"Sayounara" Englisch – Wir lernen jetzt Japanisch

Transcription

"Sayounara" Englisch – Wir lernen jetzt Japanisch
4 . D E Z E M B E R 2 011
W E LT A M S O N N TAG
NRW 13
NR. 49
Studentin aus Münster
lässt Töne sprechen
MARCUS BÄCKER
C
hristiane Licht ist 20 Jahre
alt und studiert in Münster
Medizin. Schon als 17-jährige Schülerin begann sie, eine auf Musiknoten basierende Geheimsprache zu entwickeln.
Darüber hat sie ein Buch geschrieben,
das nun veröffentlicht wurde, passenderweise im Geheimsprachen-Verlag, Titel: „Kryptographie und Musik“ (19,80
Euro). Da die Handynummer der
Codier-Expertin zum Glück nicht geheim gehalten wird, ist es ein leichtes,
mal bei ihr durchzuklingeln.
Lena (r.) und Sara gehen in die 9. Klasse. Sie
lernen seit zwei Jahren
Japanisch. Hinter ihnen
sitzt Anika, die in
ihrer Freizeit Mangas
zeichnet. An der
Tafel Lehrerin
Stanislava Saito
Ach was. Und dann?
Dann habe ich im Internet und in Bibliotheken nach Büchern wie „Die häufigste
Note in Bachwerken“ gesucht. Mir ist
aber erschreckenderweise aufgefallen,
dass es so etwas noch gar nicht gibt. Und
deshalb habe ich mich drangemacht, über
40 000 Noten zu zählen. Von Bach, Vivaldi, Mozart und Beethoven. Danach konnte ich dann eine Häufigkeitstabelle für die
Geheimsprache aufstellen.
Nachdem Sie mit dem Notenlesen
fertig waren, wie ging es dann weiter?
Nachdem ich die Noten aller Komponisten addiert hatte, dachte ich noch
einmal an die Basisvoraussetzung: häufigste Note, häufigster
Buchstabe. Dachte dabei aber
gleichzeitig, das wäre zu leicht zu
knacken. Deshalb habe ich einige
Fallen eingebaut.
MARIA BRAUN
DPA
WELT AM SONNTAG: Hallo
Frau Licht, könnten Sie mich
wohl bitte in Ihrer Geheimsprache begrüßen?
CHRISTIANE LICHT: Ja, naChristiane
türlich.
Licht
(Sie pfeift eine kurze Melodie.)
Japanisch für Anfänger
MARIA BRAUN
G
uten Morgen!“, sagt
die Lehrerin auf Japanisch und 27
Schüler antworten:
„Ohayo gozaimasu“.
Die Neuntklässler
des Cecilien-Gymnasiums in Düsseldorf lernen seit eineinhalb Jahren Japanisch. Sie beherrschen aber schon weitaus mehr als nur
die richtige Begrüßung, sondern können
auch schon kleine Gespräche miteinander führen. Und das ist wichtig, denn
Smalltalks zum Thema Wetter und Essen sind in Japan das A und O.
Auffällig ist, mit wie viel Aufmerksamkeit die Schüler der Doppelstunde folgen. Auch wenn die Lehrerin Stanislava
Saito heute nur mit leiser Stimme sprechen kann, da sie heiser ist, hören die
Schüler geduldig zu, wenn sie fragt:
„senshuu wa nani o shimashitaka?“ (Was
hast du letzte Woche gemacht?) – und
der gefragte Schüler erst mal lange überlegen muss. Die Konzentration ist wohl
darauf zurückzuführen, dass sich die
Schüler freiwillig für diese schwierige
Sprache entschieden haben. Am Ende
der 7. Klasse hatten sie die Wahl zwischen Französisch, Italienisch, Japanisch
oder Informatik. 27 von ihnen entschieden sich für Japanisch. Und wem die
Sprache liegt, der kann sich darin auch
im Abitur prüfen lassen.
Diese Wahlfreiheit haben die wenigsten Schüler in Deutschland, obwohl das
Interesse an Japanisch groß ist. Mittlerweile bieten 66 Schulen Japanischunterricht an, doch in den meisten Fällen sind
es nur AGs am Nachmittag. Bis zum Abitur, so wie am Düsseldorfer CecilienGymnasium, führen nur 14 Schulen.
Doch das könnte sich bald ändern. Seit
Oktober werden in Köln Japanisch-Lehrer ausgebildet, genauer gesagt bietet die
Universität zu Köln erstmals den Studi-
Weil die Nachfrage so
enorm gestiegen ist,
bietet die Universität
zu Köln als erste in
Deutschland einen
Studiengang für
Japanisch-Lehrer an
engang Japanisch auf Lehramt an. Ein
Fach, das Studenten an keiner anderen
Hochschule in Deutschland belegen
können. Dementsprechend groß war zu
Semesterbeginn die Nachfrage.
