Thesis_JH_EinzigartigkeitinSerie_WEB
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Einzigartigkeit in Serie Individuelle Bekleidung durch generatives Textildesign Janine Häberle Habsburgerstrasse 26 6003 Luzern Theoretische Bachelorarbeit Hochschule Luzern, HSLU, Design & Kunst Textildesign Mentor: Claude Lichtenstein 20. Mai 2011 1 Inhalt 2 0. Einleitung 1. Individualität 5 5 1.0 Definition 5 1.1 Individualität durch Zugehörigkeit – Die Identifikation mit einer Gruppe 7 1.2 Individualität durch Konsum – Die Identifikation mit einem Produkt 9 2. Analyse individueller Produkte 11 2.0 Handgemacht, Unikate 11 2.1 Gebrauchsspuren, Second Hand, Reuse 11 2.2 Limited und Special Editions 13 2.3 Customizing 15 2.4 Unikate durch zufällige Musterplatzierung 15 2.5 Generative Gestaltung 17 3. Fazit 4. Quellenverzeichnis 21 22 0. Einleitung Diese Arbeit ist eine Suche nach Produkten und Theorien – dem Thema entsprechend vorwiegend Designtheorien - die sich mit der Individualität 0 des Menschen beschäftigen. Es sind Produkte und Produktkonzepte aufgeführt, die darauf ausgelegt sind, und so verkauft werden, als brächten sie die Einzigartigkeit ihres Käufers erst recht zum Vorschein. Die zugezogenen Designtheorien beschäftigen sich mit solchen Produkten und mit dem Phänomen, dass Menschen ihren Drang nach Individualität durch Konsum zu stillen versuchen. Im gestalterischen Teil erlerne ich in einer ersten Phase das Programmieren. Das Gestalten durch Programmieren, nennt man generative Gestaltung, und ist im vorliegenden, theoretischen Teil ebenfalls ein Thema. Das Thema, bei dem alle besprochenen Aspekte zusammen kommen. In der zweiten Phase des gestalterischen Teils versuche ich diese neue Entwurfstechnik auszureizen. Es entsteht eine Ideenkollektion für Jackenstoffe für die Freestyler unter den Outdoorsportlern. Gleichzeitig ist es eine Konzept- und Ideensammlung für die Anwendung generativer Gestaltung im Textildesign. Das erste was man als Programmierneuling lernt, ist, dass das Zählen bei 0 anstatt bei 1 beginnt. Und nicht nur beim Zählen, sondern auch beim Entwerfen hat mir das Programmieren ganz neue Ansätze eröffnet. Der vorliegende Text führt Schritt für Schritt zu diesen Ansätzen und enthält den Versuch sie in einen gesellschaftlichen Kontext zu stellen. 1. Individualität 1.0 Definition Für die einen ist es unbestritten, dass sich jeder Mensch vom anderen unterscheidet. Für die anderen ist es genauso unbestritten, dass wir alle gleich sind. Legitim ist beides, denn es scheint auch unbestreitbar, dass dadurch, dass alle Menschen individuell sind, alle wieder gleich sind. Ich halte es für wesentlich, dass alle Menschen voneinander unterscheidbar sind. Für diese Arbeit gilt es also als unbestritten, dass sich jeder Mensch individuell ist. Die Frage ist, warum? Die Individualität von Menschen ist in einem ersten Aspekt nur schon dadurch festzumachen, dass die Möglichkeit der unbegrenzten Selbstverwirklichung eines Einzelnen abhängig ist von der Staats- und Religionszugehörigkeit. Diese übergeordneten Mächte geben die grundsätzlichen Strukturen und Freiheitsrechte vor. Weiter eingeschränkt und definiert wird die Möglichkeit sich selbst zu verwirklichen und sich eigenständig zu verhalten von sozialen Kreisen, also von der Familie und der näheren Gemeinschaft, die jemanden umgibt. Entscheidungen nach eigenen Interessen und Werten zu treffen, ist die Grundlage für Individualität. Zu diesem Verhalten gehören auch das Sozialverhalten an sich und die Art zu kommunizieren, was wiederum stark beeinflusst wird von den sozialen Kreisen, in denen sich jemand bewegt. Die eigenen Werte werden ebenfalls stark von Religion, der Familie und Freunden, aber auch von der Bildung, sowie von politischen Begebenheiten beeinflusst. All diese Einflüsse machen jeden einzelnen Menschen, zusammen mit seinen angeborenen Wesenszügen und dem unterscheidbaren Äusseren zu einem Individuum. Je weiter man also eintaucht in die Masse von Menschen, können Individuen immer besser definiert werden. Im Kleineren kann sich ein Individuum speziell durch herausragende Begabungen, wie beispielsweise sportliches oder geistiges Talent, Humor oder Kreativität hervorheben. Diese Talente und Interessen werden in der Gesellschaft wahrgenommen, indem man sich einer Gruppierung anschliesst, die ähnlich denkt und handelt. Ein Beispiel wäre ein Sportverein, oder eine Sportgruppierung. Innerhalb dieser Sportgruppe hat dann jeder Einzelne die Möglichkeit sein Talent zu schärfen und zu verbessern. Einer ist immer mutiger als der andere, dieser dafür beweglicher und noch dazu sehr lustig, und so weiter. Die Sportgruppe kann durch ihre Erfolge, ihrem Auftreten und auch aufgrund dem sprachlichen Jargon innerhalb einer Gesellschaft definiert werden, und innerhalb dieser Gruppe das einzelne Individuum. 0 ‘Individualität’ bedeutet ‘Unteilbarkeit’ und ist herzuleiten über ‘Dualität’ = Zweiteiligkeit, ‘Dividieren’ = Teilen, ‘In’ = ‘nicht / un-’. 4 5 Dieser Aspekt der Gruppenzugehörigkeit ist sehr wichtig für diese Arbeit, und die Grundlage für das Gestaltungskonzept im praktischen Teil. Im nächsten Kapitel wird dieses Thema genauer behandelt und ausformuliert. Ebenso wichtig ist es mir als Textil-, also Produktdesignerin, auch das Phänomen zu verstehen, dass sich der Mensch über Produkte identifiziert, eine Beziehung zu diesen aufbaut und sich dadurch scheinbar ebenfalls als Individuum bestätigt fühlen kann. Darauf wird im Kapitel Zwei genauer eingegangen. 