Warren Buffett - Auf Pilgerfahrt zum Orakel von Omaha
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Warren Buffett - Auf Pilgerfahrt zum Orakel von Omaha
Buffett Warren Auf Pilgerfahrt zum Orakel von Omaha Jeff Matthews Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abruf bar. Die Originalausgabe erschien unter dem Titel Pilgrimage to Warren Buffett’s Omaha ISBN 978-0-07-160197-9 © Copyright der Originalausgabe 2009: Jeff Matthews All rights reserved. Published by McGraw-Hill. © Copyright der deutschen Ausgabe 2009: Börsenmedien AG, Kulmbach Übersetzung: Egbert Neumüller Gestaltung und Layout: Johanna Wack, Martina Köhler, Börsenbuchverlag, Kulmbach Druck: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm ISBN 978-3-941493-06-3 Alle Rechte der Verbreitung, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Verwertung durch Datenbanken oder ähnliche Einrichtungen vorbehalten. Für Fragen rund um unsere Bücher: [email protected] Weitere Informationen unter: www.boersenbuchverlag.de Postfach 1449 • 95305 Kulmbach Tel. 0 92 21-90 51-0 • Fax 0 92 21-90 51-44 44 Für NJB In Liebe, JLM Inhaltsverzeichnis 4 08 Vorwort: Pilgerfahrt nach Omaha Teil 1: Ein sehr rationaler Ort: 2007 16 Einführung: Von Geburt an programmiert 32 Richtig groß 42 Warum Omaha? 62 Die Zeitungsgeneration 72 Das Orakel von Omaha 82 Dieser zusammengewürfelte Haufen 92 Die Rechnung muss aufgehen 98 Buffetts Tisch 104 Der Zeitwert von Warren Buffett 116 Angehende Buffetts: Wo anfangen? 120 Der vielseitigste Anleger der Welt 132 Eine Insider-Information 138 „Man will ihn nicht hängen lassen“ 152 Eindringen 5 162 Wem soll man trauen? 170 Ein grantiger alter Mann? 180 Kunstvoll ausweichen 186 Ein halbes Prozent 194 Und was jetzt? 202 Autofahrt 214 Buffetts letzter Groschen 224 „Dies ist ein sehr rationaler Ort“ Teil 2: Rückkehr nach Omaha: 2008 6 238 Einführung: Familientreffen 246 Dem Jüngsten Gericht entgangen 258 Das eine Prozent 268 Es ist ein schöner Tag 274 Die übliche Prozedur 282 Auf der Suche nach dem ältesten lebenden Manager 290 Was würde Warren tun? 298 Der Aufruhr, der Enron wie ein Kaffeekränzchen aussehen lassen wird 308 Die Pferde scheu machen 316 Ein besonders dämliches Chaos 322 Wie die Luft zum Atmen 330 Offenkundige Geheimnisse 338 Buffetts Radar 346 Eine Familienangelegenheit 354 Der Berkshire-Flohmarkt 362 Aufstieg und Fall der sieben Heiligen 374 Das „Ja“ wird sich nicht ändern 380 Ich bin gestern gestorben 388 Seine innigste Hoffnung 396 Nachsatz: Jenseits von Buffett 402 Anmerkungen 418 Danksagungen 7 Pilgerfahrt nach Omaha Vorwort 8 Jedes Jahr, am ersten Wochenende im Mai, begeben sich Aktionäre von Berkshire Hathaway, ihre Freunde und ihre Familien nach Omaha im Bundesstaat Nebraska zu der größten Finanzversammlung dieser Art. Ausgebuffte Profis, Amateuranleger, junge Anfänger und Warren-Buffett-Junkies verbringen das Wochenende damit, bei Aktionärsempfängen von Berkshire alte Freundschaften zu erneuern und in Geschäften, die Berkshire gehören, Schmuck, Teppichbö den und HDTV-Fernsehgeräte zu kaufen. Aber vor allem kommen sie, weil sie hören wollen, wie Warren Buffett, der Aufsichtsrats- und Vorstandsvorsitzende von Berk shire Hathaway und das „Orakel von Omaha“, während des größten Teils des Samstags auf der Hauptversammlung des Unter- nehmens ihre Fragen beantwortet und seine Weisheiten preisg ibt. Vom frühen Morgen bis in den Nachmittag hinein stellen die Aktionäre alle möglichen Fragen und