nike brasilien trikot kaka

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nike brasilien trikot kaka
DAS FUSSBALLMAGAZIN #15 10 2006
Deutschland 2,80€ Schweiz 5,50sfr Österreich 3,20€ Luxemburg 3,20€ Spanien 3,80€_Griechenland 4,00€ Italien 3,80€
RUND
WWW.RUND-MAGAZIN.DE
RUND
DAS FUSSBALLMAGAZIN
#15 10 2006
RUND
DAS FUSSBALLMAGAZIN
Hertha BSC
Jungstars retten
die Alte Dame
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Außlos Dunga,nd,
Car ildebra ,
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Timoasey Kellefes
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K n Ro
Simo
Frank Rost
„Auf Schalke ist
alles extrem“
Schwarz Löw Gold
Die stille Revolution im
deutschen Fußball
rund1006_001_Titel 1
11.09.2006 11:04:51 Uhr
RUND
Einlaufen
LIEBE LESERINNEN, LIEBE LESER,
vor wenigen Wochen noch war Joachim Löw einer der am wenigsten begehrten Gesprächspartner zum
Thema Nationalmannschaft. Der Südbadener galt als unbedeutender Assistenztrainer, der als unbedarfter
Gehilfe Bundestrainer Klinsmann nicht von der Seite wich und immer in seinem Schatten stand. Wer sich
mit Löw ausführlich über seine Spielphilosophie unterhalten wollte, dem erklärte er geduldig und kompetent seine Vorstellungen vom dominanten Offensivfußball. Inzwischen gilt der neue Bundestrainer als
zweitwichtigste Person der Republik nach Bundeskanzlerin Merkel. Zeit, sich in Ruhe zu unterhalten, findet er nur noch selten. In RUND erklärt Löw dennoch ab Seite 20 ausführlich, wie er 2008 Europameister
werden will – unter anderem mit Timo Hildebrand, der neuen Nummer zwei unter den deutschen Torhütern. Hildebrand ist begeistert vom eingeschlagenen Weg des Nationalteams. Als der Keeper des VfB Stuttgart beim Mittagessen lebhaft davon erzählte, sah sein weißes T-Shirt nachher nicht mehr ganz so sauber
aus. Den Tomaten-Fleck-Contest gewann dennoch RUND-Redaktionsleiter Rainer Schäfer mit 3:1.
Mitte der 90er war er auch Profi in Stuttgart, seit kurzem sitzt er auf dem Stuhl des Nationaltrainers:
Carlos Caetano Bledorn Verri, genannt Dunga. Unser Redakteur Oliver Lück hat den neuen Hoffnungsträger Brasiliens im norwegischen Oslo zum Interview getroffen. Dass er auf diesen Termin drei Tage lang warten musste, war halb so schlimm, passierten im brasilianischen Mannschaftshotel doch die unglaublichsten Dinge. Wer sich in der Lobby des Fünfsternehotels alles herumgetrieben hat, lesen Sie ab Seite 74.
Der FC St. Pauli, der verrückteste Fußballklub der Welt, geht mal wieder neue Wege. Seine Fanartikel
bewarb der Millerntor-Klub bislang in kreativ gestalteten und preisgekrönten Fankatalogen. Diese Saison
kooperiert der FC St. Pauli mit RUND, um seine Totenkopfdevotionalien zu präsentieren – entstanden ist
der erste „Magalog“, die Verbindung von Magazin und Katalog.
Viel Spaß beim Lesen und bleiben Sie am Ball IHRE RUND-REDAKTION ILLUSTRATION DAZZLER
RUND 3
rund1006_002_003_Einlauf Abs1:3
06.09.2006 18:33:52 Uhr
RUND
Aufstellung
Inhalt 10 06
AM BALL
60
10
16
22
36
40
SCHNELLSCHUSS
FELDSALAT
NATIONALMANNSCHAFT
LAGE DER LIGA
STARGAST
Die Tribüne wird zur Bühne – auch in der Bundesliga
Zickler, Meyer, schlimme Frisuren. Was macht Gomez?
Energisch treibt Jogi Löw wichtige Reformen voran
Was passiert bei den 18 Klubs der Ersten Liga?
Franck Ribéry – vom Kind des Ghettos zum Weltstar
GLEICHE HÖHE
44
50
52
60
66
DER PROFI SPRICHT
AUF DER LINIE
AUSLANDSREPORTAGE
JUNGE DAME HERTHA
ERBSENZÄHLER
Frank Rost über den FC Schalke 04, die DDR und mehr
Kasey Keller bereut es, Torwart zu sein
Juventus Turin hat wenig aus seinen Fehlern gelernt
Berlin erntet die Früchte seiner Jugendarbeit
Was die nationalen Pokale wirklich wert sind
IM ABSEITS
70
73
74
78
80
83
84
86
88
70
LÜGENDETEKTOR
SPIEL MIT PUPPEN
MANNSCHAFTSHOTEL
TORLOS GLÜCKLICH
FUSSBALLMAFIA
LEXIKON
WELTKLASSE
RASENKAVALIER
TV-JUNKIES
Simon Rolfes will die Welt nicht retten
Es kann nur einen geben – wer stürmt am besten?
Drei Tage im Quartier der brasilianischen Nationalelf
Hachings Veteran Ralf Bucher will keine Tore schießen
Warum wurden die Brüder von Fabrice Noël ermordet?
Fremde Fußballsprache: Wo man die Unterhose deckt
Sir Alex Ferguson dekoriert sein Büro mit Autoteilen
Schalke-Platzwart Heinz Römer wohnt in der Tribüne
Die allerbesten Fernsehauftritte unserer Fußballstars
SPIELKULTUR
94
100
104
106
110
111
112
INTERVIEW
FUSSBALL IM KZ
KOPFBALL
BUCH & DVD
LESERBRIEFE/RUNDE PRESSE
IMPRESSUM/VORSCHAU
AUSLAUFEN MIT THADEUSZ
Nicolas Kiefer über das schöne Leben der Fußballprofis
Auch in den Konzentrationslagern rollte der Ball
Der Philosoph Klaus Theweleit lobt das Fernsehen
Böttiger und der Bildband „One love“
Ihre Meinung über die 14. RUND-Ausgabe
So interessant wird die November-Ausgabe
Warum die Engländer uns dankbar sein sollten
94
RUND 6
rund1006_006_007_Inhalt 6
08.09.2006 12:54:44 Uhr
RUND
Aufstellung
74
52
AUSLANDSREPORTAGE:
ERHOBENEN HAUPTES UNTER
DER GUILLOTINE
Trotz des Korruptionsskandals ist
Juventus Turin in Italien populär wie eh
und je. Der Klub gibt sich geläutert.
Doch hinter den Kulissen sieht es anders aus
MANNSCHAFTSHOTEL: WARTEN AUF DUNGA
Drei Tage lang harrte ein RUND-Redakteur in der Lobby eines
Osloer Hotels aus, um den neuen Nationaltrainer Brasiliens zum
Interview zu treffen – dabei passierten die unglaublichsten Dinge
88
22
TV-JUNKIES: FUSSBALLER MÜSSEN INS ECKIGE
Der verstorbene Rudi Carrell lud Fußballstars ein, um seine
Shows noch glanzvoller zu machen. Unsere Profis
verkörpern im Fernsehen absolute Weltklasse – die Bilder
der schönsten Auftritte der vergangenen Jahre beweisen das
NATIONALMANNSCHAFT: DIE STILLE REVOLUTION
Die Nationalelf will die EM 2008 gewinnen. So lautet das Ziel
unter dem neuen Bundestrainer Joachim Löw, der die Arbeit von
Jürgen Klinsmann fortsetzt, aber ein ganz eigener Typ ist.
Energisch, aber geräuscharm geht Löw die nötigen Reformen an
RUND 7
rund1006_006_007_Inhalt 7
07.09.2006 19:41:29 Uhr
RUND
Am Ball
AM BALL
HARTNÄCKIG NAH DRAN AKTUELL
„Wir waren bei der WM nah dran. Ich glaube, dass man vieles
besser erreicht, wenn man eine Vision hat. Und die
kann nur lauten, das höchste Ziel anzustreben“ JOACHIM LÖW
10 SCHNELLSCHUSS
Die Tribüne wird zur Bühne – Eine Fotostrecke
über die Leidenschaft in den Bundesligastadien
22 NATIONALMANNSCHAFT
Die stille Revolution – Der ruhige Joachim Löw
wird die Nationalelf nachhaltig verändern
36 LAGE DER LIGA
Mitten in der Vorrunde – Die RUND-Experten
haben nachgeprüft, wer oben und unten landet
40 STARGAST
Das Narbengesicht – Frank Ribéry wurde bei
der WM zum begehrtesten Spieler Europas
RUND 9
rund1006_008_009_VorschaltBall Abs1:9
04.09.2006 12:49:28 Uhr
AM BALL
Schnellschuss
DIE TRIBÜNE
WIRD ZUR BÜHNE
EINE FOTOSTRECKE VON MAREIKE FOECKING, DAVID KLAMMER UND STEFAN SCHMID
RUND 10
rund1006_010_015_Schnellschuss 10
07.09.2006 23:35:17 Uhr
AM BALL
Schnellschuss
BEREITS IN DEN ERSTEN WOCHEN DER NEUEN SAISON WAREN DIE BUNDESLIGASTADIEN
WIEDER BRECHEND VOLL, ALS SPIELTEN DORT NOCH IMMER DIE ZIDANES UND ODONKORS
DIESER WELT. SO MANCHER ANHÄNGER SCHEINT ALLERDINGS HEILFROH ZU SEIN, DASS
ER SICH NUN WIEDER IN HEIMISCHER TRACHT AUF SEINEN TRIBÜNENPLATZ SETZEN UND
STELLEN KANN. RUND-FOTOGRAFEN HABEN DIE FANS DABEI BEOBACHTET
RUND 11
rund1006_010_015_Schnellschuss 11
07.09.2006 23:35:20 Uhr
AM BALL
Schnellschuss
WÄHREND TINA UND TOM BEIM VFL BOCHUM EINE STAMMPLATZGARANTIE HABEN, WÜRDE
MAN DEN BEIDEN KARIERTEN MÄNNERN AUCH OHNE SCHAL ANSEHEN, FÜR WELCHEN VEREIN
IHR HERZ SCHLÄGT. EINE AUSGEPRÄGTE FREUDE AM BEKENNTNIS MERKT MAN AUCH DEN
VERTRETERN AUS SCHALKE, GLADBACH UND BERLIN AN
RUND 12
rund1006_010_015_Schnellschuss 12
07.09.2006 23:35:24 Uhr
AM BALL
Schnellschuss
RUND 13
rund1006_010_015_Schnellschuss 13
07.09.2006 23:35:51 Uhr
AM BALL
Schnellschuss
RUND 14
rund1006_010_015_Schnellschuss 14
07.09.2006 23:35:59 Uhr
AM BALL
Schnellschuss
WELCHE AUSWIRKUNGEN EIN TRAINERRAUSWURF AUF DIE BEFINDLICHKEIT SENSIBLER
ANHÄNGERINNEN VON HANNOVER 96 HABEN KANN, IST UNSCHWER ZU ERKENNEN
(LINKE SEITE). EHER SCHWER ZU ERKENNEN IST DAGEGEN DAS SPIELFELD, WENN EIN
BEWEGUNGSFREUDIGER MENSCH MIT EINER ZIMMERGROSSEN FAHNE VOR EINEM
HERUMWEDELT. IMMERHIN SIEHT DIE SCHMUCKLOSE TRIBÜNENWAND DES GLADBACHER
BORUSSENPARKS BEFLAGGT WESENTLICH DEKORATIVER AUS ALS DER NACKTE BETON
RUND 15
rund1006_010_015_Schnellschuss 15
07.09.2006 23:36:02 Uhr
AM BALL
Feldsalat
„Die Leute meinen, dass man viel Arbeit hat
mit großen Transfers, wenn Michael Ballack zu Chelsea
wechselt. Das ist Unsinn, am meisten Ärger und Arbeit
hat man, wenn einer von Essen nach Paderborn wechselt
und die ganze Verwandtschaft mitkassieren will.“
Michael Becker, Spielerberater
WAS MACHT GOMEZ?
In vier Jahren vier Trainer
MARIO GOMEZ hat alle Jugendnationalteams durchlaufen, kommt auf gut 40 Ligaeinsätze für den VfB Stuttgart und auf einen in der Champions League gegen Chelsea.
Der 21-jährige Stürmer gilt als eine der größten deutschen Nachwuchshoffnungen.
RUND wird ihn auf seinem Weg begleiten und fragt jeden Monat: Was macht Gomez?
„Macht sich zu viele Gedanken“: Mario Gomez
Selten hat Mario Gomez so gerne seine Sporttasche gepackt wie Ende August, um der Einladung von Dieter Eilts nach Dortmund zu
folgen. Beim U21-Nationalteam wollte er abschalten vom eher tristen Ligaalltag in Stuttgart. Ein „verdammt schlechtes“ Spiel hat er
gemacht beim 0:3 gegen Nürnberg. Es gibt
aber auch den jubelnden Gomez, der im Leibchen des Ersatzspielers mit dem Team den
Auswärtssieg in Bielefeld feiert oder sich über
die Einwechslung gegen Dortmund freut.
Mario Gomez leidet unter dem Zwiespalt
vieler Jungprofis, die von einem Nachwuchsteam zu den Profis kommen. Geht er zu selbstbewusst in die Zweikämpfe, stellt er Ansprüche und bietet den Routiniers die Stirn, dann
hält man ihn schnell für überheblich. Hält er
sich dezent zurück, wirkt er in den Augen des
Trainers zu genügsam. Der Grat ist schmal.
Doch Artenschutz gibt es für den 21-Jährigen
nicht mehr. Coach Armin Veh vermisst in seinem Spiel die Aggressivität aus der Vorbereitung, als der Deutsch-Spanier endlich sein
Phlegma abgelegt hatte. Da rief er all jene Qualitäten ab, wegen der ihm Beoabachter sogar
die besseren Anlagen als seinem Vorgänger
Kevin Kuranyi bescheinigten. „Es ist eine Sache, die nur an ihm liegt. Und es geht nur über
Arbeit“, sagt Armin Veh.
Es ist aber nicht so, dass Mario Gomez das
Training vernachlässigt hätte. „Das mit der
mangelnden Aggressivität, das kann man ab-
stellen. Ich werde das lernen“, sagt Gomez.
Ein bisschen Selbstbewusstsein hat er sich mit
vier Treffern beim 11:0 gegen den Bezirksligisten Wernau geholt. Zuletzt führte er viele Gespräche, mit dem Trainer, mit seinen Eltern
und seinem Berater Uli Färber.
„Mario macht sich zu viele Gedanken“, sagt
Färber. Er kennt die Schattenseiten, die junge
Spieler nach einem schnellen Aufstieg erleben, hatte er doch schon den damals 17-jährigen Aliaksandr Hleb unter seinen Fittiche.
„Man muss bei Marios Entwicklung berücksichtigen, dass er es in den vier Jahren beim
VfB mit vier Trainern bei den Profis zu tun
hatte“, so Färber. Für einen jungen Spieler sei
Kontinuität in der Trainerfrage ein entscheidender Faktor. „Ich hab ihm aber gesagt, dass
er da durchmuss, und glaube an seine Qualitäten“, so Färber. Das letzte Stück zum Gipfel
ist eben immer das schwerste.
ELKE RUTSCHMANN, FOTO AXL JANSEN
RUND 16
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07.09.2006 16:16:31 Uhr
AM BALL
Feldsalat
KEES BREGMANN
TOMASZ HAJTO
Der Weg krimineller Kicker führt oft zum Kokainhandel.
Bregman, zeitweilig selbst Kokskonsument, tappte 1989
auf einem Friedhof in eine Falle von Drogenfahndern. Beim
MSV Duisburg hatte er seine beste Zeit erlebt, als Geschäftsmann glänzte er danach aber nicht: Sein Fitnessstudio ging pleite. Heute ist er Friseur in Amsterdam.
Was das Hervorbringen kriminell talentierter Spieler betrifft,
ist Schalke spitze. Zur königsblauen Gaunergalerie gehört
der polnische Nationalspieler, der 2002 einem Nachbarn
110 Stangen geschmuggelter Zigaretten abgekauft hatte
– obwohl Nikotin doch gar nicht das beste Doping sein
soll. Die „Dummheit“ (Hajto) kostete ihn 43.500 Euro.
URS GÜNTENSBERGER
1997/98 war er einer der Helden beim Frankfurter Bundesligaaufstieg. Während der folgenden Saisonvorbereitung
saß der Stürmer jedoch in der Schweiz wegen eines Verkehrsdelikts in Haft. Währenddessen erreichte ihn die Kündigung der undankbaren Eintracht. „Meine Frau brachte mir
den Blauen Brief“, klagte er in einem Boulevardblatt.
DIE ELF KRUMMSTEN DINGER
GEGENSPIELER
GESETZ
SHMUEL ROSENTHAL
Besonders hart traf es einen ehemaligen Teamkameraden
von Günter Netzer: Der Abwehrspieler Rosenthal, 1970 in
Mexiko bei Israels einzigem WM-Aufritt dabei und 1972/73
bei Mönchengladbach unter Vertrag, wurde 1997 in Tel
Aviv zu 13 Jahren Haft verurteilt. Der Kicker hatte einer Kokainschmugglerbande angehört.
∫
RENÉ MARTENS, FOTOS HORST MÜLLER,
IMAGO, BONGARTS
JÜRGEN SOBIERAY
Einst war er Bundesligaskandalsünder. Zwischen 1972
und 1973 war der Schalker deshalb gesperrt. 2001 verurteilte ihn das Landgericht Dortmund zu dreieinhalb Jahren
Haft wegen Anlagebetrug. Schaden: 2,2 Millionen Mark.
Das Gericht in der Urteilsbegründung: Sobieray habe „die
Anleger um ihre Lebensersparnisse gebracht“.
STEFFEN KARL
STIG TÖFTING
Drei Monate Haft im offenen Vollzug wegen Körperverletzung bekam der bullige Hells-Angels-Anhänger, nachdem
er 2002 einem Restaurantbesitzer, bei dem der dänische
WM-Kader eigentlich essen wollte, eine Kopfnuss verpasst
hatte. Später, bei Aarhus GF, argumentierte er mit einem
Mitspieler erneut nonverbal. Die Folge: Rausschmiss.
„Eisen-Karl“ wurde unklugerweise während der Bewährungsfrist wieder straffällig: Nachdem ihn 2003 das Amtsgericht Amberg wegen mehrmaliger Trunkenheit am Steuer
auf Bewährung verurteilt hatte, mischte er 2004 im HoyzerSkandal mit. Wegen Beihilfe zum gewerbsmäßigen Betrug
bekam Karl neun Monate. Bewährungsfrist: vier Jahre.
NIHAT TRABELSI
Der tunesische Olympiateilnehmer fasste 1989 bei Fortuna
Düsseldorf nicht Fuß. Probleme auch jenseits des Rasens:
Drogendelikte, gescheiterte Ehe. 2002 gab Trabelsi zu, im
Auftrag von al-Quaida einen Anschlag auf einen US-Luftwaffenstützpunkt geplant zu haben. Über Osama Bin Laden
sagt er: „Ich liebe ihn wie meinen Vater.“
MAURIZIO GAUDINO
WILLI KRAUS
Für den FC Schalke schoss er 16 Bundesligatore, 1968
und 1969 erbeutete er 66.000 Mark bei Überfällen auf einen Supermarkt und eine Bank. Auch einen Gefängnisausbruch hat der „wilde Willi“ („Bild“) hinter sich, darüber
hinaus handelte er mit Kokain. 1996 trat er nach insgesamt 15 Jahren Knast eine Stelle als Elektriker an.
*
Die Umstände seiner Verhaftung waren spektakulär: Die
Polizei schnappte ihn sich nach einer Late-Night-Show, bei
der er zu Gast war. Es ging um Versicherungsbetrug mit
Autos, der Gesamtschaden betrug 195.000 Mark. Wegen
des Wirbels kickte Gaudino zeitweilig in Mexiko. 1996 bekam er zwei Jahre auf Bewährung aufgebrummt.
PAVEL MACAK
Zigarettenschmuggel, Waschpulverdiebstahl, Betrug – der
ehemalige Bundesligaersatztorwart des FC Schalke, heute 49 Jahre alt, erwies sich nach seiner Profikarriere als
vielseitig einsetzbar. 15 Vorstrafen hatte Macak bereits angesammelt, ehe ihn 2005 das Landgericht Amberg für ein
halbes Jahr hinter Gitter schickte.
Wir suchen: Elf Klugscheißer! Wer schwätzt beim großen Reden über den Fußball mit, ohne etwas zu sagen zu haben? Schreiben Sie an: [email protected].
Stichwort: Schwadroneur. Wir möchten uns an dieser Stelle bei allen Lesern bedanken, die uns Monat für Monat mit guten Hinweisen unterstützen.
RUND 17
rund1006_016_021_Feldsalat 17
07.09.2006 16:16:35 Uhr
AM BALL
Feldsalat
TRAUMSPIEL
„PLÖTZLICH
WAR MIR ALLES EGAL“
Dem Mazedonier NIKOLČE NOVESKI passierte ein Missgeschick, das zuvor noch
nie einem Spieler der Bundesliga widerfahren war. Der 27-jährige Abwehrspieler vom
FSV Mainz 05 über die absurdesten drei Minuten seiner Profikarriere
Mein sicher kuriosestes Spiel erlebte ich letzte Saison beim Derby gegen Eintracht Frankfurt. Ob das nun aber mein Traum- oder mein
Albtraumspiel war, kann ich gar nicht sagen.
Schon in der dritten Spielminute schoss ich
ein Eigentor. Zum Nachdenken blieb aber gar
keine Zeit, denn gleich bei meiner nächsten
Aktion landete der Ball schon wieder in unserem Tor. Zwei Eigentore innerhalb von drei
Minuten! Das war ein Schock für mich.
Für die Mannschaft tat mir das alles einfach
unglaublich leid. Okay, Eigentore passieren
und gehören zum Fußball dazu, aber so? Meine Konzentration war jedenfalls weg, die Angst
da. Ich musste sie besiegen. In der Halbzeitpause bekam ich dann auch noch von meinem Trai-
ner Jürgen Klopp einen Rüffel verpasst. Er hatte, wie viele andere, nicht mitbekommen, dass
die Tore Eigentore von mir waren, und kritisierte, dass ich zu unkonzentriert sei. Ich wusste selbst, dass ich schlecht gespielt habe, das
braucht man mir nicht noch unter die Nase
reiben. Aus der Kabine kam ich dann mit einer ganz anderen Einstellung. Mir war plötzlich egal, was passiert – auch wenn noch zwei
oder drei Eigentore kommen. Für mich gab es
nur ein Ziel: das Spiel noch zu drehen. Aufzugeben kam für mich nicht in Frage. Und das
hat mich nach vorne getrieben.
In der 70. Minute köpfte ich dann tatsächlich den Anschlusstreffer. Und in der 90. Minute gelang uns sogar noch der Ausgleich. Ich
„Eigentore passieren“: Nikolče Noveski
war richtig glücklich. Dieses Spiel war, glaube ich, ein Charaktertest, den ich bestanden
habe. Der Trainer hat sich übrigens nach dem
Spiel bei mir entschuldigt. Hätte er das mit den
Eigentoren gewusst, wäre sein Rüffel wohl sensibler ausgefallen. AUFGEZEICHNET VON MIRIAM
HEIDECKER, FOTO IMAGO
BILDERRÄTSEL
PREISVERLEIHUNG
KALTER KAKAO
FÜR KOCH
Jürgen Klinsmann ist gelernter Bäcker
und ein großer Reformer. RUND verleiht daher
jeden Monat die GOLDENE BUNDESBREZEL
an Menschen, die sich besonders verdient
gemacht haben um den deutschen Fußball
In England haben sie einen Mann gefunden, der nicht mehr weiß, was er tut. Den haben wir auch! Alles in Deckung! Bomben und Granaten explodieren, wenn er trocken
sein „Tor! Tor! Tor!“ loslässt. Und mehr noch: Es säuselt, es flüstert und es singt aus
dem Fußballradioreporter Günther Koch, der sich seit Beginn dieser Saison mit seinen Reportagen erstmals ins Bezahlfernsehen traut. Bei Koch klingt jeder Spieltag, als
ob es sein letzter wäre. Gelungene verbale Dribblings wie der Hinweis, dass Stuttgarts
Cacau kein Kakao sei. Oder das gekonnte Verstellen der Stimme, wenn er urplötzlich
in einen Singsang verfällt, der dem von tibetanischen Mönchen ähnelt. Zugegeben,
es ist nicht einfach, in der heutigen Zeit den Überblick zu behalten – so wollen wir
dies Herrn Koch auch gar nicht vorhalten. Im Gegenteil: Danke dass die Fußballreportage
wieder zum Lachen ist! Und auch wir wollen die Drogen haben, die Sie nehmen. Auch
Sie gehen natürlich nicht leer aus und erhalten in diesem Monat die klinsmännische
Bundesbrezel in Gold. Vielleicht auch noch einen kalten Kakao dazu? Wer hat’s gemerkt? Der Witz war geklaut.< OLIVER LÜCK, FOTO IMAGO
WER IST DAS DENN?
Zwei Männer, eigentlich sehr unterschiedlich, doch
beide waren Profis und beide sind nach ihrer Karriere dem
Fußball verbunden - wer sind sie? Senden Sie Ihre
Antwort bitte bis zum 16. Oktober 2006 an: Redaktion
RUND, Pinneberger Weg 22-24, 20257 Hamburg; Fax
040-8080686-99 oder [email protected], Stichwort: Two-in-One. Wir verlosen Hörbuch-CDs von und
über Zinédine Zidane, Fritz Eckenga und Günther Koch.
Die Antwort des September-Rätsels lautet: Hans
„Bumbes“ Schmidt und Elwin Schlebrowski. Die Gewinner
des August-Rätsels – sie erhalten je ein Buch „Ein Tor
würde dem Spiel gut tun“ von B. Redelings – sind:
I. Goedeck, Hannover; M. Scherf, Karlsruhe; R. Kneis,
Knetsch; R. Sternecker, München; A. Grebner, Leer.
Die Gewinner werden benachrichtigt.
!!! ’s
gibt
Hi e r i n n e
Ge w !!
!!!
RUND 18
rund1006_016_021_Feldsalat 18
07.09.2006 16:17:03 Uhr
AM BALL
Feldsalat
++KLEINKLEIN++
BIELEFELD – Neue Zielgruppen, die sich von
alten fußballerischen Zielgruppen nicht gestört
fühlen, will Arminia Bielefeld ins Stadion locken:
Ein Familienblock findet
sich auf der Tribüne der
Schücoarena, „mit Kaffeestand, Hüpfburg und Trampolin“, heißt es beim Verein.
Außerdem bietet die Arminia Bratwurst vom Biobauern
an und „Wasser und Säfte in kleineren Gebinden“.
Der Innovation liegt eine Umfrage bei Frauen zugrunde,
was sie am gemeinsamen Stadionbesuch mit ihren
Kindern hindere. Außer der Gastronomie wurden oft
auch die „rüden Fangesänge“ angegeben. FOTO IMAGO
+ + + + + + + + + +
UNTER DER ZEITLUPE
ALEXANDER ZICKLER
Alexander Zickler als Jungprofi bei den Bayern. 37 Verletzungen
und ein paar Zentimeter Haarausfall später kämmt der Salzburger
konsequent nach vorne. Aber was geschah mit der Nase der
Sächs Machine? Gute Chirurgen haben sie offenbar in Österreich.
Und schlechte Keeper. Zickler trifft derzeit ohne Ende. FOTOS IMAGO
ONEONTA / USA – Philip Anschutz hat nicht nur mit Öl,
Eisenbahnen und Bauunternehmungen einen Milliardenvermögen gemacht, das er in Eishockey investiert, unter
anderem in die Hamburg Freezers und die Eisbären
Berlin. Anschutz schießt sein Geld auch in den Fußball,
genauer: in die Major League Soccer, die Profiliga der
USA, und den Bau von Fußballstadien, unter anderem
in den USA das Home Depot Center in Kalifornien
und den Toyota-Park in Chikago. Dafür wurde Philip
Anschutz jetzt in die Soccer Hall of Fame aufgenommen,
die Ruhmeshalle des amerikanischen Fußballs.
++KLEINKLEIN++
ISTANBUL – Zico
ist vom Nationaltrainer Japans
zum Coach bei
Fenerbahçe Istanbul geworden.
Dort bekommt er
mehr Geld, als er wollte: Seine Forderung wurde von den
Vereinsoberen entrüstet aufgestockt. FOTO IMAGO
+ + + + + + + + + +
BRASILIA – Wenigstens ein Titel geht dieses Jahr
nach Brasilien: Anfang August wurden in der
ersten brasilianischen Liga acht Trainer in einer Woche
geschasst. Das ist der weltweite Spitzenwert!
+ + + + + + + + + +
WOLFSBURG – Die „Generation Praktikum“, von
„Spiegel“, „Zeit“ und allen anderen Zeitungen
schon lange ausgerufen, hat endgültig den Fußball
erreicht: Beim VfL Wolfsburg firmiert Matthias Broska
in der Abteilung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
als „Langzeitpraktikant“, wie dem Magazin „Die Wölfe“
zum Saisonbeginn 2006/07 zu entnehmen ist.
MAROTTE DES MONATS
Schläge
aus dem Nichts
Mit seinen ironischen Interviews hat Hans Meyer die Liga verändert. Wer ihn
länger kennt, hält im Gespräch mit dem 63-Jährigen allerdings Sicherheitsabstand
Manche Begegnungen können schmerzhaft sein. Das Gegenüber hat so gar keinen Sinn
für Ironie, nuschelt Unverständliches oder vermasselt jede Pointe. Hans Meyer ist der Gegenentwurf, sein humorvoller Umgang mit dem überraschenden Höhenflug des 1. FC Nürnberg lässt uns an das Gute im Trainer glauben. Seien wir ehrlich: Der Mann flößt einem als
allererstes Respekt ein. Ein eiserner Händedruck, eine Stimme, die daran gewöhnt ist, dass
ein großer Kader von Berufssportlern jeden Tag aufs Neue motiviert werden will. Wer ihn
besser kennt, setzt sich allerdings nicht in unmittelbare Reichweite des Fußballexperten.
Denn wenn Meyer mal wieder Recht haben will, kann er – wie aus dem Nichts – mit seinen Riesenpranken wahlweise Oberschenkel oder Bizeps des Zuhörers traktieren. Klatsch.
Und das kann dann wieder ganz schön wehtun. MATTHIAS GREULICH, FOTO IMAGO
++KLEINKLEIN++
HANOI – Alfred Riedl,
österreichischer Trainer der
vietnamesischen Nationalmannschaft, ist Dialysepatient. Da Riedl in Vietnam
sehr populär ist und sich sein
Gesundheitszustand
verschlechtert hat, rief nun
eine Lokalzeitung dazu auf,
eine Spenderniere für Riedl
zu suchen. „30 bis 40 Menschen haben sich gemeldet“,
sagt Riedl, „es sind alles große Fans, die es zum Wohle
des vietnamesischen Fußballs machen.“ Unter den potenziellen Spendern ist auch ein 32-jähriger buddhistischer
Mönch aus dem Norden des Landes. FOTO OKAPIA
+ + + + + + + + + +
RUND 20
rund1006_016_021_Feldsalat Abs1:20
07.09.2006 19:44:36 Uhr
AM BALL
Feldsalat
UMFRAGE
WELCHER PROFI STARTETE MIT DER SCHLECHTESTEN FRISUR
IN DIE NEUE BUNDESLIGASAISON? (die RUND-Online-Umfrage im August)
Ivan Klasnic – 17,9 %
Steven Pienaar – 9,2 %
Paolo Guerrero – 35,9 %
Danijel Ljuboja – 37,0 %
Jeden Monat stellen wir Ihnen auf unserer Homepage eine RUND-Frage zum aktuellen Fußballgeschehen. Das Ergebnis folgt im Heft darauf.
Unter www.rund-magazin.de/voting können Sie jederzeit abstimmen. Im vergangenen Monat nahmen 4164 Personen teil. FOTOS IMAGO
DAS BESONDERE INTERVIEW
Wer hat’s erfunden?
RICHARD McBREARTY ist Leiter des Scottish Football Museums. Der 33-Jährige
glaubt fest daran, dass nicht die Engländer, sondern die Schotten den Fußball populär
gemacht haben INTERVIEW BRODER-JÜRGEN TREDE, FOTO STEFAN SCHMID
Mister McBrearty, kürzlich haben Sie für
mächtig Aufsehen gesorgt: Sie haben Druck auf
eine englische Kaufhauskette gemacht, die
auf ihren T-Shirts England als Erfinder des
Fußballs ausgibt. Die Hemden werden inzwischen auch mit einer schottischen Variante
gedruckt. Sie müssen gute Argumente haben.
RICHARD McBREARTY Na klar. Die Engländer haben 1863 zwar die ersten Fußballregeln
publiziert, wir Schotten aber haben das Spiel
weltweit populär gemacht.
Wie das?
Fußball spielten zunächst nur wenige privilegierte Jugendliche in den englischen Public
Schools. Hier wurde die aristokratische Elite
der Gesellschaft erzogen – Diplomaten, Generäle, Bischöfe, kurz Leader-Typen. Wer den
Ball abspielte, gab Verantwortung ab. Ein Zeichen von Schwäche. Entsprechend individualistisch war der Stil. Mit dem Kopf durch die
Wand nach vorne dribbeln und sich festrennen. Ein obskures, erbärmliches Spiel, nicht
sehr schön anzusehen.
Die Schotten interpretierten den Fußball
anders?
Bei uns war er von Anfang an ein Spiel der
Arbeiterklasse, wurde als Mannschaftssport
begriffen. Statt nur zu dribbeln, gab man auch
mal ab und spielte verwirrende Doppelpässe.
Die Spieler waren technisch versiert, ließen
Ball und Gegner laufen und wussten mit fast
mathematischer Präzision den Raum zu nutzen. Englische Kommentatoren sprachen ehrfürchtig von den „Scottish Professors“.
Wie hat sich diese Spielphilosophie
verbreitet?
Plötzlich wurde auch das Zuschauen ein Vergnügen. Fußball als kunstvolle Aufführung, die
die Massen begeisterte, mit der man Geld verdienen konnte. Die Manager der großen nordenglischen Klubs erkannten das schnell und
schickten mit Beginn der Professionalisierung
Ende des 19. Jahrhunderts ihre Scouts nach
Schottland, um dort Spieler zu verpflichten.
Die Aufstellung des ersten Spiels des FC Liverpool 1892 dokumentiert das eindrucksvoll.
Die Mannschaft bestand aus elf Schotten und
wurde nur „the team of the Mac’s“ genannt.
Woher kommt die Ignoranz gegenüber dem
schottischen Einfluss?
In der Geschichtsschreibung gibt es das Stille-Post-Prinzip: Schotten werden zu Briten,
und bei der nächsten Erzählung sind es dann
schon Engländer. Eine Zeitung in Brasilien
„Grätsche nein“: Richard McBrearty
schrieb zum Beispiel in ihrem Nachruf auf Archie McLean, den Urvater des Fußballs: „Er
kam aus Paisley nahe London.“ Meine Güte,
Paisley liegt bei Glasgow, über 400 Meilen von
London entfernt! So entstehen Legenden. Wie
die vom ältesten Fußballklub der Welt …
… dem FC Sheffield von 1857.
Eben nicht! Ich bin in Edinburgh auf den
John Hope Football Club gestoßen. Der verfügt über ein glänzend geführtes Archiv, das
bis ins Jahr 1824 zurückreicht.
Eine sporthistorische Sensation. Und eine
weitere fiese Grätsche gegen den südlichen
Nachbarn.
Eine Sensation ja, eine Grätsche nein. Eher
schon ein ganz sauberes Tackling. Hart aber
fair, typisch schottisch eben.
RUND 21
rund1006_016_021_Feldsalat Abs1:21
07.09.2006 19:44:40 Uhr
AM BALL
Nationalmannschaft
RUND 22
rund1006_022_034_TitLöw 22
07.09.2006 20:01:28 Uhr
Die stille Revolution
DIE NATIONALMANNSCHAFT IST IN DIE
EM-QUALIFIKATION GESTARTET. NACH DEM
CHARISMATISCHEN JÜRGEN KLINSMANN
FÜHRT JETZT DER RUHIGERE JOACHIM LÖW
DAS TEAM. DOCH DER HAT SEINE EIGENEN
QUALITÄTEN: LÖW WILL DEN OFFENSIVEN
STIL DER MANNSCHAFT NICHT VERÄNDERN,
ABER VERFEINERN. WAS SEIN FREUND UND
VORGÄNGER BISWEILEN MIT ALLER GEWALT
ANSCHOB, MÖCHTE LÖW IN EINE LEISE,
PERMANENTE REVOLUTION ÜBERFÜHREN
VON SVEN BREMER, MALTE OBERSCHELP, ROGER REPPLINGER UND RAINER SCHÄFER
FOTOS MAREIKE FOECKING, SEBASTIAN VOLLMERT, NORBERT RZEPKA, IMAGO, WITTERS, FIRO, ACTION PRESS
RUND 23
rund1006_022_034_TitLöw 23
07.09.2006 20:01:38 Uhr
AM BALL
Nationalmannschaft
Der für die Spieler des VfB Stuttgart reservierte Parkplatz ist dicht.
Alle Laufwege zugestellt – viele Pferdestärken auf engstem Raum. Hinter der Absperrung warten ein paar Dutzend Fans und skandieren:
„Wir woll’n den Timo sehen!“ Der Wortführer brüllt: „Gebt mir ein T,
gebt mir ein I, gebt mir ein M, gebt mir ein O.“ Und dann entlädt sich
ein „TIIIMOOO“ übers Trainingsgelände des VfB Stuttgart am Gottlieb-Daimler-Stadion.
Hildebrand kann ziemlich ungemütlich werden, wenn er merkt, dass
eine Mannschaft nicht genug aus ihren Möglichkeiten macht. Am VfB
hängt er, weshalb er auch eine Anfrage von Manchester United ablehnte – auch wenn ihm in Stuttgart manches zu langsam geht. Wäre es
nach Ex-VfB-Trainer Giovanni Trapattoni gegangen, wäre der Torhüter in der verWENN MANCHER DIE NASE RÜMPFT, DASS BEI TIMO
gangenen Saison wegen MajestätsbeleiHILDEBRANDS PRIVATTRAINING AUCH TANZELEMENTE digung entlassen worden. Trapattoni war
die Majestät und Hildebrand hatte es geZUM EINSATZ KOMMEN, LÄSST IHN DAS KALT
wagt, dessen lasche Trainingsarbeit und
Da kommt der, nach dem sie sich sehnen: Bartstoppeln im Gesicht, häufige Abwesenheit öffentlich zu kritisieren.
die Haare wirr. Kaum ist er aufgetaucht, wird er von der MenschenmenAuch während der WM zog Hildebrand – nach Absprache mit dem
ge verschluckt. „Bei mir war es schon immer extrem“, erzählt Hilde- DFB-Trainerteam – sein Privattraining durch. Wenn mancher die Nabrand, als er ein paar Minuten später in seinem Smart sitzt, „aber seit se darüber rümpft, dass bei Hildebrands aus den USA stammender
der WM ist es völlig verrückt. Dabei habe ich als dritter Torwart doch Gyrotonic-Methode auch Tanzelemente zum Einsatz kommen, dann
nichts getan für den Erfolg der deutschen Mannschaft.“ Hildebrand lässt das den 27-Jährigen kalt. „Wir müssen in Deutschland dahin komist nach Oliver Kahns Rücktritt die Nummer zwei im Tor der Natio- men, neue Dinge zu akzeptieren. Wir dürfen uns nicht gleich angenalelf. Auch er hat einen Anteil an der harmonischen und kollegialen griffen fühlen, wenn einer sagt: Wir müssen weiterkommen in unAtmosphäre im WM-Team, die den dritten Platz erst möglicht mach- serer Entwicklung“, meint er. „Sonst laufen wir immer wieder hinter
anderen Ländern her.“ Ein Leitsatz, der auch von Bundestrainer Joate. Er sieht dies nicht so, und das ehrt ihn.
Hildebrand ist genau so, wie sich Joachim Löw seine Spieler wünscht: chim Löw stammen könnte, und den die Nationalmannschaft befolgt,
leistungsbereit, mündig, kritisch, eigenverantwortlich, cool. Ein Mus- seit Jürgen Klinsmann im Juli 2004 damit begann, den Deutschen Fußterprofi der Ära Klinsmann/Löw. Er arbeitet seit Jahren mehrmals in ballbund mit revolutionären Ideen umzukrempeln.
der Woche mit einer Privattrainerin an der Verbesserung seiner Beweglichkeit. Als Ergänzung und Ausgleich zum Training beim VfB.
Und zwar auf eigene Rechnung.