1.1 Individualität durch Zugehörigkeit – Die Identifikation mit einer Gruppe „Jeder Mensch ist Individuum und Teil des Ganzen, Einzelwesen UND Spezies. Diese Dualität wird signalisiert – je nach Bedürfnis mehr oder weniger – durch Distinktion und Nachahmung in der Gestaltung des Äusseren.“1 Inserat TOMMY HILFIGER in BOLERO März/11 Inserat „Diesel Island“ von DIESEL in BOLERO März/11 Die Zugehörigkeit zu Gruppen bringt ein Interessengebiet, Werte, oder Talente speziell zum Vorschein. Daher bekennen sich vielen Leute, bewusst oder unbewusst, äusserlich zu einer Gruppe. Fussballfans, die ein Sticker Ihres Lieblingsvereins ans Auto kleben, tun es sehr bewusst. Mode- und Designaffine2 Menschen tun es meist eher umbewusst, indem sie ein bestimmtes Produkt oder Kleidungsstück kaufen. Damit machen sie auch eine Aussage zu Interessen und Werten. In vermeintlich oder tatsächlich benachteiligten sozialen Milieus, definieren sich die Menschen gar über den Akt des Kaufenkönnens. Sie fühlen sich dadurch zur Gesellschaft gehörig3. Mit dem Kauf eines bestimmten Produktes ist es möglich, sich sich einem gewissen Milieu, und somit einem gewissen Lifestyle zuzuweisen und dies zu kommunizieren. Das macht beispielsweise TOMMY HILFIGER seit geraumer Zeit mit seinen Anzeigen deutlich. Zu sehen ist jeweils eine Gruppe mit mehr als zehn Leuten, vom Kind über hauptsächlich junge Erwachsene, wobei auch Vertreter der Elterngeneration nicht fehlen. Sie treffen sich auf dem Tennisplatz, picknicken, sind tierlieb haben Spass am Leben – aber vor allem: sie sind Zusammen. Sie sind eine Gruppe, ein Ganzes. Auch bei GUESS, HOGAN, und FAY sind die Models auf den Anzeigen nicht alleine anzutreffen. Die DIESEL-Freunde erobern gar eine Insel. Während die Frau in LACOSTE ihre hauptsächlich weisse Doppelseite nur mit dem Logo teilt, tut sie einem schon fast ein bisschen leid. Der Punkt ist aber, dass der Betrachter bei der LACOSTE-Frau nicht weiss, wie zum Beispiel ihr Mann aussieht, und ihre Freundinnen? Hat sie überhaupt Freundinnen? Und an welchen Orten und Anlässen gilt sie in diesem Outfit als unkonventionell chic? Auf dem Sportplatz, oder in der Oper? Das ‘Ganze’ ist bei dieser Anzeige nicht mitdefiniert, und so bleibt ihr Individuum ebenso vage und undefiniert. Die Gruppenzugehörigkeit ist enorm wichtig geworden und man will das heute auch kommunizieren und zeigen. Und dieses Bedürfnis ist gross, was auch die enorme Grösse und das schnelle Wachstum Facebooks 4 zeigt. Auch der Outdoormarkt und spezifisch der Freestylebereich ist unter anderem aus demselben Grund so schnell gewachsen. Die Identifikation und die seelische Befriedigung5 ist hier aber erstmal nicht durch die Bekleidung, oder gar bei dem Akt des Kaufens zu erleben, sondern vielmehr bei der Tätigkeit. Beim Sport den man vor allem in einer Gruppe ausübt, und wozu mehr gehört, als die reine Tätigkeit. Diese sportliche Tätigkeit, das Snowboarden und Freeskiern beeinflusst das Leben, den Freundeskreis, definiert die Beziehung zur Natur und für einige auch ihre Rolle in der Gesellschaft. Und dieses Lebensgefühl hat sich auf die Bekleidung übertragen. Die Snowboardfahrer hatten von Anfang an einen gewissen Freigeist in sich, der von den Skifahrern lange nicht akzeptiert wurde. Stösst man auf Ablehnung, tut man sich zusammen und setzt umso stärkere Zeichen – Zum Beispiel über die Bekleidung, was die Snowboarder bald mit Baggystyle in satten, grellen Farben taten. Diverse Freundeskreise, die die Faszination fürs Snowboardfahren teilten, gründeten Kleiderlabels. Sie vermarkten und kommunizieren einen experimentierfreudigen, geniesserischen Lebensstil und sind für viele, vor allem für Jugendliche, Vorbild und somit Identifikationspunkt. Das Thema der Gruppenzugehörigkeit führt fast automatisch zu den Produkten, die Gruppen begleiten, auszeichnen oder gar zusammenhalten. Inserat „unconventional chic“ von LACOSTE in BOLERO März/11 6 1 2 3 4 5 Loschek, 2007, S. 195 ‹affin› bedeutet ‹sich mit jemandem oder etwas verwandt fühlen› Loschek, 2007, S. 214 www.facebook.com - Auf der Internetplattform, kann man seine Interessen und Zugehörigkeit der ganzen Welt publik machen. folgt im nächsten Kapitel: vgl. Weiberg-Staber, 1983, S. 12 7 1.2 Individualität durch Konsum – Die Identifikation mit einem Produkt „...ob denn unser Seelenheil tatsächlich von Identifikationserlebnissen mit Serienerzeugnissen abhängt, oder ob wir da nicht die emotionale Befriedigung am falschen Ort suchen?“6. Diese Frage war und ist sehr provokativ und in gewisser Hinsicht berechtigt, dennoch rhetorisch. Denn das Bedürfnis nach Identifikation und Zugehörigkeit bei gleichzeitigem Streben nach Unverwechselbarkeit ist wohl als natürlichen anzusehen. Warum aber diese Zugehörigkeit und Unverwerchselbarkeit so stark vor allem mit Serienprodukten zusammenhängt, soll durchaus hinterfragt sein. Loschek sieht diese Identifikation mit dem oftmals seriell produzierten Produkt ‘Bekleidung’ als natürlich an: „Das ‘Ich’ als Subjekt ist mit dem ‘Ich’ als Objekt identisch, indem es sich denkend zum Objekt macht. Das heisst, Subjekt ‘Ich’ gestaltet mittels Bemalung, Bekleidung etc. das Objekt ‘Ich’.