Buffett beantwortet sie. Sie stellen mehr als 50 Fragen zu fast allen Themen – wie man zum tollen Anleger wird oder was als erster Job für ein ehrgeiziges zehnjähriges Mädchen am besten geeignet wäre. Der Vorsitzende einer der größten börsennotierten Unternehmen der Welt sitzt mit seinem engen Freund, Partner und Vize vorsitzenden Charlie Munger an einem Tisch auf einer kleinen Bühne in der Arena des Qwest Centers in Omaha und bietet Anlegern jeglicher Couleur ein Dutzend offener Mik rofone an. Kein PR-Mensch siebt die Fragen vorher aus. Kein Anwalt schirmt die beiden Männer vor kontroversen Fragen ab. Und 9 10 keine Frage bleibt unbeantwortet, auch wenn sie noch so persön lich, irrelevant oder kontrovers ist. Die Sitzung dauert über fünf Stunden und die Fragesteller reichen von Abtreibungsgegnern bis hin zu Indianer-Aktivisten. Das ist die bemerkenswerteste, wenn auch schmuckloseste Zurschaustellung vorbildlicher Führung in der amerikanischen Unternehmenswelt. Im Mai 2007 kamen 27.000 Menschen aus aller Welt und ich war zum ersten Mal in meiner Laufbahn auch dabei. Ich manage einen Hedgefonds. Das können Sie sich als Investmentfonds ohne Grenzen vorstellen. Wir können in alles investieren, was unsere Anleger wollen – Aktien, Anleihen, Devisen, Öl oder Immobilien. Wir können auch gegen Unternehmen setzen, indem wir sie shorten. Ein anderer Punkt, der einen Hedgefonds von Investmentfonds unterscheidet, ist unsere Bezahlung. Neben einer geringen Gebühr für die Verwaltung des Geldes – ein bis zwei Prozent – bekommen wir einen Anteil der Gewinne, die wir für unsere Anleger erzielen, normalerweise 20 Prozent. Kein Gewinn, keine Bezahlung. Somit haben wir einen Anreiz, für unsere Anleger Geld zu verdienen, ob’s stürmt oder schneit, in Haussen und Baissen. Deshalb neigen Hedgefondsmanager zu größerer Skepsis als der durchschnittliche „Buy and Hold“-Anleger. Hedgefonds gibt es in allen möglichen Geschmacksrichtungen, von trading-orientiert bis hin zum altmodischen Investmentfonds, je nach der Persönlichkeit des Managers. Mein Hedgefonds ist eher altmodisch und investiert ausschließlich in Ak tien – nichts Aufregendes. Wie die meisten value-orientierten Vermögensverwalter studiere auch ich seit zwei Jahrzehnten Buffetts Schriften, Reden und Anlagen. Aber ich fuhr erst nach Omaha zu einer Hauptversammlung von Berkshire, als mich ein Geschäftsfreund und Berkshire- Aktionär namens Chris Wagner dazu einlud. Chris ermunterte mich schon seit Jahren, einmal hinzugehen. „Das ist ein bisschen gespenstisch“, sagte er. „Das ist ein Kult. Das muss man sehen, damit man es wirklich glaubt.“ In diesem Jahr habe ich beschlossen, mit ihm hinzugehen und das selbst zu sehen. Ich erwartete, dass ich die alten Scherze hören würde, die kernigen Weisheiten und die lustigen Anekdoten, die die Hauptversammlung von Berkshire so populär gemacht haben, dass ich Buffetts säuerlichen und (jedenfalls außerhalb der „Berkshire-Familie“) unterschätzten Partner Charlie Munger in Aktion erleben würde und dass ich einem der berühmtesten Wahrzeichen von Berkshire Hathaway einen Besuch abstatten würde – dem Nebraska Furniture Mart. Danach könnte ich genauso wie ein alternder Babyboomer, der hauptsächlich zu einem Konzert der Rolling Stones geht, um Mick Jagger zu sehen, sagen: „Ich habe Warren Buffett gesehen.