Financial Times Deutschland Dez 2004

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Financial Times Deutschland Dez 2004
abschießen
FI N A N C I A L TI M E S DE UTSC H LA N D
man kann schon mal üben
VON BENJAMIN PRÜFER
A
lles habe ich erwartet, doch dies
nicht. Unausgeschlafen und mit
schweißnassen Händen hatte
ich an diesem Morgen die Eingangshalle des ESA Astronaut Training
Centers in Köln zu einer zweitägigen Space-Ausbildung betreten, in Erwartung
übermenschlicher Leiden. „Sie werden
das gleiche Programm durchmachen wie
die Astronauten, nur komprimierter“,
hatte man mir zuvor am Telefon erzählt.
In meinem Hotel-Bett lag ich wach und
sah mich unzählige Male meinen Mageninhalt entleeren und unter zig-facher
Erdbeschleunigung das Bewusstsein verlieren – während Fitness-Riegel-gestärkte und testosterongeschwängerte
Astronauten im Hintergrund darüber
streiten, wer diesen Schlappschwanz
reingelassen habe und wer das ganze
jetzt aufwischt. Und nun?
Ein Déjà-vu. Die Situation erinnert an
einen der Nachmittage, an dem man von
einem Einkauf bei Ikea zurückkommt. In
der linken Hand habe ich eine Schrittfür-Schritt-Bauanleitung und in der
rechten einen kleinen Imbus-Schlüssel.
Der hätte auch einem Billy-Regal beiliegen können. Ist aber ungleich teurer, wie
mir der Übungsleiter Riccardo Bosca
versichert, ein kleiner Italiener mit Halbglatze und wachen Augen. Vor mir steht
der Nachbau des Fluid Science Lab, ein
Labor des Columbus-Moduls der ESA,
das an die Internationale Raumstation
(ISS) angeschlossen werden soll. Darin
wird erforscht werden, wie sich Flüssigkeiten unter der Schwerelosigkeit verhalten. „Get and install removable handle,
using the pin-pin mechanism“ steht in
meiner Anleitung. Oder „Undo storage
container lid captive screws“.
Aha. Das machen die also den ganzen
Tag da oben. Anstatt unter Sauerstoffmangel und unter unmenschlichen Beschleunigungen kurz ein paar trigonometrische Rechnungen zu überschlagen,
um den richtigen Eintrittswinkel in die
Atmosphäre zu treffen, schrauben sie So stellte sich
cremefarbene
ein Illustrator
Schränke zusammen. zur Zeit des
Noch schlimmer: As- Schriftstellers
tronauten schreiben Jules Verne
ihre E-Mails auch nur einen Ausflug
mit Outlook. Wahr- ins Weltall vor
scheinlich kriegen sie
sogar den gleichen Spam wie wir auf der
Erde. Ein Training bei der ESA zerstört
Mythen über Astronauten, mit denen wir
aufgewachsen sind. Und schafft neue.
139 Jahre nachdem Jules Verne in seinem Buch „Von der Erde zu Mond“ einst
beschrieb, wie Menschen mit einem Projektil in Richtung des Erdtrabanten geschossen werden könnten, wird der
Weltraumtourismus Realität – auch
wenn er bei Preisen im zweistelligen Millionenbereich noch unerschwinglich ist.
Durchaus bezahlbar ist aber der Raum-
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Ganz nach oben
Pro Toura Neben dem zweitägigen
ESA-Space-Training veranstaltet die
kleine Reiseagentur in Bremen Trips in
die russische Sternenstadt, das Yuri Gagarin Cosmonaut Training Centre bei
Moskau. Außerdem können dort Flüge
in einer Höhe von 27 bis 30 Kilometern
mit einer Mig- 25 für 13 900 € gebucht werden, bei denen man bereits
die Krümmung der Erdoberfläche sieht
sowie Parabelflüge in einem Großraumflugzeug vom Typ Ilyuschin 76, die einen die Schwerlosigkeit spüren lassen
für 5450 €. Kontakt: Louis-Leitz-Str. 1,
Bremen, Tel. 0421/24 13 30. www.protoura.de, [email protected]
Ausflug
ins All
Corbis; Reto Wettach; BILDERBERG/Milan Horacek
Auch im Jules-Verne-Jahr
2005 wird ein Abstecher ins
All noch nicht bezahlbar – doch
D O N N E R STAG , 3 0 . D E Z E M B E R 2 0 0 4
Abklappern
Bunker und Kosmonautenstatuen: Wünsdorf
fahrttourismus auf der Erde: Veranstalter
wie Pro Toura Space aus Bremen bieten
Touristen Pauschalreisen zu Raketenstarts und Parabelflügen nach Baikonur
an – oder zu einem Astronautentraining
nach Köln-Porz.
Allerdings sind nur zwei Touristen bei
meinem Space-Training dabei, die den
Preis von 3800 € für zwei Tage bezahlt
haben. Denen steht eine Übermacht von
Journalisten gegenüber. Zuerst werden
ESA-Overalls ausgeteilt. Wir müssen kurz
darauf feststellen, dass wir die einzigen
sind, die die blauen Dinger tragen. Sie
zeigen vor allem, wer die Besucher sind –
damit man sie problemlos einsammeln
kann. Denn jede Tür erkennt anhand
kleiner Ansteck-Schilder, wer wo hindurch darf. „Ohne Hilfe kommen sie
nicht weit“, versichert man uns. „Noch
nicht mal raus. “
Dann: Belastungs-EKG, Blutprobe,
Urinprobe, Sehtest. Beim RotatingChair, einem Stuhl, der sich schnell um
die eigene Achse dreht, soll einer der
Trainees auf den Boden gekotzt haben.