“ 7 Das Subjekt ‘Ich’ steht dabei für das Innere und das gegebene Aussehen, das Gesicht und die Haltung, und das Objekt ‘Ich’ als das gestaltbare Äussere, was vor allem die Bekleidung betrifft, aber auch beispielsweise die Wohnung, oder das Auto. Wilhelm Braun-Feldweg beschäftigt sich 1954 mit dem Spannungsfeld der Massenherstellung von Produkten. Für ihn steht fest, dass es ein elementares Bedürfnis des schaffenden Menschen ist, den Dingen eine Form und Spuren des eigenen Wesens aufzuprägen. Dies gilt in seinen Augen vor allem für Schaffende, aber nicht nur für den Gestalter, sondern auch für den ausführenden Handwerker und Produktionsmitarbeiter. Gleichzeitig sieht er es als gegeben an, dass der rezeptive8 Käufer, der sich mit den Dingen umgibt und mit ihnen lebt, sich durch die Form der Produkte entweder abgestossen oder aber bestätigt fühlt. Bei seiner Debatte geht es vor allem um die Form, die das Kennzeichen des freien Geistes sei. Die Funktion und der Zweck dagegen seien berechenbare und logisch belegbare Eigenschaften eines Objektes. Dementsprechend sind auch Kaufentscheide bei Kleidern gewichtet: Die Farbe, wie das Kleidungsstück den Körper formt und das abgebildete Sujet sind die wichtigsten Entscheidungsaspekte. Da kann ein Kragen eines T-Shirts schon mal etwas zu eng oder das Material kratzig sein, wenn die Farbe und Form überzeugt, wird ein Auge zugedrückt. Bei der Streetwear- und Snowboardbekleidung gibt es noch einen weiteren Kaufaspekt, auf den ich im BeachMountain9 aufmerksam gemacht wurde. Der Laden zieht vor allem viele Kidz10 und Jugendliche an, die sich stark mit dem Skate- und Snowboardlifestyle identifizieren. Sie wählen dabei oft die Kleider und vor allem auch Snowboards zuerst nach einem spezifischen Label aus, und dann entscheiden sie sich für das eine oder andere Design. Man kann quasi behaupten, dass ihnen die Aussage zur Zugehörigkeit, die sie mit ihren Besitztümern suggerieren noch wichtiger ist, als die Form. Die Zusammenstellung einzelner Gegenstände, seien es Wohnungseinrichtung, oder Kleidung, zeichnet wiederum die Einzigartigkeit eines Menschen aus. Dies gilt sowohl für Gebrauchs- und Wohngegenstände, als auch für Bekleidung. Gemäss Adolf Loos, 1898, ist „[...] das gemeinsame Band, das alle Möbel im Raum miteinander verbindet, dass sein Besitzer die Auswahl getroffen hat.“ Die Zusammenstellung einzelner, aus freiem Willen und nach eigenen Werten ausgewählten und erworbenen Produkten, macht eine Wohnung so individuell, wie die verschiedenen Talente, Charaktermerkmale, Tätigkeiten und das unterschiedliche Aussehen einen Menschen individuell machen. Und für die Bekleidung gelten solche Identifikationstheorien wohl umso mehr, zumal Kleider, nach Gestik und Sprache, als das stärkste Kommunikationsmedium angesehen wird. „Der Mensch teilt sich über seine Kleidung mit und wird mit ihr als Einheit von anderen wahrgenommen.“ 11, so Loschek. Die Gründe weswegen eine Person beim Kauf von Produkten seine Auswahl trifft, und dass sich diese bei jedem Menschen unterscheiden, zeichnet also in gewisser Weise die Einzigartigkeit eines (konsumierenden) Menschen aus. Margit Weinberg-Staber gab 1983 sogar zu bedenken, ob denn „[...] die Entscheidung über die persönliche Umwelt eines der letzen Rechte zum Individualismus in unserer Massengesellschaft 6 7 8 9 10 11 8 Weinberg-Staber, 1983, S. 12 Loschek, 2007, S. 192 ‹rezeptiv› heisst ‹wahrnehmen›, ‹empfangen› erster Skateboardshop der Schweiz, seit 1985, Gründer: Andy Tanner Mit ‘Kidz’ sind Kinder und Jugendliche gemeint, die schon grossen Wert auf ihr Äusseres legen Loschek, 2007, S. 190 9 ist.“ Auch der Produktverzicht sei ein solches Recht.12 Warum aber identifizieren sich Menschen mit Produkten? Einerseits weil Formen und Farben über die Funktion hinaus berühren oder abstossen, also unsere Gefühle ansprechen. Andererseits sind es die Aussagen, die mit dem Besitz von bestimmten Produkten gemacht werden – Aussagen beispielsweise zum Wohlstand, zum Stil, oder zu Vorlieben und Interessen, was alles auch eine gewisse Zugehörigkeit bedeutet. Produkte scheinen jedoch kaum aussagekräftig genug, und durch das einfache Auswählen und Zusammenstellen dieser Produkte fühlen sich viele Konsumenten noch lange nicht in ihrer Individualität bestätigt. Sie streben nach Produkten, die ganz genau auf sie zugeschnitten sind. 2. Analyse individueller Produkte Damit ein Produkt in seinem Besitzer das Gefühl von Individualität auslöst, bedingt es einer starken Identifikation13 seitens des Käufers mit seinem Produkt. Es gibt verschiedene Aspekte, spezifisch bei Bekleidung, die beim Besitzer ein Individualitätserlebnis auslösen können. Auf dem Markt bestehen diverse Produktkonzepte, die sich diesem Bedürfnis annehmen. Es gibt Designer die sich hauptsächlich mit diesem Thema beschäftigen, wie im Kapitel Limited Editions näher beschrieben ist. Auch will ich hier Aspekte beleuchten, die ein Produkt erst im Zusammenhang mit seinem Gebrauch individuell machen, und somit nicht vom Produzenten steuerbar sind. Ausgewählte Beispiele zu solchen Produkten und Konzepten sind in den folgenden Unterkapiteln beschrieben und auf ihre Individualitätsaspekte befragt. 