Die Frau, Die Die Bayern fährt

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Die Frau, Die Die Bayern fährt
Porträt
Sandra König, 38, die einzige
Busfahrerin der Bundesliga
Die Frau, die die
Bayern fährt
Wenn die Bundesliga am 10. August
startet, werden beim FC Bayern die
Plätze neu verteilt – auf dem Spielfeld
und im Bus von Sandra König. Denn
Neuzugänge wie WM-Held Miroslav
Klose und Frankreichs Starspieler Franck
Ribéry müssen ihren Stammplatz erst
noch finden. Im Teambus hat alles seine
Ordnung – und alles ist kindersicher.
Schließlich fährt Sandra König Männer,
die nur spielen wollen
Von Stephan Bartels (Text) und
Christian Kaufmann (Fotos)
Bei Kilometer 40 winken die Ersten. Ein Passat hat den Bus
überholt, Osnabrücker Kennzeichen, zwei Kinder auf der Rückbank recken die Hälse. Ob der Kahn da wohl drinsitzt? Philipp
Lahm? Und Schweini und Poldi? Doch so lange die beiden auch
gucken: Der Bus des FC Bayern München ist an ­diesem Morgen
frei von prominenten Fußballern. Nur die beiden Busfahrer sind
an Bord. Michael Lauerbach, 42, und seine Chefin Sandra König,
38. Seit 18 Jahren ist sie die Fahrerin des wichtigsten Fahrzeugs
im deutschen Fußball. Der Mannschaftsbus von Rekordmeister
­Bayern München: ein 600 000 Euro teures Gefährt mit 480 PS,
DVD-Anlage mit vier Flachbildschirmen und einer eigenen Bord­
küche. Er gehört dem Verein, aber eigentlich ist es Sandras Bus.
Es ist kurz nach halb neun an diesem Freitagmorgen. Sandra
König und ihr Kollege sind unterwegs in den tiefen Westen – in
Mönchengladbach wird in knapp 31 Stunden das 16. und vorletzte Auswärtsspiel der Saison 2006/2007 angepfiffen. An Bord sind
gut drei-, vierhundert Kilo Ausrüstung, die der FC Bayern in Gladbach brauchen wird: Trikots, Trainingsanzüge, je vier Paar Fußballschuhe für 20 Spieler, medizinisches Equipment, Getränke, etwas
zu essen. „Das bekommst du gar nicht alles in den Flieger“, sagt
Sandra König. Deshalb fährt sie vor, und die Spieler nehmen das
Flugzeug. Wo die Mannschaft auch ankommt, Sandra ist schon da. 
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Der Super-Bus der Bayern,
ein 600 000-Euro-Gefährt
Hase und Igel. Diesmal ist der Treffpunkt
der Flughafen Düsseldorf. Dort wird sie die
Spieler ab­holen und ins Hotel bringen.
Die ersten von 590 Kilometern liegen
hinter den beiden. Michi fährt, Sandra steht
in der Mitte des leeren Busses an der Kaffeemaschine. Füllt sich Kondensmilch ein,
schließt den Deckel mit einem „Klack“.
„Milch aus der Tüte gibt es hier nicht“, sagt
sie, „hier kommt nichts in den Bus, was
nicht kindersicher ist.“ Erfahrungswerte. Sie
fährt Männer, die in erster Linie spielen
­wollen. Sie zeigt auf den Tisch mit den vier
Plätzen links von ihr. „Da sitzen immer die
Südamerikaner und der Roy Makaay und
spielen Karten, so eine südamerikanische
Variante von Schafkopf“, sagt sie. „Die Trainer und der Manager haben ihre Plätze vorn,
hinter dem Fahrer.“ Und Oliver Kahn? „Der
sitzt in der letzten Reihe.“ Und daneben?
Sandra König pustet in ihren Kaffeebecher
und grinst fröhlich: „Niemand.“
Sie lacht viel, die kleinen Fältchen um
die Augen sind der Beweis. Nett sieht sie aus,
schmal, ungeschminkt. Die blonden Haare
ein bisschen verstrubbelt, als wäre sie gerade
unter der Dusche hervorgehüpft. Dabei liegt
schon Arbeit hinter ihr. Kurz nach sieben ist
sie zu Hause los­, sie lebt seit zwei Jahren mit
ihren vier Pferden und einer Freundin auf
einem Hof im Nordosten von München.
