SYRIEN - Leuphana Universität Lüneburg
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SYRIEN - Leuphana Universität Lüneburg
SYRIEN Bericht zur kulturgeografischen Exkursion 4.-14.3.2010 Leitung: Prof. Dr. Ursula Kirschner und Dr. Bassam Sabour „Durch Wissen kommt der Mensch zur Menschlichkeit.“ Arabische Weisheit Vorwort Filiz Karahan Im März 2010 machte sich eine bunte Gruppe neugieriger Studenten mit drei ihrer Professoren auf in den geheimnisvollen Orient und das unbekannte Land Syrien. Viele Fragen waren in lebhaften Gesprächen im Vorfeld der Reise aufgeworfen worden und man hoffte, nun eine Antwort zu finden und vielleicht auch das eine oder andere Vorurteil zu bestätigen oder zu widerlegen. Die meisten der Studenten hatten die Exkursion gewählt, um einen (ersten) Eindruck in die arabische Welt und die Religion des Islam zu bekommen, welcher nicht durch eine mediale Manipulation geprägt war, aber auch die Neugier auf einen kulturellen Dialog mit den syrischen Studentinnen und Studenten der Yarmouk Universität war ein Grund für das allgemeine Interesse. Sorgen machten sich die wenigsten, dass es nun in das vermeintliche “Feindgebiet der Achse des Bösen” ging, zumal die Informationen des Auswärtigen Amtes innenpolitisch ruhige Zeiten verkündeten. Also fokussierten sich die Präventivmaßnahmen vermehrt auf gesundheitliche und hygienische Bereiche und auf das optimale Foto-Equipment, so dass dann auch vier Spiegelreflex- und eine Video-Kamera um die besten Bilder wetteiferten. Ein Teil der Ergebnisse können in diesem Bericht bewundert werden. Im Rahmen der Rundreise sollte der Wissensdurst der jungen Akademiker besonders in den Bereichen Architektur und Stadtentwicklung, Bevölkerung, Kultur und Lebensweisen des Landes, der politischen Situation gestillt und die Zukunftsperspektiven für Umwelt, Nachhaltigkeit und Tourismus erforscht werden. Im Folgenden erwartet den Leser ein abwechslungsreicher Querschnitt durch all die Themenfelder, die uns auf unserer Reise durch den Nahen Osten zu Fuß, per Reise- und Minibus, per Taxi und hoch zu Kamel begleitet und beschäftigt haben, angereichert mit den persönlichen Erfahrungen der Autorinnen und Autoren. 2 Reiseplan Syrien 2010 3 4.3. Abreise: Treffpunkt 15:40 vor der Gepäckaufgabe im Flughafen Hamburg 5.3. gegen 01:30 Uhr Ankunft in Damaskus, Transfer zum Beit As-Salam 16:00 Uhr Gespräch mit Frau Regina Kahlmeyer, Projektleiterin der GTZ Damaskus, im Büro in der Altstadt 6.3. Besichtigung der Omayyaden-Moschee, der Souks, des Azem-Palastes und der Altstadt 7.3. Aufenthalt in der Yarmouk Universität mit gemeinsamem Mittagessen, Vortrag von Prof. Dr. Kirschner zur HafenCity Hamburg (übersetzt von Dr. Sabour) sowie studentischen Vorträgen zu ausgewählten Themen 8.3. zusammen mit den syrischen Studenten Besichtigung des jüdischen Viertels und verschiedener Galerien sowie Fahrt auf den Hausberg 9.3. 10:00 Uhr Gespräch mit Herrn Björn Luley, Leiter des Goethe-Instituts in Damaskus. 18:00 Uhr Besuch des syrischen Künstlers Nizam Sabour 10.3. Abfahrt nach Palmyra, Sonnenuntergang bei der Zitadelle, Übernachtung im Beduinenzelt 11.3. Kamel-Safari zur Ruinenstadt, Besichtigung der Ausgrabungsstätten und des Museums 12.3. Abfahrt nach Aleppo, Besichtigung der Kreuzritterburg Krak des Chevaliers bei Homs 13.3. 10:00 Uhr Führung durch die Zitadelle und anschließende Besichtigung der Altstadt 19:00 Uhr gemeinsames abschließendes Abendessen in einem traditionellen Restaurant im christlichen Viertel 14.3. 