Nr. 7 - Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste

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Nr. 7 - Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste
mi–di 20 g e l e s e n
Mission und
Diakonie
Eine Informationsschrift der AMD
Literaturhinweise
Rabea Rentschler,
Ulrich Laepple
Kirche mit Herz und Hand.
Wie Gemeinden ihr diakonisches Potenzial entfalten
können, Gerth Medien,
Asslar, 2009, 144 S.
Mit Community Care ist innerhalb von Willow Creek eine
neue Form von gemeindenaher Diakonie entstanden. Wie fantasievoll, wie relevant, wie liebevoll
solche Arbeit gestaltet werden kann, zeigt dieser
Einblick in eine faszinierende und facettenreiche
diakonische Arbeit. Sie hat nicht zuletzt dadurch
Überzeugungskraft, dass Lebenshilfe und Glaubenshilfe wie selbstverständlich zusammen gehen.
Praktische Schritte und Sehhilfen zur Entwicklung von Gemeindediakonie in unseren Kirchen
und Gemeinden ergänzen den Überblick. UL
Manuel Liesenfeld (Hrsg.)
Gemeinsam verändern
wir die Welt. Gemeindediakonie neu entdecken.
Ein praktischer Leitfaden,
Evangelische Gesellschaft,
Stuttgart, 2010, 80 S.
Initiatoren und Praktiker
verschiedener diakonischer
Projekte der Ev. Brüdergemeinde Korntal berichten
von ihren Erfahrungen. Sie zeigen, wie Projekte
von der Bedarfsanalyse über die Planung bis zur
Realisierung kreativ verwirklicht werden können.
Ob Fahrradwerkstatt für Kinder, Kleidermarkt für
Frauen oder die Arbeit mit Migrantinnen – das
Buch ist ein praxisnaher Leitfaden für engagierte
Gemeinden und ihre Mitglieder.
Jonathan Straßheim,
Miriam Straßheim,
Ramona Koch
Aufbruch zum Nächsten!
Jugendarbeit, die Wege
bahnt – vom Rand der
Gesellschaft mitten in
eine „Gemeinde für alle“,
Aussaat-Verlag
Neukirchen, 2010, 176 S.
Das Buch ist ein Buch aus der Praxis für die
Praxis. Mit vielen konkreten Beispielen, Fragen
zur Reflexion und unzähligen Anregungen. Es
handelt nicht nur davon, wie die Gemeinde
zu den Außenseitern der Gesellschaft gehen
kann, sondern es fragt auch danach, wie sozial
benachteiligte junge Menschen in die Mitte der
christlichen Gemeinde gelangen können: Wie
kann meine Gemeinde offen und integrationsfähig werden? Wie können sozial benachteiligte
junge Menschen Jesus kennen lernen? Was sind
konkrete Schritte für den Aufbruch zum Nächsten in meiner Gemeinde?
Tobias Braune-Krickau,
Stephan Ellinger (Hrsg.)
Handbuch Diakonische
Jugendarbeit, Neukirchener
Verlag, 2010, 671 S.
Dieses Handbuch führt umfassend und in
ökumenischer Perspektive in die Themengebiete
und Handlungsfelder diakonischer Jugendarbeit
ein. Das Gemeinsame der Beiträge ist der „zweite
Blick“: Verstehen statt Stigmatisieren, überlegtes
statt überhastetes Handeln, Fokus statt Weitwinkel.
Es richtet sich gleichermaßen an Praktiker wie
an Wissenschaftler, an interessierte Laien wie an
Studierende und Auszubildende an Universitäten,
Fachhochschulen und Ausbildungsstätten für
soziale Berufe. Diakonische Jugendarbeit setzt zum
einen die pädagogischen Wahrnehmungs- und
Handlungskompetenzen voraus, die es ermöglichen, professionell mit Phänomenen wie Gewalt,
ADHS, Migration, Sucht, Rechtsextremismus oder
beruflichen Übergangsprozessen umzugehen. Zum
anderen erfordert sie die theoretische Reflexion
der theologischen, gesellschaftlichen und institutionellen Horizonte, in denen diese Praxis immer
schon stattfindet. Zu beidem möchte das Handbuch
Diakonische Jugendarbeit beitragen.
Lore Bartholomäus
Ich bin an deiner Seite. Eine
Ermutigung für pflegende
Angehörige, Reihe Geistlich
Leben, Bd. 28, BrunnenVerlag Gießen, 2010
Lore Bartholomäus hat ein sensibles Buch geschrieben. Sie erzählt
ihre eigene Geschichte an der
Seite ihres Mannes, den sie durch eine langjährige
Krankheit begleitet, gepflegt und schließlich auch im
Sterben losgelassen hat. Aber es ist keine Erzählung,
die nur vom Schmerz berichtet. Tiefe Dankbarkeit
für die geschenkten Jahre wird zwischen den Zeilen
laut, aber die Mühsal der gleichen Zeit wird nicht
verschwiegen oder übertönt.
Es ist ein Buch, in dem beides zur Sprache kommt:
die Härte der Krankheit, der Verlust an Freiheit für
den Kranken und die Pflegenden, die Last, die diese
Zeit der Begleitung auf den Tod zu bedeutet. Aber
daneben und tief verwoben in dieses Erzählen von
der Krankheit kommt auch zur Sprache, dass im
Glauben Kraft liegt, dass der Glaube zum Durchhalten hilft, dass der Glaube vor der Versuchung zur
Hoffnungslosigkeit bewahrt.
„Eine Ermutigung für pflegende Angehörige“ verheißt der Untertitel. Das hat Lore Bartholomäus
in meinen Augen eingelöst, gerade weil sie nie
sagt: „So muss es bei euch auch gehen.“ Sie erzählt
ihre Geschichte. Und als Leser darf ich an dieser
Geschichte sehen, wie einem Kraft zuwachsen
kann für einen Weg, den man sich nie und nimmer
selbst führen würde. Paul-Ulrich Lenz
Volker Herrmann,
Martin Horstmann (Hrsg.)
Wichern drei –
gemeinwesendiakonische
Impulse, Neukirchener
Verlag, 2010, 237 S.
mi––di 7 | Frühjahr 2011
angestoßen
Kirche im sozialen Lebensraum
In zahlreichen Beiträgen
namhafter Autoren bietet dieses
Buch einen Einblick in und einen Ausblick auf die
neuere Diskussion um Gemeinwesendiakonie.
Sie bedeutet einen starken Impuls und Aufbruch
jenseits einer nach innen orientierten Gemeindediakonie und der öffentlichen Einrichtungsdiakonie. Dabei gehört die Bündnisfähigkeit mit
bürgerschaftlichen Initiativen im Sozialraum zu
den wichtigen Stichworten dieses Ansatzes, der
Wicherns Konzept der Inneren Mission über
Gerstenmeiers sozial-politischen Ansatz („Wichern
zwei“) in ein Konzept sozial-räumlich orientierter
Diakonie weiterentwickelt („Wichern drei“). UL
Salz der Erde bleiben
Joachim Wilzki berichtet über die
Arbeit der Ehrenamtsakademie der
Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens
9
Nahe bei den (kranken) Menschen
Angela Glaser schildert den Start des
Pilotprojekts „Vis-a-vis“
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„Inklusion“
Was die UNO mit unseren Gottesdiensten zu tun hat, beantwortet
Thomas Günzel ab Seite
Hans Jürgen Dusza beschreibt,
wie kirchliche Trauerbegleitung in der Ortsgemeinde zu einem wirksamen
diakonischen Prozess werden kann. Dabei gibt
er praktische Anregungen nicht nur für das
Trauergespräch und die Bestattung, sondern auch
für besondere gemeindliche Angebote wie den
Besuchsdienst für Trauernde oder das Trauercafé. Persönliche Berichte von Mitarbeitenden
lassen diese Arbeitsbereiche anschaulich werden.
Erfahrungen aus der katholischen Kirche bieten
eine interessante Horizonterweiterung für die
Gemeindearbeit. Entdecken Sie die vielfältigen
Möglichkeiten, die sich auch für Ihre Gemeinde
und Trauerbegleitung ergeben!
Die in diesem Band versammelten Aufsätze werben für
ein Verständnis von Diakonie, das sich dem
Angebot des Evangeliums als der Einladung zum
Glauben nicht entzieht, sondern Lebenshilfe und
Glaubenshilfe zusammenhält. Dies erscheint
den Autoren (M. Herbst, U. Laepple, S. Fleßa,
K. Teschner, M. Reppenhagen) gleichermaßen
wichtig für die Diakonie der Gemeinde wie für
die Diakonie der Einrichtungen. UL
1
dokumentiert
Hans Jürgen Dusza
Trauerbegleitung in der
Gemeindepraxis.
Ein Plädoyer für die
Kirche am Ort, Aussaat,
Neukirchen, 2011, 96 S.
Michael Herbst,
Ulrich Laepple (Hrsg.)
Das missionarische
Mandat der Diakonie
(BEG 7), Neukirchen, 2010
(2. Aufl.), 150 S.
Gemeinwesendiakonie –
Kirche im sozialen Lebensraum
Drei mutmachende Beispiele aus
Leichlingen, Berlin und der Region
Stolpen (Ostsachsen)
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inspiriert
„manna“ – Gemeinsam gegen
Armut und Ausgrenzung
Stefanie Reutter stellt ein Armutsprojekt vor, das „Kraft für einen Tag“
gibt
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„Gemeinwesenarbeit“ ist ein Stichwort,
das die Diskussion in Kirche und Diakonie
in den letzten Jahren neu bestimmt.
Sie bedeutet Präsenz und Aktion der
Gemeinde im sozialen Lebensraum.
In Mehrgenerationenhäusern, in umgewidmeten Gemeindehäusern oder in neu
gegründeten „Familienzentren“ arbeiten
nicht selten Gemeinde, Diakonie und
Kommune zusammen. Die Gemeinde
steht damit vor der Aufgabe, sich lebens-
weltlich zu qualifizieren und zugleich ihr
Profil nicht zu verstecken, sondern offen
zu vertreten. Das wird im Folgenden an
zwei Familienzentren, einem schon
erfahrenen freikirchlichen und einem im
Aufbau befindlichen landeskirchlichen
illustriert. Das dritte hier vorgestellte
Projekt – auf dem Land in Ostsachsen –
zeigt, dass zur Gestaltung von Gemeinwesendiakonie auch Unternehmergeist
gehört.
Tragbare
16
Die EKD-Bildungsinitiative
„Erwachsen glauben“,
vorgestellt von Andreas Schlamm
19
Glaubenskurse in der Diakonie?
Ute Kampa berichtet über die
Umsetzung von „Spur 8“
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Aus der AMD
Midi-Netzwerk und Tagungen
Impressum
Lesen Sie bitte weiter auf Seite 2
19
8
angestoßen
mi–di 2 e d i t o r i a l
midi
–di
3 mi
Familienzentrum
Beispiel
Liebe
Leserin,
lieber
Leser,
nach einer längeren Pause liegt wieder eine
neue Ausgabe von mi-di bei Ihnen auf dem
Tisch. Das Grundthema von mi-di, Mission
und Diakonie zu verbinden, bleibt so aktuell wie je. Die große Frage, die die Einrichtungsdiakonie und die Gemeindediakonie
klären müssen ist: Wie gehören Glaubenshilfe und Lebenshilfe zusammen? Eine
stumme Diakonie, die den Glauben, aus
dem sie stammt, verschweigt, macht sich
überflüssig. Eine verzweckte Diakonie, derer sich eine Gemeinde nur taktisch bedienen würde (um sich wichtig zu machen, um Einfluss zu gewinnen, vielleicht
um sich zu vergrößern), würde den Nächsten nur benutzen. Es kommt also auf das
Motiv an, das in nichts anderem bestehen
kann als darin: dass Gott in seiner Liebe,
wie sie im Evangelium von Jesus Christus
aufscheint, den Menschen sucht und ihm
an Leib und Seele heilsam begegnen will.
Dass damit nicht nur die diakonischen
Einrichtungen angesprochen sind, sondern „Diakonie“ immer deutlicher wieder
ein Wort der Gemeinde wird, zeigen viele Entwicklungen: die gut besuchten Tagungen, die das midi-Netzwerk zum Thema „Gemeindediakonie“ durchführen
konnte (vgl. S. 19), der erfolgreiche Aufbruch, der von der EKD und dem Diakonischen Werk der EKD zum Thema
„Gemeinwesendiakonie“ ausgeht. Es zeigt
sich an einer neuen Fülle von Literatur
zur Gemeindediakonie (vgl. S. 20) und
nicht zuletzt in dem Willen von immer
mehr Gemeinden, Mitverantwortung für
die Gestaltung ihres lokalen und sozialen
Lebensraums zu übernehmen. Hier liegt
der Schwerpunkt dieser mi-di-Ausgabe.
Sie will dazu reizen, dass wir uns auf das
Wort Jesu neu einlassen: „Lasst euer Licht
leuchten unter den Menschen, dass sie
eure guten Werke sehen und euren Vater
im Himmel preisen“ (Mt. 5,16). Dazu aber
muss eine Gemeinde Wagnisse eingehen,
vor allem: sich für „andere“ öffnen.
Ihr
Ulrich Laepple verantwortet den Fachbereich
„missionarisch-diakonischer Gemeindeaufbau“ bei der
Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste (AMD) im
Diakonischen Werk der EKD.
Beispiel eine russische Mutter für eine
große Feier das Essen gekocht, eine Ungarin in der Theatergruppe mitgespielt
und eine Polin auf einer Feier gesungen.