2.0 Handgemacht, Unikate Den Kauf von handgefertigten Produkten stellt man heutzutage oftmals in Verbindung mit Regionalität und somit einer Schonung von Ressourcen und ein Verzicht auf lange Transportwege. Andererseits suggerieren handgemachte Produkte Exklusivität, da sie eben nicht in Massen bestehen und wenn doch, so ist oftmals eins augenscheinlich vom anderen zu unterscheiden. Als Fehler zwar, aber sehr treffend, beschrieb Teo Ducci, 1954 im Zusammenhang mit der Ausstellung ‘Forme Nuove in Italia’ solche Umstände. Im folgenden Zitat ist das Bedürfnis nach Einmaligkeit und ein Ansatz trotz Serienproduktion damit fertig zu werden, herauszulesen: „Jeder leistet sich die Illusion, dass von dem, was er wünscht – sei es eine Vase, ein Stoff oder ein Automobil – nur ein einziges Exemplar besteht, sein Exemplar. Die Produzenten beeinflussen diese Tendenz und werden durch sie beeinflusst. Und wenn sie aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen sind, eine Bestellung für eine Mehrzahl von Exemplaren auszuführen, dann passiert es ihnen, dass zunehmend jedes Stück an einer ‚kleinen Änderung’ leidet, die aber genügend gross ist, um zwei grundsätzlich gleiche Stücke wesentlich verschieden zu machen.“ Vasen ‹Vasi Pezzati› von VENINI, designed von Fulvio Bianconi Beispiel italienischer Serienproduktion. Das Zitat von Teo Ducci, 1954 bezieht sich auch auf Venini-Produkte. Eine Auswahl davon wurde auch an der Ausstellung ‹Forme nuova in Italia›, 1954 im Zürcher Museum für Gestaltung gezeigt. Hinzu kommt ebenfalls das Wissen über das handwerkliche Können des Herstellers, das man als Käufer bewundert. Besteht eine persönliche Beziehung zum Hersteller ist eine Identifikation zu dem Produkt noch einmal verstärkt. Handgefertigte Möbel sind oftmals auch Unikate nach Auftrag. Die Auftragserteilung, und die damit verbundene Auferlegung von Rahmenbedingungen, kann auch eine Art von Mitgestaltung sein. Noch bis 1860 war dies bei der Bekleidung gängig: „Die Gedanken über das Aussehen der Kleidung teilte sich Kunde/Kundin und Schneider/Schneiderin, das heisst sie inspirierten sich gegenseitig.“ 14 , Die Gestaltung war auf den Käufer angepasst, gar mit ihm erarbeitet, was Ihn von vornherein als Individuum bestätigte. 2.1 Gebrauchsspuren, Second Hand, Reuse Die Individualisierung eines Produktes geschieht hier durch die persönliche Beziehung des Besitzers zum Produkt. Erlebnisse die mit dem Produkt, die physische Spuren in Form von Abnützung der Oberfläche 12 Weinberg-Staber, 1983, S. 12 13 ‘Identiät’ bedeutet ‘Wesenseinheit’ und ist herzuleiten vom lateinischen Wort ‘Identitãs’. Synonyme dafür sind Wiedererkennbarkeit’, ‘Übereinstimmung’ und ‘Unterscheidbarkeit’. Dementsprechend beschreiben die Wörter ‘Identifikation’ und ‘identifizieren’ sich ‘zugehörig fühlen’ und sich in etwas oder jemanden hinein versetzten zu können. 14 Ducci, 1954, Zürich, S. 14 10 11 hinterlassen, führen zu dieser engeren Beziehung. Das Produkt wird zum Erinnerungsträger. Die physische Abnützung des Materials - Löcher und Flecken, die den Träger an diese Momente erinnern – macht auch für Aussenstehende sichtbar, dass dieses Produkt eine Geschichte hat. Hinterlassen die Erlebnisse keine Spuren, ist es für den Besitzer selbst dennoch ein exklusives Stück – eine Exklusivität aber, die nur der Besitzer selbst wahrnimmt. Durch das Tragen kann Kleidung für den Besitzer auch daher zu einem individuelleren Stück werden, da sie sich mit der Zeit dem Körper des Trägers anpasst. Deswegen werden beispielsweise Jeans, oder Lederschuhe mit den Jahren bequemer. FREITAG-Tasche ‹Messenger› Nach 8 Jahren in Gebrauch finde ich diese - meine - Tasche trotz der groben Abnutzung noch immer die Schönste von allen. Secondhand-Produkte, Kleider die für eine gewisse Zeit einen Besitzer bei seinen Erlebnissen begleitet haben, werden von ihm in Brokis und Secondhandläden gegeben, um von einem neuen Besitzer erstöbert und entdeckt zu werden. So fühlt es sich für den Finder oft an, als hätten sie auf ihn gewartet, was ihnen in gewisser Weise Unikatcharakter verleiht. Die Chance, dass der genau gleiche Pullover aus den 50ern in einem anderen Secondhandladen derselben Stadt zu finden ist, ist höchst gering. Überhaupt kann man nicht wissen, oder noch mehr von diesem Pullovermodell existieren, oder ob dieses Modell der letzte davon ist. Durch etwaige Gebrauchsspuren, suggerieren diese Kleider und Objekte oftmals eine Geschichte. Da diese Geschichten nur am Produkt haften, sie aber nicht erzählt werden, entsteht eine Art Geheimnis, was den Identifikationsaspekt zusätzlich verstärkt. Ein anderes Beispiel sind die FREITAG-Taschen aus ehemaligen Lastwagenplanen, deren Art von Geschichte gewiss ist, sie sind gereist und haben Dinge während dem Transport geschützt, sowie Werbung für das jeweilige Unternehmen gemacht. Gebrauchsspuren nimmt man deshalb in Kauf. Für die Identifikation kommt einerseits noch das Unikatwissen dazu, und das Erraten oder Wissen, welcher Firma diese Plane gehörte, macht zusätzlich Spass. Besitzer zweier Taschen, die augenscheinlich von derselben Plane abstammen, sind durch dieses Produkt verbunden – sie haben eine Gemeinsamkeit, ohne dass ihre Individualität ‘gefährdet’ wäre. Andererseits suggeriert man mit dem Kauf von Freitagprodukten eine Wertvorstellung. Freitag arbeitet ausschliesslich mit recycelten Materialien und produziert noch immer in der Stadt Zürich. 