11:00 Uhr Gruppensitzung zu allgemeinen Organisationsthemen 14:00 Uhr Termin mit Herrn Dr. Kamal Bitar, GTZ Aleppo. danach Besuch des sanierten Viertels. Abends Abreise 4 5 Leuphana Bachelor (B.A./B.Eng./B.Sc./LL.B.) - Major Betriebswirtschaftslehre FU Berlin van der Heijden Coburger Koepke Jothe Pusch Wuest Duge Bott Koch Schönbeck Backhaus Keddo Eger Kirschner El-Riz Saskia Sandra Kristin Falko Charlotte Daniela Franziska Lisa - Michéle Sebastian Julian Anne Sina Jan Externe Teilnehmer Theo Ihab Muthesius Universität Kiel Leuphana Bachelor (B.A./B.Eng./B.Sc./LL.B.) - Major Wirtschaftspsychologie Lehren und Lernen (B.A.) Leuphana Bachelor (B.A./B.Eng./B.Sc./LL.B.) - Major Umweltwissenschaften Leuphana Bachelor (B.A./B.Eng./B.Sc./LL.B.) - Major Umweltwissenschaften Leuphana Bachelor (B.A./B.Eng./B.Sc./LL.B.) - Major Angewandte Kulturwissenschaften Leuphana Bachelor (B.A./B.Eng./B.Sc./LL.B.) - Major Angewandte Kulturwissenschaften Angewandte Kulturwissenschaften (Magister/Magistra Artium) Leuphana Bachelor (B.A./B.Eng./B.Sc./LL.B.) - Major Angewandte Kulturwissenschaften Angewandte Kulturwissenschaften (Magister/Magistra Artium) Angewandte Kulturwissenschaften (Magister/Magistra Artium) Angewandte Kulturwissenschaften (Magister/Magistra Artium) Angewandte Kulturwissenschaften (Magister/Magistra Artium) Angewandte Kulturwissenschaften (Magister/Magistra Artium) Karahan Filiz Studiengang Nachname Vorname Exkursion Damaskus vom 4.3. - 15.3.2010 3 3 5 5 5 5 5 7 5 7 7 7 9 7 Semester 7 Die Karawane zieht weiter... Protokolle und Reiseberichte 8 9 Exkursionsprotokoll: 05. + 06. März 2010 Lisa-Michéle Bott 05. März 2010: Erster Stadtgang + GTZ-Termin Nachdem wir in der Nacht in unserem Haus in der Altstadt von Damaskus nahe dem Bab as Salam angekommen und bei Muezzingesängen eingeschlafen waren, ging unsere Exkursion am Freitag, den 05. März 2010, richtig los. Zunächst gab es zum Frühstück Falaffel. Anschließend haben wir uns so gegen 12 Uhr auf dem Weg zum Geldwechseln bzw. -abheben durch den Suq al-Hamidiye begeben. Da der Freitag der heilige Tag im Islam ist, waren fast alle Läden geschlossen. Das ganze Geldunternehmen dauerte länger als erwartet, da wir erst einmal herausfinden mussten, welche Bankautomaten überhaupt funktionieren. Als zuverlässig stellten sich die Audibank und die Saudibank heraus. Nachdem wir alle mit Bargeld ausgestattet waren, trafen wir uns vor der Umayyaden-Moschee mit unseren Dozenten. Nach einem entspannten Chai und Shishas in einem Teehaus auf der Rückseite der Moschee, ging es um 16 Uhr zum Büro der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) in Damaskus, wo wir von der Projektmanagerin Frau Kallmeyer sehr herzlich empfangen wurden. Das Büro liegt an einem sehr schönen Innenhof ebenfalls in der Altstadt (siehe Abb. 1). Abbildung 1: Innenhof im Gebäude der GTZ. 10 Die GTZ ist ein Bundesunternehmen, welches internationale Zusammenarbeit für nachhaltige Entwicklung leistet. In der Praxis handelt es sich dabei um Kooperationsprojekte. Die GTZ ist in 130 Entwicklungs- und Schwellenländern weltweit tätig. Sie erfüllt Auftragsarbeiten in den Bereichen: Wasser, Wirtschaftsreform und Stadtentwicklung. In Syrien ist die GTZ mit Projekten in Aleppo und Damaskus tätig. In Damaskus handelt es sich dabei um die Sanierung der historischen Altstadt. Die Stadtentwicklung stellt dabei eine Übergangsmöglichkeit zur Entwicklungshilfe dar. Die formulierte Zielsetzung lautete „Zuständige Ministerien und ausgewählte Stadtverwaltung steuern städtische Entwicklungsprozesse nach dem Prinzip der Nachhaltigkeit“. Das konkrete Ziel ist die Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung, um die Abwanderung in andere Stadtteile und den folgenden Verfall der Gebäude zu mindern. Das Wirkungsfeld umspannt dabei die Bereiche Stadtentwicklungspolitik, wirtschaftliche Zusammenarbeit und gute Regierungsführung. Die Arbeit der GTZ bringt die Möglichkeit an Hand technischer Themen schwierigere politische Themen anzusprechen, was im Interesse der BRD liegt. Bei der konkreten Arbeit zur Altstadtentwicklung gilt es in erster Linie, den Balanceakt zwischen Erhalt und Wandel zu meistern. Der aktuelle Entwicklungstrend geht stark Richtung touristische Nutzung. Viele Hotels und Restaurants werden eröffnet. Für die Bewohner in der Altstadt ist dies zu eng und zu laut, daher ziehen viele weg. In einigen