Klose
Podolski
Schweinsteiger
Schneider
Ballack
Frings
Lahm
Mertesacker
Metzelder
Friedrich
Lehmann
FLACHE VIER: DIE WM-ELF BEI GEGNERISCHEM BALLBESITZ
Ballack und Frings als Doppelsechs nebeneinander im
defensiven Mittelfeld, Schweinsteiger und Schneider auf
den Flügeln. Bei Angriffen des Gegners zogen sich Schweinsteiger und Schneider zurück, das deutsche Mittelfeld
agierte auf einer Linie: die flache Vier. Bei gegnerischer
Überzahl gingen Frings und/oder Ballack bis in die Abwehr.
Vor dem Spiel gegen Schweden: Die Euphorie der Fans geht weiter
RUND 24
rund1006_022_034_TitLöw 24
07.09.2006 20:01:45 Uhr
AM BALL
Nationalmannschaft
Weltpremiere: Joachim Löw hört die Nationalhymne erstmals als Cheftrainer
RUND 25
rund1006_022_034_TitLöw 25
07.09.2006 20:01:47 Uhr
AM BALL
Nationalmannschaft
Aufstehen für Deutschland: Joachim Löw beim Testspiel gegen Schweden
RUND 26
rund1006_022_034_TitLöw 26
07.09.2006 20:01:53 Uhr
AM BALL
Nationalmannschaft
DIE RAUTE: DIE WM-ELF BEI EIGENEM BALLBESITZ
Allmählich greifen die Veränderungen: Wurden die Methoden der
amerikanischen Fitnessspezialisten um Mark Verstegen anfangs als
„Gummitwist“ verulkt, so setzt sich inzwischen die Erkenntnis durch,
Klose
Podolski
Ballack
dass man im Fußball, wenn man erfolgreich sein will, nicht mehr einfach so weiterarbeiten kann wie bislang. Auch unter den Spielern wurSchweinsteiger
Schneider
den die Skeptiker überzeugt. Tim Borowski war einer: „Na ja, als ich
am Anfang die Gummibänder gesehen habe und im Entengang losgeFrings
watschelt bin, habe ich auch gedacht: Bin ich hier richtig?“ Doch dann
hat der Mittelfeldspieler von Werder Bremen gemerkt: „Je mehr man
sich dafür öffnet und neugierig wird, was alles möglich ist, desto positiver wirkt sich das auf die eigene Physis aus.“ Inzwischen steht BoLahm
Mertesacker
rowski voll dahinter: „Die Übungen wurden immer wieder kombiniert
Metzelder
Friedrich
mit Einheiten, die die Spritzigkeit und die Schnelligkeit trainieren.
Das war schon eine sehr runde Sache.“
Lehmann
Selbst Dauerreservisten waren beigeistert, weil sie spürten, dass sie
sich
durch das Training verbesserten. „Diese acht Wochen bei der NaHatte die deutsche Mannschaft den Ball, veränderte sich
tionalmannschaft waren etwas ganz besonderes“, sagt Hildebrand,
die Grundformation: Die Doppelsechs wurde zur Raute:
Frings hielt die Position der Sechs, während Ballack hinter
„dort wurde nach einem ganz anderer Trainingsansatz gearbeitet als
die Spitzen Podolski und Klose rückte. Schweinsteiger und
bei den meisten Bundesligaklubs.“ Während in den Klubs oft in GrupSchneider auf den Flügeln konnten ihre Seiten ebenso
wechseln wie die Stürmer. In einigen Situationen stieß
pen nach demselben Schema trainiert wird, stehen bei der NationalBallack bis in die Spitze vor.
mannschaft Spezialisten zur Verfügung, die sich gezielt um die Schwächen jedes einzelnen Spielers kümmern und
sofort korrigierend eingreifen, wenn Übungen
SELBST DIE DAUERRESERVISTEN WAREN BEI DER WM
einmal nicht optimal ausgeführt werden. Vier
BEGEISTERT, WEIL SIE SPÜRTEN, DASS SIE SICH DURCH Fitnesstrainer brachten die Spieler in einen
ausgezeichneten körperlichen Zustand. „Das
DIE NEUEN TRAININGSMETHODEN VERBESSERTEN
System von Mark Verstegen ist so auf Power
und Explosivität ausgerichtet, da hat man richtig gemerkt, dass es einen weiterbringt. Dass man dadurch täglich besser und stärker wird“,
schwärmt Hildebrand.
Auch was die wissenschaftliche Begleitung des Trainings anbelangt,
ist die Nationalmannschaft inzwischen auf dem neuesten Stand. Die
Spieler werden leistungsdiagnostisch untersucht, es werden möglichst
viele Körperdaten gesammelt, um durch deren Analyse immer bessere Leistungen zu ermöglichen.
Was bei den meisten Bundesligisten unüblich ist, bei einem Klub
wie dem AC Mailand ist es Standard. Milanello, das Trainingslager des
AC, ist auch ein Forschungszentrum für Bioanalytik. Mit Forschung
und Technik wird versucht, das Optimum aus den Spielern herauszuholen. Anhand der im „Milan Lab“ gespeicherten Daten kann die Leistung optimiert, die Regenerationsfähigkeit der Spieler verbessert und
ihre Verletzungsanfälligkeit reduziert werden.
Die verbesserte Fitness der deutschen WM-Elf wirkte sich aufs Spiel
aus. „Ich finde, dass der Fußball, den wir bei der WM gespielt haben,
viel frischer war als noch ein paar Jahre zuvor, beispielsweise bei der
Euro 2004“, meint Borowski. „2006 war das Fußball in Bewegung, kein
Stück statisch. Es gab außerdem eine hohe Laufkultur. Das war bei der
EM 2004 auch noch nicht gegeben.“
„Power und Explosivität“: Ersatztorhüter
Timo Hildebrand
In früheren Jahren und auch wieder bei der EM 2004 in Portugal
unter Rudi Völler als Teamchef, hatten Zusammenkünfte der Nationalmannschaft gern mal den Charakter von Betriebsausflügen. Ein
RUND 27
rund1006_022_034_TitLöw 27
07.09.2006 20:02:00 Uhr
AM BALL
Nationalmannschaft
GALT DIE NATIONALELF VOR DER WM ALS ZWEITE WAHL,
WIRD SIE NUN WIEDER ZU DEN BESTEN DER WELT
HOCHGEJUBELT. JOACHIM LÖW GEHT DAS ZU SCHNELL
Neue Gesichter: Malik Fathi (zweiter von links),
Manuel Friedrich (ganz rechts)
LAKTATWERTE UND LEISTUNGSTESTS:
WIE JOACHIM LÖW SEINE NATIONALSPIELER FIT MACHT
Wie sich die Haltung bei der deutschen Nationalmannschaft verändert hat, ließ sich sehr
gut bei der Weltmeisterschaft beobachten.
Allerdings nicht nur auf dem Platz, sondern
auch daneben. Während die erste Elf Argentinien die Stirn bot, machten sich die Ersatzspieler hinter dem Tor von Jens Lehmann
warm. Was häufig aussieht wie eine lästige
Pflicht – ein wenig laufen, ein paar Trippelschritte nach links und rechts, dazwischen
leichtes Dehnen der Oberschenkel – war
auf einmal eine ernsthafte Angelegenheit:
Gewissenhaft zogen die Kicker ihr Übungsprogramm durch, angeleitet von einem
Fitnesscoach. Der Erfolg war deutlich zu
sehen. Die eingewechselten Spieler kamen
hellwach auf den Platz, mussten nicht erst
ins Spiel finden, waren sofort präsent und
eine Hilfe. Exemplarisch dafür war das Spiel
gegen Polen, als David Odonkor und Oliver
Neuville für die Entscheidung sorgten.
Im Bereich Fitness hat sich unter Jürgen
Klinsmann eine Menge getan, und alle
altgedienter Nationalspieler, der nicht
genannt werden will, sagt: „Man kam
eben zusammen, trainierte ein wenig
und spielte dann. Einen genauen Plan
und ein systematisches Arbeiten und Trainieren wie später unter Jürgen Klinsmann gab es damals nicht.“
Die bessere Fitness zeigte sich daran, dass die WM-Spieler in der
zweiten Halbzeit mehr liefen als in der ersten. Das lag nicht nur am
Training. sondern auch an den Motivationskünsten Klinsmanns. Timo Hildebrand: „Das hat noch kein Spieler so erlebt wie wir. So wie
Klinsmann die Ansprachen in der Halbzeitpause gemacht hat, was er
emotional vermittelt hat, das war schon einmalig.“
Nun kommt als neuer Bundestrainer Joachim Löw mit Assistent
Hans Flick, der auch kein Scharfmacher ist. Unproblematisch, sagt
Borowski: „Joachim Löws Standing ist hervorragend. Er wird von allen Spielern absolut akzeptiert und anerkannt. Er ist schon ruhiger als
Jürgen Klinsmann. Vielleicht etwas dezenter in seiner Ansprache.
Aber punktuell setzt er auch Stiche, um uns zu motivieren.“
War die Mannschaft vor der WM von einigen Beobachtern als zweitklassig eingestuft worden, wird sie nun schon wieder zu den Besten
der Welt hoch gejazzt. Löw geht das zu schnell: „Es hat eine sehr gute Entwicklung stattgefunden, aber wir haben nur eine Basis geschaffen für die nächsten Jahre. Zufriedenheit wäre schlecht. Wenn man
jetzt nicht die Erkenntnisse aus der WM zieht und versucht, daraus
Verbesserungen zu erzielen, wäre das Stagnation. Wir müssen neue
Ideen, neue Impulse einbringen.“
Die Revolution ist nicht vorbei, sie wird permanent. Klinsmann forcierte mit seiner kompromisslosen Art die Umwälzungen im deutschen
Fußball im Schnelldurchgang. Mit Löw setzt der zweite, der stille
Zeichen sprechen dafür, dass Joachim Löw
diesen Weg weitergeht. Dabei ist es nicht so,
dass bei der Nationalelf das Rad neu erfunden wird. Was die Fitnesstrainer mitgebracht
haben, waren Methoden und Trainingsgeräte, die in anderen Sportarten schon lange
zum Einsatz kommen. Die Gummibänder
waren nur deshalb ungewohnt, weil sie im
Fußball nie Verwendung fanden. Doch gerade
mit diesen ungewohnten Mitteln wurden
zuletzt die entscheidenden Prozente aus den
Spielern herausgekitzelt.
Damit das so bleibt, wird konsequent so
weitergearbeitet wie vor der WM. Denn die
Europameisterschaft will auch akribisch
vorbereitet sein. In regelmäßigen Abständen
werden die Nationalspieler zum Leistungstest
gebeten, um ihre individuellen Werte zu
überprüfen. Per Laktattest, Herzfrequenzmessgerät, Beweglichkeitsprüfung oder
Koordinationsübungen wird der Fortschritt
vermessen, den sie in vorhergehenden
Wochen gemacht haben. Alle Spieler müssen
also auch in Zukunft ihre Hausaufgaben
machen. Die Defizite jedes einzelnen werden
genau bestimmt, um dann mit gezielten
Übungen an ihnen zu arbeiten. Das sind
zusätzliche Trainingseinheiten, die neben
dem normalen Vereinstraining absolviert werden sollen. Und wehe dem, der bei den laufenden Prüfungen durchfällt. Auch Löw wird
Spieler, bei denen er erkennt, dass sie nicht
konsequent an ihren Schwächen gearbeitet
haben, konsequent auf die Bank setzen.
Hinter Jogi Löw muss allerdings ein Team
von absoluten Spezialisten stehen, nicht nur
im Bereich der allgemeinen konditionellen
Förderung, sondern auch im psychologischen
und pädagogischen Bereich, im Scouting, im
technischen Bereich, in der Leistungssteuerung. Löw arbeitet weitgehend mit denselben
Leuten zusammen, die auch schon unter
Klinsmann tätig waren, möchte sein Team
aber noch erweitern. Wenn ihm das gelingt,
hat er den ersten Schritt zur Europameisterschaft getan. EBERHARD SPOHD
RUND 28
rund1006_022_034_TitLöw 28
11.09.2006 9:07:55 Uhr
AM BALL
Nationalmannschaft
„Hervorragendes Standing“: Auch die Fans unterstützen den neuen Bundestrainer
RUND 30
rund1006_022_034_TitLöw Abs1:30
07.09.2006 20:14:44 Uhr
AM BALL
Nationalmannschaft
DIE VARIANTE: NUR EINE SPITZE
Im 4-2-3-1 könnten Borowski und Frings
als Doppelsechs spielen, Schweinsteiger
und Schneider wie gehabt und Ballack
in der Rolle von Totti oder Zidane hinter
der einen Spitze. Es ist auch eine defensivere Variante denkbar mit drei Sechsern:
Kehl, Borowski und Frings, davor
nebeneinander Ballack und Schneider,
vorne ein Stürmer: das 4-3-2-1.
Kießling/Klose/Kuranyi
Ballack
Schweinsteiger
Schneider
Borowski
Frings
Teil der Revolution ein, die den deutschen Fußball jetzt nachhaltig
verändern soll. Gerade auch in der Trainingslehre sowie in der Trainer- und Nachwuchsausbildung.
Lahm
Mertesacker
Während Klinsmann es verstand, das Team zu motivieren und bei
Metzelder
Friedrich
den Nationalspielern im Ruf steht, ein emotionaler Hexer zu sein, hat
sich Löw den Respekt durch seine fachliche Kompetenz erworben. „Er
hat im Großen und Ganzen die Taktik vorgegeben und die Dinge im
Lehmann
Training wieder und wieder einstudiert“, sagt Sebastian Kehl von Borussia Dortmund. Sachlich, geduldig und ruhig vermittelt Löw dem
Team die Grundzüge einer offensiven Spielphilosophie, die bei der
WM schon gut funktionierte und in zwei Jahren bei der Europameis- und Löw Mittelfeld und Sturm und stärkten gleichzeitig die Mitte ihterschaft in Österreich und der Schweiz den Titel bringen soll. „Wir res Spiels. Das half den Innenverteidigern, die nun nicht mehr so viele
waren bei der WM nah dran. Ich glaube daran, dass man vieles besser Abstürze hatten, weil Torsten Frings/Sebastian Kehl und Michael Balerreicht, wenn man eine Vision hat, eine Zielvorstellung, und die kann lack ihnen schon vor der Abwehr aushalfen. Mit diesem System ging
nur lauten, das höchste Ziel anzustreben“, sagt Löw.
es der Mannschaft gut. Es ließ genügend Raum für „Variabilität, eine
An der Taktik will er dabei nicht viel ändern. Löw setzt weiterhin Flexibilität, die von uns immer geplant gewesen ist. Das ist dann auch
auf 4-4-2, er ist der Meinung, „dass zwei Stürmer von großer Wichtig- immer besser umgesetzt worden“, so Löw.
keit sind, wenn man offensiv nach vorne spielen möchte“. Und das soll
Er ist mit dem, was die Mannschaft bei der WM gespielt hat, zufrieso bleiben, obwohl sich bei der Fußball-WM die Großen auf ein ande- den. Auch die Spieler sind es: „Ich denke, dass wir gezeigt haben“, sagt
res System geeinigt haben: 4-2-3-1. Fünf Spieler im Mittelfeld, davon Borowski, „dass wir mithalten können mit den großen Mannschaften.“
zwei Sechser, drei offensiv, und ein einsames Kerlchen im Sturm. So Doch das ist nur ein Zwischenergebnis. „Jetzt muss es weitergehen“,
haben drei der vier Halbfinalisten gespielt: Italien, Frankreich, Portugal.
WÄHREND KLINSMANN BEI DEN SPIELERN DEN RUF HAT,
Italien hatte im gewonnenen Halbfinale gegen Deutschland ein ständiges EIN EMOTIONALER HEXER ZU SEIN, GENIESST JOGI LÖW
Übergewicht im Mittelfeld. Das erzeugt, RESPEKT DURCH SEINE FACHLICHE KOMPETENZ
darauf hat Trainer Marcello Lippi hingewiesen, ein komfortables, sicheres, warmes Gefühl im Team. Das
Spielfeld ist optimal abgedeckt. Die deutschen Spieler hatten keinen
Raum, die Laufwege waren zugestellt, ständig sahen sich die schwarzrot-goldenen Mittelfeldspieler einer Übermacht gegenüber, immer
war einer im schnittigen blauen Hemd frei.
Diese Überlegenheit hat ihren Preis: Luca Toni, der einzige Stürmer,
zahlte ihn. Er war nicht mehr auf dem Platz, als Lippi einen Stürmer
nach dem anderen einwechselte und in der Verlängerung innerhalb
weniger Minuten das Spiel seiner Mannschaft offensiv upgradete wie
ein Computerprogramm. Darauf hatte im deutschen Lager – nach den
120 harten Minuten gegen Argentinien – niemand eine Antwort.
Ein 4-2-3-1, wie es die Italiener spielen, muss nicht defensiv sein.
„Das kommt darauf an, wie man das 4-2-3-1 interpretiert, wie die Mittelfeldspieler in die Spitze stoßen, wie verschieden die vier Spieler in
der Offensive sind“, sagt Löw. Er kann sich Situationen vorstellen, in
denen auch er zum 4-2-3-1 greift: „Wenn man eine Wenn-dann-Strategie hat und während des Spiels umstellt, um damit den Gegner zu überraschen.“ Ein 4-2-3-1 bietet, so Löw, „die Möglichkeit, über Konter zu
kommen, weil man die Breite des Spielfelds etwas besser abdeckt“.
Auch die deutsche Mannschaft spielte während der WM mit einer
„Doppelsechs“, die sich allerdings bei Ballbesitz in eine Raute verwandelte, indem sich einer der defensiven Mittelfeldspieler als zusätzliche
„Bin ich hier richtig?“: Mittelfeldspieler
Anspielstation hinter die Spitzen schob. Damit verbanden Klinsmann
Tim Borowski
RUND 31
rund1006_022_034_TitLöw Abs1:31
07.09.2006 20:14:52 Uhr
AM BALL
Nationalmannschaft
Die Umstellungen in der Abwehr
waren verletzungsbedingt: Mit
Metzelder, Mertesacker, Huth und
Nowotny fehlten die vier WMInnenverteidiger, deshalb rückt Arne
Friedrich in die Innenverteidigung,
Lahm vom linken auf den rechten
Verteidigerposten, Jansen verteidigt
links. Grundformation wie bei
der WM: 4-4-2. Zweiter Innenverteidiger: Manuel Friedrich.
Harmonisch und kollegial: Ergänzungsspieler beim Aufwärmen
Podolski
Klose
Schweinsteiger
Schneider
Ballack
Frings
Jansen
A. Friedrich
M. Friedrich
Lahm
Lehmann
DIE NOTELF: ZU BEGINN DER EM-QUALIFIKATION
sagt Löw. Auch die Spieler selbst wollen mehr. Sebastian Kehl sagt:
„Ich denke schon, dass wir in fast allen Bereichen noch verbesserungsfähig sind und dazulernen können. Zur Weltklasse fehlen uns mit Sicherheit noch ein paar kleinere Details.“
Alles kann noch besser werden: „Den ersten Ball nach vorne spielen, das war phasenweise schon gut. Aber nicht immer“, sagt Löw. Da
sieht Borowski die Bremer Nationalspieler im Vorteil, „weil wir mit
einer ähnlichen Philosophie schon länger im Verein spielen. Wenige
Kontakte, schnelles und direktes Passspiel. Joachim Löw wird diese
Philosophie in der Nationalmannschaft auf jeden Fall fortsetzen, was
ich sehr gut finde. Er hat sie unter Jürgen Klinsmann in der Vergangenheit ja auch schon stark vertreten, und er wird diesen Weg weitergehen. Jetzt müssen wir weiter an der Feineinstellung arbeiten.“
RUND 32
rund1006_022_034_TitLöw Abs1:32
08.09.2006 13:03:53 Uhr
AM BALL
Nationalmannschaft
Sebastian Kehl hat die Hoffnung, dass „wir in nächster Zeit reifen
werden, zusammenwachsen. Jeder wird die Taktik verinnerlichen,
dann werden wir vielleicht noch kompakter, noch besser, noch überzeugter auftreten und können dann den Offensivgeist auch gegen starke Gegner besser einbringen.“
DAS SCHWIERIGE AN LÖWS JOB HAT ROTE HAARE,
SOMMERSPROSSEN UND HÖRT AUF DEN NAMEN
MATTHIAS SAMMER: DER DFB-SPORTDIREKTOR
Alle lernen, auch der Bundestrainer. Er hat bei der WM erkannt, dass
„effiziente Offensive und Kreativität sich nur auf der Basis einer guten
Ordnung, eines guten Systems, realisieren lassen“. An dessen Perfektionierung will Löw arbeiten. „Die Standardsituationen sind absolut verbesserungsfähig“, weiß Löw. Weiter nennt er Eins-gegen-eins-Situationen in Offensive und Defensive, Pressing und das Zweikampfverhalten.
„Balleroberung ohne Foul zu spielen sollte besser werden, individuell
und was die Mannschaft anbetrifft.“ Das muss er dem Team einprogrammieren. Allerdings wäre der Fußball nicht das, was er ist, wenn er
nicht auch genau das Gegenteil von leicht zu programmieren wäre.
Das Schwierige an Löws Job hat rote Haare, Sommersprossen, hört
auf den Namen Matthias Sammer und wurde von den Besitzstandswahrern des deutschen Fußballs und deren Verbündeten auf den Job
des Sportdirektors gehievt. Wie wichtig der bei Borussia Dortmund
und dem VfB Stuttgart gescheiterte Trainer für die Entscheidung Klinsmanns war, seinen Vertrag mit dem DFB nicht zu verlängern, ist noch
zu klären. Klinsmann, Löw und Bierhoff hatten für den Job des Sportdirektors eine genaue Stellenbeschreibung formuliert und HockeyBundestrainer Bernhard Peters vorgeschlagen. Daraufhin wurde ein
kleiner publizistischer Wind entfacht, und schon stach das prächtige
Argument, einer aus dem Fußball müsse diesen Job bekleiden.
TALENTSCHMIEDE BUNDESLIGA:
SECHS JUNGE SPIELER AUS JOACHIM LÖWS NOTIZBUCH
Die deutsche WM-Elf hatte einen untypisch jungen Altersdurchschnitt, viele
Spieler haben ihre Zukunft noch vor sich. Aber die verbesserte Nachwuchsarbeit
der Klubs bringt weiter talentiert junge Spieler hervor, die an die Tür der
Nationalmannschaft klopfen. RUND stellt sechs der jungen Hoffnungsträger vor
SIMON ROLFES
Spielt er weiter auf diesem
Niveau, wird Rolfes auch im
deutschen Mittelfeld schon
bald zur neuen Geheimwaffe
avancieren. Der 24-jährige
Leverkusener zählt zu
den modernsten defensiven
Mittelfeldspielern der Liga,
besitzt enorme Qualitäten
im schnellen Aufbauspiel wie
auch im Torabschluss. Nicht bloß angesichts der
Verletzungsanfälligkeit von Kehl und Ballack eine echte
Alternative für Löw. Auch denkbar, dass der Linksfuß
im linken Mittelfeld eingesetzt wird. Seine Vielseitigkeit
und die Leistungsexplosion der letzten eineinhalb
Jahre spricht für ihn. Im defensiven Mittelfeld von
Bayer Leverkusen ist er neben Carsten Ramelow
längst Stammspieler.
EUGEN POLANSKI
Nach Miroslav Klose, Lukas
Podolski und Lukas Sinkiewicz
könnte er der vierte polnischstämmige Nationalspieler
werden: Eugen Polanski,
geboren in Sosnowiec. Mit
zwei Jahren kam er mit seinen
Eltern nach Deutschland,
spielt seit 1994 bei Borussia
Mönchengladbach und
schaffte vergangene Saison mit 21 Einsätzen den
Durchbruch im defensiven Mittelfeld. Polanski ist beidfüßig und hat sowohl in der Raute als in der Doppelsechs Erfahrung. Trainer Jupp Heynckes hält große
Stücke auf den 20-Jährigen, den seine Trikotnummer
geradezu für den Job vor der Abwehr prädestiniert:
Er trägt die sechs.
STEFAN KIESSLING
Stefan Kießling kann nicht
allzu viel. Zumindest behauptet
das Stefan Kießling: „Wo ich
Schwächen habe? Fast in jeder
Hinsicht.“ Solche Aussagen
sprechen weniger für eine
falsche Bescheidenheit als für
seinen enormen Ehrgeiz und
die Bereitschaft, dazuzulernen.
Legt man Löws Spielverständnis zugrunde, spricht einiges für den Leverkusener
Stürmer, der sich immer wieder geschickt zurückfallen
lässt und auch als einzige Spitze spielen kann:
Ausgeprägtes Spielverständnis, gute Übersicht und
das Selbstverständnis als Teamplayer, der den
Ball konsequent zum besser postierten Mitspieler
spielt. Es sei denn, er steht besser. Dann darf meist
gejubelt werden.
GONZALO CASTRO
HEIKO WESTERMANN
PIOTR TROCHOWSKI
Dass der Name Heiko
Westermann bei vielen Fußballfans nur ein Achselzucken auslöst, liegt vor allem daran, dass
der 23-Jährige trotz regelmäßiger Angebote den Gang auf
die große Fußballbühne bislang
scheute. Der Innenverteidiger
von Arminia Bielefeld zählt zu
den begabtesten Abwehrspielern der Liga: Enorm kopfballstark und schnell wird
ihm auch ein Platz in der nationalen Viererkette zugetraut. Die halbe Bundesliga jedenfalls ist schon hinter
Westermann her, dessen Vertrag in Bielefeld 2008
ausläuft. In Dortmund soll er schon vorher Christoph
Metzelder ersetzen.
Linksfüße hatten Jürgen Klinsmann und Joachim Löw
bei der WM zu wenige im Kader, selbst Philipp Lahm
ist nur ein angelernter Linker. Ein Mangel, den Löw
auch mit dem beidfüßigen Piotr Trochowski beheben
möchte, dem er schon mehrfach einen Platz in der
Nationalelf in Aussicht stellte.
Der 1,69 Meter kleine Mittelfeldspieler mit den guten
technischen Fertigkeiten und
einer famosen Schusstechnik
könnte das Offensivspiel im
deutschen Mittelfeld variabler
gestalten. Zum Stammspieler
avancierte der 22-Jährige
allerdings weder in München
noch beim HSV.
Der 19-jährige Leverkusener
Gonzalo Castro hat eigentlich
spanische Wurzeln, entschied
sich 2005 aber dafür, nur
noch für DFB-Mannschaften
aufzulaufen. U21-Coach Dieter
Eilts freut’s. Er hat Castro
bereits mehrfach eingesetzt,
und auch in seinem Stammverein scheint der Spieler Fuß
gefasst zu haben. In den ersten Saisonspielen lief er
in der Bayer-Elf als Rechtsverteidiger auf und bestach
durch sachliches, intelligentes Spiel. Castro kann
auch im defensiven Mittelfeld auflaufen. Am ersten
Spieltag schoss er sein erstes Bundesligator, weitere
werden sicherlich folgen.
RUND 33
rund1006_022_034_TitLöw Abs1:33
07.09.2006 20:14:58 Uhr
AM BALL
Nationalmannschaft
DIE ZUKUNFT: SO KÖNNTE ES 2012 AUSSEHEN
Im Tor steht Rensing, für die Positionen der
Außenverteidiger gibt es Auswahl, innen sieht
es nicht so gut aus: Madlung und Westermann.
Wird 4-4-2 gespielt, dann mit Trochowski,
Alexander Meier oder Rolfes, Ottl oder Polanski
und Deisler oder Odonkor im Mittelfeld.
Kießling und Gomez stürmen. Sie sind auch
Kandidaten als Sturmspitze für ein 4-3-2-1.
Sammer profitiert nun davon, dass das Trio den Job des Sportdirektors – im Vertrauen darauf, dass Peters es wird – mit vielen Kompetenzen ausstattete. Das erweist sich als Bumerang. Sammer verpflichtete die von Klinsmann und Löw ausrangierten Erich Rutemöller und
Horst Hrubesch als Nachwuchstrainer und fällt durch Aussagen auf,
die nicht zum Konzept von Löw passen. Doch während Klinsmann in
diesem Fall wohl die Machtfrage gestellt hätte, ist Löw vorsichtiger.
Ob er mit Sammer jemals vertrauensvoll zusammenarbeiten kann, ist
Kießling
Gomez
gleichwohl überaus fraglich.
Ein zweites Problem ist das gespannte Verhältnis zwischen Liga und
Nationalelf. Das Großereignis Heim-WM übertünchte viele Konflikte.
Für das gute Abschneiden der Auswahlmannschaft fühlten sich die
Deisler
Odonkor
Trochowski
Vereine auch bei ungeliebten Terminen wie den Fitnesstests in der
A. Meier
Ottl
Pflicht. Doch spätestens seit Nationalelfmanager Oliver Bierhoff die
Rolfes
Polanski
Klubs während der WM aufforderte, „aus dem Dornröschenschlaf zu
Fatih
Chaled
erwachen“ und die neuen Methoden zu übernehmen, ist ein offener
Jansen
Fritz
Lahm
Madlung Tasci
Streit darüber ausgebrochen, wer wem wie viel verdankt und wer was
Mertesacker
Westermann
von wem verlangen darf. „Da ist immer noch ein Zwiespalt zwischen
Liga und Nationalelf“, weiß Timo Hildebrand, „generell sollten da alRensing
le aufgeschlossener sein und mehr miteinander diskutieren, um noch
weiter nach vorne zu kommen.“
Bisher wurde die Diskussion in der Öffentlichkeit geführt. Auch hier
bringt Joachim Löw seinen eigenen Stil ein. „Meine Aufgabe ist es, die
Kommunikation mit den Bundesligatrainern aufrechtzuerhalten, sie
zu intensivieren“, sagt er. „Der Dialog ist wichtig.“ Doch was in anderen Ländern gang und gäbe ist, stößt in
BEI DER TRAININGSMETHODIK GIBT ES IM DEUTSCHEN Deutschland auf Misstrauen. Als Löw vor
dem ersten Länderspiel nach der WM von
FUSSBALL KEINEN KONSENS. NICHT ALLE KLUBS LEISTEN seinen Spieler per Fragebogen wissen
EINE INDIVIDUELLE, KONTINUIERLICHE AUFBAUARBEIT wollte, welches Pensum sie in den Vereinen geleistet hatten, um beim Nationalmannschaftstraining gezielt darauf aufbauen zu können, titelte die
„Sport Bild“: „Jogi Löw spioniert Klubs aus.“ Dabei, betont der Bundestrainer, nützt der Austausch am Ende beiden Seiten etwas. „Wenn
die individuelle Belastung im Verein bekannt ist, können wir darauf
Rücksicht nehmen. Es geht nicht darum, die Heimtrainer zu kritisieren. Wir lernen ja auch von der Bundesliga.“
Ein solcher Austausch hat erst begonnen. In Sachen Trainingsmethodik gibt es im deutschen Fußball keinen Konsens. Noch immer gibt
es Klubs, in denen keine kontinuierliche Aufbauarbeit geleistet wird.
WM-Fahrer bestreiten nach drei Tagen Training Freundschaftsspiele
gegen Kollegen, die schon zwei Wochen im Training stehen.
Und Lukas Podolski kam nach der WM – im Vergleich etwa zum
Bremer Stürmerkollegen Miroslav Klose – bei den Bayern auch deshalb nur schwer in die Gänge, weil er nicht nach einem individuellen
Trainingsplan arbeitete. Podolski schaffte aus Fitnessgründen nicht
den Sprung in die Stammelf, wenn der FC Bayern vor und nach Spieltagen dosiert oder gar nicht trainierte, konnte der Stürmer manchmal
über mehrere Tage seine Defizite nicht abbauen. Bei der Nationalmannschaft kümmert sich Oliver Schmidtlein um die gezielte Trai„Noch überzeugter auftreten“: Mittelfeldspieler
Sebastian Kehl
ningssteuerung. Der ist gleichzeitig bei den Bayern angestellt. Doch
die Methoden, die im Nationalteam erfolgreich eingesetzt werden,
sind beim FC Bayern München offenbar nicht gefragt.
RUND 34
rund1006_022_034_TitLöw Abs1:34
07.09.2006 20:15:08 Uhr
rund1006_036_039_LagLiga 36
08.09.2006 14:17:08 Uhr
AM BALL
Lage der Liga
ZITAT DES MONATS
DIESER SPIELER FEHLT
DIE WAHRHEIT AUF DEM PLATZ
DER FEIND DES MONATS
WAR SONST NOCH WAS?
1
2
3
4
5
FOTOS MAREIKE FÖCKING UND BENNE OCHS
Wie geht es Ihrem Lieblingsklub, was ist
los bei der Konkurrenz? Unsere Experten
haben allen 18 BUNDESLIGISTEN auf die
Füße geschaut und beantworten die
Fragen, die die Fans bewegen
DIE LAGE DER LIGA
rund1006_036_039_LagLiga 37
08.09.2006 14:17:16 Uhr
In der Allianz Arena wurde Besucher Nummer 500.000 gezählt –
wohlgemerkt außerhalb der Spiele.
Allein die Stadiontour zum Preis
von acht Euro lockt. Stadionchef
Alexander Pieper ärgert nur das
Zigarrenbrandloch auf der
Gästebank. Hauptverdächtiger ist
Rudi Assauer. DETLEF DRESSLEIN
5 War sonst noch was?
Paradoxerweise ist der Berater von
Owen Hargreaves ein Angestellter
des FC Bayern – der Pressestellenmitarbeiter Roman Grill. Er kündigte schon für die Winterpause
neue Verhandlungen mit ManU an.
Ob da Uli Hoeneß bald ein ernstes
Wort am Kaffeeautomaten spricht?
4 Der Feind des Monats:
3 Die Wahrheit auf dem Platz:
Gegen Inter, Sporting Lissabon
und Spartak Moskau will man nur
irgendwie die Vorrunde der
Champions League überstehen.
Versucht’s mal mit Bescheidenheit.
Ein Mittelfeld-Allrounder mit Defensivgelüsten. Dann könnte man
Owen Hargreaves lässig verkaufen
und die voluminöseste Ablöse der
Vereinsgeschichte aufs Festgeldkonto buchen. Hatte man da nicht
mal einen gewissen Frings im
Kader? Eine 30 Millionen EuroOfferte auszuschlagen, dazu
gehört Mumm. Denn um nur halb
soviel wert zu sein, müsste sich der
Brite schon noch etwas steigern.
Tobias Levels, 19, sprintete kurz
vor Ende der Partie gegen
Bielefeld zur Bank und riss sich
erwartungsfroh das gelbe Leibchen
vom Körper. Um enttäuscht zu
seinen Aufwärmkollegen zurückzutrotten: Cotrainer Uwe Speidel
hatte den Reservisten nur die
Anweisung des vierten Schiedsrichters überbracht, sich anderswo
zu tummeln. BERND SCHNEIDERS
5 War sonst noch was?
Beim mühevollen 1:0 gegen Bielefeld taten sich Gräben zwischen
den Fans auf. Als wie bekannt und
gefürchtet schon in Minute 20 die
fehlende Geduld in kollektives
Murren mündete, erfolgte die Kritik
der diesmal pädagogisch gestimmten Nordkurve: „Scheiß Tribüne!“
4 Der Feind des Monats:
Mag ein Nationalheld wie Marcell
Jansen noch so sehr umworben
sein – auch der 20-Jährige fällt
unter das heynckessche Lernprogramm. Verbesserungswürdig
ist zum Beispiel das Stellungsspiel.
3 Die Wahrheit auf dem Platz:
Heynckes ist noch immer auf der
Suche nach dem zweiten Mann
neben Oliver Neuville. Sonck ist
fast immer verletzt, Delura, Rafael
und Svěrkoš zu unbeständig; Kahê
könnte profitieren, wenn er aufhört,
die Stürmerposition zu stark als
Mittelfeldspieler zu interpretieren.
2 Dieser Spieler fehlt:
1 Zitat des Monats:
„Ich weiß noch genau, wie Klose
bei Kaiserslauterns Amateuren
gespielt hat. Heute ist er Weltklasse. Unsere Stürmer Svěrkoš,
Delura und Rafael sind noch jung
und müssen noch viel lernen. Sie
können nicht innerhalb von zwei
Wochen plötzlich spielen wie
Drogba oder Schewtschenko.“
Jupp Heynckes wirbt um Geduld.
1 Zitat des Monats:
„Chef wird man hier nicht durch
Erzählen oder sonst was. Allein die
Leistung auf dem Platz ist entscheidend.“ Eigentlich ist Hasan
„Brazzo“ Salihamidzic weder
Cheftrainer noch Lichtgestalt noch
Manager – seine Grußnote an den
lang ersehnten Regisseur Mark van
Bommel hört sich allerdings so an.
2 Dieser Spieler fehlt:
BORUSSIA
MÖNCHENGLADBACH
BAYERN MÜNCHEN
„Ljuboja macht den Maxe, hat alles
im Griff und tanzt uns auf der Nase
herum. Ich glaube ihm gar nichts
mehr.“ Stuttgarts Trainer Armin Veh
über den störrischen Stürmer
Danijel Ljuboja, der nun beim HSV
den Verdacht zerstreuen muss,
dass er ein unheilbar egoistischer
Abzocker ist.
„Da muss endlich Konstanz rein.“
Andreas Müller zum ständigen
Manko des königsblauen Teams.
Denn die vom Schalker Manager
ständig beschworene „große
Qualität“ des Kaders scheint nach
den Auftritten zum Bundesligastart
tatsächlich real zu sein. Wenn jetzt
noch die Konstanz … Aber das
hatten wir ja schon.
Alle Schalker Spieler wollen wieder
mit der Presse reden. Dieses
Detail ihres Berufs hatten einige
Protagonisten in der Vorsaison
doch sträflich vernachlässigt. Neukapitän Marcelo Bordon soll die
Mannschaft zu diesem Schritt bewegt haben. JÖRG STROHSCHEIN
5 War sonst noch was?
4 Der Feind des Monats:
Die Staatsanwaltschaft Essen. Die
Behörde ermittelt strafrechtlich
gegen gegen Exmanager Rudi
Assauer, Finanzvorstand Josef
Schnusenberg und Geschäftsführer Peter Peters. Es geht um einen
möglichen Verstoß gegen die
Bilanzvorschriften. Wenn möglich,
soll bis Weihnachten alles klar sein.
Er hat alles versucht: zusätzliches
Technik-, Schuss- und Kopfballtraining. Doch Slomkas Spieler
weigern sich offenbar standhaft
auch nur die Hälfte ihrer üppigen
Torchancen zu nutzen. Ansonsten
sind wieder echte Spielfreude
und schnelle Kombinationen
erkennbar. Das tut gut nach der
müden Vorsaison.
3 Die Wahrheit auf dem Platz:
2 Dieser Spieler fehlt:
Zurzeit keiner. Nahezu sämtliche
Positionen sind doppelt und für die
Bundesliga qualitativ hochwertig
besetzt. Trainer Slomka hat die
Qual der Wahl – Konkurrenzkampf
tut speziell dieser Mannschaft gut.
1 Zitat des Monats:
1 Zitat des Monats:
Der VfB darf laut Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vorläufig
weiter für Bwin werben. Der geschätzte Sponsorbeitrag des umstrittenen Sportwettenanbieters
liegt bei rund 800.000 Euro.
ELKE RUTSCHMANN
5 War sonst noch was?
Die Stadt und die Leichtathletik.
Diese Allianz verhindert bislang ein
reines Fußballstadion, mehr Enge,
mehr Emotionen und damit
vielleicht auch besseren Fußball
im gepeinigten Stuttgart.
4 Der Feind des Monats:
Das Duo Veh/Heldt fordert ständig
Fristverlängerung. Doch noch fehlt
dem Flickwerk die passende Struktur, und auch beim VfB braucht
man langsam Ergebnisse, die den
öffentlichen Druck ventilieren: Nur
so erhält man die Zeit für die geplanten Reformen. Die sind jedenfalls dringend nötig.
3 Die Wahrheit auf dem Platz:
Vielleicht keiner mehr für links hinten. Nachdem Thomas Hitzlsperger
und der nach Rom transferierte Ludovic Magnin gehobenen Bundesligaansprüchen nicht genügten,
holte man Arthur Boka aus Straßburg, einen Nationalspieler der Elfenbeinküste. Hilfe naht auch aus
Stuttgarts Jugendbande. Serdar
Tasci, 19, zeigte gegen Dortmund
auf der rechten Abwehrseite eine
ansprechende Leistung.
2 Dieser Spieler fehlt:
VFB STUTTGART
FC SCHALKE 04
RUND 37
Die Mitgliederversammlung, bei der
die Profiabteilung in eine Kapitalgesellschaft ausgegliedert wurde,
war bestes Provinztheater. Überschrift der „taz NRW“: „Hip Hip Hurra GmbH“. BERND MÜLLENDER
5 War sonst noch was?
4 Der Feind des Monats:
Gleich zwei: Der eine kommt aus
der neidischen Zweitligastadt Köln,
wo der „Stadt-Anzeiger“ die TivoliLobpreisungen als „SozialkitschKäse“ verhöhnte: „Aachen nervt.“
Der andere Streit im Klubinneren:
Vorstand Marcel Creutz, kaum ein
halbes Jahr dabei, schmiss Ende
August die Brocken hin.
Scheint gar nicht so wichtig.