“ Doch es stellte sich heraus, dass diese Reise viel mehr bedeutete. Schon bevor das Flugzeug in Omaha landete, begann ich zu begreifen, dass ich eine ganz andere Welt betrat. Große und kleine Beobachtungen bekamen große Bedeutung, vom Ackerland rings um Buffetts Heimatstadt Omaha bis hin zur bemerkenswert unspektakulären Art, auf die Buffett die Versammlung an einem Ort von der Größe des Madison Square Gardens leitete – dass er beispielsweise auf seine Armbanduhr schaute und verkündete, jetzt sei es wohl Zeit, dass die 27.000 Menschen im Publikum Mittagspause machten. In 48 Stunden kritzelte ich 33 Seiten Notizen über die zutiefst fesselnde Frage-Antwort-Stunde, eine kurze, aber erhellende Unterhaltung mit zwei Berkshire-Managern und einen Besuch in dem sagenhaften Nebraska Furniture Mart voll. Dieses Erlebnis war für mich ein Augenöffner, und wie sich herausstellte, 11 12 auch für die Leser meines Finanz-Blogs. Denn außer dass ich seit fast 15 Jahren einen Hedgefonds betreibe, schreibe ich auch einen Finanzblog namens JeffMatthewsIsNotMakingThisUp, in dem ich über alle möglichen ungewöhnlichen und interessanten Vorkommnisse in der Welt des Investment berichte, die meine Fantasie anregen. In der Welt des Investment passieren andauernd ungewöhnliche und interessante Dinge, aber das Ungewöhnlichste – und mit Abstand das Interessanteste –, was mir je begegnet ist, war die Hauptversammlung von Berkshire Hathaway. Auf dem Heimflug fing ich an, über meine Reise in das Herz von Berkshire Hathaway zu schreiben, und wollte daraus vielleicht eine zwei- oder dreiteilige Beitragsserie machen. Aber die Reaktion der Leser war überwältigend. Ihnen gefielen die detaillierten Bemerkungen aus erster Hand über Omaha, über die Berkshire-Aktionäre und über das Verhältnis zwischen Buffett und Munger. Also schrieb ich über so gut wie alles, was ich erlebt hatte. Ich schrieb darüber, dass Warren Buffett alle Fragen, egal worum es geht, mit einem Respekt und einem Ernst beantwortet, dass jeder anwesende Berkshire-Aktionär mit Stolz sagen kann: „Ich bin ein Berkshire-Aktionär.“ Und ich schrieb über weniger schmeichelhafte Themen, die in der populären Mythologie nicht abgehandelt werden, zum Beispiel über das Fehlen afroamerikanischer Aktionäre auf der Hauptversammlung eines der nach eigener Aussage progressivsten Milliardäre aller Zeiten. Ich bekam von Anlegernovizen und langjährigen Buffett-Bewunderern gleichermaßen Rückmeldungen, und zwar nicht nur aus den Vereinigten Staaten, sondern aus der ganzen Welt. Am Ende war aus „Pilgerfahrt nach Omaha“ eine elfteilige Ich-Erzählung geworden. Im Mai 2008, nach dem Kollaps von Bear Stearns und als die Finanzwelt in Aufruhr war, ging ich aus eigenem Antrieb erneut zur Hauptversammlung von Berkshire Hathaway. Diesmal waren 31.000 Menschen gekommen, um zu hören, wie das „Orakel von Omaha“ und sein Partner mehr als 60 Fragen von jungen und alten Aktionären entgegennahmen, die buchstäblich aus aller Welt kamen. Die Fragen besaßen eine neue Dringlichkeit. Dieses Buch ist eine verlängerte Version des ursprünglichen Aufsatzes, den ich in meinem Blog schrieb, und es beschreibt die Aktionärsversammlungen von Berkshire Hathaway in den Jahren 2007 und 2008, die sich auf die Geschäftsjahre 2006 und 2007 bezogen. Die Leser werden mich begleiten, wenn ich in die Stadt im Mittelwesten reise, die Buffett und seine Anlageerfolge geprägt hat, wenn ich die Schlüssel zu diesem Erfolg entdecke und erfahre, warum nicht nur die Aktionäre, sondern auch die Manager der Unternehmen, die zu Berkshire Hathaway gehören, diesen