Die wundersamen des Universalgelehrten

Transcription

Die wundersamen des Universalgelehrten
Uhren ludwig oechslin
Die wundersamen
Erfindungen des Universalgelehrten
Ludwig Oechslin ist Kurator des Internationalen Uhrenmuseums
in La Chaux-de-Fonds, Physiker, Mathematiker, Astronom und
begnadeter Uhrmachermeister. Er entwickelt hochkomplizierte
und ganz einfache Uhren , die auf das Wesentliche reduziert sind .
Text: gebhard Osterwalder Photos: MIh
Das Rumpelbähnchen hötterlet ge-
Der unscheinbare
Eingang zum
Musée international
d'horlogerie
Rue des Musées 29
La Chaux-de-Fonds
Tel. 032 967 68 61
www.mih.ch
Geöffnet:
Di–So 10–17 Uhr
mütlich fast eine Stunde lang durch eine
rustikale Landschaft von Biel nach La Chauxde-Fonds, wo der SEESICHT-Uhrenkolumnist das Uhrenmuseum und seinen Direktor
Ludwig Oechslin besuchen will. La Chauxde-Fonds ist eine überraschende Stadt, die auf knapp
tausend Metern über Meer
liegt. Nachdem ein Grossteil
des Ortes im 18. Jahrhundert
durch ein verheerendes
Feuer zerstört wurde, errichtete man eine neue moderne Stadt mit schnurgeraden Strassen. Zu ihren berühmten Kindern zählen der
Architekt Le Corbusier und der Autobauer
Louis Chevrolet.
Hinter einem unscheinbaren Eingang,
wenige Schritte vom Bahnhof von La Chauxde-Fonds entfernt, an der Rue des Musées
Nummer 29, befindet sich eine wahre
Schatzkammer des edlen Uhrenhandwerks:
Das Musée International d’Horlogerie. Es
beherbergt mit viertausendfünfhundert
Uhren, von der Sonnenuhr bis zur Atomuhr,
die weltweit bedeutendste Sammlung.
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Das 1994 fertiggestellte Bauwerk entstand
unter ganz besonderen Vorgaben: Es sollte
im Park des Historischen Museums gebaut
werden, allerdings ohne diesen zu beeinträchtigen. So wählten die Architekten den
einzigen machbaren Weg, sie gingen unter
die Erde. In die Decke liessen sie Öffnungen
ein, durch die wohldosiertes Tageslicht einströmen kann. «Wie die Höhle des Ali Baba,
gefüllt mit Schätzen» lobte die damalige
Museumsbroschüre den Neubau.
Das Museum widmet sich nicht allein den
Zeitmessern aller Epochen, sondern es beherbergt auch das «Institut de l’Homme et
du Temps» und eine Uhrenwerkstatt, das
«Centre de Restauration Horlogère». Das
Studienzentrum des Institutes ist speziali-
Ludwig Oechslin:
Seine astronomischen
Armbanduhren für
Ulysse Nardin sind
legendär.
Von Oechslin geschaffene Zeitwerke: Links die Tischuhr «Planet Earth» von Ulysse Nardin,
welche jederzeit die Position der Sonne anzeigt. In der Mitte oben die von Paul Gerber aus Titan gebaute
Oechslin-Kinderuhr «settimana junior» mit Wochentaganzeige, in der Mitte unten die auf das Wesentliche
reduzierte «luna mese» von Ochs und Junior. Rechts das Modell «Planetarium Copernicus» von
Ulysse Nardin mit ewigem Kalender und dem sich um die Erde drehenden Mond.
Ein Blick in das
«Centre de Restauration Horlogère»,
das dem Museum
angegliedert ist.
siert auf die die historische Nachforschung.
Es verfügt über eine der grössten Datenbanken der Uhrmacherkunst und über die Geschichte der Zeitmessung. Die Idee, ein Museum zu gründen, entstand bereits im 19.
Jahrhundert aus dem Bedürfnis heraus, die
Sammlungen der umliegenden Uhrmacherschulen auch der Öffentlichkeit zugänglich
zu machen. Im Technikum an der Rue Numa
Droz wurde 1902 die erste Sammlung dem
Publikum präsentiert.