Alemannia gibt sich als unbekümmerter und fröhlicher Gast der
Liga, um dann auch mal eiskalt
zuzuschlagen.
3 Die Wahrheit auf dem Platz:
Trotz Hannover ein Angreifer, der
den Namen verdient. Schlaudraff
kommt mit Turbo aus dem Mittelfeld, ist aber nur mäßig torgefährlich. Marius Ebbers ist (bislang) mit
der Liga überfordert, über seinen
Ersatz Vedad Ibišević aus Bosnien
verbietet Höflichkeit jeden
Kommentar. Neu kam Ende August
Szilárd Németh, slowakischer
Rekordtorschütze mit beachtlichen
24 Toren in 58 Länderspielen.
Das Beste an seinem Transfer:
Ailton, heiß gehandelt, kam nicht.
2 Dieser Spieler fehlt:
1 Zitat des Monats:
„Historisch!“ Nach dem 3:0-Knaller in
Hannover war es schwer, jemanden in
Aachen zu finden, der diese Vokabel
nicht benutzte. Erst recht gilt es am
Tivoli als historisch, dass man weniger
als zwei Wochen nach dem Sieg
seinen Chefcoach Dieter Hecking
ausgerechnet zum geschlagenen
Gegner Hannover 96 abgeben muss.
ALEMANNIA AACHEN
Der Klub hat jetzt auch ein neues
Logo samt Slogan. „96 – Die
Roten“ steht drauf und erinnert
auch optisch ein wenig an
selige Zeiten des Klassenkampfs.
Das ist längst nicht so schlimm
wie der Zusatz: „Hannover 96 – So
ist Fußball“. Da bleibt eigentlich
nur der fromme Wunsch: hoffentlich
nicht. JÖRG MARWEDEL
5 War sonst noch was?
4 Der Feind des Monats:
Peter Neururer. Früher hatte
Hannovers „Bild“-Sportchef
ein Abonnement auf diesen Titel,
denn er diktierte über Jahre die
chaotische Vereinspolitik. Der
Trainer Neururer war in kürzester
Zeit erfolgreicher: Er brauchte
nur zehn Monate, um 96 ins erneute
Chaos zu stürzen. Hannover
wird noch lange darunter leiden.
3 Die Wahrheit auf dem Platz:
Unter dem Trainer Ralf Rangnick
spielte 96 offensiven Abenteuerfußball mit vielen Toren vorn und
hinten, unter dem Nachfolger
Ewald Lienen Betonfußball mit wenig Toren vorn und hinten und unter
dem Trainer Peter Neururer abenteuerlichen Fußball mit wenig Toren
vorn und vielen hinten. Hecking,
dem vierten Coach in drei Jahren,
bleibt also nur noch eine Variante:
Abenteuer-Betonfußball mit vielen
Toren vorn und wenigen hinten.
Wenn’s weiter nichts ist.
Wo um Himmels willen soll man da
nur anfangen. Und wo aufhören?
2 Dieser Spieler fehlt:
1 Zitat des Monats:
„Im Herzen ist Hecking ein Roter.“
96-Präsident Martin Kind begründet
emotional, warum mit Dieter Hecking ausgerechnet der beliebte
Trainer des Liga- und Abstiegskampfkonkurrenten Alemannia
Aachen verpflichtet wurde.
HANNOVER 96
rund1006_036_039_LagLiga 38
08.09.2006 14:17:19 Uhr
„Enter Sandman“ von Metallica hat
sich als neue Einlaufmusik in der
mannschaftsinternen Abstimmung
durchgesetzt. Der Besungene
soll dem Publikum womöglich auch
als Schutzheiliger bei schlimm
ermüdenden Heimspielen dienen.
ULI HARTMANN
5 War sonst noch was?
4 Der Feind des Monats:
In zuverlässiger gegenseitiger Interaktion: Thomas von Heesen
und Reinhard Saftig. Im Vergleich
mit den beiden sind Katz und
Maus ein harmonisches Duo.
3 Die Wahrheit auf dem Platz:
Bielefeld probiert in Ermangelung
angriffstaktischer Variationsmöglichkeiten vor allem auswärts gern
eine doppelkettige Verteidigungsstrategie, die dem Cheruskerfürsten und Klubpatron Arminius
zwar zur Ehre gereicht hätte – aber
ganz sicher nicht zu jenem historischen Gewinn der Varusschlacht
im Jahr neun nach Christus.
Abdelaziz Ahanfouf, Fatmir Vata
und Sibusiso Zuma in der Genesungsphase nach langwierigen Verletzungspausen; Artur Wichniarek,
weil er offensichtlich nie mehr so
gut wird, wie er mal war; und Isaac
Boakye, weil er nach Wolfsburg
gewechselt ist. Also der komplette
Sturm. Eine Glückssträhne sieht
definitiv anders aus.
Eigentlich dachte man ja, die
Geschichte um Reiner Calmunds
halbseidenen Umgang mit Geld
habe sich erledigt. Jetzt läuft das
Verfahren doch weiter, und alle
Freunde der Bundesligadunkelwelt
können auf weitere Details über
die verborgene Seite des Fußballalltags hoffen. DANIEL THEWELEIT
5 War sonst noch was?
Fußballer werden schon mal als leblose Ware betrachtet. Werner
Wenning, der Vorstandsvorsitzende
der Bayer AG aber, sieht den
Rest der Menschheit offenbar auch
so. „Warum muss denn jeder ‚vollkaskoversichert‘ sein? Warum kann
man sich nicht so versichern, wie
es beim Auto üblich ist?“, entgegnete er in einem Interview des
„Kölner Stadt-Anzeigers“ auf
die Frage „Ist das Krankenkassensystem noch zeitgemäß?“
4 Der Feind des Monats:
Wie so oft sieht der sommerliche
Fußball der Leverkusener äußerst
hübsch aus. Was bislang fehlt,
ist einzig die Dynamik des Erfolgs.
3 Die Wahrheit auf dem Platz:
Sie haben Kiessling und Barbarez,
aber ein bisschen vermissen sie
doch die Kaltschnäuzigkeit von
Dimitar Berbatow. Nach drei Spieltagen waren die Neuen noch torlos.
2 Dieser Spieler fehlt:
Miroslav Karhan, Kapitän der slowakischen Nationalmannschaft,
hält jetzt den klubinternen Rekord
für Bundesligaeinsätze. Bisheriger
Rekordhalter war Exkeeper Claus
Reitmaier (163). PETER UNFRIED
5 War sonst noch was?
4 Der Feind des Monats:
Das gegnerische Tor. Mike Hanke
hat sich inzwischen zu Übungszwecken zu Hause ein Tor in den
Garten gestellt. Erfolge wurden
ebenso wenig bekannt wie Klagen
genervter Nachbarn.
Die Organisation der Defensive
scheint zu funktionieren, die Innenverteidigung mit Kapitän Kevin
Hofland und Neuzugang Madlung
auch. Davor räumt Tom van der
Leegte ab. Der Niederländer dürfte
der Spieler in der Liga sein, der die
wenigste Zeit im Spiel eine gelbe
Karte fürchten muss – weil er sie
meist schon gesehen hat. Hat er
den Ball am Fuß, beginnt das Optimierungspotenzial im VfL-Spiel.
3 Die Wahrheit auf dem Platz:
2 Dieser Spieler fehlt:
Es wäre Populismus zu sagen:
Miroslav Klose. Andererseits
wäre es spannend zu sehen, was
ein Ausnahmetoremacher unter
schwierigen Produktionsbedingungen leisten kann. Helfen
wird aber bereits ein solider
Toregarant wie Diego Fernando
Klimowicz in Form.
„Ich habe aus meiner Berliner Zeit
gelernt.“ Alexander Madlung,
neuerdings im DFB-Team, zeigt
sich reumütig über seine
Vergangenheit als Berliner Rekordhalter im Strafzettelkassieren (die
meistverbreitete Zahl ist: 300).
Früher war sein Motto: „Es ist
manchmal billiger, die Strafe zu bezahlen, als die Parkgebühren.“
„Vielleicht war ja nicht alles falsch,
was wir gemacht haben“, sagte
Geschäftsführer Wolfgang
Holzhäuser, als seine Mannschaft
in den Kreis der Meisterschaftskandidaten erhoben wurde.
Vor einem Jahr hatte er Bayer
noch selbst zu den Titelaspiranten
gezählt, ehe er den Trainer
entlassen musste. Auf die Idee, die
Erwartungen zu dämpfen, kommt
er wieder nicht.
2 Dieser Spieler fehlt:
1 Zitat des Monats:
1 Zitat des Monats:
1 Zitat des Monats:
„Ich habe keinen gültigen Spielerpass mehr, ich kann leider auch
nicht helfen.“ Trainer Thomas von
Heesen beklagt mangelnde
Alternativen im Angriff und genießt
es wiederholt und demonstrativ,
dem Sportdirektor Reinhard Saftig
den Schwarzen Peter für die verunglückte Einkaufspolitik des Klubs
zuzuschieben.
VFL WOLFSBURG
BAYER 04 LEVERKUSEN
ARMINIA BIELEFELD
AM BALL
Kaum hatte der HSV den Saisonstart verpatzt, wurde Kritik an
Vorstand Bernd Hoffmann aus dem
Aufsichtsrat laut. Ein paar Tage
später erreichte der HSV die
Champions League, und alle waren
mit Hoffmann zufrieden. Diese Räte
sind peinlich. FRANK HEIKE
5 War sonst noch was?
4 Der Feind des Monats:
Der Norddeutsche Rundfunk,
Abteilung Fernsehen. Die Kollegen
schnitten vor dem Osasuna-Spiel
einen markigen Beitrag zusammen,
Tenor: der HSV, fast pleite und
sportlich am Ende. Sportchef
Beiersdorfer faltete den Moderator
vor laufender Kamera für das
Machwerk zusammen.
3 Die Wahrheit auf dem Platz:
Rafael van der Vaart fällt
verletzungsbedingt aus. Selbst
wenn er in der Rolle als Kapitän,
Gestalter, Antreiber und Schütze
ein wenig überfordert war, ein
schmerzlicher Verlust. Der HSV
weiß mittlerweile wohl, was er an
Sergej Barbarez hatte.
Zumindest kein Stürmer mehr. Bis
zum Schließen des Transferfensters
wurde auf der halben Welt gefahndet. Es kam Sanogo – der trifft
und überrascht manchen. Gleiches
gilt für den Serben Ljuboja, und
erst recht für Juan Pablo Sorin, der
die Abwehr verstärkt.
2 Dieser Spieler fehlt:
1 Zitat des Monats:
„Wir haben auf vielen Positionen
Luft nach oben.“ Trotz der Qualifikation für die Champions League:
Trainer Thomas Doll erwartet von
fürstlich entlohnten, gestandenen
Spielern wie Mahdavikia und Wicky
einfach mehr als Mittelmaß. Auf
dem geplanten Weg in die europäische Spitze wird die Luft für die
dienstältesten Profis dünner.
HAMBURGER SV
Lage der Liga
Christian Gimenez ist zwar kein
Ruud van Nistelrooy, aber er hat
schon ein paarmal gezeigt, dass er
treffsicherer ist als 90 Prozent
seiner Vorgänger im Herthasturm.
Francisco Copado. Der DeutschSpanier und der erdige Trainer
konnten vom ersten Tag an nicht
miteinander. Dabei hätte die Pfiffigund Schlitzohrigkeit des schmächtigen Dribblers der bisweilen arg
statisch auftretenden Eintracht
gutgetan. Gerade vor dem Hintergrund einer zusätzlichen Uefa-CupBelastung und den lediglich drei
bundesligatauglichen Stürmern
Amanatidis, Thurk und Takahara.
Wobei der Japaner auf seiner
Deutschlandreise eher als Chancentod auffällig geworden ist.
Europapokal. Es geht gegen
den Brøndby IF, und da ist noch
eine Rechnung offen: Vor 16
Jahren kassierten Stein, Binz,
Körbel, Yeboah, Möller und Co. in
der ersten Runde eine satte 0:5Klatsche. Rache für Kopenhagen!
Auch ohne Francisco Copado.
THOMAS KILCHENSTEIN
5 War sonst noch was?
4 Der Feind des Monats:
Mainz 05. Erst mussten EintrachtFans vor dem Spiel beim Rivalen
Trikots und Schals abgeben, dann
klaute Ranisav Jovanović der
Eintracht zwei Punkte und riss
Marco Russ später unbeanstandet
vom Schiri an den Haaren.
3 Die Wahrheit auf dem Platz:
Kennt keiner. Der Saisonstart mit
drei Unentschieden war durchwachsen, aber ohne Aussagekraft.
„Ich weiß nicht, was ich davon
halten soll“, sagte Vorstandschef
Heribert Bruchhagen.
2 Dieser Spieler fehlt:
2 Dieser Spieler fehlt:
Die Bahn ist neuer Hauptsponsor:
Seitdem ist die Publikumsbelustigung vor, während und nach dem
Spiel im Olympiastadion noch unerträglicher geworden. Mit Hartmut
Mehdorn als Galionsfigur kann ein
Fußballverein nur Anhänger
verlieren. PETER AHRENS
5 War sonst noch was?
4 Der Feind des Monats:
Die Lostrommel der Uefa. Hertha
bekommt grundsätzlich auf europäischer Bühne die unattraktivsten
Gegner zugelost, die möglich
sind. In diesem Jahr geht es da
weiter, wo es im Vorjahr aufgehört
hat: FK Moskau, Ameri Tiflis,
jetzt Odense BK – in Berlin lockt
das wirklich keinen Hering vom
Rost. Demnächst dürften Atromitos
Chalkidona, SC Zulte-Waregem
oder Ethnikos Achnas auf
die Berliner warten. Die anderen
freuen sich dann derweil über
Ajax Amsterdam, Red Bull Salzburg oder Fenerbahçe Istanbul.
3 Die Wahrheit auf dem Platz:
Liegt noch im Dunkeln. Zwischen
Platz vier und Platz 14 scheint alles
drin. Wenn die jungen Spieler
ihr erstes tiefes Tal durchschreiten
und gleichzeitig Marko Pantelić
herbstdepressiv werden sollte,
sieht es düster aus. Ansonsten
besteht durchaus Hoffnung.
1 Zitat des Monats:
„Die Entwicklung in höhere
Sphären ist zurzeit nur in kleinen
Schritten möglich.“ Trainer Falko
Götz tut etwas Ungeheuerliches:
Er predigt Realismus. Das hat es in
dieser Stadt noch nicht gegeben.
HERTHA BSC BERLIN
1 Zitat des Monats:
„Er ist 32 und hat 43 Bundesligaspiele. Muss ich noch mehr
sagen?“ Trainer Friedhelm Funkel
weint Francisco Copado, der
zur TSG Hoffenheim wechselt,
keine Träne nach.
EINTRACHT FRANKFURT
rund1006_036_039_LagLiga 39
08.09.2006 14:17:24 Uhr
„Wir wussten schon vorher, dass
es bis zum letzten Spieltag
gegen den Abstieg geht.“ Kapitän
Thomas Zdebel bleibt Optimist.
„Drei Punkte werden auch auswärts verteilt.“ Verblüffende
Erkenntnis von Energie-Manager
Steffen Heidrich. Kein Allgemeinplatz bei Energie, wo man in
der Fremde meist nur bis eins
zählen kann – wenn überhaupt.
Galt Energie früher als Wagenburg, so will der Klub nun alle Tore
öffnen. „Positive Außendarstellung“
heißt das Zauberwort. „Offen“
wollen sie sein, „transparent“ und
„locker“. Hoffentlich wird der Klub
nun nicht zum Experimentierfeld für
PR-Profis. MARKUS VÖLKER
5 War sonst noch was?
4 Der Feind des Monats:
Die Defensive, einst Cottbuser
Markenzeichen, steht noch nicht so
gut. Der Feind hat es besonders
leicht vorm Strafraum der Energetiker. 18, 20 Meter vorm Tor darf
er sich recht ungestört tummeln
und nach Herzenslust schießen.
Wer hätte das gedacht: Energie
spielt Tempofußball. Die Zuschauer
im Stadion der Freundschaft sind
baff. Will sich das Gästeteam
aufwärmen, geht schon mal die
Sprenkleranlage an. „Ein Versehen“, behauptet der Klub. Den
Rest der Saison will Cottbus
mustergültig fair sein.
3 Die Wahrheit auf dem Platz:
Gerhard Tremmel nicht wirklich. Er
sitzt auf der Ersatzbank – als Ersatztorhüter. Spielen darf Tomislav
Piplica, 37 Jahre alt. „Tremmel ist
unser 1b-Keeper“, sagt Manager
Heidrich, „beide nehmen sich nicht
viel.“ Piplica, 1a, fliegt gern mal
spektakulär an Flanken vorbei,
dafür hält er aber auch „Wahnsinnsdinger“ (Heidrich). Es gibt
keine Torwartdiskussion beim
FC Energie. Sagt der FC Energie.
2 Dieser Spieler fehlt:
1 Zitat des Monats:
1 Zitat des Monats:
Das Ruhrstadion heißt nun endgültig Rewirpower-Stadion. Um die
Volksseele zu beruhigen, hat
Sponsor Stadtwerke Bochum
angekündigt, den 7,5-MillionenDeal nicht auf die Verbraucherpreise umzulegen. Kein Wunder:
Irgendwann will das Unternehmen
auch die Nachbarn aus Dortmund
und Gelsenkirchen mit Strom
versorgen. HOLGER PAULER
5 War sonst noch was?
4 Der Feind des Monats:
Das Umfeld. Die eh schon äußerst
subtile Aufstiegseuphorie ist der
blauweißen Depression gewichen.
Der Anhang stimmt schon mal
den kollektiven VfL-Blues an. Fast
könnte man meinen, der sechste
Abstieg in 14 Jahren sei beschlossene Sache. Und wer ist Schuld?
Vorstand, Trainer, Team, DFB, BVB,
die Illuminaten …
Selbst gegen Mitaufsteiger Energie
Cottbus hielt Trainer Marcel Koller
an einem Ein-Spitzen-System fest.
Auf der Bank schmorten derweil
die Neuzugänge Benny Auer und
Last-Minute-Transfer Theofanis
Gekas. „Die Chancen waren da“,
konterte Koller die massive Kritik
an der taktischen Ausrichtung. Die
Tore fielen trotzdem auf der
anderen Seite.
3 Die Wahrheit auf dem Platz:
Ata Lameck, Walter Oswald,
Lothar Woelk, Frank Benatelli,
Uwe Leifeld … die Stars aus
unabsteigbaren Dekaden sind
regelmäßige Tribünengäste bei den
Heimspielen des VfL und sorgen
bei den Fans für feuchte Augen.
2 Dieser Spieler fehlt:
VFL BOCHUM
ENERGIE COTTBUS
Jetzt wird es ernst, denn Willi
Krautheim aus Krautheim hat da so
eine Vision. „Irgendwie spüre ich,
dass wir Deutscher Meister
werden“, sagte der Vorsitzende
des Fanklubs „Jagsttal“ unlängst
während eines Trainingsbesuchs.
Die Weisheit eines 82-Jährigen?
WOLFGANG LAASS
5 War sonst noch was?
4 Der Feind des Monats:
Europa. Euphorisierte Anhänger
haben sich angeblich schon
Straßenkarten für Fahrten nach
Madrid, Rom und Mailand besorgt.
Dabei war Hans Meyer erst
kürzlich, nach Robert Vitteks
Knieverletzung, gehörig auf die
Euphoriebremse getreten: „Unsere
Hoffnungen auf den Titel haben
einen leichten Dämpfer erhalten.“
3 Die Wahrheit auf dem Platz:
Kann eigentlich nicht wahr sein.
Sieben Punkte, kein Gegentor und
Platz eins nach drei Runden. Somit
liest sich Hans Meyers Zwischenbilanz nach dem zumindest in
Nürnberg sonnigen August folgendermaßen: 25 Spiele, 13 Siege,
insgesamt 45 Punkte. Einfach
unglaublich. Und das Beste daran:
Die Mannschaft ist längst noch
nicht an ihrem Limit.
Die Dortmunder Polizei hat einen
Jogger angehalten, weil er mit
einem Bremer Trikot durch
die Stadt lief. Und das nicht, weil
die Wachtmeister den Alleinvertretungsanspruch des BVB
durchsetzen wollten. Denn auf dem
Trikot prangte das verbotene Logo
von Betandwin. Der Jogger hätte
das Trikot „eigentlich“ ausziehen
müssen – mit einem zugekniffenen
Auge hat man ihn aber noch „bis
nach Hause“ laufen lassen.
OLAF SUNDERMEYER
5 War sonst noch was?
4 Der Feind des Monats:
Die schlafende Euphorie. Sollte
diese Truppe erfolgreich sein,
spricht in Dortmund niemand mehr
über alte Fehler.
Die Mannschaft der Post-RosickyÄra steht. In dieser Form wird
der BVB die kommenden drei Jahre
zusammenspielen, einzig die
Innenverteidigung wird nach einem
Jahr komplett ausgewechselt: Weil
Wörns aufhören und Metzelder
den BVB wohl nach dieser Saison
verlassen wird. Sein Nachfolger
könnte der Bielefelder
Heiko Westermann sein.
3 Die Wahrheit auf dem Platz:
2 Dieser Spieler fehlt:
Nach der vernünftigen Aufrüstung
war es vorrangig, überzählige
Spieler loszuwerden: Totalausfall
Buckley ist endlich weg, David
Odonkor musste systembedingt
weichen. Mit dessen Ablöse von
6,5 Millionen Euro (!) soll künftig
die Abwehr verstärkt werden.
„Wenn Ebi nach Zürich fährt,
dann nur um Geld zur Bank zu
bringen, nicht um dort Fußball
zu spielen.“ Włodzimierz Smolarek
zu Gerüchten, dass sein Sohn
demnächst beim FC Zürich spielt.
1 Zitat des Monats:
BORUSSIA DORTMUND
RUND 39
Marek Mintal in Topform, auch beim
Club. Noch wirkt der lange verletzte Torjäger etwas gehemmt, was
seinen Fans freilich egal ist. Beim
Comeback gegen Mönchengladbach wurde der Slowake mit
stehenden Ovationen gefeiert.
2 Dieser Spieler fehlt:
1 Zitat des Monats:
„Das lassen wir uns jetzt nicht
mehr nehmen.“ Hans Meyer nach
dem furiosen 3:0 am 1. Spieltag
in Stuttgart. Nur: Was hatte der
Trainer damit gemeint? Doch nicht
etwa die Tabellenführung?
1. FC NÜRNBERG
Werder ist aktiv in der Antifa-Arbeit.
Der Klub beteiligte sich am Protest
gegen ein rechtsradikales
Schulungszentrum, indem er fünf
Originaltrikots versteigerte. Der
Erlös kommt einer Stiftung zugute,
die verhindern will, dass NaziAnwalt Jürgen Rieger sich mitsamt
seiner braunen Brut in einem ehemaligen Hotel in Delmenhorst bei
Bremen einnistet. SVEN BREMER
5 War sonst noch was?
4 Der Feind des Monats:
Alle Ordnungsämter der Republik,
die Werder verbieten, das Trikot
des Sponsors Bwin zu tragen.
Zumal es eine bessere und vor
allem billigere Werbung für das
Unternehmen gar nicht geben
kann. Immerhin: Werder kassiert
dem Vernehmen nach zumindest
für die gesamte Saison 2006/07
die volle Summe.
3 Die Wahrheit auf dem Platz:
So grandios Werder in den
vergangenen Jahren gespielt hat,
auf den Außenbahnen hat es immer
ein wenig gehakt. Zunächst sah
es so aus, als hätten sie mit
Clemens Fritz und Pierre Womé
zwei Volltreffer gelandet. Doch seit
dem Ligapokalhalbfinale, wo beide
brillierten, spielt Fritz allenfalls
mittelmäßig, Und Womé sogar
regelrecht unterirdisch.
Supermann? Wie, verdammt
noch mal, soll Werder ohne übermenschliche Kräfte gegen die
Übermannschaften von Chelsea
und Barça weiterkommen?
2 Dieser Spieler fehlt:
1 Zitat des Monats:
„Ich bin ja froh, dass Sie mich nicht
schon nach einem Saisonrückblick
fragen.“ Werder-Trainer Thomas
Schaaf auf die Frage eines Journalisten, ob er Bilanz ziehen könne
– nach dem zweiten Spieltag.
SV WERDER BREMEN
Die Frankfurt-Fans, die nicht in der
Gästekurve unterkamen, mussten
ihre Fanutensilien ausziehen – auch
der Eintracht-Präsident sollte
seinen Schal abnehmen. Eine Entscheidung der Geschäftsführung,
von der man im Präsidium nichts
wusste. Tags darauf entschuldigte
sich das Präsidium bei den „lieben
Eintrachtfans“. CHRISTOPH RUF
5 War sonst noch was?
Die SPD-Ratsfraktion, ehe man
den Feind wieder liebte. Nachdem
man den Sozis vorgeworfen hatte,
den Stadionneubau zu verschleppen, scheint nun wieder die Sonne.
Zumal die SPD nicht mehr behauptet, das Konzept sei unseriös.
Bis November will man gemeinsam
einen Standort finden, dann schaut
Ministerpräsident Kurt Beck, was
er tun kann. Alternativ hält man sich
den Umzug nach Mainz-Kastel offen. Der ehemalige Stadtteil gehört
heute zum hessischen Wiebaden.
Mit Hessens Ministerpräsidenten
Roland Koch hat man sich auch
schon nett unterhalten.
4 Der Feind des Monats:
Der Ball läuft flüssig, die Spieler
viel. Läuft ganz gut, so weit.
3 Die Wahrheit auf dem Platz:
Trotz der nominell starken Abgänge
derzeit niemand. Ob der Kader
in der Breite stark genug besetzt
ist, wird man spätestens in der
Rückrunde merken.
2 Dieser Spieler fehlt:
„Wer tut Tore schießen machen,
wer tut Kloppo lachen machen
– 05“ Der gitarrenlastige, vom Fanprojekt herausgegebene Sampler
„Wir sind Bruchweg“ tut sich
vom branchenüblichen Schunkelkram abheben. Hier eine Textprobe
der „Hängerbänd“, die einen
der besten Beiträge eingespielt hat.
1 Zitat des Monats:
FSV MAINZ 05
AM BALL
Stargast
DAS NARBENGESICHT
Es gab Zeiten, da hing Franck Ribéry als Verlierer auf den Straßen der
Arbeitslosenhochburg Boulogne herum. Doch das Unglaubliche passiert: Der 23-Jährige wird
zu einer der größten Entdeckungen der WM, steht mit Frankreich im Finale und bekommt
Angebote von den Topklubs Europas – doch dann folgen Morddrohungen
VON MARC BEAUGÉ, ILLUSTRATION KATHARINA GSCHWENDTNER
Ein Dribbling, kurz, flink, linker Fuß, dann rechter Fuß, und die Abwehr ist verloren. Ein Tor gegen Spanien, das alles verändert und die
französische Mannschaft auf den Königsweg schickt. Er spielt eine
WM auf hohem Niveau und bekommt eine Reihe prestigeträchtiger
Anfragen von Klubs wie Olympique Lyon, FC Arsenal, Bayern München. Doch noch wichtiger: Er beweist Haltung und einen unaufhörlichen Enthusiasmus. Er spielt frischen und erfrischenden Fußball.
Doch Franck Ribéry ist vor allem die Geschichte einer Narbe.
15 Zentimeter auf der rechten Gesichtshälfte. Zehn Zentimeter auf
der Stirn. Seine Feinde nennen ihn „Frankenstein“; seine Fans gaben
ihm in Anspielung auf den Mafiaboss Al Capone den Namen „Scarface“. Er selbst erzählt ohne falsche Scham: „Das war ein Autounfall in
meiner Kindheit. Ich bin durch die Windschutzscheibe geflogen und
hatte großes Glück, dass es nicht aus war mit mir. Auf gewisse Weise
hat mir dieser Unfall geholfen, als Kind hat er mich motiviert.“
Boulogne-sur-Mer, Nordfrankreich. Familie Ribéry lebt in einer Siedlung mit 12.000 Einwohnern, die Arbeitslosenquote reicht an die 60
Prozent. „Ich war ein Kämpfer“, erinnert sich Franck. „Selbst wenn es
um nichts ging, mochte ich nicht verlieren.“ Mit zehn Jahren kann der
Junge 400-mal den Ball hochhalten,
mit 13 führt ihn sein Talent ins Ausbildungszentrum von Lille. Doch kurz
darauf fliegt Franck Ribéry wegen
Schulproblemen aus dem Internat und
kehrt zu seinen Eltern zurück. Es sieht
so aus, als würde aus ihm ein typischer
Loser. Bei Boulogne-sur-Mer, dem Verein seiner Kindheit, glaubt niemand so
recht an ihn. Sein Gehalt beträgt 150
Euro im Monat.
Richtung Alès, Südfrankreich. Ein
Hoffnungsschimmer. Doch dem Drittligaklub geht es nicht gut, er kann sei„Vor ein paar Monaten war ich
ne Angestellten nicht bezahlen. Franck
nichts“: Franck Ribéry
Ribéry hat Mühe, die Miete für seine
Unterkunft aufzubringen. Erneute Rückkehr nach Boulogne-sur-Mer,
die Laufbahn als Loser zeichnet sich immer deutlicher ab. Während
seiner Arbeitslosigkeit zieht er die Aufmerksamkeit eines Kameruner
Agenten, John Bico, auf sich. „Zu der Zeit traten sich die Vereine nicht
gerade auf die Füße“, erinnert sich Bico. „Franck hatte einen schlechten Ruf. Er war der Prototyp des Kerls, der nichts weiter tut, als auf
den Straßen von Boulogne rumzuhängen, unfähig, auch nur ein Formular für die Sozialversicherung auszufüllen oder sonst irgendetwas
zu tun.“ Sein Vater verschafft ihm einen Job auf öffentlichen Baustellen, „sämtliche Erdarbeiten, Leitungen legen, Löcher machen, all das“,
sagt Ribéry. „An der Seite meines Papas zu arbeiten war eine große
Lehre für mich. Als mir Brest dann einige Monate später einen Vertrag anbot, habe ich angefangen, ernsthaft zu schuften.“
In der Bretagne, in der dritten Liga, wächst Ribéry schließlich. Er
verdient 2500 Euro monatlich und schafft es zum ersten Mal, sein Leben in geordnete Bahnen zu lenken. „Zu dem Zeitpunkt habe ich über
meine Frau Wahiba den Islam entdeckt. Sie war es, die mich eingeführt
und geleitet hat. Für mich ist der Glaubenswechsel unausweichlich
geworden. Der Islam hat mir geholfen, in bestimmten schwierigen
Momenten innere Ruhe zu finden. Vor jedem Spiel bete ich“, erklärte er der Zeitschrift „L’Equipe“.
2004 wechselt Ribéry zum FC Metz. Im August wird der Außenstürmer zum Spieler des Monats der Ligue 1 gewählt. Doch Ribéry
wird in eine Schlägerei in einem Nachtclub verwickelt. Sein Präsident
beschließt, ihm die versprochene Gehaltserhöhung zu verweigern. Es
kracht, und es folgt die unvermeidbare Trennung. Nach schwierigen
Verhandlungen macht Galatasaray das Rennen und lernt sein Talent
schnell kennen: Beim Finalsieg um den türkischen Pokal gegen Fenerbahçe schießt Ribéry ein Tor und bereitet zwei vor. Im Stadion Ali Sami Yen improvisieren die Galatasaray-Fans an jenem Tag ein Lied zu
Ehren des Franzosen: „I love you, Ribéry, Ribéry, Ribéry!“
Doch das Schicksal wiederholt sich. Auch Galatasaray kann das Gehalt seines Spielers nicht mehr zahlen, es folgt ein weiterer Wechsel,
dieses Mal nach Marseille. In einem begeisterten Stade Vélodrome
und unter dem Kommando von Jean Fernandez, seinem ehemaligen
Trainer aus Metz, ist Scarface sensationell. Tore, Pässe, Dribblings, er
ist Spielmacher und Animateur. Der Rest ist Legende. Nach langem
Zögern beschließt Nationalcoach Raymond Domenech, den Jungen
mit zur Weltmeisterschaft zu nehmen und wird belohnt.
IST ES ZUFALL, DASS RIBÉRY IN SEINEM HAUS
VON FREMDEN MÄNNERN BEDROHT WURDE?
Daraufhin wollen große Vereine Ribéry verpflichten, der Angreifer
ist wechselwillig, doch er muss in Marseille bleiben. „Um keinen Preis
der Welt“ werde man ihn verkaufen, sagte Marseilles Sportdirektor
José Anigo, dessen Ruf in Frankreich kaum schlechter sein könnte.
Anigo hat Olympique-Finanzdirektor Thierry de la Brosse in der vergangenen Saison öffentlich mit dem Tod bedroht. Seitdem wird gerätselt: Ist es reiner Zufall, dass Ribéry in seinem Haus von unbekannten
Männern bedroht wurde? Zumindest wurden seine Abwanderungsgelüste gedämpft. Doch Ribéry wird nicht ewig in Marseille bleiben:
„Noch vor wenigen Monaten war ich nichts. Ich habe auf den Straßen
von Boulogne herumgelungert. Nun habe ich ein Weltmeisterschaftsfinale bestritten, und so muss ich weitermachen. Ich habe mich zu
sehr abgerackert, um jetzt Halt zu machen.“
RUND 40
rund1006_040_041_Ribery 40
07.09.2006 20:38:15 Uhr
AM BALL
Stargast
Ein Leben als Baustelle: Der heutige Star Franck Ribéry
arbeitete auch schon im Straßenbau
RUND 41
rund1006_040_041_Ribery 41
07.09.2006 20:38:16 Uhr
RUND
Gleiche Höhe
GLEICHE HÖHE
HINTERGRÜNDIG FACHLICH KEIN ABSEITS
„Als Schalke in der Zweiten Liga spielte, waren
35.000 Zuschauer da. Jetzt haben wir viele andere Gäste, aber
wenn Schalke morgen absteigt, sind die weg“ FRANK ROST
44 DER SPIELER SPRICHT
„Ich hätte Assauer gerne als Präsidenten
gesehen“ – Schalkes Frank Rost redet Klartext
50 AUF DER LINIE
Dumm gelaufen – RUND-Kolumnist Kasey Keller
fragt sich, ob er noch mal Keeper werden würde
52 AUSLANDSREPORTAGE
Erhobenen Hauptes unter der Guillotine –
Juve trotzt dem Alltag in der Zweitklassigkeit
60 JUNGE DAME HERTHA
Berliner Jugendbewegung – Hertha BSC
setzt nach vielen Irrwegen auf den Nachwuchs
RUND 43
rund1006_042_VorschaltHöhe Abs1:43
04.09.2006 19:36:31 Uhr
GLEICHE HÖHE
Der Profi spricht
„ICH HÄTTE
ASSAUER GERNE ALS
PRÄSIDENTEN
GESEHEN“
Der Torhüter Frank Rost gehört
zu den letzten Spielern der Bundesliga,
die noch in einem Leistungszentrum
der DDR ausgebildet wurden. In RUND
spricht der 33-Jährige über die hohen
Ansprüche des FC Schalke 04,
seine Ostvergangenheit und darüber,
wie Fußballer zu Popstars werden
INTERVIEW EBERHARD SPOHD UND DANIEL THEWELEIT, FOTOS DAVID KLAMMER
Schalke 04 hat die Meisterschaft als Saisonziel definiert, am Ende der vergangenen Saison
hörte man aber immer wieder von zwischenmenschlichen Problemen im Kader. Sie selbst
haben im Frühjahr angedeutet, dass die
Zusammensetzung des Kaders Gefahren berge.
FRANK ROST Ich habe damals gesagt, dass
es schwierig sei, Mentalitäten, die völlig unterschiedlich sind, zueinanderzubringen. Man
benötigt unwahrscheinlich viel Zeit, um zu lernen, wie die anderen reagieren, wie die Empfindungen der Mitspieler für gewisse Situationen
sind. Es bestehen Unterschiede zwischen Menschen, die in unterschiedlichen Kulturkreisen
aufgewachsen sind. Wir hatten im letzten Jahr
14 oder 15 verschiedene Nationen, da gab es
schon Probleme, die man vielleicht besser hätte lösen können.
Ist ein konstruktiver Umgang mit dieser
Spannungslage die vielleicht größte Herausforderung für die laufende Saison?
Das wird sich gerade in schwierigen Phasen
zeigen. Wie verkraften wir es, mit Erfolg umzugehen? Wie bekommen wir die Ruhe, um unseren Weg zu machen? Wie vermeiden wir es,
uns von gewissen Einflüssen anstecken zu lassen? Das ist ja auf Schalke alles ziemlich extrem. Wenn du zu Hause nicht siegst, dann ist
gleich alles kaputt, und gewinnst du gegen Bayern München, dann wirst du Meister. Hier den
Ausgleich zu finden, das ist eine große Herausforderung.
Fühlen Sie sich als eingefleischter Schalker?
Ich bin nicht hier groß geworden, deshalb
kann ich auch schlecht sagen: Ich bin Schalker. Aber ich habe sehr viel Verständnis für die
Leute hier, gerade was die Strukturen und das
Umfeld angeht. Im Ruhrgebiet haben die Menschen vielleicht inzwischen genauso viele Probleme wie die Leute im Osten Deutschlands.
Die Jugend wandert unwahrscheinlich ab. Die
Industrie hat sich hier verdünnisiert. Auf Dauer muss man sich was einfallen lassen, wenn
solche Städte wie Gelsenkirchen nicht zum Altersheim werden sollen.
Schalke 04 ist nun nicht mehr die
traditionelle Kämpfermannschaft aus dem
Ruhrgebiet. Wie kam es zu diesem Wandel?
Schalke will mehr Fußball spielen. Man hat
daher Leute geholt, die das Filigrane bevorzugen. Der Klub hat sich weiter entwickelt, da
muss man versuchen, diese Einheit, die man
immer vorgibt zu sein, auch wirklich zu dokumentieren, jeden Tag.
RUND 44
rund1006_044_048_ProfiRost 44
07.09.2006 23:58:02 Uhr
GLEICHE HÖHE
Der Profi spricht
„ICH KANN SCHLECHT SAGEN: ICH BIN SCHALKER. ABER ICH HABE SEHR VIEL VERSTÄNDNIS FÜR DIE LEUTE HIER“
RUND 45
rund1006_044_048_ProfiRost 45
07.09.2006 23:58:03 Uhr
GLEICHE HÖHE
Hat Schalke damit seinen ursprünglichen
Charakter abgelegt und noch keinen neuen
gefunden?
Als Schalke in der Zweiten Liga spielte, waren 35.000 Zuschauer da, und die waren auch
mit Herz und Seele dabei. Jetzt haben wir viele andere Gäste, die vielleicht auch mal ein
Schalke-Trikot und einen Schalke-Schal tragen. Aber wenn Schalke morgen absteigt, sind
die weg. Darüber muss man sich im Klaren
sein, aber das ist ein Spagat, den Schalke, wir
Spieler und der Fußball an sich machen müssen. Viele kommen und wollen ein Spektakel
sehen, am besten 90 Minuten auf ein Tor.
Hat Rudi Assauers Abgang den Klub
atmosphärisch verändert?
Natürlich ist einiges anders geworden. Ich
hätte ihn hier gerne als Präsidenten gesehen.
Bei allen zweifelhaften Dingen hat er einfach
viele Verdienste um den Klub. Er hat unglaublich viel Herzblut und Engagement hier reingesteckt. Vielleicht taucht er ja irgendwann
wieder auf, hier ist alles möglich.
Bis auf Uli Hoeneß sind die großen charismatischem Manager wie Assauer und Calmund
verschwunden, mit dieser Weltmeisterschaft
wurde die nun endgültige Einmottung des
eigenwilligen, gradlinigen Stars vom Schlage
eines Effenberg, Matthäus oder Sammer
vollzogen. In der Bundesliga sind Sie und
Oliver Kahn vielleicht die letzten Typen dieser
Sorte. Wie finden Sie diese Entwicklung?
Es ist so, dass viele Spieler gearbeitet werden. Sie haben alle ihre Berater und die Promoter. Es wird versucht, ein Bild zu erzeugen,
das eine bestimmte Zielgruppe anspricht. Besonders in der Nationalmannschaft. Das ist
schon so ähnlich wie bei Popgruppen mittlerweile. Mir fehlt da manchmal so das Authentische. Gerade die streitbaren Charaktere sterben aus, weil sie nicht mehr in das Bild einer
Popkultur passen.
Sie sind einer der letzten Spieler der Bundesliga, die noch das Leistungssystem der
DDR durchlaufen haben. Was war das für
eine Erfahrung?
Das Sportsystem der DDR war viel brutaler
als hier, weil es viel leistungsorientierter war.
Wenn du mit 14 Jahren etwas nicht gemacht
hast, warst du draußen. Wer sagte, er wolle in
den Urlaub fahren, dem wurde gesagt: Fahr
ruhig, aber dann brauchst du nicht wiederkommen. Hier wird viel gestreichelt, die angehenden Fußballprofis werden wie kostbare
Der Profi spricht
Wirtschaftsgüter behandelt. Wenn heute ein
Talent auftaucht, ist das gleich ein Diamant.
