Möglichkeiten der Inneren Differenzierung im Arbeitslehreunterricht

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Möglichkeiten der Inneren Differenzierung im Arbeitslehreunterricht
Schriftliche Prüfungsarbeit
zur Zweiten Staatsprüfung
für das Lehramt an Sonderschulen
Möglichkeiten der Inneren Differenzierung im Arbeitslehreunterricht bei Schülerinnen und Schülern mit den Förderschwerpunkten „Sehen“ und „Lernen“, dargestellt an Unterrichtsbeispielen in
einer 9. Klassenstufe der Schule für Blinde.
Name:
Abgabedatum:
Stefan Hedwig
28.04.2003
Landesschulamt Berlin
4. Schulpraktisches Seminar
Berlin Friedrichshain (L)
Einleitung ................................................................................ 1
1 Theoretische Grundlagen der Differenzierung........................ 2
1.1
Begriffsklärung und Unterscheidungen ......................................... 2
1.2
Die innere Differenzierung ............................................................ 4
1.2.1
Begriffserklärung und Ziel der inneren Differenzierung......... 4
1.2.2
Voraussetzungen innerer Differenzierung............................. 5
1.2.3
Formen der inneren Differenzierung ..................................... 6
2 Ursachen heterogener Lerngruppen an der Blindenschule .... 8
2.1
Ausgangspunkt Gesamtpopulation ............................................... 8
2.2
Psychosoziale Aspekte ................................................................. 9
2.3
Berücksichtigung verschiedener Förderschwerpunkte.................. 9
2.3.1
Förderschwerpunkt „Sehen“ ............................................... 10
2.3.2
Förderschwerpunkt „Lernen“............................................... 11
3 Arbeitslehreunterricht an der Schule für Blinde ................... 12
3.1
Rahmenplan Arbeitslehre der Berliner Schule ............................ 12
3.1.1
Ziele .................................................................................... 12
3.1.2
Struktur ............................................................................... 13
3.2
Rahmenplan der Schule für Blinde ............................................. 14
3.3
Rahmenplan der Schule für Sehbehinderte ................................ 14
3.4
Rahmenplan der Schule für Lernbehinderte ............................... 14
4 Mediale Differenzierung im Arbeitslehreunterricht .............. 15
4.1
Medienbegriff und Bedeutung für die Arbeitslehre...................... 15
4.2
Stellenwert des Mediums Computer an der Schule für Blinde .... 15
4.3
Sehgeschädigtenspezifische Aspekte beim Einsatz von
Computern im Unterricht............................................................. 16
4.3.1
Kenntnisse medizinischer Befunde..................................... 17
4.3.2
Einbeziehung individueller Wünsche .................................. 17
4.3.3
Hilfsmittelbedingte Besonderheiten .................................... 18
4.4
Lernbehindertenspezifische Aspekte beim Einsatz von Computern
im Unterricht ............................................................................... 19
5 Darstellung der Lerngruppe bezogen auf das zentrale
Anliegen ....................................................................................... 20
5.1
Zusammensetzung der Lerngruppe............................................ 20
5.2
Schülerbeschreibungen .............................................................. 20
5.3
Technische Ausstattung der Schüler .......................................... 23
5.4
Lern- und Arbeitsverhalten.......................................................... 25
5.5
Bemerkungen zum Sozialverhalten ............................................ 25
5.6
Organisatorische Rahmenbedingungen...................................... 26
5.6.1
Stundenplan........................................................................ 26
5.6.2
Pädagogische Versorgung.................................................. 26
5.6.3
Räumliche Bedingungen..................................................... 26
5.6.4
Pausen................................................................................ 26
6 Darstellung von Planung, Durchführung und Analyse der
Unterrichtsarbeit ......................................................................... 27
6.1
Projekt: Der Lebensordner.......................................................... 27
6.2
Unterrichtseinheit Geldverkehr und Banken ............................... 28
6.2.1
Aufbau der Unterrichtseinheit ............................................. 28
6.2.2
Ziele der Unterrichtseinheit (Fundamentum)....................... 28
6.3
Darstellung der Unterrichtsbeispiele ........................................... 29
6.3.1
Unterrichtsbeispiel 1: Markieren – Kopieren - Einfügen...... 29
6.3.2
Unterrichtsbeispiel 2: Die Bankkarte................................... 34
7 Gesamtreflexion .................................................................... 40
8 Literatur................................................................................. 44
1
Einleitung
Obschon das Thema Differenzierung in der schulpädagogischen Praxis allerorts
selbstverständlich ist (die homogene Klasse gibt es praktisch nicht), ist es an der
Schule für Blinde Unterrichtsprinzip: Die geringen Schülerzahlen lassen eine Klassenbildung nach Jahrgängen sowie eine Trennung nach Schulformen selten zu.
Hier sind Mischklassen verschiedener Altersstufen und Schulformen die Regel.
Die variablen Sehschädigungen und ihre Folgen sowie die Berücksichtigung weiterer Förderschwerpunkte setzt ein hohes Maß an Differenzierung voraus.
Die Gründe für die Themenwahl entspringen der unterrichtlichen Praxis mit einer
heterogenen Lerngruppe, die den oben genannten organisatorischen Bedingungen der Schule entspricht. Aus der unterrichtlichen Praxis mit dieser Lerngruppe
entstand die zentrale Fragestellung der hier vorliegenden Arbeit: Lassen sich
Lerninhalte, Lernziele, Lern- und Lehrmethoden und Medien in Verbindung mit
den bestehenden organisatorischen Bedingungen der Schule derartig differenzieren, dass der Individualität eines jeden Schülers der hier angesprochenen, heterogenen Lerngruppe entsprochen werden kann? Aus zwei Gründen spielt das
Medium Computer für die Betrachtungen dieser Arbeit eine entscheidende Rolle.
Zum einen ist die Nutzung der Informations- und Kommunikationstechnologien
(IuK-Technologien) im Fach Arbeitslehre ein wesentlicher Bestandteil, der sich
nach dem Informationstechnischen Grundkurs (ITG) im 8. Jahrgang in Form eines Spiralcurriculums durch die nachfolgenden Schuljahre zieht. Zum anderen
wird dem multimedialen Lernen mit Hilfe des Computers in Bezug auf Differenzierungsmöglichkeiten ein hoher Stellenwert eingeräumt.
In einer Lerngruppe, deren kognitive Fähigkeiten von der Grenze zur geistigen
Behinderung bis hin zum Realschulniveau reichen, bereitet die Auswahl von Lern-
zielen schon hinsichtlich der Vorgaben durch die bestehenden Rahmenpläne
Schwierigkeiten. Welche Vorgehensweise in dieser Hinsicht für den gemeinsamen
Unterricht im Fach Arbeitslehre getroffen wurden, ist dem dritten Kapitel zu entnehmen.
Die Schülerinnen und Schüler1 der Lerngruppe werden in der Arbeit mit und im
Zugang zu dem Medium Computer mit Problemen konfrontiert, die sich aus den
ihren Förderschwerpunkten ergeben. Dies betrifft insbesondere die spezielle Softund Hardware, die den Dialog mit dem Computer erst ermöglicht. Diese medialen
Besonderheiten werden im vierten Kapitel vorgestellt.
Aus den daraus gewonnenen Erkenntnissen soll reflektiert werden, ob die zusätzliche Belastung für die Schüler ein selbständiges Arbeiten mit diesem Medium
ermöglicht, welches als Voraussetzung für Differenzierungsmaßnahmen angesehen werden kann.
1
Im folgenden Text wird nur die männliche Form verwendet.
1
Allerdings ergeben sich durch die Nutzung des Computers auch besondere Fragestellungen. In heterogenen Lerngruppen wird bezogen auf die Lernziele eine
„Durchgängigkeit“ gefordert. Dies ist insbesondere in einer Lerngruppe anzuraten, die sich (wie im vorliegenden Fall) nach Schulformen (Schule für Lernbehinderte, Hauptschule, Realschule) unterscheidet. Können Möglichkeiten geschaffen
werden, die trotz der individuellen und selbständigen Arbeit am Computer diese
Durchlässigkeit gewährleisten?
Der Computer kann im Prozess der Differenzierung in Phasen der Alleinarbeit als
selbstinstruierendes Medium eingesetzt werden. Tritt durch diese Phasen das oft
zitierte Problem der sozialen Isolation auf und wie kann diesem begegnet werden?
Seit langem sind geschlechtsspezifische Differenzen in bezug auf Vorerfahrungen,
Interessen, Verhaltensweisen und Kenntnisse zu neuen IuK-Technologien bekannt und werden auch in den angegebenen Rahmenplänen mit unterschiedlichem Stellenwert berücksichtigt. Vielfach wird in der Fachdiskussion eine partielle
Aufhebung der Koedukation gefordert. Das ausgesprochene Ziel dieser Arbeit
widerspricht dieser Veränderung der Organisationsform. Demzufolge muss die
Notwendigkeit einer „koedukativen Differenzierung“ geprüft werden sowie die
Möglichkeiten zu deren Umsetzung.
1 Theoretische Grundlagen der Differenzierung
1.1 Begriffsklärung und Unterscheidungen
Die Erklärungsversuche, die den Begriff „Differenzierung“ in der einschlägigen
Literatur zu umreißen versuchen, fallen recht unterschiedlich aus. Nichts desto
Trotz findet man überwiegend Übereinstimmungen im Verständnis des Sachverhaltes. Oft wird Differenzierung synonym mit „Individualisierung“ gebraucht.
KLAFKI (1961) versteht unter Differenzierung alle „organisatorischen und methodischen Bemühungen, die darauf zielen, den individuellen Begabungen, Fähigkeiten, Neigungen, Interessen einzelner Schüler oder Schülergruppen innerhalb einer Sch. oder einer Klasse gerecht zu werden.“ HOPF (1974) setzt Differenzierung
mit „Gruppierung“ und „Unterrichtsorganisation“ gleich: „Sie bedeuten die Einteilung der Schüler in Gruppen von beliebiger Größe nach einem oder mehreren
Merkmalen (Differenzierungskriterien), die in der Annahme vorgenommen wird,
dadurch bestimmte Lern- und Erziehungsziele besser erreichen zu können. Die
Gruppen können in bezug auf das jeweilige Merkmal homogen oder heterogen
sein.“ „Differenzierung stellt sich für die Organisation von Lernprozessen als Bündel von Maßnahmen dar, Lernen in fachlicher, organisatorischer, institutioneller
wie individueller und sozialer Hinsicht zu optimieren. Generell wird unter Differenzierung einmal das variierende Vorgehen in der Darstellung und Bearbeitung
2
von Lerninhalten verstanden, zum anderen die Einteilung bzw. Zugehörigkeit von
Lernenden zu Lerngruppen nach bestimmten Kriterien.“ (BÖNSCH, 1995)
Aus den verschiedenen Interpretationen lassen sich vier wesentliche Merkmale
schulischer Differenzierung herausarbeiten:
1. Voraussetzungen und Gründe schulischer Differenzierungsmaßnahmen
ergeben sich aus den unterschiedlichen Lernvoraussetzungen der Schüler
(individuelle Unterschiede) sowie aus den Unterschieden gesellschaftlicher
Ansprüche und Anforderungen an die Schulen.
2. Diese Gründe führen zur Einteilung beziehungsweise Zugehörigkeit von
Lernenden zu Lerngruppen nach bestimmten Kriterien.
3. Unter Differenzierung wird auch das variierende Vorgehen in der Darbietung und Bearbeitung von Lerninhalten verstanden. Mithin beinhalten Differenzierungsformen auch immer didaktische Maßnahmen.
4. Differenzierungsformen setzen voraus, dass die Zielvorstellungen für die
schulische Differenzierung geklärt werden. Entsprechend den individuellen
und gesellschaftlichen Voraussetzungen und Bedingungen ist zwischen
individuellen und gesellschaftlichen Zielen zu unterscheiden.
Maßnahmen schulischer Differenzierung dienen rein formal der Organisation und
damit der Ordnung von Lernprozessen. Sie gliedern das Schulsystem nach Stufen, Zweigen und Profilen, gruppieren die Schüler in Klassen und Kurse und
strukturieren den Unterricht nach Stunden und Fächern.
Man unterscheidet zwischen drei Differenzierungsebenen, die sich entsprechend
den Ebenen des Schulwesens (Schulsystem, Schule, Unterricht) zuordnen lassen:
Institutionelle (interschulische) Differenzierung
Institutionelle Differenzierung ergibt sich aus der Gliederung des Schulsystems in
seine Schularten, Schultypen und Schulzweigen (Gesamtschule, Realschule,
Hauptschule, Grundschule, Sonderschule, Integrationsschule, kooperative Schulen u.s.f.)
Äußere (intraschulische) Differenzierung
Bei der äußeren Differenzierung werden die Schüler nach bestimmten Merkmalen
in Lerngruppen/Klassen/Kurse innerhalb der Schule eingeteilt. Die Einteilung in
Jahrgangsklassen bildet die erste, flächendeckende äußere Differenzierung. Die
damit angestrebte Bildung homogener Leistungsgruppen wird damit jedoch nicht
erreicht. „Die Zusammenfassung von Lernenden zu Lerngruppen ... ist an die
Kriterien der Gruppennorm gebunden. Dies kann zum Nachteil des Individuums
mit seinen spezifischen Lernbedürfnissen werden, da die Orientierung des Unterrichts an einer Durchschnittserwartung u.U. vielen Individuen nicht gerecht wird.“
(BÖNSCH, 1995)
3
In speziellen Kurssystemen, wie das Fachleistungskurssystem oder das Wahl-
pflichtkurssystem, können Schüler entsprechend ihrer fachspezifischen Leistung
oder individuellen Interessen in verschiedenen Gruppen und Kursniveaus unterrichtet werden.
In diese Differenzierungsebene fallen auch spezielle Fördermaßnahmen, (Förderunterricht, Verfügungsstunden), also Hilfen, um im regulären Unterricht nicht
aufholbare Lerndefizite möglichst abzubauen.
Innere (Binnen-) Differenzierung
Bei dieser Differenzierungsebene gibt es keine räumliche Trennung der Lerngruppen, sie findet durch den Lehrer während des Unterrichts statt. Da die Gruppierung nach dem Alter (wie schon bei der äußeren Differenzierung erwähnt)
nicht den gleichen Lernstand (und Lernerfolg) bewirkt, der Lehrer jedoch einen
Bildungs- und Erziehungsauftrag zum Wohl aller Schüler zu erfüllen hat, sind
Maßnahmen erforderlich, die jedem Schüler zu individueller und optimaler Förderung verhelfen.
In dieser Arbeit soll laut Thema lediglich die Ebene der inneren Differenzierung
betrachtet werden.
1.2 Die innere Differenzierung
1.2.1
Begriffserklärung und Ziel der inneren Differenzierung
„Unter innerer Differenzierung verstehen wir ... alle unterrichtsorganisatorischen
Maßnahmen, die der Lehrer innerhalb der Klasse ergreift, um der Individualität
des Schülers optimal angemessene Lernprozesse zu ermöglichen.“ ... „... im Gegensatz zur äußeren Differenzierung wird auf eine Homogenisierung der Klassen
verzichtet und die Heterogenität der Klasse als Ausgangspunkt im Unterricht akzeptiert.“ (WINKELER 1979, S. 19)
Auch bei der Begriffserklärung der inneren Differenzierung erscheint bei vielen
Autoren der Aspekt der „Individualisierung“ (vgl. DEUTSCHER BILDUNGSRAT, 1973).
Auch BÖNSCH (1995, S. 34) erklärt, dass Binnendifferenzierung keine Dauerlösung
anstrebe, in der Regel situations- und lernzielgebunden sei sowie im Extremfall
Individualisierung bedeute. WINKELER weist distanzierend darauf hin, dass Individualisierung nicht mit innerer Differenzierung gleichzusetzen ist, da diese als Motiv aller Differenzierungsmaßnahmen anzusehen ist und damit eine Abgrenzung
beispielsweise zur äußeren Differenzierung nicht klar zu ziehen wäre. Individualisierung würde zudem häufig thematisch dem Bereich der kognitiven Lernprozesse zugeordnet. Dies sei, gemessen an den Zielen der inneren Differenzierung, zu
eng gefasst: Neben der Reduzierung von Lerndefiziten meint binnendifferenzierter Unterricht auch die Förderung individueller Lernmöglichkeiten, Fähigkeiten,
Interessen sowie persönlichkeitsbildende Maßnahmen. Hierzu kann die Ausbil-
4
dung von sogenannten Schlüsselqualifikationen gezählt werden wie z.B. Entfaltung sozialer Kompetenz, Ermöglichung von Selbsterfahrung und Selbständigkeit,
Förderung von Kreativität und Flexibilität, Ausbildung von Eigenverantwortung
sowie Stärkung der sozialen Kooperation. (vgl. WINKELER 1979, S. 19 ff.)