Mann vergöttern. Ich befasse mich auch mit Fragen, die nicht so häufig gestellt werden: Wieso hat Buffett Unternehmen besessen, die untergegangen sind? Schadet Buffetts berüchtigte Pfennigfuchserei seinen Unternehmen? Sind dem berühmtesten Finanzanalysten der Welt fragwürdige Verkaufsmethoden, gegen die später die Bör senaufsicht SEC ermittelte, entgangen, als er im Vorstand von Coca-Cola saß? Warum kauft Buffett – der mit MicrosoftGründer Bill Gates Bridge spielt und eng mit ihm befreundet ist – nie Technologieaktien? Wie bringt Buffett seine bekannte soziale Progressivität mit seinem blütenweißen Anlegerpublikum in Einklang? Und vor allen Dingen: Wie wird Berkshire Hathaway seinen Tod überleben? Manche Antworten haben sogar mich überrascht. 13 14 TEIL 1 Ein sehr rationaler Ort 2007 15 Von Geburt an programmiert Einführung Am 10. Mai 1965 kam ein junger, selbstsicherer Anleger, der außerhalb seiner Heimatstadt Omaha, Nebraska, fast unbekannt war, in New Bedford, Massachusetts, an. Seine Mission: die Kontrolle über Berkshire Hathaway zu übernehmen, ein einstmals stolzes Textilunternehmen, das in harte Zeiten geraten war. Die New York Times meldete die Veränderung am nächsten Tag in einem nebensächlichen Artikel im Wirtschaftsteil: „Führungswechsel bei Textilkonzern 16 Grundsatzdebatte bei Berkshire Hathaway befeuert Rücktritte Eine Grundsatzdebatte anlässlich einer Geldspritze für Berkshire Hathaway, Inc., erschütterte gestern das 76 Jahre alte Textilunternehmen und endete mit dem Rücktritt zweier Spitzenmanager […]. „Ich war von Geburt an darauf programmiert, Kapital zu verteilen.“ – Warren Buffett Bevor der 35-jährige Warren Buffett, aktiver Teilhaber von Buffett Partnership, gestern Abend in New York das Flugzeug nach Omaha bestieg, sagte er, seine Firma besitze seit Ende 1962 Anteile an Berkshire Hathaway und sei schon ‚seit einiger Zeit‘ der größte Aktionär […]. Buffett sagte, seine Firma sei eine private Beteiligungsgesellschaft mit wenigen Familien als stille Teilhaber. Im Hinblick auf Berkshire Hathaway sagte er: ‚Wir werden weiterhin die gleichen Produkte an die gleichen Kunden verkaufen.‘“ So begann die bemerkenswerte Verwandlung eines verwelken den Herstellers von Baumwollstoffen in eines der größten Unter nehmen der Welt und in die beste Aktieninvestition der neueren Geschichte durch einen genialen Investment-Zauberer im 17 z erknitterten Anzug und mit dicken Brillengläsern – dem inzwischen legendären und 78-jährigen Vorsitzenden von Berkshire Hathaway mit dem Beinamen „Orakel von Omaha“: Warren E. Buffett. 553 Mal so gut wie der Dow Jones 18 Weit entfernt davon, ‚die gleichen Produkte an die gleichen Kunden zu verkaufen‘, hörte Buffett auf, Berkshires Cashflow in Textilmaschinen zu investieren, und fing an, ihn in Aktien anzulegen, was er anscheinend unheimlich gut konnte. Als im Jahr 1973 der Ölpreis stieg und die Aktien einbrachen, kaufte Buffett über Berkshire zum Preis von 5,63 Dollar pro Aktie Anteile an der Washington Post Company, die heute eine Beteiligung von 21,4 Prozent darstellen. Nach 30 Jahren stand die Aktie auf 999,50 Dollar. Im Jahr 1976 fing er an, die Hälfte der Aktien des Auto-Direktversicherers GEICO zum Anfangspreis von zwei Dollar zu kaufen, als die Wall Street dachte, die Firma würde in den Bankrott steuern. 