Das wird wirtschaftlich gesehen und viel weniger sportlich. Es geht darum, was es dem
Verein oder den Managern bringen kann. Ich
habe eine völlig andere Schule durchlaufen.
Was hat so ein Leistungszentrum wie in der
Sportschule Leipzig ausgemacht?
Die Verbindung zwischen Schule und Fußball, die umfassende schulische und sportliche Ausbildung. Zwar wurde das Schulische
um das Sportliche herumgelegt. Aber wer in
der Schule die Leistungen nicht brachte, hatte auch im Sport keine Chance. Hinzu kommt,
dass es dort viele unterschiedliche Sportarten
gab. Einzelsportarten wie Judo, Turnen oder
Ringen und andere Mannschaftssportarten
wie Handball und Volleyball. Dadurch lernte
man auch etwas anderes kennen. Allerdings
war die Fluktuation durch gesundheitliche
Schäden schon groß. Wenn zum Beispiel Turner mit sechs Jahren sechs, sieben Stunden
täglich trainieren, ist das einfach nicht gut für
die Knochen. Heutzutage wird zum Glück mit
viel mehr Rücksicht ausgebildet.
Wie denken Sie heute über die Sportausbildung in der DDR?
Ich fand sie sehr professionell. Wir wurden
sehr gut betreut, gerade als Kinder und Jugendliche. Der Trainer war dabei, als ich auf die Jugendsportschule gekommen bin, und hat mich
auf dem ganzen Weg begleitet. Das war eine
Bezugsperson, die immer da war. Nicht nur
im sportlichen Bereich, auch im privaten. Dadurch sind enge Bindungen entstanden.
Das hört sich sehr positiv an. Dennoch
beklagen Sie den Umgang mit den Sportlern
aus der ehemaligen DDR.
Ich will aus meiner Vergangenheit keinen
Mythos machen, aber ich finde es doch schade, dass der Respekt gegenüber Leuten, die
wirklich Weltklasseleistungen erbracht haben, nicht mehr da ist. Das ist für mich enttäuschend, wenn abfällig über diese Athleten
gesprochen wird. Da ist sofort klar: Die Leichtathleten in der DDR waren sowieso alle gedopt. Ich sehe das ja an meinen eigenen Eltern. Die Stadt Leipzig, die einmal eine sehr
große Sportstadt war, hat zu ihrem Ball des
Sports verdiente Sportler der Stadt eingeladen. Mich zum Beispiel, aber nicht meine Eltern. Das ist für mich ein absolutes Unding.
Viele Leute haben sich in deren Erfolgen gesonnt, und auf einmal war das alles nichts
wert. Ich ziehe den Hut vor meinen Eltern.
Beide waren Weltklassehandballer, Olympiasieger, Weltmeister, aber sie gehen damit sehr
relaxt um und jammern nicht herum.
Da bleibt einem auch nichts übrig, wenn
man in einer privilegierten Position war und
diese durch einen Gesellschaftswandel verliert.
Was heißt hier privilegiert? Das wird gern
hochstilisiert. Die Profis von heute würden
sich kaputtlachen. Früher hieß es immer, die
Sportler wären Reisekader gewesen. Natürlich durften die zu Wettkämpfen ins Ausland,
aber da wurden sie auch dauernd überwacht.
Und über das Materielle müssen wir gar nicht
reden. Ob du 1000 oder 3000 Mark verdient
hast, war doch egal. Das Geld war nichts wert.
Es ist ärgerlich, wenn Leute darüber diskutieren, die das selbst nicht erlebt haben.
Und die den Wandel, der 1989 folgte, nicht
mitbekommen haben. Was ist denn für Sie der
wichtigste Unterschied gegenüber früher?
Das Schöne ist, dass du hier frei entscheiden
kannst. Ich setze mich ins Auto und fahre nach
Spanien. Das ist für jeden, der in der DDR aufgewachsen ist, etwas Kostbares, das niemand
mehr aufgeben will. Das bedeutet den Menschen sehr, sehr viel. Das Hauptproblem war
immer, dass du immer in deinem Land eingesperrt warst und beobachtet wurdest. Heute
haben alle Angst vor einem Terroranschlag, also wird dafür plädiert, überall Kameras aufzustellen, einen Überwachungsstaat zu schaffen.
Mich stört das. Es gibt immer mehr Kontrolle, immer mehr wird überwacht. Ob das der
Weisheit letzter Schluss ist, weiß ich auch
nicht, aber in der Familienrunde schmunzeln
„Wenn heute ein Talent
auftaucht, ist das gleich
ein Diamant. Das wird
wirtschaftlich gesehen
und viel weniger sportlich.
Es geht darum, was es
dem Verein oder den
Managern bringen kann“
RUND 46
rund1006_044_048_ProfiRost 46
07.09.2006 23:58:08 Uhr
GLEICHE HÖHE
Der Profi spricht
„WENN ÜBERALL KAMERAS AUFGESTELLT WERDEN, STÖRT MICH DAS“
„GERADE DIE STREITBAREN CHARAKTERE STERBEN AUS“
„DAS SCHÖNE IST, DASS DU HIER FREI ENTSCHEIDEN KANNST“
wir manchmal über bestimmte Dinge, die die
Westdeutschen an der DDR verflucht haben
und nun selbst einführen.
Dieses System nähert sich der alten DDR an?
Nein, wir sind ihr noch nicht nahe, aber es
gibt bestimmte Tendenzen, durch die man
sich von einer Demokratie, wie ich sie verstehe, entfernt. Natürlich haben das Kapital und
die Wirtschaft immer einen großen Einfluss.
Man muss aufpassen, dass das nicht aus der
Balance gerät, weil sonst eine große Unzufriedenheit entsteht.
Wie haben Sie denn aus Ihrem Lebenszusammenhang heraus die Wende erlebt? War
das für Sie eher eine Befreiung oder wurde da
etwas Vertrautes zerstört?
Als Sportler habe ich nicht begriffen, was da
passiert ist. Ich habe es so empfunden, dass
erst einmal systematisch alles kaputtgemacht
wurde. Es war ja keine Wiedervereinigung, für
mich war das eher eine Übernahme der DDR.
Es ist vieles verschwunden, was nach einigen Jahren wieder auftauchte. Der grüne Pfeil
hängt dafür als Denkmal an den Ampeln.
RUND 47
rund1006_044_048_ProfiRost 47
07.09.2006 23:58:09 Uhr
GLEICHE HÖHE
„Ich betrachte es als
Grundübel, wenn man
nicht lesen oder
schreiben kann. Dann
kann man sich nur schwer
eine eigene Meinung
bilden, man bekommt ja
alles vorgegaukelt“
Sportlich war das aber ein großer Einschnitt
für Sie. Sie haben einmal gesagt, das Jahr
in Markkleeberg in der Saison 1991/92 sei das
schönste Ihrer Karriere gewesen.
Das war sehr schön, weil die Zeit des Umbruchs zu Ende war. 1989 war ich 16 Jahre alt,
hatte bei der Oberliga-Mannschaft von Lok
Leipzig schon mittrainiert, saß bei Spielen ab
und zu auf der Bank. Dann kam das Jahr, in
dem sie sich für die Zweite Liga qualifiziert
haben, mit dem neuen Trainer Jürgen Sundermann. Der wollte keinen jungen Torhüter, warum auch immer. Da habe ich mir gesagt: Ehe
ich hier dritter Torwart werde, gehe ich nach
Markkleeberg. Die waren damals in der dritten Liga, und da haben nur ehemalige DDROberliga-Spieler gespielt. Mit 17 Jahren war
ich da das absolute Nesthäkchen. Bis auf zwei
oder drei Ausnahmen waren alle über 30. Das
war eine sehr gute Truppe.
Was ist zwischen 1989 und 1991 passiert?
Der Wandel bei Lok Leipzig war ganz komisch. Über Nacht wurde jeder in Frage gestellt. Dieses leidige Thema der Staatssicher-
Der Profi spricht
heit kam dazu, ob jemand IM war oder nicht.
Da wurden viele Themen öffentlich ausdiskutiert, aber die meisten Leute, die wirklich
Dreck am Stecken hatten, rennen immer noch
frei herum. Man vergreift sich doch nur an
den Kleinen, weil die Großen zu viel wissen.
Aber Doppelmoral gibt es doch heute bei uns
in Politik und Wirtschaft auch. Mit der Aussage verkürze ich die Argumente natürlich, das
ist einfach ein schwieriges Thema.
Und Sie machen sich mit so etwas keine
Freunde.
Heutzutage gibt es immer weniger Leute, die
kontroverse Meinungen haben, die eine solche Diskussion schüren.
Warum ist das so?
Weil es Stress bringt. Wer anders argumentiert als andere, dem werden mit aller Macht
Knüppel zwischen die Beine geworfen.
Nutzen darum Fußballer ihre Popularität so
selten, um häufiger einmal politische Aussagen
zu machen?
Zunächst einmal sollte man seinen Sport
nicht für die Politik missbrauchen. Sport ist
kein politisches Machtinstrument.
Man muss ja nicht gleich Missbrauch
treiben, wenn man die eigene Popularität zur
Verbreitung der eigenen Überzeugungen nutzt.
Wir äußern unsere Meinungen durchaus.
Wir gehen gemeinsam gegen Rassismus vor.
Schalke unterstützt Kampagnen gegen Arbeitslosigkeit und steht zu seinem Ruhrgebiet.
Es gibt Kampagnen gegen Überalterung und
Verarmung, da macht Schalke sehr viel und
nimmt sehr klar Stellung.
Man kann aber auch anders argumentieren:
Wenn ein Sportler Schuhe von Nike trägt,
muss er doch auch über die Produktionsbedingungen nachdenken, unter denen die
Schuhe hergestellt wurden.
Dann hast du aber alle gegen dich, weil du zu
sehr polarisierst. Es ist doch im Profisport viel
wichtiger, dass du Everybody’s Darling und gut
zu verkaufen bist. Es wurde mir schon oft gesagt, dass wir die Wirtschaft brauchen. Wenn
man zu sehr gegen die Kommerzialisierung
und ihre Folgen spricht, dann reagiert der eine oder andere allergisch. Darum wird ein
Sportler in der heutigen Zeit vorsichtig sein.
Aber dann gerät man in moralische Konflikte.
Natürlich, aber das ist doch normal. Solange
die Leute das noch merken, ist das ein gutes
Zeichen. Wenn sie es aber nicht mehr merken, dann ist es schlecht.
Sie engagieren sich gegen Analphabetismus.
Wie kam es dazu?
Ich wollte gerne etwas in Deutschland machen, ich möchte gerne hier etwas zurückgeben an meine Heimat. Das Problem bei diesen
karitativen Dingen in Deutschland ist, dass alle Leute spenden, wenn irgendwo in der Welt
wieder eine Naturkatastrophe war, aber mit
den alltäglichen Leiden in Deutschland tun
sich viele sehr, sehr schwer. Ich helfe dem Herzenswünsche e. V. und bin Schirmherr des
Fußball-Alphabetisierungsnetzwerks F.A.N.
Haben Sie Erfahrungen mit dem Problem,
eine eigene Lese- oder Schreibschwäche?
Nein, aber ich betrachte es als Grundübel,
wenn man nicht lesen oder schreiben kann.
Dann kann man sich nur schwer eine eigene
Meinung bilden, man bekommt ja alles vorgegaukelt. Ich habe großen Respekt vor den Leuten, die sich outen und das im Nachhinein lernen. Ich sehe diese Probleme selbst: Manche
E-Mails, die ich bekomme, sind sprachlich
hart an der Grenze. In Deutschland besteht
Schulpflicht, da sollte jeder Lesen und Schreiben können, das ist elementar für die Lebensqualität. Aber heutzutage können ja auch die
wenigsten Leute ein Lied singen.
Können Sie singen?
Nicht in der Öffentlichkeit. Aber ich singe
meiner Tochter Lieder vor, und die hört auch
zu. Meine Frau lacht sich kaputt, aber meine
Tochter wippt ab und zu rhythmisch mit.
FRANK ROST
wurde am 30. Juni 1973 im damaligen KarlMarx-Stadt geboren. Er war zunächst Stürmer,
bevor er fürs Fußballtor entdeckt wurde. Mit
15 Jahren kam er zu Lok Leipzig und ging nach
der Wende über Markkleeberg zu Werder
Bremen, wo er von 1992 bis 2002 spielte. Seit
2002 ist er Stammkeeper bei Schalke 04.
Er ist neben Jens Lehmann der einzige Bundesligatorwart, dem es gelang, aus dem Feld
heraus ein Tor zu erzielen. Der vierfache Nationalspieler ist verheiratet und hat eine Tochter.
RUND 48
rund1006_044_048_ProfiRost 48
07.09.2006 23:59:53 Uhr
GLEICHE HÖHE
Auf der Linie
DUM M GEL AU FEN
IN SEINER ERSTEN KOLUMNE ÄRGERT SICH
KASEY KELLER DARÜBER, DASS ER
TORWART WURDE – OBWOHL ER SO GERNE
DIE BÄLLE AUS DEM STADION SCHIESST
Warum ich Torhüter geworden bin? Tja, dumm gelaufen. Niemand
würde Torwart werden wollen, wenn er es besser wüsste. Man macht
wohl einfach das, bei dem man früher einmal gut war, denn wenn man
Erfolg hat, bleibt man dabei. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich mich
noch einmal dafür entscheiden würde. Aber irgendjemand muss den
Job ja machen. Und seit 16 Jahren mache ich ihn eben.
Ich weiß, dass man in Deutschland die Torhüter und Linksaußen
für verrückt hält. Nun, ich bin definitiv nicht verrückt. Oder sagen wir
so: Wenn ich auf dem Platz stehe, bin ich todernst. Diese verrückten
Aktionen wie René Higuita oder Bruce Grobbelaar sie gemacht haben, das wird man bei mir nicht sehen. Das ist nicht mein Job. Mein
Job ist es, den Ball nicht ins Netz zu lassen. Aber nach dem Spiel ist
es anders. Dann kommt die Zeit, Spaß zu haben. Das gefällt mir an
Deutschland: Wenn in England ein Heimspiel vorbei ist, gehst du vom
Platz und nach Hause. Hier gibt es ein schönes Zusammenspiel mit
dem Publikum. Ich lege unser Maskottchen aufs Kreuz oder trete ihm
in den Hintern, und den Fans gefällt das. Die schönste Zeit für einen
Torhüter ist immer die nach dem Abpfiff.
Die 90 Minuten zuvor sind einfach nur Business. Ich kenne nicht allzu viele Kollegen, die das Spiel selbst genießen. Wir können nicht dem
Ball hinterherrennen oder Zweikämpfe bestreiten, wir haben immer
das gleiche Stresslevel. Es geht darum, sich 90 Minuten zu konzentrieren – egal ob die Leute hinterher sagen: Na, heute hattest Du ja einen
ruhigen Nachmittag. So läuft das nicht. Ich muss immer aufmerksam
sein, ob ich geprüft werde oder nicht. Es gab schon Torhüter, die Probleme bekamen, weil sie nach dem Wechsel zu einem Topklub weniger
zu tun hatten. Die Abwehr war besser, es gab weniger Chancen, und sie
schafften es nicht, sich die lange Zeit zwischen zwei Paraden zu konzentrieren. Torhüter haben eine ganz andere Dynamik im Spiel.
„Die schönste Zeit ist nach dem Abpfiff“: Im Wechsel
mit Timo Hildebrand schreibt Keller dann Kolumnen
Für mich heißt es dabei immer: Safety first. Wenn mir die Situation brenzlig vorkommt und ich den Ball aus dem Stadion schießen
muss, dann schieße ich ihn aus dem Stadion. Natürlich sagen die Leute dann, jetzt hätte er aber … – ich sage: War der Ball drin? Nein. Natürlich denke ich manchmal bei einem Rückpass darüber nach, ihn
da- oder dorthin zu spielen. Dann fällt mir aber immer ein, was mein
Trainer bei Aston Villa mal zu mir gesagt hat: „Kasey, wenn wir dich
brauchen, um Tore vorzubereiten, dann haben wir ziemliche Probleme. Halt du den Kasten sauber. Wie Du das machst, ist mir egal.
Die Tore schießen die anderen.“
Das hat mir eingeleuchtet. FOTO MAREIKE FOECKING, LOGO DAZZLER
RUND 50
rund1006_050_Keller 50
07.09.2006 11:16:02 Uhr
GLEICHE HÖHE
Auslandsreportage
Stimmungsvolle Provinz: Juve-Fan beim Freundschaftsspiel gegen Piacenza
RUND 52
rund1006_052_058_Juventus 52
08.09.2006 0:04:55 Uhr
GLEICHE HÖHE
Auslandsreportage
ERHOBENEN HAUPTES
UNTER DER GUILLOTINE
Nicht mehr Meister und strafversetzt in die zweite Liga:
Nach dem Manipulationsskandal steht Juventus Turin
zwar gebeutelt, aber nicht geläutert da. In drei Jahren will
man wieder im internationalen Geschäft sein, und der
geschasste Betrüger und Exmanager Luciano Moggi zieht
im Hintergrund schon wieder die Fäden
VON VINCENZO DELLE DONNE, FOTOS BENNE OCHS, IMAGO, HOCH ZWEI
Er wollte sich in den Tod stürzen. Deswegen hielt Gianluca Pessotto
einen Rosenkranz in der Hand, mit dem er sich Mut machte. Es war
der 27. Juni 2006. Gegen zwölf Uhr stahl er sich aus seinem Büro. Er
stieg unbemerkt auf das Dach der feudalen Villa im Corso Galileo Ferraris 32 und sprang. Aus 20 Metern Höhe. Pessotto wollte seinem Leben ein Ende setzen. Dabei war er nach elf Jahren als Profi bei Juventus Turin im Begriff, einen neuen Lebensabschnitt als Teammanager
zu beginnen. Am 13. Mai hatte Pessotto sein letztes Profispiel für Juventus Turin bestritten und frenetisch den letzten Meistertitel bejubelt.
Inzwischen wurde dieser jedoch vom Verband wieder aberkannt.
Wie durch ein Wunder war der 36-Jährige nicht sofort tot. 36 Tage
lang rang er auf der Intensivstation des Turiner Molinette-Krankenhauses mit dem Tod. Er musste ein Nierenversagen und eine Lungenentzündung überstehen. Beim Sturz hatte er zudem mehrere Knochenbrüche in der Beckengegend erlitten und drohte für immer an
den Rollstuhl gefesselt zu sein. Die Ärzte operierten Pessotto in den
folgenden Tagen mehrere Male. Fabio Cannavaro, Gianluca Zambrotta und Alessandro Del Piero verließen das WM-Quartier in DuisburgMeiderich, um nach ihrem Freund und Mannschaftskollegen zu sehen. Es hieß, er schwebe in akuter Lebensgefahr.
Pessottos schillernde Ehefrau Reana betete einerseits für das Leben
ihres Ehemanns, andererseits empfand sie unendliche Wut über die
Mutmaßungen der Gazetten, die sie als Grund für den Selbstmordversuch anführten. Sie trat entrüstet vor den Journalistenpulk, der Tag
und Nacht das Krankenhaus belagerte, und machte sich Luft. „Hört
auf, Lügen zu erfinden“, schrie sie, „über Krankheiten, Ermittlungsverfahren, Scheidung, Doping! Alles Unsinn!“ Reana Pessotto spielte
Weltstar in der zweiten Liga: Pavel Nedvěd
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GLEICHE HÖHE
auch auf den Manipulationsskandal an, in dem Juves Geschäftsführer
Antonio Giraudo und Manager Luciano Moggi als die Großmeister
des Fußballschwindels entlarvt wurden. Es kursierten zudem Gerüchte, Pessotto leide an einer unheilbaren Krankheit, die im Zusammenhang mit den Dopingpraktiken bei Juventus stünde. Von 1994 bis 1999
soll Vereinsarzt Riccardo Agricola die Juventus-Spieler systematisch
mit dem Blutmittel Epo gedopt haben. Die Zeit von Pessottos strahlender Juventus-Karriere. Agricola, der stets freundlich und zuvorkommend ist, bestreitet einen Zusammenhang und bringt als Grund für
den Selbstmordversuch Pessottos eine leichte, fast natürliche Depression ins Spiel. „Ich wurde von der Dopinganklage in zweiter Instanz
freigesprochen“, betont der Arzt mit seinem freundlichen Lächeln.
Pessotto ist inzwischen halbwegs ins Leben zurückgekehrt und wagt
einen Neuanfang. In gewissem Sinne verkörpert der Exnationalspieler mit seiner verzweifelten Tat die Wirren, die die Turiner in letzter
Zeit überstehen mussten. Nach einem Jahrzehnt der strahlenden Siege
kam unversehens der Absturz in eine Depression ungekannten Ausmaßes. Das systematische Doping: Anklage, Verurteilung von Geschäftsführer Antonio Giraudo und Mannschaftsarzt Agricola in erster Instanz. Am Ende der überraschende Freispruch, der erschlichen
schien. Zuletzt die Spielmanipulationen: Entlassung von Giraudo und
Moggi, Zwangsabstieg in die zweite Liga mit 17 Punkten Abzug für die
kommende Saison, Aberkennung der Meistertitel 2005 und 2006.
Die Quittung für den „größten Skandal der Fußballgeschichte“, wie
Fifa-Präsident Joseph Blatter es nannte. Die Verurteilung basierte auf
Abhörprotokollen der Staatsanwaltschaft von Neapel, die eine gesamte
Saison lang Telefongespräche belauscht hatte. Der Mythos der Alten
Dame der italienischen Fußballgeschichte lag im Sterben.
Villar Perosa, 16. August 2006: Über 5000 Tifosi empfangen Lapo
und John Elkann mit frenetischen „Juve“-Rufen. Die Fans stehen zu
ihrem Klub, als wäre nichts geschehen. Eine Schar von SicherheitsSTIMMEN DIE GERÜCHTE, DASS SICH DIE
MÄCHTIGE AGNELLI-FA MILIE NACH 70 JAHREN
VON JU VENTUS ZURÜCK ZIEHEN WILL?
kräften bahnt den beiden Agnelli-Erben den Weg durch die Tifosi im
Stadio Comunale. Im Tross finden sich auch der neue Präsident Giovanni Cobolli Gigli sowie der neue Geschäftsführer Jean Claude Blanc.
Juventus-Ehrenpräsident Franzo Grande Stevens, der zuletzt dem Klub
vorsaß und für den Skandal mitverantwortlich ist, hält sich dezent im
Hintergrund. Stolz krempelt derweil Lapo Elkann sein Jeanshemd
hoch, um seine neueste Tätowierung zu zeigen. Sein linker Arm zittert. Lapo zeigt das eintätowierte Emblem von Juventus Turin auf seinem rechten Unterarm. „Es ist ganz neu“, sagt er.
Der frühere Werbechef von Fiat, der nach seinem Kollaps auf einer
Turiner Transvestitenparty eine Drogentherapie machte, wirkt ein
bisschen nervös. Es ist sein erster öffentlicher Auftritt. Zuletzt gab es
Gerüchte, die Agnelli-Familie wolle sich Juventus Turin entledigen.
Auslandsreportage
Kämpfer mit feinen Manieren: Präsident Cobolli Gigli
Lapo stammelt etwas vom Samuraidenken. Sein Bruder John kommt
ihm zur Hilfe. „In den schwierigen Zeiten zeigt sich der Charakter
eines Klubs“, sagt verschüchtert der Lieblingsenkel des verstorbenen
Patriarchen. Gianni Agnelli hatte ihn zu seinem Nachfolger auserkoren, jetzt ist er die Stimme der mächtigen Agnelli-Familie. Seit dem
Tod des Großvaters ist John Fiat-Vizepräsident und an Krisen aller Art
gewöhnt. Schnell fügt John hinzu: „Dass mein Bruder und ich hier
sind, ist ein Zeichen unserer Verbundenheit mit diesem Verein.“
Juventus steht für die Agnelli-Familie und die Höhenflüge und tragischen Tiefpunkte in deren Geschichte. In den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts kaufte der Fiat-Gründer Giovanni Agnelli den 1897
gegründeten Klub und machte ihn zum Spielplatz für die viel versprechenden Familienzöglinge, indem er sie als Präsidenten einsetzte:
Edoardo, der mit einem Wasserflugzeug verunglückte; Gianni, der zunächst als Playboy und dann als Wirtschaftskapitän Meriten sammelte; Umberto, der mit seinem charismatischen Bruder gemessen wurde und daran erkrankte. Bei den „Bianconeri“ sollten die „ungekrönten
Häupter des Landes“ die nötigen Kniffe für das raue Wirtschaftsleben
erlernen. Die Agnelli-Familie entstammte diesem kleinen Bergstädtchen auf halbem Wege zwischen der piemontesischen Metropole und
dem Nobelskiort Sestriere. Also findet das erste offizielle Spiel von Juventus im August traditionsgemäß in Villar Perosa statt – in diesem
Jahr gegen den Zweitligaklub Piacenza. Und die Veranstaltung gerät
zu einer gelungenen PR-Veranstaltung für die Agnelli-Erben.
Mit der Finanzkraft der Fiat-Gruppe im Rücken sammelte der Turiner Klub Titel wie andere Briefmarken. 1986 betrat jedoch Silvio
Berlusconi die Fußballszene und stoppte Juves Siegeszug jäh. „Er ist
maßlos“, urteilte Gianni Agnelli nach einigen Jahren resigniert über
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08.09.2006 0:05:07 Uhr
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Auslandsreportage
Der feinste Klub Italiens: Die Agnelli-Familie besitzt
die Mehrheit der Juventus-Aktien
Das Sprachrohr des Agnelli-Clans: FiatVizepräsident John Elkann hält Juventus die Treue
„Eine neue, große Herausforderung“: Keeper Gianluigi Buffon
verdient fünf Millionen Euro im Jahr
Fußballgötter in der Serie B: Dieser Tifoso von Juventus folgt Alessandro Del Piero
auf Schritt und Tritt
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08.09.2006 0:05:10 Uhr
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Auslandsreportage
„Wir müssen gegen die Schakale kämpfen“:
Juve-Geschäftsführer Jean Claude Blanc
Begehrte Fanartikel: Auch in der Serie B läuft das
Merchandisinggeschäft von Juve weiter auf Hochtouren
Wartezimmer der Intensivstation: Im Molinette-Hospital kämpfte
Gianluca Pessotto wochenlang mit dem Tod
„Enttäuscht, dass wir Fabio Cannavaro nicht halten konnten“:
Juventus-Trainer Didier Deschamps
RUND 56
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08.09.2006 0:05:24 Uhr
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den erfolgsgierigen Berlusconi. Der Klub war gegen den Parvenü aus
der Lombardei und seine Methoden machtlos. Der Rekordmeister war
plötzlich unfähig zu siegen. Gianni Agnelli übergab daraufhin seinem
Bruder Umberto das Juve-Regiment, der prompt Antonio Giraudo als
Geschäftsführer und Luciano Moggi als Manager verpflichtete.
Mit dem ominösen Duo an der Spitze triumphierte die Mannschaft,
von Marcello Lippi trainiert, wieder. Sie gewann nach langjähriger
Abstinenz wieder den Meistertitel, die Champions League sowie den
Weltpokal. Durch Manipulationen und perfiden Klüngel, wie sich nun
herausstellte. „Ich wollte von Juventus lediglich Schaden abwenden“,
verteidigte sich Moggi und bekannte, dass seine Methoden der Einflussnahme auf Spieler und Schiedsrichter gängige Praxis in der Serie
A seien. Moggis endgültiger Abgesang nach der Verurteilung und dem
Berufsverbot durch das Sportgericht? Mitnichten. Hinter den Kulissen soll der umtriebige Manager die Fäden beim Neuaufbau der Mannschaft gezogen haben. Der neue Manager Alessio Secco sei Moggis
Marionette, argwöhnen Kritiker.
Das Freundschaftsspiel gegen Piacenza endet mit einem enttäuschenden torlosen Remis, was den Tifosi aber ziemlich egal ist. Es gab
Jahre, in denen die erste Mannschaft gegen die Reserve antrat und die
Reserve gewann. Kein Grund zur Beunruhigung also. Wichtiger war
vielmehr die Demonstration der Stärke und Geschlossenheit der neuen Führung. „Wir werden alles unternehmen, um in der Serie A zu bleiben“, sagt Präsident Cobolli Gigli, „oder wollen so schnell wie möglich
zurückkommen.“ Er ist ein Kämpfer mit feinen Manieren. Seine Spra-
Auslandsreportage
che wählt er stets mit Bedacht und Mäßigung. „Ich finde es gravierend
und total ungerechtfertigt, wie wir mit einem völlig anderen Maßstab
im Verhältnis zu den anderen Klubs beurteilt wurden“, sagt er.
Leise übt er aber auch Selbstkritik. Die Klubführung habe bei der
Bewältigung des Skandals einen unverzeihlichen taktischen Fehler
begangen: Sie schrie nicht auf. Sie gab die Schuld zu und hoffte auf
ein mildes Urteil des Sportgerichts. Die anderen in den Skandal verwickelten Klubs wie Lazio Rom, der AC Florenz und der AC Mailand
verfochten vor dem Gericht eine aggressivere Strategie. Sie stellten
auf stur, lehnten jegliches Schuldeingeständnis ab und kamen am Ende glimpflicher davon. Sie durften in der Serie A bleiben und bekamen lediglich empfindliche Punktabzüge für die vergangene, aber
auch für die kommende Saison.
Cobolli Gigli ist bemüht, dem Klub ein sauberes Image zu geben.
Einen wichtigen Part spielt in dieser PR-Aktion auch der smarte Geschäftsführer Jean Claude Blanc. Der 43-Jährige arbeitet seit einem
Jahr für Juventus Turin. In bruchstückhaftem Italienisch sagt er, dass
er die Tour de France, die French Open im Tennis sowie die Olympischen Winterspiele von Albertville organisiert habe. „Juventus ist ein
Klub mit einer großartigen Geschichte“, betont Blanc, „gemeinsam
werden wir wieder an diese Tradition anknüpfen!“ Geschlossen musste der neue Verwaltungsrat gegen die „Schakale“ kämpfen, die den
börsennotierten Klub billig übernehmen wollten. Fast täglich wurden
Verkaufsgerüchte lanciert, die enorme Kurssprünge verursachten. Die
Holding der Agnelli-Familie IFIL hält die Mehrheitsanteile am Klub.
Über 20 Prozent des Aktienkapitals gehören hingegen Muammar alGaddafis Lafico-Bank.
Didier Deschamps stellt sich nach dem Spiel artig den vielen Journalisten. Die Enttäuschung kann man an seinen Augen ablesen. Michel
Platini, der in den 80er Jahren seine größten Erfolge mit Juventus feierte, hatte den Mittelfeldmotor als Trainer nach Turin empfohlen. Der
37-Jährige drahtige Franzose spielte von 1994 bis 1999 sechs Jahre lang
für Juventus. Deschamps ist eine Führungspersönlichkeit. Er besitzt
Ausstrahlungskraft und demonstriert mit seiner bloßen Präsenz Macht
und Autorität. Seine blonde Ehefrau und der kleine Sohn begleiten
ihn, so oft sie können.
Deschamps verhinderte nach der exemplarischen Verurteilung durch
das Sportgericht einen Ausverkauf der Starmannschaft. Deschamps
hätte gern auch Fabio Cannavaro zum Bleiben bewegt. „Er ist ein Führungsspieler auf dem Feld und in der Kabine“, sagt er, „ja ich bin sehr
enttäuscht, dass wir ihn nicht halten konnten.“ Cannavaro spielte in
den zwei letzten Jahren bei Juventus. „Es sind sehr schwer wiegende
Sachen passiert, und es ist richtig, dass diejenigen dafür bezahlen, die
Fehler gemacht haben. Ich habe jedoch nicht das sinkende Schiff verlassen!“, verteidigte sich der Kapitän der Nationalmannschaft.
JU VENTUS IN DER SERIE B – DAS IST, ALS
TR ÄTE DAS SINFONIEORCHESTER DER SCAL A
Zwangsabsteiger: Weltmeister Mauro Camoranesi
GEGEN BL ASK APELLEN IN DER PROVINZ AN
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08.09.2006 0:05:32 Uhr
GLEICHE HÖHE
In der Serie B werden die Juventus-Spieler jetzt wie Fußballgötter
angesehen, gegen die die gegnerischen Spieler alles geben. Jedes Spiel
eine Zerreißprobe. Es ist, als träte das Sinfonieorchester der Scala gegen Blaskapellen an. Das zeigt auch das Freundschaftsspiel gegen den
Zweitligisten Piacenza. „Es hat sehr viel Kraft gekostet, sich dazu bereit zu erklären, in der zweiten Liga zu spielen“, sagt Alessandro Del
Piero ernüchtert. Die illustren Kollegen wie Pavel Nedvěd, Mauro Camoranesi oder auch Gianluigi Buffon denken ähnlich. Sie wollten den
Klub verlassen, aber dieser stimmte sie mit fürstlichen Gagen um.
WELTMEISTER GIANLUIGI BUFFON IST SICHER:
„IN DREI JAHREN SPIELEN WIR MIT JU VENTUS
WIEDER IM INTERNATIONALEN GESCHÄFT“
Torwart Buffon fehlte gegen Piacenza. Der Weltmeisterkeeper gehörte zu den umworbenen Preziosen des Klubs, hält ihm aber die Stange. „Die zweite Liga ist für mich eine neue, große Herausforderung“,
sagt er lapidar. Buffon verdient fünf Millionen Euro im Jahr. „In drei
Auslandsreportage
Ex-Juve-Star, Flucht zum FC Barcelona: Gianluca Zambrotta
Jahren werden wir wieder im internationalen Geschäft mitspielen“,
prophezeit der Sympathieträger. Zunächst muss Juve in der zweiten
Liga das Handicap eines Punktabzugs wettmachen. Die Sponsoren unterstützen den Klub weiter, als wäre er erstklassig. Als hilflos wurde
die Entscheidung des Vereins angesehen, doch noch das Verwaltungsgericht anzurufen, um den Zwangsabstieg zu vermeiden.
Gianluca Pessotto hat inzwischen wieder die Intensivstation des Turiner Molinette-Krankenhauses verlassen. Langsam schöpft er neuen
Lebensmut. In der Chirurgie müht er sich mit einer langwierigen Rehabilitation ab. Immer wieder besuchen ihn die ehemaligen Mitspieler, um ihm Mut zu machen. Dass Pessotto nach seiner Genesung beim
Rekordmeister arbeiten wird, steht jetzt bereits fest. Allein die Funktion, die er bekleiden wird, muss erst noch definiert werden. „Wenn
er über den Berg ist“, sagt Präsident Cobogli Gigli, „entscheidet er allein, welche Funktion er bei Juventus bekleidet.“ Pessotto verkörpert
die Leiden von Juventus. Ein bizarres Parallelschicksal.
CHRONOLOGIE DES „GRÖSSTEN SKANDALS
DER FUSSBALLGESCHICHTE“ (SEPP BLATTER)
3. MAI 2006
27. JUNI 2006
25. JULI 2006
Italienische Zeitungen veröffentlichen Abhörprotokolle von Telefongesprächen des Sportdirektors von Juventus Turin, Luciano
Moggi (Foto links), mit Exschiedsrichterkoordinator Pierluigi
Pairetto. Aus den Telefonaten
geht hervor, dass in der Saison
2004/05 mehrere Spiele in
der Serie A manipuliert wurden.
Gianluca Pessotto, der
Teammanager von Juventus, springt mit einem
Rosenkranz in der Hand
vom Dach seines Büros
(Foto links) und überlebt
den Sturz schwer verletzt.
Das Berufungsgericht hat die Strafen für die vier Klubs
deutlich abgemildert: Juventus muss zwar in die Serie B
zwangsabsteigen, wird aber nur noch mit 17 Minuspunkten belastet. Lazio Rom (minus 11 Punkte) und der
AC Florenz (minus 15) dürfen weiterhin in der Serie A
spielen. Der AC Mailand bekommt nur acht Punkte
abgezogen und spielt damit in der Champions League.
Turin, Rom und Florenz wollen abermals gegen das
Urteil Revision einlegen.
11. MAI 2006
Insgesamt neun Vereine der Serie A und B geraten
in den Verdacht der Manipulation und der Absprache,
darunter die vier Spitzenklubs Juventus Turin, AC
Mailand, Lazio Rom und AC Florenz. Der Aufsichtsrat
von Juventus Turin tritt geschlossen zurück.
14. JUNI 2006
Die Staatsanwaltschaft Neapel nimmt Ermittlungen gegen den Präsidenten des Verbandsberufungsgerichts,
Cesare Martellino, auf. Er wird beschuldigt, auf Druck
von Moggi Urteile zu Gunsten von Turin gefällt zu haben. Der neue Aufsichtsrat von Juventus wird ernannt.
29. JUNI 2006 In Rom beginnt der Hauptprozess im
Wett- und Manipulationsskandal.
25. AUGUST 2006
7. JULI 2006
Justizminister Clemente Mastella fordert eine Amnestie
für die betroffenen Personen und Vereine.
9. JULI 2006
Italien gewinnt den WM-Titel. Forderungen nach einer
Amnestie werden lauter.
14. JULI 2006
Das Urteil wird verkündet. Juventus, Lazio und Florenz
müssen in die Serie B. Der AC Mailand darf erstklassig
bleiben, bekommt aber 44 Punkte abgezogen. Zudem
starten alle Klubs mit Minuspunkten in die Spielzeit
2006/07. Alle Verurteilten wollen in Revision gehen.
Didier Deschamps besucht Pessotto (Foto unten) im
Krankenhaus und berichtet, dass sich der Gesundheitszustand seines ehemaligen
Mitspielers langsam verbessere.
30. AUGUST 2006
Juventus verzichtet endgültig
darauf, gegen den Zwangsabstieg vor einem Zivilgericht
zu klagen. Ende September soll
ein Schiedsgericht endgültig
über die Verminderung des
Punktabzuges entscheiden.
RUND 58
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08.09.2006 0:05:37 Uhr
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Junge Dame Hertha
Berliner
Jugendbewegung
In der Hauptstadt ist man angekommen, man weiß nur noch nicht wo.
ein Klub, der nur noch auf die Jugend setzt?
Ist
Darf man das Image der „Alten Dame“ grundlegend renovieren? Wer
wird der nächste Nationalspieler? RUND hat sich auf die Suche begeben
VON PETER AHRENS, FOTOS MAAK ROBERTS
Man sieht es Frank Vogel nicht an, dass er
der Retter von Hertha BSC Berlin ist. Ein überaus freundlicher Herr, der gerne und viel redet und seinen Bauch unter einem orangefarbenen Poloshirt zu verstecken sucht. Der
Typus Herbergsvater, und im Grunde ist er
auch nichts anderes. Aber die Jungs, die er betreut, sind keine Rucksackreisenden, es sind
die besten Nachwuchsfußballer, die Deutschland zurzeit hat. In der Hertha-Akademie,
dem Internat des Berliner Bundesligisten,
wächst derzeit eine Spielergeneration heran,
die Hertha in den kommenden Jahren zu einem Team machen soll, das niemandem geringeren als dem FC Bayern Konkurrenz machen will. „In ein, zwei Jahren haben wir eine
Spitzenmannschaft“, sagt Hertha-Trainer Falko Götz. Jetzt muss die Stadt nur noch so viel
Geduld aufbringen.
Die Hertha-Akademie, das ist das Versprechen auf die Zukunft. Im Foyer des Internats
hängen 15 Trikots. Das sind die Hemden der
Nachwuchs im Devotionalienmeer: Frisch gekauftes Merchandising wird bei Hertha gerne signiert
RUND 60
rund1006_060_065_Hertha 60
07.09.2006 21:39:03 Uhr
GLEICHE HÖHE
Junge Dame Hertha
Fit für die Zukunft: Chinedu Ede, Yildiray Baştürk und Malik Fathi beim Räkeln und Dehnen
RUND 61
rund1006_060_065_Hertha 61
07.09.2006 21:39:07 Uhr
GLEICHE HÖHE
Junge Dame Hertha
Von der Schulbank ins Profiteam: Frühmorgens haben diese jungen Herren jetzt anspruchsvolleren Sportunterricht
jungen Spieler, die bislang den Sprung von
der Schulbank ins Hertha-Profiteam oder sogar zur Nationalelf geschafft haben. Malik
Fathi, Sofian Chahed, Kevin-Prince Boateng,
Alex Madlung, Pascal Bieler und die anderen,
seit Neuestem hängt auch das Trikot von Patrick Ebert an der Wand, dem in seinem ersten Hertha-Heimspiel zu Saisonbeginn gleich
ein Treffer gelang. „Das sind Spieler, die schon
kannte, als sie noch zwölf oder 13 Jahre alt waren“, sagt Götz, der vor seiner Zeit als Chefcoach den Hertha-Nachwuchs trainiert hat.
Bei Malik Fathi saß er damals gemeinsam mit
dessen Mutter in der Küche und hat den ersten Vertrag für den Jungen unterschrieben.
Jetzt ist Fathi Nationalspieler.