2.2 Limited und Special Editions Neue Produktelinie ‹REFERNCE› von FREITAG, Frühling/Sommer 2011 Diese Linie wird aus gleichfarbigen Lastwagenplanen zusammengestellt. Die Unterschiede der Unikate sind nicht mehr sichtbar. Die Identifikation ist dennoch ungebrochen. Dies durch zwangsläufig limitierte Auflagen, starkem Markenbezug und nicht zuletzt wegen dem hohen Preis. Prototypen und limitierte Designer Editionen unterhalten ein ganzes, globales Feld von Galerien und Sammlern, sowie seit fünf Jahren eine eigene Messe, die ‘Design Miami Basel’. Oftmals seien dies Designer, welche sich ganz der Forschung und dem Experimentieren verschrieben haben. Immer mehr Galeristen, Mäzene und Kuratoren unterstützten solche Projekte, weil sie daran glauben, dass sie zu neuem Zugang führen, dem Design neue Perspektive verleihen, und neue Bezüge zwischen Design und Markt, Design und Objekt, Industrie und Idee herstellen und in Frage stellen. So Sophie Lovell in der Einleitung zu Ihrem Buch LIMITED EDITION.15 Ebenso findet die Auseinandersetzung mit dem Bezug zwischen Käufer und Produkt vertieft statt. Für das Problem, dass eine wirkliche Beziehung zu den Dingen fehlt, suchen die Leute, so Sarah von Gameren, „[...] nach Möglichkeiten, Produkte neu zu bewerten. Sie wollen eine persönliche Beziehung zu ihnen herstellen. Zum Beispiel indem man weiss, wie sie hergestellt wurden.“ 16. Der Sammler von Designobjekten zeigt sich hiernach als Kenner von Herstellungsprozessen. Der Redakteur des ‹Wallpaper›-Magazins Nick Compton meint ebenfalls, das Design müsse jetzt neue Aufgaben erfüllen, „[...] nämlich dem übersättigten Individuum einen ästhetischen Gehalt, eine Geschichte und ein Gefühl von Identität verleihen. [...] Und dies geht weit über Märkte und Preisschilder hinweg.“ 17. Zurück zur Sportbekleidung: Beispielsweise Adidas macht die Identifikation über limitierte Ausgaben auch für Konsumenten möglich, die sich mit Preisschildern rumschlagen müssen. Als Beispiel diene hier die SpecialEdition des Sneakermodells ‘Superstar’ von Adidas 2005. Zum 35. Geburtstag dieses Turnschuhmodells brachte Adidas fünfzehn Designs von verschiedenen Künstlern auf den Markt. (Der Aufpreis zu einer normalen Ausgabe des Schuhs betrug circa 50 Franken.) Das gefragteste Design dürfte die ‘Run-D.M.C.’-Edition gewesen sein. Die Hiphop-Band hat diesem Schuhmodell ein Lied gewidmet und damit den Schuhen in den 80ern zu ihrer Popularität verholfen. Mit dem Kauf dieses Schuhs konnte man sich also nicht nur als ‘Adidas’Kenner und Liebhaber beweisen, sondern sich auch klar der HipHop-’Community’ erster Generation zuweisen. Begegnen sich zwei von den wenigen Besitzern auf der ganzen Welt mit diesem Run-Dmc-Schuh, fühlen 15 vgl. Lovell, 2009, S. 7 16 Lovell, 2009, S. 33 17 Lovell, 2009, S. 235 12 13 sie sich angesichts der Exklusivität und der Musikliebe deren sich beide einig sind wohl kaum in ihrer Individualität bedroht, sondern eher bestätigt. 2.3 Customizing Als Customizing wird unter anderem das Selbst-, Mit-, oder Weitergestalten von schon vorhandenen Produkten bezeichnet, also das Neugestalten von gekauften Produkten, durch eigenes zusätzliches Verzieren und Verändern. Die Band Run-Dmc um 1980 Adidas Superstar ‹Run-Dmc›, 35. Anniversary-Edition, 2005 Da die Memeber von Run-Dmc den Schuh in den 80ern ohne Schnürsenkel trugen, wurde er 2005 dementsprechend verkauft. Die gängigen Customizing-Angebote sind mit dem Internet aufgekommen und auch erst damit im grossen Stil ausführbar. Sie geben dem Konsumenten die Möglichkeit, sich kreativer zu betätigen als beim Kauf von fertig gestalteten Produkten. Diese Möglichkeit ist aber im genau gleichen Sinne kreativ wie der kreative Akt des Auswählens und Kombinierens beim herkömmlichen Kaufen, wo man sich zwischen der roten und blauen Ausgabe entscheiden kann. Die wählbaren Farben sind beim Customizing immer vom Hersteller vorgegeben und somit beschränkt. Ebenso sind die Teile, welche man customizen kann, vorbestimmt. Im Falle von NIKE id, kann man zwar allen Schnittteilen eine Farbe und ein Material zuweisen, aber Nike hat vorbestimmt, welche Teile immer die gleiche Farbe haben. Dies hat produktions-, sowie markentechnische Gründe. Der Schuh soll schliesslich trotz allem als Nike-Schuh erkennbar sein, das ist auch im Sinne des Kunden, der sich für einen Nike-Schuh entscheidet. Dass Customizing die Kreativität des Kunden hervorheben soll, ist vielleicht einfach die falsche Auslegung. Man könnte es auch so auslegen, dass Nike seinen Kunden mit Customizing quasi die Möglichkeit bietet, augenscheinlich ein Teil der Marke zu werden, indem nämlich im Turnschuh, gleich neben dem ‘Swoosh’, die persönlichen Initialen eingraviert werden. Ein schönes Beispiel die These zu unterstreichen, dass es den Kunden nicht eigentlich um die eigene Kreativität geht, sondern um die Wiedererkennung des Labels ist das folgende: SantaCruz gab 2005 eine Snowboardlinie heraus, die komplett weiss war. Geliefert wurden die Boards mit einem Stickerset, mit welchen die Kunden die weisse Fläche selbst bespielen konnten. Diese Boards waren absolute Ladenhüter. Niemand wollte sie. „Da soll man noch ‘selber chläberle’, was soll denn das!?“18. Scheinbar ist es also wichtig, dass sich Marken selbst ein klares Gesicht verleihen und stetig Form(ensprache) beweisen, welche der Kunde wiedererkennt. 