20 Jahre später kaufte Berkshire für 70 Dollar pro Aktie die andere Hälfte des inzwischen sehr gesunden Unternehmens. Im Jahr 1988 begann Buffett, für Berkshire Coca-Cola-Aktien zum splitbereinigten Kurs von fünf Dollar zu kaufen. Die Wall Street hielt ihn für verrückt, weil er für einen verschlafenen alten Getränkehersteller so viel bezahlte. Doch das Unternehmen ritt auf einer internationalen Wachstumswelle, es wuchs im Laufe des nächsten Jahrzehnts spektakulär und die Aktie stieg auf fast 90 Dollar. Und so ging es durch 43 Jahre mit konjunkturellen Aufschwüngen und Abschwüngen, Ölpreisschocks, Terroranschlägen, Inflation, Kaltem Krieg und dem Zusammenbruch des Kommunismus. Warren Buffett verwandelte – mit der Hilfe seines ebenfalls aus Omaha stammenden engen Partners und Vize-Vorsitzenden von Berkshire Charles T. Munger – eine alte Textilfirma in den Liebling von Investoren aus aller Welt. Aber Buffett machte nicht nur durch den Aktienkauf Geld, sondern er kaufte für Berkshire auch ganze Unternehmen, wenn Preis und Vermögen passend erschienen. Nach einer gewissen Zeit hatte Berkshire keinerlei Ähnlichkeit mehr mit dem alternden Textilhersteller von 1965. Im Sommer 1983 gehörten zur „Berk shire-Familie“ eine lokale Versicherungsgesellschaft aus Omaha, ein Süßwarenhersteller aus Kalifornien, ein Zeitungsverlag aus Buffalo und ein Möbelhaus. Später kauften Buffett und Munger weitere Versicherungsgesellschaften, Herstellungsbetriebe und Möbelhäuser. Tatsächlich kauften sie alles, was ihrer Vorstellung von einem guten Unternehmen mit guter Führungsmannschaft entsprach, das zu einem vernünftigen Preis zu haben war. Sie kauften das heutige Unternehmen NetJets, eine Jet-Beteiligungsgesellschaft, zu deren Kunden auch Tiger Woods gehörte, und sie kaufen einen Steinhersteller, dessen Kunden ganz gewöhnliche Häuslebauer waren. Sie kauften sogar das Unternehmen, dass die Ginsu-Messer herstellt. Buffett brach zwar sein Versprechen an die Times, dass er „weiterhin die gleichen Produkte an die gleichen Kunden verkaufen“ werde, aber als er den Textilbetrieb von Berkshire Jahre später gänzlich einstellte, hatten die Berkshire-Aktionäre nicht das Geringste dagegen. Warren Buffett und Charlie Munger verwandelten das alte Berk shire Hathaway dermaßen effektiv, dass der Aktienkurs von dem Tag, an dem Buffett die Kontrolle übernahm, bis Ende 2007 um 19 842.400 Prozent stieg – von 18 Dollar auf 151.650 Dollar. Der Dow Jones Industrial Average stieg hingegen nur um 1.425 Prozent. Was bedeutet das in Dollar und Cent? Ein Anleger, der am Tag der Übernahme durch Warren E. Buffett Aktien von Berkshire Hathaway im Wert von 10.000 Dollar gekauft hätte, hätte auf dem Höhepunkt Aktien im Wert von 84 Millionen Dollar besessen. Ein Anleger, der für 10.000 Dollar Dow-Jones-Aktien gekauft hätte, hätte auf dem Höhepunkt nur ein Portfolio von 152.500 Dollar gehabt. Der Berkshire-Anleger verdiente 553 Mal so viel wie der Dow-Jones-Anleger. „Wir haben keinen Masterplan …“ 20 Genauso bemerkenswert wie diese Erfolgsbilanz ist die Art, auf die Warren Buffett sie erzielt hat. Er verwendete keine komplexen Investment-Strategien, er lieh sich nie massenhaft Geld für große Alles-oder-Nichts-Wetten und er beschäftigte kein Team von Finanzanalysten, die ihm bei der Ideensuche halfen. Er benutzte noch nicht einmal einen Computer. Stattdessen saß Buffett allein in seinem Büro in Omaha, Nebras ka, trank Cherry Coke und gab sich seiner liebsten Beschäftigung hin: täglich mehrere Stunden „lesen und nachdenken“ und auf der Suche nach Investments mit einem stets wachsenden Kreis von