Ebenso ist eine 24-jährige Küchenhilfe mit Down-Syndrom bei uns integriert.
Ihre Mutter ist sehr engagiert und bietet
anderen Müttern mit behinderten Kindern eine Gesprächsgruppe an.
Als Familienzentrum wollen wir
ein Ort der Gemeinschaft sein.
Lern- und Lebensort einer
missionarisch-diakonischen Gemeinde
D
ie Landesregierung NRW hatte
im Jahr 2005 beschlossen, bis
zum Jahr 2012 ein Drittel der
Kindertagesstätten zu so genannten
„Familienzentren“ weiterzuentwickeln.
Das „Familienzentrum Schatzkiste“ in
Leichlingen-Kuhle erhielt im Jahr 2007
die Erlaubnis, an den Start zu gehen.
Wir bekamen im Sommer 2008 das
Gütesiegel ausgehändigt.
Bislang waren wir bekannt als „Kindertagesstätte Kuhle e.V.“, eine dreigruppige
Einrichtung in Evangelisch-Freikirchlicher
Trägerschaft. Wir sind angesiedelt in
einem Stadtteil von Leichlingen im
Bergischen Land. Im Oktober 1971 wurde
mit der Arbeit der Kindertagesstätte
begonnen. Die damalige Trägerschaft
hatte die Evangelisch-Freikirchliche
Gemeinde Leichlingen-Weltersbach, fünf
Kilometer von der Kindertagesstätte
entfernt. Seit 1987 entwickelte sich auf
dem Gelände der Kindertagesstätte eine
selbstständige Gemeinde mit neuerbauter Kirche und Gemeinderäumen. Eine
gute und intensive Zusammenarbeit
zwischen der örtlichen Gemeinde und
der Kindertagesstätte war uns von Anfang
an ein wichtiges Anliegen. Gemeinsam
wollten wir die Herausforderungen im
diakonischen und missionarischen
Bereich erkennen und gestalten.
Als wir uns näher damit befassten uns
als Familienzentrum zu bewerben, konnten wir erleichtert feststellen, dass bisher
schon viele Familienangebote bei uns in
der Kirchengemeinde und in der Kindertagesstätte stattfanden: Familienfreizeiten,
Frauenfrühstückstreffen, Elternabende
mit Erziehungsthemen, Hilfsangebote
für Familien in Not …
Als „Familienzentrum Schatzkiste“
wollten und mussten wir herausfinden,
welche Familien (nicht nur die Eltern der
Kindertagesstätte) in unserer nächsten
Umgebung leben und welche Bedürfnisse
sie haben. Jedes Jahr führen wir mit der
Hilfe eines Fragebogens eine „Elternabfrage“ durch, die unterschiedlichste
Wünsche der Eltern erfragt. So entwickeln wir die jeweilige Jahresplanung.
Wir arbeiten jetzt viel strukturierter.
Unser „Familienzentrum Schatzkiste“
bietet an:
❚ feststehende wöchentliche Treffen in
Gruppen;
❚ individuelle Beratung in Erziehungs-,
Partnerschafts- und allgemeinen Lebensfragen;
❚ übers Jahr verteilt Kurse und Seminare,
Konzerte und Kabarettveranstaltungen,
Ausflüge und Wochenendfreizeiten.
Wichtig ist uns die Integration, d.h. Jung
und Alt, Familien mit Migrationshintergrund, Familien mit behinderten Kindern, alleinerziehende Mütter, Christen
und Nichtchristen. Die unterschiedlichsten Menschen sollen sich bei uns angenommen wissen, füreinander Verständnis bekommen und sich mit ihren
Möglichkeiten einbringen. So hat zum
Viermal im Jahr laden wir eine Woche
lang in unser Frühstückscafé ein. Es gibt
Frischkornbrei, belegte Brötchen und
Kuchen. Das Café ist ein offenes Angebot
für Eltern, Nachbarn, Mitglieder – besonders Senioren – der Kirchengemeinde.
Vorbereitet und verantwortet wird das
Café von unseren Eltern. Mit uns
verbunden sind auch Väter, wenn sie mit
ihrem Kind am „Vater-Kind-Vormittag“
oder an der Zeltfreizeit für Väter mit
Kindern teilnehmen.
Die Familien sollen in unserem Familienzentrum Unterstützung erfahren. Es
beginnt schon gleich nach der Geburt,
dass die Mütter sich zur Rückbildungsgymnastik treffen. Für die jungen Mütter
und auch Väter bieten wir an jedem
Vormittag eine Krabbelgruppe bzw. einen
Spielkreis je nach Alter an, wo unter
Anleitung die Elternkompetenz gefördert
wird. Die Berufstätigkeit der Eltern stellt
einen erhöhten Betreuungsbedarf dar,
manchmal auch im Krankheitsfall. Wir
nehmen z. T. Kinder auch schon unter
drei Jahren auf. Im Einzelfall vermitteln
wir Babysitter. „Aktion Help“ wurde in
der Gemeinde gegründet. Wenn Unterstützungsbedarf besteht, ob beim Umzug
oder bei der Einrichtung des Computers,
finden sich immer Menschen, die dazu
bereit sind.
Die Praxis für Erziehungsberatung und
die Praxis für Lernförderung bieten den
Eltern wöchentlich Beratungsgespräche
an. Das Erstgespräch ist kostenlos. Eine
Psychologin berät regelmäßig Paare oder
auch Einzelne. Kinder erhalten bei uns
Ergotherapie, Logopädie, Lerntherapie.
Eine weitere Aufgabe unseres Familienzentrums ist die Bildungsarbeit. Es finden die unterschiedlichsten Kurse und
Einzelseminare zum Thema „Erziehung“
statt. Außerdem wollen wir die Eltern
in ihrer Persönlichkeit stärken und bieten u. a. Kommunikationstraining, einen
Kurs für Zeitmanagement und Entspannungstraining an. Außer unseren allgemeinen Bildungsangeboten für Kinder
bieten wir die musikalische
Frühförderung und Flötenspiel durch die Musikschule
sowie Englischunterricht ab
vier Jahren an.
All diese unterschiedlichen Angebote sind möglich,
weil wir eine Kirchengemeinde haben, die uns
Räumlichkeiten zur Verfügung stellt und sich mit
vielen Ehrenamtlichen einsetzt. Außerdem gelingt eine qualitativ gute Arbeit
in Kooperationen mit verschiedenen
Instituten und Fachleuten. Zweimal pro
Jahr tauschen wir uns in der dafür installierten „Lenkungsgruppe“ aus. Auch
wenn wir vom Jugendamt monatlich
1.000 Euro zusätzlich für das Familienzentrum bekommen, müssen wir sehr
darauf achten, wie wir die umfangreichen
Angebote des Familienzentrums finanzieren können. Wir freuen uns über kleine
und große Einzelspenden. Wir erleben
hochmotivierte Kinder und Eltern beim
Sponsorenlauf. Durch Spenden konnte
im letzten Jahr ein Brotbackhaus entstehen. Hier können alle begeisterten „Brotbäcker“ wöchentlich in Gemeinschaft ihr
eigenes Brot backen.
erfordert sensibles Vorgehen und transparentes Handeln. Den vielen Kindern und
Eltern sowie den Großeltern wollen wir
diese wichtigste Nachricht der Welt
weitergeben. Dafür suchen wir immer
wieder neue Wege der Kommunikation
und der Beteiligung. Bisher vermitteln
wir unsere biblischen Werte und den
christlichen Glauben in Elterngesprächen,
Gottesdiensten, Kabarett- und Gästeabenden, Candlelight-Dinners und Elternabenden mit besonderen Themen („Kinder
begegnen dem Tod“, „Kindliche Gottesbilder“, „Verlorene Werte“, „Als Beschenkte/
Gesegnete leben lernen“). Der „rote Faden“
der Liebe Gottes soll und darf immer
wieder in unserem Familienzentrum mit
allen Sinnen wahrgenommen werden.
www.familienzentrum-schatzkiste.de
Rückblickend auf die Arbeit von
zweieinhalb Jahren als „Familienzentrum Schatzkiste“ sind wir
davon überzeugt, dass wir durch
die Einrichtung bereichert wurden.
Christiane Bohlen,
Leiterin des
„Familienzentrums
Schatzkiste“ in
Die Eltern sind froh und dankbar, dass so
vielfältige Angebote ortsnah und bezahlbar ermöglicht werden, dass durch die
verschiedenen Freizeitangebote Kontakte
und neue Freundschaften entstehen und
ihre Kinder durch die vielen Angebote
eine höhere Sozial- und Wissenskompetenz erreicht haben. Die Mitarbeiterinnen
machen trotz höherer Belastung auch
viele positive Erfahrungen durch eine
größere Vernetzung, Erweiterung der
Zielgruppe, erhöhte Fortbildungsangebote und stärkeres diakonisch-missionarisches Bewusstsein und Handeln.
Die Kirchengemeinde erlebt das Familienzentrum bereichernd bei gemeinsamen
Veranstaltungen, durch eine größere
Zahl an Kontakten zu Eltern, die keinen
Gemeindebezug haben, durch einen erweiterten Kreis von Ehrenamtlichen aus
der Elternschaft, die sich mit Enthusiasmus und Idealismus einbringen.
Als Familienzentrum in christlicher Trägerschaft verstehen wir unseren Auftrag
diakonisch und missionarisch. Letzteres
Leichlingen-Kuhle
Die Familie steht im Zentrum
Angeregt von der parteiübergreifenden Stärkung
der Familienpolitik sollten die Tageseinrichtungen
für Kinder in NRW zu Familienzentren weiterentwickelt und mit ihrer bestehenden Infrastruktur
an Einrichtungen und Angeboten zur Förderung
von Kindern und zur Unterstützung von Familien
genutzt und weiter ausgebaut werden. Bildung,
Erziehung und Betreuung als Aufgabe der Kindertageseinrichtung nach §22 SGB VIII werden mit
Angeboten der Beratung und Hilfe für Familien
zusammengeführt, um so „Leitstellen für soziale
Gestaltungsprozesse im Stadtteil“ und „Knotenpunkte in einem neuen Netzwerk“ zu schaffen, die
den Bedürfnissen von Familien entgegenkommen
und ihnen unter Berücksichtigung lokaler Gegebenheiten „als verlässliche Anlaufstellen für Alltagsfragen“ dienen.
»»»»
mi–di 4
5 mi–di
Beispiel
Familie im
sozialen
Brennpunkt
rum haben wir uns gefragt: „Dienen“
unsere Gemeinden dem Märkischen
Viertel? Wird der Charakter des Reiches Gottes für unsere Nachbarn
durch uns sichtbar? Ich glaube: nicht
genug.
Was können die evangelischen
Gemeinden vor Ort konkret für die
Menschen des Märkischen Viertels
tun?
Wir sind Kirche im Märkischen Viertel, wir haben unseren Platz mitten im
Kiez. Und das seit Jahren. Kirche ist
verlässlich vor Ort, das ist unsere Stärke. Konkret halten wir offene Angebo-
Das Märkische Viertel gehört zu den sozialen Brennpunkten Berlins.
Zwei Kirchengemeinden haben sich zusammengetan, um mit Hilfe
„Was für eine Gemeinde wollen wir bauen?“ auch eine ausführliche Kontextanalyse und weitere spannende Schritte. Dabei kristallisierte sich heraus,
dass ein Familienzentrum der richtige
Weg sein könnte, um eine gesellschaftsrelevante Gemeinde im
Märkischen Viertel zu entwickeln.
Wie haben Sie den „Kontext“ erforscht?
Die gründliche Kontextanalyse war für
den Entstehungsprozess vielleicht der
wichtigste Baustein. Deutlich wurde,
dass unsere Gemeinde wenig im Kiez
verankert ist. Gerade noch 18 Prozent
der Gottesdienstbesucher kommen aus
Christen im Märkischen Viertel
wollen Gesicht zeigen.
des Kirchenkreises ein Familienzentrum zu gründen und aufzubauen.
Warum brauchen die Menschen im
Kindern und Familien in unterschiedMärkischen Viertel ein Familienzentrum? lichen Lebenslagen und mit unterschiedSeit mehr als vier Jahrzehnten sind die
lichen Bedürfnissen bereitzustellen.“
landeskirchlichen Kirchengemeinden im
Das wollen wir tun, und zwar auf dem
Märkischen Viertel Teil der gewachseFundament der Gemeindeprofile unserer
nen Strukturen vor Ort. Deshalb reagiebeiden Gemeinden. Denn die Familie
ren wir sensibel auf soziale Veränderunist die Keimzelle menschlicher Gemeingen in unserem Umfeld. Gemeinsam mit schaft. Diese wollen wir aus christlicher
vielen engagierten Menschen bereitet uns Motivation unterstützen und uns für
die soziale Entwicklung in diesem Viertel, Versöhnung und Heilung einsetzen. Das
insbesondere die Lebenssituationen der
bedeutet, dass die internen Strukturen
Familien, Sorge.
und Netzwerke gestärkt werden sollen
Die aktuellen Daten zeigen, dass die
und wir uns in vielen Bereichen ergänzen
meisten Kinder im Märkischen Viertel
können. Dabei ist es schon etwas Besonin Familien leben, die von Transferleisderes, dass zwei Kirchengemeinden sich
tungen abhängig sind. Das schafft ein
unter eine gemeinsame Vision stellen
hohes Maß an Kinderarmut mit Folgen
und daran arbeiten, sie zu verwirklichen.
wie Schulproblemen, materiellen Nöten
Das Familienzentrum möchte dabei eine
bis hin zur Verwahrlosung. Viele der
„Lotsenfunktion“ übernehmen.
neu zugezogenen Familien haben einen
Migrationshintergrund. Hier stehen
Wie hat alles angefangen?
sprachliche Defizite oder Nachbarschafts- Am Anfang stand eine sehr persönliche
konflikte im Vordergrund.