Als Ziel kann also die optimale Förderung aller Schüler einer Lerngruppe, unter
Berücksichtigung ihrer individuellen Lern-, Entwicklungs- und Leistungsmöglichkeiten, Vorerfahrungen, Interessen, Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten
angesehen werden.
1.2.2
Voraussetzungen innerer Differenzierung
Zur Verwirklichung dieser Ziele ist ein möglichst genauer Kenntnisstand dieser
Lernvoraussetzungen und Lernbedürfnisse der Schüler erforderlich. Ohne diesen
Kenntnisstand ist es dem Lehrer nicht möglich, den Schwierigkeitsgrad von Aufgaben dem Entwicklungsstand (s.u.) der Schüler anzupassen. Orientiert man sich
lediglich an den "Durchschnittsschülern" der Klasse, erweitert sich die Distanz zur
Lösungsmöglichkeit und -willigkeit je nach Leistungsschwäche bzw. Leistungsstärke der Schüler. Motivation und Leistungsbereitschaft schwinden aufgrund
Unter- bzw. Überforderung und bedingen negative Auswirkungen in kognitiver,
sozialer und emotionaler Hinsicht.
Im Hinblick auf differenzierten Unterricht haben GEPPERT und PREUß ein Konzept
von Bedingungskomplexen zur Erfassung der Lernvoraussetzungen von
Schülern erstellt.
Der personale Entwicklungsstand des Schülers ist durch seine vor- und außerschulische Lerngeschichte geprägt. Persönlichkeitsfaktoren beeinflussen die
Unterrichtsbeteiligung und sind somit in die Unterrichtsplanung mit einzubeziehen. Hierzu zählen Anstrengungsbereitschaft, Ausdauer, Gewissenhaftigkeit, Verantwortungsbewusstsein, Grad der Selbständigkeit, Konzentrationsfähigkeit,
Lerninteresse, Erlebnisfähigkeit, Selbstvertrauen, Selbstwertgefühl, Minderwertigkeitsgefühl oder Ängstlichkeit in Lernsituationen.
Der soziale Entwicklungsstand
ist ebenfalls durch die Lerngeschichte des
Schülers beeinflusst. Er beinhaltet Faktoren wie Vertrauen oder Misstrauen, Kontaktbereitschaft und –fähigkeit, Rücksichtnahme und Hilfsbereitschaft, Ehrgeiz
und Geltungsstreben, Mitteilungsbereitschaft, Kritikfähigkeit und Regelbewusstsein.
Unter sachstrukturellen Entwicklungsstand verstehen die Autoren die
Kenntnisse und Fertigkeiten, die der Schüler zu einem gegebenen Zeitpunkt seiner Entwicklung im Hinblick auf den relevanten Sachbereich in die Unterrichtssituation einbringen kann.
5
Die methodischen Verfahrensweisen, zu denen ein Schüler in der Lage ist und die
für die Ausübung schulischer und außerschulischer Lernprozesse relevant sind,
werden unter dem arbeitsmethodischen Entwicklungsstand zusammengefasst. Hierzu zählt neben der Fähigkeit zu Allein-, Partner- und Gruppenarbeit,
der Umgang mit und Auswahl von Arbeitsmitteln, die Beschaffung von Informationen, die Kontrolle der eigenen Arbeit bzw. der Arbeit anderer bis hin zu Fähigkeiten der verbalen Kommunikation und Gesprächsführung. (vgl. GEPPERT/PREUß,
1978)
Die Grundvoraussetzung für differenzierten Unterricht, welche in der Bereit-
schaft des Lehrers zur differenzierten Unterrichtsvorbereitung zu suchen ist, soll
in dieser Arbeit nicht bezweifelt und thematisiert werden. Viele Autoren beziehen
dies unter der Bezeichnung „optimale Passung“ zwischen Lernmethode des Schülers und der vom Lehrer eingesetzten Lehrmethode mit ein.
1.2.3
Formen der inneren Differenzierung
Unter dem Aspekt der „optimalen Passung“ versuchen KLAFKI und STÖCKER (1985)
zwischen zwei Grundformen der Differenzierung zu unterscheiden.
a. ziel- und inhaltsgleiche Differenzierung für alle Schüler einer Lerngruppe
durch Methoden und Medien.
b. Differenzierung durch Variation der Inhalte und Ziele unter Berücksichtigung besonderer Interessen und Fertigkeiten
Zu a. Wählt man die Differenzierung nach Methoden, sollten diese zunächst
nach Arbeitstechniken und Sozialformen aufgegliedert werden.
Die durch die Sehbehinderung, Blindheit und Lernbehinderung hervorgerufenen
Einschränkungen setzen zwangsläufig verschiedene Arbeitstechniken voraus.
Selbständiges Arbeiten ist jedoch nur dann möglich, wenn jeder Schüler die für
ihn geeigneten Arbeitstechniken erlernt und beherrscht. Die Möglichkeiten dazu
hat der Lehrer dem Schüler anzubieten und zu vermitteln. Zu beachten ist, dass
verschiedene Arbeitstechniken verschiedene Lösungswege zur Folge haben (können).
Differenzierung nach Methoden bedeutet auch, dass die Sozialform der zu lösenden Aufgabe angepasst wird.
Im Bezug auf Differenzierung muss es dem Lehrer ebenfalls gelingen, die Auswahl der eingesetzten Medien den Interessen und Lernvoraussetzungen seiner
Schüler anzupassen. Nicht nur aus Motivationsgründen sollte der Medieneinsatz
variieren: „Nach HERMES behalten Schüler von dem, was sie lesen ca. 10% im
Gedächtnis, von Gehörtem ca. 20%, von Gesehenem ca. 30%, Gesehenem und
Gehörten ca. 50% und von dem, was sie selbst vortragen ca. 70%. Handelnd,
6
unter Einbeziehung aller Sinne, können Schüler bis zu 90% des Unterrichtsinhaltes behalten“. (MEINECKE, 2001, S. 92)
Zu b. Nach KLAFKI und STÖCKER müssen nicht alle Lernziele und –inhalte in gleicher Weise für jeden Schüler verbindlich sein. Grundsätzlich sollte von allen
Schüler ein sogenanntes Fundamentum – ein verbindliches Minimum an Lerninhalten – erreicht werden. Das weiterführende Additamentum3 – die, das Thema
vertiefende, Erweiterung – sollte zwar leistungsstärkeren Schülern vorbehalten
sein, jedoch müssen beide Stufen Formen der Durchlässigkeit beinhalten, ein
Argument, welches sich in den differenzierten Lernzielen wiederspiegelt. Das
Additamentum sollte dabei nicht über den Rahmen des eigentlichen Unterrichtsstoffes hinausgehen.
Die Autoren weisen darauf hin, dass diese Grundformen variiert und miteinander
kombiniert werden können. Sie können in allen Phasen des Unterrichts eingesetzt
werden und bieten Einflussnahmen auf der Aneignungs- und Handlungsebene
(konkret, explizit-sprachlich, rein gedanklich).
Sehr konkret hat WINKELER (S. 33 ff.) die Formen der Differenzierung strukturiert.
Diese Form der Struktur eignet sich für die konkrete Unterrichtsplanung.
1) Differenzierung in der Aufgabenstellung
•
•
•
•
•
der Anzahl der Aufgaben
des Zeitaufwand
Schwierigkeitsgrad
der Anzahl der Durchgänge
Aufgabenwahl
2) Differenzierung in den Methoden
3) Differenzierung durch Medien
4) Differenzierung durch Variation der Sozialformen
5) Differenzierung in der Lehrerhilfe
Erweiterungen
Die folgenden Formen der Differenzierung finden in der Literatur keine Erwähnung. Theoretisch lassen sich die Aspekte dafür auch aus den bereits genannten
Formen ableiten. Für die Planung des Unterrichts an der Sonderschule haben sie
jedoch einen besonderen Stellenwert, sodass nach Ansicht des Autors eine
Rechtfertigung dafür besteht.
6) Koedukative Differenzierung
Diese Form der Differenzierung ergibt sich aus den Besonderheiten innerhalb
des Faches Arbeitslehre, namentlich im Einsatz des Computers als Unterrichtsmedium. In der dieser Arbeit zugrundeliegenden Unterrichtseinheit ist
die Schülertätigkeit am Computer ein wesentlicher Bestandteil.
2
Quelle des von MEINECKE erwähnten Autors: HERMES, E. (1980): Basiswissen Schulpädagogik. KlettVerlag. Stuttgart
3
in der Fachliteratur auch (fälschlich) als Additum bezeichnet
7
Hintergrund: Betrachtet man die verschiedenen Forschungsberichte der Länder, Erfahrungsberichte von Lehrern sowie empirische Untersuchungen, zeichnet sich folgendes
Problem ab: Alle Veröffentlichungen zeigen eine geringe Beteiligung von Mädchen an
schulischen Angeboten zu Neuen Technologien. Dies betrifft sowohl die Vorerfahrungen
(vgl. FAUSER/SCHREIBER, 1989; STRITZKY, 1994), das Interesse (vgl. FAUSER, 1992) sowie
die (Vor-) Kenntnisse zu und über Informations- und Kommunikationstechnologien (vgl.
SCHIERSMANN, 1992). Daraus ergibt sich, dass gleiche Zugangsmöglichkeiten zwar eine
notwendige, keinesfalls aber eine hinreichende Bedingung für gleiche Lernchancen von
Jungen und Mädchen sind. Vielfach wird eine zumindest partielle Aufhebung der Koedukation zur Diskussion gestellt, ohne jedoch am Prinzip der Koedukation rütteln zu wollen.
(vgl. NIEDERDRENK-FELGNER, 1992; DUISMANN, 1999) Auch andere Bereiche der Arbeitslehre, in denen massive Ungleichgewichte in den Entwicklungs- oder Zugangsvoraussetzungen vorliegen, seien zumindest kritisch unter dieser Form der Differenzierung zu beleuchten (s.a. DUISMANN, 1999).
7) Differenzierung nach Förderschwerpunkten
Für die konkrete Unterrichtsplanung (zumindest für die hier angesprochenen
Lerngruppe) erscheint die Berücksichtigung dieser Form hilfreich (siehe dazu
Kap. 2.3).
2 Ursachen heterogener Lerngruppen an der Blindenschule
Differenzierung kommt an der Sonderschule eine besondere Bedeutung zu, da in
Abhängigkeit zur Schädigungsart, die Schüler von sehr unterschiedlichen medizinischen, psychologischen und soziologischen Faktoren geprägt, oft komplizierte
Konstellationen im Klassenverband bilden.
2.1 Ausgangspunkt Gesamtpopulation
Die Bundesrepublik Deutschland, eine entwickelte Industrienation mit guten Gesundheitsdiensten, weist eine im internationalen Vergleich sehr geringe Blindheitsrate zwischen 0,15 und 0,25% auf. Betrachtet man nur Personen im schulfähigen Alter, kommt man auf eine Gruppe Kinder und Jugendlicher unter 17
Jahren, die, verglichen mit den Gleichaltrigen der Gesamtbevölkerung, eine Anzahl von 0,012 bis 0,015% Blinder und hochgradig Sehbehinderter nicht übersteigt (vgl. RATH, 1995, S. 14). Von diesen Kindern und Jugendlichen „werden
zwischen 50 und 70% als zusätzlich behindert (mehrfachbehindert) eingestuft“
(HUDELMAYER, 1985), ein Zahlenwert, der für die heutige Zeit nach oben zu korrigieren ist. Die multiplen Schädigungen dieser Kinder und Jugendlichen lassen
einen Fachunterricht im Sinne der Schule für Lernbehinderte, Haupt-, Realschule,
oder Gymnasium nicht zu.
Ein Teil der blinden und hochgradig sehbehinderten Schüler wird in allgemeinen
Schulen integrativ unterrichtet. Je nach Art und Grad von zusätzlichen Behinde-
8
rungen besteht auch die Möglichkeit, Sonderschulen anderen Typs, wie Schulen
für Geistigbehinderte oder Schulen für Körperbehinderte, zu besuchen.
Die Schülerzahlen sind oft so gering, dass es nicht mehrere Schüler eines Jahrgangs gibt, weshalb die Klassen an der Blindenschule häufig jahrgangsübergrei-
fende Klassen sind.
2.2 Psychosoziale Aspekte
„Blindheit ist als eine intervenierende Variable zu betrachten, deren Wirkungen
mit unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit in Bereichen wie Psychomotorik, mimischen Ausdruck, Wahrnehmung und Denken, Motivation, Affekte, Entwicklung zu
beobachten sind. Grad und Art ihrer Auswirkungen in diesen Bereichen hängen
von der Interaktion mit anderen individuellen, sozialen und kulturellen Variablen
ab.“ (RATH, 1995, S. 16) Schüler mit gleichen Visuswerten oder mit identischer
Schädigungsbeschreibung können aufgrund unterschiedlicher Erfahrungs- und
Lebensbedingungen sehr unterschiedliche Wahrnehmungsleistungen zeigen.
Neben den von RATH genannten Bereichen können auch Faktoren, die direkt mit
der Blindheit zusammenhängen, wie Dauer und Ursache der Blindheit, Verlauf
von Augenerkrankungen (z.B. progredient) derart gravierende Auswirkungen auf
den allgemeinen Entwicklungsstand eines Schülers haben, dass eine Zuweisung
in eine Schulklasse nicht allein vom Alter abhängt.
2.3 Berücksichtigung verschiedener Förderschwerpunkte
Die oben aufgeführten Bedingungen erklären das Zustandekommen der häufig
anzutreffenden jahrgangsübergreifenden Klassen an der Schule für Blinde. Unbeachtet blieb dabei bisher die Differenzierung nach Förderschwerpunkten. Generell
liegt der Schwerpunkt an der Schule für Blinde, resultierend aus den Aufnahmebedingungen, beim sonderpädagogischen Förderbedarf im Bereich des Sehens.
Entsprechend kann man hier Schüler nahezu aller Schularten und Leistungsstufen
antreffen – von der Betreuung Schwerstmehrfachbehinderter, der Schule für
Geistigbehinderte, der Schule für Lernbehinderte, Hauptschule, Realschule, Gymnasium4 bis hin zu berufsbildenden Bereichen. Betrachtet man wiederum den
Aspekt der geringen Population, so wird man gewahr, dass sich die Schüler innerhalb einer Lerngruppe in ihren Lern- und Leistungsvoraussetzungen sehr unterscheiden können.
Für die in dieser Arbeit angesprochene Lerngruppe finden im wesentlichen zwei
Förderschwerpunkte Beachtung, die im Folgenden erläutert werden sollen.
4
nicht an der Johann-August-Zeune Schule für Blinde
9
2.3.1
Förderschwerpunkt „Sehen“
In Deutschland werden Sehbehinderung und Blindheit unter dem Begriff Seh-
schädigung zusammengefasst.
Der Begriff "Sehbehinderung" bezieht sich auf ein beeinträchtigtes Sehvermögen,
das auf eine verminderte Sehschärfe und/oder ein reduziertes Gesichtsfeld zurückzuführen ist. Zudem können zusätzliche Probleme wie z.B. erhöhte Blendempfindlichkeit oder Anomalien der Farbwahrnehmung auftreten.
Die Schwierigkeiten der definitorischen Abgrenzungen zwischen Sehbehinderung
und Blindheit haben dazu geführt, dass die aus den standardisierten Angaben
entwickelten Messwerte der Ophthalmologen zur Festlegung herangezogen werden:
Als hochgradig sehbehindert gilt, dessen Sehleistung auf 1/20 (5%) bis 1/50
(2%)5 der Norm vermindert ist. Die Sehleistung bei hochgradig Sehbehinderten
kann mit einer Brille oder Kontaktlinsen in der Regel nicht mehr verbessert werden.
Nach medizinischer Definition werden Menschen als blind angesehen, die
•
einer Lichtwahrnehmung entbehren (Amaurose – Lichtlosigkeit).
•
nur hell und dunkel unterscheiden können (praktisch blind).
•
durch hochgradige Minderung der Sehschärfe (durch Ausfall der Netzhautmitte) oder massive Gesichtsfeldeinschränkungen zum praktischen
Sehen ungenügend verwertbare Informationen empfangen. (vgl. REIM
1993, S. 391).
Als Grenzwert wird hier ein Zentralfernvisus von 1/50 oder weniger angegeben.
In der pädagogischen Praxis stellt dieser sogenannte Zentralfernvisus nur eine
Teilfunktion aus einer Reihe anderer Funktionen dar, um Aussagen über das
Sehverhalten eines Schülers treffen zu können. Dazu gehören ebenso die Sehschärfe für die Nähe, das Farbsehen, das Gesichtsfeld und sein Adaptionsvermögen6. Andere Faktoren, wie Lichtverhältnisse, Kontraste aber auch der physische
und psychische Allgemeinzustand können die Sehleistung beeinflussen ebenso
wie Erziehung, Intelligenz, Erfahrung und Motivation. Nur durch die Beobachtung
der individuellen Ausprägung der Sehschädigung mit all ihren Aspekten lassen
sich gezielt pädagogische (Förder-) Maßnahmen ableiten.
