ex getrennt verliebt kollege arbeit anderen geschlafen erzaehlen wahrheit 07

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ex getrennt verliebt kollege arbeit anderen geschlafen erzaehlen wahrheit 07
Jänner 16 | #536
Das Kommunale Kino Wiens, Akademiestraße 13, 1010 Wien
Joachim Trier, „Louder than Bombs“, ab 8. Jänner 2016
Apichatpong Weerasethakul, „Cemetery of Splendour“, ab 22. Jänner 2016
Nature Theater of Oklahoma, Sergei Loznitsa, und andere Sonderveranstaltungen
Foto: © Jakob Ihre
Die Grenzen des Phantasmas
Isabelle Huppert, Gabriel Byrne und Jesse Eisenberg
in einem neuen Film von Joachim Trier. PHILIPP STADELMAIER
W
enn Louder than Bombs eine gelungene Unternehmung ist, dann auch in einer ganz bestimmten Hinsicht: Der Regisseur Joachim Trier hat
es endlich geschafft, Norwegen zu verlassen. Denn das war
es, was die Figuren seiner ersten beiden noch dort gedrehten
Filme – sich ihrer Privilegien überbewusste Osloer Mittelschichtswohlstandskinder - immer wieder predigten: Endlich
raus aus dem beschaulichen Oslo! Bislang gelang dies lediglich
durch kurze, ziemlich imaginäre Kurztrips ins Traum-Paris
der Nouvelle Vague (Reprise von 2006) oder durch die letale
Überdosis Heroin am Ende von Oslo, 31 August (2011). Nach
diesen ersten beiden auf Norwegisch gedrehten Filmen, die
ihm internationale Aufmerksamkeit und Teilnahmen an Festivals wie Sundance und Cannes bescherten, ist Trier mit seiner
ersten englischsprachigen Produktion nun endlich dort, wo
der Held von Oslo eine letzte Chance auf ein neues Leben
sah: In New York.
Triers erste beide Filme waren eher noch Übungen darin, so
schnell wie möglich zum Ende zu kommen. Der Held von Reprise hatte die manische Angewohnheit, immer wieder zur Null
runter zu zählen, Oslo erzählte vom Gang seines Protagonisten
in den Selbstmord. In Louder than Bombs hingegen gab es das
böse Ende schon vor Beginn der Handlung: Der Tod der berühmten Kriegsfotografin Isabelle Reed (Isabelle Huppert) bei
einem Autounfall. Wenn der Film beginnt, ist dies schon einige
Jahre her. Nun müssen sich ihr Mann und die beiden Söhne
mit der Erinnerung an sie auseinandersetzen. Denn eine Ausstellung ihrer Arbeit steht bevor und die Veröffentlichung eines
großen Artikels in der „New York Times“. Der älteste Sohn
(Jesse Eisenberg), der gerade Vater geworden ist, kommt nach
Hause zurück, um vor der Retrospektive das Archiv der Mutter
durchzusehen, und trifft eine alte Jugendliebe wieder, während
Fortsetzung auf Seite 2 »
Inhalt
Der einmalige Ort des Kinos
Joachim Trier über
„Louder than Bombs“.
3
Citizen Christin
Das Nature Theater of Oklahoma gastiert im Stadtkino
mit den letzten 3 Episoden von „Life & Times“.
5
Auflösungs-Erscheinungen
Dossier zu „Cemetery of Splendour“,
dem neuen Film von Apichatpong Weerasethakul.
Zulassungsnummer GZ 02Z031555
Verlagspostamt 1150 Wien / P.b.b.
7
Joachim Trier, „Louder than Bombs“
02
ihr Mann (Gabriel Byrne) eine Affäre mit der
Lehrerin des jüngsten Sohnes begonnen hat.
Dieser wiederum ist unglücklich in ein Mädchen in seiner Klasse verliebt. Und der einzige,
der noch nicht weiß, dass der Tod seiner Mutter in Wahrheit ein Selbstmord war.
Wie schon in Triers früheren Männerwelten
sind die Frauen entweder abwesend, werden
erobert, fetischisiert oder ignoriert. Sie existieren allein in Bezug auf Männer, nie für
sich. Nehmen wir Reprise: „Frauen behindern
die Arbeit des Mannes“, erklärt da der Oberchauvinist aus dem Freundeskreis der beiden
Hauptfiguren mit Schriftstellerambitionen,
Philip und Erik. So macht Philip seine Freundin zum Objekt einer ungesunden Obsession,
während Erik seine Freundin immer mehr
ignoriert. Damit bestätigen sie die These des
Oberchauvis: Philip wird nicht mehr schreiben können; Erik schon. Was den Oberchauvi
betrifft, so heiratet er am Ende die mit Abstand
emanzipierteste Frauenfigur des Films, die auf
diese Weise „neutralisiert“ wird.
Auch Anders, der depressive, Philip sehr ähnliche (und ebenfalls von Anders Danielsen Lie
gespielte) Ex-Junkie aus Oslo setzt dieses neurotische Muster fort. Seine Exfreundin ist weit
weg in New York; er will sie telefonisch erreichen, vergeblich. Zuvor beginnt der Film im
Schlafzimmer mit einer anderen. Der Sex sei
schlecht gewesen, erzählt Anders später. Wir erinnern uns an eine ebenfalls lustlose Sexszene
zwischen Philip und seiner Freundin in Reprise
und daran, dass die „schlecht gemachte Liebe“
und die negative Darstellung körperlicher Genüsse (Drogen, Sex, Alkohol) als leere Vergnügungen schon Louis Malles frühere Verfilmung
von Drieu La Rochelles Le feu follet von 1963
geprägt hatten.
So hat ebenso wie das Kino von Louis Malle
auch jenes von Trier einen sehr moralischen
und bürgerlichen Charakter. Seine Moral entsteht aus dem klassischen Dualismus: Die körperlichen Begehren töten die Ideale oder zeigen
durch Impotenz und Leere deren Schwächen
auf. Trier warnt vor der Angst und der Weigerung der Jungen (Männer) vor dem Älterwerden (der Kern der Selbstzerstörung von Anders
in Oslo) und zeigt, wenngleich pessimistisch, die
Notwendigkeit der Familie (was in Reprise wie
in Oslo augenzwinkernd geschieht). Der Mann
findet seine Bestimmung im frustrierten Macho, die Frau in der Rolle der Mutter.
Trier ist aber auch in so weit Malles Nachfolger, als er sich des Formenschatzes der Nouvelle
Vague bedient, um (bürgerliche) Themen zu illustrieren. Und dabei vergaß er nie, dass es sich
dabei eben nur um Zitate handelte, was diesen
Illustrationen eine ironische Ambiguität verlieh.
In Reprise etwa nahm Trier die bürgerliche Moral von Philip und Anders (neben den Frauen
ihre Kämpfe à la „Kunst vs. Kommerz“) ebenso
ernst wie nicht ernst, da sie als Jungschriftsteller zwar die Verliebtheit der Nouvelle Vague in
Schrift und Literatur verkörperten (auch An-
Foto: © Jakob Ihre
» Fortsetzung von Seite 1
Präsenz durch Abwesenheit: Isabelle Huppert.
ders in Oslo ist ein Schreibender), man aber nie
einen ihrer Texte sah - nur Bücher mit Titeln
wie „Phantombilder“. Trier zeigte das schiere
Fantasma zu schreiben, während die Geschichte in Wiederholungen und Varianten einer verschwundenen Urszene erzählt wurde. Als würde
Trier selbst nur mit dem Fantasma jonglieren,
einen Film zu machen, der am Ende ebenso wenig existierte wie die Texte von Philip und Erik;
als würde er nur aus Zitaten bestehen von Duras (Cesarée), Resnais (Marienbad), Truffaut (Jules
et Jim) und Godard (Le Mépris), bis sein zweiter
Film ein reines Remake eines Filmes von Malle
Wie Antonioni geht es
Trier darum, seine
Figuren von einer
plötzlich fremd und
anders gewordenen
Welt neu zu affizieren.
wurde. Wenn Trier die Frauen fetischisierte,
dann, weil Godard und Truffaut das getan hatten;
wenn er einen bürgerlichen Moralismus vertrat,
dann, weil Malle einen solchen vertreten hatte.
Die Ideologie der Filme von Trier war stets eine
zitierte, da seine Filme nichts als Zitate waren,
nur durch Zitate existierten.
Mit Louder than Bombs wird nun Triers Bedürfnis deutlich, aus diesem Palimpsest auszutreten. Als hätte er paradoxerweise Norwegen
verlassen müssen, um zu sich zu kommen, um
die spielerische Beliebigkeit, die seine Filme
bisher ausgezeichnet hatte, bis zur Grenze zu
führen, auf die sie zusteuerten: die physische
Außenwelt.
Mit der gestorbenen Isabelle Reed setzt er
nun die Figur der abwesenden Frau in den
Mittelpunkt seines Films, lässt sie durch Flashbacks präsent werden. Dass die Tote und Abwesende, die von einem Star wie Isabelle Huppert gespielt wird, auf diese Weise tatsächlich
dauergegenwärtig wird, macht ihre Fetischisierung realer, greifbarer und angreifbarer, ebenso
wie jene der anderen Frauen in Nebenrollen
(darunter die fabelhafte Amy Ryan), die zur
moralischen Neuorientierung der hinterlassenen Männer dienen (der Vater verlässt die
Lehrerin, die er sehr zu mögen scheint, nachdem ihre Affäre für seinen pubertierenden und
verkniffenen Sohn zum Problem wird). Auch
die Texte sind nicht länger ungeschrieben, sondern gewinnen an Realität. Die Literaturwissenschaftler und Schriftsteller der letzten Filme,
die Blanchot und Rilke verehrten, haben mit
Jesse Eisenbergs Figur einem Soziologen Platz
gemacht, und der jüngere Bruder verfasst ein
(vorgelesenes) Tagebuch, in dem er eine hyperkonkrete Vermessung seiner Existenz vornimmt, inklusive Strumpfinventur und Anzahl
der erreichten Orgasmen beim Masturbieren.
Ein weiterer Anker in der realen Welt bilden
außerdem die Bilder von Isabelle Reed, die
Trier in Agenturen wie Magnum und VII akquiriert hat und unter anderem von der 2007
verstorbenen französischen Kriegsfotografin
Alexandra Boulat stammen.
Vor allem mit dem Krieg klopft Triers Kino
an die Wand des Realen, das es bisher gemieden
hatte. Wenn bereits in Reprise und Oslo in den
von Anders Danielsen Lie gespielten Figuren
psychische Erschütterungen festzustellen waren, so war doch nie klar, wo diese herkamen.
Woher rührte Philips seltsame Obsession für
seine Freundin, wie wurde Anders ein depressiver Junkie? Diese Fragen blieben im Dunkel.
Selbstverstümmelungen, Alkohol und Drogen
waren nur spontane körperliche Ausdrücke einer abstrakten Depression. In Louder than Bombs
begründet nun die äußere physische Welt die
Neurosen der Figuren. Die Männer leiden auf
Grund von Isabelles Selbstmord, deren Autounfall dank Slow Motion körperlich detailliert
StadtkinoZeitung
dargestellt wird. Und wenn diese sich umbrachte, dann aufgrund ihrer Kriegserlebnisse,
von denen wiederum ihre Narben zeugen, die
quer über ihre Haut verstreut sind.