Betroffenheit. Ich selber bin in eher ländDarum haben im September 2009 die
lichen Gebieten aufgewachsen und erst
Kirchengemeinden Apostel-Johannes und Anfang 2007 mit meiner Familie nach
Apostel-Petrus als gemeinsame Initiative
Berlin ins Märkische Viertel gezogen. Die
die Gründung eines Familienzentrums
Geschwindigkeit und die Massivität der
vereinbart, um auf die Entwicklungen in
sozialen Veränderungen im Märkischen
unserer Nachbarschaft zu reagieren.
Viertel, die wir nun hautnah beobachten
konnten, haben mich im Kontrast zu unWas ist das Ziel eines
serer stabilen Gemeinde sehr bewegt.
„Familienzentrums“?
Unbefriedigend ist für mich der LösungsIch übernehme gerne die gute Zielformu- weg, sozialen Problemen auszuweichen
lierung aus dem Gütesiegel für Familien- und eine Nische zu finden, in der es sich
zentren in NRW. Dort heißt es: „Das Ziel gut leben lässt. Der französische Bischof
eines Familienzentrums ist es, Angebote
Jacques Gaillot prägte den Satz „Eine Kirzur Förderung und Unterstützung von
che, die nicht dient, dient zu nichts!“ Da-
te und Gruppenangebote für Kinder
und ihre Angehörige bereit, um ihnen in schwierigen Lebenssituationen
„Auszeiten“ zu schaffen und ihnen Begegnungen zu ermöglichen. Aus den
Begegnungen kann sich ein konkretes
Hilfeangebot entwickeln.
Darüber hinaus schafft das Familienzentrum Möglichkeiten zu Selbsthilfe
und vermittelt in Einzelfällen praktische Hilfe oder zu Beratungsangeboten.
Zu den konkreten Ideen gehören auch
Freizeit- und Ferienangebote und projektorientierte Arbeit im Familienzentrum. Die Angebote stärken die Persönlichkeit, laden zum Mitmachen ein und
helfen Menschen mit unterschiedlicher
Herkunft und Begabung, ihre Stärken
zu entdecken und Eigeninitiative zu
entwickeln.
Wichtig ist es, Räume zur Begegnung und zum Dienst an den Menschen zu schaffen.
Wie kann aus einer solchen Vision ein
erfolgreiches Projekt werden?
Das Projekt „Familienzentrum“ steht
in unserem Sinne für das Konzept
eines gesellschaftsrelevanten Gemeindebaus. Als Werkzeug nutzte ich den so
genannten Zyklus des gesellschaftsrelevanten Gemeindeaufbaus von Prof.
Dr. Johannes Reimer. In sieben Phasen
entwickelt sich darin eine Idee zum
konkreten Projekt. Der Zyklus erfordert
neben der Beantwortung der Fragen
„Wo wollen wir Gemeinde bauen?“ und
dem Märkischen Viertel. Zusätzlich
wurden die vorliegenden Daten des
sozialen Stadtmonitorings für uns ausgewertet, Gespräche mit Trägern der
Sozialen Arbeit und der Wohnungsbaugesellschaft geführt, Bewohner des Kiez
und Mitarbeiter der Gemeinden befragt.
Ich kann jedem, der an sozialmissionarischer Arbeit interessiert ist, nur empfehlen, eine Idee aus der Kontextanalyse
heraus zu entwickeln oder sie in diesem
Rahmen zu untermauern.
Besonders spannend fand ich
die Auswertung einer „geistlichen“
Kontextanalyse. Dafür wurden vier Mitarbeiter betend durch das Märkische
Viertel geschickt. Ich habe gestaunt,
wie viel wir von diesen Eindrücken
profitieren konnten. Beispielsweise
wurden besonders häufig die Schulen
bzw. Schüler als „offen“ wahrgenommen. Ein Eindruck war, dass „die Sinnfrage“ an schulischen Orten gestellt
wird. Und tatsächlich spiegelt sich
diese Offenheit auch in den Erfahrung
wider, die wir in der praktischen Arbeit
des Familienzentrums machen.
Warum heißt das Familienzentrum
„face“?
Ursprünglich war face die Abkürzung
für „Familiencentrum“. Da wir aber
Familienzentrum nicht immer mit
„c“ schreiben wollten, entdeckten wir,
dass dieser Name auch Gedanken ausdrücken kann, die uns wichtig, ja leitend sind, zum Beispiel: Wir wollen
als Christen im Märkischen Viertel
„Gesicht zeigen“. Die christliche Gemeinde ist das Gesicht Gottes in dieser Welt. Gott möchte durch uns für
die Menschen in unserem Kiez sichtbar werden. Jeder von uns kann Gott
ein Gesicht geben, wir gemeinsam
als Institution oder jeder Einzelne mit
seinem Leben, Reden und Handeln.
Oder: Wir wollen uns und unseren
Nachbarn mit Respekt und Würde
begegnen. Wir möchten als Christen
nicht, dass jemand sein Gesicht verliert – im Gegenteil: Menschen, die
uns begegnen, sollen ihr Gesicht wahren können. Wir wollen, dass jemand
„ein anderes Gesicht“ bekommt, Veränderung erfährt, sich entfalten und
entwickeln kann. Das ist ein wichtiges Ziel von Gemeinde und unserer
Arbeit. Echte Hilfe beginnt mit ehrlichen und authentischen Begegnungen
„face to face“. Dazu muss man „verortet“ sein. Dabei wollen wir auch vor
den Nöten und Sorgen der Menschen
nicht die Augen verschließen, sondern
„den Dingen ins Gesicht sehen“.
Wie gelingt es, engagierte
Mitarbeitende zu gewinnen und
in das Projekt einzubeziehen?
Ende Juni 2010 führten wir unsere
erste Zukunftswerkstatt durch. Die
Idee einer Zukunftswerkstatt ist es,
Menschen, in unserem Fall Interessierte aus den Gemeinden, am Entstehen des Familienzentrums zu beteiligen. Mit ihr wird ein offener Raum
geschaffen, um über bestimmte Problemfelder ins Gespräch zu kommen
und gemeinsame Idee zu entwickeln.
In drei Arbeitsphasen haben wir versucht, die Bedürfnisse der Menschen
im Märkischen Viertel zu erfassen
und entsprechende Angebote zu entwickeln. Das Ergebnis waren viele gute
Ideen und Ansätze, die wir nach einem einfachen System sortiert und bewertet haben. An vier Ideen wollen
wir in den nächsten Monaten konkret
weiterdenken.
Was für Ideen waren das?
„Streetteam“ – das ist das erste Projekt.
Das Konzept ist einfach: Wir wollen
auf den Straßen des Märkischen Viertels Gesicht zeigen. „Streetteam“ soll
ein bewusster Gegensatz zu den gewohnten „Komm-Strukturen“ sein, indem wir hinausgehen und Menschen
Unterstützung und Hilfe anbieten. Durch » »
mi–di 6
7 mi–di
www.familie.apg-berlin.de
www.apg-berlin.de
www.apojo.de
www.gesellschaftstransformation.de
schubfinanzierung seitens des Kirchenkreises hätten wir das Familienzentrum
nicht in dieser Weise entwickeln können.
Nach zwei Jahren müssen wir uns allerdings zum großen Teil selber finanzieren.
Letztlich müssen wir als Gemeinde die
Frage beantworten, ob der diakonische
Dienst zum Kern unserer Gemeindearbeit gehört und damit auch gleichwertig
unterstützt wird.
» » » » einheitliche T-Shirts/Pullover wollen wir
auch optisch präsent sein. Konkret könnten das Spieleangebote auf Spielplätzen
oder das Reinigen von Schmuddelecken
im Viertel sein.
Die zweite Idee war die Einrichtung
einer Hausaufgabenhilfe. Viele Kinder
im Märkischen Viertel erfahren bei der
Erledigung ihrer Hausaufgaben keinerlei
Unterstützung, und die vorhandenen
Hilfsangebote sind sehr überlaufen.
Gemeinsam mit der CVJM-Baracke im
Märkischen Viertel konnten wir das
Projekt „Hausaufgabenhilfe“ etablieren.
Viermal wöchentlich, wechselnd in den
Räumen der Apostel-Johannes-Kirchengemeinde und der CVJM-Baracke, werden
20 Schülerinnen und Schüler betreut und
gefördert.
Die dritte Idee ist die Einrichtung
eines Cafés. Jeden zweiten und vierten
Mittwoch im Monat verwandelt sich der
Raum vor der Kapelle der Kirchengemeinde Apostel-Petrus in ein nettes kleines Cafe. Der Kaffeeduft zieht einladend
um die Ecke und lädt ein hereinzukommen. Eine tolle Möglichkeit die Nachbarn
zu treffen, nette Menschen kennen zu
lernen und sich auszutauschen.
Neben der Geselligkeit bietet das Cafe
allen Interessierten einen guten Rahmen,
sich über Hilfsangebote für Eltern und
Kinder oder Senioren zu informieren
oder auch mit einer Mitarbeiterin über
Themen zu reden, die sie gerade beschäftigen.
Die vierte Idee ist, in Schulkooperationen zu investieren. Hier erleben wir
offene Türen, merken aber auch, dass
Projekte langfristig geplant werden
sollten.
Darüber hinaus arbeiten wir zur Zeit
an der Einrichtung einer Kleiderbörse
und eines konkreten Nachbarschaftshilfenetzwerks für Senioren, Alleinerziehende
und Pflegebedürftige.
Gab es und gibt es Widerstände in den
Kirchengemeinden?
Es ist wichtig, die eigene Gemeinde auf
den Weg in eine Neuausrichtung des
diakonischen Gemeindeaufbaus emotional und theologisch mitzunehmen.
Berichte über frühere gescheiterte oder
institutionalisierte Projekte legen das
von vornherein nahe. Dabei stellen sich
uns die Fragen: Wie begeben wir uns
ins Gespräch mit den vielfältigen Anbietern und Institutionen des Viertels?
Aber auch: Wie können wir als evangelische Kirche im Märkischen Viertel den
Menschen vor Ort angemessen und mit
unserem eigenen Profil dienen?
Ich empfinde es als normal, dass
neue und unbekannte Projekte bei dem
einen oder anderen Gemeindeglied
Sorgen auslösen. Niemand möchte etwas
übergestülpt bekommen. Von Beginn
an war es uns wichtig zu betonen: „Jeder
kann mitmachen, niemand muss!“ Das
zu vermitteln ist nicht überall gleich gut
gelungen. Es verlangt eine sehr sensible
Kommunikation und den guten Willen
der Beteiligten, sich mit der Gemeinde
zu einem Zeitpunkt auf einen Weg zu
machen, wenn das Ergebnis noch nicht
erkennbar ist.
Die Gemeinde muss sich sicherlich auch
finanziell auf die neue Arbeit einstellen.
In der Tat. Man sollte nicht verschweigen:
Wenn es wirklich unser Wille ist, eine gesellschaftsrelevante Gemeindearbeit zu
gestalten, kommen wir nicht umhin, materielle Mittel, also Geld, einzusetzen.
Ohne die Hilfe einer großzügigen An-
Wie passt sich das Familienzentrum in
die sonstigen Aktivitäten der Gemeinde
ein?
Nicht alles, was die Gemeinde für Familien, Kinder und Jugendliche anbietet, ist
nun plötzlich „Familienzentrum“. Wir
spüren, genauso wichtig wie die Vernetzung ins Märkische Viertel ist die Verbindung unserer Arbeitsbereiche in den Gemeinden. Das möchten wir ausfüllen, um
uns anschließend gemeinsam nach außen zu präsentieren.
Mit einem Augenzwinkern beobachte
ich, dass unsere internen Unterscheidungen von unseren Partnern nicht so
differenziert wahrgenommen werden.
Sie verfolgen in Ihrer Gemeinde das
Konzept eines missionarischen Gemeindeaufbaus. Wie passt sich das Familienzentrum in dieses Konzept ein?
Die Arbeit unseres Familienzentrums ist
eingebettet in die Gemeindearbeit und mit
der sozial-diakonischen Ausrichtung ein
toller Baustein für missionarischen Gemeindebau. Dabei geht es um die spannende Frage, wie wir als Gemeinde mitten
in der Welt, an unserem eigenen Standort,
mit unserer spezifischen Nachbarschaft leben und sie mitgestalten können.
Können Sie schon über die
ersten Erfahrungen berichten?
Wir erleben offene Türen. Ich habe den
Eindruck, dass Kirche im Gemeinwesen
immer noch ein gern gesehener Partner
ist. Darüber hinaus glaube ich auch, dass
es von uns als Kirche erwartet wird, dass
wir uns unserer gesellschaftlichen Verantwortung stellen.
Matthias Gebhardt,
Leiter des Familienzentrums.
Beispiel
Rumänien • Bildung • Biohof • Soziale Arbeit
Ein Projekt für und mit Langzeit arbeitslosen braucht
erfinderische Liebe und Unternehmergeist
W
ie kann Glaube im ländlichen Raum in einer
säkularisierten Region glaubwürdig gelebt werden? Diese Frage beschäftigte vor ca. zwölf Jahren einige Christen in der Region Stolpen (Ostsachsen).