Die ESA bleibt aber diskret und sagt
nicht, wer. In der Unterdruckkammer
wird gezeigt, wie sich eine Höhe von
20 000 Fuß anfühlt – sie verursacht vor
allem Blähungen und Knacken im Ohr.
Höhepunkt ist ein Tauchgang in dem
zehn Meter tiefen Pool, in dem die Astronauten Arbeiten im Raumanzug an der
Außenhülle der ISS trainieren.
Im Gespräch demontiert der Astronaut Reinhold Ewald, der 1997 mit einer
Soyuz TM 24 zur Raumstation Mir gereist
ist, weiter das Bild des furchtlosen Helden im All. „Lächelnd winken beim Start
– das ist nur Fassade“, sagt er. Er selbst
hat wenig Ähnlichkeit mit einem Denkmal für sowjetische Kosmonauten. Statt
„the right stuff“ – die todesmutigen Pioniere – suche die ESA „the right staff“:
Gut ausgebildete Spezialisten für Forschungsaufgaben auf der ISS, die Bauchansatz und Halbglatze haben dürfen.
Dann geht es in Raum 213, in dem die
Besprechungen an einem langen Tisch
stattfinden: Ein ESA-Mitarbeiter mit einer Krawatte, auf die kleine Raketen
gedruckt sind, erklärt das unbemannte
Versorgungsmodul ATV und wie es an die
ISS andockt. Wenn er kurz innehält, hört
man das Schnarchen des Playboy-Fotografen, der an die Wand gelehnt eingeschlafen ist. Aber das, versichert uns
Reinhold Ewald, gehöre auch zum
Astronauten-Alltag: Endlose Powerpoint-Präsentationen.
Absteigen
Flamenco im Orangenhain: Cortijo Soto Real
Schießplätze prägen das Bild Wünsdorfs. Die Anwe-
Die Anreise gestaltet sich als Rallye. Kein Wegweiser
weißen Pferd, um ihn zur Finca zu geleiten, die nun in
senheit des Militärs zieht sich wie ein roter Faden
deutet auf das Hotel. Dort, zwischen den grünen
ein Fünf-Sterne-Hotel umgewandelt wurde. Der pri-
durch die Geschichte des Ortes. Schon zur Kaiserzeit
Hügeln Andalusiens, führt ein unscheinbarer Feldweg
vate Charakter wurde beibehalten – nichts erinnert an
war er Truppenplatz. Nebst den Ruinen der Sowjet-
zu einem barocken Portal mit Gegensprechanlage.
einen Hotelbetrieb. Die orientalisch eingerichteten
Baracken stehen hier noch 19 Spitzbunker aus dem
„Hinter der Stierkampfarena links“, sagt die Rezeptio-
Juniorsuiten mit Baldachinbetten und vergoldeten
Zweiten Weltkrieg, für das Oberkommando des Deut-
nistin, bevor sich das schwere Eisentor öffnet. Ein von
Wasserhähnen spiegeln den Geschmack des früheren
schen Heers gebaut. Und dann gibt es noch einen
Palmen gesäumter Kiesweg schlängelt sich über das
Hausherren, eines maghrebinischen Prinzen. Ebenso
Friedhof mit Grabplatten in arabischer Schrift: Zwi-
herrschaftliche Anwesen, auf dem früher Pferde und
der große rote Salon mit Bibliothek und Kamin, wo auf
schen 1914 und 1921 wurden hier Kriegsgefangenen
Kampfstiere gezüchtet wurden. Hinter der Arena
Wunsch Flamenco dargeboten wird. Auch der Oran-
Südöstlich von Berlin liegt Wünsdorf. Heute ähnelt
beerdigt, darunter Sikhs, Hindus und Muslime aus
empfängt die Rezeptionistin den Gast auf einem
genhain und die Springbrunnen tragen dazu bei, dass
der Ort einer Geisterstadt, bis zur Wende aber lebten
den britischen Kolonien. Seit der Wende versucht
man sich ins 12. Jahrhundert versetzt fühlt, als Sevilla
hier 100 000 Russen. Wünsdorf, oder Wjunsdorf war
Wünsdorf, sich ein neues Image zu geben. Es nennt
noch von den Mauren beherrscht wurde. Die 500
die Zentrale der Westgruppe der russischen Armee.
sich Bücherstadt und nicht mehr Kasernenstadt – in
Hektar Ländereien bieten sich für Spaziergänge an.
Ein Staat im Staat. Ein Zug verkehrte täglich nach
den Baracken sind nun Antiquariate.
Man kann sich aber auch ein Pferd oder Mountainbike
Michaela Vieser
Moskau. Zwischen den Bäumen sieht man noch hier
und da Kosmonautenstatuen in Heldenpose. DDRBürgern war der Zutritt strengstens untersagt und die
nahe gelegene Bundesstraße machte einen großen
Bogen um die Kasernenstadt. Bunkeranlagen und
ausleihen – und für mittags ein Picknick über dem See
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bestellen.
Monika Rößiger
WÜNSDORF ist über die B 96 zu erreichen, acht Kilometer
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südlich von Zossen. Führungen durch die Bunkeranlagen der
Wehrmacht gibt es an Wochentagen um 14 Uhr und an
Wochenenden um 13 und 15 Uhr. www.buecherstadt.com
CORTIJO SOTO REAL DZ ab 340 €, Tel. 0034/955
86 92 00, [email protected], www.slh.com/cortijo