Als Ziele dieses Förderschwerpunktes sieht die Verordnung über die sonderpädagogische Förderung „die Erschließung der Umwelt, die Entwicklung von Orientierungsstrategien und Verhaltensweisen zur Bewältigung des Alltags in bekannter
und unbekannter Umgebung, die Steigerung der Mobilität und der Erwerb le5
Beispiel: 1/50 (2%) - Was ein Normalsehender aus 50 m Entfernung sehen würde, würde ein
Sehgeschädigter mit 1/50 Sehkraft erst aus 1 m Entfernung erkennen.
6
Adaptionsvermögen: Fähigkeit des Auges, sich an verschiedene Beleuchtungsintensitäten anzupassen
10
benspraktischer Fertigkeiten“ (SENATSVERWALTUNG FÜR JUSTIZ, 2000, § 7, S. 373)
vor.
2.3.2
Förderschwerpunkt „Lernen“
Probleme beim Lernen erfahren seit langer Zeit unterschiedlichste Benennungen.
Der Begriff „Lernbehinderung“ ist hingegen vergleichsweise neu: Zunächst taucht
er im Hessischen Schulpflichtgesetz von 1961 in der Bezeichnung „Sonderschule
für Lernbehinderte“ auf und bekommt 1972 in eben dieser Bezeichnung kultusministerielle Empfehlung (vgl. BLEIDICK, 1996, 184), die jedoch bis heute umstritten bleibt (Diskussion um Diskriminierung, Stigmatisierung7). Eine allgemeingültige Definition des Begriffs „Lernbehinderung“ bleibt die Literatur schuldig. Als
übergreifendes Merkmal kennzeichnet den Begriff „Lernbehinderung“ ein langandauerndes, schwerwiegendes und umfängliches Schulleistungsversagen (vgl.
KANTER 1997), das in der Regel mit einer Intelligenzbeeinträchtigung einhergeht.
KANTER unterstreicht, dass Lernbehinderung kein statisches, defizitäres Persönlichkeitsmerkmal, sondern vorerst eine schulische Bestimmungsgröße darstellt. Er
begründet dies mit der Aussage, dass es keine allgemeine Lernfähigkeit des Menschen und somit auch keinen globalen Mangel an Lernfähigkeit im Sinne einer
generellen Lernbehinderung gibt sondern lediglich aufgabenspezifische Schwierigkeiten (vgl. KANTER 1980). Dem sei entgegengestellt, dass der Grund für die
Feststellung einer Lernbehinderung in der Regel in einer Abweichung von der
Norm liegt.
Als sonderpädagogisch zu fördern werden Schüler mit dem Förderschwerpunkt
Lernen in der Verordnung Sonderpädagogik definiert als
„(1) ... Schüler, die wegen einer erheblichen Beeinträchtigung ihres
Lern- und Leistungsverhaltens die Bildungsziele der allgemeinen Schule trotz des Angebotes von Förderunterricht und gegebenenfalls besonderer Lernhilfen nicht erreichen können. Rückstände in der Entwicklung der kognitiven und sprachlichen Funktion sowie in der Differenzierung der Emotionalität müssen feststellbar sein.
(2) Ziel der Förderung ist die Entwicklung der Gesamtpersönlichkeit
des Schülers mit dem Ziel größtmöglicher Selbständigkeit.“ (SENATSVERWALTUNG FÜR JUSTIZ,
2000, §11, S. 373)
7
Mitte der 80er Jahre kommt es in einigen Bundesländern zur Umbenennung in „Schule
für Lernbehinderte“ und „Förderschule“.
11
Damit ergeben sich drei Aspekte, die eine Differenzierung an der Schule für Blinde fordern:
1. Die geringen Schülerzahlen verhindern die Bildung homogener Jahrgangsklassen.
2. Die Schülerzahlen sind auch dafür verantwortlich, dass die Klassen auch Hinsichtlich der Schulstruktur gemischt werden müssen.
3. Letztlich setzen die individuellen Förderschwerpunkte der Schüler auch individuelle Differenzierungsmaßnahmen voraus.
3 Arbeitslehreunterricht an der Schule für Blinde
3.1 Rahmenplan Arbeitslehre der Berliner Schule
Das Fach Arbeitslehre versteht sich als Integrationsfach, da die Bereiche Haushalt, Technik, Wirtschaft und Beruf im Problemfeld menschlicher Arbeit mit ihren
geschichtlich-gesellschaftlichen und sozial-politischen Zusammenhängen in einem
Fach unterrichtet werden sollen. Auch der 1999 erschienene und maßgeblich
überarbeite Rahmenplan verfolgt dieses Konzept, konkretisiert jedoch die Integration dieser „Partikularfächer“ durch die Oberbegriffe „Erwerbsarbeit“ und
„Hausarbeit“. Dieser Rahmenplan kann als eine moderne und vielseitige Arbeitsgrundlage für Gesamt-, Haupt- und Realschulen angesehen werden.
3.1.1
Ziele
Die beiden großen Bereiche gesellschaftlicher Arbeit, Erwerbsarbeit und Hausarbeit, stehen als Leitlinien für das Fach Arbeitslehre an der Berliner Schule in
den Klassen 7-10. Dementsprechend nennt der Rahmenplan drei Zielperspektiven
des Faches:
(1) „Erwerbstätigkeit ist vielgestaltig und von ständigen Veränderungen betroffen. In der Arbeitslehre können jedoch Basisqualifikationen vermittelt werden, die
den Schülerinnen und Schülern Orientierung und Handlungskompetenz für eine
künftige Berufswelt ermöglichen. In den Arbeitslehre-Werkstätten werden exemplarische Technikerfahrungen gesammelt. Der Vergleich Schule - Betrieb muss in
Betriebserkundungen und Praktika gesucht werden.“ (SENATSVERWALTUNG FÜR
SCHULE, JUGEND UND SPORT, 1999, S. 3)
Anmerkung: Die Berufsorientierung ist ein wesentlicher Bestandteil der Arbeitslehre. Er zieht sich mit zunehmender Gewichtung durch die Jahrgänge. Die Kenntnis
der hohen Arbeitslosigkeit zum einen und die Entwicklung des Arbeitsmarktes im
Hinblick auf eine rasant zunehmende Technisierung und der damit verbundenen
Qualifikationen und Anforderungsprofile zum anderen, erfordert von den Schülern
eine möglichst frühzeitige und realistische Einschätzung eigener Leistungsfähigkeit.
Dies allein kann jedoch nicht genügen, da von einer – vielen Konzepten des Berufswahlunterrichts unterstellten – rationalen Wahl nach eigenen Interessen und
12
Kompetenzen, nur bei einer relativ kleinen Gruppe Heranwachsender gesprochen
werden kann. „Die überwiegende Zahl der Jugendlichen nehmen, was sie kriegen
können. Die Berufswahltheorie spricht in diesem Falle von der Allokation, der ‚Zuweisung’ bestimmter Gruppen von Jugendlichen zu bestimmten Berufsmöglichkeiten. Von diesem Prozess sind viele Mädchen, sozial Benachteiligte und Behinderte
betroffen.“ (Duismann, 2001, S. 119)
Zudem sind die Möglichkeiten der wählbaren Berufe und Ausbildungsplätze der hier
angesprochenen Lerngruppe begrenzt aufgrund ihrer vielschichtigen Schädigungen. Ein differenziertes Vorgehen der Berufsorientierung ist unumgänglich.
(2) „Wesentliche Qualifikationen für Hausarbeit lassen sich bis zu einem gewissen
Grade in der Schule erwerben. Die im Privathaushalt heute vorhandene Technikausstattung ist in der Schule verfügbar. Neben Haushaltstechniken werden auch
auf den Haushalt bezogene Verhaltensweisen und Normen vermittelt. Hausarbeit
und Erwerbstätigkeit sind nicht losgelöst voneinander zu betrachten, sie beeinflussen sich gegenseitig.“ (SENATSVERWALTUNG FÜR SCHULE, JUGEND UND SPORT,
1999, S. 3)
Anmerkung: Viele grundlegende Erfahrungen, die Jugendliche aus der häuslichen
Erziehung beziehen (bezogen auf Haushaltstechniken, Verhaltensweisen und Normen) sind in der angesprochenen Lerngruppe nicht gemacht worden. Die Gründe
hierfür sind vielschichtig. Als Beispiele dafür können angebotsarme häusliche Erziehung, Überbehütung aber auch soziokulturelle Unterschiede genannt werden. Viele
Erfahrungen, die einem durch Beobachtung umgangssprachlich ausgedrückt „ins
Auge springen“, bleiben dem Sehgeschädigten, aber auch dem Lernbehinderten oft
verborgen. Hier sieht sich die Schule in der Pflicht, derartige Verhaltensweisen, Erfahrungen und Normen zu vermitteln. Das Fach Arbeitslehre bietet dafür geeignete
Schnittstellen.
(3) „Arbeit als die Gestaltung unterschiedlicher Materialien und Werkstoffe unter
Einsatz von Maschinen und Handwerkszeugen hat einen pädagogischen Wert,
der nicht durch andere Unterrichtsformen substituierbar ist. Sie ist in vielerlei
Hinsicht der Persönlichkeitsentwicklung eines Jugendlichen förderlich.“ (SENATSVERWALTUNG FÜR SCHULE, JUGEND UND SPORT,
3.1.2
1999, S. 3)
Struktur
Arbeitslehreunterricht soll in erster Linie projektorientiert stattfinden wobei andere Unterrichtsverfahren ausdrücklich projektbegleitend ihren Stellenwert finden.
Zur Darstellung der Inhalte werden im Rahmenplan sogenannte Projektskizzen
vorgegeben: Der Projektgegenstand steht im Zentrum und wird von zwölf Projektdimensionen beleuchtet, die sich als Bedingungsfelder menschlicher Arbeit
verstehen (Berufsorientierung, Technikeinsatz, Symbolische Darstellungsformen,
Ökonomie, Ökologie, IuK-Technik, Verbraucherverhalten, gesellschaftliche Arbeitsteilung, Produktgestaltung und Design, Historische Entwicklung, Waren- und
Werkstoffkunde, Arbeitssicherheit und Gesundheit).
13
3.2 Rahmenplan der Schule für Blinde
Die allgemeinen Empfehlungen für den Unterricht an der Schule für Blinde im
besonderen Teil (B VI f1) des Rahmenplans sind konkret und zeitgerecht. Die
Bereiche Bildungsauftrag, Ziele der Erziehung, Lernvoraussetzungen, Medien und
Organisation der Schule entsprechen einer detaillierten Arbeitsgrundlage. Die
Empfehlungen für das Fach Arbeitslehre im besonderen Teil beziehen sich hinsichtlich der Lernziele und der Struktur auf den veralteten Rahmenplan für das
Fach Arbeitslehre der allgemeinen Schule. Die sonderpädagogischen Empfehlungen für das Fach sind folgendem Satz zu entnehmen: „Zu den Sachfeldern in
Bezug auf die Lernziele kommt der vorläufige Rahmenplan für das Fach Arbeitslehre im Sekundarbereich 1 der Berliner Schule zur Anwendung, wobei behinderungsspezifische Modifikationen berücksichtigt werden müssen.“ (SENATSVERWALTUNG FÜR SCHULE, JUGEND UND SPORT,
1988 [1], S. 19)
3.3 Rahmenplan der Schule für Sehbehinderte
Auch der besondere Teil des Rahmenplan für Sehbehinderte ist wenig konkret.
Auch dieser verweist auf die Inhalte des alten Arbeitslehre-Rahmenplans. Jedoch
findet man hier zumindest grundlegende sonderpädagogische Hinweise für die
Bereiche Metall-/Holzverarbeitung, Hauswirtschaft und Textilarbeit. (vgl. SENATSVERWALTUNG FÜR SCHULE, JUGEND UND SPORT,
1988 [2], S. 18-19)
3.4 Rahmenplan der Schule für Lernbehinderte
Im Rahmenplan der Arbeitslehre für Schulen des Sekundarbereichs I wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Schule für Lernbehinderte einen anderen
Rahmenplan hat. Da auch dieser Rahmenplan thematisch und zieladäquat an
seiner Historie (1978) leidet, soll für die vorliegende Arbeit das „Diskussionspapier zur Novellierung des Rahmenplans: Arbeitslehre an der Schule für Lernbehinderte“ verwendet werden. Folgende Gründe sollen das Vorgehen untermauern:
(1) Durch das Festhalten an veraltete Rahmenpläne wird „die Schule für Lernbehinderte von der Curriculumentwicklung der allgemeinen Schulen abgekoppelt“
(SENATSVERWALTUNG FÜR SCHULE, BILDUNG UND SPORT, (o.J., S. 2) mit dem Resultat
einer ungenügenden Chancengleichheit und Durchlässigkeit.
(2) Der Einsatz der Technik, insbesondere der IuK-Technologien verlangt den
Einzug in die Klassenzimmer, insbesondere aus Gründen, die für Lernbehinderte
wie auch für Sehgeschädigte die Chancen hinsichtlich Lebensführung und Beruf
in Zukunft verbessern (können).
Aus diesen Gründen fließen auch Inhalte und Ziele aus dem vorläufigen Rahmenplan „Informationstechnischer Grundkurs im Fach Arbeitslehre, Schule für Lern-
14
behinderte“ (SENATSVERWALTUNG FÜR SCHULE, BERUFSBILDUNG UND SPORT, 1995) in
die Unterrichtsarbeit mit ein.
4 Mediale Differenzierung im Arbeitslehreunterricht
4.1 Medienbegriff und Bedeutung für die Arbeitslehre
„››Medien‹‹ sind ››tiefgefrorene‹‹ Ziel-, Inhalts- und Methodenentscheidungen –
zumeist in Form von Unterrichts- oder Lehrmaterialien. Sie müssen im Unterricht
durch das methodische Handeln von Lehrer und Schüler wieder ››aufgetaut‹‹
werden.“ (MEYER, 1994, S. 150) Dieses „methodische Handeln“ der Schüler hat
naturgemäß im Arbeitslehreunterricht einen hohen Stellenwert. Der schülerzentrierte, projektorientierte Unterricht findet in Werkstätten, Schulküchen, Computerkabinetten statt, also Lernorten mit hohen medialen Anteilen.
Die mediale Differenzierung stellt im Unterricht an der Blindenschule eine große
Herausforderung dar. Der Begriff „Klassensatz“ in bezug auf Schulbücher, Arbeitsblätter o.ä. kommt in der methodischen Unterrichtsplanung nicht vor. Jeder
Informationstext, jede Schulbuchseite und jedes Arbeitsblatt muss dem Schädigungsprofil jedes Schülers individuell angepasst werden.
Die hier zu betrachtenden Unterrichtsbeispiele sind eingebettet in das für den 9.
Jahrgang zu bearbeitenden Projekt „Arbeit im kaufmännisch-verwaltenden Bereich“. In den materiellen Rahmenbedingungen für dieses Projekt ist die Nutzung
eines Computers vorgeschrieben (vgl. SENATSVERWALTUNG FÜR SCHULE, JUGEND UND
SPORT, 1999, S. 24). Aus diesem Grunde möchte ich mich im Folgenden bezüglich
der Beispiele medialer Differenzierung auf Differenzierungsmaßnahmen mittels
des Computers beschränken.
4.2 Stellenwert des Mediums Computer an der Schule für Blinde
„Mit den Informations- und Kommunikationstechnologien soll ein in der gegenwärtigen und zukünftigen Lebens- und Arbeitswelt zunehmend bedeutsamer und
gleichzeitig relativ komplexer Bestandteil unserer Lebens- und Arbeitswelt zum
Unterrichtsgegenstand werden, woraus sich die Einbindung in das Fach Arbeitslehre an der Berliner Schule erklärt.“ (SENATSVERWALTUNG FÜR SCHULE, BERUFSBILDUNG UND
SPORT, S. 3). Darüber hinaus haben die Möglichkeiten, welche sich
durch die Nutzung von IuK-Technologien ergeben, die Rehabilitation sehgeschädigter Menschen in den letzten Jahren maßgeblich beeinflusst. Spezielle Hilfsmittel ermöglichen ihnen den Zugang zu den (meisten) Quellen allgemeiner Information.
In der unterrichtlichen Praxis soll der Computer als Arbeitswerkzeug dienen, die
Selbständigkeit fördern, eine Differenzierung im Lernprozess ermöglichen und
15
eine Lernhilfe zur Überprüfung und Dokumentation des Lernerfolgs sein. Dabei
kann er zu folgenden Anwendungsbereichen hinzugezogen werden:
Funktions-/ Anwendungsbereich des PC
Archivierungs- und Ordnungswerkzeug
Gestaltungswerkzeug
Rechenwerkzeug
Recherchewerkzeug
Trainingshilfe
Kommunikationswerkzeug
Schüler lernen...
- wie und in welcher Form Informationen gespeichert
werden.
- das archivierte Material unter versch. Fragestellungen
schnell wiederzufinden.
