verwirklichen kann, d.h. nur außerhalb der genormten und zweckhaften Architekturwelt in Str. I Ein solches Verhalten wird den Leser/ Hörer, der sich nicht vereinnahmen lässt, „facettenreich“ und „frei“ machen. Strophe IV (zweigeteilt, 4 Verse) Das sinntragende Nomen ist „Zwischenräume(n)“. Die bereits in Str. III vorbereitete Erweiterung des Begriffs „Räume“ zu „Zwischenräume“ ermöglicht dem Leser/ Hörer, also jedermann, der die Zwischenräume zu nutzen versteht, ein naturgemäßes Wachsen, „wie ein Baum auf einer Lichtung“. Dies ermöglicht ihm auch den Zugang zu nicht nur rationalen Bereichen; er kann „tanzen und träumen“. Fazit: Der Reduktionsstil des Autors, der wenig Worte macht und viel Platz (und Pausen) zwischen den Wörtern lässt, bietet dem Leser/ Hörer die Möglichkeit, diese Zwischenräume zu nutzen, sie mit eigenen Gedanken zu füllen, selbst kreativ zu werden. Die unterrichtliche Behandlung des Textes ist wohl schon in der Sekundarstufe I möglich. Es bietet sich ein Vorgehen an, das die Strukturierung der Aussagen in den Mittelpunkt stellt. Ausgehend vom optischen Eindruck, kommen wir zu einer vorläufigen Gliederung des Gedichts. Diesen Abschnitten ordnen wir sinntragende Begriffe zu, die dann in Begriffsfeldern geordnet und aufeinander bezogen werden können. Diese führen uns zu einer endgültigen Gliederung und damit zur Interpretation. Hierbei sollten den Schülern auch die Möglichkeiten und Freiheiten abweichender Interpretation gelassen werden. Georg Bydlinski Zwischenvers (für lyrix) Überall verzweckte Gebäude mit genormten Türen und Fenstern Sich Räume schaffen dazwischen: Atemraum Denkraum Dahinterkommen dass du nur dazwischen du selbst werden kannst nicht vereinnahmt facettenreich frei In den Zwischenräumen wachsen wie ein Baum auf einer Lichtung In den Zwischenräumen tanzen und träumen (entstanden 2016)