2.4 Unikate durch zufällige Musterplatzierung Homepage nikeid.nike.com Aktuell kann man auf dieser Adresse das neue Laufschuhmodell Nike-Free gestalten und bestellen. Eine Art von individuellen Produkten, vor allem im Bezug auf Bekleidung, bringt die Zufälligkeit mit der sich Muster über ein Kleidungsstück verteilen, mit sich. Eine Kollektion ist grundsätzlich über die Farbe, das Muster und den Schnitt zu erkennen. Mit der zufälligen Musterplatzierung könnte man theoretisch individuelle Stücke erzeugen, wobei die Kleidungsstücke augenscheinlich aus derselben Kollektion sind. Jedoch wird diese Art von Zufälligkeit bei industerieller Herstellung noch eher vermieden. Dies vor allem, weil in der Industrie eine Zufälligkeit in der Konfektion kaum preiswert steuerbar ist und später auch den Verkauf vor Probleme stellt. Zu einem Teil geht es immer um die Ästhetik eines jeden Kleidungsstückes und zum Anderen um die Wiedererkennung der gleichen Stücke. Verändert sich das Muster zu stark, und sind die Proportionen der Farben und Muster nicht kontrollierbar, ist es durchaus möglich, dass das eine oder andere Stück erstens nicht in der gewünschten Ästhetik ausfällt, und zweitens besteht die Gefahr, dass der Kunde die Produkte nicht als die selben akzeptiert oder sie sogar als fehlerhaft versteht. Als Beispiel betrachten wir die ‹Vibrant›-Jacke von Salomon. Die hell-dunkel Kontraste sind auf jeder Jacke minim, oder ganz offensichtlich verschieden platziert. Einersetis kann dies den Kunden abschrecken, weil die Jacke im Laden nicht so ist, wie er sie im Katalog gesehen hat. Andererseits kann es auch aus demselben Grund zum Kauf überzeugen, weil jede Jacke ein sichtbar individuelles Stück ist. Ein gleiches Kleidungsstück mit sichtbar verschiedenem Dessin-Vorkommen kann durchaus in kleineren Boutiquen ein Thema sein, wo bei persönlicher Betreuung der Kundin diese Unterschiede erklärt werden können. Im Gegensatz dazu müssen Versandhäuser solche zufälligen Abweichungen ganz konkret vermeiden, da der Kunde immer genau das will und erwartet, was er im Katalog gesehen hat. Daher sind die grössten Musterrapporte in der Industrie kaum grösser als eine Körperlänge von 1.80 Meter, welche zum Beispiel als Verlauf auf langen Kleidern ein18 aus dem Gespräch mit Markus Krebs – Sportartikelverkäufer bei Beach Mountain, Zürich 14 15 gesetzt werden. Alles was darüber hinaus geht sind seltene Sonderfälle.19 Abweichungen in der Platzierung auf dem Schnitt aber – und das sei wohl bemerkt – gibt es bei AlloverMustern, zum Beispiel Karos, oder sich über die ganze Stoffbreite ziehende Blumenmotive, immer. Wenn jedoch das Muster in seiner Anmutung und Farbigkeit immer identisch ausfällt, fällt dies keiner Kundin auf, und würde auch von sensibelsten Kunden nicht als Individualitätszeugnis akzeptiert, da die Unterschiede nicht klar sichtbar sind. Bei der abgebildeten ‹Tove›-Jacke von Eleven fallen die Abweichungen vielleicht dem einen oder anderen Kunden auf. Jeodch bleibt die Gesamtanmutung jeder ‹Tove›-Jacke gleich und somit sind die Unterscheidungen kaum der Rede wert. Zwei Beispiele der Jacke ‹Vibrant› des Outdoorlabels SALOMON Auf ein Modelabel bin ich gestossen, das die ‘Einmaligkeit in Serie’ als Slogan und Konzept bearbeitet. Die Veränderung findet hier in der Platzierung und Zusammenstellung des Sujet und der Farbe statt. Es ist ein kleines Label aus Basel namens ‘Boycottelettes’. Die Einmaligkeit stellt sich bei ihnen ein, indem sie von Hand Siebdrucke machen, und nur mit platzierten, freien Motiven arbeiten, die sie immer anders neben und übereinander drucken. Sie arbeiten jeweils in Serien bei denen bestimmte Motive immer wieder vorkommen. Die Fondfarben sind ebenfalls auf ihre Weise zufällig. Boycottelettes beziehen Stoffe aus Restposten einer Schweizer Strickerei. Folglich können sie die Farbigkeit und Menge der Stoffe nicht steuern und auch nicht nachbestellen, ‹es hät solangs hät›. Nur so können sie den erschwinglichen Verkaufspreis von rund 100 Franken pro Stück gewährleisten. Ihre Kleider werden, gemäss der vorgängigen These, vor allem in kleinen Boutiquen verkauft. Vorher aber gibt es immer ein Atelierverkauf, für Freunde, Bekannte und alle Interessierten. Das was von diesen Verkäufen übrig bleibt verteilen sie den Boutiquen. Die Auswahl im ‹öffentlichen› Verkauf ist also auch auf seine Weise zufällig. Wärend Grossproduzenten vor allem aus Kostengründen und aus dem Bewusstsein, dass der Kunde Abweichungen als fehlerhaft ansehen könnte, soweit wie möglich auf Zufälligkeiten und Abweichungen verzichten, arbeitet Boycottelettes genau aus Kostengründen mit dem Zufall. Würde nämlich das kleine Label, das alle Ressourcen aus der Schweiz bezieht und auch hier produziert, das Material gezielt auswählen und jede Sujetplatzierung genau kontrollieren, dauerte die Produktion viel zu lange und die Halbfabrikatskosten wären viel zu hoch. Nur noch wenige könnten sich Boycottelettes-Produkte leisten. Aber mal abgsehen von den Kosten: Warum schätzen die Boycottelettes-Kunden die Veränderungen innerhalb einer Serie so sehr, während man unterscheidbare Produkte aus der industriellen Herstellung als fehlerhaft betrachtet? Der Hauptgrund ist wohl, weil die Zufälligkeit und Abweichung bei Boycottelettes