- das Erstellen und Gestalten von Texten, Grafiken und
Schemata.
- das Bearbeiten von Tondokumenten, Bildern und
Filmsequenzen.
- den Umgang mit Tabellenkalkulation.
- den Umgang mit komplexen mathematischen Programmen.
- Datenbanknutzung auf CD-Rom/DVD
(Nachschlagewerke).
- die Recherche im WWW sowie in Newsgroups.
- die Handhabung von Lernprogrammen.
- den Gebrauch von E-Mail, das Chatten
Tabelle 1 (aus: MEINECKE, 2001, S.11)
„Die Informationstechnik eröffnet so Blinden und Sehbehinderten eine Vielzahl
neuer Möglichkeiten der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, sowohl im privaten wie auch im beruflichen Bereich. Daher gehört die Beherrschung dieser
Technik heute zu den Schlüsselqualifikationen in der Rehabilitation blinder und
sehbehinderter Menschen, insbesondere auch hinsichtlich ihrer Chancen auf dem
Arbeitsmarkt.“ (KALINA, 2002, S. 270)
Die Kapitel zu den beiden in der Lerngruppe anzutreffenden Förderschwerpunkte
lassen vermuten, dass es gravierende Unterschiede in den Leistungsvoraussetzungen im Umgang mit dem Computer, als auch in der Wahrnehmung, also dem
Zugang zu dem Medium Computer geben wird.
Vor dem Hintergrund der differenzierten Nutzung des Computer im Unterricht
stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten das Medium Computer für die Förderung bereitstellt, welche Vorzüge, aber auch welche Probleme der Umgang mit
dem Computer mit sich bringen.
4.3 Sehgeschädigtenspezifische Aspekte beim Einsatz von Computern im Unterricht
Die Tatsache, dass sich das Sehvermögen „aus einer komplexen Vielfalt von Sehfunktionen zusammensetzt, deren Leistungen je nach Art der Sehschädigung in
unterschiedlichem Maß herabgesetzt sein können“ (RATH, 1995), erfordert zunächst eine „übergeordnete“ mediale Differenzierung – die individuelle Einrichtung des Computerarbeitsplatzes für den Sehgeschädigten.
16
Um diese Arbeitsplätze optimal einrichten zu können, ist die genaue Kenntnis
über die individuellen Sehleistungen sowie der kompensatorischen Fähigkeiten
jedes Schülers die Voraussetzung.
4.3.1
Kenntnisse medizinischer Befunde
Die verschiedenen Ausprägungen der Sehschädigung erfordern sehr spezifische
Grundeinstellungen des Computers, benutzter Hilfsprogramme sowie der räumlichen Umgebung. Neben der Bildgröße sind Helligkeit, Kontrast, Farben, Farbkontrast sowie Lichteinstrahlung zu berücksichtigen. Hierzu einige Beispiele, bezogen
auf Sehschädigungen innerhalb der Lerngruppe:
Schädigung
Maßnahmen
Visusminderung
größerer Monitor, Vergrößerungssoftware, Bildschirmlupen, Großschrift
Vermeidung von Relativblendung (Spiegelungen auf Monitor) und Absolutblendung (Blendung durch zu hohe Kontrast- und Helligkeitswerte; kommt schon bei geringer
Leuchtdichte bei Albinismus vor)
hohe Allgemeinbeleuchtung (ca. 600 Lux) sowie verstärkte Hintergrundbeleuchtung
Kontraste verstärken, gute Raumausleuchtung, Spiegelungen auf Monitor vermeiden
8
Blendungsempfindlichkeit
Lichtbedürftigkeit
9
verminderte
10
Kontrastempfindlichkeit
Störung oder Ausfall des
Farbsinnes
Gesichtsfeldausfälle
11
verminderte Fixationsstabilität
Störung der Bewegungsempfindung
kräftige, gesättigte Farben für Cursor, und Mauszeiger
wählen, ggf. auch für Bildschirmhintergrund, möglichst
großflächige Farbgebung, Farbwahl
maßvolle Bildschirm- und Inhaltsvergrößerung (so klein
wie möglich, so groß wie nötig)
größere Buchstaben- und Zeilenabstände, ggf. Textvergrößerung
aufrollende (nicht aufklappende) Menüleisten, Einzelbilder, keine Videosequenzen oder bewegte Bildschirmschoner
Tabelle 2
4.3.2
Einbeziehung individueller Wünsche
Prinzipiell sollte man den Schüler bei der Suche nach der optimalen Einstellung
mit einbeziehen. Die besten diagnostischen Kenntnisse, abgeleitet aus den medizinischen Befunden sowie Beobachtungen der allgemeinen Sehleistung, nützen
wenig, wenn sich der Schüler mit den Einstellungen nicht „wohlfühlt“. Auch eine
noch so komfortabel ausgestattete Schule wird nicht die idealen Bedingungen
stellen können, die der individuellen Sehschädigung eines jeden zu schulden sind.
Schüler mit einer sehr hohen Lichtbedürftigkeit werden sich auch weiterhin den
8
Albinismus, Katarakt
Nachtblindheit - Retinitis Pigmentosa
10
Low Contrast Sensitivity, Nachtblindheit – Retinitis Pigmentosa
11
Zentrale sowie peri- und parazentrale Skotome, Ringskotome, Quadranten oder Halbseitenausfälle mit od. ohne Aussparung der Makula, Röhrengesichtsfeld durch Retinitis pigmentosa oder Glaukom
9
17
Klassenraum mit blendungsempfindlichen Schülern teilen müssen. Kompromisse
müssen geschlossen werden – mit, nicht gegen die Schüler.
Bezieht man den Schüler in die Einstellungsmöglichkeiten mit ein, kommt es oft
zu paradoxen Ergebnissen. Der Schüler wählt Farben, Helligkeits-, Kontrast- und
selbst Größenverhältnisse, die seinen Diagnose (und den Erfahrungen des Lehrers) zu widersprechen scheinen12.
Ein weiterer Grund, den Schüler mit den Einstellmöglichkeiten vertraut zu machen, resultiert aus den variablen Bedingungen des Arbeitsplatzes (Sonneneinstrahlung versus Dunkelheit – der Schüler passt seinen Arbeitsplatz den wechselnden Bedingungen an) sowie der Möglichkeit, auch andere PC-Arbeitsplätze
(z.B. zuhause) für sich nutzbar zu machen.
Eine pädagogische Führung und Beratung ist in jedem Fall anzuraten, da einige
Schüler zu Überschätzungen neigen, die sich nicht selten aus einer unangemessenen Akzeptanz der eigenen Behinderung ergeben.
4.3.3
Hilfsmittelbedingte Besonderheiten
Die rasante Entwicklung der Computertechnik13 stellt die Hersteller von blindentechnischen Peripheriegeräten vor enorme technische Herausforderungen, dem
Wettlauf standzuhalten ohne die Bedienbarkeit des Mediums zu erschweren.
Dank dieser Technik können Sehgeschädigte mit den gleichen Programmen und
Daten arbeiten wie ein Sehender. Der Zugang, d.h. die Art und Weise der Bedie-
nung der Software unterscheidet sich maßgeblich vom Standard.
Das Betriebssystem Microsoft Windows♦ ist ein grafisches System mit anklickbaren Schaltflächen und Grafiken. Die visuellen Vorteile des Multitasking, das
gleichzeitige Öffnen verschiedener Fenster, bleiben dem Blinden verschlossen. Er
betrachtet sich ein geöffnetes Fenster und tastet dieses zeilenweise von oben
nach unten14 auf der Braillezeile ab. Ein sogenannte Screenreader wandelt dabei
die grafischen Informationen des Windows♦-Bildschirmes in Text um. Die Ausgabe des Textes kann auch über eine Sprachausgabe erfolgen. Nicht immer gelingt diese Umwandlung ohne Informationsverluste. Auch bezüglich der Bedienung von Programmen entstehen für den blinden Nutzer Nachteile:
1. Microsoft fordert eine Reihe von Programmkonventionen zur Herstellung von
Software für ihre Betriebssysteme. Die Forderung, dass alle mit der Maus bedienbaren Schaltflächen auch mit der Tastatur zu erreichen sein sollen, wird
von Programmierern nicht durchgehend eingehalten.
12
Die Gründe dafür sind nicht eindeutig zu bestimmen. Zum einen ermöglichen moderne Monitore
eine derart hohe Auflösung, dass so klare Bilder entstehen, dass beispielsweise eine Verkleinerung
der Schriftgröße für den Schüler akzeptabel ist. Zum anderen mag der motivationale Faktor des PC
dazu beitragen (mir sind Schüler bekannt, die bei Papiervorlagen in Schriftgröße 14 an ihre Grenzen
geraten, allerdings auf schlecht beleuchteten Fluren eine SMS entziffern).
13
Seit der Einführung der Personalcomputer Anfang der 80er Jahre verdoppelt sich der Technologiestandard der Computertechnik etwa alle 18 Monate!)
14
das „von-oben-nach-unten“ verliert an Bedeutung in Anbetracht einer auslesbaren (Braille-) Zeile
18
2. Konventionen für die Gestaltung des Internet unterliegen keiner Kontrolle (vgl.
www.w3c.com): Beispielsweise bleiben unbeschriftete Grafiken oder Grafiken,
die als Schaltfläche (Link) dienen, dem blinden Nutzer verborgen.
3. Textformatierungen (Textart, -farbe, -größe, fett, kursiv, unterstrichen) können
nicht dargestellt werden.
Reichen die dem Betriebssystem integrierten Vergrößerungsmöglichkeiten nicht
aus, arbeiten Sehbehinderte häufig mit Vergrößerungssoftware. Diese stellen
einen Bereich des Bildschirms vergrößert dar (vgl. Abb. 1), mit Mausbewegungen
lassen sich die Inhalte des gesamten Bildschirms „abfahren“. „Da alle Hilfsmittel
immer nur einen relativ kleinen Teilausschnitt des gesamten Originalbildes darstellen können, stellen die Hilfsmittelprogramme auch zahlreiche Funktionen zur
Verfügung, mit denen der jeweils gewünschte Bildschirmbereich ausgewählt werden kann. Für sehbehinderte Computerbenutzer ergeben sich hieraus zwei
grundlegende Konsequenzen: Der Überblick über den gesamten Bildschirm wird
durch die Hilfsmittel eingeschränkt, der Bedienaufwand dagegen erhöht.“ (KALINA
2002, S. 271) So hilfreich wie elektronische Blindenhilfsmittel für den Computer
und dessen Peripherie für Blinde und hochgradig Sehbehinderte auch sind, darf
folgendes nicht außer acht gelassen werden: Bildschirmgeräte ermöglichen dem
Sehenden eine Simultanerfassung, ein „Überfliegen“ von Texten, Tabellen und
Grafiken, welches dem Sehgeschädigten nicht möglich ist. Auch noch so optimierte technische Gerätschaften können sich zumindest in einem Punkt mit der
visuellen Wahrnehmung nicht messen: In der Effizienz am Arbeitsplatz.
4.4 Lernbehindertenspezifische Aspekte beim Einsatz von Computern im Unterricht
Sofern keine weiteren Schädigungen vorliegen, ergibt sich für einen lernbehinderten Schüler kein Nachteil bei der Nutzung standardisierter Hardware. Hier
liegen die Probleme im Bereich der Software.
Aspekte, die sich für den blinden Nutzer nachteilig auswirken, sind in Bezug auf
die Bedienung für den Lernbehinderten von Vorteil. Viele Lernbehinderte haben
gravierende Probleme bezüglich der Leseleistungen. Die vielen schaltbaren, grafischen Symbole (Ikons) moderner Betriebssysteme erleichtern ihnen die Bedienung.
So lassen sich auf den Desktop Symbole (Verknüpfungen) zu jeder beliebigen
Anwendung, zu jedem Ordner oder zu jeder Datei legen. Die Symbole sind leicht
zu unterscheiden. Langes Lesen oder Lernen von Tastenkombinationen entfallen.
Innerhalb der Programme gibt es Symbolleisten, die jeden Befehl (Kopieren, Drucken, Unterstreichen etc.) mit einem Mausklick auf das Symbol ausführen – lesen
ist nicht zwingend notwendig.
19
Auf kombinierte Schädigungen soll nicht explizit eingegangen werden, da sich die
Auswirkungen aus den vorgenannten Aspekten erschließen. Es sollte verdeutlicht
werden, dass eine wichtige Voraussetzung für die Realisierung der Anpassungsmöglichkeiten von Computersystemen in der reflektierten Diagnostik liegt, die
sich auf so unterschiedliche Faktoren wie Wahrnehmung, Motorik und Emotionen
beziehen kann.
Die medialen Voraussetzungen der Schüler sind dem Kapitel 5.3 zu entnehmen.
5 Darstellung der Lerngruppe bezogen auf das zentrale
Anliegen
5.1 Zusammensetzung der Lerngruppe
Allgemeine Situation
Die Klasse 9OH / 9OR / 9 SL der setzt sich aus fünf Schülern (2w, 3m) im Alter
zwischen 14;6 und 17;2 Jahren zusammen. In dieser Konstellation besteht die
Klasse erst seit diesem Schuljahr. Zu Beginn des Schuljahres wechselte ein Schüler von der Sehbehindertenschule Berlin Lichtenberg in diese Klasse. Ein Schüler
verließ während des Schuljahres die Klasse. Nach einer Probezeit wechselte er
die Schule und wird dort integrativ betreut. Für eine Schülerin der Klasse endete
die Schulbesuchszeit mit dem Ende des letzten Schuljahres.
Ein Schüler ist libanesischer und eine Schülerin arabischer Herkunft.
Ein Schüler wird nach dem Rahmenplan der 9. Klasse der Realschule unterrichtet,
eine Schülerin absolviert die 9. Klasse mit Orientierung auf Hauptschulabschluss,
drei Schüler besuchen die 9. Klassenstufe der Schule für Lernbehinderte.
Um zu verdeutlichen, welche Probleme sich im einzelnen für die Schüler bei der
Arbeit am Computer und welche Gründe und Besonderheiten sich bezüglich der
Differenzierung ergeben, sollen zunächst die Schülerbeschreibungen folgen.
5.2 Schülerbeschreibungen15
Alter
Richtlinien
xxx
LB
Medikamente, Therapien, Hilfsmittel
Einzelfallhilfe, Punktschriftmaschine Perkins (6 Punkt-Braille),
J.
Klasse
9
Diagnose
1. Organische Voraussetzungen
Augenärztlicher Befund: beidseitige Amaurose16 nach Retinopathia praematurorum17 und unspezifischen cerebralen Störungen
15
SCHÜLERBESCHREIBUNGEN AUS GRÜNDEN DES DATENSCHUTZ IN DER INTERNETFASSUNG STARK GEKÜRZT!
16
Amaurose: Totale Blindheit eines oder beider Augen
20
2. Kommunikation und Sprache
J. nutzt die Punktschrift (Vollschrift). Sie liest sehr gern, fließend und fehlerfrei
unter Zuhilfenahme beider Hände. Blindenkurzschrift liest sie stockend und fehlerhaft.
Alter
XXX
Medikamente, Therapien, Hilfsmittel
Sonnenbrille, Förderunterricht „Lesen“
K.
Richtlinien
LB
Klasse
9
Diagnose
1. Organische Voraussetzungen
Augenärztlicher Befund: Aufgrund einer angeborenen • Inkomplette Achromatopsie
Netzhauterkrankung (Missbildung der Zapfenzellen)
18
•
Strabismus divergens
und Verdacht auf inkomplette Achromatopsie ist K.s
•
Amblyopie li.
Sehvermögen dauerhaft herabgesetzt. Zudem besteht
19
20
•
Nystagmus
ein Strabismus divergens mit Amblyopie des linken
Auges und ein Nystagmus21.
Visus: Er erreicht eine Sehschärfe von rechts V=0,60 und links V=0,20.
Funktionelles Sehvermögen: K.s funktionelles Sehvermögen ermöglicht ihm eine
uneingeschränkte und sichere Bewegung in bekannter und unbekannter Umgebung mit unauffälliger Motorik. Sowohl für den Nah- als auch den Fernbereich
benötigt er keine optischen Hilfsmittel. Sein Kontrastsehvermögen und sein Farbsehen sind wesendlich herabgesetzt. Er ist in der Lage, normalen Buch- oder
Zeitungstext zu lesen. Binokulares Sehen ist aufgrund der Amblyopie nicht oder
nur ansatzweise vorhanden.
Ein Vergrößerungsbedarf besteht nicht.
2. Kommunikation und Sprache
K.s aktiver und passiver Wortschatz sind nicht altersgemäß entwickelt. Sein
Sprachverständnis beschränkt sich auf einfache Äußerungen. Antworten sind oft
zusammenhangslos oder auf wenige Wörter reduziert, sodass deren Sinn oft nur
erahnt werden kann.