Unternehmer-Bekannten telefonieren. Und wenn er ein Investment fand, das ihm gefiel, handelte er schnell. Von Beginn dieses Unterfangens an war Charles T. Munger sein Partner, ein selbstsicherer Anwalt, der in Los Angeles lebt und arbeitet, aber wie Buffett in Omaha geboren und aufgewachsen ist. Als Buffetts Prüfstein für die meisten großen Anla geentscheidungen steht Munger den meisten Vorschlägen derart skeptisch gegenüber, dass ihn Buffett liebevoll als „fürchterlichen Schwarzmaler“ bezeichnet. Munger ist aber nicht nur ein zuverlässiger Prüfstein, sondern er hatte auch entscheidenden Einfluss auf Buffetts Anlagestil. In der Frühzeit investierte Buffett am liebsten in günstige Aktien wie Berkshire Hathaway, selbst wenn die Unternehmen schwach waren. Munger hatte dagegen im fruchtbaren Nachkriegsaufschwung von Los Angeles gelebt, gearbeitet und investiert und er zog es vor, nur gute Unternehmen zu kaufen, die von guten Managern geführt wurden. Buffett, der darum kämpfte, bei Berkshire das Ruder herumzureißen, es aber dann ganz einfach diversifizierte, lernte auf die harte Tour, dass, wie er es selbst ausdrückt, „gute Jockeys auf guten Pferden etwas bringen, aber nicht auf abgehalfterten Gäulen“. Gemeinsam suchten die beiden Männer „gute Pferde“ – Unternehmen in guten Branchen, mit gutem Management, aber zu den günstigen Preisen, die Buffett so liebte. Vor zehn Jahren erklärte Buffett ihre Investment-Philosophie mit einfachen Worten: „Als Anleger sollte man einfach das Ziel haben, zu einem vernünftigen Preis eine Beteiligung an einem leicht verständlichen Unternehmen zu kaufen, dessen Gewinn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in 5, 10 und in 20 Jahren wesentlich höher sein wird als jetzt. Man findet im Laufe der Zeit nur wenige Unternehmen, die diesen Kriterien genügen – wenn man eins sieht, sollte man daher eine beträchtliche Menge Aktien davon kaufen.“ So einfach das klingen mag, so erfordert es doch eine Menge Arbeit. Keine körperliche Arbeit – im Investment-Geschäft werden keine großen Massen bewegt, wie Buffett gerne sagt –, aber 21 viel Lesen und Nachdenken. „Wir haben keinen Masterplan“, hat Buffett einmal geschrieben. „Vielmehr hoffen wir einfach, dass uns etwas über den Weg läuft – und wenn das passiert, handeln wir.“ Der fröhliche Ladenbesitzer 22 Fast genauso beeindruckend wie Buffetts Erfolgsbilanz und die Einfachheit seiner Anlagephilosophie ist die Tatsache, dass er nichts von seiner Arbeit im Geheimen tut, sondern sich vielmehr den Berkshire-Investoren und der breiten Öffentlichkeit in einem solchen Maße öffnet, dass er zum bekanntesten Anleger der Welt geworden ist. Ja schon, Buffett hat Aktien der Washington Post Co., von GEICO und von Coca-Cola im Stillen angesammelt, um Nachahmern keinen Tipp zu geben. Aber immer wenn er eine neue Aktie oder ein neues Unternehmen kaufte, schrieb er hinterher darüber in seinem „Brief des Vorsitzenden“ am Anfang des Jahresberichts für die Berkshire-Aktionäre. Buffett schrieb diese Briefe in klaren Sätzen und einfacher Sprache, lockerte sie mit Scherzen von Woody Allen, Mark Twain und Mae West auf und erläuterte darin für alle sichtbar seine Überlegungen und seine Erwartungen. Mit der Zeit wurde Buffetts jährlicher Brief über die Berkshire-Aktionäre hinaus berühmt. Schon bald wurde er unter Investoren, Ana lysten und Portfoliomanagern an der Wall Street herumgereicht. Mit jedem neuen Brief fügte Buffett ein neues Kapitel zu dem hinzu, was