„Meine Ranch“ nennt sie das Anwesen, die
Freundin wohnt unten im Haus, sie oben.
Der erste Halt war der Biohof um die
Ecke, wo Sandra König drei Kilo Bär­
lauchgnocchi abholte. Dann ging’s zum
Schlachter, „Ja, die Sandra!“, rief die Frau
hinter der Theke herzlich. 25 vorbestellte
Hähnchenschenkel und eine Tüte geschnittene Salami wanderten über den Tresen,
„Bringt’s mal wieder einen Sieg mit!“, rief
die Fleischereifachkraft ihr hinterher. Beim
Bäcker, die Hauptstraße ein Stück runter,
bekam sie eineinhalb große Laib Bauernbrot, ein paar Semmeln für die Fahrt und
gute Wünsche für die Mannschaft.
Sandra fährt Bus aus Leidenschaft. Wenn
sie am Steuer sitzt, wird sie unendlich ge­
lassen. Sie liebt die Autobahn, den Asphalt,
wie andere Kunst lieben, es liegt eine gewisse
Andacht in der Art, wie sie am Steuer sitzt.
Sie mag weite Horizonte, Berge kann sie
nicht leiden, ausgerechnet sie, die Ur­bayerin.
Ihr Auge will Ferne. Und Musik ist wichtig.
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Mehmet Scholl hat ihr oft CDs aufgenommen, alternative Musik, die es im Radio
kaum gibt, vornehmlich ruhig, Damien
­Rice und Mazzy Star. Sie mag das, „aber
wenn die Mannschaft an Bord ist, darf
ich die nicht reintun. Da fangen einige sofort das Schimpfen an: Ach, immer dieses
komische Zeug vom Scholli!“
Sie kommt mit allen gut klar, aber der
Mehmet, das ist ihr Lieblingsspieler. Einige
nennen sie „Schatzi“, der Zeugwart sagt mit
Ein fan drohte:
lass die finger
von Michael
Ballack – der ist
vergeben
Vorliebe „Puppe“ zu ihr. Christian Lell, ­einer
der ganz Jungen im Team, sagte neulich, sie
sei wie eine Mutti zu ihm. „Da habe ich echt
gedacht: Mist, jetzt ist es so weit. Vor ein
paar Jahren habe ich noch Heiratsanträge
bekommen, weil ich so gut koche – und
demnächst gehe ich hier als Omi durch.“
Per Du ist sie mit jedem, sogar mit Franz
Beckenbauer, bloß der Manager ist der „Herr
Hoeneß“. Manchmal verscheucht Herr
­Hoeneß Co-Fahrer Lauerbach von seinem
Beifahrersitz, wenn er telefo­nieren muss.
Wahrscheinlich weiß Sandra König über anstehende Spieler-Transfers früher Bescheid
als die meisten Journalisten, vielleicht sogar
über die spektakulären Einkäufe des Sommers – Hoeneß hat mit Miro Klose, Luca
Toni und Franck Ribéry drei echte Weltstars
an Bord geholt. Aber was sie weiß, wird man
nie erfahren. Kein Wort über ihre Lippen.
Jetzt ist sie da, wo sie am liebsten ist:
auf der Straße. Auf dem Klappsitz neben
dem Lenkrad hockt sie, reicht dem Michi
seinen Kaffee. Um die 50 Termine gibt es im
Jahr, etwa 70 000 Kilometer reißt sie pro
Saison in diesem Bus ab. „Gelegenheitsverkehr, 32 Sitzplätze“ steht auf einem Schild
links vom Fahrer und „Während der Fahrt
nicht mit dem Fahrer sprechen“. Ein kleiner
Hase steckt am Fenster, das Geschenk eines
Fans für einen Spieler. Geerbt hat sie den
Job von ihrem Vater. Der hatte den BayernBus aus Leidenschaft gefahren, aber nie
e­ inen vernünftigen zweiten Fahrer gefunden. „Die sind halt nicht so klargekommen
mit dem Umfeld“, sagt Sandra, „plötzlich
jeden Tag mit Superstars unterwegs zu
sein . . . Irgendwie sind die alle abgehoben.