Mit dieser körperlichen Konkretisierung des
Traumas wechselt Trier gleichzeitig von den
Einzelgängern zur (bisher in seinen Filmen
lediglich gestreiften) Familie. Sie ist damit für
Trier nicht länger Gegenstand eines Spiels mit
einer (ironisch zitierten) bürgerlichen Moral
und der ungewissen Traumatisierung Einzelner,
sondern Schutzwall gegen konkrete Erschütterungen einer äußeren Welt. Mit anderen Worten: eine Notwendigkeit.
Nicht zuletzt, da Isabel Reed Kriegsfotografin
war, sind es nun auch die Bilder selbst, die Trier
auf eine in ihnen verborgene, ungestüme Wirklichkeit jenseits des Sichtbaren abtastet. Etwa
wenn er in Isabelles „crash“ in Zeitlupe eine
zerstiebende Dingwelt analysiert. Man denkt an
das Ende von Antonionis Zabriskie Point (dessen
L’eclisse Trier schon am Ende von Oslo zitiert
hatte). Dies ist zwar eine Fantasie des jüngsten
Sohnes - aber eine, in der das Vorgestellte in
einen Zustand der Vaporisierung eintritt und
der Unfall seine Wirklichkeit einfordert. In einer weiteren an Antonioni erinnernden Szene
entdeckt der älteste Sohn in einem Foto der
Mutter einen anderen Mann neben ihr im Hotelzimmerbett – ebenso wie der Fotograph aus
Blow Up, der in einem seiner Bilder plötzlich
auf Spuren eines Mordes stößt.
Dies mögen, nach der Nouvelle Vague und
Malle, weitere cinephile Zitate sein. Aber diese
zeigen nun die Grenze auf, an dem das unverbindliche Phantasma auf ein Reales trifft, abprallt und zu den Figuren zurückgespielt wird.
Denn wie Antonioni geht es Trier darum, seine Figuren von einer traumatisierten, plötzlich
fremd und anders gewordenen Welt neu zu
affizieren. Was ihnen anders als in den ersten
beiden Filmen, in denen es ums „Schlussmachen“ ging, eine neue Perspektive ermöglicht.
Norwegen hat Joachim Trier damit hinter sich
gelassen.
•
Joachim Trier
Louder than Bombs
(Dänemark, Norwegen, USA 2015)
Regie Joachim Trier
Drehbuch Joachim Trier, Eskil Vogt
Darsteller Gabriel Byrne, Isabelle Huppert,
Jesse Eisenberg, Amy Ryan, David Strathairn,
Rachel Brosnahan, Ruby Jerins
Kamera Jakob Ihre
Schnitt Olivier Bugge Coutté
Musik Ola Fløttum
Produktion Motlys, Animal Kingdom,
Arte France Cinéma, Bona Fide Productions,
Memento Films Production, Nimbus
Verleih Stadtkino Filmverleih
Länge 108 Min.
Format Digital / Farbe und s/w / OmdU
Ab 8. Jänner im Kino
Joachim Trier, „Louder than Bombs“
StadtkinoZeitung
„Ich glaube fest an den
einmaligen Ort des Kinos“
Regisseur Joachim Trier im Gespräch.
Wie kam es zu diesem Film? Wo liegt der Ursprung des Projekts?
Nach meinem ersten Film Auf Anfang bekam
ich in den Vereinigten Staaten viel Aufmerksamkeit. Ich fing an, viele Drehbücher
auf Englisch zu lesen und bekam mehrere
Angebote. Ich traf eine Menge interessanter
Leute aus der amerikanischen Filmindustrie,
aber ich konnte kein Projekt finden, bei dem
ich das Gefühl hatte, dass ich damit ausdrücken
könnte, was ich filmisch erforschen möchte
und was mich wirklich beschäftigt.
Zusammen mit dem Drehbuchautor Eskil Vogt
hatte ich eine Menge Ideen. Daher fühlte es
sich natürlicher an bei Null anzufangen als auf
schon vorhandene Skripte aufzuspringen. Sie
müssen bedenken, dass ich aus einem Land
komme, dessen Sprache gerade einmal fünf
Millionen Menschen sprechen. Deshalb war
es für mich – nachdem ich mich entschieden
hatte, Filme zu machen – ganz natürlich, eine
Filmhochschule in London zu besuchen. Dort
drehte ich drei preisgekrönte Kurzfilme auf
Englisch. Eskil und ich wollten immer Filme
für ein internationales Publikum machen, und
es war eine lohnende Erfahrung, dass sowohl
Auf Anfang als auch Oslo, 31. August in so vielen
verschiedenen Ländern so gut aufgenommen
wurden.
Es war besonders schön und gleichzeitig paradox zu entdecken, dass es gerade die kulturelle
Spezifität war, die diese Filme interessant und
so universal machte. Daraus haben wir gelernt
und sehr ausführlich die amerikanischen Milieus und Charaktere recherchiert, bevor wir uns
in die Arbeit an Louder than Bombs stürzten. Ich
glaube ehrlich, dass man als Filmemacher weniger über seine gesprochene Sprache definiert
wird, als vielmehr über die stilistische Gestaltung der Geschichte, die man in seiner eigenen
filmischen Sprache erzählt.
Ein weiterer Reiz auf Englisch zu arbeiten
bestand darin, mit großartigen internationalen
Schauspielern zu drehen – etwas, das ich schon
seit einer langen Zeit tun wollte. Ich war von
klein auf Filmfan und wuchs mit internationalen Filmen auf. Als junger Mann war es typisch
für mich, in die Cinemathek in Oslo zu gehen
und am gleichen Abend einen Film von Louis
Malle aus Frankreich, Ozu Yasujiro aus Japan
oder Sidney Lumet aus den U.S.A. zu sehen.
Im Kino ging es für mich immer darum,
Sprachbarrieren zu überwinden.
Wie war es für Sie in den Vereinigten Staaten zu
arbeiten? Wie vertraut oder auch anders war die Arbeit dort? Erzählen Sie uns von ihren Eindrücken.
Natürlich war das Team beim Dreh in New
York viel größer als ich es je in Norwegen
erlebt habe. Aber als Regisseur ist es deine
Verantwortung immer ein Arbeitsumfeld um
die Kamera herum zu schaffen, das zu deiner
Geschichte und deinen Schauspielern passt.
Also ging ich so vor, wie bei meinen vorherigen Produktionen. Ich hatte die Möglichkeit, mir Zeit zum Proben mit den Darstellern
zu nehmen und versuchte die gleiche Art von
gegenseitigem Vertrauen zu schaffen, wie ich es
bei meinen früheren Filmen erleben durfte.
Es ist natürlich prinzipiell egal, wo Du
arbeitest. Und als der Dreh voranschritt, sah
ich hinüber zu meinem engen Mitarbeiter,
dem Kameramann Jakob Ihre, und sagte: „Es
ist genau so, wie wir das sonst machen, nicht
wahr? Es ist gar nicht so anders?“
Vaters leid waren, dem sich Söhne beweisen
müssen, wie wir ihn schon in so vielen Geschichten gesehen haben. Gene ist in vielerlei
Hinsicht ungewöhnlich mit seiner emotionalen Verantwortung und Gabriel fügt der
Figur viel Wahrheit und Humor hinzu. Ich
denke, er ist die Art von Schauspieler, die gut
mit dem Thema des Films umgehen kann. Er
schafft es wirklich, den Film in eine größere
Perspektive zu rücken.
Jesse Eisenberg konnte für die Rolle des Jonah
gewonnen werden.Wen verkörpert er da?
Jonah ist eine Art Überflieger, der empfindet, dass er seiner Mutter näher war, als jede
Foto: © Niko Tavernise
Was ist die Geschichte hinter dem Titel? Worauf
bezieht er sich? Ist „Louder than Bombs“ eine
Kriegsgeschichte?
Wir haben nach einem Titel gesucht, der eine
Balance schaffen kann zwischen den kleinen
und zarten Schmerzen im Familienleben sowie
den großen Ambitionen und den Erfahrungen
einer Mutter, die im Ausland als Kriegsfotografin arbeitet.
Dass sich Schmerzen nicht vergleichen lassen,
finde ich faszinierend. Natürlich ist Louder than
Bombs auch der Titel des ersten amerikanischen
Albums der Band The Smiths.
Aber der Film handelt weder vom Krieg noch
von The Smiths. Ich habe auch herausgefunden, dass sich The Smiths den Titel von der
amerikanischen Dichterin Elizabeth Smart
und ihrem Buch By Grand Central Station I sat
down and wept ausgeliehen haben. Mir gefiel es,
dass diese Worte eine spezifisch amerikanische
Herkunft hatten, während ich an diesem Film
arbeitete, der ebenfalls in den Vereinigten Staaten spielt.
Joachim Trier am Set.
Es ist die gleiche Herausforderung wie
immer: Der Versuch, Risiken zu wagen, im
Moment zu sein, und ein sicheres Arbeitsumfeld zu schaffen, wo die Schauspieler ihre
Charaktere erkunden können, statt jedes Mal
den Nagel auf den Kopf treffen zu müssen.
Gabriel Byrne spielt Gene, den Familienvater.
Können Sie uns etwas zu dieser Figur erzählen?
Gene ist das Porträt einer modernen Vaterfigur. Mit modern meine ich, dass er – zumindest im Vergleich zum klassischen Patriarchen
– eine emotionalere Verantwortung übernommen hat. Er wurde Lehrer und hat seine
Karriere als Schauspieler aufgegeben, um
näher bei seinen Kindern zu sein. Gene versucht, seine Familie zusammenzuhalten, aber
er tut sich schwer eine Verbindung zu seinem
Ich finde unsere
Erinnerungen und
unsere Idee von einem
Selbst und von einer
Identität faszinierend
und rätselhaft.
15-jährigen Sohn Conrad aufzubauen, der
umgeben ist von Computerspielen und seinem Leben im Internet – was für seinen Vater
schwer zu verstehen ist. In vielerlei Hinsicht
schafft das auch ein paar komödiantische Elemente, wie z.B. die Szene, in der Gene versucht einen Avatar zu erstellen und bei einem
Onlinespiel mitzumachen, um seinen Sohn
zu treffen – mit unvorhergesehenen Folgen.
Da ist etwas Warmes und Zartes an Gene. Seine Stärke liegt in seiner Fähigkeit andere zu
sehen, aber er kämpft damit herauszufinden,
was er für sich selbst und mit seinem eigenen
Leben anfangen möchte.
Gabriel Byrnes Mischung aus Intelligenz und
Gefühlswärme war sehr wichtig, um Gene als
Charakter entstehen zu lassen. Wir sprachen
darüber, dass wir das Klischee des autoritären
andere Person. In vielerlei Hinsicht geht es in
seiner Geschichte um verspätete Trauer und
darum, wie die Fassade eines jungen und ehrgeizigen Akademikers, der gerade selber Vater
geworden ist, zusammenbricht, nachdem er
die Vorstellungen, die er von seiner Mutter
hat, neu bewertet.
Jesse Eisenberg ist ein präziser und unglaublich witziger Schauspieler und ich bin
dankbar dafür, dass er einen neuen Charakter
erforscht, indem er in der Rolle des Jonah
eine vielleicht etwas verletzlichere Seite von
sich zeigt.
Jesse ist im wahren Leben ein sehr smarter
und kreativer Typ und – was viele nicht wissen – auch ein großartiger Theaterautor. Es
war inspirierend, mit ihm sowohl die Dramaturgie als auch seine Figur zu diskutieren.
