reise: madeira - chilli:freiburg:stadtmagazin

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reise: madeira - chilli:freiburg:stadtmagazin
reise madeira
Elftes Gebot:
Besuche Madeira
Eine Liebeserklärung an den
Garten Eden Europas
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Fotos: © slipdealder.de / Collage © chilli
in portugiesischer Prinz schickte Anfang des 15. Jahrhunderts zwei junge Kapitäne auf Entdeckungsreise.
Sie stießen auf eine riesige, dunkle Wolkenmasse
am Horizont. Als die beiden Abenteurer sich an dieses Ungetüm heranwagten, stellte es sich als komplett bewaldete
Insel heraus, weswegen sie ihr den Namen „Madeira“ – Holz
– gaben.
Jahrhunderte später besuche ich als ziemlich mittellose
Schulabgängerin die Insel und lande mitten im Atlantik
auf einem schwimmenden Berg, der vor 12 Millionen Jahren entstand, als ein untermeerischer Vulkan Lavamassen
vom Meeresboden in die Höhe gedrückt hat. Eine Insel,
auf der ewiger Frühling, bestes Klima und enorme Vielfalt
herrschen.
In dem mit durchschnittlich 22 Grad milden, aber nicht
zu heißen Klima wächst und gedeiht Obst und Gemüse in
Hülle und Fülle. Beim Ankommen springen erst einmal die
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vielen Bananenstauden ins Auge. Diese sind zwar nicht so
krumm und groß, wie die EU es sich wünschen würde – dafür schmecken sie noch echt nach Banane. Auch sehr lecker
zum traditionellen Degenfisch. Madeira ist für bekennende Wandervögel wie mich ein Paradies: Die ganze Insel
blüht und grünt, von Liebesblumen über Bougainvillea und
Hibiskus bis hin zu Hortensien und dem „Stolz Madeiras“,
den lila leuchtenden Echinacea.
Neben der fantastischen Vegetation staune ich über die
wandelbare Landschaft. Die Insel bietet nass-grüne Lorbeer- oder Eukalyptuswälder, aber auch heiße, trockene
Staubwege mit orange blühenden Kakteen. Eine Wanderung kann einem Kurztrip durch den Regenwald ebenso
ähneln wie einem durch Afrika. Schwindelfreiheit ist dabei
von Vorteil, da viele Wanderwege direkt am Abhang von
senkrecht in die Tiefe herabstürzenden Steilklippen laufen.
Kaum zu glauben, dass die Insel früher als Urlaubsdomizil
für rüstige Rentner schlechthin galt.
Reise madeira
Fotos: © Sophie Radix
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1. Traditionelles madeirisches Bauernhaus in Santana. 2. Eine
Touristenattraktion: In einem Korbschlitten auf Holzkufen geht es
bergab.
3. Eine Spezialität des Landes, der Madeirawein (Likörwein
4. Bacalhau (Stockfisch), das
mit 17-22% Vol.), reift in Barriquefässern.
portugiesische Nationalgericht, darf auch in der madeirischen Küche
nicht fehlen.
5. Der Hafen der Hauptstadt Funchal 6. Die berühmten
portugiesischen Azulejos (große, historische Bildergeschichten in
blau-weiß gebrannte Fliesen) finden sich auch im Botanischen Garten
7. Die wahrscheinlich berühmteste Blume, die Strelizie
8. Madeiras
Westen besicht durch herrliche Panoramen. 9. Madeiras zentrales
von Monte.
oder Paradiesvogelblume, ist auf Madeira beheimatet.
Hochland: Das Landesinnere bietet ein völlig anderes Landschaftsbild,
das zum Wandern einlädt.
Allerdings sind die steilen Touren kein Muss: Bereits im
15. Jahrhundert wurden künstliche Wasserläufe angelegt, die sogenannten Levadas, um das Wasser aus den
niederschlagsreichen Bergen in andere Bereiche der Insel zu transportieren. Diese Wege sind flach, damit das
Wasser besser fließen kann, und laden daher auch zum
Spazierengehen ein.
Plant man indes, einen der vielen Tunnel auf der Insel
zu durchqueren, sollte man Licht dabei haben: Ich selbst
vertraue in einem eigentlich harmlosen Tunnel bei Rabaçal naiverweise auf das Licht meines Handys, muss
mich dann aber minutenlang im fast Stockdunkeln an
nass-kalten glitschigen Wänden entlanghangeln, bis
zwei fröhliche „Viva Colonia“ singende Touristen hinter
mir mit ihren Taschenlampen Licht ins Dunkle bringen.
Neben anderen Wandervögeln begleiten einen stets das
Rascheln der schillernden Eidechsen, die über heiße Steine huschen, und hüpfende Finken, die einem durchaus
mal überschüssige Krümel aus der Hand picken.