30 Studienanfänger bewarben sich auf
zehn Plätze. Einen Platz ergatterte Mathias Willuweit. „Es ist genau das, was
ich immer machen wollte“, sagt der 23Jährige aus Bocholt. „Schon während des
Abiturs war mir klar, dass ich Lehrer
werden will, aber ich wollte auch unbedingt Japanisch studieren. Beides zusammen ging nicht, also musste ich mich
entscheiden.“ Er entschied sich für den
Lehrberuf und studierte sechs Semester
lang Englisch und Geschichte in Essen.
Im Sommer las er dann zufällig die
Ankündigung der Kölner Uni, dass sie
Japanisch für Lehrer anbieten wollen.
„Ich habe sofort in Köln angerufen und
mich erkundigt“, sagt Willuweit. Und
dabei blieb es nicht. Er bewarb sich für
Japanisch und Geschichte und bekam in
beiden Fächern einen Platz.
Für seinen Traumberuf muss er nun
jeden Morgen sehr früh aufstehen. Wenn
der Sprachkurs am Japanologischen Institut um 10 Uhr beginnt, klingelt der
Wecker in Bocholt um sechs Uhr. Zwei
Stunden pendelt er am Morgen nach
Köln, mindestens zwei Stunden dauert
die Rückfahrt am Abend.
Für seine Eltern ist das alles eher unverständlich. „Sie waren nicht begeistert“, erzählt Willuweit. „Mein Vater sagte: Japanisch-Lehrer braucht doch keiner
und will auch keiner.“ Doch da könnte
sich Mathias’ Papa täuschen. Viele Schulen, an denen bereits Japanisch unterrichtet wird, haben sich in den vergangenen Monaten an die Kölner Uni gewandt. „Einige Schulleiter sind sehr interessiert“, sagt Franziska Ehmcke, Leiterin des Japanologischen Instituts. Sie
war dabei, als die Idee für den neuen
Studiengang geboren wurde. „Der ehemalige Generalkonsul Japans war zu Besuch beim Kölner Rektor und erzählte
von seiner Idee. Viele Eltern und Schüler
hätten ihm immer wieder gesagt, dass
sie an der Schule Japanisch-Unterricht
vermissten. Und ähnliche Erfahrungen
hatte ich auch in den vergangenen Jahren gemacht“, sagt Ehmcke.
Studenten hätten beklagt, dass sie erst
an der Uni mit einem Sprachkurs beginnen konnten. Und bei Veranstaltungen
wie der Kinder-Uni hätten die Neun- bis
Elfjährigen immer wieder den Wunsch
geäußert, Japanisch in der Schule lernen
zu wollen. Mit dem Einverständnis des
Bildungsministerium Nordrhein-Westfalens nahm die Idee langsam Gestalt an.
Regeln wurden aufgestellt, Lehrpläne
entwickelt, Ziele gesetzt. „Wenn alles
glatt läuft, sind unsere ersten JapanischLehrer im Winter 2016 fertig“, sagt die
Institutsleiterin. Willuweit könnte einer
von ihnen sein. „Ich denke, am Anfang
werden die Schulleiter noch recht skeptisch sein und mich eher wegen meines
Kernfachs Geschichte einstellen. Ich
könnte mir vorstellen, dass ich dann erst
mal mit einer Japanisch-AG anfange und
langsam Überzeugungsarbeit leisten
muss. Natürlich wäre es toll, wenn ich
dann Japanisch auch als Grundkurs unterrichten könnte“, sagt er.
Während die japanische Kultur, vor allem durch Mangas und Zeichentrickfilme, immer beliebter wird, nimmt das Interesse Japans an Deutschland langsam
ab. „Die deutsche Sprache und auch
Deutschland sind zwar in Japan weiterhin beliebt, allerdings eher bei der Generation der über 60-Jährigen“, sagt der
deutsche Japanologe Daniel Gerber, der
seit sieben Jahren in Yokohama lebt.
„Junge Japaner sind mittlerweile doch
sehr auf die USA und Englisch fixiert.
Der japanische Lehrplan an Unis sieht
vor, Englisch vier Jahre als Pflichtfach zu
studieren und eine weitere Fremdsprache für mindestens ein Jahr. In diesem
Wahlpflichtfach war Deutsch lange die
erste Wahl, mittlerweile wurde sie allerdings von Chinesisch abgehängt“.
Aber es gibt Bereiche, wo die Deutsche Sprache weiterhin eine wichtige
Rolle spielt. „Nach wie vor ist es für Medizinstudenten Pflicht, vier Jahre
Deutsch zu studieren, da viele medizinische Fachvokabeln aus dem Deutschen
kommen. Auch bei Juristen ist die Sprache nach wie vor beliebt, weil die erste
japanische Verfassung nach dem Vorbild
der Weimarer Verfassung modelliert
wurde“, sagt Gerber. Wie ihm schon
mehrfach Japaner berichteten, klingt in
ihren Ohren die deutsche Sprache hart,
aber auch kraftvoll.