Im September 1999 entstand das projekt LEBEN e.V.
greifbarer Nähe. Doch dann wurde die Förderung nicht
genehmigt – ein herber Rückschlag. Veränderungen in
der Arbeitsmarktpolitik ließen die soziale Arbeit auf ein
Minimum schrumpfen. Der „bewässerte Garten“ war
von den Sandstürmen der Realität überweht worden.
Erste Schritte in der Region
Fragen und Hoffnungszeichen
Es eröffnete sich die Möglichkeit, einen alten, leer
stehenden Bauernhof zu erwerben. Was sollte mit diesem Haus entstehen? Wie könnte damit unser Anliegen umgesetzt werden? Eine Vision wurde formuliert:
„Wir wollen Oase sein und Oasen pflanzen helfen, wo
Menschen aufatmen, mitleben und überleben können.“
Grundlage dazu war ein Prophetenwort aus Jesaja 58:
„Du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine
Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlen wird.“
Mit Unterstützung der Diakonie Sachsen entstand
ein kleiner Biohof als Zweckbetrieb für die Soziale Arbeit mit arbeitslosen Jugendlichen. Es gab viel
Enthusiasmus, großzügige Unterstützung, aber auch
manche Rückschläge und Enttäuschungen. Die Zusammenarbeit mit dem zuständigen Arbeitsamt gestaltete
sich manchmal schwierig, weil ständig wechselnde
Ansprechpartner und die kurzfristige Streichung von
Förderungen keine Kontinuität zuließen. Der häufige
Wechsel der Anleiter, die über ABM beschäftigt waren,
trug kaum zur Qualität der Arbeit bei. Doch die Arbeitsgrundlagen verbesserten sich in kleinen Schritten. Der
Verkauf von Biogemüse und Weihnachtsgänsen sicherte einen bescheidenen Überschuss. Der alte Kuhstall
des Bauernhofes wurde zu einem Saal umgebaut, Holzheizung und biologische Kläranlage konnten eingebaut
werden, ein Hofladen und ein Büro entstanden. Zwei
vermietete Wohnungen im Obergeschoss sicherten die
monatlich fälligen Ratenzahlungen. Das alles war nur
durch die Unterstützung unserer Mitglieder und Freunde möglich, die großzügige Spenden oder zinslose Darlehen über längere Zeiträume zur Verfügung stellten.
Im Jahr 2000 entdeckte ein Mitarbeiter eine verwilderte Aroniaplantage (www.bio-aronia-shop.de), die
langfristig gepachtet werden konnte. 2002 bewirtschaftete der Verein 42 Hektar Pachtland. Die Anstellung
eines Landwirts zum Aufbau des Biohofes lag in
In stillen Stunden kamen viele Fragen: Ist es sinnvoll,
überhaupt weiterzuarbeiten? Was hat die Arbeit mit
langzeitarbeitslosen Menschen mit unserem Glauben
zu tun? Werden wir unserem eigentlichen Anspruch
mit dieser Arbeit gerecht? Wie gelingt die Verknüpfung zwischen dem missionarischen Anliegen und der
sozialdiakonischen Arbeit? Wie kann die Arbeit ausgebaut werden, auch wenn weniger Fördermittel zur Verfügung stehen? Wie können wir uns besser mit anderen Christen vernetzen und Oase für andere sein?
2004 entstand ein Ziegenhof als privater Pachtbetrieb. Der Verein überließ dem neuen Betrieb die
Scheune und ca. 35 Hektar Pachtland. Erst 2006
konnte im Verein mit sechs Langzeitarbeitslosen ein
bescheidener Neuanfang der sozialdiakonischen Arbeit
gestartet werden. Im darauf folgenden Jahr mussten
wir unser Gemüsefeld abgeben. Ein paar Wochen nach
der Rückgabe wurden wir von der ARGE angefragt, ob
wir uns vorstellen könnten, Gemüse für die „Tafel“ in
Neustadt anzubauen. Ohne Land, ohne personelle und
finanzielle Ressourcen? Im Grunde unmöglich. Wir
sagten trotzdem zu.
Und dann fügte sich alles wundervoll, sodass wir im
März 2008 mit zwölf langzeitarbeitslosen Menschen
beginnen konnten. Der Kleingartenverein war dankbar
für die Nutzung einiger brachliegender Gärten. Die
ARGE stellte die notwendigen Finanzen zur Verfügung.
Anfänglich gab es große Vorbehalte der Gartenbesitzer.
Dort wurde deutlich, dass Langzeitarbeitslose keine
Lobby haben und Faulheit und Desinteresse grundsätzlich unterstellt werden.
Aber mit jedem neu entstehenden Beet änderte sich
die Einstellung der Nachbarn. Jedes Jahr werden ca. 2,5
Tonnen Gemüse geerntet. Das sind wichtige Erfolgserlebnisse für Menschen, die sonst nicht gebraucht
werden. Noch viel wichtiger sind die Kontakte zu
»»»»
mi–di 8
9 mi–di
dokumentiert
„Du wirst sein wie eine Quelle,
der es nie an Wasser fehlen wird.“
» » » » » » » » » » » » » » » » » » » » den Mitarbeitern. Regelmäßige Schulungen mit dem
Kirchenbezirkssozialarbeiter, der Schuldnerberatung
und der Suchtberatung, gemeinsame Mahlzeiten zu
»»»
besonderen Feiertagen und persönliche Gespräche
lassen etwas von der Menschenfreundlichkeit Gottes
aufleuchten.
Und wenn wir erzählen, warum wir Weihnachten
feiern oder beten, wird es still im Raum und einigen ist
echtes Interesse abzuspüren. Von zwölf Mitarbeitern
gehören zwölf keiner Kirche an. Aber Gottes Liebe
macht nicht an Kirchengrenzen halt.
Verantwortung auch in der Fremde
Diese grenzenlose Liebe erleben wir auch bei unserer
Arbeit in Rumänien. Schon 1998 entstand der Kontakt
zu einer jungen Romakirche, die in den vergangenen
Jahren enorm gewachsen ist. Gab es 1998 dort ca. 120
Gemeinden, so sind es heute etwa 730 im ganzen Land.
Viele Roma werden Christen und lassen sich taufen.
Die Arbeit ist uns zugewachsen. Wir nehmen sie gerne
an und sehen unseren Auftrag bei der Aus- und
Weiterbildung kirchlicher Mitarbeiter, der Schulung
von Frauen zu Gesundheits- und Erziehungsthemen,
der Förderung von Jugendlichen und Kindern durch
Bildungspatenschaften und Hausaufgabenhilfe. Die
wichtigsten langfristigen Ziele sind der Aufbau einer
geordneten Gemeindediakonie und der Aufbau einer
theologisch-diakonischen Aus- und Weiterbildung für
kirchliche Mitarbeiter.
Bei unserer Arbeit in Rumänien und in unserer
Region wird uns bewusst, dass wir nicht die großen
Helden und Macher sind, sondern dass Gott der
Handelnde ist. Jeremias Gotthelf hat das in einem
Gebet wunderbar formuliert: „Herr unser Gott, Du hast
unzählige stille Wege, auf denen du möglich machst,
was unmöglich scheint. Gestern war noch nichts
sichtbar, heute nicht viel, aber morgen steht es vollendet da. Und nun erst gewahren wir, rückblickend, wie
du unmerklich schufst, was wir unter großem Lärm
nicht zustande gebracht haben.“
Weitere Informationen unter www.projektleben.org
Matthias Netwall,
Projektleiter
Arbeitsgemeinschaft
Missionarische Dienste (AMD)
im Diakonischen Werk der EKD
Postfach 33 02 20
14172 Berlin
Reichensteiner Weg 24
14195 Berlin
Telefon (0 30) 8 30 01-3 05
Telefax (0 30) 8 30 01-3 33
[email protected]
www.a-m-d.de
Jesus Christus kennen zu lernen und
in seiner Gemeinde zu leben, ist das
Recht jedes Menschen. Darum gibt es
die AMD. Sie verbindet als Dachverband die landeskirchlichen Ämter für
missionarische Dienste in der EKD,
freikirchliche Einrichtungen und freie
Werke.
Sie ist zugleich als Fachverband Mitglied im Diakonischen Werk der EKD
und bildet in ihm mit ihrer Geschäftsstelle den Arbeitsbereich „Missionarische Dienste“.
mi-di erscheint ein- bis zweimal im
Jahr. Der Bezug ist kostenlos.
Bestellungen: [email protected]
Redaktion
Pfarrer Ulrich Laepple (verantw.)
Elke Mania
Bildnachweis
Seite 1: boscopics/aboutpixel; Seite 9:
personello; Seite 10: Diakonisches
Werk Bethanien, Solingen; Seite 11:
Jupiterimages, Robert Kneschke/fotolia; Seite 12: crolique/fotolia, Jamiga/
fotolia, Monkey Business/fotolia;
Seite 14: MEV; Seite 18: jungepartner
(MEV); Seite 19: project photos,
Rest: Archiv der AMD.
Design jungepartner.de, Witten
Druckerei Domröse, Hagen
Besuchen Sie
auch die Homepage der AMD:
www.a-m-d.de
EHREN?EHREN
AMT
Aus der Arbeit der Ehrenamtsakademie
berichtet Joachim Wilzki
„Salz der Erde“ bleiben –
durch die Qualifizierung
des Ehrenamts
Mehr als 63.000 Gemeindeglieder
engagieren sich ehrenamtlich in der
sächsischen Landeskirche. Damit ist
sie nach dem Sport der zweitgrößte Träger von bürgerschaftlichem
Engagement. Entgegen manchen
Befürchtungen nimmt ehrenamtliches Engagement in der Kirche nicht
ab, sondern zu. In den Gemeinden
sind Ehrenamtliche zu einer wesentlichen und lange schon unverzichtbaren Stütze der kirchlichen Arbeit
geworden. Zu ihrer Unterstützung
wurde im Jahr 2006 die „Ehrenamtsakademie der Ev.-Luth. Landeskirche
Sachsens“ gegründet.
Die Geschäftsstelle der Ehrenamtsakademie versteht sich als „Drehscheibe“ zwischen den Einrichtungen und den Ehrenamtlichen und Anlaufstelle bei Fragen
rund ums Ehrenamt und gibt das gemeinsame Jahresprogramm heraus. Im
Jahr 2010 konnten Ehrenamtliche unter
120 Bildungsangeboten auswählen, die
als Abrufangebote in den Gemeinden vor
Ort, als Tagesveranstaltungen in einer
Region oder als mehrtägige Weiterbildungen in Tagungshäusern stattfinden.
Aus Erfahrung und Überzeugung
„Beteiligungskirche“!
Entscheidend für die Überlegungen zur
Ehrenamtsakademie waren drei Fragen:
❚ Wie werden sich die Gemeinden in den
nächsten 10 bis 15 Jahren entwickeln?
❚ An welchem biblischen Leitbild können
wir uns orientieren?
❚ Was bedeutet dies für die Qualifizierung von Haupt- und Ehrenamtlichen?
Anfang 1990 lebten in Sachsen noch etwas
weniger als fünf Millionen Menschen. Bis
2020 wird sich die Einwohnerzahl auf rund
3,8 Millionen verringern. Diese Entwicklung ist bis in die Ortsgemeinde hinein zu
spüren: bei der dramatischen Reduzierung
der Kinderzahlen in der Christenlehre, den
geringer werdenden finanziellen Möglichkeiten und beim Rückgang der Anzahl der
Gemeindeglieder.
Die Landeskirche wird kleiner – doch
das muss nicht zwangsläufig auf eine
traurige und verzagte Minderheit hinauslaufen. Es gibt eine gewachsene ehrenamtliche Tradition, die Erfahrungen einer
Minderheitskirche verinnerlichte und
schon vor der Wende nach dem Leitbild
einer mündigen Gemeinde zu leben
versuchte. Auch wenn im Blick auf die
Gesamtkirche im Osten eine eher
»»»»»»»
»»»
mi–di 10
» » » » volkskirchliche Prägung auf niedrigerem Niveau bestimmend blieb, so war
das Selbstverständnis der engagierten Gemeindeglieder immer vom Bild einer Beteiligungsgemeinde inspiriert.
Nach 1989 war endlich ein Engagement an den Grenzen und über die
Grenzen der Gemeinden hinaus möglich
und auch notwendig. Kindergärten und
Schulen, Bürgerinitiativen, Gemeindeprojekte, Kirchbauvereine und kommunale
Gemeinderäte vervielfältigten die ehrenamtlichen Aufgaben und Möglichkeiten.
Nach einer Phase der Ausdehnung
und der Mitwirkung in vielen Gremien
und Initiativen begann eine neue Phase,
die sich wieder verstärkt auf gemeindliche Bezüge konzentrierte. Beide Phasen
haben das ehrenamtliche Selbstverständnis geprägt: Bei der Begleitung
von Ehrenamtlichen muss deshalb die
Gemeinde vor Ort gestärkt werden – und
gleichzeitig kann sie sich nicht darauf begrenzen. In der Ehrenamtsakademie wird
das deutlich. In ihr sind das Diakonische
Werk, die Evangelische Erwachsenenbildung und die Evangelische Akademie als
Leiteinrichtungen verankert.
Das „neue“ und das
„traditionelle“ Ehrenamt
Gemäß dem 2. Freiwilligensurvey (2004)
sind zeitlich begrenzte Mitarbeit und
selbstbezogene Motive des Engagements
wie die Weiterentwicklung der eigenen
11 mi–di
wirkung in gemeindlichen Kernbezügen
erscheint also nur für einen begrenzten
Teil von Ehrenamtlichen naheliegend.