Wie wichtig ist es, dass Isabelle Reed Kriegsfotografin ist? Sie wird von Isabelle Huppert gespielt ...
Ich wollte von Familie erzählen und dem
Preis, den man für Ehrgeiz zahlt. Die unglaubliche und bewundernswerte Arbeit einer
Krisenjournalistin gegenüber dem endlosen
Bedürfnis, im Leben seiner Familie präsent zu
sein. Ein Konflikt, mit dem sich, glaube ich,
sehr viele Menschen identifizieren können.
Die Figur der Isabelle Reed ist von mehreren
prominenten Kriegsfotografen inspiriert, die
ich entweder getroffen oder studiert habe, aber
es ist keine Geschichte über diesen Beruf per
se. In der Geschichte geht es um Eltern-KindBeziehungen und die Probleme einer Familie.
Ich bin seit langer Zeit ein Fan von Isabelle
Huppert. Zum ersten Mal habe ich sie vor
ein paar Jahren auf dem Filmfestival in Stockholm getroffen. Ich blieb mit ihr in Kontakt
und war begeistert als sie zustimmte, die
Mutter in unserer Familie zu spielen. Obwohl sie nicht die Figur ist, die am meisten
auf der Leinwand zu sehen ist, schwebt ihre
Präsenz immer über der Geschichte, während
sie voranschreitet. Ich kann mir keine andere
Schauspielerin vorstellen in der Rolle dieser
rätselhaften und faszinierenden Mutter.
Welche Fotografien repräsentieren die fotografische
Arbeit Isabelle Reeds im Film?
Ich habe eine Menge über Kriegsfotografie
recherchiert, obwohl es in dem Film nicht
03
nur darum geht. In Oslo, 31. August hatte
die Hauptfigur beispielsweise eine Hintergrundgeschichte als Drogensüchtiger, aber
in der Geschichte geht es um andere Teile
seines Lebens, die gezeigt werden. Obwohl
das Suchtelement nur ein Hintergrunddetail
war, wollte ich es recherchieren und korrekt
wiedergeben.
Auf die gleiche Weise wollte ich in Louder than Bombs alle Details ihres Lebens als
Kriegsfotografin akkurat präsentieren. Wir
hatten viel Unterstützung von großartigen
Fotoagenturen wie Magnum und VII. Wir
haben die Werke verschiedener Fotografen
genutzt, um Isabelles fotografische Arbeit im
Film zu erschaffen. Unter ihnen sind Bilder der französischen Fotografin Alexandra
Boulat, die zu denjenigen in diesem Bereich
gehört, die ich sehr bewundere. Da ist eine
große Menschlichkeit in ihren Bildern, kombiniert mit fotografischer Sensibilität, die sie
von anderen absetzt.
Der emotionale Kern des Films scheinen die individuellen und gemeinsamen Erinnerungen an Isabelle
zu sein. Können Sie uns etwas erzählen über diese
Dynamik und Ihre langjährige Faszination für das
Thema Erinnerung? Sie kommen auch immer wieder
in ihrer Arbeit auf dieses Thema zurück ...
Ich finde unsere Erinnerungen und unsere
Idee von einem Selbst und von einer Identität,
basierend auf diesen Erinnerungen, faszinierend
und rätselhaft. In dem Film versuche ich den
speziellen Prozess des sich Erinnerns zu zeigen.
Ich wollte die Art Trauerdrama vermeiden, bei
dem wir dort sind, wenn die Mutter stirbt und
jeder sitzt im Raum herum und weint. Unsere
Geschichte trägt sich drei Jahre, nachdem
die Mutter gestorben ist, zu und verfolgt den
Dominoeffekt ihres tragischen Todes und die
Wirkung, die er auf die drei Männer hat, während sie versuchen mit ihren eigenen Leben
weiterzumachen.
Es ist interessant, wie einen das Familienleben
zwingt, sich selbst zu betrachten und sich selbst
ständig neu zu hinterfragen.Warum nehmen
Geschwister Eltern so unterschiedlich wahr?
Wie kann man eine gemeinsame Sprache
finden, wenn man sich gleichzeitig manchmal
auch abkapseln muss? Da ist sowohl Verzweiflung als auch Hoffnung in Erinnerungen.
Während der Trauer beschreiben Leute häufig
ein statisches und unveränderliches Gefühl von
Erinnerungen.Wie ich im Film versuche zu
zeigen, gibt uns das ständige Hinterfragen, wer
wir sind, die Fähigkeit, uns von diesen eingeschlossenen Ideen zu befreien. Es gibt eine
Szene, in der Conrad, der jüngere Bruder, sich
daran erinnert, wie er in seiner Kindheit Verstecken mit seiner Mutter gespielt hat.Während er
zum ersten Mal seit Jahren daran denkt, erkennt
er die Perspektive seiner Mutter auf die gleiche
Szene, und dass sie ebenfalls dieses Spiel spielen
wollte, da sie offensichtlich die ganze Zeit über
gewusst hatte, wo er sich verstecken würde.
Im Film wird vieles nicht linear erzählt. Sie
arbeiten vielmehr mit verschiedenen Zeit- und
Charakterperspektiven.Wie kamen Sie zu dieser
Entscheidung?
Heutzutage sind viele Charakterdramen auf die
TV-Bildschirme emigriert. Ich glaube immer
noch fest an den einmaligen Raum des Kinos.
Es ist ein großartiger Ort, um über menschliche
Geschichten nachzudenken. Ein Close-Up
auf der Kinoleinwand ist einmalig: Es ist eine
intime menschliche Begegnung, die man in
keiner anderen Kunstform erleben kann.Wann
sieht man im Alltag je ein Gesicht so groß?
Ich versuche Geschichten aus verschiedenen
Perspektiven zu erzählen, um hoffentlich ein
gewisses Maß an Einsicht in die Leben dieser
Charaktere zu bekommen.
In einem Roman ist es nicht ungewöhnlich,
sich innerhalb einer Geschichte zwischen
Zeitschichten zu bewegen und in verschiedene
Charaktere hineinzublicken. Es erstaunt mich,
dass das im Kino als so ungewöhnlich angesehen wird. Je größer die Maschinerie um dich
als Filmemacher herum wird, desto wichtiger
ist es sich daran zu erinnern, dass es Spaß macht
mit dem Erzählen zu experimentieren. Behalte
die große Maschine nah an dir dran. Nur durch
deine persönliche Perspektive als Geschichtenerzähler kannst du dem Publikum nahe kommen. Das hat nichts zu tun mit dem Budget
oder wie viele große Trailer du am Set hast.
04
Sergei Loznitsa zu Gast im Stadtkino
StadtkinoZeitung
„Die Vergangenheit ist immer präsent.“
Zwei Abende mit dem ukrainischen Filmemacher Sergei Loznitsa – am 13. & 14. Jänner im Stadtkino.
I
m Jänner kommt der ukrainische Filmemacher Sergei Loznitsa auf Einladung
der Akademie der bildenden Künste
nach Wien, wo er einen Workshop für Studierende hält. Aus diesem Anlass zeigt und
diskutiert das Medienlabor an der Akademie
in Kooperation mit dem Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) Loznitsa
neueste Filme, Sobytie (Das Ereignis, 2015)
und Maidan (2014) im Stadtkino im Künstlerhaus. Der Regisseur wird anwesend sein.
Sergei Loznitsa wurde 1964 in Weißrussland geboren, wuchs in Kiew auf und studierte am dortigen Polytechnikum Mathematik; nach seinem Abschluss arbeitete er
von 1987-91 am Kiewer Institut für Kybernetik. Er ging dann nach Moskau an die
staatliche Filmhochschule. Seit 1996 drehte
er sechzehn Dokumentar- und zwei Spielfilme, für die er zahlreiche Auszeichnungen
erhielt. Sčast’e moe (Mein Glück, 2010) und
V tumane (Im Nebel, 2012) liefen im Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes. 2014
präsentierte Loznitsa dort seinen Dokumentarfilm Maidan. Sein neuester Film Sobytie
wurde 2015 im Rahmen der Filmfestspiele
in Venedig uraufgeführt.
Beide Filme dokumentieren historische
Wendepunkte: den Zusammenbruch der
Sowjetunion 1991 und den Fall des Janukowytsch-Regimes in der Ukraine 2013/14,
jeweils einhergehend mit einer intensiven
Aufbruchstimmung. Sie tun das, indem sie
die Menge zum Helden machen und selbst
sprechen lassen, auf ganz unterschiedliche
Weise – in Sobytie auf der Basis von dokumentarischen Aufnahmen aus den Tagen des
August-Putsches 1991 in St. Petersburg; in
Maidan aus der Perspektive einer fast unbewegten Kamera, die die dramatische Entwicklung vom Dezember 2013 bis Februar
2014 aufzeichnet. Loznitsa wundert sich, dass
damals so wenige Filmemacher auf dem Maidan waren. „Wann bekommt man das nächste Mal wieder die Gelegenheit, solch eine
Revolution live zu beobachten?“ meinte er
kürzlich in einem Interview.
Eine Kooperation zwischen dem Medienlabor
der Akademie der bildenden Künste Wien, dem
Stadtkino im Künstlerhaus und dem Institut für
Bewusst Partei ergreifend gibt der Film auch einen Blick auf die nationalreligiös aufgeladenen
Pathosformeln des Umsturzes frei.
viennale.at
Sergei Loznitsa
die Wissenschaften vom Menschen und seinem
Programm Ukraine in European Dialogue.
MITTWOCH, 13. JANUAR 2016
Filmbeginn 19.30 Uhr
SOBYTIE (DAS EREIGNIS)
74 Min. OemU
Im August 1991 versuchen kommunistische
Hardliner den damaligen Präsidenten der
UdSSR aus dem Amt zu putschen und scheitern. Kurz darauf zerfällt die Sowjetunion,
gründet sich die russische Föderation. In Leningrad versammeln sich die Menschen auf
den Straßen und Plätzen, Informationen sind
rar, die Ratlosigkeit groß; präventiv kann man
ja schon mal Barrikaden bauen und streiken.
Loznitsa montiert seinerzeit entstandenes Material mit bewährter Zurückhaltung und konzentriert sich auf die Gesichter; man lernt: Im
Moment ihres Geschehens ist Geschichte banal und du und ich sind auch durch bloßes
Herumstehen daran beteiligt. viennale.at
Mit anschließender Podiumsdiskussion
(in Englisch).TeilnehmerInnen:
Yustyna Kravchuk, Film- und Medienwissenschaftlerin; Mitglied das VCRC (Visual Culture
Research Center) in Kiew, derzeit Paul Celan
Fellow am IWM
Sergei Loznitsa, Filmemacher, Amsterdam/Kiew
Oksana Sarkisova, Direktorin des Verzio International Human Rights Documentary Film Festival in Budapest; Research Fellow am Open Society
Archive, Central European University Budapest
Moderation:
Bettina Henkel, Künstlerin; Leiterin des Medienlabors an der Akademie der bildenden Künste
Wien
DONNERSTAG, 14. JÄNNER 2016
Filmbeginn 19.15 Uhr
MAIDAN
134 Min, OemU, Einführung (in Englisch):
Yustyna Kravchuk, Kiew / Wien
Von Dezember 2013 bis Februar 2014 richtet
Loznitsa seine Kamera auf den Kiewer Unabhängigkeitsplatz. In kühnen, die handelsübliche Reportageästhetik kontrastierenden Einstellungen
verdüstert sich die Atmosphäre aus fast karnevalesk anmutenden Anfängen zu den gewaltsamen Szenen unmittelbar vor der Absetzung des
Präsidenten. Loznitsa verzichtet auf genretypische
Verfahren wie Interviews oder hervorgehobene
Protagonisten. Stattdessen gelingen ihm an Delacroix gemahnende Revolutionspanoramen aus
der Perspektive der demonstrierenden Massen.