im Laufe der Zeit zu einem lebenslangen Kurs in erfolgreicher Geldanlage des größten Anlegers der Welt – ihm selbst – wurde. Tatsächlich war Buffetts Fähigkeit, sich in seinen Briefen zu erklären, derart unwiderstehlich, dass Berkshire-Aktionäre anfingen, jedes Frühjahr nach Omaha zu reisen, um diesem Mann auf der jährlichen Hauptversammlung des Unternehmens persönlich zu begegnen. In den ersten Jahren gingen sie einfach in das Büro der National Indemnity Company, Buffetts erster Versicherungserwerbung, und die Hauptversammlung wurde in der Cafeteria der Firma abgehalten. Ein Dutzend Anleger oder mehr erschienen, um „Warren und Charlie“ Fragen zu stellen, nachdem der kurze geschäftliche Teil der Versammlung beendet war. Dank Mundpropaganda wuchs die Zahl der Besucher stetig, bis Buffett, der das Geben und Nehmen liebte, im Jahr 1985 in seinem Brief des Vorsitzenden die Aktionäre zur Hauptversammlung einlud. 250 Menschen kamen in die Witherspoon Hall im Joslyn Art Museum in Omaha. Die lockere Unterhaltung wich einer formellen Fragestunde. Buffett und Munger ließen die professionellen Investoren aus New York und Kalifornien genauso stundenlang über sich ergehen wie Berkshires zahlreiche langjährigen Aktionäre aus Omaha einschließlich der „wenigen Familien“, die stille Teilhaber von Buffett Partnership Ltd. gewesen waren, als Buffett im Jahr 1965 nach New Bedford kam, um die Kontrolle über Berkshire Hathaway zu übernehmen. Die beiden gleichermaßen intelligenten, selbstsicheren und schlagfertigen Männer entwickelten eine Art Comedy-Routine: Buffetts gewundene und eher überschwänglichen Antworten provozierten trockene, beißende Erwiderungen von Munger. Außerdem fing Buffett an, seinen jährlichen Brief des Vorsitzenden mit Höhepunkten von der letztjährigen Hauptversammlung zu beschließen sowie Informationen über Hotels zu liefern und Schleichwerbung für den Nebraska Furniture Mart zu machen, 23 24 das größte Möbelhaus Nordamerikas und damals ein Neuzugang der „Berkshire-Familie“. Er vermerkte mit Stolz die Anzahl der Bundesstaaten, aus denen die auf der Hauptversammlung anwesenden Aktionäre kamen. Als Buffetts Ruhm wuchs, fing er auch an, die Anzahl der vertretenen Länder anzugeben. Die Besucherzahl stieg mit dem Aktienkurs von Berkshire, erreichte bald 1.000 und zwang die Hauptversammlung an immer größere Veranstaltungsorte. Berkshire organisierte Busse, die die Anleger vor und nach der Versammlung zum Furniture Mart fuhren. Der Schmuckhändler Borsheim’s Jewelers, ebenfalls eine Erwerbung von Berkshire, öffnete entgegen seiner bisherigen Politik den Aktionären, die auf die Hauptversammlung kamen, am Sonntag seine Türen. Die Aktionäre machten daraus ein ganzes Wochenende. Im Jahr 1996 drängten sich 5.000 Menschen im Holiday Convention Center zu dem, was Buffett jetzt als „unsere kapitalistische Version von Woodstock“ bezeichnete. Unternehmen im Besitz von Berkshire präsentierten ihre Produkte und die Aktio näre schauten sich einen Low-Budget-Film an – zusammengestellt von Berkshires Finanzvorstand Mark Hamburg –, der zu einer beliebten Einrichtung wurde. Im Jahr 1998 füllten 10.000 Menschen das Aksarben Coliseum (Aksarben = „Nebraska“ rückwärts buchstabiert). Buffett fing an, Aktionären, die im Nebraska Furniture einkauften, Mit arbeiterrabatte zu gewähren und auf dem Eppley Airfield bei Omaha Touren mit der NetJets-Flotte anzubieten. GEICO-Spe zialisten flogen nach Omaha und standen bereit, den