Aber auch der gesellschaftliche Wandel mit seiner hohen Mobilität verändert
das kirchliche Ehrenamt: Bisher waren
engagierte Jugendmitarbeiter oft die ehrenamtlichen Stützen von morgen. Durch
den Wegzug der Jugendlichen gerade aus
den Dörfern ist das Konzept einer sich
ständig erneuernden ehrenamtlichen
Arbeit nur noch begrenzt umsetzbar.
Andere Gemeindeglieder lassen sich
eher zeitlich begrenzt und für einmalige
Vorhaben oder Projekte gewinnen.
Die ländlichen Regionen
In Regionen mit kleiner werdenden Gemeinden und deutlich weniger hauptamtlichen Mitarbeitern wird es schwieriger,
die traditionsreichen und oft touristisch
interessanten Kirchen mit zugehörigen
Pfarrhäusern zu erhalten. Weite Wege
gibt es nicht nur wegen der entstehenden
Großkommunen, sondern auch im Kirchspiel oder im groß gewordenen Kirchenbezirk. Wie bleibt das Evangelium vor Ort
vernehmbar und erfahrbar?
In den Gemeinden finden manche
ehrenamtliche Dienste, die seit Generationen in Familien weitergegeben wurden,
keine Fortsetzung, weil die junge Generation die ländlichen Regionen verlässt.
Wer tritt an ihre Stelle? In dieser Situation
kommt es oft dazu, dass verbliebene
Engagierte mehrere Aufgaben gleichzeitig übernehmen. Nicht selten sind es die
Kirchvorsteher: Sie tragen Verantwortung
für die Gemeinde als Kirchner und Lektoren und sind zuständig für Besuche. Aus
diesem Grund bleiben Spezialisierungen
Das kirchliche Ehrenamt versteht sich als Antwort auf das
Geschenk des Glaubens und geschieht wesentlich – auch in
Gestalt des „neuen Ehrenamts“ – „um Christi willen“.
Persönlichkeit Kennzeichen gegenwärtigen bürgerschaftlichen Engagements.
Diese unter dem Begriff „neues Ehrenamt“ zusammengefasste Entwicklung ist
längst in den Gemeinden angekommen.
Ein Beispiel dafür ist der „Kirchliche
Fernunterricht“ für angehende Prädikantinnen/Prädikanten – eine anspruchsvolle zweijährige Ausbildung. Erstaunlicherweise haben nur ca. 50 Prozent der
Teilnehmenden die Absicht, Prädikant
oder Prädikantin zu werden. Eine nicht
unbedeutende Zahl nimmt aus Interesse
und persönlichen Motiven teil. Die Mit-
für bestimmte Aufgaben aus, und für
viele Gemeinden ist es ein Glück, wenn
es noch Frauen und Männer gibt, die
Dienste aus Tradition übernehmen.
Viele von ihnen tragen weit mehr
Verantwortung als ihre Eltern. Zugleich
ergeben sich Freiräume für neue Formen.
Auch Nichtchristen zeigen sich daran interessiert, ihre Kirche zu erhalten, schätzen die Kirchgemeinde als Kulturträger
vor Ort, und engagieren sich ehrenamtlich im Raum der Kirche.
Die Ehrenamtsakademie mit ihrem
Anspruch, Ehrenamtliche zu bilden und
zu begleiten, muss sich auf diese Situation einstellen, um im Blick auf die zu
vermutenden weiteren Veränderungen
Orientierung bieten zu können.
Unterschiedliche Erwartungen,
unterschiedliche Erfordernisse
Etwa die Hälfte der Ehrenamtlichen im
kirchlichen Bereich wünscht sich Unterstützung bei ihren Aufgaben. In der Praxis zeigt sich aber, dass nur ein bestimmter Teil tatsächlich eine Weiterbildung
besucht. Ein hoher Standard der Weiterbildungen genügt demnach noch nicht,
um Ehrenamtliche zu gewinnen.
Die bisherigen Erfahrungen erlauben
es, hinsichtlich Motivation und Fortbildungsinteresse drei Gruppen von Ehrenamtlichen zu unterscheiden:
1. Unterstützende und
uneigennützig Helfende
Diese Gruppe engagiert sich ehrenamtlich, weil die so Engagierten einen
Großteil ihrer sozialen Kontakte im
unmittelbaren Lebensumfeld suchen.
Sie lassen sich für praktische Aufgaben
gewinnen, weniger für Leitungsaufgaben. Ihr Interesse an Weiterbildung besteht in einer praxisnahen Begleitung,
in Arbeitshilfen und guten Beispielen.
2. Mitarbeitende und
Verantwortliche in Teilbereichen
Auf Grund von beruflichen und persönlichen Kompetenzen sind sie ehrenamtlich tätig, oft in mehreren Bereichen. Sie fühlen sich für das Ganze
mitverantwortlich. Ihr ehrenamtlicher
Einsatz ist oft mit ihrer christlichen
Sozialisation verbunden. Weiterbildungen sind ihnen wichtig, wenn sie ortsnah und zeitlich begrenzt angeboten
werden. Die Praxisrelevanz ist dabei
besonders wichtig.
3. Engagierte durch Selbstinitiative
Ehrenamtliche in diesem Bereich sind
an der Sache orientiert und wollen sich
in ihrer Persönlichkeit durch die ehrenamtliche Aufgabe weiterentwickeln.
Sie suchen oft Gleichgesinnte und Verbündete in gemeindeübergreifenden
Initiativen. Sie sind an Projekten interessiert und an persönlicher und fachlicher Weiterentwicklung. Sie lassen
sich gern auf längere Fortbildungen
ein und fragen nach Qualität und anerkannten Abschlüssen.
Hauptamtliche
und Ehrenamtliche
Die Sensibilisierung Hauptamtlicher darf
als Schlüssel für die Qualifizierung
Ehrenamtlicher bezeichnet werden. Das
Spezifikum kirchlicher ehrenamtlicher
Arbeit besteht im Unterschied zu anderen Bereichen unserer Gesellschaft darin,
dass für 75 % der Aufgaben Ehrenamtliche und Hauptamtliche miteinander
zuständig sind. Vor diesem Hintergrund
ist es wichtig, dass die Hauptamtlichen
Ehrenamtliche nicht als Bedrohung erfahren, sondern als Partner im gemeinsamen Dienst.
Bei ehrenamtlicher Arbeit geht es
nicht primär darum, Geld zu sparen oder
die Urlaubsvertretungen zu erleichtern,
vielmehr geht es um die Entfaltung des
„Allgemeinen Priestertums aller Getauften“ in einer Kirche mit einem traditionell starken Pfarramt. Gleichzeitig muss
der Mehrwert, der sich mit der durch
Hauptamtliche erfolgten Professionalisierung kirchlicher Vollzüge eingestellt hat,
bewahrt werden.
Professionalität für kirchliches Handeln ergibt sich deshalb allein aus dem
Zusammenspiel von Ehren- und Hauptamtlichen. Sie ist zugleich Grundvoraussetzung für eine Beteiligungskirche
zwischen volkskirchlicher Tradition und
einschneidenden Umbrüchen.
Das Selbstverständnis ehrenamtlicher Arbeit ist also sehr unterschiedlich. Es zeigt sich, dass „traditionelles“
und „neues“ Ehrenamt nebeneinander
bestehen und einander ergänzen. Für die
Ehrenamtsakademie kommt es darauf an,
allen drei Gruppen hilfreiche Angebote
zu unterbreiten, die jeweiligen Grenzen
zu beachten und zugleich Impulse zur
Weiterentwicklung zu geben.
Nach biblischem Verständnis sind
Gaben auch Aufgaben. Das kirchliche
Ehrenamt versteht sich also als Antwort
auf das Geschenk des Glaubens und geschieht wesentlich – auch in Gestalt des
„neuen Ehrenamts“ – „um Christi willen“.
Diesen Zusammenhang immer wieder
neu plausibel zu machen und zu vermitteln, bleibt eine anspruchsvolle Aufgabe.
Beispiel 1: Ehrenamtlich
in der Suchthilfe
Beispiel 2: Ehrenamtlich
in der Seniorenbegleitung
Die Diakonie in Sachsen bildet ehrenamtliche Mitarbeiter in der Suchtkrankenhilfe nach dem bundeseinheitlichen Ausbildungsprogramm des GVS
(120-Stunden-Programm) in Moritzburg aus.
An 7 Wochenenden innerhalb von 18
Monaten nahmen an dieser Fortbildung
20 Personen teil. Teilnehmer sind zum
Beispiel
❚ ehemals Abhängigkeitskranke, die
mindestens zwei Jahre abstinent
leben,
❚ Angehörige und
❚ Menschen, die sich vor allem im
betrieblichen Umfeld mit Sucht und
Suchtproblemen beschäftigen wollen.
Inhaltlich geht es darum, Fachwissen
für den Umgang und die Behandlung
von Suchtkranken weiterzugeben und
einen fachlichen Hintergrund zu
sichern. Dies erfolgt, indem über die
Entstehung von Suchterkrankungen,
ihre Behandlung und Therapie Wissen
vermittelt wird. Ziel ist die Stärkung der
eigenen Fähigkeiten der Teilnehmer
und eine Sicherheit im Umgang mit
Suchtkranken. Was man auch lernt:
Gesprächsführung für Einzelgespräche
und in Gruppen.
Der Einsatz der ehrenamtlichen
Helfer geschieht in Anbindung an
Suchtberatungsstellen, in Betrieben
oder in der Selbsthilfe. Die Teilnehmer
bekunden nach der Ausbildung immer
wieder, dass sie bei der Ausbildung in
der Diakonie eine Hilfe in ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit erhalten haben und
zukünftig sicherer und mit weniger
Ängsten Suchtkranken gegenübertreten
können.
Das große Aha-Erlebnis besteht darin,
wie wichtig es ist, die Sicht der Angehörigen oder der Mitarbeiter im Betrieb
intensiv kennen zu lernen. Umgekehrt
ist es für die Angehörigen wichtig, die
Sicht und die Gefühle des Abhängigen
zu erfahren. Die Mitarbeiter von
Betrieben bewundern immer wieder die
Offenheit, mit der Abhängige über ihre
Erlebnisse in und mit der Krankheit
berichten.
Als einen weiteren wichtigen Aspekt
wird die Vermittlung von Sinn- und
Wertebezügen sowie des christlichen
Menschenbildes gesehen.
Seniorenbegleitung soll älteren Menschen möglichst lange, vielleicht auch
bis zum Tod, ein selbstbestimmtes
Leben in der eigenen Wohnung ermöglichen. Seniorenbegleitung ist auch als
zusätzliche Leistung für im „Betreuten
Wohnen“ oder im Heim lebende SeniorInnen gedacht. Sie ist als individuelle
Basisbetreuung zu verstehen.
Grundkurse, die z. B. im Kirchenbezirk von Dresden angeboten wurden,
führen in grundlegende Themen und in
die Praxis der Begleitung ein. Theorie
und Übungen in Gesprächsführung
und der Umgang mit Trauer vermitteln
beispielsweise Kompetenzen, sich auf
die einzustellen, die begleitet werden,
ihr Gewordensein zu akzeptieren und
gemeinsam nach Wegen der Alltagsgestaltung und -bewältigung zu suchen.
Die Teilnehmenden erfahren, dass
ihre eigenen bisherigen Erfahrungen
wertgeschätzt werden, dass sie bereits
über gute Kompetenzen verfügen und
dass es nützlich ist, sich mit anderen
Menschen auszutauschen. Aufbauende
Kurse und Praxisaustausch unterstützen das ehrenamtliche Engagement.
Unterstützung brauchen Ehrenamtliche auch bei der Schaffung von
Strukturen, für die Netzwerkarbeit und
die Kontaktvermittlung. Das eigene Tun
anzuerkennen und selbstbewusst vor
Trägern und Verantwortlichen zu vertreten, ist für viele engagierte Ältere
vor allem im kirchgemeindlichen
Bereich noch Lernweg und eine
neue Herausforderung.
von Helmut Bunde
von Sabine Schmerschneider
mi–di 12 i n s p i r i e r t
dokumentiert
13 mi–di
Weitere Informationen unter:
www.heidelberg-mobil.de/place/show/9934
www.youtube.com/watch?v=f9EMJAsX85I
Stadtmission e. V., einem diakonischen Träger in Heidelberg
mit 1.400 Mitarbeitern. Sie versteht sich auch als geistliches
Zentrum der „Diakoniestraße Plöck“, zu der elf diakonische
Einrichtungen in unmittelbarer Nachbarschaft gehören: von der
Wiedereingliederungshilfe für Wohnungslose, dem Diakonieladen, der Suchtberatung, dem Blauen Kreuz, der Tagesklinik
für Suchtkranke und einer Tagesstätte für psychisch kranke
Menschen bis hin zu Altenhilfeeinrichtungen.
Der manna-Treff
„manna“
–
Gemeinsam gegen
Armut und
Ausgrenzung
… Es war kalt morgens. Hab gefroren wie ein Schneider. Er
sagte: „Geh’n wir einen Kaffee trinken …“. Ich sagte: „Hab’ kein
Geld.“ Er: „ICH LAD DICH EIN INS MANNA.“ Eine ältere Dame,
manna-Stammgast, beobachtete Kaffee trinkend, wie Passanten
draußen vor dem manna-Schaufenster stehen blieben und neugierig wie unsicher hineinblickten. Also lief sie zur Tür und rief
ihnen zu: „Kommen Sie ruhig rein, das ist von der Kirche! Hier
kann jeder rein.“
Viele Menschen stehen aufgrund von Armut, Isolation, Sucht
oder anderen psychischen Erkrankungen am Rand unserer auf
Leistung fixierten Gesellschaft. Ausgrenzungserfahrungen gehen oft einher mit innerer Leere, Mut- und Antriebslosigkeit
und einem geringen Selbstwertgefühl. Nach der 58. Absage auf
eine Bewerbung manifestieren sich allmählich Gedanken wie
„Ich kann nichts gut genug. Mich will niemand. Ich bin ein Versager!“ Rückzug und Abbruch von Sozialkontakten sind nicht
selten die Folge.