Ecken wird dieser Trend der Abwanderung durch das Interesse touristischer Investoren noch verstärkt, da die Immobilienwerte steigen und die Leute verkaufen. Es gilt daher eine ausgewogene Balance zwischen Wirtschaft und Wohnen zu schaffen. Die GTZ tritt bei diesem Prozess als Berater der Stadtverwaltung auf. Zudem erstellt die EU einen Flächennutzungsplan, welcher jedoch noch erwartet wird. Die GTZ fördert anschließend die Umsetzung. Ursprünglich arbeitete das Altstadtdezernat im Alleingang unter Ausschluss der betroffenen Personen. Die Strategie der GTZ war, ihnen den Auftrag zu geben, sich fünf Themen zur Bearbeitung zu suchen und dann zu sehen, ob sie die Mitarbeit der Bevölkerung und die Privatwirtschaft nicht doch benötigen. Heute ist die Zusammenarbeit fortgeschritten. Eine weitere Strategie ist, in viele kleine Locations zu investieren und somit eine flächendeckende Ausweitung zu initiieren. Zusätzlich hat die GTZ einen Sanierungsfond eingerichtet, in welchen die Stadtregierung umgerechnet eine Millionen Euro eingezahlt hat. Häufigster Grund für das Scheitern von Renovierungen ist das Fehlen finanzieller Mittel. Arme Altstadtbewohner können sich jetzt um Kleinkredite für die Sanierung ihrer Wohnhäuser bewerben. Werden die Gelder sinnvoll eingesetzt, werden die letzten 10 % erlassen. Die finanzielle Lage ist von vornherein recht kompliziert da nur 7 % der Altstadtbewohner überhaupt über ein Konto verfügen und das Thema Zinsen nach islamischem Recht ein sehr kritisches Thema ist. Zusätzlich zum Aufbau einer finanziellen Unterstützung unterhält die GTZ eine Bauherrenberatungsstelle, an welche die die Menschen wenden können. Weiter Projekte sind der Erhalt und die Entwicklung von Nutzungskonzepten für die traditionellen kleinen Brunnen und die Khane - alte Karawansereien (siehe Abb. 2). 11 Abbildung 2: Brunnen und Khan in der Altstadt. Sehr interessant ist auch die Strategie der GTZ im Problemfeld Wasser. Wasser ist in Damaskus eine sehr kostbare und knappe Ressource, mit der jedoch immer noch recht verschwenderisch umgegangen wird. Ziel der GTZ ist es, die Bevölkerung für das Problem zu sensibilisieren. Sie setzt dabei bei den Jüngsten der Bevölkerung, den Kindern, an. Diese kommen zu Mal- und Zeichenveranstaltungen zusammen und setzen sich dort künstlerisch mit dem Problem auseinander. Im Bereich Energie stellt die GTZ Energiebilanzen auf und entwickelt Aktionspläne. Es gibt eine Beratungsstelle und die Installation von Solarminianlagen wird gefördert. Es bleibt jedoch festzuhalten, dass die GTZ Berater, aber nicht Investor ist, dafür ist die finanzielle Entwicklungszusammenarbeit zuständig. Das Budget der GTZ beträgt vier Millionen Euro für drei Jahre. Daraus muss jedoch alles finanziert werden, die Gehälter, Fahrtkosten, etc. Insgesamt sind drei deutsche Mitarbeiter der GTZ in Syrien tätig. Für das Projekt in Damaskus sind 10 syrische Mitarbeiter/innen sowie ein/e Praktikant/in eingestellt. Nach dem sehr informativen und interessanten Termin bei der GTZ, wurde es schon langsam dunkel. Wir haben uns auf den Weg zum Christenviertel gemacht und dort in einem Imbissrestaurant zu Abend gegessen. Auffällig sind im Christenviertel sofort die etwas breiteren Straßen und die gerade Straßenführung (im Gegensatz zum Sackgassensystem der islamischen Altstadtteile). Nach einer kurzen Rückkehr zu unserem Haus sind wir abends noch einmal als Gruppe losgezogen und im Christenviertel in eine Bar gegangen. Ins Christenviertel daher, da dort Alkohol 12 getrunken werden darf. In der Bar haben wir den Abend gemütlich beim Shisharauchen ausklingen lassen. 