Bei Vogel im Büro klingelt dauernd das
Telefon. Spielerberater preisen einen jungen
Kerl an, Eltern wollen ihren Sohn bei Hertha
unterbringen. Letztens stand Hockey-Nationaltrainer und Klinsmann-Buddy Bernhard
Peters vor der Tür, um sich die Akademie anzuschauen. Herthas Ruf als Talentschmiede
hat sich herumgesprochen, die meisten Eltern
werden aber mit einer freundlichen Absage
abgespeist: „Versuchen Sie es mit Ihrem Sohn
doch erst einmal bei Ihrem Verein um die
Ecke.“ Der Anspruch ist hoch: „Unser Ziel ist
es, die besten jungen Spieler zumindest aus
der Nordostregion bei uns auszubilden“, sagt
Vogel. Alles, was 300 Kilometer rund um Berlin aufwächst und entsprechendes Talent hat,
soll irgendwann hier landen. Von der C- bis
zur A-Jugend sind die Hertha-Jungs momentan ganz vorne in Deutschland, genau die Jahrgänge, die Götz jetzt und in den kommenden
Jahren in den Profikader einbauen will. „Wir
haben lang in dieses Modell eingezahlt, jetzt
Hohe Ziele: Frank Vogel bildet aus
beginnt es, Früchte zu tragen“, sagt Manager
Dieter Hoeneß. Vier bis fünf Millionen Euro
steckt der Verein jährlich in die Hertha-Akademie, Geld, das sich rentieren muss.
RUND 62
rund1006_060_065_Hertha 62
07.09.2006 21:39:14 Uhr
GLEICHE HÖHE
Junge Dame Hertha
Alte Pappe, junge Spieler: Stillleben im Hertha-Internat
„Hertha verändert sich, die Mannschaft bekommt zurzeit ein neues Gesicht“, sagt Arne
Friedrich, und er muss es wissen. Der Kapitän
ist seit vier Jahren im Verein, er hat die chaotische Fast-Abstiegssaison vor drei Jahren mitgemacht, die Begeisterung im Jahr danach, als
Hertha an der Tabellenspitze mitspielte, die
Enttäuschung, als die Champions-LeagueQualifikation am letzten Spieltag vergeigt
wurde, dann die endlosen Wirren der Vorsaison, als zeitweilig nur noch der Zeitpunkt des
Trainerrauswurfs von Falko Götz diskutiert
wurde und junge und alte Spieler sich in Cliquen atomisiert hatten; Friedrich ist von Marcelinho auf dem Platz geohrfeigt worden, er
ist zum Stammspieler der Nationalelf aufgestiegen, „man hat hier so einiges erlebt“.
Arne Friedrich gehört zu den Erfahrenen
im Team, und bei aller Jugendbewegung sind
immer noch sie es, die den Ton in der Mannschaft angeben. Van Burik, Baştürk, Friedrich,
Fiedler, Šimunić – „wenn man sich die ersten
Elf ansieht, hat sich gar nicht so viel verändert“, rückt Kapitän Friedrich die Dinge ein
wenig zurecht. Noch. Die Revolution beginnt
dahinter. Gegen Hannover 96 saßen auf der
Ersatzbank Sofian Chahed, 23 Jahre alt, Ashkan Dejagah, 20 Jahre, Sdrjan Lakić, 22 Jahre,
Patrick Ebert, 19 Jahre, Christopher Samba,
22 Jahre, Chinedu Ede, 19 Jahre, und Ersatzkeeper Kevin Stuhr Ellegaard, 23 Jahre. Sonst
saß dort niemand.
Hertha mäandert zwischen Vergangenheit
und Zukunft, die Vergangenheit wird an diesem Mittwoch im alten Arbeiterstadtteil Wedding gefeiert. Ein paar Rentner haben sich versammelt, eine Handvoll Kommunalpolitiker,
Küchendienst mal anders: Zwei Stars von morgen posieren
deren Gesichter vor Stolz glänzen, Zecke Neuendorf, Torwart Christian Fiedler und Dick
van Burik sind auch da. Der Platz vor dem SBahnhof Gesundbrunnen soll künftig den Namen des Hertha-Idols Hanne Sobek tragen;
ein Straßenschild wird feierlich enthüllt, es
fallen ein paar warme Worte, der Bezirksbürgermeister erinnert an den ehemaligen Natio-
Werner Gegenbauer hält auch eine kurze
Rede, bevor er wieder in Richtung Zürich entschwindet. Geschäftstermine. Gegenbauer ist
ein wichtiger Mann in Berlin, er hat jahrelang
die einflussreiche Handelskammer der Hauptstadt geleitet, jetzt ist Gegenbauer deren Ehrenpräsident, sein Unternehmen hat 12.000
Mitarbeiter, Umsatz 300 Millionen Euro. Ge-
Mehr als 40 Millionen Euro Schulden drücken den Verein.
Alternativen zum Jugendstil gibt es allein deshalb nicht
nalspieler, der hier um die Ecke gewohnt hat,
und spricht davon, dass „die heutige Mannschaft auf dem Weg ist, Sobeks Taten zu wiederholen“. Zecke Neuendorf grinst, Sobek war
der Star der letzten Hertha-Mannschaft, die
den deutschen Meistertitel nach Berlin geholt
hat. Das war 1931.
meinsam mit Bürgermeister Klaus Wowereit
hat er dafür gesorgt, dass die LeichtathletikWM 2009 nach Berlin kommt. Nebenbei ist
er der Aufsichtsratsboss von Hertha.
Mehr als 40 Millionen Euro Schulden drücken den Verein, die Berliner Zeitungen waren vor einem halben Jahr voll mit Worten
RUND 63
rund1006_060_065_Hertha 63
07.09.2006 21:39:24 Uhr
GLEICHE HÖHE
Junge Dame Hertha
„1,2,3, Oberkörper frei“: Ein künftiger Ultra gibt alles
In zwei Jahren ein Spitzenteam: Trainer Falko Götz bittet um Geduld
Der Verein passt gut zu Berlin. Eigentlich hat man kein Geld,
aber dennoch scheint vieles möglich
wie „dramatische Finanzkrise“. Doch Gegenbauer macht noch einen ganz entspannten Eindruck: „Dass der Verein im Vorjahr Probleme
bekam, lag weniger an der Höhe der Schulden
als vielmehr an einigen falsch gesetzten Fristen.“ Seitdem arbeite man aber daran, „die
Rahmenbedingungen des Vereins weiter zu
optimieren“. Mit der Deutschen Bahn hat man
sich einen potenten Hauptsponsor über drei
Jahre gesichert. Teure Neueinkäufe wird man
sich trotzdem erst einmal nicht erlauben. „Der
Kurs der Geschäftsführung, auf die Förderung
der jungen Spieler zu setzen, wird von den
Aufsichtsratsgremien voll mitgetragen“, sagt
Gegenbauer. Er macht aber auch klar: „Wenn
man sich das Team von heute anschaut von
Friedrich über Baştürk bis Pantelić – das ist
keine Sparversion eines Bundesligateams. Wir
reden hier nicht über Hertha light. Da muss
schon Leistung her.“
Hertha passt gut zu Berlin. Der Kader verändert sich massiv, junge Leute kommen hinzu,
der Verein hat eigentlich überhaupt kein Geld,
und trotzdem scheint vieles möglich. Hertha
ist eine Baustelle, aber der Betrieb lässt sich
davon nicht stören. „Wir sind im Umbruch“,
sagt der Trainer. „Der Verein ist wie die Stadt,
es gibt hundert Wahrheiten, und alle stimmen
auf ihre Weise“, sagt der Aufsichtsratsvorsitzende. „Wie es mit dem Verein weitergeht? Es
kann gleichermaßen aufwärts und abwärts gehen“, sagt Sofian Chahed.
Chahed ist einer der Musterknaben der
Hertha-Akademie. Ein Berliner Junge mit den
Heimatvereinen FV Wannsee und Hertha Zehlendorf. 1998 wurde er mit 15 unter die Fittiche der Hertha-Ausbilder genommen, er ist
kontinuierlich aufgestiegen, hat mittlerweile
mehr als 25 Bundesligapartien gespielt. „Ich
bin langsam in die Rolle des Profis hineingewachsen, das war bestimmt ein Vorteil.“ Das
Internat liegt direkt auf dem Vereinsgelände,
den Profis ist er jahrelang täglich über den
Weg gelaufen, der Sprung in den Bundesligakader war danach nicht mehr so groß. Sein
Ziel: „Nationalspieler“. So wie sein Freund
Malik Fathi, der gegen Schweden in der NachKlinsmann-Ära seinen ersten großen Auftritt
im Eliteteam des DFB hatte.
„Junge Spieler, die sind natürlich auch für
jeden Profikader erst einmal ein Faktor, der
die Kosten drückt“, sagt Vogel. Den Etat der
Bundesligamannschaft zu senken, indem man
teure, ältere Spieler durch preiswertere Eigengewächse ersetzt, diese zu vollwertigen Bun-
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rund1006_060_065_Hertha 64
07.09.2006 21:39:32 Uhr
GLEICHE HÖHE
Junge Dame Hertha
Aufwärmen mit Maskottchen: der Bär im Kreise der Spieler
Einer von vielen: Patrick Ebert gilt als Hoffnungsträger
desligaprofis macht, um sie dann für viel Geld
an andere Vereine zu verkaufen – „Transferwerte schaffen“, wie Vogel das nennt –, ist für
den hoch verschuldeten Hauptstadtverein
überlebensnotwendig. Der Cheftrainer wehrt
sich trotzdem gegen den Eindruck, es sei von
den finanziellen Rahmenbedingungen diktiert, dass der Klub auf die Jugend setze. „Meine Philosophie ist, mit jungen Leuten zu arbeiten, und es ist keine von außen aufgezwungene
Philosophie“, sagt Falko Götz.
Es hat sich etwas Merkwürdiges ereignet in
dieser Stadt. Hertha startet in die neue Saison,
und niemand erwartet von dem Verein Wunderdinge. „Die Erwartungshaltung ist sicherlich niedriger als in den vergangenen Jahren“,
sagt Götz, und das lässt nicht nur ihn gelassener wirken. „Wir gehen mittlerweile schon
lockerer an die Sache heran“, hat auch Chahed festgestellt, „ich finde es zum Beispiel
jetzt nicht mehr so hart, wenn wir gegen eine
Spitzenmannschaft verlieren sollten.“ Und
Hoeneß sagt: „Dieses Team wird auch Rückschläge erleiden. Darauf sind wir vorbereitet.“
Hertha entspannt sich. Zudem herrsche nach
dem Abschied des Sorgenkinds Marcelinho
„jetzt eine Super-Harmonie im Team“, wie
Arne Friedrich sagt: „Da fühle ich mich sehr
an die Nationalmannschaft erinnert.“
gertypen“ nennt. Hoeneß spricht von „Typen,
die Leidenschaft mitbringen, die nicht mehr
abgezockt sind“. Solche Typen „werden wir
weiterentwickeln“.
„Der Verein ist mittlerweile auf einem sehr
guten Weg. Wir sind weiter als vor zwei Jahren“, ist Arne Friedrich überzeugt. Auch weiter als das Image, das dem Verein immer noch
anhängt. Alte Dame, der Mief des alten Westberlin, Wilmersdorf-Style. Frank Zander singt
nach wie vor die scheppernde Hertha-Hymne
„Nur nach Hause gehen wir nicht“, obwohl
Hoeneß mal darüber nachgedacht hat, sie
durch etwas Moderneres zu ersetzen. Berlins
Reggae-Kollektiv Seeed hat sich angeboten,
ein neues Fanlied zu schreiben, aber getan hat
sich nichts. „Die Tradition zu erhalten und
den Verein trotzdem geschäftsfähig zu halten“, das ist auch aus Gegenbauers Sicht der
Seiltanz, den der Verein wagen muss. „Beim
Image kann man sicherlich immer noch etwas
verbessern“, drückt sich Friedrich diplomatisch aus. Dass das Olympiastadion nur ganz
selten richtig voll ist, hat für ihn allerdings
weniger mit der mangelnden Attraktivität des
Bundesligavereins zu tun: „In Berlin gibt es
„Wir müssen nicht lange warten, bis der nächste aus dem
Hertha-Internat Nationalspieler wird“ FALKO GÖTZ
Mit dem Abgang von Marcelinho fehlt dem
Team sportlich ein Star. Marco Pantelić könnte einer werden. Insgeheim setzen alle jedoch
auf einen anderen: Kevin-Prince Boateng, zu
Saisonbeginn verletzt, wurde in manch Berliner Zeitung schon mal das Zeug zum Weltstar
angedichtet. Wenn Götz sagt: „Wir müssen
nicht lange warten, bis der nächste aus dem
Hertha-Internat Nationalspieler wird“, denkt
er vor allem an Boateng. Möglichweise auch
an Patrick Ebert, den der Trainer einen „Sie-
einfach so viele Abwechslungen, es gibt Basketball, Eishockey, spannende Kinopremieren
– hier ist einfach zu viel los.“ Man müsse als
Gegenbeispiel nur nach Gelsenkirchen schauen, wo das Stadion immer voll besetzt sei: „Da
gibt es eben nur den Fußball.“
Offiziell hat der Verein für diese Spielzeit
kein Saisonziel ausgegeben. Manager Hoeneß
hat allerdings ein Motto für diese Spielzeit formuliert. Es lautet: „Ehrlicher Fußball“. Hanne Sobek hätte seine Freude daran.
RUND 65
rund1006_060_065_Hertha 65
07.09.2006 21:39:40 Uhr
GLEICHE HÖHE
Erbsenzähler
Wo sind die Roten Sterne hin?
Vor 15 Jahren gewann Roter Stern Belgrad den Europapokal der Landesmeister und kurz darauf den Weltpokal. Doch dann zerfiel das Land, dessen
Hauptstadt Belgrad war – auch die Mannschaft von Roter Stern zerstreute sich. Wo sind die Stars von 1991 heute? QUELLE: TRANSFERMARKT.DE UND ANDERE
DRAGISA BINIĆ
ROBERT PROSINEČKI
VLADA STOŠIĆ
REFIK SABANADZOVIĆ
(geboren am 20. Oktober 1961):
(geboren am 12. Januar 1969):
(geboren am 31. Januar 1965)
(geboren am 2. August 1965):
1987/88 Roter Stern Belgrad
1988/89 Brest Stade
1989/90 Levante UD
1990/91 Roter Stern Belgrad
1991/92 – 1992/93 SK Slavia Prag
1993/94 A.P.O.E.L. Nikosia
1994/95 Nagoya Grampus Eight
1995/96 Tosu Futures
1987/88 – 1990/91 Roter Stern Belgrad
1991/92 – 1993/94 Real Madrid
1994/95 Real Oviedo
1995/96 – 1996/97 FC Barcelona
1996/97 FC Sevilla
1997/98 – 1999/00 Dinamo Zagreb
(bis Februar 2000 als Croatia Zagreb bekannt)
2000/01 NK Hrvatski Dragovoljac Zagreb
2001 Standard Lüttich
2001/02 FC Portsmouth
2002/03 NK Olimpija Ljubljana
2003/04 NK Zagreb
2006 NK Savski Marof
1984/85 Roter Stern Belgrad
1985/86 Footscray JUST
1985/86 – 1986/87 Roter Stern Belgrad
1987/88 FK Radnički Novi Beograd
1987/88 FK Radnički Niš
1988/89 – 1990/91 Roter Stern Belgrad
1991/92 – 1993/94 Real Mallorca
1994/95 – 1996/97 Real Betis
1997/98 – 1998/99 Vitoria Setubal FC
1987/88 – 1990/91 Roter Stern Belgrad
1991/92 – 1995/96 AEK Athen
1996/97 – 1997/98 Olympiakos Piräus
1998/99 – 1999/00 Kansas City Wizards
AKTUELLE TÄTIGKEIT:
Ist mehrere Jahre Direktor des
Fußballvereins FK Obilić gewesen. Er besitzt mehrere Cafés in Belgrad. Dragisa
Binić ist auch heute noch sehr präsent in
den serbischen Medien, da er
Abgeordneter der rechtspopulistischen
„Partei der serbischen Einheit“ war. Binić
ist, obwohl er sich durch seine politischen
Betätigungen viele Feinde gemacht hat,
regelmäßig bei serbischen Fußballklubs
als Trainer im Gespräch.
AKTUELLE TÄTIGKEIT:
Ist Funktionär beim spanischen
Klub Betis Sevilla.
AKTUELLE TÄTIGKEIT:
Lebt in Sarajevo (Bosnien und
Herzegowina) und kümmert sich um
die Ausbildung seiner vier Kinder.
Sonst entspannt er auch gerne an der
montenegrinischen Küste.
AKTUELLE TÄTIGKEIT:
Immer noch bei Savski Marof aktiv.
VLADIMIR JUGOVIĆ
(geboren am 30. August 1969):
da
hi
nt
1989 – Januar 1990 Roter Stern Belgrad
Januar 1990 – Juni 1990 Rad Belgrad*
1990/91 – 1991/92 Roter Stern Belgrad
1992/93 – 1994/95 Sampdoria Genua
1995/96 – 1996/97 Juventus Turin
1997/98 Lazio Rom
1998/99 Atletico Madrid
1999/00 – 2000/01 Inter Mailand
2001/02 – 2002/03 AS Monaco*
2003/04 VfB Admira Wacker Mödling
2004/05 LR Ahlen
er
SINIŠA MIHAJLOVIĆ
(geboren am 20. Februar 1969):
1990/91 Roter Stern Belgrad
1991/92 – 1993/94 AS Rom
1994/95 Sampdoria Genua*
1995/96 AS Rom
1995/96 – 1997/98 Sampdoria Genua*
1998/99 – 2003/04 Lazio Rom
2004/05 Inter Mailand
AKTUELLE TÄTIGKEIT:
Seit 2005 Mitglied des Aufsichtsrats
von Roter Stern Belgrad.
AKTUELLE TÄTIGKEIT:
Seit 2005 Assistenztrainer
bei Inter Mailand.
SLOBODAN MAROVIĆ
MIODRAG BELODEDIĆ
(geboren am 13. Juli 1964):
(geboren am 20. Mai 1964):
1987/88 – 1990/91 Roter Stern Belgrad
1991/92 – 1993/94 IFK Norrköpping
1994/95 Silkeborg IF
1989/90 – 1991/92 Roter Stern Belgrad
1992/93 – 1993/94 FC Valencia
1994/95 Real Valladolid
1995/96 Villareal CF
1996/97 – 1997/98 CF Atlante
1998/99 – 2000/01 Steaua Bukarest
AKTUELLE TÄTIGKEIT:
Lebt in Belgrad und ist Besitzer einer
Diskothek. Unter anderem arbeitet er als
unabhängiger Talentscout.
AKTUELLE TÄTIGKEIT:
Seit 2001 beim rumänischen Fußballverband aktiv. Zur Zeit ist er
für die Juniorennationalmannschaften
Rumäniens zuständig.
DEJAN SAVIĆEVIĆ
DARKO PANČEV
(geboren am 15. September 1966):
(geboren am 7. September 1965):
1988/89 – 1991/92 Roter Stern Belgrad
1992/93 – 1993/94 Inter Mailand
1993/94 VfB Leipzig* (ab Januar 1994)
1994/95 Inter Mailand
1995/96 Fortuna Düsseldorf
1996/97 FC Sion
AKTUELLE TÄTIGKEIT:
Seit 1997 Fußballrentner. Lebt in Skopje
und betreibt ein Sportartikelgeschäft
sowie ein Café.
STEVAN STOJANOVIĆ
(geboren am 19. Oktober 1964):
1983/84 – 1990/91 Roter Stern Belgrad
1991/92 – 1994/95 Royal Antwerp FC
AKTUELLE TÄTIGKEIT:
Ist Sportmanager bei Roter Stern
Belgrad. Stojanović kümmert sich um
organisatorische Angelegenheiten
und ergänzt somit den Trainerstab.
ILIJA NAJDOSKI
1989/90 – 1991/92 Roter Stern Belgrad
1992/93 – 1993/94 Real Valladolid CF
1994/95 – 1995/96 Denizlispor
1996/97 FC Sion
1988/89 – 1991/92 Roter Stern Belgrad
1992/93 – 1997/98 AC Mailand
1998/99 Roter Stern Belgrad
1999/00 – 2000/01 Rapid Wien
ab 2001 – 2003 Nationaltrainer von
Serbien-Montenegro
AKTUELLE TÄTIGKEIT:
Hat keinerlei Verbindung mehr zum
Fußball. Najdoski lebt in Skopje und
betreibt ein Café.
AKTUELLE TÄTIGKEIT:
Seit 2003 Präsident des
Montenegrinischen Fußballverbands
(Fudbalski Savez Crne Gore – FSCG).
(geboren am 26. März 1964):
*ausgeliehen
RUND 66
rund1006_066_067_Erbsenz 66
08.09.2006 0:09:16 Uhr
GLEICHE HÖHE
Erbsenzähler
Der wahre Pokalsieger
Den Pokal stemmen will jeder, aber was ist er wirklich wert? RUND hörte sich bei Graveuren, Gold- und Silberschmieden um. Und erstellte so das
ultimative Ranking der bekanntesten europäischen Landespokale DANK AN HERRN HÄNSCH VON DER ALTONAER SILBERSCHMIEDE
1
DEUTSCHLAND
2
Wert: ca. 18.000 Euro
Aufwand: 10
Inhalt: ca. 8 Liter
4
PORTUGAL
TÜRKEI
5
ÖSTERREICH
8
DÄNEMARK
Wert: ca. 8000 Euro
Aufwand: 6
Inhalt: ca. 11 Liter
6
TSCHECHIEN
10
SCHWEIZ
9
ITALIEN
Wert: ca. 8000 Euro
Aufwand: 7
Inhalt: ca. 3 Liter
NIEDERLANDE
Wert: ca. 18.000 Euro
Aufwand: 9
Inhalt: ca. 2 Liter
12
Wert: ca. 15.000 Euro
Aufwand: 10
Inhalt: ca. 1 Liter
14
FRANKREICH
Wert: ca. 21.000 Euro
Aufwand: 9
Inhalt: ca. 2,5 Liter
Wert: ca. 18.000 Euro
Aufwand: 8
Inhalt: ca. 7 Liter
Wert: ca. 15.000 Euro
Aufwand: 10
Inhalt: ca. 1 Liter
13
UNGARN
ENGLAND
Wert: ca. 16.500 Euro
Aufwand: 10
Inhalt: ca. 5 Liter
Wert: ca. 21.000 Euro
Aufwand: 9
Inhalt: ca. 5 Liter
Wert: ca. 10.000 Euro
Aufwand: 9
Inhalt: ca. 8 Liter
10
3
Wert: ca. 22.000 Euro
Aufwand: 10
Inhalt: ca. 2 Liter
Wert: ca. 22.500 Euro
Aufwand: 10
Inhalt: ca. 1 Liter
7
SCHOTTLAND
SPANIEN
Wert: ca. 10.000 Euro
Aufwand: 9
Inhalt: ca. 2 Liter
15
POLEN
Wert: ca. 5000 Euro
Aufwand: 5
Inhalt: ca. 6 Liter
Die neue Preisfrage lautet: Wie heißt der erste deutsche Fußballpokal? Antworten bis zum 16. Oktober 2006 an: Redaktion RUND, Pinneberger Weg 22-24,
20257 Hamburg; [email protected], Stichwort: Pokal. Wir verlosen ein wertvolles Memo-Legespiel mit Fußballweisheiten. Die Lösung aus 9/06 lautet:
Sieben derzeit im Ausland spielende deutsche Fußballer nahmen schon an WMs teil (inklusive David Odonkor, der im Antwortzeitraum nach Sevilla wechselte).
Die Gewinner der Bücher aus dem egoth-Verlag werden im nächsten Heft bekannt gegeben. Die Gewinner des August-Rätsels (je ein Freitag-Fußball „Calcio“)
sind: W. Morgen, Berlin; H. Kreutz, Cochem; P. Richter, Münster; T. Storch, Freiberg; R. Hornauer, Erlangen. Die Gewinner werden verständigt.
!!!
Hi e r g
ib
Gewin t’s
ne
!!!!!
RUND 67
rund1006_066_067_Erbsenz 67
08.09.2006 0:09:20 Uhr
RUND
Im Abseits
IM ABSEITS
ABSEITIG ORIGINELL KOMISCH
„Ich wäre keine gute Bestzung für einen James-Bond-Film“
SIMON ROLFES
70 LÜGENDETEKTOR
„Mehr Anarchie wäre schon gut“ – Im Test auf
Herz und Nieren: Simon Rolfes aus Leverkusen
74 MANNSCHAFTSHOTEL
Warten auf Dunga – Warum ein Interviewtermin
auch mal drei Tage dauern kann
80 FUSSBALLMAFIA
Mord aus Rache – Fabrice Noël hat zwei Brüder
verloren, weil er den Klub nicht wechseln wollte
88 TV-JUNKIES
Fußballer müssen ins Eckige – RUND zeigt die
peinlichsten Fernsehauftritte aller Zeiten
RUND 69
rund1006_068_069_VorschaltAbseitAbs1:69 Abs1:69
05.09.2006 12:23:18 Uhr
IM ABSEITS
Lügendetektor
„Mehr Anarchie wäre schon gut“
DER LEVERKUSENER SIMON ROLFES IST AUF DEM SPRUNG IN DIE NATIONALMANNSCHAFT.
GRUND GENUG FÜR UNS, DEN BUNDESTRAINERN EIN WENIG ARBEIT ABZUNEHMEN UND SEINE
CHARAKTERLICHE EIGNUNG ZU PRÜFEN. DER 24-JÄHRIGE REDET AM RUND-LÜGENDETEKTOR
ÜBER SEIN FAIBLE FÜR INDIANER, WAS IHM KÜRZLICH NACH DER SAUNA PASSIERT IST UND OB
ER DER GEEIGNETE MANN IST, DIE WELT ZU RETTEN
Was denken Sie gerade?
SIMON ROLFES Was jetzt wohl passiert. Es
ist schon ein bisschen ungewöhnlich, hier so
verkabelt zu sitzen. Etwas angespannter als
sonst bin ich schon.
Was war der peinlichste Moment, an den Sie
sich erinnern können?
Als meine Freundin Anfang des Jahres eine
Überraschungsparty für mich organisiert hatte, ich das aber gar nicht lustig fand. Wir hatten an dem Tag ein Vorbereitungsspiel, das
ziemlich scheiße war. Ich kam nach Hause,
wollte meine Ruhe – und auf einmal war die
Bude voll. Man merkt mir immer sehr schnell
an, wie meine Laune ist. Da konnte ich mich
jedenfalls überhaupt nicht entspannen – und
die Gäste konnten die Party auch nicht mehr
so richtig genießen. Eigentlich hätte ich mir
fünf Kurze reinhauen sollen, dann wäre es lockerer gewesen. (++++)
Ist es Ihnen unangenehm, im Mittelpunkt zu
stehen?
Wenn ich weiß, dass der Fokus wie bei einer
Autogrammstunde auf mich gerichtet ist,
dann ist es okay. Dann kann ich mich darauf
vorbereiten. Aber wenn es so überraschend
kommt, ist das nicht mein Ding.
Was sollte verboten werden in Deutschland?
Rauchen in Gaststätten. Ich hoffe, dass das
bald kommt. Mich nervt nichts mehr, wenn
ich abends mal weg bin und am nächsten Morgen an meinen stinkenden Klamotten rieche.
INTERVIEW SVEN BREMER UND OLIVER LÜCK, FOTOS DAVID KLAMMER
Haben Sie nie geraucht?
Nein, noch nie. Ich bin wirklich total allergisch dagegen.
Und was sollte erlaubt sein?
Mich stört, dass alles immer total geregelt ist. Ich fände es besser, wenn dem Einzelnen ein
bisschen mehr Freiheit gelassen würde. Wenn man einen Laden eröffnet zum Beispiel, dann
muss man erst mal fünfzig Behördengänge machen, bis man seine eigenen Ideen verwirklichen kann. Dieses typisch Deutsche, wo alles bis ins kleinste Detail geplant ist. Ich bin doch
selbst für mich verantwortlich. Andererseits bin ich auch dafür, dass manche Sachen schön
geregelt sind, dass ich weiß, wo dieses oder jenes bleibt.
Aber ein bisschen mehr Anarchie …
… wäre manchmal schon gut.
Und Sie brauchen Freiheiten, aber auch gewisse Sicherheiten.
Das ist schon ein schwieriger Mix: Mal bin ich etwas spontaner, mal habe ich es lieber geregelt. Gerade beim Mannschaftssport gehört Disziplin dazu. Ich bin sportlich gesehen schon
sehr ehrgeizig und diszipliniert. Ich bin aber auch launisch. Das ist die andere Seite. Ich finde es gut, nicht immer in dieses Korsett eingezwängt zu sein. Ich brauche meine Freiheiten.
Haben Sie ein Faible für Helden, die die Menschheit vor dem Weltuntergang retten?
Manchmal finde ich das schon geil, dieses Heroische in den amerikanischen Filmen. Und so
ein Happy End ist doch schöner als wenn du ein trauriges Ende hast. James Bond finde ich
cool. Oder auch Bruce Willis.
„Und? Robert Hoyzer?“: der RUND-Polygraf
LÜGENLEGENDE
Pippi Langstrumpf
Pinocchio
Baron Münchhausen
Robert Hoyzer
++++
++++
++++
++++
RUND 70
rund1006_070_072_Luegendetek 70
07.09.2006 22:01:09 Uhr
IM ABSEITS
Lügendetektor
„Was passiert wohl gleich“: Leverkusens Mittelfeldprofi Simon Rolfes wird verkabelt
RUND 71
rund1006_070_072_Luegendetek 71
07.09.2006 22:01:10 Uhr
IM ABSEITS
Taugen Sie selbst zum Helden?
Nein, ich wäre keine gute Besetzung für einen James-Bond-Film. Von meiner ganzen Art
und Weise. Nein, das bin ich nicht. Auch zum
Willis-Double tauge ich nicht. Der hat schon
ein paar mehr Muskeln als ich. Ich mag es aber
sehr, wenn es im Fußball zur Sache geht, wenn
Action drin ist, wenn man Körperkontakt hat.
Vielleicht lebe ich da den James Bond in mir
aus. (++++)
In welchem Zeitalter würden Sie gerne
einmal leben?
Karl May habe ich schon immer gerne gelesen. Ich finde es faszinierend, wie sich bei ihm
die Indianer in der Natur nur auf ihre Instinkte verlassen konnten. Ob ich da gerne hätte
leben wollen, weiß ich nicht, aber auszuprobieren, ob das möglich ist, so feine Sinne zu
entwickeln, fände ich spannend.
Wie sehr sind Sie Indianer auf dem Platz und
verlassen sich dort auf Ihre Instinkte?
In meinen besten Spielen sehr. Da denke ich
nicht groß nach. Die besten Szenen, die ich
in einem Spiel habe, passieren immer aus dem
Instinkt heraus.
Ein Fußballindianer.
Ja.
Glauben Sie, dass die Instinkte durch die
fortschreitende Technisierung mehr und mehr
verdrängt werden?
Ja, und das finde ich schade. Die Indianer
brauchten zum Beispiel ihre Instinkte, um
sich zu beschützen. Heutzutage kauft man
sich eine Alarmanlage.
„Neulich bin ich nach der Sauna
abgeklappt – zack, weg war ich“
Sind Sie zurzeit nervös, wenn das Telefon
klingelt?
Nein, warum? (++++)
Es könnte der Bundestrainer sein.
Der hat meine Nummer gar nicht.
Joachim Löw hat Sie noch nie angerufen?
Nein, darüber mache ich mir aber auch keine Gedanken. Entweder es passiert oder es
passiert nicht. Ich denke, dass ich auf einem
guten Weg dahin bin. Wenn ich so weiterspiele, wird es sicher irgendwann klappen. Zu
meiner Bremer Zeit wollte ich unbedingt den
Sprung in die erste Elf schaffen. Aber ich war
zu verbissen und zu ungeduldig. Jetzt bleibe
ich da doch lieber locker.
Lügendetektor
„Groupies sind nicht mein Ding“: Rolfes ehrlich
Ist es einfach, den Angeboten von Groupies zu widerstehen?
Das ist kein Problem. Hier in Leverkusen gibt es nicht viele. Sie können ja mal beim Training
zuschauen. Da ist nichts los in dieser Richtung. Aber das wäre auch nicht mein Ding. Da kommt
wieder die Disziplin bei mir durch. Oder anders gesagt, da gibt es schon gewisse Werte, nach
denen ich lebe.
Noch nie heimlich in die Mädchenduschen geschaut?
Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern. Und? Robert Hoyzer?
Nein, sehr ehrlich! Sind Sie schon mal in Ohnmacht gefallen?
Gerade neulich bin ich nach der Sauna abgeklappt. Ich habe mich mit dem Trainer lange unterhalten, bin zu lange drin geblieben und habe danach unter der Lüftung gestanden – zack,
weg war ich. Ich habe nur noch gemerkt, wie Michael Skibbe mich in die Ecke gelegt hat.
Was war der letzte Traum, an den Sie sich erinnern können?
Das war heute Nacht. Ich habe geträumt, dass die ganze Kabine rappelvoll war, obwohl trainingsfrei war! Im Traum habe ich mich gewundert und gedacht: Wow, so viele sind da, obwohl
gar kein Training ist.
Sie fühlen sich wohl in dieser Mannschaft.
Ja, dieses Jahr haben wir ein super Team mit Perspektive. Der Geist, mit dem wir in dieser
Saison auftreten ist ein ganz anderer. Zu sehen, dass wir mutig nach vorne spielen und Vertrauen zueinander und in unsere technischen Fähigkeiten haben, macht wahnsinnig Spaß.
Kennen Sie das Spiel „Tat oder Wahrheit“?
Ja, von früher. So mit Flaschendrehen – der auf den die Flasche zeigt muss entweder etwas
preisgeben oder etwas Verrücktes tun. Bei uns hieß das „Wahrheit oder Pflicht“.
Und? Wahrheit oder Pflicht?
Hier mit Ihnen kann ich ja locker „Pflicht“ sagen. (++++)
Und wenn wir uns ausdenken, dass Sie nun nackt durchs Hotel laufen müssen?
Dann würden meine Mannschaftskollegen auf jeden Fall komisch gucken. Das würden sie
mir ganz sicher nicht zutrauen. Dann also doch lieber „Wahrheit“.
Schon mal Strippoker gespielt?
Ich habe neulich im Trainingslager das erste Mal Poker überhaupt gespielt. Nach einer Runde war ich raus, weil ich gleich alles gesetzt hatte. Mir war das irgendwie zu langweilig, bis
zur nächsten Runde zu warten. Deshalb habe ich wohl auch nie Strippoker gespielt.<
FAZIT: Selten war jemand so ehrlich wie der Leverkusener Fußballindianer. Simon Rolfes hat
keinen Spaß an unzeitigen Überraschungen und am Pokerspiel. Das kann schon sein, denn für so
ein ausgebufftes Spiel ist er einfach zu launisch. Eines glauben wir ihm jedoch überhaupt nicht:
Dass Bundestrainer Jogi Löw seine Nummer nicht kennt.
RUND 72
rund1006_070_072_Luegendetek 72
07.09.2006 22:01:15 Uhr
IM ABSEITS
Spiel mit Puppen
Leise sagt man …
Diesen Monat in der stürmischen RUND-Puppen-Story:
DER GROSSE STÜRMER-CONTEST – wenn sechs sich
streiten, freut sich immer Miro Klose
FOTOS STEPHAN PFLUG
Sehr verehrtes
RUND-Publikum,
ich freue mich
sehr, Sie zum allerersten alternativen
Stürmer-Contest
der Welt begrüßen
zu dürfen! Es
treten gegeneinander an …
Im ungleichen Duell ist der
Bayern-Sturm Roy und Poldi
zu stark für van Nistelrooy:
… der holländische
Hurrik an: RU UD!
… der bajuwarische
Blizzard: ROY!!
aus
… die bärtige Böe
dem Pott: KEVIN!!!
von
… der Wirbelwind
!!!!
der Weser: MI RO
… der Münchner
Mistral: PO LD I!!!!!
… die hanseatische
!!!!
Heulboje: BE NNY!!
hneeSc
ker
… der Schal
!!!
sturm: GE RALD!!!!
Im Wettstreit
mit dem Watteball hat Gerald
keine Chance
gegen Benny:
PUST
5000 Lire
auf Lauth!
Und Kevin stürmt der Blondine
routiniert die Haare trocken:
PUST
PUST
PUST
PUST
PUST
PUST
PUST
Doch einer ist und bleibt der
beste aller Stürmer: Denn
Miro interessiert das Ganze
nicht mehr als ein leises …
Im Wettbewerb mit der Regenwolke
setzt sich die Erfahrung durch:
GRUMMEL
GRUMMEL
DONNER UNDBLITZ
GRUMMEL
PUST
PUST
PUST
Sc Im
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ei ch •••
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en ef
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tfü t:
hr
t!!
PUST
Wir danken der Firma Revell für die freundliche Bereitstellung der Kick-O-Mania-Puppen.
RUND 73
rund1006_073_Puppen Abs1:73
07.09.2006 22:16:05 Uhr
IM ABSEITS
Mannschaftshotel
„Mehr Verantwortung als der Staatspräsident“: Carlos Dunga ist neuer Nationaltrainer Brasiliens
RUND 74
rund1006_074_077_Dunga 74
07.09.2006 22:20:47 Uhr
Es kommt nicht häufig vor, dass man einen
brasilianischen Nationalspieler beim Pinkeln
trifft. So etwas passiert ganz einfach nicht.
Umso überraschter ist man, wenn plötzlich
Edmilson vom FC Barcelona neben einem am
Pissoir steht, freundlich grüßt und fragt, ob
„alles klar“ sei. „Alles klar“, fällt die Antwort
knapp aus. Es ist einer dieser Momente, in denen sich zeigt, dass auch galaktische Superhelden menschlich sind.
Draußen vor dem Fünfsternehotel sitzen
Edmilsons brasilianische Kollegen abfahrbereit im Mannschaftsbus wie Schulkinder vor
einer Klassenfahrt. Im Winter stürzen sich
hinter dem Hotel dürre Männer mit Helmen
auf Skiern waghalsig den Berg hinunter. Wie
eine Straße, die im Himmel endet, erhebt sich
dort die Skisprungschanze des Holmenkollen.
Bei guter Sicht kann man aus der Hotellobby
die Schiffe sehen, die durch den Oslo-Fjord in
den Hafen der Stadt einlaufen.
Morgen wird das brasilianische Nationalteam zum ersten Spiel nach dem verkorksten
Viertelfinal-Aus der WM im Ulleval-Stadion
auflaufen. Die mit einer Kapazität von 25.000
Zuschauern größte Fußballarena Norwegens
ist seit Monaten ausverkauft. Es wird ein besonderes Spiel werden, nicht nur weil die
Skandinavier die letzten beiden Vergleiche
mit den Südamerikanern gewinnen konnten.
Es wird auch das erste Spiel des neuen Trainers sein, der in Brasilien umstritten ist: Carlos Caetano Bledorn Verri, kurz Dunga, zuvor
noch nirgendwo Trainer, 1994 Kapitän der
Weltmeisterelf und Mitte der 90er zwei Jahre
Profi beim VfB Stuttgart. „Nun hat er mehr
Verantwortung als der Staatspräsident“, sagt
Rodrigo Paiva. Paiva ist Pressesprecher der Seleção, Ende 30 und braun gebrannt. Drei Wochen zuvor hatte er mir ein Interview mit
Dunga telefonisch zugesichert. „Kommen Sie
nach Oslo, dort wird es klappen.“
Über 5000 Menschen haben acht Euro Eintritt bezahlt, um den Ballzauberern bei einem
müden Trainingskick zuzusehen. Ronaldinho,
Kaká, Roberto Carlos, Zé Roberto und Ronaldo sind nicht mit nach Norwegen gereist.
Doch auch wenn Robinho oder Lucio in die
WARTEN AUF DUNGA
Drei Tage harrte unser Redakteur
in einem HOTEL IN OSLO aus,
um den Nationaltrainer Brasiliens
zu treffen – für acht Minuten
VON OLIVER LÜCK, FOTOS FREDRIK SOLSTAD, AUGENKLICK, IMAGO
RUND 75
rund1006_074_077_Dunga 75
07.09.2006 22:20:54 Uhr
IM ABSEITS
Menge winken, kreischen Hunderte. Mädchen und Frauen schreien hysterisch etwas
von „Liebe“ und „Kindern“. Bei jedem Torschuss geht ein Raunen durch das Stadion.
Für 18.30 Uhr ist eine Pressekonferenz im
Bauch der Arena angesetzt. Dunga wird da
sein, heißt es. 60 Journalisten warten. Eine
Gelegenheit, um mit Pressesprecher Paiva auf
Tuchfühlung zu gehen und vorsichtig nach
dem versprochenen Interview zu fragen. Dunga kommt. Blitzlichter. Er trägt Trainingsanzug. Seine Haare hat er perfekt gedrillt. Einzelne Stacheln stehen derart akkurat nach
oben, dass man sie zählen könnte. TV-Kameras surren. Dunga setzt sich auf das Podium,
richtet seine Augen ins Nirgendwo und wartet auf Fragen. Er spricht von „starken Norwegern“ und seiner „neuen Herausforderung als
Nationalcoach“. Nach fünf Minuten bedankt
er sich und geht. Ich sichte den Pressechef.