Sergei Loznitsa ist mit seinen Kameras mittendrin, als Ende 2013 die Maidan-Proteste
gegen die Regierung Viktor Yanukowitschs
in der Ukraine an Fahrt gewinnen, und versucht sich an der Vermittlung einer Aktualität
des Revolutionären. Dabei postuliert er eine
strenge Form, die er unerbittlich beibehält:
Statische Totalen, demokratische Kader und
lumière’sche Wimmelbilder zugleich, durch
welche die Ströme und Strudel des Aufstands
ungehindert passieren, fast so, als wäre der
Kamerablick unsichtbar, die Panoramen behäbig montiert (ein bisschen wie bei Nikolaus Geyerhalter), keine Interviews oder OffErklärungen, stattdessen sporadische Inserts
mit basalen Infos und eine ebenso dichte wie
vielschichtige Tonebene, deren künstlicher
Collage-Natur, Kommentar-Funktion und
akribischer Mischung man erst nach und nach
gewahr wird. Loznitsa, der voll und ganz hinter der aufständischen Bevölkerung steht, hat
in Interviews gemeint, dass man nicht Filmen
und Kämpfen zugleich könne, da das Filmen
eine gewisse Distanz erfordere. In besagter Distanz, die keinesfalls mit Gleichgültigkeit zu
verwechseln ist (in den Zwischentiteln und
bei weitem nicht nur da macht der Regisseur
seine Position unmissverständlich klar), liegt
das Besondere an Maidan. In manchen Szenen
ist man verblüfft, dass es den Filmemachern
gelingen konnte, eine derart ruhige Stellung
zu wahren und heftige Zusammenstöße zwischen Protestierenden und Polizei mit derselben gesetzten Klarheit aufzuzeichnen wie die
Menschenschlangen vor der Suppenküche. An
einer zentralen Stelle bricht Loznitsa die Fassade von buchstäblicher Unerschütterlichkeit
bewusst auf und zeigt, wie sich die Kamera
im Ausnahmezustand aus ihrer Verankerung
löst und Hals über Kopf die Flucht ergreift,
vor den Tränengasschwaden und Schüssen, die
immer erratischer fallen. Man kann sich denken, dass dies nicht das einzige Mal gewesen
ist.
Andrey Arnold, movienerd.de
In Kooperation mit:
Menschenmengen – damals und heute (Sobytie und Maidan)
„Life & Times“ – Nature Theater of Oklahoma
StadtkinoZeitung
05
Life & Times
Das Nature Theater of Oklahoma vollendet seinen Epischen Zyklus „Life & Times“ und zeigt
3 Filmepisoden im Stadtkino. Eine Kooperation mit dem „steirischen herbst“. JOOST RAMAER
E
Gesamtdauer ca. 300‘ (ohne Pause)
Sprache Englisch
Episode 7 (132 Min)
Auftragswerk und Residenz bei Live Arts
Bard at the Richard B. Fisher Center for the
Performing Arts at Bard College
Mit Unterstützung durch King’s Fountain,
FringeArts, The Wyncote Foundation & Doris
Duke Performing Artist Awards Programm
Episode 8 (118 Min)
Residenzen bei Live Arts Bard at the Richard
B. Fischer Center for the Performing Arts at
Bard College
Mit Unterstützung durch Fondation
d‘entreprise Hermès / New Settings & Doris
Duke Performing Artist Awards Programm
Foto: © Steirischer Herbst
Selbst für Bürger des Digitalzeitalters unverzichtbares Theater: Life & Times.
Kama Sutra oder im japanischen Shunga ein.
Sie lernten eine neue Technik, die Herstellung mittelalterlicher Manuskripte. Heraus kam
ein Buch, dessen weicher, schaumgefüllter Plastikeinband es aussehen lässt wie eine Mormonenbibel aus einem Motel. Darin befindet sich
die Niederschrift des 20 minütigen Gesprächs
mit Worrall, ihre bekannten uhhs und umms und
oh my god’s eingeschlossen, von Copper handgeschrieben in karolingischer Minuskel, einer
mittelalterlichen Handschrift, die auch für uns
Bürger des Digitalzeitalters noch einigermaßen
lesbar ist. Jede Seite ist mit einer Zeichnung Liskas verziert, von ihm und seiner Frau, zu Hause,
in allen möglichen Stellungen. „Wir haben uns
für die Last, diese Episode selbst darzustellen,
entschieden“, schreibt Copper im Nachwort.
Sie sagt auch, dass das Buch „eine Arbeit der
Liebe“ sei. Zwei Jahre lang arbeiteten die beiden kostenlos. Die vorherigen Life & Times-Episoden fraßen das vorhandene Budget komplett
auf. Das Buch konnte nur fertiggestellt werden,
nachdem es „großzügig von Festivals und Theatern in Berlin und Norwich unterstützt wurde“.
Jetzt also Episoden 7-8-9. Eine letzte tour de force.
Drei Spielfilme diesmal. Der erste fast gänzlich in
Schwarz/Weiß, nostalgisch, mit Filmmusik und
einer Titelsequenz, die an Hollywoodfilme aus
den 30er Jahren erinnern. Der zweite Film ist
in Farbe, in wunderbarem sommerabendlichem
Licht gedreht in Parks und verlassenen Industriehalden um New York, der „home-base“ der
Gruppe. Der dritte Film ist ein Gangsta-Rap,
aufgenommen in Graz. Er dauert nur 17 Minuten lang – aber in dieser Zeit sind tatsächlich die
letzten Tropfen des Budgets und der Energie der
Truppe aufgebraucht.
Das macht allerdings überhaupt nichts.Worrall
stolpert von einem belanglosen Job zum nächsten, von einer flüchtigen Bekanntschaft in die
nächste. Jeder Triumph und jede Niederlage
verzückt sie oder schlägt sie nieder, als wäre es
das erste Mal in ihrem Leben. Höhen und Tiefen in ihrer Stimmung dauern nur kurz. Und
jedes Mal fängt sie wieder hoffnungsvoll von
Vorne an. Träumt dieselben Träume vor einem
Publikum, das schon lange weiß, dass sie nicht
erfüllt werden.
Aber genau das macht dieses Leben so einzigartig und wiedererkennbar für uns, erlaubt
uns, mit ihr mitzufühlen. Die Art, in der das
Nature Theater dieses Leben darstellt – das
lächerlich insistierende Spiel, die Diktion, das
laute Singen, die platte Musik, die fast schon
militärische Choreografie – transformiert alles
in ein wahres Heldinnenepos, erhebt Worrall
weit über ihre demütige Gestalt in der richtigen Welt. Sie wird zu einem Fest unserer
eigenen Bedeutungslosigkeit. Das Ergebnis
ist eine Intimität, die uns, die Zuschauer, eine
Bindung eingehen lässt, untereinander und
mit der Oklahoma Family.
•
Zuerst erschienen auf: http://www.culturebot.org
Episode 9 (18 Min)
Koproduktion steirischer herbst &
Nature Theater of Oklahoma
Mit Unterstützung durch Doris Duke
Performing Artist Awards Programm
Regie, Konzept und Drehbuch Kelly Copper &
Pavol Liska
Nach Telefongesprächen mit Kristin Worrall
Mit Ilan Bachrach, Asli Bulbul, Elisabeth Conner
Skaervold, Kelly Copper, Gabel Eiben, Daniel
Gower, Robert M. Johanson, Dany Naierman,
Peter Nigrini, Kristin Worrall u. a.
Künstlerische Leitung Dany Naierman
Kamera Pavol Liska
Kamera und Design Peter Nigrini
Editor Kelly Copper
Komposition & Musik Daniel Gower
Musik Robert M. Johanso
20. & 21. Jänner 2016, ab 16.30 Uhr.
Pausen zwischen den einzelnen
Episoden. Karten sind zum Preis von
18‰ (15‰ für Studenten) ab sofort an
unseren Kinokassen erhältlich.
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Eine Veranstaltung in Kooperation mit
dem steirischen herbst.
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(c) Piet Goethals
in Epos; monumental und gleichzeitig
intim. Es dauert fünf Stunden, erzählt
aber von keinem Heldenleben. Sondern
von Kristin Worrall, einer Durchschnitts-Amerikanerin. Was ihr passiert, ist absolut wiedererkennbar und veranlasst das Publikum, mit ihr
eine Verbindung einzugehen. Worrall selbst ist
ein Teil davon. Das verstärkt die Identifikation
mit ihr immens. Während der Premiere bewältigte sie diese duale Präsenz: Auf der Leinwand
und im Raum.
Das war aber nur einer der vielen einzigartigen
Aspekte der Weltpremiere von Life and Times –
Episodes 7-8-9 des Nature Theater of Oklahoma am 4. Oktober während des Steirischen
Herbstes in Graz. Sie markierte das große Finale
eines Theaterepos, das vor sechs Jahren im Kasino am Schwarzenbergplatz, der black box des
Burgtheaters, seinen Ausgang nahm. Und geht
es nach Veronica Kaup-Hasler, der Intendantin
des Festivals und einer der ersten und treuesten
Verbündeten von Pavol Liska und Kelly Copper,
dem Team hinter dem Nature Theater, soll das
auch so bleiben. „Wir sehen uns in zehn Jahren
wieder“, scherzte Kaup-Hasler, nach der Aufführung. Sie weiß aber besser als alle anderen,
dass die erwartete Episode 10 wohl nie das Licht
der Welt erblicken wird.
Denn das Nature Theater, das ein Publikum
weltweit kennen und lieben gelernt hat, existiert
praktisch seit einem Jahr nicht mehr. Die einst
so stark miteinander verbündete Theaterfamilie,
die ihren Namen aus Franz Kafkas unvollendetem Roman Amerika etlehnte, hat sich aufgelöst.
Manche Mitglieder haben die Gruppe schon vor
längerer Zeit verlassen, alle verfolgen neue Wege.
Liska und Copper arbeiten somit als Duo an
neuen Projekten. Die epischen Shows, die die Familie als Ensemble bestritten hat – jede mehrere
Stunden lang und sich in Form und Inhalt nahe,
ganz besonders No Dice (2007) und Life & Times
(2009–2015) – machten sie weltberühmt und
brachten ihnen Preise und Tributes ein, wie einen drei Jahre langen Aufenthalt am Burgtheater
Aber sie zehrten alle Beteiligten auch extrem aus:
künstlerisch, physisch, finanziell und privat, aufgrund der ständigen Reisen – durch ganz Europa,
nach China, Japan, Singapur, Australien und über
die USA wieder zurück nach Europa. Während
sie sich auf einer Seite des Globus‘ mit den Episoden 5 und 6 beschäftigten, warteten Festivals und
Theater anderswo darauf, dass bei ihnen die ersten vier Episoden zur Aufführung kämen. „Mit
diesem ständigen Neuanfangen fertig zu werden,
wurde für uns mit der Zeit immer schwieriger.“,
sagte Schauspieler Robert M. Johanson in Graz.
Manche Rückschläge verstärkten den Druck.