06. März 2010: Besichtigung der Altstadt Der Tag begann um kurz vor 11 Uhr mit dem Treffen auf der Verkehrsinsel am Bab Toma. Zum Frühstück gab es diesmal verschiedene Backwaren, die wir bei einem Bäcker in der Nähe gekauft haben. Frau Sabour war etwas pikiert, da wir dabei aus Versehen Abendmahlsbrot gekauft haben. Um 11 Uhr hatten wir einen Termin bei einem Investor und Gründer einer Privatuniversität zwischen Hama und Homs. Erst seit 2002 ist es in Syrien überhaupt erlaubt, private Universitäten zu gründen. Vorher war die gesamte Bildungsinfrastruktur in staatlicher Hand. Allerdings dürfen Privatuniversitäten nicht innerhalb von Damaskus gegründet werden, weshalb viele Universitäten heute quasi auf der grünen Wiese bzw. in der Steppe stehen. Zurzeit studieren in Syrien 500.000 Studenten an staatlichen und 30.000 Studenten an privaten Universitäten. An staatlichen Universitäten kann jährlich nur die Hälfte der Abiturienten (ca. 200.000) aufgenommen werden. Weitere 15.000 bekommen einen Studienplatz an einer privaten Hochschule. Der Rest versucht, einen Studienplatz im Ausland zu erhalten. Die neue Universität soll zwischen Hama und Homs gegründet werden, um Studenten aus beiden Städten zu akquirieren. In fünf Jahren sollen hier 5000 Studenten studieren. Bisher sind zwei Fachbereiche genehmigt, weitere sollen folgen. Schwerpunkt ist Architektur. Alles muss in Syrien durch den Staat genehmigt werden: Standort, Universitätspräsident, Lehrplan, Fächer etc. Abschlussprüfungen werden nur von staatlicher Seite abgenommen, um ein einheitliches Niveau zu garantieren. Momentan wird an der neuen Privathochschule begonnen, Lehrkräfte einzustellen. Laut Aussage des Investors ist das Ziel der Investoren nicht der Gewinn, sondern die Versorgung der Region mit Hochschulbildung. Allerdings belaufen sich die Studiengebühren auf umgerechnet 2000 – 3000 Euro pro Jahr, die jeweilige Höhe ist abhängig vom Studiengang. Medizin ist in Syrien generell am teuersten. An den staatlichen Universitäten ist das Studium jedoch gebührenfrei. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es 15 private Universitäten in Syrien. Die Anzahl steigt jedoch beständig. Nach dem Gespräch widmeten wir uns dem typischen Touristenprogramm. Als erster Punkt stand die Besichtigung der Umayyaden-Moschee an. Auf dem Weg dorthin trafen wir zufällig einen berühmten syrischen Schauspieler, welcher uns sein Altstadthaus gezeigt hat. Er war gerade dabei, dieses in ein Hotel umzubauen. Bei der Umayyaden-Moschee angekommen, mussten sich alle weiblichen Exkursionsteilnehmer in graue Kutten hüllen, um diese betreten zu können. Das sah schon recht lustig aus und es wurde eifrig fotografiert (siehe Abb. 3). 13 Abbildung 3: Exkusionsgruppe im Innenhof der Umayaden-Moschee. Dann ging es in die Moschee (siehe Abb. 4). Zunächst haben wir wie viele Syrer einen Moment im Innenhof in der Sonne gesessen. Schließlich in der Moschee selbst haben wir einen syrischen Studenten getroffen, der uns sehr viel über die Moschee und den Islam erzählt hat. Nach einer individuellen Besichtigung haben wir alle auf dem Boden in Kreis gesessen und Herrn Sabours Erzählung zu der Moschee gelauscht. Abbildung 4: Innenhof der Umayyaden-Moschee. Nach dem Besuch der Umayyaden-Moschee sind wir durch den Suq al-Buzuriya zum Azem-Palast gegangen und haben die drei wunderschönen Innenhöfe besichtigt (siehe Abb. 5 + 6). 14 Abbildung 5: Erster Innenhof im Azem-Palast im Hintergrund die Umayyaden-Moschee. Abbildung 6: Innenhof im Azem-Palast. Nach einem weiteren Gang durch den Suq al-Buzuriya (siehe Abb. 7) brauchten wir erst mal eine Stärkung. Es gab (wieder einmal) Falaffel am Rand der Geraden Straße. 15 Abbildung 7: Suq al-Buzuriya. Anschließend sind wir weiter zum Christenviertel zur Pauluskapelle gegangen (siehe Abb. 8). In diesem Gebäude soll der Überlieferung nach Saulus zu Paulus geworden sein und sein Augenlicht zurückbekommen haben. Abbildung 8: Deckengewölbe in der Pauluskapelle. Abends ist der noch fitte Teil der Gruppe auf Frau Sabours Einladung zu ihrem Haus gefahren und hat dort die Referate für den am nächsten Tag anstehenden Besuch der Yarmouk-Privatuniversität, geübt. 