Durch den Förderunterricht „Lesen“ haben sich seine Leseleistungen wesentlich
verbessert. Er liest langsam, kann jedoch auch bei längeren und anspruchsvolleren (nicht wesentlich reduzierten) Texten mittlerweile sinnentnehmend lesen.
Alter
XXX
Medikamente, Therapien, Hilfsmittel
Brille (Starbrille)
A.
Richtlinien
LB
Klasse
9
Diagnose
1. Organische Voraussetzungen
17
Retinopathia praematurorum: Gefäßwucherungen auf Netzhaut und Glaskörper nach O2Beatmung von Frühgeborenen
18
Achromatopsie: Farbenblindheit. Funktionseinschränkung oder Ausfall der Zapfenzellen (Netzhautmitte). Die Sehkraft mit den verbleibenden Stäbchenzellen ist unvergleichlich geringer. Lichtempfindlichkeit.
19
Strabismus divergens (Exotropie): Abweichung der Parallelstellung der Augen nach außen.
20
Amblyopie: angeborene oder erworbene Schwachsichtigkeit z.B. als Folge von Strabismus.
21
Nystagmus: Augenzittern, unwillkürliche rhythmische Bewegung der Augen.
21
Augenärztlicher Befund: A.s Sehvermögen ist dau- •
Operative Linsen-
extraktion nach conerhaft herabgesetzt durch eine angeborene Katarakt
22
genitaler Katarakt
mit im Säuglingsalter erfolgter operativer Linsenextraktion.
Visus (15.11.02): Mit seiner optimal angepassten Starbrille erreicht er eine Sehschärfe von rechts V=0,04 und links von V=0,32 – 0,4.
Funktionelles Sehvermögen: A. hat ein gutes funktionelles Sehvermögen, er bewegt sich sicher in vertrauter und fremder Umgebung. Er verfügt über ein normgerechtes Kontrastsehvermögen. Binoculares Sehen und Lesen ist bei ihm vorhanden. Die Sehschädigung bedingt eine erhöhte Blendempfindlichkeit.
Er ist in der Lage, ca. 1,2-fachen Zeitungsdruck (Schulbuchschrift) in einem Leseabstand von 30 cm zu lesen.
2. Kommunikation und Sprache
Aus seiner Zweisprachigkeit (libanesische Herkunft) resultiert ein eingeschränkter
Wortschatz sowie Fehler in der Orthographie und im sprachlichen Ausdruck.
Alter
Richtlinien
Klasse
XXX
HS auf Probe
9
Medikamente, Therapien, Hilfsmittel
Brille, Bildschirmlesegerät, regelmäßige (selbständige) Einnahme von Augentropfen, Bildschirmvergrößerungsprogramm „Lunar“, Punktschriftmaschine Perkins (6 Punkt-Braille)
S.
Diagnose
1. Organische Voraussetzungen
Augenärztlicher Befund: S. leidet unter Morbus Still23, einer Untergruppe der juvenilen chronischen Arthritis. Diese in der Regel nur bei jungen Mädchen auftretende Erkrankung führt u.a. zu Entzündungen in verschiedenen Bereichen des
Auges. Die Entzündungen an Regenbogenhaut und Iris • chronische rezidivierende Iridozyklitis infolge
führten zur Trübung und nachfolgender operativer Entjuveniler rheumatoider
fernung der Linsen beiderseits. Eine weitere BegleiterPolyarthritis
scheinung besteht in der zu geringen Produktion von
• Aphakia operata bei Z.n
Tränenflüssigkeit. Diese begünstigte weitere EntzünPars plana-Lentektomie
dungen, die zu einer bandförmigen Hornhautdegenerabei Cataracta
tion und zusätzlichen Kalkeinlagerungen entlang der
complicata
Lidspalte führten.
• Bandkeratopathie
Funktionelles Sehvermögen: Da sich die Symptome der
Erkrankung in bezug auf den Visus aller Voraussicht nach verschlechtern werden,
nutzt S. in zunehmenden Maße Blindentechniken. Sie nutzt ihr Restsehvermögen
sowie die ihr zur Verfügung stehenden Hilfsmittel sehr selbständig und funktional
aus. Vergrößerungsbedarf: S.s Visus reicht nicht mehr aus, um von Hand zu
schreiben. Sie schreibt und liest die Punktvollschrift, nutzt jedoch auch das Bildschirmlesegerät zum Lesen der Schwarzschrift.
Visus (22.03.01): RA V= 0,05 – 0,08
LA V= 0,06 (1/15)
2. Kommunikation und Sprache
Im Unterrichtsgespräch spricht S. in einfachen kurzen Sätzen oder Wortgruppen
und beschränkt sich damit auf das Wesentliche. Dies ist aber eher ihrem mangelnden Selbstvertrauen geschuldet. Im freien Gespräch kann sie sich flüssig und
mit angemessenem Wortschatz artikulieren. Sie liest Schwarzschrift mit erheblichen Vergrößerungsbedarf auf dem Bildschirmlesegerät und am Computer. Am
22
23
Katarakt: Grauer Star. Vollständige oder teilweise Eintrübung der Augenlinse(n).
auch als Still-Chauffard-Syndrom bekannt
22
Computer kann sie auch Schwarzschrift schreiben. Sie liest und schreibt die
Punktvollschrift nahezu fehlerfrei.
Alter
Richtlinien
Klasse
XXX
RS
9
Medikamente, Therapien, Hilfsmittel
Starbrille mit eingeschliffenen Weit- und Nahgläsern, Leselupe, Bildschirmvergrößerungsprogramm „Lunar“, Zahnspange
J.
Diagnose
1. Organische Voraussetzungen
Augenärztlicher Befund: Infolge des angeborenen grauen • Bds. Aphakia
operata
Star erfolgte im Alter von drei Monaten eine vollständige
•
Pendelnystagmus
Linsentrübung welche im Alter von neun Monaten operiert
wurde. Seine Sehschädigung begleitet ein Pendelnystagmus. Eine postnatale Atemnot verursachte offenbar eine frühkindliche Hirnschädigung (s.u.).
Ärztliches Gutachten vom 18.08.93: J.´ frühkindliche Hirnschädigung bedingt
vordergründigen Symptomatiken von Konzentrationsstörungen, motorischer Unruhe sowie Störungen der Fein- und Grobmotorik. Hinzu kommt eine psychosoziale Retardierung sowie eine hochgradige Sehbehinderung.
Visus (10.09.1993): RA: 1/8 (0,125) Fern
LA: 1/8 (0,125) Fern
Nahvisus:
keine Angaben
Funktionelles Sehvermögen: Durch die starke Vergrößerung der Starbrille ist das
Gesichtsfeld erheblich verkleinert. Beidseitig liegt eine messbare konzentrische
Gesichtsfeldeinengung von rechts temporal 50° nasal 30°; links temporal 55°,
nasal 30° vor. Räumliche Sehen ist bei J. nicht nachweisbar. Farbsinnesstörungen
liegen nicht vor. Das augenärztliche Gutachten weist eine bezüglich des Nachtsehens mäßig verzögerte Dunkelanpassung nach. Orientierungsprobleme und übermäßige Bewegungsverzögerung bei Dämmerung deuten auf ein deutlich eingeschränktes Nachtsehen hin. J. hat einen hohen Lichtbedarf bei gleichzeitig erhöhter Blendungsempfindlichkeit.
2. Kommunikation und Sprache
J. verfügt über einen altersgerechten Wortschatz. Er hat oft ein zügelloses Mitteilungsbedürfnis. Sein Satzbau ist umständlich (zu lange Sätze). Er braucht lange
Zeit, um einen Sachverhalt zu schildern, da er sich nicht auf das Wesentliche
beschränken kann. Er diskutiert emotional und oft rechthaberisch. Nur noch selten fällt er seinen Mitschülern ins Wort oder redet ungefragt dazwischen.
Seine Sprache ist verwaschen, ein Lispeln erschwert seine Artikulation. Logopädisch ist keine Besserung zu erwarten, eine Zahnfehlstellung wird derzeit korrigiert.
Am Computer nutzt J. das Zehn-Finger-Schreibsystem, fällt jedoch gelegentlich
auf die (unerwünschte) visuelle Suche auf der Tastatur zurück.
5.3 Technische Ausstattung der Schüler
Jeder Schüler der Klasse verfügt über einen für seine Sehschädigung optimal
angepassten Computerarbeitsplatz. Die Bildschirmarbeitsplätze sind mit 21“Monitoren ausgestattet. Alle Rechner arbeiten mit dem Betriebssystem Microsoft
Windows 2000, der Textverarbeitung Microsoft Word 2000 sowie dem E-MailClient Microsoft Outlook2000. Alle Computer sind an das Netzwerk der Schule
23
angeschlossen, verfügen über einen Anschluss an das Internet sowie die Möglichkeit zum drucken (Schwarzschrift)
K. kommt an dem großen Monitor ohne vergrößernde Hilfsmittel aus. Er neigt
jedoch dazu, die allgemeine Bildschirmauflösung so einzustellen, wie er es von
zuhause gewohnt ist. Dadurch werden die Menüeinträge so klein, dass bedingt
durch seinen Nystagmus, flüssiges Arbeiten erschwert wird.
S.: Wegen ihrer extremen Nähe zum Monitor (15-25 cm) benutzt S. einen strahlungsarmen 19“-TFT-Flachbildmonitor.
Sie benötigt eine derart hohe Vergrößerung (Vergrößerungssoftware „Lunar“), dass ihr Desktopausschnitt dem
schwarzgerahmten Bereich in Abbildung 1 entspricht. Mit der Maus
„fährt“ sie den Bildschirm ab. Dadurch
ist ihr der Überblick über den Desktop
extrem eingeschränkt. Das unter Windows
so
vorteilhafte
Multitasking
Abbildung 1
(gleichzeitig geöffnete Fenster) bereitet ihr große Schwierigkeiten. Der spezielle
Computertisch mit ausziehbarer Tastatur stellt keine ideale Lösung dar, da sich
mit ausgezogener Tastatur die Entfernung der Augen vom Monitor vergrößert.
Arbeitet sie mit der Maus, schiebt sie unbewusst die Tastatur mit dem Körper
unter den Tisch. Da S. den Menütext nur sehr schlecht sieht und die aufklappenden Fenster sie überfordern, soll sie gängige Tastatursteuerungen erlernen (Kopieren=Strg+C, Einfügen=Strg+V usw.), was eine zeitgleiche Arbeit von Maus
und Tastatur verlangt.
A. und J. kommen mit den Windows-internen Einstellungshilfen gut zurecht
(schwarzer, vergrößerter Mauszeiger, vergrößerte Menüeinträge und Ikons). Beide haben einen erhöhten Lichtbedarf bei gleichzeitig erhöhter Blendempfindlichkeit, sodass ihnen Zeit für die Veränderung von Lichtverhältnissen eingeräumt
werden muss (ihre Computer sind nebeneinander installiert). Da sich J. in der
Textverarbeitung relativ große Schrift einstellt (Arial 22/24), läuft seit kurzem ein
Versuch in die Eingewöhnung mit dem Vergrößerungsprogramm „Lunar“ (s. S.)
(noch nicht in den unten vorgestellten Stunden).
J. verfügt über einen voll ausgestatteten blindengerechten PC mit einem, dem
Windows® 2000 überlagerten, BLINDOWS® 2. Diese Software ermöglicht in Zusammenarbeit mit
speziellen Hardwarekomponenten die Umsetzung
aller visuellen Informationen in Text und akustische
Abbildung 2
Signale. Der PC ist mit einer Braillezeile (Abbildung
24
224) ausgestattet, auf der 40 Zeichen abgebildet werden können. Die Sprachausgabe erfolgt über angeschlossene Lautsprecherboxen, die J. jedoch mit dem
Verweis auf die „nervende“ elektronische Stimme nicht nutzt.
Von der sogenannten CeBox (Abbildung 3) nutzt sie nur den TASO-Schieber (auf
dem rechten Rand der CeBox sichtbar), mit dem horizontal, also
zeilenweise im Dokument navigieren kann (ähnlich dem scrollen). In Verbindung mit der Sprachausgabe könnte sie hier z.B.
beschriebene von unbeschriebenen Zeilen unterscheiden, Seitenwechsel erkennen u.a.m. Damit gehen ihr eine Fülle von
Hinweisen bezüglich der Navigation und Suche von Bildschirminformationen verloren25. Die Konvertierung der Inhalte des Internet erfolgt mit dem Softwareprogramm WebFormator. Für des-
Abbildung 3
sen sichere Bedienung sind ca. 20 Tastenkombinationen zu erlernen. J. kennt ca.
4-6, bringt diese jedoch noch nicht sicher und zielgerichtet ein, weshalb sie viel
individuelle Hilfe einfordert.
5.4 Lern- und Arbeitsverhalten
Dem Arbeitslehreunterricht stehen die Schüler interessiert und motiviert gegenüber. Sie beteiligen sich aufgeschlossen am Unterrichtsgeschehen. Die Arbeit mit
dem Computer bereitet ihnen trotz mangelhafter Grundkenntnisse und Problemen in der Bedienung der Hilfsmittel viel Freude.
Durch die vorzubereitende Klassenfahrt in der 8. Jahrgangsstufe ist der in dieser
Zeit durchzuführende Informationstechnische Grundkurs entfallen. Dieser Mangel
an Grundlagen stellt sich als nicht aufholbarer Nachteil in der Arbeit mit dem
Computer in der jetzigen Jahrgangsstufe heraus (vgl. dazu auch MEINECKE, 2001,
S. 35).
K., J. und J. besitzen außerschulisch die Möglichkeit zur Computernutzung. Offensichtlich erfährt nur K. in dieser Hinsicht eine sachkundige Anleitung, was sich
positiv auf seine Vorerfahrungen auswirkt.
5.5 Bemerkungen zum Sozialverhalten
Die Konstellation der Klasse hat sich in den letzten Jahren mehrfach geändert,
was sich nicht günstig auf ihr Gemeinschaftsgefühl und Kooperationsvermögen
ausgewirkt hat. A. sucht oft Streit mit J., indem er ihn mit zynischen Bemerkungen attackiert. Dabei versucht er J.’ Schwächen auszunutzen. K. positioniert sich
in diesen Situationen stets zu A.. Die beiden Mädchen J. und S. sind seit der
24
Abb. 2 und 3: Quelle: http://www.audiodata.de/de/produkte/lesefixceboxbraille.html
Die Tasten der Braillezeile und des TASO ermöglichen annähernd 300 Tastenkombinationen mit
einer Vielzahl akustischer Informationen (Vorlesen der Seite, der Zeile, Buchstabieren des Wortes
u.v.m.).
25
25
Gründung der Klasse befreundet und unternehmen auch außerschulisch gemeinsame Aktivitäten. Auch J. bemüht sich um außerschulischen Kontakt zu J.
5.6 Organisatorische Rahmenbedingungen
5.6.1
Stundenplan
Der Arbeitslehreunterricht umfasst vier Wochenstunden. Laut Empfehlungen des
Rahmenplans sollen diese Stunden in einem Unterrichtsblock zusammengefasst
werden. Dies ist für die vorliegende Lerngruppe nicht gewährleistet. Hier findet
der Unterricht in zwei Blöcken zu je zwei Stunden an verschiedenen Wochentagen statt. Die beiden Stunden der Blöcke werden durch fünfminütige Pausen
unterbrochen.
5.6.2
Pädagogische Versorgung
Die Klasse wird im Fach Arbeitslehre binnendifferenziert im Co-Lehrer-System
unterrichtet. Bezogen auf die Arbeit mit dem Computer im Allgemeinen hat der
Co-Lehrer wenig Erfahrungen. Sehgeschädigtenspezifische Hilfsmittel (WindowsEinstellungen, Screenreader, Vergrößerungssoftware, Braillezeile etc.) sind ihm
nicht vertraut.
5.6.3
Räumliche Bedingungen
Die Schüler werden in einem verhältnismäßig gut ausgestatteten Klassenraum
unterrichtet. Jeder Schüler verfügt über einen großen, in der Neigung verstellbaren Arbeitstisch sowie Rolldrehstühle mit hoher, ergonomischer Lehne. Die Anordnung ist funktional in zwei Tischgruppen geteilt – die Schüler, die Punktschriftmaschinen benutzen, sitzen zusammen. Jeder Schüler verfügt über einen
„eigenen“ Computer. Diese sind an den Wänden rings um den Klassenraum angeordnet. Die Beleuchtung innerhalb des Klassenraumes ist für die Bedingungen
der Schüler ausreichend. Probleme bestehen jedoch durch unzureichend Verdunklungsmöglichkeiten gegen Einstrahlung des Sonnenlichtes. Der Klassenraum
befindet sich an einer Ecke des Schulgebäudes und hat Fenster an beiden Hausfronten. Die Hausecke zeigt in südliche Richtung, sodass an sonnigen Tagen sowohl am Vor- als auch am Nachmittag eine starke Blendung durch Sonneneinstrahlung besteht. Dies wirkt besonders störend bei der Arbeit an den Bildschirmarbeitsplätzen.