Life & Times basiert zur Gänze auf zehn Telefonaten mit Gruppenmitglied Worrall aus dem
Jahr 2007, insgesamt 16 Stunden lang. Zum
fünften Gespräch wechselten Liska und Copper
von einem analogen zu einem digitalen Aufzeichnungsgerät – um am Schluss herauszufinden, dass dieser nur 20 Minuten des Gesprächs
mitgeschnitten hatte.
Aufgrund dieses Textlochs war es ihnen unmöglich, den Zyklus wie ursprünglich gedacht
fertigzustellen. Die ersten vier Episoden waren
Live-Shows, die Worralls Leben in etwa bis zum
Ende der High School umfassten. Doch dann
kamen die „verlorenen Jahre“, wie Liska und
Copper die nächsten Episoden grimmig betitelten. Wie sollten diese aussehen? Zuerst machten Liska und Copper einen animierten Film,
den sie Episode 4.5 nannten. Da das Medium für
sie etwas Neues war, mussten sie sich die ganze
Technik aneignen. Danach zeichneten sie tausende für den Film benötigte Bilder. Ein zu schweres
Unterfangen: Copper litt unter schmerzhaften
Nervenknotenzysten an ihren Händen. Pavol
und Kelly blieben aber ihrem neuen ZeichenHandwerk zugewandt. Die 20 nicht verlorenen
Minuten des Gesprächs mit Worrall beschrieben
viele ihrer ersten sexuellen Erfahrungen. Die
Macher tauchten in eine jahrhundertealte Tradition der sexuellen Bebilderung, wie etwa im
13.11.15 18:38
Ein Kick the Machine Films und Illuminations Films (Past Lives) Produktion, in Koproduktion mit Anna Sanders Films, Geißendörfer Film- und Fernsehproduktion, Match Factory Productions
ZDF/arte und mit Astro Shaw, Asia Culture Center-Asian Arts Theatre, Detalle Films, Louverture Films, Tordenfilm
รักที่ขอนแก่น CEMETERY OF SPLENDOUR
Mit Jenjira Pongpas Widner, Banlop Lomnoi, Jarinpattra Rueangram
Kamera Diego Garcia Ausstattung Akekarat Homlaor Ton Akritchalerm Kalayanamitr Schnitt Lee Chatametikool
Aufnahmeleitung Suchada Sirithanawuddhi Regieassistenz Sompot Chidgasornpongse Produzenten Keith Griffiths, Simon Field, Charles de Meaux, Michael Weber, Hans Geißendörfer
Koproduzenten Viola Fügen, Najwa Abu Bakar, Moisés Cosio Espinosa, Eric Vogel, Ingunn Sundelin, Joslyn Barnes, Caroleen Feeney, Danny Glover
Associate Producers Georges Schoucair, Susan Rockefeller, Holger Stern (ZDF/arte)
Produktion, Drehbuch und Regie Apichatpong Weerasethakul
Mit der Beteiligung von L'aide aux cinémas du monde, Centre national du cinéma et de l'image animée - Ministère des Affaires étrangères et du Développement international - Institut Franais
Mit der Unterstützung von Serfond, World Cinema Fund, Hubert Bals Fund und Hong Kong - Asia Film Financing Forum
Weltvertrieb The Match Factory Stadtkino Filmverleih
ein
film
von
apichatpong
weerasethakul
AB 22. JÄNNER IM STADTKINO IM KÜNSTLERHAUS
StadtkinoZeitung
Apichatpong Weerasethakul, „Cemetery of Splendour“
07
Auflösungs-Erscheinungen
„Cemetery of Splendour“ von Apichatpong Weerasethakul. IOANA FLORESCU & PATRICK HOLZAPFEL
A
rthur Rimbaud beschreibt in seinem
Gedicht Le Dormeur du Val einen
schlafenden Soldaten in der Natur.
Doch hinter dem friedvollen Bild verbirgt sich
ein grausamer Abgrund, den der Dichter in der
letzten Zeile offenbart: Der Schläfer ist schwer
verletzt, wahrscheinlich tot, er hat ein rotes
Loch in seiner rechten Brust. In Apichatpong
Weerasethakuls siebtem Langfilm Cemetery
of Splendour gibt es auch schlafende Soldaten
und einen unvermeidlichen Abgrund, der sich
hinter den wunderschönen Bildern abzeichnet
wie eine Erscheinung des Unterbewusstseins.
Es ist gleichermaßen ein persönliches wie kollektives Erwachen, das sich in diesem Schlaf
manifestiert.
Cemetery of Splendour ist ein großartiger Film
der Dazwischenheit. Auf den ersten Blick bewegt man sich auf gewohntem WeerasethakulTerrain. Der Film spielt in der Heimatstadt des
thailändischen Filmemachers, Khon Kaen im
Nordosten des Landes. Es ist eine spirituell und
magisch angereicherte Welt, in der Träumen,
Illusionen und religiösen Erscheinungen der
gleiche Platz eingeräumt wird wie den realen
Dämonen der Gegenwart. Weerasethakul kreiert einen poetischen Sog, der einen ganz sanft
in das ewige Königreich zwischen Kino und
Traum zieht. Im Zentrum des Films steht Jenjira, die von Jenjira Pongpas Widner verkörpert
wird. Es ist die bereits vierte Zusammenarbeit
der Darstellerin mit Weerasethakul und ihr reales Leben liefert einiges an Material für den
Film. Sie taucht als Freiwillige in einer temporären Klinik in einer ehemaligen, von Geschichte
durchzogenen Schule auf und kümmert sich
um Soldaten mit einer merkwürdigen Schlafkrankheit. Bald schon wirft sie ein gesondertes
Auge auf den jungen Erkrankten Itt, der keine
sonstigen Besucher hat. In seinen Wachphasen
unterhält sie sich mit ihm. Wenn er schläft, beobachtet und berührt sie seinen Körper. Darüber hinaus trifft sich Jenjira mit dem Medium
Keng, das mit den Schlafenden kommuniziert.
In kurzen Begegnungen wird Jenjira mit den
realen und illusionären Räumen ihrer Umgebung konfrontiert. Weerasethakul verwebt einzelne Motive und Stimmungen zu einem sich
wandelnden, somnambulen Gesamteindruck,
der im Zuseher, den Träumenden und darüber
hinaus in seiner Protagonistin einen tiefergehenden Wandel offenlegt, der auch mit dem
Bewusstwerden eines politischen Zustandes
zusammenhängt, weil man sich irgendwann fragen muss, ob diese Schlafkrankheit nicht kollektiv über das nach einem Militärputsch 2014
in Starre verharrende Land gefallen ist. Menschen stehen bewegungslos in einem Kinosaal
oder wechseln wie automatisiert ihre Sitzplätze
am Ufer eines Sees. Subtile politische Kritik ist
Teil der Agenda von Weerasethakul, aber hier
bekommt sie eine neue Deutlichkeit.
Die Dazwischenheit ist also zunächst eine der
unterschiedlichen Schichten des Raumes und
der Geschichte. Auf dem Grundstück des improvisierten Krankenhauses wird beständig gebaggert, es gibt ausgestopfte Dinosaurier oder
Paläste aus früherer Zeit und ähnlich verhält
es sich mit dem Bewusstsein und der Vergangenheit von Jenjira, ja selbst ihrer Gesundheit.
Wir befinden uns in einer Welt, in der Cremen
und Ernährung Oberflächen erhalten, die unter derselbigen schon lange am Verfallen sind.
Der Sinneskörper der Dazwischenheit ist daher auch die Haut, die ähnlich wie in Blissfully
Yours eine besonders wichtige Rolle im Film
einnimmt und gelegentlich zu einem kurzen
Ausbruch der Sinnlichkeit führt. Es sei bemerkt,
dass es sich innerhalb der Fiktionen um tatsächlich physische und psychische Narben der
Hauptdarstellerin handelt, die ganz im Stil von
Mysterious Object at Noon hier ihre Realitäten
zum Teil der Illusion macht. Es tut sich ein enormes Loch auf zwischen den Oberflächen der
Dinge und dem, was sich darunter verbirgt. Das
beständige Babyblau und Türkis der brillanten
Farbdramaturgie des mexikanischen Kameramanns Diego Garcia, der zum ersten Mal mit
Eine seltsame Schlafkrankheit hat den Soldaten Itt befallen …
Weerasethakul zusammenarbeitet, wickelt einen in eine Zärtlichkeit, die mehr und mehr zur
Verlorenheit wird. Es ist ein Film über die Zärtlichkeit der Verlorenheit und die Verlorenheit
von Zärtlichkeit. Neonfarbröhren stehen neben
den Betten der Schlafenden. Es handelt sich
dabei um eine Methode, die Träume der Soldaten erträglicher zu machen. Solche Gedanken oszillieren zwischen ihrer Schönheit und
der Kritik daran. Allgemein lässt sich festhalten,
dass sich Weerasethakul in Cemetery of Splendour
Tondesign gibt es kaum merkbare Schnitte, alles
fließt ineinander und gleichbleibende Soundkulissen setzen sich über die hypnotischen
Schnitte fort. So fühlt man sich gleich dem
Rimbaud Gedicht geborgen, bis man erkennt,
dass man es nicht ist. Der Film installiert einen
ernsten Zweifel, in dem die Harmonie und
Grausamkeit eines Traums im gleichen Atemzug bestehen. Ein Mosaik aus Krankheit, dem
Einfluss des Westens, den Wurzeln der Monarchie, persönlichen und gesellschaftlichen Erin-
Ein Film über die Zärtlichkeit der Verlorenheit
und die Verlorenheit von Zärtlichkeit.
kritischer an den Spiritualismus oder die Magie
annähert als in vorherigen Arbeiten. Mehrfach
konfrontiert er Jenjira mit Wahrheiten oder einer Leere hinter dem Glauben. So drohen sich
beständig Erscheinungen aufzulösen, um sich
doch im Bewusstsein zu verankern. Es gibt
Szenen wie eine Meditationssession oder die
Begehung eines Palastes, den der Zuseher nicht
sehen kann, in denen Weerasethakul sich von
außen an das Fantastische heranschleicht und
es auf diese Weise als solches bloßstellt, aber es
gibt auch das steigende Gefühl, dass alles, was
man im Film sieht,Teil einer unwirklichen Welt
ist und sich der Filmemacher mitten in dieser
treibenden Bewegungslosigkeit aufhält, die ihr
visuelles Pendant in den sich drehenden Ventilatoren, Rolltreppen und Wasserrädern findet. Im
nerungen entsteht vor dem Zuseher, der nicht
mehr unterscheiden muss zwischen Traum und
Realität, weil beide aus denselben Wunden entspringen.
Es entsteht eine Verunsicherung zwischen
Anziehung und Ekel, Begehren und Angst.
Ambivalenz als eine Form der Dazwischenheit
bedeutet bei Weerasethakul nicht, dass zwei
konträre Emotionen hintereinander, sondern
immer gleichzeitig bestehen. Die Faszination
am Ekel ist in diesem Sinn das Begehren. Das
verunstaltete Bein von Jenjira wird von Itt im
Körper von Keng abgeschleckt, das erigierte
Glied eines Schlafenden wird vorsichtig berührt, ein merkwürdiges Objekt schwimmt
im Wasser und man will es unbedingt sehen
und berühren. Und dann beginnt eine aktive
Entscheidung, die gleichermaßen die nächste
Dazwischenheit ist: Man fragt sich, ob man
schläft, wacht, einschlafen will oder aufwachen muss. Weerasethakul erklärt in Cemetery
of Splendour den Eskapismus zur Politik. Diese
Welt wird zum Innenleben von Jenjira, das für
ein ganzes Land gilt. Als Zuseher taucht man
mitten hinein in diese wundervolle Starre
und das Traumland der Angst, in dem man die
Temperatur von Lampen fühlen kann, sodass
man mit einem anderen Dichter, nämlich T.S.