Besonders ruhige und nicht überlaufene Pfade finden
sich im Westen der Insel. Vom Dorf Estreito da Calheta
geht es mit spektakulären Ausblicken entlang steiler
Hänge in die Nachbardörfer Jardím do Mar und Paúl do
Mar. In den umliegenden Bergen fließt ein Wasserfall,
dessen Lauf einen Bach und kleine Teiche bildet, die zur
Erfrischung inmitten grünster Natur einladen. In Jardím
do Mar zeigt der Atlantik dann mit meterhohen Wellen,
was er drauf hat.
Beim Verlassen der Insel bin ich einerseits traurig, diese
Schönheit hinter mir zu lassen. Aber auch ein bisschen
erleichtert. Denn wer einmal auf Madeira war, macht
sich weniger Gedanken darüber, ob er mal in Himmel
oder Hölle landet. Er hat das Paradies auf Erden schon
gesehen.
Sophie Radix
Madeira
ANZEIGE
INFO
Ankommen & Rumkommen
Edelweiss, eine Tochter von SwissAir, fliegt ab Zürich zweimal die Woche direkt nach Funchal (kostet um die 350 Euro hin und zurück)
Vom EuroAirport Basel-Mulhouse-Freiburg aus gibt es Flug-Verbindungen nach Funchal entweder
über London oder über Lissabon. Mehr Info:
www.euroairport.com
Ein Tipp zur Übernachtung ist das Hotel Atrio in Estreito da Calheta, familiäre und ruhige Atmosphäre 500 Meter über dem Meer. Viele schöne Wanderungen beginnen direkt hinterm Haus.
Infos im Netz
www.visitmadeira.pt | www.atrio-madeira.com
Dezember 2015 / Januar 2016 CHILLI kultur 15
reise Ukraine
Das gespaltene Land
Ein Streifzug durch die Ukraine
Denkwürdig: Auf dem Maidanplatz
wurden vor zwei Jahren Menschen
erschossen. Heute schlendern dort
Touristen umher und fotografieren
Denkmäler für die Gefallenen.
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s ist derzeit nicht jedermanns
Sache, aber chilli-Redakteur Till
Neumann ist eine Woche lang
durch die Ukraine gereist. Er besuchte Kiew, Charkow und Dnipropetrowsk
– die drei größten Städte des Landes.
Manches erinnert dort an Paris, manches auch an die Sowjetunion. Und
manchmal fühlt man sich ein bisschen
wie im Krieg.
Die Ukraine. Nicht gerade ein typisches Touristenziel in diesen Tagen.
Man erinnert sich an brennende Barrikaden in Kiew, an Erschossene auf
dem Maidanplatz, denkt an die Unruhen im Osten des Landes und an die
annektierte Krim. Erst Ende November
versammelten sich Kiewer Bürger auf
dem zentralen Platz der Stadt. Sie gedachten der blutigen Revolution vor
zwei Jahren im Zentrum Kiews.
reise Ukraine
Fotos: © tln
Voller Kontraste: Kiew wandelt zwischen europäischer Metropole und Relikten der Sowjetunion. An Souvenirständen gibt‘s Putin-Klopapier.
Am Maidan beginnt auch die Reise. Genauer gesagt im altehrwürdigen Sowjet-Hotel Kozatskiy. Vom Balkon aus
hat man den Brennpunkt der Revolution direkt vor sich. Autos schlängeln
sich dort hupend über die vierspurige Straße der 2,7-Millionen-Einwohner-Metropole, im Schein der orangenen Laternen schlendern Fußgänger
zwischen monumentalen Bauten über
den Asphalt. Den besten Blick hat Erzengel Gabriel. Er thront in 36 Metern
Höhe auf der Säule des Maidan. Willkommen in Kiew.
Warmes Wasser zum Duschen gibt’s
am nächsten Morgen nicht. Und auch
das Frühstücksbüffet bietet herzhafte Überraschungen: Nudeln, Fleisch,
Reis und Gemüse. Die ukrainischen
Tischnachbarn bedienen sich reichlich.
Zum Glück gibt’s auch etwas Kuchen,
Brot und Joghurt. Englisch spricht
das Hotel-Personal nur bedingt. Aber
irgendwie versteht man sich. Gesprochen wird Ukrainisch oder Russisch.
Das Land ist zweisprachig, nahezu jeder versteht beides.
Vor dem Hotel herrscht reges Treiben.
Zwischen lässigen Bistros, schicken
Cafés und einem McDonald’s treffen
sich Jung und Alt. Wäre da nicht die
fremde Sprache, man könnte sich in
Paris oder Berlin wähnen. Die Stadt
lebt und pulsiert. Wiedergewonnene Normalität trotz der brodelnden
Konflikte im Donbass. Doch ein paar
Meter weiter wird man von den harten Fakten eingeholt: Im Zentrum
Klitschko
macht
Wahlkampf
des Maidanplatzes lebt die Revolution weiter. Mannsgroße Fotos zeigen
martialische Bilder der Kämpfe. Vor
einem alten VW-Bus stehen Erinnerungstafeln mit Bildern der Gefallenen, die blau-gelbe Landesfahne
flackert im Wind, Alt-Revolutionäre
sammeln Spenden für Hinterbliebene.