Armut muss somit weiter gefasst werden, als dass sie nur
Fragen des Besitzes betrifft. Ihre Gesichter heißen Einsamkeit,
Angst, Resignation oder Kraftlosigkeit. Arm zu sein, wird in der
heutigen individualisierten schnelllebigen Konsumgesellschaft
als Stigma empfunden. Wer auf diese Weise arm ist, sucht nicht
in erster Linie nach materieller Erfüllung, sondern nach einer
Form der (Wieder-)Verankerung in gesellschaftlichen Strukturen. Er sucht nach Halt, Anerkennung und einer Funktion in
der Gesellschaft.
Die Kapelle befindet sich im Zentrum der Heidelberger
Altstadt. Sie ist nicht nur geistliches Zentrum der Evangelischen
Die Evangelische Kapellengemeinde gründete im Jahr 2005 das
Armutsprojekt „manna“ mit dem Ziel, Menschen mit wenig Geld
und viel Zeit einen Ort ohne Stigmatisierung und Ausgrenzung
anzubieten. An den gesellschaftlichen Rand Gedrängte sollen ins
buchstäbliche Zentrum Heidelbergs eingeladen werden. Es
herrscht kein Konsumzwang, jeder ist willkommen so wie er ist:
Der Eine sucht das Gespräch, der Nächste will nur Zeitung lesen,
andere kommen zu fünft und genießen das günstige Frühstücksangebot (Kaffee 20 Cent, Frühstücksbeilagen 30 Cent) in geselliger
Runde. Andere kommen extra zur Schlussandacht eines jeden
manna-Tages und fragen nach dem „Wort zum Donnerstag“.
An jedem der fünf Öffnungstage pro Woche sind drei bis
fünf ehrenamtliche Mitarbeiter aus verschiedenen Heidelberger
Gemeinden (evangelisch, katholisch, freikirchlich, aber auch
ohne kirchliche Bindung) da, die den Gästen ihre Zeit anbieten.
Seelsorge bedeutet dabei auch: neuste Witze auszutauschen!
„manna“ besteht inzwischen aus zwei „Filialen“: dem seit
seiner Gründung angemieteten Raum (in unmittelbarer Nähe
zur Kapelle) „manna in der Plöck“ und dem aufgrund von
Platzmangel zusätzlich geöffneten Vorraum der Kirche „manna
in der Kapelle“ (im Sommer vor der Kapelle).
Täglich kommen zwischen 20 und 70 Gäste aus Heidelberg
und Umgebung. Menschen in ihren Höhen und Tiefen, Menschen, die Brüche in ihrem Leben kennen. Sie erzählen vom
Leben als Messie, ihrer Scheidung, fremden Ländern, ihrem
Leben auf der Straße oder kämpfen damit, die letzte Stromrechnung zu bezahlen. Menschen, die auf der Suche sind nach
Gemeinschaft, nach Wärme, nach Annahme – und so mancher
auch nach Gott.
manna-Kurse
Neben der Begegnungsstätte bietet manna seit Januar 2009
auch ein regelmäßiges kostenfreies Bildungsprogramm an.
Das Bestreben des Kursprojektes ist es, ein Ort zu sein, an dem
Menschen Fähigkeiten, die sie beherrschen, ehrenamtlich an
andere weitergeben. Es soll ein Raum geschaffen werden, in
dem viele unterschiedliche Gaben Platz finden und sich in
christlicher Nächstenliebe entfalten können – ohne Leistungszwang. Teilnehmer der drei bis neun wöchentlich stattfindenden
Kurse sind nicht nur manna-Gäste, sondern auch Mitarbeiter.
Die Verortung von manna in der „Diakoniestraße“ Plöck
eröffnet die Möglichkeit einer engen Zusammenarbeit mit den
anderen diakonischen Einrichtungen: In der Wiedereingliederungshilfe findet der PC-Kurs statt, im Altenpflegeheim probt
der Chor „manna4voices“, die Suchtberatung stellt ihre Räume
für Kurse wie „Stärken und Potentiale erkennen“ und „Trommeln“ zur Verfügung. Klienten der Klinik in der Plöck, der
Suchtberatung, der Tagesstätte für psychisch Kranke sowie des
Diakonieladens besuchen regelmäßig manna-Angebote wie historische Altstadtführungen, Kunst-, Sprach- und Glaubenskurse
oder Kochen für Hartz IV-Budget.
Diakonisches Profil durch Rituale
manna wird getragen von ca. 40 Ehrenamtlichen. Täglich kommen bis zu 70 Personen in den Treff und die Kurse. Feste
Rituale sind ein wichtiges verbindendes und Identität stiftendes Element zur Schärfung des diakonischen Profils im säkularen und interreligiösen Kontext von Mitarbeitern und Gästen.
Rituale befinden sich auf der Gradwanderung zwischen Profilierung und gleichzeitiger Offenheit für Kirchenfremde. Ziel ist es,
ohne Angst verschieden sein zu können – Vielfalt unter einem
Dach. Dabei erleichtern und verkürzen Rituale den Weg (zurück) zur Institution Kirche.
Ich nenne vier Beispiele für feste Rituale in manna:
a) Tagzeitgebete als Wegmarken des Tages: Morgens gibt es
ein Angebot zum stillen Gebet in der Kapelle, abends wird jeder
manna-Tag mit einer Kurzandacht beendet (ca. 5 min).
b) „Abkündigungen“: Nach der Schlussandacht in manna wird
täglich eingeladen zu Gottesdiensten und sonstigen Veranstaltungen der Kapellengemeinde; im Sonntagsgottesdienst wird
zu manna, seinen Kursen und Veranstaltungen eingeladen.
c) Sämtliche Gremien und Treffen wie Mitarbeiterbesprechungen, -fortbildungen oder Leitungskreis werden mit Andacht und
Gebet eröffnet.
d) Regelmäßige manna-Gottesdienste unter Leitung des Pfarrers und der Diakonin (manna-Leitung): mit Gästen, Mitarbeitern, Gemeindemitgliedern und Freunden – unter Einbeziehung aktueller Entwicklungen und Ereignisse in manna,
Segnung neuer Mitarbeiter und Bezug zum Kirchenjahr.
Gelebte Kirche
manna ist Kirche, Kirche praktizierter Nächstenliebe. Und Spiritualität ist in manna sehr unmittelbar spürbar:
❚ Wenn ein gehörloser manna-Gast regelmäßig im Rahmen der
Schlussandacht laut das „Vater unser“ betet und allen Gottes
Segen wünscht;
❚ wenn ein manna-PC-Kurs-Teilnehmer berührt erzählt, dass er
nun endlich E-Mail-Kontakt zu seinen vermissten Freunden
in Indien aufnehmen konnte;
❚ wenn ein äußerst in sich gekehrter, wortkarger manna-Gast
plötzlich eine Flut hochtheologischer Fragen zu stellen beginnt;
❚ wenn eine manna-Mitarbeiterin beim Abschlussgespräch sagt:
„Ich habe in manna viel mehr empfangen dürfen, als ich geben konnte!“
❚ Wenn regelmäßig Rosensträuße eines Discounters durch den
„Flaschenpeter“ vor dem Wegschmeißen bewahrt und freudestrahlend an alle Damen in manna verteilt werden;
❚ wenn ein Gast dem anderen im Kapellenhof das Fahrrad repariert;
❚ wenn Gäste sagen, dass sie in manna keine Zeit für
Depressionen haben;
❚ wenn Kirchendistanzierte nun regelmäßig den Kapellengottesdienst im manna-Chor oder manna-Trommelkurs
mitgestalten.
Manna, das Himmelsbrot, das Kraft gibt für einen Tag.
Stefanie Reutter,
Leiterin von manna
„Vis-a-vis“ – ein Pilotprojekt
Nahe bei (den kranken)
Menschen
Schon in mi-di 5 haben wir darüber
berichtet, dass das in England praktizierte
Konzept des „Parish Nursing“ auch bei
uns Interesse gefunden hat und von
Angela Glaser nach Deutschland importiert worden ist. Es geht um die große
Gruppe von Menschen, die mehr als
einen freundlichen Besuch von der
Gemeinde brauchen, nämlich Beratung
und seelsorgerlichen Beistand angesichts
einer Krankheitsnot. Jetzt kann Frau
Glaser berichten, dass man einen
wichtigen Schritt weiter ist und in der
Landeskirche der Pfalz die erste Ausbildung zur „Parish Nurse“ läuft.
Es ist Samstag, der 2. Oktober 2010.
Gespannte Erwartung liegt in der Luft. Es
ist der Beginn des Pilotprojekts Vis-a-vis.
Im Gemeindehaus in Dudenhofen in der
Pfalz sind neun Teilnehmer/innen angekommen. Eine Besonderheit: Wir können
eine Viertelstunde früher beginnen, weil
alle überpünktlich waren. Was hat die Teilnehmer dazu angetrieben, sich früh auf
den Weg zu machen und an einem freien
Samstag eine Schulung zu besuchen?
Berufung in ein neues Ehrenamt
Erstes Bespiel, Schwester Hanne
Hollinger: „Zum ersten April habe ich aus
gesundheitlichen Gründen aufgehört, als
Krankenschwester zu arbeiten. Dadurch
hatte ich viel freie Zeit und suchte etwas,
wo ich meinen Beruf mit einbringen konnte. Ich bat Gott, mir doch eine Möglichkeit
zu zeigen. Kurze Zeit später bekam ich
dann von einer ehemaligen Kollegin, die
ich seit ca. 15 Jahren nicht mehr gesehen
hatte, eine Anfrage über die Internetplattform ‚Wer kennt wen‘, ob ich mich für Visa-vis interessieren würde. Ich informierte
»»»
„Inklusion“
mi–di 14
» » » mich über die Arbeit und stellte fest, dass
dies genau die Arbeit ist, die ich mir vorgestellt hatte. Ich schrieb ihr direkt zurück:
‚Das ist ja eine Gebetserhörung, genau so
etwas habe ich gesucht.‘“
Zweites Beispiel: Schwester Renate
Müller:„Seit meiner Einsegnung als
diakonische Schwester habe ich mich
lange gefragt, welchen Wirkungsbereich
sich Gott für mich denken würde. Der
Wunsch, wieder mit kranken Menschen
zu arbeiten, war sehr groß. Dann wurde
ich angesprochen, ob ich mir vorstellen
könne, bei Vis-a-vis mitzuarbeiten. Je
länger ich darüber nachdachte, war ich
mir sicher: Das ist der Aufgabenbereich,
den ich mir für mich vorstellen kann. Mit
wem ich auch über das Projekt rede, oft
höre ich, dass dies genau der Teil ist, der
den Menschen oft noch fehlt.“
„Ich stellte fest,
dass dies genau
die Arbeit ist,
die ich mir vorgestellt hatte!“
(Erreichbarkeit von Ärzten und Angebote
wie z. B. Selbsthilfegruppen), dann das
seelsorgerliche Angebot in der Region.
Am Ende der Schulung steht die Vorstellung und Einführung der Vis-a-vis Mitarbeiterin im Gemeindegottesdienst. Dann
wird die eigentliche Arbeit beginnen.
Moderne Gemeindepflege mit
geschichtlichen Wurzeln
Der Impuls zu Vis-a-vis kommt aus dem
englischen Parish Nursing, übersetzt etwa:
Vorbereitung durch Ausbildung
„Gemeindepflege“. Dort werden Pflegefachkräfte in einem einwöchigen SchuDas Pilotprojekt Vis-a-vis findet im Rahlungskurs auf ihre Aufgaben in den Kirmen der Evangelischen Kirche der Pfalz
chengemeinden vorbereitet. Nach einem
statt. An ihm können Pflegefachkräfte teilnehmen, die sich von ihrer Kirchengemein- mit sieben Teilnehmerinnen im Jahr
2004 begonnenen Kurs ist die Zahl der
de dazu beauftragen lassen, Ansprechpartner für kranke Menschen in der Gemeinde Parish Nurses in England jetzt auf über 90
angewachsen. (Ein ausführlicher Bericht
zu sein. Die Teilnehmer des ersten Schuüber die Begegnung mit einer englischen
lungskurses von Oktober 2010 bis Mai
2011 stammen aus sechs unterschiedlichen Parish Nurse erschien in mi-di 5).
Kirchengemeinden (auch eine Freie evanParish Nursing ist eine Weiterentwickgelische Gemeinde ist mit dabei).
lung aus den Wurzeln der Gemeindepflege
des 19. Jahrhunderts, der Arbeit von DiakoDie fünf Schulungsmodule beinhalten
nissen. 1844 wurde die erste Diakonisse
Themen zu theologischen Grundlagen,
durch Theodor Fliedner in eine GemeindeSeelsorge, Ethik, geschichtliche Entwickpflege geschickt, um dort den kranken
lung von Krankenpflegevereinen und SoMenschen sowohl pflegerische Hilfe als
zialstationen in den Kirchengemeinden,
auch seelsorgerlichen Beistand zu geben.