16 Exkursionsprotokoll: 07. + 08. März 2010 Anne Backhaus Protokoll vom 7. März 2010 – Besuch der Yarmouk University Um 8.30h sind wir bei uns am Haus aufgebrochen, haben uns mit den Dozent/innen getroffen und sind dann gemeinsam mit dem Bus zur Universität gefahren, wo wir um 11.00h ankamen. Hier wurden wir von Arch. Dr. Maziad Abdullah, dem Dekan der Architektur Fakultät, begrüßt und in den Hörsaal gebracht. Hier hält er dann eine Ansprache und zeigt und Bilder und Pläne vom alten Damaskus. Anschließend begrüßt Bassam die 45 syrischen Studenten (aus dem 2. Semester) und Dozenten. Um viertel vor zwölf beginnt Frau Kirschner mit ihrem Vortrag über die Hafencity und die Leuphana Universität, diese Präsentation hält sie auf deutsch und Bassam übersetzt sie. Der Vortrag dauert eine Stunde. Im Anschluss gibt es eine Pause, wo wir in erster Linie Kontakt mit den syrischen Studenten aufnehmen, sie können wirklich alle sehr gut englisch, so dass keine Kommunikationsprobleme auftreten. Es gab interessante Gespräche und einen guten Austausch über das „Uni-Leben“ in zwei verschiedenen Kulturen, wir aßen gemeinsam (obwohl das nicht so vorgesehen war) und uns wurde das Universitätsgelände gezeigt. Abb. 8: Austausch in der Pause 17 Abb. 9:Der Rundgang über das Uni-Gelände Das Gelände der Yarmouk University liegt außerhalb von Damaskus, mitten im Nirgendwo, die Studenten werden morgens mit Bussen aus der Stadt hierher gebracht. Der Standort wurde nicht nur gewählt, weil die Grundstückspreise dort sehr gering sind, sondern die Studenten hier nicht von ihrem Studium abgelenkt werden können. Das Foto oben zeigt das Universitätsgebäude, wobei sich der rechte Teil noch im Rohbau befindet. Eins ist uns noch aufgefallen, das gesamte Gelände innerhalb und außerhalb der Gebäude wirkt sehr steril, nirgends hingen Poster oder ähnliches. Um 14.15h kehrten wir in den Hörsaal zurück und starteten mit unseren Vorträgen, in der Pause hatten wir beschlossen, diese doch spontan auf englisch zu halten. Zu den Vorträgen habe ich einige Anmerkungen und Gesprächspunkte der Studenten und Dozenten festgehalten: „Wir sind eine Islamische Gesellschaft und interessieren uns mehr für das Innere als für das Äußere.“, so Dr. Abdullah zur Typologie des Damazener Wohnhauses. Der Vortrag zu den Umweltproblemen in Syrien regte zur Diskussion an: „Erosion gibt es in Syrien nicht.“, genauso wenig wir Katalysatoren. Da stellten wir uns die Frage, ob dann nicht besser Autos in der Stadt verboten werden sollten. 18 Die syrischen Studenten fanden dies eine gute Idee, sehen das Problem aber bei der Regierung. Auch das Referat über den Tourismus fand Anklang, vor allem die Schlussworte von Basti Koch, der sagte dass wir heute eine Globalzivilisation sind, unserer Generation Grenzen nicht mehr viel bedeuten und die Touristen nach Syrien kommen werden, um die ganzen Kulturschätze des Landes zu sehen. Am Abend haben wir die Studenten zu uns nach Hause eingeladen. Protokoll vom 8. März 2010 – Besuch im jüdischen Viertel und auf dem Hausberg Zuerst besuchten wir verschiedene Galerien und Ateliers und trafen zum Teil sogar die Künstler bei der Arbeit: Fadi Yazigis neuestes Projekt, er malt auf Brote Motive, die er mit Krieg verbindet. Verkaufspreis für ein Brot 1.000 US Dollar. Mustafa Ali hat Bildhauerei in Italien studiert, er war der erste Künstler im Viertel. Sein Haus nutzt er für künstlerische Events, als Atelier und für Ausstellungen. Abschließend besuchten wir noch das Art Café des Viertels, es ist eine frühere Tischlerwerkstatt und heute die Galerie von Mohamad Dgizmali. Das Haus wurde 1922 gebaut, heute gibt es hier einmal wöchentlich einen Musikabend für junge Musiker und einmal im Monat werden Filmklassiker gespielt. Nach einer Pause fuhren wir auf den Hausberg. Die Fahrt und die ganze Aktion war einmalig. Ein Mann zeigte uns sein Haus, führte uns anschließend über einen kleinen Weg nach oben und nach einem kurzen Aufenthalt ging es über die Straße hinunter, wo uns irgendwo ein Taxi einsammeln sollte. Stattdessen kreuzten wir mit einem kleinen, etwas verrückten syrischen Dozenten die Autobahn, um mit einem Taxi stadteinwärts zu kommen. 