Obwohl der sich nicht an unser Telefonat erinnern kann, macht er mir Mut, dass Dunga
heute im Anschluss an das Abendessen bereit
wäre zu reden. „Kommen Sie ins Hotel.“
In den Sesseln im Foyer sitzen brasilianische
Journalisten an ihren Laptops, schreiben Texte, schneiden ihre TV- und Radiobeiträge. Immer wieder fällt der Name Dunga. Immer wieder taucht er auf den Bildschirmen auf. Immer
wieder sagt er dieselben Sätze über das morgige Spiel gegen „die starken Norweger“ und
seine „neue Herausforderung“ als Trainer.
Dunga esse jetzt, heißt es. Im Anschluss habe er eine Besprechung mit Ricardo Teixeira,
dem brasilianischen Fußballpräsidenten. Ich
solle mich noch etwas gedulden. Die Chancen
stünden aber gut, dass das Interview noch am
Abend stattfinden könne.
Zwei Stunden später taucht Dunga auf. Wie
ein König steht er auf der Empore des Foyers,
hat seine Hände auf das Geländer gestützt und
beobachtet die Journalisten. Jetzt wird es
gleich losgehen, denke ich, und begebe mich
in Startposition. Doch im nächsten Moment
ist Dunga schon wieder verschwunden.
Eineinhalb Stunden später bin ich in einem
der Sessel mit Karomuster eingenickt. Ich wache auf, als mich jemand am Ärmel zieht. Vor
mir steht ein dicker Mann. Er trägt Shorts und
Mannschaftshotel
ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Free Albert“.
„Du bist der Deutsche, der auf Dunga wartet!“
Er hüpft von einem Bein auf das andere, wie
ein Schulmädchen, das einen Abzählreim
singt. „Ja. Und wer bist du?“ – „Ich bin Albert.“
– „Und auf wen wartest du, Albert?“ – „Ich bin
Fan der Seleção und werde morgen auf das
Spielfeld laufen! Das ist mein Hobby.“ Er
grinst, als wäre er bei der Pointe eines raffiniert aufgebauten Witzes angekommen. Und
er erzählt, wie er vor zwei Jahren im Endspiel
der EM in Lissabon auf den Platz lief und ins
Tornetz sprang. Für morgen wolle er sich etwas ganz Besonderes ausdenken. Ich sage ihm,
dass die Norweger sich über einen Wikingerhelm freuen würden. Albert jauchzt, hält das
für eine gute Idee. Wir reden noch etwas über
Fußball und sein Hobby, dann wünschen wir
uns Glück – ich ihm für seine morgige Aktion, er mir für das Warten auf Dunga.
Es ist nach Mitternacht, als Rodrigo Paiva
an der Rezeption auftaucht. Ich gehe zu ihm.
Doch das Gesicht des Pressesprechers verrät
nichts Gutes. Dunga sei auf sein Zimmer gegangen und habe die Tür abgeschlossen. Für
heute könne er nichts mehr machen. „Kommen Sie morgen wieder.“ Gegen zehn Uhr
nach dem Frühstück werde es klappen.
Um zwölf Uhr am nächsten Tag noch immer
keine Spur von Dunga. Doch ich habe mit Falcão sprechen können, dem großen Falcão, der
in den 80er Jahren an der Seite von Zico und
Socrates den schönsten Fußball der Welt
spielte. Heute arbeitet der 52-Jährige als Cokommentator für das brasilianische Fernsehen
und will wissen, warum Marcelinho nicht in
Berlin geblieben ist, ob Hamburg schön ist
und ob Tinga sich in Dortmund wohl fühlen
wird. Eine halbe Stunde geht das so. Ich bin
froh, mit Falcão zu reden.
Als ich mich wieder in meinen Sessel setzen
will, sitzt dort ein älterer Herr und schläft. Falcão klärt mich auf, dass das José Ramiz Wright
sei. Der brasilianische Schiedsrichter, der
Keine Spur von Dunga,
doch ich habe mit Falcão sprechen
können, dem großen Falcão
1990 das WM-Halbfinale zwischen Deutschland und England pfiff. Etwas später sitze ich
neben dem einstigen Weltschiedsrichter und
frage ihn nach seinen Erinnerungen an das
Spiel. „Rudi Woller“, sagt er, „ich erinnere
mich an seinen Schnauzbart.“ Er lacht und
zwinkert mir zu. Wir reden über die WM in
Deutschland, technische Hilfsmittel für
Schiedsrichter und Dunga.
Gegen 18 Uhr fährt die Mannschaft zum
Stadion. Dunga wolle noch immer mit mir reden, müsse sich nun aber auf das Spiel konzentrieren. Das Spiel ist langweilig. Die Norweger spielen hart, die Brasilianer schlecht.
In der 33. Spielminute kommt Albert auf den
Platz gelaufen. Er trägt einen Wikingerhelm
und rennt bis zum Mittelkreis, ehe er unter
dem Gejohle der Masse von drei Sicherheitsleuten aus dem Stadion getragen wird. Er hat
seine Mission erfüllt, denke ich und überlege,
was sie jetzt wohl mit ihm anstellen werden.
Nach 90 Minuten heißt es 1:1. Alle sind zufrieden. Dunga steht unten in den Katakomben, dort wo sich die Spieler im Vorbeigehen
mit den Journalisten treffen. „Ich bin stolz auf
mein Team“, sagt er, „Norwegen war ein starker Gegner.“ Seine Stimme klingt rau und müde. Die meisten Spieler sitzen schon wieder
hinter getönten Busfenstern, warten auf die
Rückfahrt ins Hotel. Robinho und Cicinho feixen auf der hintersten Bank. Sie trommeln mit
den Fäusten gegen die Scheibe und winken
der Journalistin, die neben mir steht. Sie deuten auf ihre Mobiltelefone. Sie versteht,
schreibt ihre Nummer auf ein Stück Papier
und drückt es an die Scheibe. Die beiden Profis von Real Madrid jubeln wie kleine Kinder.
Kurz darauf klingelt das Handy der Frau.
„Morgen Vormittag“, hatte mir Paiva noch
zugerufen, bevor sich die Tür schnurrend zuzog und der Bus davonrauschte, „morgen im
Hotel. Dunga wird Zeit für Sie haben.“
Ab neun sitze ich wieder in der Lobby. Lange passiert nichts. Dann lässt Dunga sich entschuldigen. Nur kurz noch unter die Dusche,
dann komme er, lässt er ausrichten. Ich warte, 45, 90, 120 Minuten, habe mittlerweile drei
Kaffee zu je acht Euro getrunken und frage
mich, was ich da überhaupt mache. Nach vier
Stunden kommt Dunga. Er trägt ein blaues
Hemd und eine schwarze Hose. Er begrüßt
mich wie einen gegnerischen Kapitän im Mittelkreis, ein fester Händedruck, ein bestimmender Blick. Dunga ist da. Wir setzen uns in
RUND 76
rund1006_074_077_Dunga 76
07.09.2006 22:20:58 Uhr
IM ABSEITS
Mannschaftshotel
„Deutsche geben nie auf“: Carlos Dunga vor dem Osloer Mannschaftshotel
die Sessel an den Tisch, wo ich zwei Tage zuvor eingeschlafen war. „Wir müssen zum Flughafen. Zehn Minuten“, befiehlt Paiva.
Senhor Dunga, ich möchte mit Ihnen übers
Deutsch-Sein sprechen.
CARLOS DUNGA Okay.
Wie wirken Deutsche auf Sie?
Die Deutschen sind sehr willensstark, konzentrieren sich hundertprozentig auf das, was
sie erreichen wollen, und geben nie auf.
Dann sind auch Sie ein Deutscher?
Nun, ich habe in Deutschland gearbeitet. Die
deutsche Mentalität gefällt mir, dieses Zielgerichtete. Meine Einstellung auf dem Platz
kommt der deutschen schon sehr nahe, deshalb bin ich aber noch lange kein Deutscher.
Glauben Sie, dass der deutsche Fußball den
brasilianischen beeinflusst hat?
Ich glaube, dass der europäische Einfluss auf
den brasilianischen Fußball nicht zu übersehen ist. Die meisten Nationalspieler verdienen ihr Geld in Europa, wo professioneller ge-
arbeitet wird – auch in der Bundesliga, wo
Lucio, Juan oder Gilberto spielen.
Alles Defensivspieler.
Der deutsche Einfluss auf die Defensive ist
sehr deutlich. Wir haben den Vorteil, viele
Einflüsse zu haben – aus Spanien, Italien,
Frankreich, England und Brasilien. Die Mischung ist der Stil der Seleção.
Werden Sie ergebnisorientierter spielen?
Wenn es ein Tabu ist, nicht schön zu spielen,
aber zu gewinnen, dann brechen wir es. Ich
will gewinnen – egal wie das aussieht.
Was können Sie von Klinsmann lernen?
Vieles. Zum Beispiel, dass auch wir unsere
Gegner vorher besser beobachten müssen.
Das haben die Deutschen vor der WM gut gemacht. Ich werde mich sicher noch mit Klinsmann unterhalten und über seine Erfahrungen
sprechen. Er hatte genauso wenige Vorkenntnisse als Trainer wie ich jetzt.
Paiva tippt auf seine Armbanduhr. Die zehn
Minuten sind um. „Letzte Frage, bitte!“
Ihr erster Gedanke an Deutschland?
Guido Buchwald. Er half mir, mich zurechtzufinden. Er zeigte mir, was es in Deutschland
heißt, ein Gentleman zu sein.
Dunga steht auf, hebt den Daumen: „Alles
klar?“ – „Alles klar“, sage ich und hebe den
Daumen, „vielen Dank für Ihre Zeit.“ Das Gespräch, das nie richtig in Gang kommen konnte, ist zu Ende. Weg ist er. Ich schalte das Diktiergerät aus. Es zeigt 7:54 Minuten.
Ich bleibe noch etwas sitzen, beobachte die
Menschen im Foyer. Da ist Falcão, der seinen
Flieger verpasst hat. Da sind die Journalisten,
die an ihren Laptops arbeiten. Auch Albert ist
da, der für seinen gestrigen Auftritt einige tausend Euro Strafe zahlen muss. Und auch beim
nächsten Spiel der Seleção werden sie alle wieder da sein. Ich fühle mich erleichtert, nicht
mehr länger auf Dunga warten zu müssen. Ich
verlasse das Hotel und warte auf das Taxi. Die
Frau an der Rezeption hat mir versichert, dass
es in zehn Minuten da wäre.
RUND 77
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07.09.2006 22:20:59 Uhr
IM ABSEITS
Torlos glücklich
„Ich kann
keine Tore schießen“
DEM UNTERHACHINGER ZWEITLIGAPROFI RALF BUCHER
GELANG IN ÜBER 250 SPIELEN NUR EIN TREFFER –
IN DER REGIONALLIGA. DER 34-JÄHRIGE ABWEHRSPIELER
ÜBER 15 TORLOSE SPIELZEITEN, GEFÄHRLICHE
FLUGKOPFBÄLLE UND WARUM ER ÜBERHAUPT KEINE TORE
SCHIESSEN WILL INTERVIEW MIRIAM HEIDECKER, FOTOS URBAN ZINTEL
„Ich war nie torfixiert“: Ralf Bucher
Herr Bucher, bitte erklären Sie uns, warum
Sie keine Tore schießen?
RALF BUCHER Ich bin Abwehrspieler.
Auch die machen gelegentlich Tore.
Das passiert meistens bei Ecken und Standardsituationen. Ich gehöre nicht zu denen,
die dann nach vorne gehen. Meine Stärken
liegen woanders.
Wo denn?
Im defensiven Bereich, ganz klar. Bei Standards halte ich den kopfballstärkeren Spielern, die mit nach vorne gehen, den Rücken
frei. Ich soll Konter verhindern.
Das macht Ihnen gar nichts aus?
Nein, ich habe kein Problem damit. Meine
Prioritäten liegen woanders. Die einen gucken, dass hinten nichts passiert. Die anderen
gucken, dass vorne was passiert.
Dann war Ihr bisher einziges Tor ein Unfall?
In der Situation war es so, dass sich einer unserer Stürmer zurückfallen ließ und vorne
drin keiner war. Deshalb bin ich einfach mit
in den Strafraum, und dann kam auch tatsächlich die Flanke genau auf mich.
Und dann volley rein!
Nein.
Per Flugkopfball?
Auch nicht. Ich habe ihn aus einem Meter
reingeköpft.
Und? Wie war das für Sie?
Das war schon eine neue Erfahrung für mich.
Aber ich bin schon so lange dabei – es war ein
Tor und mehr nicht. In diesem Fall das 1:0.
Am Ende haben wir 5:0 gewonnen – gegen
Borussia Neunkirchen.
Aber Herr Bucher, das war Ihr einziges Tor in
16 Jahren. Haben Sie denn nicht gejubelt?
Doch, doch, meine Freude habe ich schon
zum Ausdruck gebracht.
Sie müssen durchgedreht sein.
Ich bin eher ein nüchterner Mensch.
Wissen Sie nicht, wie man jubelt?
Ich freue mich eben genauso wie andere. Bei
meinem Tor habe ich aber nicht mit dem Trikot geworfen oder fünf Ehrenrunden gedreht.
Die Kollegen sind zu mir gekommen, wir haben uns kurz umarmt und abgeklatscht. Dann
ging’s weiter.
Träumen Sie manchmal davon, wieder zu
treffen?
Nein.
Nie?
Nein, ich war nie torfixiert. Ansonsten wäre ich Stürmer geworden.
Dann träumen Sie von gewonnenen Zweikämpfen.
Nein.
Und wenn Sie einen Wunsch frei hätten …
… dann würde ich mir ganz sicher kein Tor
wünschen. Das wäre Verschwendung.
Ich wollte schon immer mal ein
Flugkopfballtor machen.
Das ist eher nichts für mich. Davon geht die
Schulter kaputt.
Wünschen Sie sich nie
denselben Applaus, den ein
Stürmer bekommt?
Die meisten Leute im Stadion kennen mich und wissen
meine Arbeit zu schätzen. Ich
komme mir nicht vernachlässigt vor. Die Abwehrarbeit
hat mich schon immer faszi- Aber der war drin!
niert. Ich bin eher der Ruhige, der strategisch denkt. Vorne spielen die
kreativen Köpfe, die eher aus dem Bauch heraus handeln. Man wächst halt in seine Position hinein. Und ich muss das spielen, was ich
kann – und ich kann keine Tore schießen.
Aber Sie würden gerne noch mal.
Wenn Sie so fragen: Ja. Aber es ist kein Muss.
Wenn es passiert, ist es gut. Aber wenn ich vor
dem Tor stehe und mein Nebenmann besser
steht, würde ich den Ball auch ohne Zögern
quer spielen.
Angenommen Sie treffen diese Saison –
schmeißen Sie dann eine Party?
Bei einem Siegtreffer in der 90. Minute.
Wie würden Sie dann jubeln?
Darüber habe ich mir noch keine Gedanken
gemacht. Die Wahrscheinlichkeit ist auch relativ gering. Aber inszenierten Torjubel halte
ich für überflüssig. So neumodischer Kram ist
nichts für mich, das sollen die jungen Burschen machen. Man soll die Kirche im Dorf
lassen: Ein Tor ist ein Tor, und mehr nicht!
RUND 78
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07.09.2006 17:36:02 Uhr
IM ABSEITS
Fußballmafia
MORD AUS
RACHE
„Ich weiß, wer meine Konkurrenten sind“: Fabrice Noël im Teamhotel
RUND 80
rund1006_080_083_PortraetNoel 80
07.09.2006 17:39:04 Uhr
IM ABSEITS
Weil er den Verein nicht wechseln
wollte, wurden zwei seiner Brüder
erschossen. FABRICE NOËL musste
seine Heimat verlassen. Heute spielt
der Haitianer als Profi in den USA
VON STEPHAN MUELLER, FOTOS BRIAN KENNEDY
Es kommt vor, dass Fußballspieler in der Kabine weinen. Meist aus
Enttäuschung nach einem verlorenen Spiel. Fabrice Noël, Stürmer bei
den Colorado Rapids in der US-amerikanischen Major League Soccer
weint oft vor dem Spiel. Der 21-Jährige stammt aus Haiti und hat seine Familie seit vier Jahren nicht mehr gesehen. Er hofft, eines Tages
genug Geld als Profi zu verdienen, um seine Mutter, seinen Vater und
seinen kleinen Bruder in die USA holen zu können.
„Ich fühle mich immer noch fremd in den USA. Aber es wird von
Jahr zu Jahr besser. Es fällt mir schwer zu akzeptieren, dass zwei meiner Brüder tot sind und ich sie nie wiedersehe.“ Noël ist überzeugt,
dass seine Brüder ermordet wurden, weil er sich weigerte, zu einem
anderen Team in der haitianischen Liga zu wechseln.
Am 16. November 2002 dringen drei maskierte, bewaffnete Männer
in das Haus seiner Familie ein und ermorden Noëls Brüder Luckner,
der damals 26 Jahre alt war, und Kenson, 25. Seinen kleinen Bruder
Jackson lassen sie am Leben – aber nur, damit er Noël eine Nachricht
überbringen kann: „Wir werden dich finden und töten“, soll der 13Jährige ausrichten. Wenn Noël von diesem dunkelsten Tag seines Leben berichtet, blickt er zu Boden. Vielleicht weil er sich der Tränen in
seinen Augen schämt.
In einem Land, in dem Gesetzlosigkeit an der Tagesordnung ist, wird
wohl nie eindeutig zu klären sein, welches Motiv die Mörder hatten.
Noël ist sich sicher: „Auf Geld oder Wertsachen hatten die es bestimmt
nicht abgesehen, bei uns zu Hause gab es nichts zu holen. Mein Vater
arbeitet als Zimmermann, und meine Mutter verkauft T-Shirts am
Strand.“ Zusammen kommen sie auf einen Monatsverdienst von umgerechnet 30 Euro. „Nein, ich bin überzeugt, dass die das aus Rache
getan haben, weil ich nicht zu ihrem Verein wechseln wollte.“
Als Fabrice Noël 2003 politisches Asyl in den USA beantragt, beschreibt er im Antragsformular seine Geschichte so: „Ich war ein Star
und habe die meisten Tore geschossen. Politische Parteien wollten
mich auf ihrer Seite, weil es gut für ihre politischen Ziele war.“ Denn
in Haiti hat laut Noël jede politische Partei ihr Team und will es um
jeden Preis gewinnen sehen.
Schon mit zwölf spielt Noël in der U15 Haitis, mit 14 wird er der
jüngste Spieler von Racing Club Haïtien. Im Jahr 2000 schießt er mit
seiner U20 beim Dana Cup in Dänemark in acht Spielen 17 Tore und
wird zum besten Spieler des Turniers gewählt. Scouts aus Belgien,
Fußballmafia
Frankreich und anderen europäischen Ligen werden auf ihn aufmerksam. „Jeder in meiner Stadt kannte mich, und es dauerte nicht lange,
da kannte man meinen Namen im ganzen Land“, sagt Noël stolz. Der
Staatspräsident Haitis, René Préval, traf sich mit ihm, denn es ist immer gut für Politiker, sich mit einem von den Massen verehrten Fußballstar zu zeigen. „Er fragte mich: ‚Was kann ich für Dich tun?‘“ Noël
bittet um einen Job für seine beiden Brüder. Kurze Zeit später bekommen die beiden dann auch eine Anstellung im Bürgermeisteramt von
Gressier, dem Heimatort der Noëls.
Seine Qualitäten wecken Begehrlichkeiten bei anderen Teams der
Liga. Als er es ablehnt, zum Ligakonkurrenten Violette AC zu wechseln, erhält er Morddrohungen. Eine ernst zu nehmende Sache im
einem Land, in dem schon mal das Haus eines Fußballers in Flammen
aufgeht, nur um ihn vor einem wichtigen Spiel zu demoralisieren. Seine Mannschaftskameraden bringen Noël daraufhin an einen geheimen
Ort, seine Mutter Marie Myrlene macht sich ernsthaft Sorgen um ihn.
Doch niemand ahnt, in welch großer Gefahr seine Familie ist.
Nach den Morden an seinen Brüdern ist Noëls erster Gedanke, einfach mit dem Fußball aufzuhören. Dann wäre er ein Niemand, und
sie würden ihm nichts tun. In seinem Kopf stellt er sich tausendmal
die gleiche Frage: Warum habe ich denn nicht einfach den Verein gewechselt? Aber Noël weiß, dass er durch nichts seine Brüder wieder
lebendig machen kann.
Schon als Sechsjährigem war dem Jungen klar, dass er durch den
Fußball seine Armut und ein Leben voller Gefahr und Gewalt hinter
sich lassen kann. Heute hat er eine Anwältin, die ihm mit Reisepässen und Visa für seine Familie hilft. Noël hofft, dass die US-Behörden
nicht nur ihm, sondern auch seiner Familie politisches Asyl gewähren. Anders als in Europa, wo fußballerische Ausnahmetalente schon
mal im Schnelldurchlauf bürokratische Hürden überspringen, liegt
die Akte von Fabrice Noël bei den Einwanderungsbehörden im Land
des Baseballs und Footballs auf dem gleichen Stapel mit Tausenden
von anderen Schicksalen politischer Flüchtlinge aus aller Welt.
Seine Familie in Haiti muss sich unterdessen weiterhin verstecken.
Sie vermeiden es, auf die Straße zu gehen, aus Angst, jemand könnte
sie erkennen. Jemand, der zu der gleichen Gruppe von Leuten gehört,
die seine Brüder ermordeten. Die maskierten Männer, von denen bis
heute keiner weiß, wer sie sind. Von seinem Privatleben zu erzählen,
fällt Noël schwer. Er redet leise, stockt beim Sprechen, und seine Antworten klingen so, als ob er sie in seinem Kopf vom Kreolischen, seiner Muttersprache, ins Englische übersetzt.
Während seiner Highschool-Zeit in den USA arbeitet Noël nebenher in Restaurants. Er kehrt Fußböden und räumt Tische ab. Mit dem
Verdienst kauft er säckeweise Bohnen und Reis, die er seiner Familie
schickt. Einmal reicht das Geld sogar für einen echten Fußball für seinen Bruder. Zu seinem ersten Highschool-Match erscheint Noël in
hellbraunen Slippers – die hässlichen braunen Schuhe sehen seine
Gegenspieler meist nur von hinten. In zwei Spielzeiten schoss er 93
Tore. 2005 wurde er zu Floridas Fußballer des Jahres gewählt. Sein damaliger Highschool-Trainer Adam Spangenthal aus Palm Beach Lakes
erinnert sich: „Ich habe seit 30 Jahren mit Fußball zu tun. Einen wie
RUND 81
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07.09.2006 17:39:09 Uhr
IM ABSEITS
Fabrice telefoniert mit seinen Eltern von einem
geheimen Ort aus. Aus Sicherheitsgründen hat
er ihre Nummer nicht im Handy gespeichert
Fabrice habe ich noch nie gesehen. Er ist mit Ball genauso schnell wie
ohne, und er hat so viele Tricks und Bewegungen drauf, dass ich mich
manchmal frage, ob er aus Gummi ist.“
Fabrice Noëls aktueller Vertrag mit den Colorado Rapids ist nicht besonders lukrativ. Er verdient etwa 1300 Euro im Monat. Zum Star in
der amerikanischen Liga MLS ist es für den talentierten Noël noch ein
weiter Weg. „Er hat außergewöhnliche Fähigkeiten und gute Ideen am
Ball. Keine Frage, er ist was Besonderes. Aber es braucht Zeit, um sein
Talent zu entwickeln“, sagt Rapids Assistenztrainer Steve Trittschuh.
„Ich muss jeden Tag engagiert arbeiten“, sagt Noël, „ich weiß, wer meine Konkurrenten sind. Ich habe Respekt vor ihnen, aber keine Angst.“
Fußballmafia
Wenn er vom Fußball redet, strotzt Noël vor Selbstbewusstsein. E r
benutzt die passenden Vokabeln, seine Sätze kommen fehlerfrei, seine Stimme klingt entschlossen. Mit 21 Jahren ist er der zweitjüngste
in einem Profikader von 27 Spielern. Noël hat ein klares Ziel vor Augen: „Ich will meiner Familie helfen, indem ich gut spiele.“
In seinem Handy hat Noël die Nummer seiner Freunde gespeichert.
Die Nummer seiner Eltern ist nicht dabei. „Ich muss vorsichtig sein,
wenn ich mit meinen Eltern telefoniere.“ Aus Sicherheitsgründen
spricht er mit ihnen von einem geheimen Ort mit ständig wechselnden Telefonnummern. Noëls Augen leuchten, wenn er von den Telefonaten berichtet. Er sehnt die Gespräche herbei, vor allem die mit
seiner Mutter. „Sie hat mir das Fußballspielen beigebracht und mir
die ersten Tricks gezeigt. Und sie hat mir immer gesagt, wie gut ich
bin.“ Auch sein Verein, die Colorado Rapids, hilft Noël und gründet
den „Fabrice-Noël-Hilfsfonds“ mit dem Ziel, die Familie schnellstmöglich wieder zu vereinen. Er träumt von dem Tag, an dem er seine Familie einmal wieder sehen wird: „Wir werden dann die ganze Nacht wach
bleiben und reden. Und uns umarmen.“ Und trotz allem, was er wegen
seiner Begabung als Fußballer durchgemacht hat, sagt Noël: „Fußball
macht mich glücklich.“
„Fußball macht mich glücklich“: Noël im Kreise seiner Teamkollegen
RUND 82
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07.09.2006 17:39:10 Uhr
IM ABSEITS
Lexikon
COCER
UN GOL
BAILAR CON
LA MAS FEA
LEPKE
PONER UN
AUTOBUS
FOLHA SECA
TIKI-TAKA
DÉCROCHER
LA TOILE
D‘ARAIGNÉE
TIKI-TAKA-LAND
PARTIDO
CON GAFAS
Wie heißen Fliegenfänger in Ungarn?
Das erste RUND-WÖRTERBUCH gibt die Antwort
Die Fernsehzuschauer in Spanien konnten die Geburtsstunde eines
neuen Fußballbegriffs erleben. „Sie spielen Tiki-Taka“, begeisterte sich
ein Fernsehkommentator während der WM für das Spiel der Argentinier, die sich den Ball mit nur einem Kontakt hin- und herpassten.
Woher kommt der Ausdruck? Es hat nichts mit einem peruanischen
See zu tun, sondern mit einem Spiel, bei dem man zwei an Schnüren
befestigte Kugeln gegeneinander prallen lässt. Ob sich der Begriff
durchsetzt, wird sich zeigen. Immerhin: Tiki-Taka klingt schön, man
hört das Klacken der Kugeln, und eine gewisse Logik steckt schließlich auch dahinter. Zu Recht vergessen ist dagegen die Bezeichnung
„Rambazamba spielen“, die von den Poeten der „Bild“-Zeitung für das
inspirierte Spiel der deutschen Nationalelf zu Beginn der 70er Jahre
geprägt wurde, weil sie kein Bild entstehen lässt und heute nach einem
spießigen Samba klingt.
Jede Sprache hat ihre eigenen Fußballausdrücke geprägt. Manche
liegen auf der Hand und sind in vielen Sprachen durchaus ähnlich,
andere sind einmalig – und gerade deshalb besonders originell. Wie
ein trockenes Blatt vom Baum fällt der Ball ins Tor, ohne dass der Keeper eingreifen könnte. „Folha seca“ (Trockenes Blatt) nennen die Brasilianer das, was im Deutschen prosaisch „Senker“ genannt wird. In
Brasilien wird der geniale Didi als Urheber dieses Kunstschusses gefeiert. In Frankreich hat man es „feuille morte“ (totes Blatt) getauft,
wenn Mittelfeldikone Michel Platini einen Freistoß über den gegnerischen Torwart versenkte.
Besonders kreativ sind die spanischen Fans, wenn es um bildhafte
Ausdrücke geht. Ein torloses Remis gilt wegen der doppelten Null als
„partido con gafas“ (Spiel mit Brille). Wenn ein Team sich mit elf Spielern hinten reinstellt, also Beton anrührt, steigt es in Spanien in den
Bus, der vor dem Tor geparkt wird: „Poner un autobus“ (einen Bus hinstellen). Klingt doch nicht so abgenutzt wie der Schweizer Riegel oder
der italienische catenaccio. Je mehr man darüber nachdenkt, desto
seltsamer erscheinen einige Ausdrücke, an die wir uns hier zu Lande
gewöhnt haben. Der Fliegenfänger, die Arschkarte und die Gurkentruppe sorgten in der wörtlichen Übersetzung bei ausländischen Kollegen für Erheiterung, weil sich jeder Fußballinteressierte etwas darunter vorstellen kann. MATTHIAS GREULICH, ILLUSTRATION SONJA KÖRDEL
WÖRTERBUCH
UNGARISCH:
SPANISCH:
Lepke (Schmetterling) Torwartfehler, vulgo: Fliegenfänger
Ir a por uvas (zu den Trauben gehen) verunglückter Abstoß des Keepers
Bailar con la mas fea (mit der Hässlichsten tanzen) wenn man bei einer Auslosung
die stärkste Mannschaft als Gegner zugelost bekommt
Cocer un gol (ein Tor kochen) ein Tor mit Überlegung herausspielen
Clavar el aliento en la nuca (den Atem auf den Nacken nageln) Manndeckung
FRANZÖSISCH: Mayonnaise (Majonäse) Bezeichnung für einen Spieler, der zuviel dribbelt
Marquer à la culotte (die Unterhose decken) enge Manndeckung
Décrocher la toile d‘araignée (das Spinnennetz herunterholen) ins Tor treffen
Avaler la feuille de match (das Blatt des Spiels verschlucken) das Spiel aus der
Hand geben
Le grand pont (große Brücke) den Ball auf der einen Seite vorbeilegen und auf der
anderen Seite herumlaufen, um ihn zu wieder aufzunehmen
Corea (Korea) seitdem Italien bei der WM 1966 an Nordkorea scheiterte, gilt Korea als
ITALIENISCH:
Synonym für eine katastrophale Niederlage
Zona Cesarini (Cesarini-Zone, benannt nach Renato Cesarini, der 1931 ein sehr spätes
Siegtor gegen Ungarn schoss) Nachspielzeit
TSCHECHISCH: Bundesliga (Bundesliga) Vokuhila-Frisur
Moses (Moses, wie er das Rote Meer in der Bibel teilt) zwischen zwei Verteidigern
DÄNISCH:
hindurch in den Strafraum dribbeln
PORTUGIESISCH: Drible da vaca (Kuh-Dribbling) den Ball auf der einen Seite vorbeilegen und auf der
anderen Seite herumlaufen, um ihn zu wiederaufzunehmen
Embaixadinhas (kleine Botschaften, vermutlich von baixar, fallen lassen), den Ball
hoch halten
Kuvalisha kanzu (eine lange Priesterrobe tragen) den Ball über den Gegner lupfen
SWAHILI:
und auf der anderen Seite wieder aufnehmen
RUND 83
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07.09.2006 17:39:13 Uhr
IM ABSEITS Weltklasse
NEUES & SKURRILES
ausaus
der der
ganzen
runden
ganzen
runWeltWelt
des des
Fußballs
FussWarum saufen Brasilianer in Polen? „Aus
Langeweile“, sagt Arbeitspsychologin Joanna
Heidtmann, die schon mit Fußballern von
Legia Warschau gearbeitet hat. Dort haben
nun die saufenden Brasilianer das Training
ausgesetzt, um gegen ihre eigene Disziplinierung zu protestieren. „Diese Fußballer sind
bekannt dafür, dass sie trinken, Dummheiten
machen oder in Diskotheken abhängen“ – oder
an der Tankstelle, wo jetzt einige brasilianische
Kicker beim Wodkakauf erwischt wurden.
Darunter Elton Brandão, dem schon nach drei
Spielen für Legia der Führerschein abgenommen wurde, weil er angetrunken Auto fuhr.
Vor ein paar Jahren lachte das ganze Land
bereits über Moussa Yahaya, einen Legia-Spieler aus Nigeria, der vollstramm vor laufenden
Kameras durchs Zentrum von Krakau eierte.
Nach der Affäre sollte alles gut werden
mit den saufenden Ausländern. Nun hat sich
der polnische Meister selbstbewusst verstärkt
und seit der neuen Saison die vierköpfige
VON WEGEN CAIPIRINHA
LEGIA WARSCHAU hat vier Brasilianer verpflichtet.
Doch anstatt anständig zu spielen, macht das Quartett
die Kneipen und Tankstellen der Hauptstadt unsicher
OPERATION ANGUILLA
Die Berechnung der Weltrangliste ist vereinfacht
worden, aber ihre kleinen Geheimnisse hat sie
weiterhin. Warum rutscht Anguilla um elf Plätze
nach oben, wenn der letzte Sieg fünf Jahre zurückliegt? Überhaupt: Was ist überhaupt Anguilla?
Die Bewohner in Bad Neustadt wissen es: Anguilla
ist ein nicht-autonomes britisches Überseegebiet
in der Karibik, 13.000 Einwohner. Der Kurdirektor
hatte die Mannschaft zur WM eingeladen, weil
sie in der Weltrangliste ganz unten stand. Aber in
Wirklichkeit steckt bestimmt Sepp Blatter dahinter.
Der wollte verhindern, dass wieder ein Regisseur
die schlechtesten Nationalteams der Welt zusammenbringt, um daraus einen Dokumentarfilm
à la „The Other Final“ zu machen. Und damit
Anguilla bei so etwas nicht mitmachen kann, hat er
nach Feierabend ein wenig am Weltranglistenrechner getrickst. Tja, so wird es gewesen sein.
Platz
192
193
194
195
195
197
Staat
Philippinen
Bahamas
Anguilla
Cookinseln
Luxemburg
Belize
+/–
+/–0
+/–0
+11
–1
–1
–1
„brasilianische Feiertruppe“, wie die Warschauer sie nennen, auf dem Platz. Und täglich
kursieren neue Kneipenbilder von den Jungs im
Internet. Na Zdrowie! OLAF SUNDERMEYER
THOMAS DERRUDA
RUND 84
rund1006_084_085_Weltklasse 84
07.09.2006 13:57:30 Uhr
IM ABSEITS Weltklasse
„BRAUCHEN
SIE EINEN
TRAINER?“
Chelseas Coach JOSÉ MOURINHO bessert mit
einem Gastauftritt in einem norwegischen Film
eher sein Image als sein Gehalt auf
Wer zwar gut aussieht, aber als arrogant gilt, hat, so nennen das Werbeleute,
ein lösbares Imageproblem. So ein Typ steckt quasi in der Mourinho-Falle: Der
Cheftrainer des FC Chelsea gilt nämlich nicht unbedingt als freundlich
oder hilfsbereit. Also dient er sich jetzt an. Der norwegische Regisseur Harald Zwart hat die Komödie „Lange flate ballær“ („Lange flache Bälle“) gedreht, in der sechs Männer zum WM-Finale
nach Berlin reisen. Ihr Chef, ein Gebrauchtwagenhändler und
Präsident des Fredrikstad FK, will nämlich seinen Sohn treffen,
einen deutschen Nationalspieler; den holt er sogar nach Fredrikstad. Als José Mourinho anruft, um das Talent für Chelsea
zu verpflichten, bekommt er einen Korb. Mourinho gefällt die
barsche Antwort: Da will er auch arbeiten. So funktioniert Imagewandel in Norwegen. MARTIN KRAUSS, FOTO PIXATHLON
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Wer künftig nichts
ahnend das Büro von Sir Alex
Ferguson betritt, könnte annehmen,
dass der ManU-Trainer einen Branchenwechsel plant. Seine Arbeitsräume erinnern stark an
die Geschäftszentrale eines Autoteilehändlers: Gäste werden statt aufs Sofa auf Autositze gebeten, Schaltknüppel dienen als Garderobenhaken, in die Wand eingelassene Rückspiegel ermöglichen, jederzeit den Überblick
zu behalten. Das neue Interieur entspringt übrigens Fergusons Wunsch, der Verbundenheit mit dem Sponsor Audi
Ausdruck zu verleihen. Der Designer ist sicher, dass das
Ergebnis „einen neuen Trend unter Vereinsbossen auslösen wird“. Aber was machen dann Klubs mit einem
Joghurthersteller als Sponsor? ELKE WITTICH,
FOTO PIXATHLON
Vorsprung durch Technik:
Alex Ferguson hat sich sein Büro
mit Autoteilen dekorieren lassen
„Weltmeister ist, gottlob, Argentinien“ titelte nach dem WM-Finale 1986 eine Schweizer Zeitung und brachte die global vorherrschenden Sympathien perfekt auf den Punkt. Abgesehen von 80
Da sag
age noch einer, die Bundeslig
iga sei in Asien nicht ppräsent genug:
ug Millionen Deutschen und einem Inder. Der heißt Jaideep Gandhi,
Die Bayern
y haben einen Fanklub in Mumbai ist Gastronom in Mumbai und war von der holprigen deutschen
WM-Performance so angetan, dass er einen Fanklub des FC Bayern München gründete. Sein Name: FC Bayern Mümbai. Da
sage noch einer, die Bundesliga wäre in Asien nicht präsent genug. 60 Häupter zählt der Fanklub, 1000 Bayern-Fans soll es in
ganz Indien geben. „2003 hat der Verein uns sogar offiziell anerkannt“, schreibt Gandhi stolz aus dem ehemaligen Bombay.
Nur mit dem seitdem geplanten Bayern-Café hat es bisher nicht geklappt. Vielleicht hat ja die WM 2006 nachgeholfen. Bei der
haben die Deutschen weltweit sicher mehr Sympathiepunkte gemacht als 20 Jahre zuvor in Argentinien. MALTE OBERSCHELP
RUND 85
rund1006_084_085_Weltklasse 85
07.09.2006 13:57:47 Uhr
IM ABSEITS
Rasenkavalier
ROTZFRECH UND SENTIMENTAL ZUGLEICH: PLATZWART HEINZ RÖMER AUF SEINER TRIBÜNE
KÖNIGSBLAUE AUGEN
Die Glückaufkampfbahn in Gelsenkirchen, heiliger Grund des Ruhrgebietsfußballs.
Früher pflügte hier der legendäre Schalker Kreisel den Rasen um, heute finden
hier nur noch Jugendspiele statt. Der PLATZWART ist Heinz Römer, der Mann, der seit
33 Jahren in der alten Haupttribüne wohnt VON FRANK GOOSEN, FOTOS PHILIPP WENTE
RUND 86
rund1006_086_087_Platzwart 86
07.09.2006 22:05:07 Uhr
IM ABSEITS
Steigt man die Stufen zur noch erhaltenen Haupttribüne der Glückaufkampfbahn in Gelsenkirchen hoch, sieht man auf dem Absatz plötzlich einen Stuhl stehen, Marke Gelsenkirchener Barock, die Lehne
oben geschwungen, das Sitzpolster abgenutzt. Gleich daneben, man
droht achtlos daran vorbeizugehen, steht eine Tür offen, bewacht nur
von zwei billigen Plastikschlappen. Ein kurzer Blick hinein, und man
spielt mit dem Gedanken, einen Termin beim Augenarzt zu machen:
an der Wand eine Keramikarbeit mit hervorspringenden Blumenintarsien, rechts, unter der Tribünenschräge, ein Kühlschrank, von links
das vertraute Geräusch, das Frikadellen machen, wenn sie im siedenden Fett einer alten, gusseisernen Pfanne gewendet werden. Geradeaus aber die eigentliche Sensation: ein kunstlederner Sessel, darin ein alter Herr in Trainingshose und Unterhemd, das weiße Haar
ordentlich mit Brisk an den Kopf gelegt, ein Bein baumelt über der
Lehne. Wer so weit gekommen ist, steht vor Heinz Römer, dem Mann,
der in der Tribüne der Glückaufkampfbahn wohnt.
Offiziell ist Heinz Römer Platzwart in den Überresten des Schalker
Fußballtempels, in dem heute nur noch Jugendspiele stattfinden. Tatsächlich ist Heinz Römer viel mehr: eine Gelsenkirchener Legende
aus einer Zeit, in der nicht alles besser war, aber doch irgendwie schöner, jedenfalls im Rückblick. Seine Augen sind, man wagt es kaum zu
sagen, fast königsblau. Geboren 1929 in Danzig kam er über ein paar
Umwege 1958 nach Gelsenkirchen, wo er 1970 Platzwart der Glückaufkampfbahn wurde und drei Jahre später die dazugehörige Wohnung in der alten Haupttribüne übernahm.
Der Kühlschrank steht auf der Diele, weil er genau unter die Tribünenschräge passt und in der winzigen Küche, wo Römers Gattin morgens schon die Frikadellen brät, die den Tag über vertilgt werden, keinen Platz mehr gefunden hätte. Das Wohnzimmer verfügt neben einer
stilecht dunkelbraunen Kunstledersitzgarnitur über ein Ensemble modernster Unterhaltungselektronik: Satellitenfernsehen, Flachbildschirm, DVD-Rekorder. Heinz Römer ist kein Mann von gestern.