Eliot bemerken könnte: „I was neither Living
nor dead.“
•
Apichatpong Weerasethakul
Rak ti Khon Kaen Cemetery of Splendour
(Thailand, Großbritannien,
Frankreich, Deutschland 2015)
Regie und Drehbuch Apichatpong
Weerasethakul
Darsteller Jenjira Pongpas Widner, Banlop
Lomnoi, Jarinpattra Rueangram, Petcharat
Chaiburi, Tawatchai Buawat, Sujittraporn
Wongsrikeaw, Bhattaratorn Senkraigul
Kamera Diego Garcia
Schnitt Lee Chatametikool
Ton Akritchalerm Kalayanamitr
Produktion Kick the Machine Films,
Illuminations Films Past Live
Verleih Stadtkino Filmverleih
Länge 122 Min.
Format DCP 2K / Farbe / OmdU
Ab 22. Jänner im Kino
Die politische Situation in Thailand
D
as Königreich Thailand befindet sich
politisch gesehen seit einigen Jahren
in einer Art Bewegungsunfähigkeit.
Die Gründe hierfür reichen sehr weit zurück
und umschließen soziale, ethnische und wirtschaftliche Faktoren. Der Beginn der ganz aktuellen politischen Probleme reicht in das Jahr
2001 zurück, als Thaksin Shinawatra mit seiner
Partei Thai-Rak-Thai (TRT) einen Wahlsieg
verzeichnen konnte und Premierminister des
Landes wurde. Während seiner Amtszeit wurden in der Opposition immer wieder Macht-
missbrauchs- und Korruptionsvorwürfe laut,
besonders durch die 2005 gegründete Volksallianz für Demokratie, deren Anhänger auch
„Gelbhemden“ genannt werden. Nach zahlreichen Protesten gegen die Regierung fang
2006 ein Militärputsch statt, der Thaksin Shinawatra seines Amtes enthob.
2007 gingen Thaksins Anhänger nach einer
einjährigen parteilosen Übergangsregierung
allerdings wieder als Wahlsieger hervor (Kritikern zufolge durch Stimmenkauf), dieses
Mal mit der Partei der Volksmacht, die als
Ersatz für die mittlerweile nicht mehr existierende TRT fungierte. Nach Ansicht der
„Gelbhemden“ war Thaksin dabei weiterhin
der eigentliche Drahtzieher im Hintergrund,
was zu erneuten Protesten sowie heftigen
Auseinandersetzungen zwischen Oppositionellen und Regierungstreuen, den sogenannten „Rothemden“, führte. Das Verfassungsgericht löste 2008 schließlich die Partei
der Volksmacht auf, während das Parlament
Abhisit Vejjajiva, dem früheren Oppositionsführer der Demokratischen Partei, die Re-
Apichatpong Weerasethakul, „Cemetery of Splendour“
08
gierungsgeschäfte übertrug. Infolgedessen
kam es nun zu Protesten seitens der „Rothemden“, die 2009 und 2010 soweit ausuferten, dass das Militär sie niederschlug.
Neuwahlen im Jahr 2011 konnte die Partei Pheu-Thai für sich entscheiden, ebenfalls eine Nachfolge-Partei der TRT, und
Yingluck Shinawatra, die jüngere Schwester Thaksins, übernahm das Amt der Ministerpräsidentin. Die Amtszeit Yinglucks
war ebenso wie die ihres Bruders geprägt
von Vorwürfen bezüglich Korruption und
Machtmissbrauch, und verschiedene oppositionelle Gruppen organisierten wiederholt
Demonstrationen gegen ihre Regierung. Besondere Kritik fand 2013 Yinglucks Entwurf
eines Amnestiegesetzes, welches vorsah, dass
Beteiligte an vorherigen politischen Auseinandersetzungen straffrei blieben. Nachdem
sich dieses Gesetz zunächst nur auf Teilnehmer von Protesten beziehen sollte, wurde es
später so geändert, dass es auch politische und
militärische Machthaber umfasste, was auch
Thaksins Ausschluss von Strafverfolgung
bedeutet hätte. Obwohl Yingluck aufgrund
von Massenprotesten die Durchführung des
Gesetzes schließlich nicht weiterverfolgte,
rissen die Demonstrationen von Regimekritikern nicht ab und erreichten Anfang 2014
mit dem sogenannten „Bangkok Shutdown“
einen neuen Höhepunkt. Dabei wurden im
Laufe von über zwei Wochen mehrere wich-
tige Bereiche der thailändischen Hauptstadt
blockiert oder besetzt (inklusive Brücken,
Straßen und Regierungsgebäuden) was teilweise die Unterbrechung des üblichen Alltagslebens zur Folge hatte und zum vorläufigen Ausruf des Ausnahmezustands führte.
Nach der Enthebung Yingluck Shinawatras
aus ihrem Amt durch das Verfassungsgericht
Anfang Mai 2014 wurde noch im selben Monat das Kriegsrecht durch die Armee unter
der Führung von General Prayuth Chan-ocha
verhängt. Kurz darauf gab es einen Militärputsch, der Thailand unter Militärherrschaft
stellte. Seitdem ist das Land eine Militärdiktatur mit Chan-ocha als neuem Premierminister, der von König Bhumibol adulyadej,
StadtkinoZeitung
dem aktuell längst regierenden Oberhaupt
der Welt, im Amt bestätigt wurde. Trotz der
Aufhebung des Kriegsrechts im April 2015
sieht die aktuelle politische Lage der Thailänder nicht sehr zuversichtlich aus: Die Regierungsmacht liegt in den Händen des Militärregimes, währen die Bevölkerung so gut wie
keine Rechte mehr hat. So sind beispielsweise
öffentliche politische Treffen strengstens untersagt, ebenso wie Kritik an der Regierung.
Proteste gibt es momentan nur noch selten,
was einerseits ein Zeichen der Angst vor
möglichen Strafen bei Widerstand gegen das
Regime sein könnte, andererseits aber auch
ein Zeichen für die stille Vorbereitung des
nächsten Befreiungsschlags.
•
„Ich wollte einen Hauch
von Melancholie.“
Ein Gespräch mit Regisseur Apichatpong Weerasethakul.
„Cemetery of Splendour“ spielt in Ihrer Heimatstadt Khon Kaen. Sie haben geschrieben, dass der
Film „ein persönliches Portrait von Orten, die sich
wie Parasiten an Ihnen festgeklammert haben,“ ist.
Was macht diese Orte so besonders für Sie?
Der Film ist eine Suche nach den alten geistern meiner Kindheit. Meine Eltern waren
Ärzte und wir haben in einer der Wohneinheiten des Krankenhauses gelebt. Meine Welt
war die Krankenstation, wo meine Mutter
gearbeitet hat, unser Holzhaus, eine Schule
und ein Kino. Der Film ist eine Verschmelzung
dieser Orte. Ich habe fast 20 Jahre nicht mehr
in meiner Heimatstadt gelebt und diese Stadt
hat sich sehr verändert. Als ich aber dorthin
zurückgekehrt bin, habe ich nur meine alten
Erinnerungen gesehen, die die neuen Gebäude
überlagert haben. Einer meiner Lieblingsplätze, der Khon-Kaen-See, ist allerdings derselbe
geblieben.
Sie haben Ihr Aufwachsen in einem Krankenhaus
Umfeld erwähnt. Inwiefern hat dies Ihre Filme mit
ihrem Fokus auf medizinische Ausstattung beeinflusst und Ihre Auseinandersetzung mit dem Thema
Krankheit?
Für mich war es magisch, mir Herzschläge
durch ein Stethoskop anzuhören oder eine
Woher kam diese Idee, die Geschichte von den
schlafenden Männern zu erzählen? Was hat Sie an
diesem mysteriösen Schlaf interessiert? Ist es eine
wahre Geschichte?
Vor drei Jahren gab es einen Nachrichtenbericht über ein Krankenhaus im Norden, wo es
eine mysteriöse Krankheit gab, wegen der das
Krankenhaus 40 Soldaten unter Quarantäne
stellen musste. Ich habe das Bild der Soldaten
mit meinem Krankenhaus und meiner Schule
in Khon Kaen vermischt. Diese drei Jahre über
ist die politische Situation in Thailand in eine
Sackgasse gelaufen (eigentlich tut sie das bis
heute). Ich war vom Schlafen fasziniert und
habe meine Träume notiert und ich denke, dass
das ein Weg ist, um der schrecklichen Situation
auf den Straßen zu entkommen.
Basiert die Behandlung mit farbigem Licht auf einer
tatsächlichen Therapieform? Sie scheint auch von
Ihrem Interesse an Science Fiction herzurühren.
Zu einem bestimmten Zeitpunkt habe ich Artikel über Neurowissenschaften gelesen. Es gab
da einen MIT-Professor, der die Gehirnzellen
mit Licht dazu manipuliert hat, bestimmte
Erinnerungen zu wiederholen. Er sagte, dass
die Ergebnisse in gewisser Weise Descartes
Annahme wiederlegten, dass Geist und Körper
getrennte Einheiten sind. Diese Hypothese
stand im Einklang mit meiner Ansicht, dass
Meditation nichts weiter ist als ein biologischer
Prozess. Man kann immer in den Schlaf und
das Gedächtnis eindringen. Wenn ich Arzt
wäre, würde ich versuchen, eine Schlafkrankheit durch die Beeinflussung von Licht auf
zellulärer Ebene zu heilen. Das Licht in diesem
Film spiegelt vage diese Idee wider. Es ist nicht
nur für die Soldaten gedacht, sondern auch für
die Zuschauer.
Eine unserer Clubgarnituren.
Ö1 Club-Mitglieder erhalten im Stadtkino im Künstlerhaus
und im Filmhaus Kino am Spittelberg € 2,— Ermäßigung.
Jenjira entdeckt das Notizbuch von Itt mit seinen
seltsamen Zeichnungen und Plänen. Es gibt reale
Orte, die wir in dem Film sehen, aber genauso präsent sind andere Orte, ein mythologischer Ort eines
Palastes und ein Friedhof.
Als wir klein waren, haben wir Geschichten
von diesem wirklich beeindruckenden Ort
gehört, wo das Wasser voller Fische ist und das
Land von Reisfeldern bedeckt. Die Zeichen
des Wohlstands waren immer idyllisch, wobei
die Brutalitäten ausgelassen wurden. Wir tragen
diese Bürde von erzeugter Geschichte. Sie hat
Sämtliche Ö1 Club-Vorteile
finden Sie in oe1.ORF.at
Ö1_Club_134x212_Stadtkino.indd 1
Lupe mit Licht zu verwenden. Zu seltenen
Gelegenheiten hatte ich auch das besondere
Vergnügen durch ein Mikroskop zu sehen.
Eine weitere aufregende Erinnerung ist das
Anschauen von 16mm-Filmen im Amerikanischen Institut. Die Amerikaner hatten
damals Basisstationen im Nordosten, um dem
Kommunismus entgegenzuwirken. Neben
anderen Filmen erinnere ich mich sehr gut
an den schwarz-weißen King Kong. Filme und
medizinische Instrumente waren die besten
Erfindungen meiner Kindheit.