19 Protokoll 09.-10. März 2010 Sina Keddo 09. März 2010: Besuch beim Goethe Institut Damaskus Um 10.00 Uhr wurden wir von Herrn Björn Luley im Goethe-Institut in Damaskus empfangen. Dort berichtete er aus den Augen eines dort lebenden Ausländer/ Deutschen über Syrien. Herr Luley war vor einigen Jahren schon einmal für fünf Jahre in Damaskus und ist nun zum zweiten Mal dort tätig. Das Goethe-Institut ist ein eingetragener Verein (EV). Sie haben einen Vertrag mit dem Auswärtigen Amt, werden vom Auswärtigen Amt finanziert und tragen zur deutschen Bildungspolitik im Ausland bei. Sie handeln unabhängig von der deutschen Politik und den deutschen Parteien. Des Weiteren arbeiten sie mit der deutschen Botschaft und dem DAAD zusammen. Das Goethe-Institut unterteilt sich in drei Bereiche: Programm-Arbeit, Sprache, Bibliothek. Dabei versuchen sie in enger Zusammenarbeit mit Lokalen zu arbeiten. Die angebotenen Veranstaltungen müssen vom Kulturministerium abgesegnet werden. Ggf. müssen Filme vor dem Zeigen zensiert werden. In den seltensten Fällen werden Veranstaltungen abgelehnt. Dabei spielt die Namensgebung für bestimmte Programme eine entscheidende Rolle. In einer Veranstaltung wurde unter anderem über Korruption gesprochen, wobei das Programm wie folgt bezeichnet wurde: Entwicklungsbehindernde Faktoren in der jungen Volkswirtschaft. Zu 90% kommen zum Goethe-Institut Frauen. Seit es ein neues Gesetz in Deutschland gibt, dass syrische Frauen von syrischen Arbeitnehmern in Deutschland auch ein wenig Deutsch sprechen können müssen, hat sich die Zahl der Frauen erhöht. Sie kommen also zum Goethe-Institut, um Deutsch zu lernen, weil sie zu ihren Männern nach Deutschland wollen. Dafür gibt es im GoetheInstitut spezielle Kurse. In den „normalen“ Kursen sind jedoch zu meist Studenten, die einfach so Deutsch lernen wollen. An diesen Kursen nehmen ca. genau so viele Frauen wie Männer teil. Als Herr Luley uns über seine Erfahrungen berichtete, versuchte er, uns einen Überblick über unterschiedliche Themenbereiche zu verschaffen: 20 Syrien wird von den westlichen Staaten in der Öffentlichkeit oft als terroristisch und bedrohlich dargestellt. Als ein Land, das zu der Achse des Bösens gehört. Jedoch ist Syrien eigentlich eines der Länder, in dem die christliche Kultur u.a. ihren Ursprung fand. Hinsichtlich der wirtschaftlichen Lage hat die Bevölkerung sehr schwere Zeiten durchstehen müssen. Neben staatlichen Sektoren gab es in Syrien schon immer einen privaten Sektor im Textilhandel. Die Regierung versucht eine Umstrukturierung hin zu einer privat organisierten Marktwirtschaft zu erzielen. Dabei werden staatliche Subventionen gemindert. Die staatlichen Subventionen, die es früher einmal gab, sind nicht mehr tragbar. Dies kann man gut an der Entwicklung der letzten Jahre beobachten. In den letzten Jahren wurden zwar mehr und mehr Restaurants und Geschäfte eröffnet, jedoch schlossen umso mehr staatliche Bäckereien. Mehl wird nicht mehr subventioniert, woraufhin viele Bäcker schließen mussten. Die Wasserversorgung ist ein weiteres Problem Syriens. Wasser und auch Strom ist im Vergleich zu anderen Ländern sehr billig, obwohl Syrien einen enormen Wassermangel zu verzeichnen hat. Das führt zu einem unnötigen Verbrauch. Syrien hat ein schwer wiegendes Demokratie-Problem. Nach der Verfassung muss der Präsident mindestens sein 40stes Lebensjahr erreicht haben. Hafiz al- Assad, der Vater des jetzigen Präsidenten, änderte die Verfassung, wonach ein amtierender Präsident mindestens das 34ste Lebensalter erreicht haben muss. Sein 34jähriger Sohn Baschar Hafiz al- Assad kam an die Macht. Obwohl Syrien von einem sehr autoritären Regime in politischer Hinsicht determiniert wird, ist es gegenüber seinen Touristen sehr offen und freundlich. In und um Damaskus leben ca. fünf