In einigen Fächern besteht die Möglichkeit beziehungsweise Notwendigkeit, die
Klasse zu teilen. Hierzu steht in unmittelbarer Nähe zum Klassenraum ein
Teilungsraum zur Verfügung.
5.6.4
Pausen
In kleineren Pausen verlassen die Schüler nur selten den Klassenraum. Eine große Pause in der Woche darf in Absprache mit dem Klassenlehrer für die Durchführung von Computerspielen genutzt werden.
26
6 Darstellung von Planung, Durchführung und Analyse der
Unterrichtsarbeit
6.1 Projekt: Der Lebensordner
Im 9. Jahrgang befinden sich die Schüler im Berufsfindungsprozess. Laut Rahmenplan sind drei Projekte durchzuführen, die jeweils einen der drei Bereiche
gesellschaftlicher Arbeit thematisieren:
•
Arbeit im gewerblich-technischen Bereich
•
Arbeit im kaufmännisch-verwaltenden Bereich
•
Arbeit im sozialen Bereich.
Das Projekt „Lebensordner“, welches dem kaufmännisch-verwaltenden Bereich
zugeordnet ist, versucht exemplarisch die beiden übergeordneten Bereiche Hausarbeit und Erwerbsarbeit zu verflechten. Ziel ist die Herstellung eines persönlichen Aktenordners (Eigenbedarf) für die Ablage persönlicher Akten, Formulare
und Schriftverkehr – die exemplarische Herstellung und Nutzung eines Ordnungsund Ablagesystems in Papier- und elektronischer Form. „Ein moderner Haushalt
führt Schriftverkehr, schließt eine Vielzahl von Verträgen, nimmt Zahlungen vor
und ist in manchen Fällen genötigt, sein Recht zu erstreiten. Nicht zuletzt werden
die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Schutz persönlicher Daten zunehmend gravierender.“ (SENATSVERWALTUNG FÜR SCHULE, JUGEND UND SPORT 1999,
S. 24)
Der Lebensordner ist in achtzehn Bereiche unterteilt, bei denen Schriftstücke,
Formulare, Verträge und dergleichen anfallen mit denen in der Regel alle Menschen im Laufe ihres Lebens konfrontiert werden. Es ist nicht beabsichtigt, alle
der unten aufgeführten Bereiche thematisch abzuhandeln (behandelte Themen
unterstrichen)
•
•
•
•
•
•
Persönliche Akten
Schule
Arbeitsverhältnisse
Arbeitsamt
Sozialversicherung
Krankenversicherung
•
•
•
•
•
•
Sonstige Versicherungen
Lohn
Steuer/ Finanzamt
Jugend- und Sozialamt
Recht/ Gericht
Wohnung
•
•
•
•
•
•
Mitgliedschaften
Garantie/ Rechnung
Finanzplan
Geld/Bank
Kinder
Privater Schriftverkehr
Für diese achtzehn Bereiche wurden Registerblätter geschnitten, beschriftet
(Punkt- bzw. Schwarzschrift) sowie Klarsichtfolien für bestimmte Formulare eingefügt (Schulzeugnis, Geburtsurkunde u.a.)
Neben der Herstellung eines Ordners soll eine Begleitdiskette angelegt werden.
Auf dieser Diskette soll ein Ordnungssystem erstellt werden, welches den thematisierten Bereichen des Lebensordners entspricht.
Die Vorstellung und das Verständnis für das Ordnungssystem innerhalb eines
Computers (Laufwerke, Ordner, Unterordner, verschiedene Dateien) ist für einen
27
Anfänger sehr schwer. Für Blinde, insbesondere lernbehinderte Blinde, ist das
Verinnerlichen dieser imaginären, virtuellen Strukturen ein langer Prozess. Dieses
Verständnis bildet jedoch die Basis für viele grundlegende Arbeitsschritte im Umgang mit dem Computer (Speichern, Kopieren, Ausschneiden u.v.a.m.) 26. Durch
die zeitgleiche Herstellung des
Lebensordners
und der
Diskette „Lebensordner“,
mit seinen
Registerblättern
und ihren
Ordnern,
seinen
Klarsichtfolien
und ihren
Unterordnern,
den
Formularen
und
Dateien
soll gerade Blinden dieses System im wahrsten Sinne des Wortes „begreiflich“
gemacht werden: Texte (z.B. Lebenslauf) werden geschrieben, unter dem richtigen Ordner auf der Diskette abgespeichert, ausgedruckt und unter der richtigen
Rubrik in den Lebensordner eingeheftet.
6.2 Unterrichtseinheit Geldverkehr und Banken
6.2.1
Pos.
Aufbau der Unterrichtseinheit
Std.
Thema
1.
2
Eröffnung eines Girokontos (1. Std. Unterrichtsgang)
2.
2
Die Überweisung
3.
3
Dauerauftrag und Einzugsermächtigung
4.
2
Sachstrukturelles Thema: „Markieren - Kopieren – Einfügen“
5.
2
Der Kontoauszug (2. Std. Unterrichtsgang)
6.
2
Internet- und Telefonbanking
7.
3
Die Bankkarte (1./2. Std. Unterrichtsbeispiel 2; 3. Std. Unterrichtsgang)
6.2.2
Ziele der Unterrichtseinheit (Fundamentum)
Die Schüler ...
kognitiv
... wissen den Unterschied zwischen Girokonto und
Sparkonto.
... benennen die Bestandteile einer Bankverbindung.
... lernen die wichtigsten Bestandteile des Zahlungsverkehrs kennen.
26
Es ist Schülern (jeden Alters) genau anzusehen, wenn sie noch keine Vorstellung von diesem
System haben. Allein die Anweisung: „Speichert das Dokument ab!“ löst Panikreaktionen aus: Wie
kann ich das zehnminütige Tastengeklapper irgendwo speichern’? – Wie macht’s mein Nachbar? Es nützt nichts, wenn man den Weg weiß, oder die Tastenkombination. Man MUSS es verstehen.
28
affektiv
psychomotorisch
... legen Ordner und Unterordner auf der Diskette an und
speichern relevante Daten zum Thema unter die entsprechenden Ordner.
... heften relevante Formulare in den entsprechenden
Bereich des Lebensordners.
... akzeptieren die Bedeutung und das Hinzuziehen einer
Vertrauensperson bei Bankgeschäften.
... verstehen den Schutz geheimer und persönlicher Daten (z.B. PIN).
... üben den Umgang mit Büromaterialien.
... üben die Handhabung einer Bankkarte.
... trainieren Orientierung und Mobilität bei Unterrichtsgängen.
6.3 Darstellung der Unterrichtsbeispiele
6.3.1
Unterrichtsbeispiel 1: Markieren – Kopieren - Einfügen
Anwesenheit:
A. war an diesem Unterrichtstag nicht anwesend.
Voraussetzung: Die Schüler haben eine Ordnerstruktur auf der Diskette angelegt, die der des Lebensordners entspricht.
6.3.1.1
Ziele der Unterrichtsstunden
Die Schüler sollen eine ordnungsgemäße Ablage von Dokumenten durchführen,
indem sie
•
die für sie geeignete Anwendungsstrategie für den Vorgang „Markieren –
Kopieren – Einfügen“ (M-K-E) erlernen.
•
eine Datei von der Festplatte unter dem entsprechenden Ordner auf der
Diskette speichern
6.3.1.2
Struktureller Verlauf der Unterrichtsstunden
Nachdem jedem Schüler individuell die Strategien für den Vorgang M-K-E vermittelt wurden, sollen diese die Anwendungsstrategien durch Kopieren von Wörtern
innerhalb eines Textdokumentes üben.
Nach dieser Übung werden die Schüler aufgefordert, auf ihre Lieblingsseite im
Internet zu gehen, um zu probieren, ob sich von dort Inhalte in das Textdokument kopieren lassen.
Nachfolgend wird den Schülern eröffnet, dass man nicht nur Inhalte innerhalb
von Dateien kopieren kann, sondern auch die Dateien selbst. Dies wird zunächst
am Modell „Lebensordner verdeutlicht, indem die Schüler ein Dokument (WordDatei) ausdrucken (eine Kopie herstellen), lochen und in den Lebensordner an
der richtigen Stelle einheften (einfügen). Dieselbe Datei soll nachfolgend von der
29
Festplatte in den entsprechenden Ordner auf der Begleit-Diskette zum Lebensordner kopiert werden.
Hausaufgabe J.: Kurzvortrag zum Kopierrecht (Informationstext gestellt)
6.3.1.3
Methodische und sonderpädagogische Überlegungen
Die Computer sind in der vorherigen Stunde genutzt und
auf meine Bitte nicht ausgeschaltet worden. Entsprechende waren individuelle Einstellungen durch die Schüler zu Stundenbeginn nicht notwendig.
Helfende Unterstützung in diesen Stunden ermöglicht für
J. und S. der Lehrer, für K. der Co-Lehrer (DLehrer). J. soll
weitgehend selbständig arbeiten.
Zunächst sollen die Schüler den Vorgang M-K-E in einem
Textdokument üben. Die Schüler erhalten eine Word-
Differenzierung nach
DAAnzahl
DASchwierig
DAZeit
DADurchgang
DAWahl
DLehrer
DMethoden
DMedien
DSoz
DKoed
DFörder
Anzahl der Aufgaben
Aufgabenschwierigkeit
Zeitaufwand der Aufgabe
Anzahl der Durchgänge
Aufgabenwahl
Lehrerhilfe
Methoden
Medien
Sozialform
Koedukation
Förderschwerpunkten
Datei, die in Schriftgröße, Buchstabenabstand (Laufweite) und farblichen Hintergrund auf die Sehleistung des Schüler angepasst wurde
(DFörder). Die Sätze enthalten eine unterschiedliche Anzahl untereinander geschriebener Wörter oder Wortgruppen, die die Schüler später durch Kopieren und
Einfügen zu semantisch sinnvollen Sätzen aneinander reihen sollen. Dabei wird
auf Interpunktion und Großschreibung am Satzanfang wird kein Gewicht gelegt.
J. und K. haben die Wörter in flexivischer Form (bezogen auf das im Satz zu verwendende Personalpronomen) vorliegen (DASchwierig).
Wegen seiner Schwierigkeiten im schriftlichen Ausdrucksvermögen soll K. unter
Anleitung zwei 3-Wort-Sätze zusammenstellen. Obwohl S. und J. gute Leserinnen
sind, bekommen sie jeweils einen 3- und einen 4-Wort-Satz. Für J. soll gewährleistet werden, dass die Wörter des Satzes gleichzeitig auf der Braillezeile dargestellt werden können (kein Zeilenumbruch). Da S. wegen der erheblichen Vergrößerung maximal zwei bis drei Wörter auf dem Monitor gleichzeitig sehen
kann, würde ihr die Übersichtlichkeit bei längeren Sätzen verloren gehen. J. steht
eine Auswahl von Wörtern und Wortgruppen zur Verfügung, mit denen sich mehrere Sätze bilden lassen (DASchwierig, DADurchgang, DFörder).
Allen vier Schülern sind unterschiedliche Anwendungsstrategien zu vermitteln
(DMethoden). J. muss zum Markieren mittels Cursor-Routing27 den Cursor an den
Wortanfang stellen, die Umschalttaste (Abb. 4) gedrückt halten und wiederum
mit Cursor-Routing den Cursor an das Ende des Wortes stellen. Mit der Tastenkombination Strg+c kopiert sie das Wort in die Zwischenablage. Dann
stellt sie den Cursor an die Stelle, wo das Wort eingefügt werden soll
27
Die über den Braillemodulen auf der Braille-Zeile angeordneten Tasten (TAC®-Tasten), bringen
Abbildung 4
den Cursor auf Tastendruck an die entsprechende Stelle im Text.
30
und fügt es mit Strg+v ein. S. stellt mit den Pfeiltasten den Cursor vor das auszuwählende Wort. Mit der Umschalttaste und der Pfeiltaste rechts markiert sie
das Wort. Zum Kopieren und Einfügen benutzt sie die Tastenkombinationen wie
J.
K. markiert mit der Maus. Wegen seiner eingeschränkten Leseleistungen soll
er mit den Symbolen (Ikons) für Kopieren und Einfügen vertraut gemacht werden
(DFörder). J. soll die Menüeinträge selbständig finden und benutzen (Menü: Bearbeiten/Kopieren/Einfügen) (DASchwierig).
Da für alle Schüler die Anweisungen unterschiedlich sind, wird zunächst ein 3Wort-Satz schrittweise gemeinsam kopiert.
Da der Vorgang M-K-E sowie die Ordnungsstruktur innerhalb des Computers
Blinden sehr schwer zu vermitteln ist, soll durch den handlungsorientierten Vorgang am Beispiel des Lebensordners Transferleistungen zum Ordnungssystem
des Computers hergestellt werden.
Mangels Braille-Drucker innerhalb der Klasse, hat der Lehrer das auszudruckende
Dokument für die Mädchen ausgedruckt vorliegen (DMedien).
6.3.1.4
Beobachtungen
Seine Vorerfahrungen kamen K. zugute. Er beherrschte die Vorgehensweise des
Markierens sowie die Befehlsauswahl über das Menü. Er wurde durch den CoLehrer auf die Nutzung der Schaltflächen hingewiesen. Starke Probleme bereitete
ihm die lexische Ordnung zum Satzgefüge, wofür er viel Hilfe benötigte.
Das schrittweise Vorgehen bei der Bearbeitung des ersten (gemeinsamen) Satzes
erforderte erwartungsgemäß viel Zeit. Das Warten, bis die anderen Schüler soweit waren, erzeugte in J. Spannungen, die seine Wahrnehmungsstörungen verstärkten. Er wurde zunehmend zappelig und störte durch verbale Äußerungen.
Dadurch ließ seine Konzentration derart nach, dass er in der ersten selbständigen
Suche nach den Befehlen in der Menüleiste versagte (obgleich es dreimal
schrittweise geübt wurde). Ungehalten forderte er Hilfe ein, die der Co-Lehrer
durch K. gewährte. Der korrekten Anweisung seines Mitschülers kam er nicht
nach, wodurch der Co-Lehrer einschreiten musste.
Wieder beruhigt, bearbeitete er seine Aufgaben schnell, sicher und fehlerfrei.
Während der Bearbeitung wollte J. die Schriftgröße anpassen und erklärte dem
Lehrer die Funktion, die er vergeblich im Menü suchte (Zoom, bekannt aus SLT).
Der
Lehrer
vermittelte
ihm einen einfachen Tastatur-Maus-Befehl (Strg
+Scrollen).
Die Mädchen kamen mit den Anwendungsstrategien und Aufgaben gut zurecht,
auch wenn ihre Arbeitsgeschwindigkeit langsam war und sie gelegentlich Ermutigungen brauchten.
31
In der nachfolgenden Anwendung (Kopieren aus dem Internet) rückte der Vorgang M-K-E nahezu in den Hintergrund. Entdeckend stellten sie fest, dass sich
auch Bilder kopieren lassen. Diese Möglichkeit nahmen die Schüler regelrecht
begeistert auf (Mit Stolz und Witz präsentierte die sonst zurückhaltende S. lautstark die von einer Harry Potter-Fanseite kopierte Eule „Hedwig“).
Vereinzelt wurde die Freude getrübt durch das Mitkopieren von Tabellen von den
Internetseiten28.
Die Phase des Druckens und Einheftens des Informationstextes in den Lebensordner bereitete allen Schülern keine Probleme.
Der Vorgang des Speicherns der Datei auf die Diskette sollte wieder schrittweise
erfolgen. Dieser Anweisung kamen J. und K. nicht nach, was ihnen unter Kontrolle durch den Co-Lehrer gewährt wurde. J. und S. waren an dieser Stelle verunsichert, da sie sich zunächst nicht vorstellen konnten, wo sie die Datei finden und
wo sie sie hinkopieren sollten (obwohl sie die Datei vorher geöffnet hatten). Hier
benötigten sie besondere Unterstützung. Die Transferleistung konnte durch sie
nicht sicher erbracht werden.
Diese verbleibende Zeit nutzten die Jungs selbständig, um Bilder aus dem Internet zu kopieren und als Bildschirmhintergrund einzurichten.
6.3.1.5
Reflexion
Lernziele und Lerninhalte
Die Zielsetzung der Unterrichtsstunden erfolgte nach dem Prinzip der ziel- und
inhaltsgleichen Differenzierung durch Methoden und Medien.