Frau Römer steht neben dem Sessel ihres Mannes wie eine Herzogin auf den Bildern von Lord Snowdon. Früher hat sie in den vier riesigen Waschmaschinen in den Katakomben des betagten Stadions die
Trikots, Hosen und Stutzen der Schalke-Spieler gewaschen und zum
Trocknen aufgehängt. Heute hält eine ihrer Töchter eben diese Kellergewölbe sauber – eine Familie für Schalke.
In den 70ern sieht man Heinz Römer auf den Mannschaftsfotos der
Schalker als Betreuer. Neben den Kremers-Zwillingen, Fichtel, Rüssmann, Lütkebohmert mit ihren zeittypischen voluminösen Haarhelmen. Die haben alle bei ihm am Küchentisch gesessen und Frikadellen verdrückt. Heinz Römer kennt all die Geschichten, die wir so
gerne hören wollen: wie sie sich danebenbenommen haben, die Stars,
wie nett sie sein konnten und wie sie sich ausgeheult haben. Aber Römer hält dicht. Will nicht einmal bestätigen, dass er den Klaus Fischer
mal beim Rauchen erwischt hat: „Dazu sarich nix!“ Dreißig Jahre sind
kein Grund, illoyal zu werden.
Hier auf dem Foto ist der Max Merkel zu sehen. „Ou, über den lass
ich nix kommen!“ Der hat doch manchmal ganz schön auf den Putz
Rasenkavalier
gehauen, oder? „Ich sach nix. Aber einmal, da hattenwa sonn Mannschaftstreffen im Vereinslokal, und die Zwillinge kamen zehn Minuten zu spät. Ich dachte, die Kneipe fliecht aussenander!“ Auf die Frage, ob denn zu den Jungs von früher noch Kontakt bestehe, nickt der
Mann im Unterhemd: „Abba sicher! Die kommen hier immer wieder
vorbei. Die Zwillinge, den Rolli, den Klaus Fischer. Sitzen dann hier
inne Küche auffen Kaffee.“ Und der Assauer? „Der auch, du, mit seine
dicken Zigarre!“ Da kann der Schalker Exmanager im Fernsehen noch
so sehr den Harten geben, hier vor Ort hat er Tränen in den Augen.
So sind sie hier in der Gegend: rotzfrech und sentimental zugleich.
Aus dieser Wohnung in der Haupttribüne der alten Glückaufkampfbahn kriegt Heinz Römer niemand raus. Nicht einmal die Weltmeisterschaft. Im Vorfeld hatte ihm die Stadt Gelsenkirchen, die hier zwischen dem Eröffnungsspiel und Finale ein großes Public Viewing nebst
internationalen Topkonzerten veranstaltete, alles Mögliche angeboten, wenn er nur für die vier Wochen seine Behausung räume, vom
Hotel bis zum Urlaub irgendwo, wo kein Fußball gespielt wurde. Aber
Heinz Römer blieb hart: „Ich bleib hier und mach Würstchen!“ – „Für
20.000 Leute?“ – „Kein Problem!“
Das hat dann doch nicht hingehauen, wegen gültiger Verpflegungsverträge, aber die gesamten vier Wochen des Turniers hat sich Heinz
Römer aus dem Stadion nicht wegbewegt. Und während über seinem
Kopf die Fans zu den Erfolgen der deutschen Mannschaft auf und ab
hüpften oder die Simple Minds mit einer 40.000-Watt-Anlage die halbe Stadt beschallten, saß Heinz Römer vor seinem Flachbildschirm,
das Bein über der Lehne, und guckte ProSieben. Nicht etwa Fußball.
Übrigens: In der Arena auf Schalke ist er bislang noch nicht gewesen: „Samstach habbich doch Spiele! Und der Platz geht vor!“ Ist wahrscheinlich auch zu weit weg.
LEBEN IN DER TRIBÜNE: RÖMERS IN DER KÜCHE
RUND 87
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07.09.2006 22:05:11 Uhr
IM ABSEITS
TV-Junkies
FUSSBALLER MÜSSEN INS ECKIGE
Wahre Showgrößen wie der jüngst verstorbene Rudi Carrell wussten es genau: Wenn Fußballer aus freien
Stücken vor die Kameras treten, kommt viel mehr als nur ein „Ich sag mal“ heraus. In vielen Shows haben die
Spieler bewiesen, dass sie als TV-Stars absolute Weltklasse verkörpern. Die Spielerinnen der Frauennationalmannschaft bändigten glitschige Seelöwen in der Manege, ein hellwacher Christoph Daum war einer
der besten „Dalli Dalli“-Kandidaten aller Zeiten und noch nie redete ein Ehepaar so offen über das schwer
erträgliche Schweigen in Beziehungen wie die damaligen Zimmerkollegen des FC Bayern: Uli Hoeneß und
Paul Breitner im Doppelbett. Und es gibt noch mehr Szenen, an die wir uns gerne erinnern. RUND hat in den
Archiven gewühlt und die besten FERNSEHAUFTRITTE der vergangenen Jahre herausgesucht
FOTOS BENNE OCHS, CINETEXT, ACTION PRESS, PIXATHLON, PETER BISCHOFF, BERND SETTNIK, HORST OSSINGER, POHLERT, RTL
Mit seiner Nummer „Mama Calypso“ verwandelte Jimmy
Hartwig Meisterfeiern des Hamburger SV in ein
Disco-Inferno. Als der schmerzfreie Exprofi für
„Ich bin ein Star – holt mich hier
raus!“ mit Naddel im Dschungelcamp verschwand, musste
allerdings nicht nur
er würgen
Ganz
großer
Auftritt in der
ZDF-Sendung „Disco
76“. Berti Vogts und Ilja Richter schockten 1976 mit einem grenzdebilen Duett das Publikum mit schrägem
Gesang. Ilja: „Du singst wunderbar.“ Berti: „Als
Spitzensportler – na klar“
RUND 88
rund1006_088_091_TV 88
08.09.2006 0:12:07 Uhr
IM ABSEITS
TV-Junkies
Das
wäre
ihr Preis
gewesen.
Jungstar KarlHeinz Rummenigge entdeckte in Rudi
Carrells Samstagabenderfolgsshow „Am laufenden
Band“ seine weibliche
Seite. Der Holländer
steckte 1976 auch
Sepp Maier in
Frauenkleider
Das
Brusthaar ist echt,
die Beziehungsprobleme auch. „Wir haben uns nichts mehr zu sagen“, so
Paul Breitner 1979 in einer Sendung
über Bundesligaprofis über seinen schwierigen
Zimmerpartner Uli Hoeneß vom FC Bayern
Rod Stewart und Tina Turner hatten mit ihrem Duett „It
Takes Two“ eigentlich schon genug Schaden angerichtet, da legten Toni Schumacher und Sepp
Maier nach. Für seine „Prominenten
Playback Show“ bei RTL überredete Altmeister Carrell die
Nationalkeeper
zum Auftritt
Männchen
machen für eine
Weltmeisterin. Nationaltorhüterin Silke Rottenberg bei
der Seelöwennummer von „Stars in
der Manege“, Nia Künzer, Birgit Prinz und
Petra Duss waren im Circus Krone ebenfalls dabei
RUND 89
rund1006_088_091_TV 89
08.09.2006 0:12:09 Uhr
IM ABSEITS
TV-Junkies
Der Revoluzzer und der CDU-Sympathisant. Hans
Rosenthal lud sich gerne Fußballer in seine Sendungen ein. 1984 schmunzelte Paul Breitner
bei „Musik macht Spaß“. Das damalige
HSV-Führungsteam Rudi Gutendorf und Peter Nogly
flog aber bei „Dalli
Dalli“ früh
raus
Wum
und Wendelin trauten ihren Ohren nicht, Wim
Thoelke schunkelt mit. Ein
völlig entfesselter Michael Schanze
stellt den gemeinsam mit der Nationalelf
eingespielten WM-Song „Olé España“ vor
Der
Chefsessel ist
breit, der
Geldkoffer verschwunden. Nach
seinem Abgang von
Bayer Leverkusen quält
Reiner Calmund als „Big
Boss“ zwölf Kandidaten
mit seinen barocken
Vorstellungen
vom modernen
Management
“Hund,
Katze,
Maus“,
Moderator Jörg
Dahlmann und
Christoph Daum als
Gäste bei „Dalli Dalli“.
Auf die Frage: „Was soll ein
Papagei lernen?“ rasselte Dahlmann das Alphabet herunter,
Daum assistierte mit
Tiernamen
RUND-WERTUNG
Große Unterhaltung
Vorabendserie
ZDF-Fernsehgarten
Nachtprogramm
RUND 90
rund1006_088_091_TV 90
08.09.2006 0:12:13 Uhr
IM ABSEITS
TV-Junkies
Als
beim
Superstar das
Glas noch halb
leer war. In der
argentinischen TVShow „Dominico“
erzählt Diego Maradona
von seinen Drogenproblemen. Mittlerweile hat
der schlanke Diego
seine eigene
Sendung „El
noche del
10“
Das Trash-TV machte auch vor der Kabine nicht halt. Sonya Kraus hatte Sven Beukert und Rony Nikol zu einer „unvergesslichen Trainingseinheit in Sachen Erotik“ gebeten. Die völlig verstört
wirkenden Profis von Union Berlin verloren deshalb 2001
das Pokalfinale gegen Schalke
Haben Sie
da noch etwas
Luft? In einem
Schuhgeschäft im feinen
Hamburg-Pöseldorf passte der damalige HSV-Manager Günter Netzer die
Schuhe der Kundschaft an – sein Einsatz einer
1983 verlorenen Saalwette bei „Wetten, dass ...?“
Das
Haar
weht im
Wind, und
Dieter Kürten
lässt sich auch
vom Schiedsrichter
nicht vom Platz vertreiben. Bei einer Live-Schaltung für „heute“ wäre
der psalmende ZDFModerator 1995
beinahe umgegrätscht
worden
RUND 91
rund1006_088_091_TV 91
08.09.2006 0:12:17 Uhr
RUND
Spielkultur
SPIELKULTUR
KÜNSTLERISCH VERSPIELT UNTERHALTEND
„Eigentlich hat auch die Bundesliga ihren Roger Federer. Er heißt eben
FC Bayern München“ NICOLAS KIEFER
94 INTERVIEW
„Fußball ist ein Theaterspiel“ – Tennisprofi
Nicolas Kiefer ist Fan von Hannover 96
100 FUSSBALL IM KZ
Das Tor zum Tod – Selbst in den deutschen
Konzentrationslagern wurde Fußball gespielt
104 KOPFBALL
„Sehr gefährliche Frage!“ – Philosoph Klaus
Theweleit über Fußball und Nationalismus
112 AUSLAUFEN
Wenn Beckham kotzt – RUND-Kolumnist
Jörg Thadeusz schreibt an die Engländer
RUND 93
rund1006_092_093_VorschaltSpielk93 93
05.09.2006 15:24:42 Uhr
SPIELKULTUR
Interview
„Fußball ist ein Theaterspiel“
Der Tennisprofi Nicolas Kiefer ist von Hannover 96 so
begeistert, dass er mit dem Trikot seiner
Lieblingsmannschaft auf die Centrecourts dieser
Welt geht. Doch all das hindert ihn nicht an
harscher Kritik: Wenn er so wenig trainieren würde
wie ein Fußballprofi, würde er kein Match über
fünf Sätze durchstehen, sagt der Hannoveraner, der
die Scorpions meist am Flughafen trifft
INTERVIEW MIRIAM HEIDECKER UND CHRISTOPH RUF, FOTOS STEFAN SCHMID
Herr Kiefer, waren Sie wirklich schon immer
Fan von Hannover 96?
Nicolas Kiefer: Ich glaube, dass es keinen Jugendlichen gibt, der noch nie Bayern-Fan gewesen ist. Ich war es auch, bis ich zehn oder
elf Jahre alt war. Da sagte mein Vater: „Komm,
wir fahren jetzt mal nach Hannover zu einem
Spiel.“ Das war noch zu Zweitligazeiten. Keine
Ahnung, gegen wen. Wir sind auf den Holzbänken gesessen, ganz oben im Stadion, unter ganz vielen Leuten, eine super Atmosphäre. Von da an wollte ich immer wieder zu den
Heimspielen von 96.
Waren Sie traurig, als das Stadion, an das
Sie sich so genau erinnern, umgebaut wurde?
Da geht natürlich etwas verloren, wenn man
so einen traditionsreichen Bau abreißt. Andererseits ist man nun viel näher dran. Dieses
reine Fußballstadion hat sicher auch viele dazu bewegt, sich mal wieder 96 anzuschauen.
Letzte Saison waren es 16.000 Dauerkarten,
diese Saison sollen es ja über 20.000 werden.
Ich merke das selbst in meinem Freundeskreis, wo jeder über Fußball spricht.
Gerhard Schröder, die Scorpions, Oliver
Pocher – gibt es noch andere Promis, die ins
Stadion kommen?
Nicht, dass ich wüsste. Altkanzler Schröder
trifft man in Hannover ja überall. Und die Scorpions sind genauso viel unterwegs wie ich, deshalb sehen wir uns eher am Flughafen.
Sie haben zuletzt mit einem 96-Trikot gespielt, auf dem die 69 aufgedruckt war. Warum das?
Letztes Jahr hatte ich meine ersten beiden Spiele mit den Roten. Ein Benefiz- und ein Freundschaftsspiel. Da brauchte ich natürlich auch eine Rückennummer. Die 96 war aber geschützt.
Also haben wir die Zahl einfach umgedreht. Das Trikot kann man sogar im Fanshop kaufen, da
hängt dann das Torwarttrikot mit der Nummer eins von Robert Enke und daneben die Nummer
69 von Kiefer. Super! In diesem Jahr fragte mich mein Ausrüster dann, ob wir für die deutschen
Turniere dieses Trikot produzieren wollen. Damit habe ich dann auch wirklich gespielt.
Und wie war das bei den Spielen mit den Profis aus Hannover?
Es ist ja nicht so, dass ich der einzige Tennisspieler wäre, der Fußball spielt. Es gibt sogar
richtige Länderspiele unter uns Profis. Da treten wir Deutschen gegen Franzosen oder Spanier an. Irgendwann kam eben diese Anfrage von den Roten, ob ich bei einem Benefizspiel mitmachen wolle. In der zweiten Halbzeit kam ich rein und habe auch prompt in der 60. Minute geknipst. Mit dem Kopf!
Bitte erzählen Sie.
Ich sah, wie Silvio Schröter den Ball reinflankt. Er kam direkt auf mich. Ich stieg hoch und
drin war er. Ich habe wahnsinnig gejubelt, alle kamen auf mich zugerannt. Da bin ich abends
mit meinen Freunden erst mal feiern gegangen. Und dann rief der damalige Trainer Ewald
Lienen noch mal an: „Gute Leistung, Samstag nächstes Spiel.“ Wir spielten gegen eine Bezirksklassenauswahl. Und da gab es eine identische Situation. Nur dass ich ganz knapp vorbeiköpfte. Dann ging es auf den Rängen schon los: „Im Tennis haut er die Bälle ins Netz und im
Fußball daneben!“
RUND 94
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07.09.2006 18:22:56 Uhr
SPIELKULTUR
Interview
„Gute Leistung, Samstag nächstes Spiel“: Nicolas Kiefer spielte selber schon mit den Profis von Hannover 96
RUND 95
rund1006_094_099_Kiefer 95
07.09.2006 18:22:57 Uhr
SPIELKULTUR
Interview
„Ich stieg hoch und drin war er“: Da wo Kiefer ist, ist immer auch ein Ball
RUND 96
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07.09.2006 18:23:03 Uhr
SPIELKULTUR
Interview
Hatten Sie gar keine Angst, dass Sie sich verletzen könnten?
Doch, es ging ja auch ganz schön auf die Knochen. Das ist aber so beim Fußball, da sind die
Eins-gegen-eins-Situationen gefragt, und nur wer sich durchsetzt, kann was erreichen. Ich liebe den Mannschaftsport. Im Tennis bist du halt immer nur mit einem kleinen Kreis von Leuten zusammen.
Umso wichtiger ist die Ausstrahlung auf dem Platz.
Wie beim Fußball ist alles in gewisser Weise ein Theaterspiel. Die letzten vier, fünf Prozent
spielen sich nur im Kopf ab, es kommt darauf an, wie man sich auf dem Platz verhält. Wenn
einer nicht gut spielt, den Kopf aber oben behält, denkt man als Gegenspieler, dass da noch
was kommt. Nehmen wir Roger Federer. Der zeigt nie Schwäche und ist immer präsent.
Hatten Sie schon einmal so eine Extremsituation, die Sie durch Körpersprache gemeistert
haben?
Bei den Australian Open, im Viertelfinale gegen Sebastien Grosjean. Da war ich fast schon
draußen, aber ich habe weitergekämpft. Im fünften Satz war ich platt. Ich konnte nicht mehr,
ich konnte wirklich nicht mehr stehen, habe aber gesehen, dass es meinem Gegner genauso
ging. Ich bin dann eben doch stehen geblieben. Sobald er sich umgedreht hat, habe ich Luft
geholt, wenn er mich angeschaut hat, bin ich rumgesprungen. Er ist dann eingebrochen.
Ein echter Zweikampf.
Auf jeden Fall. Man hat einen Schläger, einen Tennisball und muss versuchen, den Gegner
zu schlagen. Beim Fußball wird halt jemand eingewechselt, der hilft, wenn zum Beispiel über
rechts nichts geht. Und sonst hast du immer noch zehn Leute, die dir helfen.
In der Bundesliga kann angeblich jeder jeden schlagen – ist das auch im Spitzentennis so?
Abgesehen von Federer und Rafael Nadal, die Nummern eins und zwei der Welt, mit denen
muss ich mich nicht messen. Für mich ist der Maßstab, gegen die Nummern drei bis sechs zu
gewinnen. Aber eigentlich hat die Bundesliga auch ihren Federer. Er heißt eben FC Bayern.
Gerade fragt sich die Nation, ob die Fußballprofis ausreichend und richtig trainieren.
Wenn ich Schlagzeilen lese, dass Fußballspiele in die Abendstunden verlegt werden sollen,
weil es nachmittags zu warm ist, dann denke ich nur: Bitte, bitte, bitte guckt euch doch mal
andere Sportarten an. Wir haben doch in diesem Sommer das beste Wetter überhaupt gehabt.
Was gibt es denn Schöneres, als bei der Wärme zu kicken? Da muss man das Training darauf
einstellen, die Ernährung, alle Facetten seines Profisportlerlebens.
„Tennisspieler können
doch auch nicht sagen,
es hat 40 Grad, setzt
das Match auf 21 Uhr an“
Angeblich ist die Trainingsintensität kaum noch zu steigern.
Wenn ich einmal am Tag trainiere, kann ich nicht erwarten, dass ich ein Nachmittagsspiel
im Hochsommer aushalte. Wir Tennisspieler können doch auch nicht sagen, es hat 40 Grad,
bitte setzt das Match auf 21 Uhr an. Die Fußballer haben doch wirklich ein schönes Leben.
Die sind fast immer zu Hause, die ganze Woche, sehen ihre Familien, ihre Kinder, spielen mindestens vor 20.000 bis 30.000 Zuschauern. Außerdem wissen Fußballer immer, dass sie 90
Minuten Gas geben müssen, vielleicht mal 94. Ich weiß das nicht, weil ein Spiel mal eineinhalb, mal fünf Stunden dauert. Da geht es viel mehr über die Fitness.
Fußballer haben dafür nie ein Wochenende frei.
Und Tennisspieler? Fußballer haben aber den Sonntagmittag und den gesamten Montag frei.
Wenn ich tauschen könnte, würde ich auf jeden Fall gerne mal ein Jahr Bundesliga spielen.
Das wäre erholsam für Sie.
Sagen wir diplomatischer, es wäre eine schöne Erfahrung. Ich spreche da auch oft mit Per
Mertesacker drüber. Ich frage ihn dann, ob er und seine Kollegen das Gerede und die Klage
über zweimal am Tag Training oder englische Wochen wirklich ernst meinen.
Sie haben einmal gesagt, Ihr Traum sei es, einmal eine Bundesligaminute zu spielen.
Ich will jetzt nicht sagen, dass ich es mir zutraue, aber Träume sind ja dafür da, dass sie wahr
werden. Von der Fitness her würde ich es mir auf jeden Fall zutrauen.
Sie sehen auf Ihren Turnierreisen die ganze
Welt und könnten überall leben – warum
wohnen Sie noch immer in Hannover?
Bei vielen kommt Hannover nicht gut weg.
Wegen mir muss auch nicht jeder hierher ziehen. Die Stadt hat sich in den letzten Jahren
aber gut entwickelt. Wir haben den Maschsee,
die Eilenriede ist der größte Park Europas. Außerdem schätze ich, dass die Leute sehr dezent sind, nicht so distanzlos wie anderswo,
selbst wenn sie mich erkennen. Ich lebe gerne hier.
Weil es Ihre Heimatstadt ist.
Gerade wenn ich mit Niederlagen oder Verletzungen umgehen muss, brauche ich das
Gefühl, ein echtes Zuhause zu haben. Ich bin
fast jeden Tag unterwegs. Am Anfang genießt
man das noch, irgendwann ist aber ein Hotel
wie das andere. Ich freue mich mittlerweile
wie ein Kind, wenn ich die Haumannskost
meiner Mutter bekomme oder mal mit Freunden ganz gepflegt grillen kann.
Welche Städte sind Ihnen auf Ihren
Weltreisen besonders ans Herz gewachsen?
New York und Melbourne. In Melbourne ist
alles ein bisschen ruhiger, die Leute sind entspannt, in New York gefällt mir der Trubel und
das Verrückte. Man sagt ja, New York sei die
unamerikanischste Stadt der USA. Die wissen
wenigstens, wo Europa liegt. Wenn man sonst
Amerikaner nach Deutschland oder Frankreich befragt, haben die keine Ahnung. Es ist
ja auch fast unmöglich, irgendwas über Europa in den Nachrichten zu erfahren. Wie oft ist
es mir passiert, dass ich gesagt habe, ich komme aus Deutschland, und mancher meinte,
dass das gleich neben Russland liege.
So viel Ignoranz nervt Sie?
Wenn ich rüberfahre, kann ich mir die ersten zwei, drei Wochen gar nicht vorstellen, da
zu leben. Irgendwann schalte ich dann komplett ab und sage mir: Ihr seid halt so. Andererseits schätze ich das Easygoing dort.
Sind Ihnen solche Eigenschaften wichtig?
So etwas macht Menschen zwar angenehmer, aber Ehrlichkeit ist mir zum Beispiel
RUND 97
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07.09.2006 18:23:10 Uhr
SPIELKULTUR
viel wichtiger. Gerade im Tenniszirkus gibt es
viele Leute, die dich angrinsen und dir von
hinten das Messer in den Rücken rammen.
Ich weiß, dass ich mit meinen Äußerungen
manchmal anecke. Am Anfang habe ich noch
versucht, es allen recht zu machen, habe dann
aber gemerkt, dass ich das eigentlich nicht
will. Von meinem Kumpel Fredi Bobic habe
ich gelernt, wie wichtig es ist, dass sich die
Leute nicht verbiegen.
Privat unterstützen Sie zwei Projekte, die
sich um Kinder kümmern, die vom Schicksal
nicht verwöhnt wurden.
Ich unterstütze zwei Charity-Projekte, und
die sind mir beide sehr wichtig. Das eine heißt
„Bed by night“. Es bietet Straßenkindern in
Hannover eine Schlaf- und Unterkunftsmöglichkeit. Inzwischen haben wir dank vieler
Spenden neue Containerunterkünfte besorgen können. Wenn es meine Zeit erlaubt, gehe
ich dort vorbei. Das Schöne ist, dass die meisten dort nicht wissen, wer ich bin. Einmal saß
ich auf einem Sofa, ein Jugendlicher setzte
sich neben mich und fing ein Gespräch mit
mir an. Dann schaute er mich an und fragte
mich, warum ich denn eigentlich hier sei. Ich
suchte dann den Augenkontakt zur Betreuerin, die es ihm dann erklärte. Er hat dann ganz
locker reagiert und wir haben uns noch weiter unterhalten.
Ein weiteres soziales Projekt ist die Aktion
„Kindertraum“.
Dabei wird schwer kranken oder mittellosen
Kindern ein Wunsch erfüllt. Das ist manchmal
nicht einfach. Einmal war schon eine Reise in
die USA geplant und alles gebucht. Dann starb
das Kind leider, bevor wir ihm den Wunsch
erfüllen konnten.
Wie nehmen Sie derartige Erfahrungen in Ihren Alltag mit?
Wenn ich zum Beispiel ein Match verliere,
denke ich: „Mann, dir geht es so gut. Was ärgerst du dich über so was?“ Ich habe mal mit
einem Kind, das an Muskelschwund litt, Tennis gespielt. Es hatte zuvor noch nie einen
Schläger in der Hand gehabt. Aber er hat dann
über zehn Bälle am Stück übers Netz gespielt.
Das ist richtig schön, wie sich ein Kind über
kleine Sachen freut. Als ich das nächste Mal
wieder zu Hause war, habe ich ihn gefragt, ob
wir wieder ein paar Bälle schlagen sollen. Er
meinte, es gehe nicht mehr, weil er zu schwach
dafür sei. Dann schlug ich ihm vor, ein bisschen Fußball zu spielen. Aber selbst das ging
nicht mehr. Der Kleine ist jetzt tot. Und man
selbst ärgert sich über rote Ampeln.
Interview
„Im Tenniszirkus gibt
es viele Leute, die dich
angrinsen und dir von
hinten das Messer in
den Rücken rammen“
NICOLAS KIEFER
wurde am 5. Juli 1977 im niedersächsischen Holzminden geboren.
Der 29-Jährige begann mit acht Jahren, Tennis zu spielen. Zwölf Jahre später, 1997, startete er seine
Profikarriere. Deren Höhepunkte waren vor allem die Silbermedaille im Doppel mit Rainer Schüttler
bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen und die Mannschaftsweltmeistertitel 1998 und 2005 in
Düsseldorf. Doch immer wieder brachten Verletzungen, zum Beispiel eine chronische Fußverletzung
im Jahre 2000, seine sportlichen Planungen durcheinander. Dieses Jahr stoppte ihn eine Handverletzung, die er sich bei den French Open zuzog. Kiwi, wie Nicolas Kiefer auch genannt wird, belegt
zurzeit Platz 30 der Weltrangliste (Stand: 1. September).
RUND 98
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07.09.2006 18:23:10 Uhr
SPIELKULTUR
Fußball im KZ
DAS TOR ZUM TOD
Selbst in den deutschen
Konzentrationslagern
gab es Fußballspiele.
Für die Häftlinge waren
die Partien Ablenkung
und Bedrohung zugleich
VON ROGER REPPLINGER, FOTOS KZ-GEDENKSTÄTTE DACHAU, GHETTO FIGHTERS MUSEUM
RUND 100
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07.09.2006 15:13:49 Uhr
SPIELKULTUR
Fußball im KZ
kein Gefühl mehr in den Beinen und Armen haben, dann schreit eine Stimme: „Auf ihr Vögel!
eine der Anreden, die SS-Männer
für Häftlinge haben. Die Häftlinge haben keine Namen, ihre
Identität besteht in ihrer Nummer.
Vorwärts – marsch, marsch!“ „Vögel“ ist
Ein baumlanger, adlernasiger SS-Unterscharführer, Lederpeitsche in der Hand, führt die
Häftlinge zur Aufnahmebaracke am anderen Ende des Lagers.
In den Konzentrationslagern des Dritten Reiches gab es alles, was wir kennen, und alles,
was wir uns nicht vorstellen können. Es gab
auch Sport. Und zwar gab es „Sport“ und Sport.
Typischer für ein Konzentrationslager als das,
was wir gemeinhin unter Sport verstehen, war
der „Sport“, den sich die SS aus dem Quälen
der Häftlinge machte.
Zum Beispiel so: Eine Gruppe neuer Häftlinge kommt in einem Konzentrationslager
an. Raus aus dem Viehwaggon, die Verhungerten und Verdursteten bleiben liegen. Der Proviant hat hinten und vorne nicht gereicht. Es
Es beginnt zu regnen. Die neuen
Häftlinge sind ein paar Schritte gelaufen, etwas mühsam, da die Beine vom Hocken in der Kniebeuge
steif geworden sind, da brüllt der
SS-Mann: „Alles hinlegen!“
Der letzte Häftling ist noch nicht auf dem Boden, da brüllt der Adlernasige: „Auf – marsch, marsch!“ Der
„Sport“ beginnt. Hinlegen, aufstehen, hinlegen, aufstehen. Dann müssen die Häftlinge hüpfen wie ein Frosch und dazu quaken, dann müssen sie über die nasse Erde rollen. Dann brüllt
der Lange mit der Peitsche wieder: „Auf – marsch, marsch!“
Die Häftlinge haben keine Zeit zum Verschnaufen: hinlegen, aufstehen. Dazwischen Fußtritte und Peitschenhiebe für jeden, der nicht schnell genug ist. So erreichen die Neuen, kaputt, dreckig und außer Atem, die Aufnahmebaracke. Einige hat der SS-Mann so mit der Peitsche zugerichtet, dass sie sich kaum noch auf den Beinen halten können. Das ist „Sport“ im
Konzentrationslager.
Ab Herbst 1942, als Heinrich Himmler – der Reichsführer SS ist Herr über alle Konzentrationslager – den Häftlingen die Möglichkeit einräumt, sich auch ohne Peitsche sportlich zu
stinkt, weil der Eimer für die
Notdurft schon nach einem
halben Tag voll war und die betätigen, gibt es Sport in den Konzentrationslagern. Dies ist, zuFahrt zwei Tage dauerte. Die sammen mit einem Prämiensystem für gute Arbeit, der VerHäftlinge, die kreuz und quer such, die Häftlinge nicht mehr sofort, sondern über einen länund aufeinander gestapelt im
geren Zeitraum durch Arbeit umzubringen und dabei die Produktivität
dunklen Wagon lagen, sind hochzuhalten. Das Dritte Reich braucht die Arbeitskraft der Häftlinge, denn die Männer, die
geblendet. Grelles Licht, Hunde bellen, in den Fabriken gearbeitet haben, sind an der Front, und ohne Häftlinge und Zwangsarbeiter
antreten.
Kaum stehen die Männer in einer Reihe, da
hören sie ihrem Rücken den Befehl: „Knie
beugt! Hände in den Nacken legen!“ Alle gehen in die Hocke. Das ist, wie sie später von
anderen Häftlingen erfahren, der „Sachsengruß“. Sie hocken eine Viertelstunde, bis sie
bricht die deutsche Rüstungsproduktion zusammen.
Rücktritt der Publikumslieblinge: Sowohl Jürgen Klinsmann (li.), Ex-Bundestrainer des
Fußballs, als auch Karl Moik, Ex-Bundestrainer der Volksmusik, haben aufgehört
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07.09.2006 15:13:50 Uhr
SPIELKULTUR
Fußball im KZ
Auch im Konzentrationslager Neuengamme bei Hamburg wird nun Fußball gespielt. Häftling Herbert Schemmel, Lagerschreiber und früher bei Borussia Halle und TuRa Leipzig aktiver
„Für die meisten Gefangenen
war es auf Grund ihres körperlichen Zustands aber unmöglich
mitzumachen. Vielleicht 60 von
14.000 Neuengammer Häftlingen
haben teilgenommen.“
Fußballer, sagt:
Gefangene, die mit in der Hie-
rarchie weit über ihnen stehenden „Funktionshäftlingen“ – Lagerältesten, Vorarbeitern, Kapos – in einer Mannschaft spielen, verbessern ihre Situation, indem sie den „Chefs“ Tore auflegen. Als Belohnung gibt es Brot und leichtere Arbeit. Also Leben.
Über dem Fußball liegt, wie über allem anderen im KZ, der Schatten von Gewalt und Tod.
In einigen Konzentrationslagern werden „Länderspiele“ ausgetragen. Der norwegische Architekt Odd Nansen, Sohn des Polarforsches Fridtjof Nansen und Häftling des KZ Sachsenhausen, notiert unter dem Datum vom 2. Mai 1944 in seinem Tagebuch: „Jeden Sonntag
sind Fußballkämpfe. Sonntag zwischen Norwegen – Tschechoslowakei und Deutschland – Polen. Norwegen gewann,
Polen verlor. Diese Kämpfe werden manchmal leidenschaftlich geführt. Das Blut gerät in Wallung, und es kommt vor, dass die Spieler mit den Fäusten aufeinander losgehen. Im Kampf zwischen Polen und Deutschland mussten zwei Spieler
das Feld verlassen, weil sie die Fäuste gebraucht hatten, nachdem bereits zwei andere weggetragen worden waren – kampfunfähig.“
Die Polen hassen die Deutschen für das, was sie ihnen und ihrem Land angetan haben. Das
gilt auch für polnische KZ-Häftlinge. Der Sieg über die deutschen Häftlinge ist wichtig für
das Selbstbewusstsein der gedemütigten Polen, die der SS als Untermenschen gelten. Die
Deutschen sind nicht unverwundbar, sie sind
nicht unbesiegbar. Wenn man sie auf dem Fußballfeld schlagen kann, warum nicht auch auf
dem Schlachtfeld? Ein Spiel zwischen Norwegen und Polen wird abgebrochen, weil die
Spieler aufeinander einprügeln. Nansen
schreibt ironisch: „Feiner Kampf! Gleich nebenan liegen Menschen und sterben. Sachsenhausen!“
Nansen erzählt eine Episode, er nennt sie
„Sachsenhausen-Idylle“, die zeigt, wie nahe
beieinander Sport und Tod sind:
„Wäh rend der
Fußballkampf am
schlimmsten tobte, kamen zwei Ge-
fangene, die eine
Leiche auf einer
Bahre trugen. Den
ganzen Platz entlang, an den brüllenden Zuschauern
vorbei. Plötzlich wurden auch die Träger sehr interessiert an dem
Kampf. Sie setzten die Leiche hin, zündeten
ihre Stummel an und begannen, dem Kampf
zu folgen. Als der spannende Augenblick vorbei war, gingen sie zur Leiche zurück und setzten den Transport
zum Leichenhaus fort, während von sämtlichen Lautsprechern lustige
Operettenmusik ertönte.“
Sogar in Auschwitz wird gespielt. Es gibt einen Fußballplatz in Auschwitz-Birkenau, der
direkt an die Krematorien grenzt. Dort
spielt die SS gegen Häftlinge
des Sonderkommandos, die für
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07.09.2006 15:13:51 Uhr
SPIELKULTUR
den Transport und das Verbrennen der Leichen zuständig sind. Auch im „Zigeuner-Familienlager“ des KZ Auschwitz rollt der Ball.
Ein neuer SS-Mann, der Rapportführer Kurt
Hartmann, fragt nach Fußballern. Walter Stanoski Winter und ein paar Jungs aus Ostpreußen, die in Vereinen gespielt hatten, melden
sich. Winter wird Trainer. Hartmann will,
dass „seine“ Jungs gewinnen, er
versorgt sie mit Lebensmitteln, die er anderen
Häftlingen klaut. Die Häftlinge fragen nicht
– sie essen. Winter fehlt ein Rechtsaußen:
„Einmal waren wir am Spielen, ein paar Juden
guckten zu. Es gab nämlich einige
jüdische Handwerker bei uns
im Lager, in einem gesonderten Block. Da sagt einer von
ihnen: ,Ich kann auch Fußball
spielen.‘ So ein kleiner Mensch,
vielleicht 1,65, 1,68 Meter groß, er hatte ein bisschen O-Beine. Na. Wir haben trainiert, und der Mann war super.“
Beim ersten Spiel also trifft das „AuschwitzStammlager“ auf die mit einem jüdischen
Rechtsaußen verstärkte Elf der Sinti. An diesem Tag schieben nur wenige SS-Männer in
den Lagern des KZ Auschwitz Dienst, alle anderen schauen beim Spiel zu. Der Zaun steht
ausnahmsweise nicht unter Strom. So lehnen
die Lagerinsassen daran und stehen auf den
Fußball im KZ
Spielgeschehen. Die
Sinti schießen das erste Tor. Winter hat
Angst: „Jetzt bricht die Hölle los!“
Dächern der Blocks und beobachten das
Die SS-Männer des Stammlagers Auschwitz und die des Lagers Birkenau sind verfeindet.
Nach dem Tor schießt die Birkenauer SS. Mal nicht auf Sinti, sondern vor Freude in die Luft.
In der zweiten Halbzeit machen die Sinti das 2:0. Winter denkt: „Junge, Junge, wenn du nur
hier wieder heile runterkommst!“ Nach dem Spiel geraten sich die SS-Leute in die Haare. Beschimpfen und stoßen sich. Am Ende gewinnen die Sinti mit 2:1. Hartmann versorgt die kickenden Häftlinge weiterhin mit Paketen, damit sie auch das nächste Spiel gewinnen. Er wird
später wegen Häftlingsbegünstigung vom SS- und Polizeigericht Breslau zu vier Monaten Gefängnis und Ausschluss aus der SS verurteilt.
Schwierig ist es, die Fußballausrüstung zu organisieren. In Neuengamme bauen
die Zimmerleute unter den Gefangenen Tore für das betonierte
Spielfeld, den Appellplatz. Die Schneider nähen Trikots. Aus Kleidern von in Auschwitz ermordeten Juden. Die Sattler machen aus
Lederabfällen Fußbälle. Für 600 im Lager geschnorrte Zigaretten der Marke „Attika“ und 10,50 Mark besorgt ein SS-Mann drei Gummiblasen. Sonntags, wenn die Bewohner
der ringsum liegenden Dörfer am KZ Neuengamme vorbeispazieren, sehen sie die Häftlinge
beim Fußball. „Kann so schlimm nicht sein im KZ“, denken sie und vergessen die stinkenden,
dicken Rauchwolken, die in der Woche aus dem Kamin des Krematoriums kommen.
Propaganda und Realität: Szenen aus dem Theresienstädter NS-Film
IN THERESIENSTADT GAB ES EBENFALLS FUSSBALLSPIELE. DAS DORTIGE KZ WAR EIN SONDERFALL: WEIL DIE NAZIS DAS
LAGER ALS MUSTERGHETTO INSZENIERTEN, WURDE DORT SOGAR IN DREI LIGEN SAMT POKALWETTBEWERB GESPIELT
Kleiderkammer – Elektriker 5:1, Gärtner – Köche 2:0, Jugendfürsorge – Ghettowache 2:3. Man könnte meinen, diese Ergebnisse stammten aus einer gewöhnlichen Betriebsfußballrunde – wäre da nur nicht der Name des letzten Teams:
Ghettowache. Tatsächlich sind die Resultate in einer Überkreuztabelle aufgeführt,
die H. G. Adler 1958 in dem Buch „Die verheimlichte Wahrheit. Theresienstädter
Dokumente“ veröffentlichte. Der Schriftsteller und Historiker lieferte den ersten
Hinweis, dass es in dem Konzentrationslager einen organisierten Fußballspielbetrieb gab. Adler war selbst in Theresienstadt und Buchenwald interniert,
im Gegensatz zu seiner Frau und seinen Eltern überlebte er den Holocaust.
Erstmals systematisch erforscht hat das Thema Fußball in Theresienstadt die
Hannoveraner Historikerin Nicola Schlichting. Bei Recherchen für das Jahrbuch
des Nürnberger Instituts für NS-Forschung und jüdische Geschichte des 20.
Jahrhunderts fand sie im Archiv der Gedenkstätte Theresienstadt Ankündigungsplakate, Spielberichte und Material zur Organisationsstruktur des Fußballs.
Fußball in Theresienstadt war, so Schlichting, ein Sonderfall. Nur hier gab es
einen regelmäßigen Ligabetrieb. Ab Sommer 1943 organisierte eine aus Häftlingen formierte „Fachgruppe Fußball“ Begegnungen in drei Spielklassen: Liga,
Division A, Division B. Es gab eine Auf- und Abstiegsregelung, Pokalwettbewerbe
mit Setzlisten sowie eine Schiedsrichterkommission. Einige Mannschaften ließen
sich vom Fußball draußen inspirieren, eine hieß „Fortuna Köln“. Die Zahl der Kicker
– sieben gegen sieben, wegen der geringen Größe der Spielfelder – und die
Spieldauer – zweimal 35 Minuten – wichen vom gewöhnlichen Fußball ab. Kurt
Ladner, ein ehemaliger Theresienstädter Spieler, der heute in den USA lebt, sagt,
der Fußball habe „abgelenkt von allem, was einem am nächsten Tage drohen
konnte“. Wurde aber mal wieder ein Mitspieler abtransportiert, sei das „für alle Fußballer eine Belastung gewesen“. Man habe gewusst, „dass es jeden treffen kann“.
Das 1941 in einer Festungsanlage nahe Prag errichtete Lager erfüllte drei Funktionen: Theresienstadt war ein eigenständiges KZ – hier starben 33.000 Menschen
–, eine Zwischenstation auf dem Weg in die Vernichtungslager im Osten sowie
eine Art Musterghetto. Hier inszenierten die Nazis bei Bedarf ein bisschen Normalität für die internationale Öffentlichkeit – da passte die Fußballliga gut ins Bild.