Gesprächsführung und viele praktische
Anregungen. Zwischen den einzelnen
Vis-a-vis nimmt diesen Gedanken der
Modulen werden Praxisaufgaben erledigt. seelsorgerlichen Begleitung von kranken
Dazu gehören zu Beginn eine Analyse
Menschen in der Kirchengemeinde auf
der Situation kranker Menschen vor
und bildet Pflegefachkräfte dafür aus. Sie
Ort, zunächst die allgemeine Situation
werden diese Aufgabe ca. 3–4 Stunden
pro Woche ehrenamtlich wahrnehmen.
Wie die Gemeinde und ihre
Kranken davon profitieren können
Wie könnte die Arbeit in der Gemeinde
praktisch aussehen?
❚ Frau K. steht vor einer schwierigen Entscheidung. Seit längerem machen ihr
gynäkologische Beschwerden sehr zu
schaffen. Der Arzt rät zur Operation. Da
tut es gut, diese Frage mit einer Krankenschwester zu bereden. Die Vis-a-vis Mitarbeiterin kann Frau K. die Entscheidung
nicht abnehmen, aber sie kann zuhören,
die Situation mit durchdenken und auf
Gottes Beistand verweisen. Ihre Fachlich-
15 mi–di
Was hat die UNO mit unseren Gottesdiensten zu tun?
keit nimmt Frau K. die Scheu, über dieses Thema zu sprechen und verhilft zur
Klärung der Frage.
❚ Frau G. ist Ausländerin. Ihr steht eine
OP bevor, aber sie hat Angst, auch vor der
Schwierigkeit, sich in der deutschen Sprache ausdrücken zu müssen. Die Vis-a-vis
Mitarbeiterin begleitet sie ins Krankenhaus und bleibt bei ihr, bis sie zur OP abgeholt wird.
❚ Herr M. war früher treues Mitglied im
Seniorenkreis. Jetzt ist er an den Rollstuhl gebunden. Die Vis-a-vis Mitarbeiterin organisiert einen Abholdienst zum
Seniorenkreis.
Viele weitere Möglichkeiten der Hilfestellung sind denkbar. Was genau in den einzelnen Projektgemeinden umgesetzt wird,
wird im Verlauf des Pilotprojekts zutage
treten. Wir sind gespannt darauf.
Am ersten Schulungstag waren die
Spannung und die Erwartungen, die auf
diesem Projekt liegen, spürbar. Im nächsten Modul wird es zu einer Begegnung
zwischen Diakonissen, die früher in der
Gemeindepflege tätig waren, und den
künftigen Vis-a-vis Mitarbeiterinnen kommen. Die Weitergabe ihrer vielfältigen
Erfahrungen kann uns motivieren, die Pionierarbeit in den Gemeinden anzugehen.
Den biblischen Auftrag gestalten
Christen sind beauftragt, kranken Menschen beizustehen. Im Matthäus-Evangelium zeigt Jesus, wie er sich kranken
Menschen verbunden fühlt: „Ich war
krank, und ihr habt mich besucht“.
Kranken Menschen zu vermitteln, dass
Gott ihnen in ihrer schwierigen Lebenssituation nahe sein will, wir ihnen darum
Unterstützung und Beistand anbieten, ist
der Auftrag von Vis-a-vis.
Schwester Renate aus Speyer drückt
ihren Wunsch für Vis-a-vis folgendermaßen aus: „Ich wünsche und bete, dass
Gott uns eine große Offenheit in der Bevölkerung schenkt und dass das Projekt
gelingt.“
Angela Glaser ist
Altenpflegerin bei
einer ökumenischen
Sozialstation in
Schifferstadt.
Weitere Informationen zu diesem Projekt unter
www.visavis-gemeindediakonie.de
D
ie UN-Konvention für Menschen mit Behinderungen,
die im Jahre 2009 von Deutschland unterschrieben
wurde, fordert einen Systemwandel in unserem Denken und Handeln. Auch wenn sich die Situation für Menschen
mit Behinderung in vielen Ländern und in vielen Situationen
in den letzten Jahrzehnten deutlich verbessert hat, ist vieles
für Menschen ohne nennenswerte Behinderungen selbstverständlich, während Menschen mit Behinderung nach wie vor
eine Reise anmelden, einen Besuch im Freibad ankündigen
oder eine besondere Hilfeleistung rechtzeitig anfordern müssen. Rollstuhlgerechte Behördeneingänge liegen neben der Lieferanteneinfahrt an der Rückseite der Gebäude, aber in Pfarrhäusern fehlt selbst diese; Kirchgemeinden müssen einen
Helferstab mit Gewichtheberausbildung
organisieren, damit Rollstuhlfahrer das
Kirchenschiff erreichen können und
Hausmeister stöhnen auf, wenn sie nach
der Induktionsschleife für schwerhörige
Gemeindemitglieder gefragt werden
Die UN-Konvention will erreichen,
dass Menschen mit Behinderung ihr
Leben ebenso selbstbestimmt führen
können, wie andere Menschen auch, und
führt dazu den Begriff Inklusion ein. Das
bedeutet: Ein System wird so geändert,
dass jede und jeder dabei sein kann. Orte
und Informationen sollen so gestaltet
werden, dass sie barrierefrei erreichbar sind. Menschen mit
Behinderungen sollen selbst entscheiden können, wo und mit
wem sie wohnen möchten. Sie sollen nicht gezwungen werden,
in speziellen Einrichtungen zu leben, sondern sie sollen da, wo
sie leben wollen, die nötige Assistenz erhalten. Menschen mit
Behinderungen sollen wohnen, lernen und arbeiten können,
wo alle Menschen wohnen, lernen und arbeiten. Sie sollen
gleich von Anfang an mitten in der Gesellschaft sein. Und sie
sollen auch selbstverständlich zu Kirche und Gemeinde dazu
gehören und in das Gemeindeleben integriert sein.
Für Menschen, die sich mit dem Thema Behinderung
beschäftigen, ist „Inklusion“ das aktuelle Schlagwort. Was geht
uns das an? – Doch wenn Inklusion bedeutet, dass ein System
so geändert wird, dass jede und jeder dabei sein kann, dann
sollte jeder Gottesdienst immer schon nach den Grundsätzen
der Inklusion gestaltet sein, denn beim Gottesdienst soll jede
und jeder dabei sein können! Jedoch lehrt uns die Praxis einer
übergroßen Mehrheit von Kirchgemeinden, kirchlichen Institutionen und Angeboten, dass es oft nicht an gutem Willen
und christlicher Nächstenliebe fehlt – aber Fachwissen, der
Wille zu nachhaltigen Veränderungen und die Bereitschaft
zu finanziellen Opfern (ja, Opfern!) müssen erarbeitet und
erkämpft werden.
Mit Sicherheit gibt es schon heute viele gute Beispiele in
unseren Kirchen und Gemeinden. Mit Sicherheit ist jedoch
noch eine Menge zu tun, damit sich das System Kirche so
ändert, dass wirklich jede und jeder dabei sein kann, Menschen
mit Behinderung inklusive! Denn Menschen mit Behinderung
gehören ganz natürlich und unbedingt zu jeder Gemeinde
dazu. Die Bibel bietet uns mehr Beispiele dafür, als wir im
ersten Moment denken. Wir kennen die Heilungsgeschichten der Bibel – und wir dürfen uns an Gottes Möglichkeiten,
menschliches Leben zu erneuern und heil zu machen, immer
wieder freuen. Wir können diese Heilungsgeschichten aber
auch als Inklusionsgeschichten verstehen: Jesus sorgt dafür,
»»»
mi–di 16
17 mi–di
inspiriert
» » » dass Menschen, die krank oder behindert sind, einen „barrierefreien“ Zugang zur Gemeinde, zu menschlicher Gemeinschaft,
erhalten. Jesus will, dass die, die an den „Hecken und Zäunen“
stehen, weil sie die Bordsteinkanten und Kirchentreppen nicht
überwinden können, barrierefrei in seine Gemeinde kommen.
Jesus gestaltet die Kommunikationssituation von blinden oder
gehörlosen Menschen so, dass sie selbstständig am öffentlichen
Leben teilnehmen können.
Die Freude über Gottes wunderbare Möglichkeiten kann uns
zur Motivation und Kraftquelle werden, denn Gott gibt uns die
Chance, barrierefreie Zugänge zu schaffen, die in der Vergangenheit noch undenkbar waren. – Wir müssen nur wollen und
entsprechend handeln.
Ein Weg, Inklusion in der Gemeinde umzusetzen, ist die
Idee des „Gottesdienst inklusive“. Ein erster Versuch fand im
September 2010 in der Michaeliskirche Leipzig statt. Noch
musste die Rampe für die Rollstuhlfahrer mitgebracht werden
und weil sie so steil angelegt werden musste, wurde sie eine
echte Herausforderung für Rollstuhlfahrer und ihre Assistenten.
Aber ein Zugang
war gelegt und im
Gottesdienst wurde
für den Bau einer
DIN-gerechten
Rampe gesammelt.
Behindertengerechte Toiletten
und eine Hörschleife für schwerhörige Gäste gab es
ebenso wie Gebärdensprachdolmetscher für gehörlose Besucher.
Blinde Gottesdienstbesucher erhielten eigene Liedblätter in
Braille-Schrift und natürlich waren Menschen mit Behinderung
an der Gestaltung des Gottesdienstes beteiligt.
Die Auswertung hat gezeigt, dass vieles gut, aber längst nicht
alles richtig war – aber es war ein gute Anfang und es gibt eine
Leipziger Kirchgemeinde, die möchte, dass der nächste „Gottesdienst inklusive“ in ihrer Kirche stattfindet. Damit wird ein
erstes Ziel erreicht. Die Diakonie-Werke, die das Projekt initiiert
haben, möchten dazu anregen, dass Gemeinden ihre Verantwortung für Menschen mit Behinderung wahrnehmen. Es soll
regelmäßig und abwechselnd in verschiedenen Gemeinden
solche besonderen Gottesdienste geben. Aber das eigentliche
Ziel ist weiter gesteckt: Die Kirchgemeinden lernen, was Inklusion in ihrer Gemeinde bedeutet und verändern sich so, dass
nicht Menschen mit Behinderung defizitär beschrieben und
unserem „Hilfstrieb“ ausgesetzt werden. Vielmehr entdecken
die Gemeinden, wo ihre Kirche (der Kirchraum, die Form des
Gottesdienstes, das Verhalten der Gemeinde) defizitär ist.
Denn nicht den Menschen mit Behinderung mangelt es –
sondern wir haben Defizite: im Verhalten, in der Sachkenntnis,
bei den baulichen Gegebenheiten.
Die Freude über Gottes
wunderbare Möglichkeiten
kann uns zur Motivation
und Kraftquelle werden
Tragbare
Im Markusevangelium, im zweiten Kapitel wird
erzählt, dass Jesus in Kapernaum am See Genezareth
eine Massenkundgebung initiiert, die Menschen
strömen zusammen, das Haus, in dem er spricht, ist
überfüllt und draußen stehen sie auch dicht gedrängt.
Und da gibt es in dem Ort einen Gelähmten,
einen Gichtbrüchigen, wie es bei Luther heißt.
Der kann nicht dabei sein. Der hat keine Chance
inkludiert zu werden. Alleine jedenfalls nicht.
Aber jetzt kommen tatsächlich vier Träger,
die nicht träge sind und legen ihn auf eine
Tragbahre und gehen los.
Aber sie kommen nicht weit. Die Menge steht im
Weg. Die Barrierefreiheit ist noch nicht umgesetzt.
Da steigen sie dem Jesus aufs Dach, unternehmen
unglaublich Spektakuläres, decken das Dach ab,
machen ein Loch rein und lassen den Gelähmten
herunter, seilen ihn ab, direkt Jesus vor die Füße.
Und da heißt es doch tatsächlich:
Als Jesus ihren Glauben sah, also den Glauben
der vier Dachdecker, da ist er offensichtlich schwer
beeindruckt und wendet sich dem Gelähmten zu
und macht ihn an Leib und Seele gesund.
Will sagen:
Bis auf Weiteres brauchen wir Leute, die gelähmtes
Leben wahrnehmen, aufheben, in Bewegung
bringen und wenn es sein muss, denen aufs Dach
steigen, die alles so anberaumt haben wollen,
dass niemand mehr außer ihnen selbst an die
Reihe kommt. Nur so können wir verhindern,
dass es bei uns unerträglicher wird.
Das ist unser Beitrag, dass wir tragfähige Beförderer
werden und bleiben, die solche Inklusionsübungen
möglich machen.
Denn: Vorerst üben wir noch.
Thomas Günzel,
Ludwig Burgdörfer,
Pfarrer im Ehrenamt
Missionarisch-Ökume-
im Berufsbildungswerk
nischer Dienst (MÖD)
Leipzig
in der Evang. Kirche
der Pfalz
Die EKD-Bildungsinitiative
Ein ungewöhnliches Projekt macht derzeit von sich reden: „Erwachsen
glauben“. Sein Ziel ist es, Kurse zu Kerninhalten des Glaubens Schritt
für Schritt zu einem verlässlichen Regelangebot auszubauen. Damit
werden besonders Menschen in der Lebensmitte neu von der Evangelischen Kirche entdeckt. Kurse für Erwachsene sollen zukünftig einen
so selbstverständlichen Stellenwert in der kirchlichen Arbeit bekommen, wie ihn der Konfirmandenunterricht seit langem hat.