11.12.15 09:32
Auswirkungen auf Generationen: Wie sehen
wir uns selbst? Durch diese Informationen,
die zutage treten, und durch aktuelle Studien
verändert sich unser Identitätssinn. Ich denke,
der Film spielt mit diesem instabilen Zugehörigkeitsgefühl.
In Ihren Filmen arbeiten Sie regelmäßig mit der echten Jenjira zusammen. In „Cemetery of Splendour“
hat sie aber eine noch zentralere Rolle als in der
Vergangenheit.
Unsere Zusammenarbeit hat mit Blissfully Yours
(2002) begonnen. Danach war sie oft und
gern in unserem Büro. Ich habe sie für ihren
Charakter, ihre Töchter und ihre Geschichten
lieben gelernt. Sie hat ein Gedächtnis, das ich
gerne hätte, ein Gedächtnis, das sich an alles
erinnert. Ich glaube, sie kann sich zum Beispiel
daran erinnern, was wir an welchem Drehtag
vor zehn Jahren zu Mittag gegessen haben. Also
haben wir bei vielen Projekten zusammengearbeitet, auch für ein Buch, das sie geschrieben
hat. Sie hat mich dazu inspiriert, mehr über
die Geschichte Isans, des Nordostens Thailands
zu erfahren. Dadurch wurde dieser Film mein
Traum, ihrer, und ein bisschen, so stelle ich es
mir vor, der meiner Mutter.
Im Nachhinein gesehen kann „Cemetery of
Splendour“ ein Traum
des Wachseins sein
oder eine Realität,
die scheinbar wie ein
Traum ist.
Die meisten der Darsteller stammen aus Isan und
im Film wird hauptsächlich im isanischen Dialekt
gesprochen. Gibt es bestimmte Traditionen und
Überzeugungen, die nur in Isan zu finden sind?
Das Gebiet von Isan bestand früher aus
verschiedenen Reichen – Kambodscha, Lan
Chang (Laos). Dies war bis zur Vereinigung
(oder Thaifizierung) so, als Bangkok den
Nordosten übernommen hat. Meine Familie
ist einige Jahre bevor ich geboren wurde von
Bangkok dorthin gezogen. Es ist ein trockener
Ort, nicht so prächtig wie das zentral gelegene
Flachland (wo Bangkok liegt). Für mich ist es
allerdings sehr farbenfroh wegen der Spur des
Animismus der Khmer. Die Leute leben also
nicht nur in einer alltäglichen Welt, sondern
auch in einer spirituellen Welt. Einfache Dinge
können magisch sein.
Apichatpong Weerasethakul, „Cemetery of Splendour“
StadtkinoZeitung
09
Schlafend gebannt von Illusion und höchst realen Dämonen.
Können Sie etwas über Ihre Rollenbesetzung erzählen? Sie arbeiten regelmäßig mit denselben Schauspielern, wie Jenjira, aber suchen auch nach Leuten,
die keine Profis sind.
Da der Film in Khon Kaen gedreht wurde,
haben wir auch dort ein Casting gemacht.
Ich war positiv überrascht, so viele Talente
zu entdecken. Es gibt dort sogar einige junge
enthusiastische Filmemacher. Diesen Film zu
drehen war für mich so, als würde ich einen
Debütfilm machen. Ich habe versucht, einige
meiner stilistischen Beschränkungen aufzugeben und mich der Energie der Stadt hingegeben. Mit den Laiendarstellern zu arbeiten hat
mir geholfen, einen Rhythmus zu finden.
Bei diesem Dreh war Ihr Kameramann Diego
Garcia der einzige, mit dem Sie zum ersten Mal
zusammengearbeitet haben.
Miguel Gomes hat meinen üblichen
Kameramann nach Portugal entführt, um
seine Filmtrilogie 1001 Nacht zu drehen.
Ich habe mich für ihn gefreut, weil Gomes
einer der besten ist. Aber ich befand mich
in einem Dilemma, also habe ich nach
Vorschlägen herumgefragt. Carlos Reygadas
hat mir Diego vorgestellt, der wahrscheinlich an Carlos‘ nächstem Film mitarbeitet.
Ich war also vielleicht sowas wie Carlos‘
Versuchskaninchen. Ich bin natürlich sehr
glücklich über die Erfahrung. Was ich am
meisten an Diego bewundere, ist seine
Persönlichkeit. Außer der Tatsache, dass
er sehr talentiert ist, ist er sehr ruhig. Ich
mag es nicht, wenn es Geschrei am Set gibt
(meins eingeschlossen). Die ganze Crew
liebt ihn. Nach einigen Drehtagen hatte ich
das Gefühl, schon eine lange Zeit mit ihm
gearbeitet zu haben. Bei diesem Film habe
ich natürliches Licht bevorzugt, ich wollte
einen Hauch von Melancholie. Er hat Wunderschönes geschaffen.
In gewisser Weise ist dieser Film näher an einer
linearen Erzählung dran als Ihre anderen Filme.
Wie bei meinen anderen Filmen war die
Entwicklung von Cemetery of Splendour sehr
organisch. Ich habe meine Träume beobachtet
und gedacht, dass sie ziemlich erzählerisch sind,
mehr noch als meine eigenen Filme. Meine
Träume und meine Erfahrungen im Wachzustand sind gleich wichtig für mich. Im Nachhinein gesehen kann Cemetery of Splendour ein
Traum des Wachseins sein oder eine Realität,
die scheinbar wie ein Traum ist.
Filmografie Apichatpong Weerasethakul
2015 CEMETERY OF SPLENDOUR
2012 MEKONG HOTEL
2010 UNCLE BOONMEE ERINNERT SICH AN SEINE VORHERIGEN LEBEN
2006 SYNDROMES AND A CENTURY
2004 TROPICAL MALADY
2003 THE ADVENTURE OF IRON PUSSY
2002 BLISSFULLY YOURS
2000 MYSTERIOUS OBJECT AT NOON
Georges Feydeau
Der Gockel
ab 18. November 2015
Sie haben den Film als „ein Nachsinnen über Thailand, eine fieberhafte Nation“ beschrieben?
Es gab endlose Zyklen von Befreiungsschlägen
seit 1932, als wir das Regierungssystem einer
absoluten Monarchie zu einer konstitutionellen Monarchie verändert haben. Wir haben
einen Zyklus von träumen und einen Zyklus
von Befreiungsschlägen. Propaganda hat ihre
Form über die Jahre verändert. Leute wurden
ins Gefängnis geworfen. Der Film ist ein Ort,
an dem ich kommunizieren kann. Ich möchte
nicht mit Bildern von Schusswaffen und Blut
sprechen. Ich teile meine Gedanken in Form
von Humor, wobei ich weiß, dass Angst und
Traurigkeit die wahren Einflüsse sind, die zu
diesem Film geführt haben.
»Eine Riesenhetz.
Ein Pointenfeuerwerk.«
(NEWS)
Regie Josef E. Köpplinger
Deutsch von Elfriede Jelinek
Mit Pauline Knof, Alexandra Krismer,
Silvia Meisterle, Susanna Wiegand,
Michael Dangl, Dominic Oley,
Roman Schmelzer, Siegfried Walther,
Martin Zauner u.v.a.
www.josefstadt.org
Karten und Info unter:
T +43 1 42700-300
Jarinpattra Rueangram und Jenjira Pongpas Widner
INSERAT_Der_Gockel_fin.indd 1
09.12.15 14:12
Scope 100
10
StadtkinoZeitung
Auf Schatzsuche
Die „heiße Phase“ unseres Scope100 Projekts hat begonnen.
S
eit Anfang Dezember sichten sich unsere 100 Filmfans durch zehn ausgewählte
europäische Filme, die bislang keinen regulären Kinoverleih in Österreich haben und
somit um die Gunst unserer Scope100erInnen
buhlen. Wir stellen sie Ihnen hier vor:
Maryland von Alice Winocour lief bereits auf
dem Filmfestival in Cannes und erzählt die
Geschichte eines Ex-Soldaten, der unter posttraumatischen Störungen leidet und auf die
Frau eines reichen französischen Geschäftsmannes aufpassen soll, die von Diane Kruger
(Inglorious Basterds) gespielt wird … Filme aus
Estland sind hierzulande so gut wie nie zu sehen – vielleicht ändert sich durch Scope100
dieser Umstand ja und Risttuules (In the
Crosswind) von Martti Helde, der beim Toronto Film Festival seine Weltpremiere feierte,
läuft bald auf unseren Kinoleinwänden? Die
wunderschön gefilmten schwarz/weiß Bilder
stehen in krassem Gegensatz zur heftigen Geschichte aus dem Kriegsjahr 1941: Eine junge
Frau und ihre Tochter kämpfen sich aus der
sibirischen Gefangenschaft zurück in ihre estnische Heimat … In Tempête (Land Legs) von
Samuel Collardey verschlägt es die Zuschauer
an die raue französische Westküste. Dort ist der
Fischer Dom oft lange von seinen Kindern,
die trotzdem bei ihm leben, getrennt – als seine Tochter ihm jedoch ihre Schwangerschaft
offenbart, muss er eine Entscheidung treffen.
Dominique Leborne erhielt in Venedig einen
Preis als Bester Hauptdarsteller … Arnaud
Desplechin als Altmeister zu bezeichnen, wäre
etwas verwegen, ein gänzlich Unbekannter ist
der Franzose allerdings auch nicht gerade. Mit
Trois souvenirs de ma jeunesse ist er nach ein paar
Manal Issa in „Parisienne“.
Jahren Pause wieder zurück im Kino – und
schlägt darin die Brücke zu seinem Comment je
me suis disputé… (ma vie sexuelle) aus dem Jahr
1996. „Ein Film, in den man sich verlieben
muss“, schrieb der Mit-Autor des Weerasethakul-Textes in dieser Ausgabe, Patrick Holzapfel
… Die Dokumentation Olmo and the Seagull
von Lea Glob und Petra Costa begleitet das
Schauspielerpaar Olivia und Serge durch ihre
Höhen und Tiefen und gibt intime Einblicke
in ihr Seelenleben. Auf dem Festival in Locarno gewann der Film den Junior Jury Award …
Peur de rien (Parisienne) von Regisseurin Da-
Sky Night
Golden Globes
nielle Arbid ist ein autobiographisch geprägtes
Drama über eine junge Libanesin, die in den
90ern in Paris landet und sich durchschlagen
muss. Kritiker zeigten sich insbesondere von
Manal Issa in ihrer ersten Hauptrolle beeindruckt … Federico Veiroj ist zwar eigentlich
aus Uruguay, aber dank französisch-spanischer
Beteiligung ist sein neues Werk El apóstata bei
Scope100 vertreten. Darin erzählt der Regisseur, dem auf der letzten Viennale ein Tribute
gewidmet worden ist, von Gonzalo und seiner
Odyssee, sich von den Fesseln des katholischen
Glaubens zu befreien. Es ist vielmehr aber die
Geschichte einer behüteten Kindheit, einer
verklemmten Sexualität und die Liebe zu einer unantastbaren Frau … Efterskalv (The Here
After) ist gewissermaßen der obligate schwedische Beitrag zu Scope100: Nach Verbüßung
seiner Haftstrafe für den Mord an seiner Exfreundin, kehrt der Teenager John zurück zu
seinem Vater und jüngeren Bruder und möchte ein neues Leben beginnen. Andere Mitbürger sind allerdings wenig erfreut darüber: Sie
wollen ihm nicht vergeben – und ein Teufelskreis beginnt. Magnus von Horns Spielfilmdebüt lief in Cannes und erhielt beim Polnischen
Filmfestival u.a. den Preis für die Beste Regie
… Nicht unbedingt weniger düster geht es in
Las altas presiones (The high pressures) von Ángel
Santos‘ (ebenfalls ein Debütfilm) aus Spanien
zu. Miguel, ein junger Mann, befindet sich in
einer totalen Existenzkrise und zieht sinnlos
durch die Landschaft Galiziens, wo er für ein
Filmprojekt Locations sichten sollte. Er macht
dabei zwar auch neue Bekanntschaften, bleibt
aber trotzdem allein. Nicht nur visuell ist der
Film wuchtig! … Die Zehn komplett macht
mit dem Rumänen Corneliu Porumboiu ein
Zehn Filme stehen bei
unserem Scope100
Projekt zur Auswahl.
alter Bekannter des Stadtkino Filmverleihs
(seinen Film 12:08 östlich von Bukarest brachten wir 2006 in die Kinos). In Comoara (The
Treasure) – in Cannes für das Beste Drehbuch
ausgezeichnet – treffen wir auf zwei Männer,
die sich auf die Suche nach einem geheimnisvollen Schatz auf dem Anwesen der Großeltern des einen begeben. Dabei entdecken sie
jedoch so manch anderes …
Was die Schatzsuche unserer Scope100erInnen zu Tage führen wird, und für welchen
dieser zehn Filme sie sich entscheiden werden,
ist derzeit noch unbekannt. In der nächsten
Ausgabe werden wir diesem Geheimnis allerdings näher auf der Spur sein.