Auch rund herum sind viele Gedenkstätten, Kerzen, Fotos und Blumen erinnern an die rund 100 Erschossenen
des Winters 2013/2014. Wer die Scharfschützen auf den Dächern rund um
den Maidan beauftragte, ist bis heute
nicht geklärt. Ungewiss ist an diesem
Sonntag auch noch, dass Ex-Boxweltmeister Vitali Klitschko eine Woche
später erneut zum Bürgermeister Kiews gewählt wird. Sonderlich beliebt
ist er in alternativen Kreisen Kiews nicht.
Er sei korrupt wie viele andere Politiker
auch, heißt es.
Nur etwa 15 Gehminuten entfernt liegt
ein Szene-Ort, der in keinem Touristenführer verzeichnet ist. Partkom. Ein
Partykeller, ein Proberaum, ein Ort des
Widerstands. In den Räumlichkeiten
treffen sich kreative Köpfe zum Musizieren, Diskutieren und Feiern. Während
der Revolution wurden dort Verwundete versorgt. Viele der heutigen Stammgäste standen auf dem Maidan an vorderster Front. So auch der Schlagzeuger
Costa, für den sein Land weiter im Ausnahmezustand ist: „Hier ist Krieg“, sagt
der 42-Jährige. Unsicher fühle er sich in
Kiew aber nicht.
So geht es auch den Touristen. Nachts
stolpert man zwar auch mal über bewaffnete Soldaten und Panzer. 33
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reise Ukraine
Fotos: © tln
Auf in den Osten: In Charkow stehen Panzer in der Stadt, Dnipropetrowsk lädt mit Uferpromenade und Strand zum Flanieren ein.
33 Doch Kiew kann man erkunden, ohne sich bedroht zu
fühlen. Ein Rundgang lohnt sich: Malerische Kirchen wie
das St. Michaelskloster recken ihre gold-glänzenden Kuppeln Richtung Himmel. Und Souvenirstände bieten interessante Einblicke: Neben Revolutions-T-Shirts werden
Klopapierrollen mit dem Konterfei Wladimir Putins feilgeboten. Wer müde ist, kann sich mit einem Kaffee an kleinen Foodtrucks stärken. Das Heißgetränk gibt’s für etwa
50 Cent. Mittagessen kann man ab drei Euro, Vodka gibt’s
für zwei.
Mit dem Nachtzug geht es weiter in die zweitgrößte Stadt
des Landes Charkow. Es empfiehlt sich, ein Schlafabteil
für zwei Personen zu nehmen. In den Massenlagern sind
Sauerstoff und Platz Mangelware. Eiskalte Luft kann man
dafür am frühen Morgen in Charkow atmen. Im Bildungszentrum des Landes leben 1,4 Millionen Einwohner. Bis
nach Russland sind es von dort nur 40 Kilometer, bis ins
umkämpfte Donezk 300.
Absolut sehenswert ist die Mariä-Himmelfahrt-Kathedrale.
Die rot-ocker gestreifte Fassade sieht aus wie gemalt, der
prunkvolle Innenraum glitzert golden wie die Schatzkammer Dagobert Ducks. Dafür ist der mehr als 700 Meter lange Freiheitsplatz im Zentrum gähnend leer. Nur ein Militärzelt steht am Rande, es heißt, dort würden Kämpfer für den
Donbass rekrutiert. Eine überaus stilvolle Bleibe in der nur
überschaubar touristischen Stadt ist das Hotel 19 (www.
hotel19.ua). Dort lässt sich seelenruhig schlafen und ausgezeichnet essen. Im Kühlschrank eines kleinen Ladens um die
Ecke lächelt Manuel Neuer vom Etikett einer Bierflasche.
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Über holprige Straßen geht es mit dem Kleinbus weiter
nach Dnipropetrowsk. Die drittgrößte Stadt des Landes
hat touristisch mehr zu bieten als Charkow. Die Uferpromenade des Dnepr lädt zum Flanieren ein, am kleinen
Strand streckt sich sogar im Oktober ein Badegast. Das
Stadtzentrum lockt mit einer netten Einkaufspassage, der
Club Moulin Rouge erinnert nicht nur namentlich an Paris.
Auch das schwülstige Interieur passt zum französischen
Namensgeber.
Entlang dem Dnepr geht’s zurück nach Kiew – in die
Stadt der Kontraste: West trifft Ost, Krieg trifft Alltag, funkelnd-modern trifft brüchig-verkommen. Nur eins ist hier
zweifelsohne zeitlos: Vodka. Das entsprechende Supermarktregal ist so groß wie hierzulande das für Bier.
Till Neumann
Ukraine
INFO
Die ukrainische Landeshauptstadt Kiew ist vom EuroAirport Basel-Mulhouse-Freiburg mehrfach
täglich zu erreichen. Die Flüge gehen mit der Lufthansa oder Austrian Airlines über München. Mehr Mehr Info: www.euroairport.com