Aktionären einen Sonderrabatt auf ihre Autoversicherung zu geben. Die jährliche Hauptversammlung von Berkshire wurde für Berk shire und für Omaha ein großes Geschäft. Als die Besucherzah- len alle Räumlichkeiten in Omaha sprengten, eröffnete Omaha das Qwest Center, eine Einrichtung von der Größe des Madison Square Gardens, mit einer Arena mit 18.300 Sitzplätzen und einer Ausstellungshalle, die größer ist als ein Costco. Buffett und Munger ließen fünf Stunden lang Fragen über sich ergehen, und dann konnten die Aktionäre ein Paar Cowboystiefel Marke Justin kaufen, ein „Dilly Bar“-Eis von Dairy Queen, einen Satz Ginsu-Messer oder gar ein Fertighaus von Clayton, alles unter einem Dach. Das war eine Art gigantischer Flohmarkt für die „Berkshire-Unternehmensfamilie“, wobei Buffett als genialer Gastgeber, Zirkusdirektor und fröhlicher Ladenbesitzer fungierte. Und während die Hauptversammlung von Berkshire immer mehr Aufmerksamkeit in der ganzen Welt erregte, tat Warren Buffett selbst das auch. Früher hatte Buffett in der Isolation eines kleinen Zimmers in seinem Haus in der Farnam Street Aktien gekauft und verkauft, aber jetzt strömte die Presse nach Omaha, um zu berichten, was Warren und Charlie zu sagen hatten. Am Sonntagnachmittag empfing Buffett sie zu einer Pressekonferenz, auf der er alle Fragen beantwortete. Das Ergebnis dieser stetigen, unaufhaltsamen Entwicklung im Laufe der Jahre war, dass Buffetts Profil weit über seinen jährlichen Brief des Vorsitzenden und über die Fragestunden hinaus angewachsen ist, die er und Munger auf der Haupt versammlung von Berkshire am ersten Samstag im Mai abhalten. Heute ist Buffett ein weltweites Phänomen. Unternehmen – vor allem Unternehmen im Familienbesitz, deren Besitzer Geld beschaffen müssen, aber die Kontrolle über ihr Unternehmen nicht durch den Verkauf an einen aggressiven, straff agierenden Besitzer abgeben wollen – treten an Buffett heran und hoffen, dass er sie kauft. 25 Und Buffett reist durch die Welt und verbreitet die Botschaft, Berkshire sei der perfekte Käufer für solche Unternehmen: „Bei uns gibt es keine Gesellschafterversammlungen, keine Budgets und keine Leistungsbewertungen.“ Über seine Reisen berichtet eine CNBC-Moderatorin, die glühende Berichte aus Städten rund um den Globus schickt, wenn er in einem Land ankommt, hält er eine Pressekonferenz wie einst die Beatles. Und an einem Wochenende im Mai reisen Aktionäre den weiten Weg aus Indien, China und Südafrika nach Omaha, um ihn sprechen zu hören. „Mein Lieblings-Milliardär“ Aber warum macht sich Warren Buffett diese Mühe? Warum verbringt ein Mann, der einst einen Dale-Carnegie-Rednerkurs machte, um seine jugendliche Scheu zu überwinden, der seine Zeit – anscheinend in gewissem Maß auf Kosten seiner Familie – um die Lektüre von Finanzabschlüssen herum organisierte und der seit seiner Kindheit von seiner eigenen Sterblichkeit besessen ist, seine Freizeit damit, dass er mit Freunden und Fremden darüber spricht, wie er investiert? Zunächst und vor allem will Buffett für Berkshire von ihm so genannte „Qualitätsanleger“ haben, also Menschen, die nicht gleich ihre Aktien verkaufen, wenn Buffett beschließt, etwas zu tun, was der herrschenden Meinung gegen den Strich geht. Im Jahr 1983 drückte er das in seinem Brief des Vorsitzenden auf seine Weise aus: 26 „Wir finden, dass wir hochwertige Besitzer anziehen und halten können, wenn wir kontinuierlich unsere Geschäfts- und Besitzphilosophie