Methoden
Der Unterrichtsprozess dieser Stunden hatte hohen Anweisungscharakter, da die Vermittlung von Vorgängen und
Strukturen im Vordergrund stand. Da sich alle Schüler den
Vorgang des M-K-E mittels unterschiedlichen Anwen-
„Unterrichtsmethoden
sind Zwangsjacke und
Befreiung in einem. Sie
treiben durch ihre Widersprüchlichkeit den Unterrichtsprozess voran.“
(Meyer, H. 1994, S.54)
dungsstrategien erarbeiten mussten, waren angesichts der
Vermittlung und der Lernzielkontrolle zunächst keine Leistungsdifferenzierungen
vorgesehen. Die schrittweise Erarbeitung gleicher Inhalte ermöglichte eine individuelle Beobachtung und Hilfe für jeden einzelnen Schüler. Dass sich diese Form
in einer so heterogenen Gruppe ohne weitere Differenzierungsmaßnahmen nicht
lange aufrecht erhalten lässt, zeigt der Vorfall mit J.29. Die Phase der selbständigen (teilweise gelenkten) Arbeit entspannte die Situation, da hier entsprechend
den Lern- und Leistungsvorrausetzungen differenziert wurde. Durch die mehrfa-
28
Die Anordnung von Texten und Bildern auf einer Internetseite basiert auf (rahmenlosen und
dadurch nicht sichtbaren) Tabellen.
29
Die Gründe dafür sind in seiner Wahrnehmungsstörung zu Suchen.
32
che Übung haben alle Schüler den Vorgang verstanden - am Ende der Übung
konnten alle Schüler selbständig die Wörter kopieren und sinnvoll ordnen.
Bevor ein Medium zur Differenzierung eingesetzt werden kann, muss dessen Bedienung erlernt werden. So geeignet das Medium Computer durch seine Multimedialität in bezug auf Differenzierung auch ist: Grundlegende Inhalte wie spezifische Anwendungsstrategien und systematische Begrifflichkeiten müssen in dieser Lerngruppe in einer heterogenen Gruppe individuell vermittelt werden.
Medien
Für einen Blinden, der das „Markieren“ nur akustisch vermittelt bekommt, ist der Vorgang selbst
nur schwer zum Verständnis zu bringen. Es passiert nichts wenn die Knöpfe gedrückt werden. Die
anderen Schüler konnten durch die Schwarzfärbung deren Bedeutung leicht verstehen. Beim „Kopieren“ in die Zwischenablage hört das Verständnis auch für einen Sehenden auf.
Ebenso wie der Vorgang M-K-E ist die Ordnungsstruktur eines Computers schwer zu durchschauen.
Die Aneignung ist für einen blinden Computernutzer ein schwieriger, theoretischer Prozess, da
Dateien, Ordner, Verknüpfungen imaginär sind – man kann sie nicht anfassen. Sehenden springt
die unterschiedliche Symbolik ins Auge mit ihren Unterscheidungsmerkmalen im Aussehen.
Insofern halte ich das Medium „Lebensordner“ zum Übertragen von Vorgängen
und Strukturen für geeignet, auch wenn zwei Schüler diesen Transfer noch nicht
vollständig durchdringen konnten. Es fehlt sozusagen die ikonische Ebene, das
Beobachten. Negativ wirkt sich auch der „Bruch“ in der Vorgangskette aus, da
die Schülerinnen nicht selbst ausdrucken konnten. Das Projekt „Lebensordner“
bietet weiterhin Raum zur Übung dieser Vorgänge und Strukturen.
Ein Vorteil des Mediums Computer liegt darin begründet, dass er zur Übung im
Umgang mit IHM selbst, weitere Medien zur Verfügung stellt, die sich hervorragend zur Differenzierung eignen. So konnten in die Arbeitsblätter mehrere Formen der Differenzierung einfließen:
• Einstellung von Farbkontrasten (gelbe Hintergrundfarbe, K., Achromatopsie)
• Variation der Schriftgröße (J., S.)
• Anpassung der Laufweite der Schrift (K., J., Nystagmus).
Dass Sehschädigung kein statischer Zustand ist (vgl. Kap. 2.3.1), verdeutlicht J.’
Wunsch nach Vergrößerung der Vorlage während der Bearbeitung. Hierin ist ein
weiterer Vorteil des Computers zu sehen, der diese Art von Anpassungen auf die
individuellen Bedürfnisse in vielfältiger Weise während der Arbeit zulässt.
Die motivationale Wirkung des Mediums Internet ist durch die Reaktion der Schüler verdeutlicht worden. Auch phasenweise Misserfolge (Problem der Tabellen)
veranlassen die Schüler nicht zu Unsicherheiten oder Rückzugsverhalten wie sie
es in vergleichbaren Unterrichtssituationen zeigen.
33
6.3.2
6.3.2.1
Unterrichtsbeispiel 2: Die Bankkarte
Lernvoraussetzungen
Die Schüler wussten, dass es verschiedene Banken gibt. In den ersten Stunden
der Unterrichtseinheit (Thema: „Eröffnung eines Girokontos“) konnten sich die
Schüler, während eines Expertengesprächs (Besuch einer Steglitzer Sparkassenfiliale) sowie der Auswertung des ausgehändigten Informationsmaterials der Sparkasse, über die Bestandteile eines Girokontos informieren. In der Filiale konnten
die Schüler auch beobachten, dass man mittels der Bankkarte Bargeld vom Girokonto abheben kann. Aus dieser Beobachtung und den Stunden zum Thema „Telefon- und Internetbanking“ kannten die Schüler die Bedeutung der PIN (Personal Identification Number). Aus den Themenbereichen „Überweisung, Dauerauftrag“ und „Einzugsermächtigung“ waren den Schülern die Bestandteile einer
Bankverbindung bekannt.
Die Schüler wussten weiterhin, dass man mit einer Bankkarte in Geschäften,
Gaststätten etc. bargeldlos bezahlen kann. Aus dem Unterrichtsgang zum Thema
„Kontoauszug“ konnten die Schüler erleben, dass man mit der Bankkarte seine
Kontoauszüge am Kontoauszugdrucker erhalten kann.
Aus dem SLT30- und Arbeitslehreunterricht ist den Schülern die Bedienung und
die Verfahrensweise zum Abrufen von E-Mails über das Internet bekannt.
6.3.2.2
Ziele der Unterrichtsstunden
Fundamentum
Die Schüler erkennen die Bedeutung des Magnetstreifens in bezug auf die Bedienung der Bankkarte, indem sie:
•
sich die Bestandteile der auf dem Magnetstreifen gespeicherten Daten erarbeiten und auf einem Arbeitsblatt sichern,
•
die Bankkarte in einem Automatenmodell nach vorgegebener Einschubrichtung einführen,
•
einen vorgegebenen, vierstelligen PIN-Code in das Tastaturfeld31 eingeben können.
Additamentum
J., S.: Entwicklung der Fähigkeit, durch zielgerichtetes Ertasten die Position des
Magnetstreifen zu finden
Hinweis auf das Hinzuziehen einer Vertrauensperson (hier bezogen
auf spezielle Tasten am Automat oder abweichende Einschubrichtung des Magnetstreifens)
30
SLT: Unterrichtsfach Schreib-Lese-Technik
In das Automatenmodell (Karton) wurde neben dem Schlitz für die Karte auch ein Tastaturfeld
eines alten Tastentelefons eingearbeitet.
31
34
K.:
Zielunterstützte Internetrecherche nach der Bedeutung des Symbols
„elctronic cash“ auf der Bankkarte
A.:
Zielunterstützte Internetrecherche nach der Bedeutung des Symbols
„
J.:
ec“ auf der Bankkarte
Selbständige Internetrecherche nach der Bedeutung des Begriffs
„Geldkarte“, ihrer Vorteile sowie Nutzungsbeispiele
6.3.2.3
Begründung der Lernziele
Die Einschubrichtung der Magnetkarte an Kartenlesegeräten ist nicht standardisiert. Aus diesem Grunde soll die Umsetzung der Symbolik der Automaten geübt
werden. Der Magnetstreifen ist nicht tastbar. Nach Angaben eines blinden Lehrers der Schule arbeitet dieser bezüglich der Einschubrichtung nach dem Ausschlussverfahren oder nimmt fremde Hilfe in Anspruch. Da es jedoch taktile
Merkmale auf allen Bankkarten gibt (z.B. Name, Kartennummer, Gültigkeitsdatum) lässt sich der Magnetstreifen lokalisieren. Dieses Wissen verhilft dem Blinden zu mehr Selbständigkeit.
Der Ziffernblock zur Eingabe der PIN-Nummer entspricht von der Anordnung her
dem eines Telefons. Diese Anordnung ist den Schülern aus dem LPF-Unterricht
bekannt und stellt an dieser Stelle eine Festigung dar.
6.3.2.4
Struktureller Verlauf der Unterrichtsstunden
Zunächst erfolgt eine Untersuchung der Bankkarten (Original, Modell) auf Form,
Aussehen und Bestandteile. Die Schüler bemerken, dass eine Ecke abgeschnitten
worden ist, woraufhin Vermutungen angestellt werden. Der Lehrer lenkt die Aufmerksamkeit auf den Magnetstreifen. Auch hier sollen Vermutungen über die
Bedeutung angestellt werden. In der sich anschließenden Erarbeitung am PC
werden die Vermutungen bestätig beziehungsweise widerlegt. Im zweiten Teil
der Erarbeitung sollen unterschiedliche Sachverhalte geklärt werden. Während J.
und S. das taktile Auffinden des Magnetstreifens erarbeiten, erhalten A., K. und
J. Zusatzaufgaben zu unterschiedlichen Symbolen auf der Bankkarte (Abb. 5). In der
Durchführung wird die erarbeitete Bedeutung
des Magnetstreifens überprüft. J. und S. stellen
Abbildung 5
das Problem der Einschubrichtung vor sowie ihre Ergebnisse im Auffinden der
Lage des Magnetstreifens. Dies wird gefestigt am Modell eines Bankautomaten
mit zusätzlicher Eingabe einer PIN-Nummer. Während J., K. und A. ihre Bearbeitung der Zusatzaufgaben weiterführen, erfolgt mit den Schülerinnen ein Unterrichtsgespräch über die Notwendigkeit der Hinzunahme einer Vertrauensperson
für die Übung der Bedienung eines Bankautomaten.
35
6.3.2.5
Methodische und sonderpädagogische Überlegungen
Die auszuteilenden Bankkarten sind von verschiedenen Banken und weisen unterschiedliche Farben und Muster auf. Einige enthalten einen Chip (DMedien). S.
erhält eine hochauflösende Farbkopie (Vorder- und Rückseite) in A4-Format
(DMedien). J. erhält zwei Karten: Auf einer ist der Magnetstreifen mit Klebeband
tastbar gemacht worden (DMedien). J. erhält eine Karte mit Chip (DMedien).
Die Schüler rufen ihre E-Mails ab, in denen die Arbeitsaufträge zur Erarbeitung
dargestellt sind. Der Inhalt der E-Mails ist differenziert nach Schriftgröße (DMedien),
Schwierigkeitsgrad im Text, durch abweichende Aufgabenwahl (DAWahl)
sowie in der Anzahl der Aufgaben (DAAnzahl, DFörder). In der Aufgabenstellung der
Mails finden die Schüler spezielle Hinweise und Tipps zur Bearbeitung; der CoLehrer unterstützt K. (bezüglich Lesehilfe und Textverständnis), J. und S. erhalten spezielle Zuwendung durch den Lehrer (DLehrer, DFörder). In der E-Mail ist der
Speicherort des Arbeitsblattes beschrieben - eine Word-Datei auf 3¼“-Diskette.
J.’ Arbeitsblatt wurde der E-Mail als Anhang beigefügt (DASchwierig), J. bekommt
es auf Punktschriftpapier32 (DMedien). Die E-Mail enthält weiterhin einen Link zu
einem Informationstext, der zur Beantwortung der Fragen auf dem Arbeitsblatt
genutzt werden soll (ein geeigneter Informationstext zum Magnetstreifen hat sich
im Internet nicht gefunden, weshalb der Lehrer ihn selber im HTML-Format programmierte, wobei er Differenzierungen der Schriftgröße mit einbezog (DMedien)).
Das Arbeitsblatt (Word-Dokument) variiert in der Schriftgröße und im Farbkontrast (DMedien). Die erste, dreiteilige Aufgabe (1a-c, Fundamentum), ist für alle
gleich33. A., K. und J. erhalten je eine Zusatzfrage (Additamentum, Variation der
Inhalte und Ziele) (Abb. 5). Wegen der orthographischen Probleme werden A.
und K. durch einen Link gezielt auf eine bestimmte Internetseite gelenkt34. J.
muss (vorerst35) ohne zusätzliche Hilfestellungen die Informationen aus dem Internet recherchieren (DASchwierig). Die Aufgabenstellungen variieren im Schwierigkeitsgrad (DASchwierig).
Wegen der massiven orthografischen Probleme ist K. nicht in der Lage, die gefundenen Antworten auf dem Arbeitsblatt in Sätze zu fassen. Aus diesem Grunde
stehen ihm auf dem Arbeitsblatt vorgefertigte Antworten in Form eines Lückentextes zur Verfügung, in die er mittels Auswahlmenüs die richtigen Argumente
auswählen und eintragen kann (Abb. 6) (DASchwierig, DFörder).
32
Der Wechsel zwischen den geöffneten Programmen (Mailprogramm, Word, Internet), das sogenannte Multitasking, ist J. nicht vertraut und würde sie überfordern.
33
Welche Daten auf dem Magnetstreifen gespeichert sind, was zu einer Bankverbindung gehört
eine Frage zum Problem der Einschubrichtung.
34
Wegen der massiven Rechtschreibprobleme beim Eintrag der Wörter in eine Suchmaschine wird
der Link vorgegeben: http://www.sparkasse.de/content-angebote/008_card/sonline/splash.shtml
35
Sollte er nichts finden wird er auf die Seite www.geldkarte.de verwiesen.
36
Die Vorgehensweise zum taktilen Lokalisieren der
Lage des Magnetstreifens entnehmen die Mädchen
den Arbeitsblättern. Es steht ihnen frei, die Aufgabe
Abbildung 6
in Partnerarbeit zu erledigen (DSoz). Die Aufgabe kann zunächst mit visueller (S.:
über dem Tisch) und taktiler (J.: Karte mit Klebestreifen) Unterstützung, später
ohne Hilfen erfolgen. Wenn die Schülerinnen den Magnetstreifen sicher finden
können, treffen sich alle am Gruppentisch. Zunächst werden die Antworten auf
die erste Frage zusammengetragen (Fundamentum). Der Aspekt der PIN-Abfrage
dient als Überleitung zu der Problematik der Einschubrichtung der Karte. Alle
Schüler sollen nach der Erläuterung J.s mit den Händen unter dem Tisch dem
Magnetstreifen ertasten. Beispiel: Magnetstreifen oben links36.
Zur Übung am „Bankautomaten“ (Karton mit Einschubschlitz, Symbol der Einschubrichtung sowie Tastenfeld zur PIN-Eingabe) bekommen die Schüler je ein
Blatt mit der PIN-Nummer in Schwarz- und Punktschrift (DMedien), die sie sich
einprägen sollen. Die Schüler werden einzeln zum „Automaten“ gerufen, die anderen erledigen weiterhin ihre Aufgaben am PC. S. und J. beginnen und gehen
dann zum Unterrichtsgespräch mit dem Co-Lehrer an den Gruppentisch (DSoz).
Das Arbeitsblatt soll ausgedruckt und abgespeichert (Diskette) werden.
In der Zusammenfassung der Stunde am Gruppentisch sollen die Schüler beurteilen, warum jeweils eine Ecke über den Magnetstreifen von den Bankkarten abgetrennt wurde.
6.3.2.6
Beobachtungen
Die wesentlichen Merkmale einer Bankkarte wurden erkannt, auch die taktilen
Besonderheiten. Weshalb die Ecke abgeschnitten war, konnte sich keiner erklären. Die Vermutung, die PIN-Nummer sei auf dem Magnetstreifen gespeichert,
war falsch, kam der Lösung jedoch sehr nahe.
J. und A. kamen der Anweisung nach, Helligkeit und Kontrast am PC den Lichtverhältnissen anzupassen. Nach dem Einschalten hat J. unaufgefordert die Gardine vor das Fenster gezogen, um Spiegelungen auf dem Monitor zu vermeiden.
S. war von der Aufgabenstellung verunsichert. Obwohl die E-Mail (1) anwies, die
E-Mail vollständig durchzulesen, (2) strukturierte Arbeitsanweisungen enthielt
und (3) Hinweise und Tipps zur Bearbeitung folgten, begann sie nicht mit der
Bearbeitung. Sie habe alles verstanden, wüsste aber nicht, was sie tun solle.
Nachdem sie es mir laut vorlas, begann sie zögernd auf Nachfrage, ob sie jetzt
die Datei mit dem Arbeitsblatt öffnen soll (Aufgabe 1). Auch J. brauchte Ermunterungen und Hilfen.
36
Sowohl K., A. und J. können die Lage des Streifens visuell erfassen. Diese Übung dient der Festigung des gelernten Wissens für J. und S.. Für die anderen ist dies eine Wahrnehmungsübung.