Millionen Menschen. Des Weiteren hat Syrien während des Irak-Krieges geschätzt fünf Millionen irakische Flüchtlinge aufgenommen, wovon ca. eine Million Flüchtlinge in Syrien geblieben sind. Syrien zeigt eine hohe Hilfsbereitschaft, obwohl die Syrer selbst nichts haben. Innerhalb der syrischen Familien herrscht ein sehr starker Familienzusammenhalt, der als soziale Absicherung notwendig ist. Zusätzlich zu den Flüchtlingen nimmt die Landflucht in Syrien immer mehr zu, wodurch die Großstädte wie Damaskus und Aleppo immer mehr Bewohner bekommen. Das universitäre System ist mit der hohen Studentenanzahl überfordert. Die staatlichen Universitäten sind stark überlaufen, da es 2/3 mehr Studenten gibt, als vorgesehen waren. In 2003/04 entstanden deswegen mehr und mehr private Universitäten. Es wurde ein Gesetz eingeführt, das besagt, dass private Universitäten nicht innerhalb Damaskus gebaut werden dürfen, sondern außerhalb der Stadt. Dabei stellt sich die Frage, woher die Gelder für die Bauten kommen. (Der ehemalige Bürochef des alten Präsidenten war einer der Ersten, der eine private Universität eröffnete.) 21 Die privaten Universitäten brauchen durchschnittlich drei Jahre, um alle Investitionen wieder auszugleichen. Dies kann zunächst an den niedrigen Preisen für das Land liegen oder an den hohen Studiengebühren (2.700€-5.000€/Jahr). Durch die enorme Konkurrenz, die die unterschiedlichen privaten Universitäten gegeneinander ausüben, bestehen nach wenigen Jahren nur noch ½ bis 1/3 der Universitäten. Zugleich kommt ein weiteres Problem hinzu, nämlich die Berufsperspektive der syrischen Akademiker. Die Chancen, in Syrien einen guten Beruf ausüben zu können, sind nicht vielversprechend. Diese Tatsache ist sehr fatal für das Land, denn die gut ausgebildeten Syrer wollen aus dem Land raus, um woanders zu arbeiten. Das Potenzial, dass Syrien in Form der eigenen Landsleute hat, wird also nicht genutzt. Die Infrastruktur passt sich nicht den heutigen Umständen an. Es gibt über 10.000 MiniBusse in Damaskus, die schon seit längerer Zeit von größeren Bussen abgelöst werden sollten. Des Weiteren werden die Studenten, die an privaten Universitäten studieren von Privatbussen der Universitäten abgeholt und nach Hause gebracht. Die Luftverschmutzung nimmt rapide zu. Nach der Unterhaltung mit Herrn Luley haben wir uns die ausgestellte Fotostrecke zum Thema DDR angeschaut. Nach unserem Aufenthalt im Goethe-Institut hatten wir bis 18.00 Uhr Freizeit. Gruppenfoto vor dem Goethe-Institut 22 09. März 2010: Besuch bei dem Künstler Nizar Sabour Gegen 18.00 Uhr fuhren wir zu Herrn Nizar Sabour, der ein Cousin von Herrn Bassam Sabour ist. Nizar Sabour ist ein internationaler Künstler, der zum Beispiel in Hannover, Moskau (1990) und Dubai (Preis: Emaar International Art Symposium 2004) einige Exemplare ausgestellt hatte. Nizar Sabour Herr Nizar Sabour hat ein Atelier in Latakia und ein Wohn-Atelier in der Nähe von Damaskus. Sein Wohn-Atelier bezeichnet er als „Haus der Kunst“. Er studierte Kunst, weil er sich dazu berufen fühlte. Seine Eltern wollten jedoch lieber, dass er etwas „vernünftiges“ studiert. Seine Motivation trieb ihn jedoch immer an weiter zu machen. Er selbst verkauft nur bis zu 20 Bilder pro Jahr. Hauptsächlich zeichnet er große Bilder, weniger entwirft er Skulpturen. Sein Problem bei seinen Bildern ist, dass er nicht immer weiß, wo er zeichnen soll und wo er seine großen Bilder (bis zu 2x2Meter) lagern kann. Bei seinen Gemälden lässt er sich auch gerne von anderen Künstlern wie zum Beispiel Gustav Klimt inspirieren. Früher war er sehr stark an den Werken von Kandinsky und Moulin Natsch inspiriert, jedoch war es immer schwer, Informationen über die Künstler zu finden. Zusätzlich ist er Professor für das Handwerk der Kunst. Zuerst dozierte er an einer staatlichen Universität und jetzt doziert er an einer privaten Universität. An den staatlichen Universitäten sind die Studenten jedoch talentierter als an den Privaten, weswegen er die staatliche Universität präferiert. In seinen Unterrichtsinhalten beschäftigt er sich mit den unterschiedlichen Techniken, Denkweisen und dem Glauben an die Kunst. 