Im Juni 2008 schuf der Rat der EKD die
Voraussetzungen für eine dreijährige
Projektstelle „Erwachsen glauben“ und
beauftragte die AMD mit der Federführung. Die AMD lud Vertreter verschiedener kirchlicher Handlungsfelder, z. B.
der Erwachsenenbildung, zur Mitarbeit
in eine Steuerungsgruppe für das Projekt
ein. Mit ihr begann Anfang 2009 die
Arbeit an den theologischen Grundlagen
für eine missionarische Bildungsarbeit.
Es galt aufeinander zuzugehen, alte
Denkmuster zu hinterfragen und Schnittmengen zu suchen. Die Ergebnisse dieses wechselseitigen Lernprozesses sollten
in Form eines Handbuchs veröffentlicht
werden.
sowie an verschiedenen kirchlichen
Orten (Gemeinde, Citykirche und
Stadtakademie) dokumentiert. Der Film
trägt dazu bei, den oft vorherrschenden
verengten „Tunnelblick“ auf Glaubenskurse zu weiten – ein guter Einstieg z. B.
für Beratungen im Kirchenvorstand.
Pluralität und Profil
Eine Stärke von „Erwachsen glauben“ liegt
zweifelsohne in der Verbindung von Pluralität und Profil. Die Bandbreite von Kursen ist groß, sodass für jeden Anwender
und für Teilnehmer aus unterschiedlichen
Milieus etwas dabei sein dürfte. Auch ungewohnte Kooperationen über die Grenzen
kirchlicher Handlungsfelder hinweg haben
das Projekt bereits zu einer kleinen ErDas Handbuch für jedes Pfarramt folgsgeschichte werden lassen. Gab es bislang kaum kirchliche Projekte, bei denen
in Deutschland
Missionarische Dienste, Erwachsenenbildung, Diakonie, Frauenwerk und PresseSpätestens, seit im Februar 2011 rund
24.000 von den Landeskirchen vorbestell- und Öffentlichkeitsarbeit Hand in Hand
arbeiten – hier kann ausprobiert werden,
te Handbücher in nahezu jedes evangeliwie das geht. So räumt „Erwachsen glausche Pfarramt in Deutschland gelangten,
gerät das ambitionierte Vorhaben auch in ben“ auch mit manchen Vorurteilen auf.
Die Zeiten, in denen Glaubenskurse als
den Fokus der kirchlichen Basis. Auf 184
„Spielwiese einiger besonders Frommer“
Seiten vermittelt das Handbuch das
galten, dürften endgültig der VergangenKnowhow zur Durchführung von Kursen
heit angehören.
zum Glauben. Es ist theologisch fundiert
und besticht zugleich durch einen hohen
Praxiswert. Ein eigenes Kapitel widmet
Internetplattformen
sich der Bedeutung der Sinus-Milieuforschung für die Arbeit mit Kursen zum
Zentraler Baustein des Werbekonzepts ist
Glauben. Die zehn Sinus-Milieus werden
die Internetseite www.kurse-zum-glauhinsichtlich ihrer Grundorientierung,
ben.de. Sie stellt die „Visitenkarte“ für die
ihren Bildungserfahrungen und -erwarGlaubenskursarbeit der Evangelischen
tungen und den Möglichkeiten der
religiösen Kommunikation beschrieben.
Kapitel E stellt neun bewährte Kurskonzepte anhand der Aspekte Theologie,
Didaktik und Milieuforschung vor und
will helfen, das für den eigenen Kontext
geeignete Modell herauszufinden. Dem
Handbuch ist auch eine DVD beigefügt.
Ein Kamerateam hat vier verschiedene
Kurse in Stadt und Land, Ost und West
Es galt aufeinander
zuzugehen, alte Denkmuster zu hinterfragen
und Schnittmengen
zu suchen …
Kirche dar. Hier können sich Interessierte
durch Eingabe einer Postleitzahl das
gesamte Kursangebot evangelischer Gemeinden und Einrichtungen in ihrer
Region anzeigen lassen. Kursveranstalter
können ab Mai 2011 kostengünstig vielfältige Werbemittel bestellen.
Eine zweite Internetplattform www.
kurse-zum-glauben.org schafft Zugang
zu den Ressourcen für Kurse zum
Glauben. In einem Onlineshop können
die Kursmaterialien und die Werbemittel
bestellt werden. Man kann Interviews mit
Kursveranstaltern zu rund 15 Kursmodellen abrufen. Registrierte Nutzer können
umfangreiche Suchfunktionen nutzen,
z. B. um Kursleiter zu ermitteln, die auf
Anfrage in ihre Gemeinde kommen, um
einen Kurs durchzuführen oder um auf
kurserfahrene Gemeinden aufmerksam
zu werden, in denen man hospitieren
kann, um dem richtigen Kurs für die
eigene Situation auf der Spur zu sein.
Kurse zum Glauben werden für viele
Menschen mit einem schlummernden
Interesse an Glaubens- und Lebensfragen
gewiss ein gutes Angebot sein, wenn sie
auf aufgeschlossene Gemeinden treffen.
Die Begegnung mit ihnen wird aber auch
diejenigen und ihren Glauben herausfordern, verändern und bereichern, die sie
durchführen.
Andreas Schlamm,
Leiter des Projekts
„Erwachsen glauben“
Einen Erfahrungsbericht der Kirchengemeinde
Walters hausen finden Sie als PDF zum Download
unter www.kurse-zum-glauben.de/Erfahrungen
mi–di 18 d o k u m e n t i e r t
SPUR
Glaubenskurse, auch in der Diakonie? – Ja, …
… sogar gemeinsam mit der Kirchengemeinde! Seit 2007 findet regelmäßig
einmal pro Jahr der Kurs „Christ werden –
Christ bleiben“ (seit 2011 „SPUR 8“) in gemeinsamer Verantwortung des Altenhilfezentrums Sarepta und der evangelischen
Kirchengemeinde statt. Daran nehmen
Mitarbeitende der diakonischen Einrichtung teil, die vielfach keinen kirchlichen
Hintergrund haben. Aber auch interessierte Gemeindeglieder und Menschen, die
über persönliche Kontakte oder durch
Zeitungsberichte aufmerksam geworden
sind, gehören zu den Teilnehmenden.
gelesen
Das midi-Netzwerk
Dokumentationen
Tagungen
Aus der Informationsschrift „mi-di“ ist das „midi-Netzwerk“ entstanden. Es vertritt eine Gemeindediakonie, in der die helfende
Tat und das zum Glauben einladende Wort zusammen die Vision,
das Gesicht und die Entwicklung einer Gemeinde bestimmen. Wir
sind überzeugt, dass eine Gemeinde mit ihren zahlreichen materiellen und immateriellen Ressourcen, aber auch ihren natürlichen
Beziehungen in den lokalen Lebensraum hinein, diesen Raum
heilvoll mitgestalten kann. Wenn eine Gemeinde sich für den Sozialraum öffnet, in ihn hinein Beziehungen knüpft und Begegnungen wagt, wird sie entdecken, dass ihre Mission diakonisch und
ihre Diakonie missionarisch werden muss. Und sie wird durch dieses Wagnis gewinnen – an Vitalität, an Tiefe, an Wachstum.
19 mi–di
auf www.a-m-d.de
Über die Internet-Seite www.midi-netzwerk.de/downloads können
Sie an zwei Tagungen nachträglich teilhaben:
❚ an der Tagung „Gemeinden als Stützpunkte der Liebe Gottes“
in Berlin am 19. und 20. 3. 2010 (160 Teilnehmende);
❚ an der AMD-Konsultation „Diakonie als Herausforderung für
die Gemeinde der Zukunft“ in Wittenberg am 1. und 2. April
2011 (50 Teilnehmende).
Pflicht: Grundlagen
diakonischen Handelns
Wir haben die Notwendigkeit und das
Bedürfnis eines Glaubenskurses in unseren Einrichtungen verspürt – es ist ähnlich wie in vielen Einrichtungen: Die eine
Hälfte der Mitarbeiterschaft hat eine Kirchenzugehörigkeit, was nicht unbedingt
heißt, dass der Glaube gelebt wird. Die
andere Hälfte kommt aus Einrichtungen, die von der Diakonie in den letzten
Jahren übernommen wurden. Zum Teil
ist weder ein Grundwissen noch gar ein
gelebter Glaube vorhanden. Wir bieten
einen verbindlichen Kurs für alle Mitarbeitenden an, der an vier Tagen im Jahr
in einem Freizeithaus stattfindet. Das ist
Dienstzeit, in der Grundlagen diakonischen Handelns sowie Wissen zum Kirchenjahr vermittelt werden.
B e r i c h t e – Te r m i n e – H i n w e i s e
n!
notiere
Tagungshinweis – bitte
n Himmel erden
ch
Gemeindediakonie – de
ein er ne ue n Tag un g na
t da s mi di- Ne tzw erk zu
alles vergessen haben und sich nun wieder annähern wollen.
Dieser Glauben weckende Gemeindeaufbauimpuls ist, was die Menschen suchen.
Es geht um die Fragen: Wie wird mein
Glauben geweckt und lebendig? Wie
kann ich das spüren, was mir jetzt noch
fehlt?
Kür: Mehr über den Glauben
erfahren
Kursinhalt
Der Kurs „Christ werden – Christ bleiben“
ist die andere Schiene. Mitarbeitende
stellten die Frage: „Jetzt wissen wir etwas,
aber was machen wir damit?“ Sie fragten
dann: „Wie komme ich zum Glauben?
Was muss ich da machen? Ich weiß jetzt
viel, aber wie glaubt man?“ Und dafür haben wir uns diesen Kurs ausgesucht, weil
er genau diese Inhalte anspricht. Es geht
um Menschen, die Interesse zeigen, die
etwas wissen wollen, die sich auch selbst
einbringen wollen. Aber es ist ein Angebot, das sich auch für Menschen eignet,
die in der Kirche sind, die Konfirmandenunterricht hatten, die irgendwann einmal
Der Kurs ist ein Kurzprojekt, das aus sieben Einheiten und einem Abschlussgottesdienst besteht. Man kann es variabel einsetzen als einmaligen Baustein, man
kann es aber auch regelmäßig durchführen. Wir führen den Kurs regelmäßig einmal im Jahr durch, meistens im Januar/
Februar, wenn es kaum andere Angebote
gibt. Die Inhalte sind reformatorischen
Grundimpulsen verpflichtet. Sie nehmen
ernst, dass Menschen Suchende sind und
eine Antwort haben wollen auf ihre Fragen. Der Kurs ist sehr praktisch im Leben
angesiedelt. Das biblische, christliche
Menschenbild wird zusammengebracht
mit den Erfahrungen der Menschen von
heute. Die eigene geistliche Biografie darf
anfangen zu blühen im Kontext der vielleicht neu entdeckten christlichen Gemeinde. Wir als Mitarbeitende in der
Diakonie sind zwar keine Gemeinde im
verfassten Sinn. Aber es wird deutlich,
dass sich christliches Leben am besten in
Gemeinschaft entfaltet. Das Seminar will
Menschen in das „Haus des Glaubens“
hinein begleiten, verzichtet aber darauf,
unbedingt alle Räume des Hauses schon
zu zeigen. Auf Begleitung liegt der Schwerpunkt. Der Kurs macht neugierig, erleichtert das Überschreiten der Schwelle, aber
er thematisiert nicht alles oder sagt: „Hier
geht’s lang – folgt mir nach.“ Das Seminar
ist informativ, seelsorgerlich im Umgang
mit den Menschen, glaubenweckend in der
Intention und zeitgemäß in der Sprache und
Begegnungskultur.
von Ute Kampa
Den ganzen Artikel finden Sie unter:
www.a-m-d.de
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und 3. März 2012 in Be
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Im midi-Netzwerk engagieren sich 10 Männer und Frauen, die
an verschiedenen Orten Deutschlands und in verschiedenen
kirchlichen Funktionen die Ziele des Netzwerks erproben und
verfolgen. Sie arbeiten im midi-Netzwerk der AMD ehrenamtlich mit, bestimmen seinen inhaltlichen Kurs und planen jeweils die Tagungen. Ihr Einsatz sei hier einmal so gewürdigt,
dass sie genannt und (leider in nicht ganz vollständiger Zahl)
gezeigt werden.
Vordere Reihe (von links):
Hendrik Heyden, Gaby
Löding, Maike Sachs,
Beate Ellenberger, Heike
Dreisbach
Hintere Reihe:
Ulrich Laepple, Karsten
Herbers, Jürgen Dusza
Es fehlen Johannes Schimanowski, Erhard Zeiser und
Karl-Heinz Zimmer.
Die diakonische Arbeit der AMD
im Referat „missionarischdiakonischer Gemeindeaufbau“
geschieht auf vielfältige Weise.
Manches davon ist auf den Seiten
der Internet-Plattform der AMD
dokumentiert, kann dort eingesehen und heruntergeladen werden:
die Informationsschrift mi-di
www.a-m-d.de/mission-und-diakonie
(mit allen bisherigen 7 Ausgaben)
Beiträge zu den Tagungen zum
Thema „Weitergabe des
Glaubens in der Diakonie“
www.a-m-d.de/mission-und-diakonie/
glauben-weitergeben
Beiträge zur Gemeindediakonie
www.midi-netzwerk.de/downloads
www.midi-netzwerk.de/ideen-undprojekte
Vorträge
www.a-m-d.de/mission-und-diakonie
(rechte Spalte)
Die aktuellen Beiträge –
zur Konsultation
„Diakonie als Herausforderung
für die Gemeinde der Zukunft“,
die das mi-di-Netzwerk im April 2011
in Wittenberg durchführte –, finden Sie
ebenfalls unter:
www.midi-netzwerk.de/downloads