37
Als S. um Hilfe bat, da sie sich im „Arbeitsplatz“ auf der Suche nach dem Laufwerk A:\ „verlaufen“ hatte, eilte ihr K.37 zur Hilfe, da der Lehrer bei J., der CoLehrer bei J. half. Mit der extremen Vergrößerung kam er jedoch nicht zurecht
und brach seine Hilfe nach wenigen Versuchen ab. Daraufhin resignierte S. noch
mehr, sodass sie keine weitere Hilfe einforderte.
Den Vorschlag zusammenzuarbeiten, da sie den gleichen Auftrag hätten (taktile
Suche nach dem Magnetstreifen), nahmen S. und J. auf. Sie saßen jedoch nur
beieinander und fanden keine Idee, wie der Auftrag gemeinsam bearbeitet werden könnte (S. hatte ihre Anweisungen auf dem Monitor, J. auf der Braillezeile).
Erst der Hinweis durch den Lehrer, sich an J.s Computer zu begeben und abwechselnd zu lesen und die Anweisungen auszuführen, bewegte sie zum gemeinsamen Arbeiten.
J. kam zu einer erstaunlichen Selbstkritik bzw. -erkenntnis. Zur Auswertung der
Antworten der Frage 1 a-c (Fundamentum) äußerte er erschrocken, dazu wenig
beitragen zu können: „Mist, das ist der Nachteil von `Kopieren’ und `Einfügen’.“.
Er hatte für die vermeintlich einfachen Aufgaben die Inhalte vom Informationstext der Internetseite nicht sinnentnehmend gelesen, sondern gleich den Abschnitt in sein Arbeitsblatt kopiert.
6.3.2.7
Reflexion
Diese Unterrichtsstunden verliefen nach dem Prinzip Fundamentum - Additamentum, allerdings durchmischt mit Differenzierungen in Methoden und Medien.
Alle Schüler haben das Lernziel des Fundamentum erreicht. Über die angestellten
Vermutungen, der Erarbeitung und nachfolgender Präsentation der Inhalte und
ihrer Anwendung in der Übung, erlangten sie das geforderte Wissen. A. und J.
konnten ihr Wissen reproduzierend in der Beurteilung (abgeschnittene Ecke) zur
Anwendung bringen. Obwohl es sich um mehrfach wiederholten Unterrichtsstoff
handelte (s. Kap. 6.3.2.1), konnten J. und K. nicht vollständig bzw. fehlerfrei alle
Komponenten einer Bankverbindung benennen (ohne Arbeitsblatt). Das zeigt,
dass einige der lernbehinderten Schüler, trotz kleinschrittiger und variabler Herangehensweise, ein wesentliches Ziel der Einheit nicht durchdrungen hatten.
Additamentum. S. und J. hatten einen Sachverhalt zu erlernen, der sich aus der
fehlenden visuellen Wahrnehmung ergibt. Hier wurde eine besondere Art der
Durchlässigkeit gefordert: Der Zugang in Bereiche, die in der sehenden Welt
„selbst“-„verständlich“ sind. Tatsächlich hatten die drei Jungs keine Probleme
beim Einschieben der Bankkarte in den Automaten nach der symbolischen Anweisung.
37
In dieser Situation ist K. durchaus als der Leistungsstärkere zu beurteilen, da er deutlich mehr
Vorerfahrungen im Umgang mit dem Computer mitbringt.
38
Das Lernziel des Additamentums der Mädchen konnte im Unterrichtsverlauf einer
Kontrolle unterzogen werden. Anders sieht das bei den Additamenta der drei
Jungs aus. Zwar lag am Ende der Stunde ein belegbares Ergebnis vor. Alle Aufgaben wurden geschafft, die zeitlichen Unwägbarkeiten der selbständigen Arbeit
wurden richtig eingeschätzt. Hierbei handelte es sich jedoch um Recherchetätigkeit, also reines Zusammentragen von Faktenwissen aus dem Internet. Dies ist
zwar nicht gering zu bewerten: Die Übung des Multitasking (Wechsel zwischen
dem Arbeitsauftrag – Mailprogramm, Aufgabenstellung – Arbeitsblatt und dem
Informationstext – Internet), die selbständige Suche und Auswahl der richtigen
Antworten sowie deren Darstellung auf dem Arbeitsblatt bewegt sich, gemessen
an den Grundkenntnissen der Schüler, auf hohem Niveau. Eine Möglichkeit, dieses Wissen noch in dieser Stunde zu festigen, wurde nicht gefunden.
1. Ein Teil der Aufgaben könnte in den nachfolgenden Stunden thematisiert werden.
Dagegen spricht, dass J. im Vergleich zu K. und A. einen grundsätzlich anderen Sachverhalt zu klären hatte. Wie würde man die in der nachfolgenden Stunde aufgreifen,
zumal die Schülerinnen keinerlei Basis hätten?
2. Die Schüler bekommen zu den von ihnen bearbeiteten Themen eine Hausaufgabe.
Wann würde ausreichend Zeit für eine Auswertung der Hausaufgaben zur Verfügung
stehen und schlimmer: Wie verfährt man, wenn die Aufgaben falsch gelöst wurden?
Und letztlich: Stellt eine Hausaufgabe eine ausreichende Festigung dar im Hinblick
auf die o.g. Problematik der Wiederholungen?
3. (Praktizierte Lösung) In der nachfolgenden Stunde erfolgt ein Unterrichtsgang, bei
dem der Vorgang des Geldabhebens am Bankautomaten, der des Bezahlens mittels
ec-Karte in einem Geschäft sowie des Bezahlens an einem Fahrkartenautomaten mittels GeldKarte (Chipkarte) vorgeführt wird.
Selbständiges Lernen/ soziales Lernen/ koedukatives Lernen
Nach meinen Erfahrungen38 ist S.s Verhalten am PC eine Kombination aus mangelndem Selbstvertrauen und dem Vorhandensein geschlechtsspezifischer Unterschiede zu werten. Mädchen probieren weniger aus, arbeiten weniger spontan
und haben eher Angst etwas kaputt zu machen. S.s mangelndes Selbstvertrauen
und ihre Versagensangst wirkten als Verstärker. J.s Zögern liegt eher darin begründet, dass sie noch zu wenig von der Struktur des Rechners versteht sowie
zuwenig Tastaturbefehle beherrscht. Oft weiß sie den Vorgang - aber nicht den
Weg.
Obwohl der Computer als selbstinstruierendes Medium zum Einsatz kam, kann
trotz Individualisierung nicht von sozialer Isolation gesprochen werden. Variationen der Sozialform und Phasen der gemeinsamen Arbeit wirkten dem entgegen.
Bezüglich des sozialen Lernens haben heterogene Gruppen durchaus Vorteile:
Leistungsstärkere Schüler könnten ihren schwächeren Mitschülern behilflich sein.
Aufgrund der individuellen Hilfsmittel ist partnerschaftliches Arbeiten sowie Hilfestellungen an einem PC in dieser Lerngruppe in der Regel nicht möglich (dieser
Aspekt behindert sowohl die „Öffnung“ als auch die „Durchlässigkeit“ des Unter38
auch aus der Erwachsenenbildung
39
richts, da Medien immer nur individuell angepasst vorliegen können). Entsprechend sind die Schüler die Partnerarbeit an e i n e m Medium nicht gewohnt
(Beispiel S. und J.).
Die fehlende, grundlegende Computerausbildung der Schüler macht sich gerade
bei der selbständigen und selbstinstruierendes Arbeit mit und durch den Computer bemerkbar. Zu viele Unwägbarkeiten lassen die Schüler stagnieren. Steht die
Lehrerhilfe nicht schnell genug zur Verfügung, entstehen oder verstärken sich
Unsicherheiten.
7 Gesamtreflexion
Ausgehend von der Reflexion der theoretischen Ausführungen zum Thema „innere Differenzierung“ wurde in der vorliegenden Arbeit versucht, geeigneten Differenzierungsmaßnahmen für die unterrichtliche Praxis in einer heterogenen Lerngruppe mit den Förderschwerpunkten „Sehen“ und „Lernen“ zu finden und zu
erproben. Dieses Vorhaben wurde im Rahmen des Projektbereichs „Arbeit im
kaufmännisch-verwaltenden Bereich“ im Fach Arbeitslehre, Projekt „Der Lebensordner“ umgesetzt. Die hier zu unterrichtende Lerngruppe stellt sich als derart
heterogen dar, dass nahezu alle Formen der Differenzierung bei der Unterrichtsvorbereitung und –durchführung zum Erreichen der Stundenziele mit einflossen.
Bezogen auf die Stundenziele wurde zielgleich und zieldifferent gearbeitet.
Medium Computer
Aus verschiedenen Gründen wurde die mediale Differenzierung mittels des Computers in den Mittelpunkt gestellt: (1) Das Medium Computer bietet eine Fülle
von Differenzierungsmöglichkeiten, mit denen sich andere Medien nicht messen
können. Hier sind an erster Stelle die optimalen, individuellen Anpassungsmög-
lichkeiten, bezogen auf die Förderschwerpunkte, zu nennen. (2) Es war zu prüfen, ob kooperatives Lernen in einer heterogenen Lerngruppe auch mit dem Einsatz des PC möglich ist, um Situationen sozial isolierenden Trainierens zu vermeiden. (3) Die Interaktivität (Selbstinstruktion) und Multimedialität (z.B. Internet,
Nachschlagewerke) bieten bezogen auf das Additamentum Spielraum, der den
Lehrer an anderer Stelle, z.B. zur Lehrerhilfe, freistellt. (4) „Ein weiterer Vorteil
ist, dass der sichere und effiziente Umgang mit dem Computer die Berufschancen
der Schüler verbessern hilft oder ihnen die Berufsfindung unter Umständen
erleichtern kann.“ (MEINECKE, 2001, 39)
Förderschwerpunkt „Sehen“
Abgeleitet aus der Diagnose jedes Schüler konnten Medien, die über den PC den
Schülern angeboten wurden (Arbeitsblätter, Informationstexte) gezielt und differenziert der Sehschädigung angepasst werden (z.B. Schriftgröße, Farbkontrast
40
u.a.). Die Schüler wurden befähigt, optimale Einstellungen bezüglich Helligkeit
und Kontrast selbständig vorzunehmen.
Förderschwerpunkt „Lernen“
Der hohe motivationale Charakter des Mediums Computer zeigt besonders bei
den lernbehinderten Schülern der Klasse eine erhöhte Lernbereitschaft. Hier erfolgten Differenzierungsmaßnahmen hinsichtlich der Lehrerhilfe, im Schwierigkeitsgrad sowie im Stoffumfang.
Vorteile für die Unterrichtsvorbereitung
Für die Vorbereitung individueller Differenzierungsmaßnahmen stellt der PC für
den Lehrer eine besondere Hilfe dar (Vorbereitung, Durchführung und Auswertung des Unterrichts sowie Aktualisierung, Vervielfältigung und Niveauanpassung
des vorzubereitenden Unterrichtsmaterials).
Soziales Lernen
Individualisierung und soziales Lernen stehen zueinander im Spannungsverhältnis. In verschiedener Hinsicht sind in der angesprochenen Lerngruppe Methoden
wie „kooperatives Arbeiten am gemeinsamen Unterrichtsgegenstand“ Grenzen
gesetzt. Dies betrifft zum einen die kognitiven Lern- und Leistungsunterschiede
sowie –voraussetzungen. Zum anderen verhindern die sehgeschädigtenspezifischen Hilfsmittel oder Medien (die aufgrund der verschiedenen Förderschwerpunkte individuell angepasst und häufig nicht austauschbar sind) eine Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfen.
Durchlässigkeit
Aus diesem Grunde konnte auch die in Bezug auf Differenzierung geforderte
„Durchlässigkeit“ und „Offenheit“ zwischen Fundamentum und Additamentum,
die „den reibungslosen Wechsel des Schülers von einer Gruppe zur anderen jederzeit zulassen“ (STOCK/ZÖPFL, 1981, S. 53) soll, nicht oder nur zu einem geringen Anteil gewährleistet werden. Im Gegenteil. Die Beobachtung, dass zwei der
lernbehinderten Schüler nahezu am Ende der Einheit ein wesentliches Ziel noch
nicht erreicht hatten, zeigt, dass man diesen Schülern deutlich längere Übungsphasen zugestehen muss. In dieser, von ihnen benötigten Zeit, droht der Realschüler den Rahmen (die Grenzen) des zu vermittelnden Unterrichtsstoffs zu überschreiten (wenn man ein „Zeitabsitzen“ vermeiden will). Wenn jeder Schüler
ein eigenes Lernziel mit einem individuellen Additamentum verfolgt, erhöhen sich
die Probleme bezüglich Festigung sowie Lernzielkontrolle des Unterrichtsstoffes.
Zudem besteht an der Blindenschule noch eine weitere Form der Durchlässigkeit:
Die der Blinden in eine Welt der Sehenden. Ob das den Umgang mit für Sehende
entwickelter Software, den Umgang mit für Sehende entwickelte Bankkarten oder
für Sehende angelegte Wege auf Unterrichtsgängen betrifft: Es bedeutet einen
erhöhten zeitlichen Aufwand, der in einer gemischten Lerngruppe aus Sehbehin-
41
derten und Blinden zu berücksichtigen und einzuräumen ist. Problematisch wird
es dann, wenn diejenigen diese Art der Durchlässigkeit einfordern, die zu den
lernschwächsten Schülern gehören.
Gemeinsamer Unterricht als pädagogisches Konzept
Die in der Fachliteratur diskutierten geschlechtsspezifischen Unterschiede im Umgang mit IuK-Technologien, die zuweilen eine temporäre Aufhebung der Koedukation fordern, ist für diese Lerngruppe ohne Belang. Das mag daran liegen, dass
die Mädchen ohnehin durch ihre Sehschädigung an der selbstverständlichen Herangehensweise gehindert sind. Es sind keine gravierenden Unterschiede bezüglich Vorerfahrungen, Kenntnissen und Interessen zu den Jungs der Klasse vorhanden. Die zu beobachtenden Unterschiede rechtfertigen zusätzliche Lehrerhilfe
jedoch keine Aufhebung der Koedukation.
Selbständiges Arbeiten
„Die (neuen) Potentiale interaktiver Medien lassen sich in traditionell lehrerzentrierten und lehrgangsförmigen Lernsituationen nur sehr eingeschränkt entfalten.
Notwendig sind offene Medien sowie flexible Formen der Lernorganisation, die
individualisiertes Lernen fördern.“ MESCHENMOSER, 2001, 133) Dies ist nur möglich, wenn jeder Schüler die für ihn geeigneten Arbeitstechniken und Anwen-
dungsstrategien erlernt und beherrscht hat. Je höher der Grad der Sehschädigung ist, desto komplizierter sind die einzusetzenden Hilfsmittel zu bedienen. Die
Vermittlung von Arbeitstechniken lässt sich nicht immer auf ein Maß reduzieren,
das in einem vertretbaren Verhältnis zur Vermittlung sachbezogenen, fachlichen
Unterrichtsstoffes steht. J e d e m Schüler sind bezogen auf seine Hilfsmittel individuelle Arbeitstechniken beizubringen – eine Extremform der Individualisierung,
die auch mit einem Co-Lehrer-System nicht in befriedigendem Maße durchgeführt
werden kann. Durch den beschriebenen eingeschränkten Zugang zum Medium
Computer sind Möglichkeiten flexibler Formen der Lernorganisation, die individuelles Lernen fördern, Grenzen gesetzt.
Eine Lösung für dieses Problem sieht der Autor in der Bildung von Computeranfängerkursen in hilfsmittelhomogenen Gruppen. Die vorliegende Arbeit verdeutlicht, dass sich an der Blindenschule schädigungs- und damit hilfsmittelhomogenen Gruppen nicht jahrgangsgerecht zusammenstellen lassen. Dies ist, bezogen
auf die Grundlagen in der Bedienung des PC, nicht zwingend notwendig. Regelmäßige Kurse oder AGs könnten beispielsweise Schüler ab Klassenstufe 5 oder 6
aufnehmen.
Wünschenswert wäre eine umfassendere Qualifikation des Lehrpersonals. Neben
allgemeinen Computerkenntnissen, sind hier Kenntnisse im Bereich „low vision“
42
sowie der einzusetzenden sehgeschädigtenspezifischen Hilfsmittel (Vergrößerungsprogramme, Screenreader, Sprachausgabe) zwingend erforderlich.
Da die Schüler die Computer auch in anderen Unterrichtsfächern nutzen, wären
Absprachen der Fachlehrer hinsichtlich individueller Ausbildungspläne, Förderkonzepte beziehungsweise Lernzielkataloge hilfreich.
Das zentrale Anliegen aufgreifend muss festgestellt werden, dass der Individualität eines jeden Schülers der angesprochenen Lerngruppe nicht in jeder Stunde
oder in jeder Unterrichtsphase entsprochen werden kann. Eine temporäre Trennung der Lerngruppe, zumindest bezogen auf die Aneignung grundlegender Arbeitstechniken, ist anzuraten.
43
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„Ich versichere, dass ich die vorliegende Prüfungsarbeit selbständig verfasst und keine anderen als die
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Zeesen, den 25.04.2003
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