Da hat mein Vater halt mich gefragt.“
20 war sie da. Hatte eine Friseurlehre
hinter sich, dann ein paar Jahre Alarmanlagen zusammengeschraubt, „kein schlechter
Job“, sagt sie. Abends kellnerte sie in Musikkneipen und Discos, immer da, wo ihre Clique war, um das Spaßleben zu finanzieren,
feiern, tanzen, Musik. Und die Autos, meist
Ford Capris, Autos waren immer ihr Ding,
neben Pferden. Und das Fahren sowieso.
Aber Fußball ist ihr bis heute eigentlich
wurscht, und dass ihr Weltstars im ­Nacken
sitzen, spielt für sie keine Rolle. Andererseits – sie schätzt es schon, wenn sie im Inneraumspiegel ab und zu mal einen Blick auf
extrem hübsche Kerle werfen kann.
Vor fünf Jahren ist der Vater gestorben,
seitdem ist sie die Cheffahrerin und einzige
Frau am Steuer eines Bundesliga-Busses.
Nebenbei Trösterin, Muntermacherin, Maskottchen. Und selbst ein bisschen prominent: Ein Mädchen hat ihr mal geschrieben,
sie würde sie verprügeln, wenn sie nicht die
Finger von Michael Ballack ließe, der würde
niemals seine Freundin für sie verlassen.
„Manchmal staunt man schon, was sich die
Leute so ausdenken“, sagt sie.
Kurz hinter Wiesbaden übernimmt
Sandra das Steuer, für die letzten 200 Kilometer. Mit dem Michi kann sie gut quatschen, über Beziehung und Erziehung, er ist
verheiratet, ein Kind, sie geschieden und
solo, auch ein Kind. In den Europacup-Wochen, wenn sie direkt von den BundesligaAuswärtsspielen durchfährt nach Madrid,
Manchester oder Moskau, sieht sie ihren
Sohn eine Woche und mehr nicht. Dennis,
inzwischen 12 Jahre alt, bleibt dann bei
­seinem Vater, „das klappt ziemlich gut“.
Bei Köln-Deutz gibt es den ersten kleinen Stau, immer mehr Leute schauen in den
Bus. Einige winken, anderen kann man von
den Lippen lesen: Guck mal, ’ne Frau am
Steuer. Manchmal wundern sich die Leute
noch immer. Auch die Spieler: Wenn neu
verpflich­tete Südamerikaner den Bus zum
ersten Mal betreten, lächelt sie besonders
breit und freut sich an der Verblüffung der
Herren. Aber sie ist eine feste Größe im
Stau ist Stress, deshalb plant
Sandra ihre Routen genau
Club, im Gegensatz zu vielen Spielern. Die
kommen und gehen. Sandra König bleibt.
Um halb sieben landet das Team am Düsseldorfer Flughafen. „Hallo, Sandra“, sagt
Ottmar Hitzfeld herzlich, derzeit Übungsleiter der Bayern, „wie geht’s?“ Er küsst sie
auf beide Wangen, sein Co-Trainer Michael
Henke auch. Dann kommt Daniel van
Buyten, Kapitän der belgischen Nationalmannschaft, fast zwei Meter groß und
schrankbreit. Schüchtern gibt er Sandra König die Hand. Der brasilianische Ex-Weltmeister Lucio grinst sie breit an, und Mehmet Scholl drückt seine Busfahrerin wortlos,
aber sichtlich innig – ein letztes Mal, Scholl
hat seine Karriere im Mai beendet. Sandra
König strahlt sie alle an, sagt fröhlich Hallo
und Servus. Es sind ihre Jungs, irgendwie.
Vor Hoeneß hat sie am meisten Respekt, vor dem, was der Manager tut und
verlangt, um seinen FC Bayern zur Perfektion zu bringen. Für diesen Anspruch sind die
Bayern der mit Abstand beliebteste deutsche
Verein. Und mit Abstand der meistgehasste.