ganz genau gerechtfertig ist, und innerhalb eines sehr überzeugenden und konsequent umgesetzten Konzeptes stattfindet. Und solche überzeugende Konzepte schaffen Bezüge und die Kundin kann sich mit dem Produkt identifizieren. Zwei Beispiele der Jacke ‹Tove› des Snowboardlabels ELEVEN In der industriellen Produktion hingegen ist es aus technischen Gründen gar nicht möglich eine wirklich grosse Veränderung innerhalb eines Produktes zu erzeugen. Und die kleinen Unterschiede, die sich erzeugen lassen, sind nicht in ein einleuchtendes Konzept einbettbar. Jedes Produkt anders zu halten, in dem die Blume, oder im Falle der ‹Vibrant›-Jacke, der Weisskontrast mal da und mal dort vorkommt, vermag noch nicht als starkes und interessantes Konzept überzeugen. Mit der generativen Gestaltung bietet sich jetzt aber ein Entwurfswerkzeug an, mit der auch für die industrielle Herstellung grosse, klar unterscheidbare Veränderungen programmiert, und im gleichen Zug in einen inhaltlichen Kontext gesetzt werden können. Sweatshirts für Kinder aus der ‹Gorilla›-Serie von BOYCOTTELETTES, 2010 19 Aus dem Gespräch mit Frau Brinschwitz. Verkaufsleiterin bei KBC, Wheil am Rhein - grösster Inkjetdrucker Europas 16 17 2.5 Generative Gestaltung Durch generative Gestaltung20 können Muster entwickelt werden, die sich zufällig und dennoch kontrolliert verändern. Diese Gestaltungstechnik bietet die Möglichkeit einen Unikatcharakter, wie ihn die Boycottelettes anbieten, industriell in grossen Stückzahlen umzusetzen. Womit ‹Einzigartigkeit in Serie› nicht länger widersprüchlich ist. Janet Bezzant formulierte 2007 das Potenzial der generativen Gestaltung für Endlosmuster wie folgt: „Through iterations, the field is calculated and then recalculated and recalculated constantly updating and re-arranging itself using the information dictated by rules preset. Patterns emerge that potentially never repeat, only the rules repeat with ever changing returns.“ 21 ‹Bezier 1› von Hilary Charlisle, 2005 Das Beispiel auf welches sich Bezzant dabei bezieht, ist das einfache lineare Muster ‹Bezier 1› von Hilary Carlisle, 2005. Geschwungene Linien ziehen sich bei jeder Berechnung immer wieder anders über das vorgegebene Format. Mit dieser Art von Veränderung geht Carlisle aber kaum weder auf die vorher angesprochene, und meiner Meinung nach, nicht vorhandene Sensibilität der Kunden für kleinste Unterschiede im Muster ein, noch sind die Veränderungen konzeptionell gerechtfertigt. Aber eben genau die Möglichkeit, dass mit generativer Gestaltung Formen erzeugt und wiederholt werden können, die lediglich einer Regel entsprechen müssen – also keine fixen und starren Formen sind - bietet sich die Möglichkeit diverse Aspekte eines Musters erkennbar und gerechtfertigt zu verändern. Die folgenden zwei Beispiele arbeiten schon viel konzeptioneller, indem sie mit einer gleichbleibenden Formensprache platzierte Einzelmotive generieren und diese auf etwas, oder jemand bestimmtes beziehen. Die Arbeit ‹Tissue Collection›, die aus einer limitierten Anzahl von Kleidungsstücken besteht, entstand 2002 von Cate Reas und Casey Reas - einer Modedesignerin und dem Softwarespezialisten und Mitentwickler der Programmiersprache ‘Processing’22. Er gestaltet Bilder, die mit Inkjet auf Stoff gedruckt und von Cate Reas zu Kleidern verarbeitet werden. Ein Kleid pro Bild, ein Bild und Kleid pro Kunde. ‹Tissue Collection› Ausstellung, Studio 1 to 1, 2002 Auch Einzelstücke, aber hier seriell hergestellt, sind die Pullover aus dem Projekt ‘News Knitter’ von Ebru Kurbak und Mahir Yavuz, 2008. Im Gegensatz zu Carlisle und Reas greift diese Art von generiertem Motiv einen weiteren, sehr potenziellen und interessanten Aspekt der Mustergestaltung auf, nämlich die Möglichkeit Muster - Farben, Formen UND Veränderung - auf ein Thema zu beziehen. Bei ‘Knews Knitter’ interpretiert ein Programm Informationen der Tagesgeschehnisse und errechnet daraus ein Muster. Das Programm speist die Musterdaten in eine Flachstrickmaschine, mit der auch ‘herkömmliche’ Strickpullover produziert werden. Theoretisch also sind diese Pullover in grossen Serien herstellbar. Obwohl auf jedem Pullover andere Informationen dargestellt sind, gehören sie erkennbar zu derselben Produkteserie. Der Träger kann sich vielleicht mit dem Datum oder den Geschehnissen, auf welche sich das Muster bezieht, identifizieren und es ist für ihn klar ersichtlich, dass sein Muster anders ist, als die auf den anderen Pullovern. Dies alles dank den Rahmenbedingungen, denen der Mustergenerator unterliegt: Farbigkeit, Formensprache, Grössenverhältnisse, sowie die Verteilung auf dem Kleidungsstück, der Schnitt und das Material, bleiben immer gleich. Die grösste Schwierigkeit ist hier, dass das Programm unvorhersehbare Muster errechnet, was wohl der Grund ist, warum so ein Projekt noch nicht in unüberschaubaren Mengen produziert wird. Unterschiedliche Informationsdaten, welche man in diesem Fall nicht steuern kann, führen zu ganz unterschiedlichen Mustern, welche wohl bei weitem nicht alle gleich ästhetisch ausfallen. Dieser Aspekt bleibt für die industrielle Herstellung also nach wie vor als grosse Herausforderung bestehen. Wie dem entgegen zu wirken ist, gilt es unter anderem, zu untersuchen. Pullover aus dem Projekt ‹News Knitter›, Ebru Kurbak und Mahir Yavuz, 2008 18 20 ‘generativ’ bedeutet ‘erzeugen, hervorbringen’ und ist herzuleiten aus dem Lateinischen ‘generativus – generatus – generare’. Die Verwendung mit ‘Gestaltung’ verweist auf das Errechnen von Formen mit Hilfe mathematischer Algorithmen – Formerzeugung durch Programmieren. 