In der Verwaltung des Museums, in einer einfachen, mit Papieren übersäten
Klause, treffen wir Ludwig Oechslin, der seit
2002 Leiter und Kurator des Uhrenmuseums ist. Eigentlich ist er ein Universalgelehrter alter Schule. Er studierte theoretische Physik, Mathematik, Griechisch
und Astronomie an
den Universitäten
von Basel und Bern,
bevor er parallel zu
seinen Studien in
Teilzeit von 1976 bis
1984 bei Jörg Spöring in Luzern eine
Lehre als Uhrma-
cher-Rhabilleur absolvierte. 1993 bestand
er die Prüfung zum eidgenössisch diplomierten Uhrmachermeister. Noch während
seiner Lehre bei Spöring lernte Oechslin einen gewissen Rolf W. Schnyder
kennen, der kurz zuvor die damals marode Uhrenmanufaktur Ulysse Nardin übernommen hatte. Um Ulysse Nardin
auf dem Markt neu zu lancieren, war ein Geniestreich gefragt. Dieser folgte, als Schnyder im Atelier von Spöring ein
Astrolabium entdeckte, eine
grosse komplizierte astronomische Uhr. «Herr Oechslin, können Sie ein Astrolabium für das
Handgelenk entwickeln?» Der Funke zwischen Unternehmer und Wissenschaftler
sprang sofort über. Oechslin entwickelte in
der Folge für Ulysse Nardin die «Astrolabium Galileo Galilei», eine hochkomplizierte Uhr, die für mehrere Einträge im
Guinnessbuch der Rekorde sorgte. Sie zeigt
die Positionen der Sonne, des Mondes und
www.seesichtmagazin.ch Die indirekt
beleuchteten
Plexiglaskugeln
erlauben es dem
Besucher, die
Uhren von allen
Seiten zu
betrachten.
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Uhren Uhrenmuseum La Chaux-de-fonds
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1) und 2) Runde emaillierte Taschenuhr «Venus und Adonis» von Francois Baronneau, Paris,
gebaut ca.1650; 3) Marineuhr Nr. 12 von Ferdinand Berthoud, Paris, 1774; 4) und 5) Sogenannte
«proletarische Taschenuhr» von Georges-Frédéric Roskopf, La Chaux-de-Fonds um 1867;
6) Tischuhr «Mysterieuse» von Jean-Eugène Robert-Houdin, Paris um 1860.
Monumentales
Glockenspiel von
Onelio Vignando
im Park über dem
Internationalen
Uhrenmuseum.
der Sterne zu jeder gewünschten Zeit aus
der Sicht der Erde an. Auch der Sonnenaufgang, der Sonnenuntergang, die Morgenund Abenddämmerung und sogar die Sonnen- und Mondfinsternis sind zu sehen.
Doch das Astrolabium war erst der Anfang,
es sollte mit der «Planetarium Copernicus»
und dem «Tellurium
Johannes
Kepler»
eine ganze Trilogie
von astronomischen
Armbanduhren entstehen.
Reduziert auf
das Maximum hat
Ludwig Oechslin jedoch eine seiner neuesten Schöpfungen, die
«luna mese idea». Es ist eine sogenannte
Konzeptuhr, die er für seine eigene Marke
Ochs und Junior erdacht hat. Der Stundenzeiger weist in Richtung Sonne, das Zentrum der Uhr nimmt die Position der Erde
ein, um welche der Mond rotiert. Innerhalb
der etwa 30 Tage dauernden Mondphase
verändert das Zifferblatt kontinuierlich sein
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Aussehen und zeigt die sichtbaren Veränderungen des Mondes an. Oechslin baut diese
romantische Innovation mit nur vier funktionalen Teilen. Getreu seinem Motto, dass
die beste Lösung immer die einfachste ist.
Ebenfalls aufs Wesentliche reduziert ist die
von Oechslin konzipierte Uhr für das Internationale Uhrenmuseum. Er nennt sie
schlicht MIH-Uhr, also die Uhr des Musée
International d’Horlogerie. Damit erfüllt er
sich einen lange gehegten Wunsch, einmal
eine einfache Uhr zu bauen. Ermöglicht
wurde dies durch seine gegenwärtige Arbeit
am Museum, der Zusammenarbeit mit dem
Luzerner Uhrengeschäft Embassy und der
Begeisterungsfähigkeit des Meisteruhrmachers Paul Gerber. Die MIHUhr bietet mit der geringstmöglichen Anzahl beweglicher Teile den grösstmöglichen Nutzen. Dabei handelt
es sich um die Anzeige des
Datums unter Berücksichtigung der unterschiedlichen
Monatslängen. Auch die Verpackung ist einfach. Oechslin: «Wir legen die Uhr jeweils in die aktuelle Ausgabe
der NZZ, dem gehaltvollsten
Produkt der Schweiz.»
Meridianfernrohr
der Société
d’instruments
de physique, Genf.