Für Anika aus der 9. Klasse des Cecilien-Gymasiums klingt Japanisch „einfach schön“. Schon als kleines Mädchen
war Japan für sie aufregend und exotisch. Sie liebte die Zeichentrickfiguren
mit den großen Augen. Schon mit acht
Jahren zeichnete sie Mangas. Mittlerweile sehen ihre Figuren richtig gut aus.
Schlägt sie ihr Buch mit den nachdenklich schauenden Personen auf, die sie alle selbst gezeichnet hat, dann sind ihre
Mitschüler begeistert. Doch jetzt geht
erst mal der Unterricht weiter. Frau Saito will wissen: „juunigatsu tsuitachi wa
nanyoubi desuka?“
Nett. Und was haben Sie mir jetzt gepfiffen?
„Hallo“ hieß das.
Wer Ihr Buch gelesen hat, kann so etwas problemlos verstehen?
Wenn man das absolute Gehör hätte, hätte man das erkennen können. Das absolute Gehör haben aber nur drei Prozent der
Weltbevölkerung oder so.
Und der Rest?
Kann ein Stimmgerät benutzen. Man
nimmt die geheime Botschaft auf, spielt
sie ab, setzt sich mit dem Stimmgerät vor
das Abspielgerät, guckt sich an, welche
Noten es anzeigt, schreibt das auf – und
kann dann übersetzen.
Wie sind Sie auf den Gedanken gekommen, eine Geheimsprache zu
entwickeln?
So vor etwa drei Jahren war das mit Dan
Brown aktuell. Die Illuminaten, die
Weltverschwörung – das fand ich superspannend. Ich habe mich dann allgemein
für geheime Sachen und Geheimsprachen interessiert und mich mit der Kryptografie, also der Kunst des Verschlüsselns, beschäftigt. Und ich habe festgestellt: Alle diese Geheimsprachen sind
supersuperauffällig.
Wer soll Ihre Geheimsprache
denn jetzt anwenden?
Man kann sie zum Beispiel im
Schulunterricht benutzen. Im Musikunterricht hört man ja oft: „Warum muss
ich Musiktheorie lernen, wieso muss ich
die Tonleiter lernen? Das bringt mir
doch nichts, ich spiele doch überhaupt
kein Instrument.“ Da wäre die Geheimsprache ein super Argument. Das ist eine hübsche Spielerei, spannend und
schön knifflig, und vielleicht kann man
mit ihr sogar die Lösung eines Tests
zum Nachbarn rüberpfeifen.
Ich stelle es mir ja sehr schwierig vor,
exakt die richtigen Töne zu pfeifen.
Genau. „Hallo“ habe ich auswendig gelernt, um ein bisschen zu beeindrucken.
Wenn ich jetzt zum Beispiel „Heute geht
es mir gut“ verschlüsseln müsste, dann
ginge das mit dem Pfeifen nicht so spontan. Aber mit einem Instrument würde
das super klappen.
Klingt Ihre Geheimsprache immer
schön? Da gibt es doch bestimmt Sätze, bei denen man an Free Jazz denkt.
Überraschenderweise klingt sie sehr eingängig. Was ein bisschen komisch klingt,
ist zum Beispiel das Ausrufezeichen. Das
ist eine sehr hohe Note.
ANZEIGE
Inwieweit?
Heutzutage wird verschlüsselt, indem
man riesige Primzahlen über die Rechner
schickt. Wenn ich also sehe: Aha, riesige
Primzahlen laufen über meinen Rechner,
dann denke ich mir: Ha! Da wird doch bestimmt was verschlüsselt, da muss ich
mich mal dransetzen.
Leuchtet ein.
Also dachte ich mir: Etwas Cooles wäre
eine Geheimsprache, die nicht auffällt.
Die also nur diejenigen erkennen können,
die Bescheid wissen. Und da kam mir die
Idee, Musiknoten zu nehmen.
Wie sind Sie dann weiter vorgegangen?
Ich wollte erst mal als ganz einfache Basis jedem Buchstaben eine Note zuordnen. Wie mache ich das am besten?
Nicht willkürlich, sondern es soll auch
gut – also unauffällig – klingen. Normal
also. Ich wollte deshalb dem häufigsten
Buchstaben die häufigste Note zuordnen. Im Deutschen ist der häufigste
Buchstabe das E.
Was war der längste Text, den Sie bisher verschlüsselt haben?
Die Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten.
Und? Wie war der Sound nach der
Verschlüsselung?
„Frohe Weihnachten“ klang sehr nett.
„Ich liebe dich“ klingt verschlüsselt auch
sehr schön
Könnten Sie sich wohl flötend von
mir verabschieden?
(Christiane Licht flötet eine Melodie, die
recht weihnachtlich klingt.)
Und?
Das hieß „Danke, tschüss“.
ANZEIGE
+