„Es fehlte in diesem Lager fast nichts, was nicht die Einrichtungen einer normalen
Gesellschaft nachgebildet hätte“, schreibt Adler.
Als Höhepunkt der Täuschung hatte das NS-Regime einen Dokumentarfilm
vorgesehen, der unter dem Titel „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“
bekannt ist. Das in Fragmenten erhaltene Propagandawerk enthält Fußballszenen
– aus einer Partie zwischen Meister und Pokalsieger. Die Nazis hielten den Film
aber für propagandistisch untauglich. Der zur Regie gezwungene Kurt Gerron, der
erste „Mackie Messer“-Darsteller in der „Dreigroschenoper“, wurde 1944 ermordet. Von den Fußballern im Film hat ebenfalls keiner überlebt. RENÉ MARTENS
RUND 103
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07.09.2006 15:13:51 Uhr
SPIELKULTUR
Fußball im KZ
kein Gefühl mehr in den Beinen und Armen haben, dann schreit eine Stimme: „Auf ihr Vögel!
eine der Anreden, die SS-Männer
für Häftlinge haben. Die Häftlinge haben keine Namen, ihre
Identität besteht in ihrer Nummer.
Vorwärts – marsch, marsch!“ „Vögel“ ist
Ein baumlanger, adlernasiger SS-Unterscharführer, Lederpeitsche in der Hand, führt die
Häftlinge zur Aufnahmebaracke am anderen Ende des Lagers.
In den Konzentrationslagern des Dritten Reiches gab es alles, was wir kennen, und alles,
was wir uns nicht vorstellen können. Es gab
auch Sport. Und zwar gab es „Sport“ und Sport.
Typischer für ein Konzentrationslager als das,
was wir gemeinhin unter Sport verstehen, war
der „Sport“, den sich die SS aus dem Quälen
der Häftlinge machte.
Zum Beispiel so: Eine Gruppe neuer Häftlinge kommt in einem Konzentrationslager
an. Raus aus dem Viehwaggon, die Verhungerten und Verdursteten bleiben liegen. Der Proviant hat hinten und vorne nicht gereicht. Es
Es beginnt zu regnen. Die neuen
Häftlinge sind ein paar Schritte gelaufen, etwas mühsam, da die Beine vom Hocken in der Kniebeuge
steif geworden sind, da brüllt der
SS-Mann: „Alles hinlegen!“
Der letzte Häftling ist noch nicht auf dem Boden, da brüllt der Adlernasige: „Auf – marsch, marsch!“ Der
„Sport“ beginnt. Hinlegen, aufstehen, hinlegen, aufstehen. Dann müssen die Häftlinge hüpfen wie ein Frosch und dazu quaken, dann müssen sie über die nasse Erde rollen. Dann brüllt
der Lange mit der Peitsche wieder: „Auf – marsch, marsch!“
Die Häftlinge haben keine Zeit zum Verschnaufen: hinlegen, aufstehen. Dazwischen Fußtritte und Peitschenhiebe für jeden, der nicht schnell genug ist. So erreichen die Neuen, kaputt, dreckig und außer Atem, die Aufnahmebaracke. Einige hat der SS-Mann so mit der Peitsche zugerichtet, dass sie sich kaum noch auf den Beinen halten können. Das ist „Sport“ im
Konzentrationslager.
Ab Herbst 1942, als Heinrich Himmler – der Reichsführer SS ist Herr über alle Konzentrationslager – den Häftlingen die Möglichkeit einräumt, sich auch ohne Peitsche sportlich zu
stinkt, weil der Eimer für die
Notdurft schon nach einem
halben Tag voll war und die betätigen, gibt es Sport in den Konzentrationslagern. Dies ist, zuFahrt zwei Tage dauerte. Die sammen mit einem Prämiensystem für gute Arbeit, der VerHäftlinge, die kreuz und quer such, die Häftlinge nicht mehr sofort, sondern über einen länund aufeinander gestapelt im
geren Zeitraum durch Arbeit umzubringen und dabei die Produktivität
dunklen Wagon lagen, sind hochzuhalten. Das Dritte Reich braucht die Arbeitskraft der Häftlinge, denn die Männer, die
geblendet. Grelles Licht, Hunde bellen, in den Fabriken gearbeitet haben, sind an der Front, und ohne Häftlinge und Zwangsarbeiter
antreten.
Kaum stehen die Männer in einer Reihe, da
hören sie ihrem Rücken den Befehl: „Knie
beugt! Hände in den Nacken legen!“ Alle gehen in die Hocke. Das ist, wie sie später von
anderen Häftlingen erfahren, der „Sachsengruß“. Sie hocken eine Viertelstunde, bis sie
bricht die deutsche Rüstungsproduktion zusammen.
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08.09.2006 13:04:51 Uhr
SPIELKULTUR
Kopfball
„Fußball ist Fußball“: der Berliner Autor Thomas Brussig
„SEHR GEFÄHRLICHE FRAGE!“
INTERVIEW MARTIN KRAUSS UND CHRISTOPH RUF, FOTO GERALD VON FORIS
RUND 104
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07.09.2006 22:06:14 Uhr
SPIELKULTUR
Kopfball
DER PHILOSOPH KLAUS THEWELEIT PUBLIZIERT IMMER WIEDER ÜBER FUSSBALL. ROTE KARTEN
WEGEN EINER BELEIDIGUNG IRRITIEREN IHN EBENSO WIE DIE KRITIK AM FERNSEHEN
Die WM ist vorüber. Gehen Sie jetzt wieder regelmäßig zum
SC Freiburg?
KLAUS THEWELEIT Die Wochenenden sind zu kostbar, um sie jedes
Mal durch einen Stadionbesuch zu zerschneiden. Wir haben Besuch
oder gehen in die Landschaft. Manchmal ist auch Arbeit. Die Zusammenfassungen schaue ich aber fast immer, mal in der Sportschau, mal
im Sportstudio. Champions League und ähnliches: in der Kneipe.
Finden Sie auch Länderspiele attraktiv? Die funktionieren ja
gemeinhin nach dem Pro-Nation-contra-Nation-Schema.
Pro Nation, ja. Contra Nation, nein. Das ist nur Dummheit. Ich bin
doch nicht gegen England, Italien oder Brasilien, wenn ich für das
deutsche Team bin. Es wird doch überhaupt erst interessant, wenn die
anderen auch gut sind. Die Leute, die aus irgendeinem Prinzip heraus
immer sagen, Deutschland soll bloß verlieren, sind merkwürdig, unfußballerisch. Beides entspringt einem Denken in nationalen Kategorien und ist ein Missbrauch des Fußballs. Wenn jemand nicht des Fußballs wegen hinguckt, geht ihn meines Erachtens so ein Länderspiel
auch überhaupt nichts an.
Wie haben Sie die „Schwarz-Rot-Geil“-Euphorie im Zuge der
klinsmannschen Erfolge empfunden?
Nicht so wichtig. Die Leute wollten feiern, der Sommer war schön,
das richtige Team gewann lange genug, und, wenn man Fähnchen
schwenkt, gibt’s keine Prügel von den Bullen. Wenn ich allerdings sehe, wie vor dem ersten Spiel der neuen Saison, Bayern gegen Dortmund, die Hymne gespielt und versucht wird, den Fahnenkram zu verlängern, wird es ärgerlich. Eine neue Nationalisierung des Fußballs,
bei weit über 50 Prozent Nichtdeutschen in der Liga und einer fortschreitenden Internationalisierung der Konzepte, wäre das dümmste, was passieren kann. Mit Fahnen werden aus Feiernden schnell Feierrabauken; egal, welche Fahne.
Fußball als nationales Event, Vereinsfeindschaften werden immer
unwichtiger – geht da nicht auch etwas vom Fußball verloren?
Ich glaube nicht. Auf die Typen, die die Klubs als Vorwand benutzen,
siehe Legia Warschau, um ihren brachliegenden Machismo zu ventilieren, kann man verzichten. Sollen sie sich mit Messern im Wald treffen – oder doch lieber einen Ball nehmen.
Sie haben Ihre fußballerischen Duelle mit den Jungs von der anderen
Straßenseite doch auch als sublimierte Form des Machismo beschrieben.
Ja, sublimiert. Fußball ist eine Form von Gewalt, unbestreitbar. Aber
er ist eine Bearbeitung der Gewalt, und wenn man das ersetzt durch
Kloppereien, ist das nicht die Bearbeitung der Gewalt, sondern die Bearbeitung der Fressen. Fußball organisiert äußerst massive körperliche
Vorgänge: Im Spiel wird verlangt, dies körperlich Kämpferische umzusetzen in Technik, Ballbehandlung. Und in die Vorsicht, die ich immer bei Beckenbauer bewundert habe. Seine Eleganz bestand darin,
dass er immer einen Bogen um Gewaltsituationen gemacht hat, aber
ohne Ballverlust.
So etwas wie Fanfeindschaften, Lokalderbys, stilisierte Klassenkämpfe
– das brauchen Sie alles nicht?
Nichts davon, kein bisschen. Ob es „badisches Derby“ heißt, wenn
der KSC nach Freiburg kommt, oder ob Stuttgarter die „feindlichen“
Hauptstadtschwaben sind oder die Bremer „Fischköppe“, schnurzegal. Ich will ein gutes Spiel sehen. Und wenn schlecht gespielt wird,
wenigstens einen SC-Sieg. Mein Lokalpatriotismus kommt ohne
Feinde aus. Nur die Punkte sollen sie dalassen. Einen Fischkopp auf
dem Platz hab ich noch nicht gesehen. Aber bitte, wer das braucht: das
Stadion ist der Ort, wo man so etwas darf, Feindschaftspflege.
Nicht wenigstens der Schiedsrichter als Feindobjekt?
Doch, am ehesten. Gegen das läppische Schiedsrichterkontrollsystem rebellieren alle meine Impulse. Eine rote Karte wegen Meckerns!
Warum soll der eine Spieler den anderen nicht „Arschloch“ nennen
oder „Bratwurst“? Das entspannt doch. Die Macht des Schiedsrichters ist völlig unabhängig davon, ob ihn jetzt jemand „Pfeifenheini“
nennt oder nicht. Diese Karten entspringen einem Denken, das aus
Erziehungsanstalten kommt, aus Militärischem, aus Befehl und Gehorsam. Wenn ich irgendwo „Feinde“ sehe im Fußballerischen, dann
in den Aufrechterhaltern dieser lächerlichen Benimmordnungen.
Gibt es in der Kurve mehr Sachverstand als auf der Haupttribüne?
Ich glaube, ja. Getrübt allerdings von der Sündenbockfunktion. Der
Sachverstand der Kurve sucht sich oft einen einzelnen Spieler heraus
und redet alles in Grund und Boden, was der tut. Und spendet Beifall,
wenn der endlich ausgewechselt wird. Ungerecht – aber der Blick
selbst ist schon recht genau.
Wenn Sie den Fans in der Kurve einen höheren Sachverstand
unterstellen, sagen Sie doch auch etwas über die soziale Verortung des
Fußballspiels aus.
Teils teils. In der Kurve sind ja auch sehr viele Studenten und Lehrer.
In Stuttgart zum Beispiel eher Handwerker und Angestellte. Proletarische Kurven? Findet man, glaube ich, nicht mehr. Es gibt im Stadion
wechselseitigen Neid. Es gibt den Neid auf den VIP-Raum bei den Kurvenfans. Aber der gut zahlende Besucher in der VIP-Loge schielt auch
neidisch auf die Stimmung in der Kurve.
„Ohne den Fernseher wäre die Gewalt auf der Straße
100-mal höher. Ein eher pazifizierendes Gerät“
Wie verändern Fernsehgelder und die vielen Übertragungen den
Fußball und den Blick auf den Fußball?
Bisher gilt noch: Der Blick wird genauer. Und: Fußball existiert auch
außerhalb des Fernsehens. Was wäre zum Beispiel Eiskunstlauf ohne
Fernsehen? Oder Skifahren, wo man gar nichts sieht ohne die eingeblendeten Zeiten. Leute, die dem Fernsehen vorwerfen, dass zu viel
Gewalt gezeigt wird, sehen übrigens nicht, dass ohne den Fernseher
die Gewalt auf der Straße 100-mal höher wäre. Die Jugendlichen würden herumhängen, sich besaufen oder sich verprügeln. Das Fernsehen ist, so paradox das klingt, ein eher pazifizierendes Gerät.
Sie sind froh, wenn die Menschen im Stadion statt auf der Straße sind.
Ja. Wenn zwei Gruppen auf der Straße stundenlang Biere in sich reinkippen, kriegen sie über kurz oder lang Streit darüber, wer wessen
Freundin schräg angeschaut oder angemacht hat. Oder „wer hier überhaupt hergehört“? Eine sehr gefährliche Frage.
Eine Langfassung des Gesprächs finden Sie unter www.rund.magazin.de
RUND 105
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07.09.2006 22:06:21 Uhr
SPIELKULTUR
Buch
IM RUND-BÜCHERREGAL
Gauchos in Argentinien, Xingu am Amazonas – der
britische Fotograf Levon Biss hat den Fußball in seinem
Fotoband „One Love“ auf der ganzen Welt abgelichtet
FOTOS BENNE OCHS
LEGENDE
Meister
UI-Cup
Platz 15
DER ZAUBER WIRKT, DER ALLTAG RUHT, DAS SPIEL BEGINNT
Der Fußballfotoband „One Love“ ist keine
Liebe auf den ersten Blick. Beim ersten Blättern wirkt er nur gefällig und auf perfide Weise politisch korrekt. In 26 Ländern der Welt
hat der britische Fotograf Levon Biss die
einzigartige Verbrüder- und -schwisterungsmacht des Fußballspiels bebildert. Das Ergebnis ist auf der einen Seite attraktiv genug, um
sowohl den sponsernden Sportartikelhersteller mit werbefähigen Motiven als auch Buchladenkunden in ihrer Nach-WM-Seligkeit mit
einem hübsches Geschenk zu versorgen. Andererseits wirkt alles ein bisschen zu klischeehaft – in Brasilien wird Fußball natürlich am
Strand getänzelt, in Afrika bunt gewandet auf
festgestampftem Lehmboden gespielt, in Irland im Hinterhof vor Wäscheleinen. Biss
selbst pflegt ein recht ungebrochenes Verhältnis zu diesen Klischees. So kommentiert er
das Foto von Kindern, die im südafrikanischen
Duthuni natürlich barfuß auf festgestampf-
tem roten Lehmboden kicken, aus geradezu
naiver Kolonialistenperspektive als liebste Erinnerung, die so gut die angebliche Unschuld
und Schlichtheit des Fußballs verkörpere:
„Ich bemerkte, dass sie mit einem platten Ball
spielten und gab ihnen einen neuen, der auf-
gepumpt war. Sie dankten mir mit Gesang
und Tänzen. Doch plötzlich schien ihnen das
Spiel viel schwerer zu fallen. Sie hatten noch
niemals mit einem Ball gespielt, der vom Boden abprallte.“ Manches wirkt da nicht nur gestellt, sondern ist es auch, etwa das Foto vom
dicken Brasilianer, der an der Copacabana kickenderweise Klappstühle auf dem Kopf balanciert. Biss wirft ihm einen Ball zu und berichtet: „Freundlicherweise reagierte er sofort
darauf.“ Beim zweiten Blättern gewinnt der
Band jedoch, man lässt sich auf die naive Werbeästhetik ein, und das Spielgerät wird zum
magischen Transformator. Egal, ob der blaue
Ball mit Weltkartenmuster Gauchos in Argentinien oder Xingu am Amazonas zugeworfen
wird, sein Zauber wirkt, der Alltag ruht, das
Spiel beginnt. Vielleicht ist Fußball ja wirklich so einfach. JÜRGEN REUSS
Levon Biss One Love Lannoo Publishers
384 Seiten ca. 20 €
RUND 106
rund1006_106_109_Buecher.indd 106
07.09.2006 22:40:38 Uhr
SPIELKULTUR
Buch
gewann. Oder Jan Wouters, der 1988 noch
beim befreienden 2:1-EM-Halbfinalsieg dabei
war, beim FC Bayern aber seine antideutschen
Gefühle ablegte. Doch nicht alle Geschichten
sind so positiv. Willi Lippens sollte für Deutschland stürmen, aber sein niederländischer Vater war wegen seiner Kriegserfahrungen dagegen. Lippens debütierte 1971 im Oranje-Team,
doch vor allem Kapitän Rinus Israël war gegen
den „halben Nazi“. Es blieb Lippens’ einziges
Länderspiel. HARRY WALSTRA
Ingo Schiweck Kicken beim Feind?
Der ganz alltägliche Friede hinter dem
deutsch-niederländischen Fußballkrieg
Maverix Verlag 212 Seiten 19,90 €
EINE KURZE GESCHICHTE
DES WELTFUSSBALLS
Der alte Spruch vom Runden, das ins Eckige
muss, passt bei diesem Fußballbuch rein gar
nicht. „Spiele, die Geschichte schrieben“ ist
ein Sammelband im Ballformat, der von 22 legendären Länderspielen erzählt. Sechs WMFinals sind darunter, das erste internationale
Match 1872 zwischen England und Schottland
sowie – der Verlag ist in Wien beheimatet –
das 3:2 der Österreicher gegen die Deutschen
ligans anders? Wie viel Goethe steckt in Werner Hansch? Himmelrath kommentiert die
wissenschaftlichen Erkenntnisse mit viel Fußballsachverstand. Die Ironie in seinen Texten
tut dem ernsthaften, wissenschaftlichen Ansatz des Buches keinen Abbruch. Himmelrath
schafft vielmehr das, woran schon viele Wissenschaftler gescheitert sind: Er hat ein kurzweiliges und verständliches Buch geschrieben. SVEN KNOBLOCH
Armin Himmelrath Macht Köpfen dumm?
Neues aus der Fußball-Feldforschung
Herder Verlag 160 Seiten 7 €
bei der WM in Argentinien. „Wenn wir schon
heimfahren müssen, dann sollen die Goscherten mit uns in einem Flugzeug sitzen“, sagte
damals Kapitän Kurt Jara. Die kurzweiligen,
aber informativen Texte sind mit Zitaten wie
diesem garniert, jedes Spiel ist ausführlich bebildert. So lässt diese kurze Geschichte des
Weltfußballs kaum Wünsche offen. Nur spielen kann man mit ihr nicht.
MALTE OBERSCHELP
Spiele, die Geschichte schrieben 11 Autoren über
22 Begegnungen zwischen 1872 und 2004
Egon Theiner Verlag 232 Seiten 29,90 €
EINMAL VON KAFKA ZU
KAKÁ UND ZURÜCK
„Schlussball“ ist fraglos ein gutes und sehr
gehaltvolles Werk. Der Kulturkritiker Helmut
Böttiger packt den Fußball an seinen spannendsten Enden, um ihn auf sensible und lesenswerte Weise zu untersuchen. Mal mit wissenschaftlicher Attitüde, mal essayistisch, mal
prosaisch. Die Beispiele und Berichte kreisen
um Luhmanns Systemtheorie, Günther Kochs
Radioreportagen und Literaturanalysen von
KLEINER GRENZVERKEHR
AUF DEM FUSSBALLPLATZ
Rainer Bonhof war 1974 beim WM-Sieg der
jüngste deutsche Weltmeister. Keine fünf Jahre davor hatte er noch einen niederländischen
Pass. Wie es dazu kam, steht in „Kicken beim
Feind?“ von Ingo Schiweck. Der Düsseldorfer
Journalist hat dazu niederländische Spieler
und Trainer in Deutschland sowie ihre deutschen Pendants befragt. Horst Blankenburg
zum Beispiel, der mit Ajax den Europapokal
Musil bis Matthäus. Aber warum will Böttiger
zwischendurch immer wieder mit Fußball die
Welt erklären, ihn als „hübsche Metapher und
poetische Chiffre“ benutzen? Plötzlich steht
der Catenaccio für den Machiavelli, den jeder
Italiener in sich hat. Die Analysen werden dadurch zu breit, um sie zuzuspitzen. Das ist
wirklich schade, denn sonst wäre „Schlussball“ nicht nur gut, sondern großartig.
WIE VIEL GOETHE STECKT
IN WERNER HANSCH?
„Fußball ist einfach zu schnell und kompliziert, um von dem durch die Natur beschränkten Körper und dem Gehirn eines Schiedsrichters überhaupt erfasst werden zu können.“
Was Fußballfans schon lange vermutet haben,
wird nun endlich wissenschaftlich bestätigt.
Armin Himmelrath beantwortet in seinem
Buch „Macht Köpfen dumm?“ die skurrilsten
Fragen aus der Fußballforschung. Sind die
Bayern ein Judenclub? Sind weibliche Hoo-
HOLGER HEITMANN
Helmut Böttiger Schlussball. Die Deutschen
und ihr Lieblingssport Suhrkamp Verlag
192 Seiten 7,50 €
RUND 107
rund1006_106_109_Buecher.indd 107
07.09.2006 22:40:42 Uhr
SPIELKULTUR
Kunst und DVD
IM RUND-REGAL
Was bleibt von der WM? Zwei schöne Kataloge
für den Kunstfreund und eine XXL-DVD-Edition
für den fanatischen Statistiker FOTO MAAK ROBERTS
DIE ANATOMIE DES FUSSBALLS
RÜCKKEHR ZUR HARMONIE
Nein, eigentlich kann man es nicht mehr hören: Fußball und Kunst
– eine im WM-Jahr überstrapazierte Kombination. Doch lohnt es sich
in dem Band „Die Schönheit der Chance“ zu schmökern, dem Buch
zu einer Ausstellung in Nürnberg. So sind beispielsweise auf den großformatigen Farbabzügen von Michael Wesely, der in Fußballarenen
fotografiert, verschwommene Zuschauermassen, die vor stets leeren
Spielfeldern sitzen, zu sehen. Wesely lässt die Blende seiner Kamera
über die ganze Länge eines Spieles geöffnet, weswegen die Spieler im
Rasengrün verschwinden. Irritierender sind die Kugelschreiberzeichnungen von Fumie Sasabuchi, die in Zeitschriftenbilder von Fußballern mit wissenschaftlicher Präzision die Anatomie einzeichnet: Wirbelsäulen, Beckenknochen, innere Organe – ein bisweilen gruseliger
Anblick. „Schönheit der Chance“ stellt alle 26 Künstler und Künstlerinnen vor, ergänzt um einen einführenden Text von Stephan Trescher
und literarische Miniaturen zum Thema Fußball – unter anderem von
Sybille Berg, Ödön von Horváth und Ror Wolf. MARC PESCHKE
Zwischen Albrecht Dürer, Max Ernst und Roy Lichtenstein einen Zusammenhang zu finden, ist nicht einfach – außer dass sie alle zu ihrer Zeit große Künstler waren. Das Berliner Pergamon-Museum hängt
noch nordindische Skulpturen, japanische Farbholzschnitte und spanische Mondhornkäfer dazu und vereinigt das scheinbar Widersprüchliche gleichwohl zu einem stimmigen Ausstellungsparcours samt Katalog. „Kreis, Kugel, Kosmos“ hat alles was rund ist zum Thema. Der
Fußball wirkt auf den ersten Blick nur wie der Aufhänger. Doch die
Fülle der präsentierten Himmelsdarstellungen, Höllenkreise, Zifferblätter, Sonnenscheiben und kreisförmigen Ornamente schafft es unmerklich, ihn mit einer seltsamen Bedeutung aufzuladen. Wenn man
dann noch in der Einleitung liest, wie der Mensch mit Ball am Fuß
ganz ernsthaft eine „symbolische Rückkehr zur Urgestalt der Harmonie“ vollzieht, steht ein Fußballspiel plötzlich in anderem Licht da.
Zumindest bis zur kleinen Kulturgeschichte der Seifenblase, ein paar
Kapitel weiter hinten. MALTE OBERSCHELP
Institut für moderne Kunst Nürnberg (Hrsg.) Die
Schönheit der Chance. Positionen und Tendenzen Verlag
für moderne Kunst Nürnberg 240 Seiten 28 €
Moritz Wullen, Bernd Ebert (Hrsg.) Der Ball ist rund.
Kreis, Kugel, Kosmos Staatliche Museen zu Berlin
119 Seiten 19,90 €
RUND 108
rund1006_106_109_Buecher.indd 108
07.09.2006 22:40:46 Uhr
KUNSTSCHUSS
UND KOPFSTOSS
Wer möchte nicht noch einmal die Euphorie erleben, die Deutschland zwischen
dem 9. Juni und dem 9. Juli 2006 erfasste?
Nachdem vor der WM im eigenen Lande
unfassbar viele Bücher zum Thema Weltmeisterschaften publiziert worden sind,
gibt es nun für alle lesemüden Menschen
die WM 2006 auf DVD. In vier Teilen hat
sich die ARD bemüht, die wichtigsten und
unterhaltsamsten Momente dieses Spektakels zusammenzufassen. Unter der Rubrik „Die Highlights“ kann der Zuschauer
noch einmal den Weg der DFB-Elf sowie
der Halbfinalisten Portugal, Frankreich
und Italien miterleben. Die Traumtore von
Philip Lahm und Torsten Frings zum Auftakt kann man sich genauso in Erinnerung
rufen, wie Zidanes Kopfstoß. Besonders anschaulich ist die stetige Steigerung der Euphorie in der Bundesrepublik dokumentiert. Der zweite Teil des Sammelwerkes
enthält alle Tore des Turniers – von den
Kunstschüssen Joe Coles oder Maxi Rodriguez’ bis zum einzigen Treffer Angolas.
Der Zuschauer braucht nur sein Team auszuwählen und zu genießen. Die dritte DVD
mit dem Titel „Große Momente“ zeigt von
den Lederhosen der Eröffnungsfeier über
die Sensationen bis hin zu den tragischen
Helden des Turniers kompakt die sehenswerten Aktionen und Ereignisse der WM.
Der vierte und letzte Teil steht im Zeichen
der großen Persönlichkeiten. Von A wie
Adriano bis Z wie Zidane werden nahezu
alle Superstars unter die Lupe genommen
– Didier Drogba scheint in der ARD allerdings nicht bekannt zu sein. Alles in allem
erfüllt die DVD-Reihe die Erwartungen an
einen WM-Rückblick und ist ein geeignetes Geschenk für Statistiker und Fußballästheten. Auf Günter Netzer und Gerhard
Delling, die auf jeder DVD einleitend in Erscheinung treten, hätte man aber verzichten können. STEFAN HOSSENFELDER
Fifa WM 2006 Edition (ARD Video)
Ein Film von
SÖNKE WORTMANN
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SPIELKULTUR
Leserbriefe
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„Freitag“, 18.8.2006
Runde Presse: Visuell überzeugende Klospülung
RUND entledigt sich des Dilemmas, ein bedeutendes Thema wie die WM abzuhandeln,
RUND-Ausgabe 9/06
Allgemein, RUND
Komische Blicke
Ihr Magazin: erstaunlich, fast schon intellektuell, nicht langweilig, gut ausgewogen –
besonders beeindruckend, das leider nicht
vollständig abgedruckte Interview mit
Arsène Wenger und Nick Hornby. Wenn Sie
die Qualität halten können, wäre das
zumindest ein Lichtblick. Ich könnte mir
auch irgendwie nicht vorstellen, mit der
Ausgabe einer anderen Fußballzeitung
abends im Bett zu liegen. Meine Frau schaut
trotzdem schon ein wenig komisch!
Thorsten Jäschke, per E-Mail
dem man mit monatlicher Erscheinungsweise unmöglich gerecht werden kann, durch eine
Bilderstrecke und einige Spielereien, zu denen eine visuell überzeugend umgesetzte
Statistik der Hamburger Wasserwerke über getätigtes Klospülen während des DeutschlandPolen-Spiels gehört. Auch im direkten Vergleich liegt RUND vorn. Das Blatt überrascht
mit den Fährnissen einer England-Tournee des sowjetischen Meisters Dynamo Moskau im
Jahre 1945. Bei den Rezensionen erweist sich Mathias Heybrocks eingehende Betrachtung
des „Lexikon des Fußballfilms“ als hilfreich.
und Reportagen, die Sie rund um das Thema
Fußball scharen. Die Faszination am
Fußball an sich geht dabei keineswegs unter.
Endlich mal ein gehaltvolles Medium um
das Thema Fußball. Erfrischend anders als
die Phrasen anhäufenden Berichterstattungen in der sonstigen Medienlandschaft,
die um 90 Minuten Sport meist zwei
Stunden heiße Luft präsentieren. Weiter so!
Benjamin Dammers, Köln, per E-Mail
weit und breit kein Schalker Abramowitsch
bekannt. Herrn Heitmann etwa? Oder
besitzt er Insiderwissen?
Karl Hanisch, Gelsenkirchen, per E-Mail
Wenn der Himmel die Bälle schluckt, RUND 9/06
Strom in der Höhe
Allgemein, RUND
Kahn, für wen?
Ich bin begeistert von Ihrer Zeitschrift.
RUND dient in unserer Zweier-WG als
Klolektüre, und Sie haben es sogar geschafft,
meinen ansonsten völlig fußballdesinteressierten Mitbewohner für Ihr Magazin zu
begeistern. Das heißt schon einiges, denn
zum Thema Fußball glänzt dieser Mitbewohner ansonsten mit Beiträgen wie
„Warum darf Oliver Kahn denn für Bayern
UND für Deutschland spielen?" Dass
Sie auch jemanden wie ihn für ein Fußballmagazin begeistern können, liegt wahrscheinlich an den weit gestreuten und
vielperspektivischen Berichten, Rubriken
Der unaufhaltsame Aufstieg des FCB, RUND 8/06
Chelsea 04?
Dass Herr Heitmann bei der Besprechung
von Thomas Gütlins „Gute Freunde“ dieses
Buch auch allen empfiehlt, die sich fragen,
„ob sie ihre Verachtung nicht lieber den
Neureichen von Schalke und Chelsea schenken sollen“, spricht nicht gerade
für seine Ausgewogenheit. Schalke und
Chelsea in einen Topf zu werfen, das halte
ich doch für sehr waghalsig. Mir ist
Heute morgen saß ich in der Bahn und habe
eure letzte Ausgabe gelesen. Ich finde ja den
Ecuador-Artikel toll, aber: Was ich schade
finde ist, dass der Text, den ich gut finde,
nicht passt, er widerspricht sogar teilweise
den Bildern. Im ersten Absatz steht, dass es
keine Strommasten gibt. Aber wenn man
links guckt, sieht man welche. Und auf der
nächsten Seite wieder. Dann wird beschrieben, wie der Fotograf Lampen im ewig dunklen Haus von Julian Coloquinga aufstellt,
aber die Bilder wurden nicht gedruckt. Auch
schade. Aber sonst ist der Artikel super, ich
liebe diese Art von Berichten.
Mike Ganio, Hamburg, per E-Mail
Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe nicht oder nur gekürzt zu veröffentlichen. Zuschriften bitte mit Stichwort
Leserbrief an: [email protected]; Redaktion RUND, Pinneberger Weg 22-24, 20257 Hamburg oder Fax: 040-808 06 86-99
RUND 110
rund1006_110_Leserbriefe 110
05.09.2006 17:12:38 Uhr
RUND
IMPRESSUM RUND #15 10 2006
VERLAG: Olympia-Verlag GmbH,
Badstr. 4-6, D-90402 Nürnberg,
Tel. 0911/216-0, Fax 0911/216 27 39
REDAKTION: RUND Redaktionsbüro Hamburg
GmbH & Co. KG, Pinneberger Weg 22-24, 20257 Hamburg
Tel. 040/80 80 686-0, Fax 040/80 80 686-99
REDAKTIONSLEITUNG: Rainer Schäfer (verantwortlich
für den Inhalt), Matthias Greulich (geschäftsführender Redakteur),
Oliver Lück (stellv. Redaktionsleitung)
CREATIVE DIRECTOR: Anna Clea Skoluda
ART DIRECTOR: Tanja Poralla
REDAKTION: Martin Krauß (Chef vom Dienst),
Eberhard Spohd (Textchef), Malte Oberschelp,
Christoph Ruf (Redaktion Süd), Steffen Dobbert (Volontär)
REDAKTIONSASSISTENZ: Sabine Richter
GRAFIK: Anne-Katrin Ellerkamp, Sonja Kördel
SCHLUSSGRAFIK/INFOGRAFIK: Sabine Keller
BILDREDAKTION: Henning Angerer, Jochen Hagelskamp,
[email protected]
ILLUSTRATION: Dazzler, Anne-Katrin Ellerkamp, Katharina
Gschwendtner, Sonja Kördel
AUTOREN: Peter Ahrens, Marc Beaugé, Sven Bremer, Vincenzo
Delle Donne, Detlef Dreßlein, Frank Goosen, Uli Hartmann, Miriam
Heidecker, Frank Heike, Holger Heitmann, Stefan Hossenfelder,
Thomas Kilchenstein, Sven Knobloch, Wolfgang Laaß, René
Martens, Jörg Marwedel, Bernd Müllender, Stephan Mueller,
Holger Pauler, Marc Peschke, Roger Repplinger, Jürgen Reuss,
Elke Rutschmann, Bernd Schneiders, Jörg Strohschein, Olaf
Sundermeyer, Jörg Thadeusz, Daniel Theweleit, Broder-Jürgen
Trede, Peter Unfried, Markus Völker, Harry Walstra, Elke Wittich
KORREKTORAT: Janina Jentz
ÜBERSETZUNGEN: Stefanie Knauer
FOTOS: Mareike Foecking, Gerald von Foris, Antonina Gern,
Axl Jansen, Brian Kennedy, David Klammer, Benne Ochs,
Stephan Pflug, Maak Roberts, Stefan Schmid, Fredrik Solstad,
Sebastian Vollmert, Philipp Wente, Urban Zintel
Als Quelle für einige Screenshots auf den Seiten 88 bis 91
diente die DVD Kalkofes Wunderbare Welt des Sports
TITELFOTO: Benne Ochs
FOTOS INHALTSVERZEICHNIS: Benne Ochs (2), Firo,
David Klammer, Stefan Schmid, Pixathlon, Imago, Cinetext
SPIELE: Bei Gewinnspielen, die die RUND-Redaktion veranstaltet,
ist der Rechtsweg grundsätzlich ausgeschlossen.
ANZEIGENLEITUNG: Werner A. Wiedemann
(verantwortlich für Anzeigen), Tel. 0911/216 22 12
Ekkehard Pfister, Tel. 0911/216 27 49,
Gültige Anzeigenpreisliste Nr. 2 vom 1.1.2006
REPRO: Fire Dept. GmbH, Hamburg
DRUCK: heckel GmbH, Nürnberg
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Für unverlangt eingesendete Manuskripte, Fotos, Dias,
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Copyright für Inhalt und Gestaltung – falls nicht
ausdrücklich anders vermerkt – by Olympia-Verlag 2006.
ISSN 1860-9279
Impressum
ARBEITEN IN DER REDAKTION FOTO BENNE OCHS
Kann gut lesen und sieht fast jeden Felher:
Janina Jentz, Korrektorat
VORSCHAU 11 2006
Am 18. Oktober erscheint die nächste
RUND-Ausgabe. Mario Basler: Der Grandmaster
des Trash Talk im deutschen Fußball gibt sich
am Lügendetektor von seiner härtesten Seite.
Spanisches Derby: Wenn der FC Sevilla auf
Betis trifft, fliegen Leuchtraketen und lebende
Katzen auf den Platz. Das nächste Duell
steigt mit deutscher Beteiligung: Andreas
Hinkel verteidigt beim FC, David Odonkor stürmt für Betis.
Tim Wiese: Die neue Nummer 1 des SV Werder Bremen fliegt
jetzt Düsenjet. Charlotte Roche: Die rebellische Moderatorin und
Schauspielerin über ihre große Liebe, den FC Schalke 04.
RUND IM NETZ
Diese Höhepunkte warten im Oktober/November auf www.rund-magazin.de auf Sie:
WEBSITE-EXTRA: Lesen Sie das exklusive Interview mit Christoph Daum zur
Titelgeschichte „Nationalmannschaft – Die stille Revolution“ sowie weitere Zusatzinfos
zum Interview mit dem Philosophen Klaus Theweleit.
RUND-BLOG: Was bewegt die RUND-Blogautoren? Lesen Sie es nach!
VOTING DES MONATS: Welcher deutsche Klub nach dem FC Bayern hat das Zeug, um als
nächster die Champions League zu gewinnen? UND: Aktuelle News RUND um den Fußball
RUND 111
rund1006_111_Impr_Rainer Abs1:111
07.09.2006 22:55:54 Uhr
SPIELKULTUR
Auslaufen mit Thadeusz
WENN BECKHAM KOTZT
Jeden Monat terrorisiert TV- und Radiomoderator JÖRG THADEUSZ in RUND liebevoll den Fußball. Dieses Mal weist er die
Engländer zurecht und erklärt ihnen, warum sie Deutschland dankbar sein müssen. Und nicht nur wegen Ballack FOTO MAREIKE FOECKING
Liebe Engländer,
habt ihr euch schon mal überlegt, wie sehr ihr
von uns abhängt? Wo müssen englische Musiker denn mit ihren Platten überzeugen, damit
sie reich genug werden, um sich Landsitze in
Buckinghamshire leisten zu können? Wo findet man die Randale-Prinzen immer noch total süß, auch wenn sie Uniformen tragen, in
denen unsere Großväter extrem unangenehm
aufgefallen sind? Mit wem würdet ihr euch in
den Bars an der Costa Brava oder auf Ibiza
hauen, wenn es uns nicht gäbe?
Wir mögen euch nicht nur, wir demonstrieren immer wieder selbstlose Liebe. Bei der Eröffnung eurer Botschaft in Berlin hat der damalige Außenminister Jockel Fischer von den
Beatles geschwärmt, die er tief verehre. In
deutschen Eheverträgen muss oft der Passus
eingefügt werden, dass die Treueverpflichtung für die Ehefrau hinfällig ist, wenn sie
vom Engländer Robbie Williams zu einem Gespräch in seine Hotelsuite eingeladen wird.
Klaglos sind wir zur Traumabehandlung in
die Therapie gegangen, wenn wir von Klassenfahrten aus Brighton oder Eastbourne zurück-
kehrten, wo uns Jungs zuerst mit dem Hitlergruß willkommen hießen, um anschließend
die ausgestreckte Faust in unseren Gesichtern
zu platzieren. Oder wo uns die weißhäutigsten
Mädchen des Universums entweder brachial
in den Schritt griffen oder uns in die erste Alkoholvergiftung unseres Lebens manipulierten. Schwamm drüber, wir meinen schließlich auch Freundschaft ernst.
Auch fußballerisch ist die Sache ganz klar:
Wir geben, ihr nehmt. 1966 durftet ihr euch
im eigenen Land die Weltmeisterschaft mit
Russenhilfe ermogeln, ohne dass einer eurer
Spieler mit einem Kopfstoß niedergestreckt
wurde. Um euren damals neuen Trainer SvenGöran Eriksson aufzubauen, hat sich unsere
Nationalmannschaft im September 2001 mit
5:1 vermöbeln lassen.
Jürgen Klinsmann hat euch Tauchunterricht gegeben. Mit Robert Huth sitzt bei euch
das Unbarmherzigste auf der Bank, was der
deutsche Fußballnachwuchs zu bieten hat.
Trotz seiner tadellosen Bilanz schmäht ihr
Jens Lehmann wegen ein paar Amok-Kleinigkeiten als „Mad Jens“. Statt froh zu sein, dass
wir einen viel verrückteren Torhüter hier behalten haben.
Und jetzt spielt mit Michael Ballack der
wahrscheinlich eleganteste deutsche Fußballspieler in der Premier League. Er hat sich nur
für euch eine Frisur scheren lassen, als würde er bei den Royal Marines einrücken, doch
wenn er auf dem Feld sachte geschubst wird,
dann simuliert er nach einer spektakulären
Bodenrolle eine Art Todeskampf. Im Gegenzug springt er selbst gern mit ausgestrecktem
Bein in den Gegner. Wenn ihr ihm für diese
Angewohnheiten allzu böse seid, kann es passieren, dass er weinen muss. Was aber immer
noch schöner aussieht, als wenn Herr Beckham auf den Platz kotzt.
Auch wenn seine Frau schon viele Bücher
gelesen hat und nicht magersüchtig ist, auch
wenn er nicht das Zeug zum Alkoholiker hat,
der hin und wieder im Flugzeug die Innenarchitektur verändert oder eine Hotelbar auseinander nimmt, ihr könntet viel Vergnügen an
ihm haben. Wenn ihr ganz nett zu ihm seid,
zeigt er euch vielleicht sogar, wie man Elfmeter schießt. Wir sind ja schließlich Freunde.
LIEBE LESER, WIE HAT IHNEN DIESE RUND-AUSGABE GEFALLEN? BITTE SCHREIBEN SIE UNS: REDAKTION RUND, PINNEBERGER
WEG 22-24, 20257 HAMBURG ODER [email protected] – RUND IM INTERNET: WWW.RUND-MAGAZIN.DE
RUND 112
rund1006_112_113_Thadesz 112
07.09.2006 16:01:13 Uhr