•
presented by TNT Serie & E! Entertainment
10. Jänner
Stadtkino
im Künstlerhaus
Beginn: 20.30 Uhr
Freier Eintritt
skynightevent
skynight.at
In Kooperation mit:
EVERYDAY REBELLION (OmeU)
18.01.2016 19:00 UHR
Filmhauskino am Spittelberg in Anwesenheit von
Arman T. Riahi, Ko-Regisseur
„Everyday Rebellion“ wird mit dem „Ciné-Club du Lycée français de Vienne“, in
Zusammenarbeit mit dem „Club du Mardi“,
im Rahmen der „Demokratie- und Brüderlichkeit-Woche“ des Lycée Francais gezeigt.
Die Organisation dieser Woche kommt dem
Wunsch der Schülerinnen angesichts der
schrecklichen Ereignisse in Paris 2015 nach.
Karten ab sofort erhältlich
Impressum Telefonische Reservierungen von Mo. bis Do. 8.30-17 Uhr, Fr. 8.30-14 Uhr
unter 522 48 14 – während der Kassaöffnungszeiten: Stadtkino im Künstlerhaus Akademiestraße 13, 1010 Wien, Tel. 712 62 76 / Filmhaus Kino am Spittelberg Spittelberggasse
3, 1070 Tel. 522 48 16. Online www.stadtkinowien.at Herausgeber, Medieninhaber
Stadtkino Filmverleih und Kinobetriebsgesellschaft m.b.H., Spittelberggasse 3/3, 1070 Wien
Graphisches Konzept Markus Raffetseder Redaktion Claus Philipp Druck
Druck Styria GmbH & Co KG, Styriastraße 20, 8042 Graz Offenlegung
gemäß Mediengesetz 1. Jänner 1982 Nach § 25 (2) Stadtkino Filmverleih und Kinobetriebsgesellschaft m.b.H. Unternehmungsgegenstand Kino, Verleih, Videothek Nach § 25 (4) Vermittlung von Informationen auf dem Sektor Film und Kino-Kultur. Ankündigung von Veranstaltungen des Stadtkinos. Preis pro Nummer 7 Cent / Zulassungsnummer GZ 02Z031555
Verlagspostamt 1150 Wien / P.b.b.
StadtkinoZeitung
„Anomalisa“, Nacht der Programmkinos, Mara Mattuschka
11
Anomalisa
Charlie Kaufmans erster Trickfilm ab 21.1. im Filmhaus Kino.
Fantasie jederzeit auch in eine berührende,
konzertierte Erzählung einfügen kann. Mit
seinem Ko-Regisseur Duke Johnson fusionieren in den zehntausend Einzelbildern
der Begegnung zwischen Michael und Lisa
paranoide und hyperrealistische Elemente,
während sich zugleich der langsame mentale
Zusammenbruch des Mannes als ein in jeder
Hinsicht bewegender Moment in Lisas Leben erweist. Anomalisa ignoriert, smart und
wendungsreich, die Konventionen des Animationskinos ebenso, wie die Zwänge einer
rein realistischen Erzählung und schenkt den
Zuschauern eine schillernde Projektionsfläche für ihre Phantasien.
•
Charlie Kaufman
Anomalisa
(USA 2015)
Ausgezeichnet mit dem Großen Spezialpreis der Jury beim Filmfestival in Venedig.
D
er erfolgreiche Motivationstrainer
und Bestsellerautor Michael Stone
reist durch Amerika und begeistert
mit seinen Vorträgen unzählige Menschen.
Viele hoffnungslose Fälle hat er durch sein
Buch erlöst, doch nun scheint er selbst in
eine große Krise zu geraten. Während er
anderen Menschen hilft, wird sein Leben
immer leerer und bedeutungsloser. Müde
vom vielen Reisen, gelangweilt von seinem
Leben als Familienvater, kommen ihm alle
Menschen gleich vor. Als plötzlich in einer
weiteren einsamen Nacht die schöne und
lebendige Stimme einer Frau in sein Hotelzimmer dringt, schöpft er neue Hoffnung.
Die unwiderstehliche Stimme gehört Lisa,
die in einem Call-Center arbeitet und extra
für Michaels Vortrag von weit her angereist
ist. Michael ist überzeugt: Mit Lisa kann er
einen Neustart wagen …
Charlie Kaufman, genialischer Autor von
Arbeiten wie Being John Malkovich oder Eternal Sunshine oft he Spotless Mind, zeigt mit
Anomalisa, wie sich der Wahnwitz seiner
Regie Charlie Kaufman, Duke Johnson
Drehbuch Charlie Kaufman
Darsteller David Thewlis (Stimme), Jennifer
Jason Leigh (Stimme), Tom Noonan (Stimme)
Kamera Joe Passarelli
Schnitt Garret Elkins
Musik Carter Burwell
Produktion Starburns Industries
Verleih Universal
Länge 90 Min.
Format DCP / Farbe / OmdU
Ab 21. Jänner im Kino
Die Nacht der Programmkinos
am Freitag, 22. Jänner 2016
V
on der IG Programmkino 2011 erstmals veranstaltet, war diese Veranstaltung auf Anhieb ein riesiger Erfolg und
ist seither aus dem jährlichen Programmkalender nicht mehr wegzudenken. Die Nacht der
Programmkinos ist eine Einladung an all jene,
die das Arthauskino noch nicht ganz für sich
entdeckt haben und zugleich ein kleines Dankeschön an die vielen StammbesucherInnen die
gerne und regelmäßig in die Programmkinos
gehen.
Denn die Programmkinos sind nicht nur ein
Ort der lebendigen Auseinandersetzung mit
den jeweils wichtigsten Arthausfilmen, sondern
sind stets bemüht, ihrem Publikum eine familiäre und angenehme Atmosphäre zu bieten.
Angesichts der Übermacht der Multiplexe gibt
es nur mehr wenige traditionelle Kinos in innerstädtischen Lagen, und viele (wenn nicht die
meisten) von ihnen sind Programmkinos, die
die urbane Tradition der europäischen KinoKultur auf durchdachte und zeitgemäße Weise
fortsetzen.
Seit 1981 versorgt das Stadtkino – Wiens einziges kommunales Kino – die Filmlandschaft
mit unverwechselbaren internationalen und
nationalen Handschriften des Kinos. Rund 500
Filme wurden seither angekauft – die meisten
davon wären ohne das Stadtkino, das seit 2013
im Künstlerhaus am Karlsplatz beheimatet ist,
und den angeschlossenen Stadtkino Filmverleih
in Österreich nicht zu sehen gewesen. Auch die
zweite Stadtkino-Spielstätte, das Filmhauskino
am Spittelberg, hat sich als beliebte Anlaufstelle für wesentliche Beiträge zum Autorenkino
unserer Zeit etabliert. Cineasten schätzen vor
allem die Vielfalt an heimischen Produktionen,
die hier zu entdecken sind.
•
Programm im
Stadtkino im Künstlerhaus
17:00 Gerald Igor Hauzenberger: LAST SHELTER
(Ö 2015, 103 Min, OmdU)
19:00 Apichatpong Weerasethakul: CEMETERY OF SPLENDOUR
(THA/UK/F/D 2015, 122 Min, OmdU)
21:30 Thomas Heise präsentiert Arbeiten der Filmklasse
der Akademie der Bildenden Künste
Programm im
Filmhaus Kino am Spittelberg
16:00 Miguel Gomes: 1001 NACHT - TEIL 1: DER RUHELOSE
(PT/F/D/CH 2015, 125 Min, OmdU)
18:30 Miguel Gomes: 1001 NACHT - TEIL 2: DER VERZWEIFELTE
(PT/F/D/CH 2015, 131 Min, OmdU)
21:00 Miguel Gomes: 1001 NACHT - TEIL 3: DER ENTZÜCKTE
(PT/F/D/CH 2015, 125 Min, OmdU)
Neue Filme von Mara Mattuschka
Im Filmhaus Kino am Spittelberg
FREITAG, 28.1., 21:00 UHR & SAMSTAG, 6.2., 21:00 UHR
STIMMEN
(Ö 2014, 115 Min, Deutsche Originalfassung)
SAMSTAG, 29.1., 21:00 UHR & FREITAG 5.2., 21:00 UHR
PERFECT GARDEN
(Ö 2013, 80 Min, Deutsche Originalfassung)
A
I
lex Gottfarb ist nicht allein, beschreibt
Mattuschka die Idee von Stimmen, in seinem inneren Haus wohnen der schüchterne
Alexander, die sexy Sandra, der Teenager Alex
und das Wunderkind Xandi – Abspaltungen
seiner Selbst. Eine Tour de Force durch die
psychische Innenarchitektur eines Menschen,
die bildhafte und stimmliche Gleichzeitigkeit, die wir alle erleben, während wir nach
Außen hin eine geschlossene Persona repräsentieren. Das ist in diesem überbordend
fantasiereichen Film alles zugleich: ernsthaft,
komisch, verspielt, tragisch, verrückt, verschoben – a real Mattuschka-Experience, that
nobody should miss.
Viennale
n einem okkupierten Etablissement – einer Art selbstdefinierten Subkosmos der
Realität – vollzieht sich eine körperbetonte
Suche nach Lust und Erfüllung. Frauen und
Männer tanzen, begehren und interagieren,
ihr perfekt choreografiertes Körperspiel
wird zur symbiotischen Verlängerung eines
exzessiv hedonistischen Unterbewusstseins.
Dazwischen: Ein Mafiaboss, der das Lokal
zu übernehmen trachtet und den Sinn des
Lebens findet. Ein traumhaft-hypnotischer
Spielfilm. Utopisch realistisch.
Diagonale
Ab Februar im Stadtkino im Künstlerhaus & Filmhaus Kino am Spittelberg
BELLA E PERDUTA
von Pietro Marcello &
RIGHT NOW, WRONG THEN
von Hong Sang-soo