21 Deutsch: Durch Wiederholung wird anhand vorbestimmter Informationen und Regeln ein Feld immer wieder neu berechnet und neu arrangiert. Es entstehen Muster, die grunsätzlich nie gleich sind, weil sich nur die Regel, nicht aber das Resultat wiederholt. 22 ‹Processing› ist eine Programmiersprache basierend auf JAVA, vereinfacht und zugeschnitten für visuelle Gestaltung. 19 3. Fazit Es ist zu erahnen, welch unerschöpflichen Möglichkeiten und grosses Potenzial die generative Gestaltung für das Textildesign bietet. Einerseits in der Ausführung - die vorgestellten Beispiele zeigen eine erste Bandbreite auf: Von zurückhaltenden, aber sich immer ändernden Endlosmustern, bis zu platzierten Motiven, die auf einen Kunden, oder auf bestimmte Informationen zugeschnitten sind. Andererseits bietet die generative Gestaltung in der Formgenerierung allergrösste Vielfalt, welche in einer eigenen Arbeit thematisiert hätte werden können. Ein Bild kann man sich vielleicht machen, in dem man sich anschaut, in welchen Design-Bereichen generative Gestaltung schon angewendet wird: Interaktion, Produktdesign, Graphik, Musikvisualisierungen, Video, Animation und nicht zuletzt Architektur. 23 Neben der Form ist es für die Anwendung im Textildesign von ebenso grosser Bedeutung auf welche verschiedenen textilen Techniken man diese Entwurfsart anwenden kann. Theoretisch sind alle Techniken eingeschlossen, die in mindestens eine Richtung uneingeschränkt fahren können. Oder alles, was keine vorgefertigten Werkzeuge voraussetzt, wie zum Beispiel ein Sieb oder ein gefräster Kalander. Für die Umsetzung von sich immer ändernden Mustern kommen also grundsätzlich digital gesteuerten Techniken in Frage. Beim Entwerfen durch Programmieren kann man vereinfacht sagen, dass es grundsätzlich um den kontrollierten Einsatz des Zufalls geht. Diesen Aspekt wird in meiner Arbeit konzeptionell eingebettet in das ‹Ganze›, das durch das Zusammengehören unterschiedlicher Individuen entsteht. Die einzelnen Sujet und ihre unterschiedliche Form, Farbe und Platzierung ist quasi das Individuum, der Stoff das Ganze. Als Hauptprodukt entstehen so ‹Endlosmuster mit Anfang und Ende›, was ich fortan als ‹Musterbild› bezeichne. Die Bandbreite der Gestaltungs- und Umsetzungsmöglichkeiten von solchen Musterbildern und weiteren Umsetzungsarten will ich im gestalterischen Teil anhand einer bestimmten Formensprache ausloten und aufzeigen. „Das individuelle Selbstbild – die Individualität – entsteht durch Beobachtung von sich im Vergleich zu anderen.“24 Das individuelle Selbst im Vergleich zur Gruppe. Diese Situation wird unterstrichen durch die Snowboardjacke, die so gestaltet ist, dass sie innerhalb einer Formfamilie - eines ‹Musterbildes› - eine unverkennbare Einmaligkeit aufweist. Bei der Auswahl der Kleidungsstücke kommt also der Entscheid darüber hinzu, welche Stellung innerhalb des Bildes - ‹des Ganzen› - eingenommen wird. Somit bieten Musterbilder Identifikationsaspekte, die über den Bezug zum Label und über die Identifikation zur Form selbst hinausgehen. Aufgrund der Erkenntnisse aus der Theoriearbeit kann ich für die Gestaltung dieser Musterbilder folgende grundlegende Aspekte festlegen: 0| Definition einer Gruppe, eines Ganzen durch optischen Anfang und Ende des Stoffes - ‹Musterbild›. 1 | Die Muster verändern sich relevant, wobei jedes Stück als Teil des Ganzen wieder zu erkennen ist. 2 | Jeder einzelne Teil soll ästhetisch sein, was dem grossen Wert des ‹Individuums im Ganzen› entspricht. Welche verschiedenen Musteraspekte der Veränderungs-Träger sein können, ab wann solche Veränderungen als relevant erscheinen, und wo die Grenzen der Wiedererkennbarkeit und der kontrollierbaren ‹Ästhetik› des Endproduktes liegen, gilt es nun in der gestalterischen Arbeit zu hinterfragen und auszuloten. 23 Anregende Beispiele dazu findet sich unter anderem unter http://www.generative-gestaltung.de und im gleichnamigen Buch ‹Generative Gestaltung› (Hermann Schmidt, Mainz, 2009), sowie auf www.processing.org/Exhibition. Beispielhafte Graphikarbeiten, sie mich unter anderem für mein Konzept und die Gestaltungsgrundlagen inspierten, sind ‹The Sheep Market› von Aaron Koblin (www.thesheepmarket.com), ‹Written Images› von Martin Fuchs (www.writtenimages.net), und ‹Random Posters› von Felix Pfäfflin (www.feixen.ch/?p=148) 24 Loschek, 2007, S. 196 20 21 4. Quellenverzeichnis LITERATUR: B EZZANT, Janet. ‘Making knowledge. Why is on(c)e not enough?: Repetition and reflexivity – from real to virtual’. Stream-Repetition and Endurance. ‘Repeat Repeat Conference’ University of Chester, Chester, 2007. URL: http://www.cpara.co.uk/ events/repeatrepeat/technology/bezzant.html am 25.03.2011 B RAUN-FELDWEG, Wilhelm . Normen und Formen Industrieller Produktion, Ravensburg 1954, S. 7-10 D UZZI , Teo. Forme Nuove in Italia. Ausstellungskatalog Kunstgewerbemuseum Zürich, 1954 G LANZMANN , Lilia. Me, Myself & I, Hochschule Luzern D&K, Luzern, 2007 (Diplomarbeit) LOSCHEK , Ingrid. 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