Das bekommt sie manchmal zu spüren. In
Vor jedem
spiel ist die
Luft im Bus
zum schneiden
dick
Freundlicher Empfang:
Stürmer Roque Santa Cruz
begrüßt seine Busfahrerin
Während die Spieler Tore
schießen, kocht Sandra drei
warme Mahlzeiten plus Salat
Rom zum Beispiel, da flogen Pflastersteine,
geworfen von fanatischen italienischen
Hooligans. Oder in Magdeburg, als sie mit
der Mannschaft auf dem Weg zum Stadion
von einer Hundertschaft Skinheads angegriffen wurde. Die haben auf den Bus ein­
geschlagen und mit Steinen geworfen. Angst
und bange ist es ihr und dem Team geworden, trotzdem hat sie immer noch freundlich rausgelächelt, „ich wollte die ja nicht
auch noch provozieren“. Eine Viertelstunde,
dann griff die Polizei durch.
Der nächste Morgen beginnt mit ­ einer
Leerfahrt, Sandra König testet, ob die ­Strecke
vom Hotel ins Stadion frei ist. Wenn die
Mannschaft auf dem Weg zum Spiel ist, und
sie kommen in einen Stau – „was glaubst,
was da los is, dann stehen sie hinter mir und
diskutieren“. Die Zeit vor den Spielen ist
besonders, „da alterst du in einer halben
Stunde um zwei Jahre“, sie spürt bei den
Spielern ein Gemisch aus Vorfreude, Stress
und Angst vor einer Niederlage. Die Luft ist
vor Spielen zum Schneiden dick im Bus.
Heute geht alles glatt. Der FCB ist pünktlich im Borussia-Park. Gegen 17.20 Uhr
werden die ersten Spieler in den Bus zurückkommen. Dann sollte das Essen ­fertig sein.
Woanders gibt es nach dem Spiel was vom
Lieferservice, aber Sandra hat in ihrem Bus
eine Küche mit Induktionskochfeld, Ofen,
Warmhaltebehältern, großem Kühlschrank.
Drei warme ­Gerichte bietet sie für die Rückfahrt vom Stadion zum Flughafen an. „Die
Spieler werden wie Rohdiamanten behandelt, da will ich nicht nachstehen“, sagt sie.
Um 14.30 Uhr setzt sie das Wasser auf.
25 Portionen Gnocchi will sie in einem Topf
kochen, in dem vielleicht vier Portionen
Platz haben. Reinwerfen, ziehen lassen,
nächste Fuhre. „Diese Dinger mache ich
nicht wieder“, schimpft sie, es dauert einfach
zu lange. Schließlich muss sie auch noch
­Käse-Sahne-Soße machen, 25 Hähnchenschenkel ausbacken und fünf Kilo Tomaten
für den Salat schneiden.
Vom Spiel bekommt Sandra nichts mit,
wie immer. Hört nicht einmal den ­Torjubel,
obwohl sie fast an der Stadionwand steht,
nicht den kleinen bei 0:1 für Bayern, nicht
den großen beim Ausgleich für Gladbach.
Sie geht nie ins Stadion, lieber hört sie auf
dem Parkplatz laut Musik, räumt auf. Um
17.10 Uhr kommt der Michi rein und sagt,
dass es 1:1 steht. „Mist“, sagt Sandra, „da
wird ja eine Laune herinnen sein gleich.“
17.18 Uhr. Das Spiel ist aus.
Unentschieden. Die ersten Spieler
werden gleich kommen, zuerst die Ersatzspieler, die nicht aufs Feld gekommen sind.
Sandra König wird ihnen Pappteller mit
­ihrem Essen reichen. Einige werden wieder
bei ihr in der engen Küche herumlungern,
Hasan Salihamidzic, Spitzname Brazzo – in
der neuen Spielzeit bei Juventus Turin –, ist
immer so ein Kandidat. Kommt mit gerunzelter Stirn an, ach nö, eigentlich hab ich
keinen Hunger, na, was hast du denn so?
Macht alle Deckel auf und sticht mit der Gabel hinein, lässt sie offen stehen, sie schimpft
dann, Herrschaftszeiten, Brazzo, du nervst!
Aber eigentlich mag sie das, trotzdem.
Sind ja ihre Jungs. 
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