23 Persönlich bevorzugt er jedoch das eigenständige Zeichnen. Die Lehre sieht er eher als einen Ausgleich. Viele seiner Studenten sind in Syrien als Künstler bekannt. Protokoll 10.März 2010: Palmyra Um 12.00 Uhr machten wir uns mit unserem gemieteten Bus auf dem Weg nach Palmyra. Bassam Sabour Auf Empfehlung machten wir gegen 14.30 Uhr eine Pause beim Bagdad Café, dem Original. Bagdad Café Gegen 16.00 Uhr trafen wir dann im Hostel ein. Danach fuhren wir sofort weiter zur Zitadelle, um den Sonnenuntergang nicht zu verpassen. Diesen konnten wir aufgrund des nebligen und 24 sandigen Staubs in der Luft jedoch nicht wirklich sehen. Die Besichtigung der Zitadelle war jedoch ein voller Erfolg. Zitadelle von Palmyra Gegen 19.00 Uhr fuhren wir dann in die Wüste zum Beduinenzelt. Dort wurden wir empfangen, lecker beköstigt und entertaint. Nach einigen Tänzen und Musikeinlagen konnten wir dann bei der Röstung von Kaffeebohnen zuschauen und leckeren Kaffee mit Kardamom verzehren. Gegen Mitternacht wurden uns dann die Matratzen gerichtet und wir wurden liebevoll zu Bett gebracht. Beduinenzelt 25 Protokoll 11. März bis 13. März 2010 Jan B. Eger 11. März Nach der Nacht im Beduinenzelt mitten in der Wüste erwartete uns nach feldmäßiger Hygiene ein Beduinenfrühstück unter freiem Himmel: Fladenbrote mit diversen Joghurts und Dips wie Hommos usw. sowie Marmelade sowie natürlich der obligatorische Tee. Morgenhygiene in der Wüste Beduinenfrühstück Nach und nach trafen auch die Kamele ein, die uns auf beduinische Art ins UNESCO-Welterbe Palmyra bringen sollten: Es war schon eine interessante Erfahrung etwa 1,5 Stunden auf diesem Verkehrsmittel zuzubringen... Welche Strapaze war es wohl, tagelang darauf unterwegs gewesen zu sein? Palmyra, der ursprüngliche arabische Name vor der Umbenennung in „Hadriana Palmyra“ 129 n. Chr anlässlich eines Besuchs des Kaisers Hadrian war Tadmor, war eine wichtige Handelsstation an der Seidenstraße für diverse Genussgüter auf dem Weg von Ost- und Zentralasien nach Rom. 26 Ankunft im historischen Palmyra Im historischen Palmyra Im mittlerweile immer heißer ersehnten historischen Palmyra angekommen, besichtigten wir den Bel-Tempel, der zu Ehren Bels (Herr), einer palmyrischen Gottheit, in dem sich die verschiedenen Gottheiten der Babylonier, Kanaaiten und Griechen vereinten, gebaut wurde und besuchten das Museum, das in einfachem sozialistischem Stil einige archäologische Objekte aus Palmyra und Umgebung ausstellt. Bel-Tempel 27 Im Anschluss besuchten wir noch das Tal der Gräber, zuerst den Grabturm des Elahbel, der im Jahre 106 vollendet wurde -über 2 Stockwerke waren hier die Gräber wie Schubladen in die Wandnischen eingebaut- , dann das unterirdische Grab der drei Brüder, mit der Attraktion der vielfarbigen Wandmalereien. Grabturm Nach dem Beziehen des Hotels im Zentrum der Stadt, die nahezu ausschließlich vom Tourismus lebt, versuchten wir – leider machte uns das staubige Wetter einen Strich durch die Rechnung - den Sonnenuntergang im historischen Palmyra zu erleben. Am Abend feierten wir den Geburtstag von Charly mit Kamel- und Hühnchenfleisch. Das Restaurant hatte vorsorglich schon gar keine lokale Speisekarte, Gäste, so der Besitzer, seien eh nur Ausländer. Wir schenkten Charly eine Ledertasche, über die sie sich sehr freute. 28 Im Restaurant in Palmyra 12. März Am nächsten Tag hieß es wieder früh raus, denn nach dem traditionellen arabischen Fladenbrotfrühstück erwartete uns eine längere Fahrt nach Aleppo mit einem Besichtigungszwischenstopp in Krak de Chevaliers, der wohl schönsten Kreuzritterburg des Orients, die seit 2006 als Weltkulturerbe auf der UNESCO-Liste steht. Wir parkten etwas außerhalb der Burg und bewegten uns zu den Rufen des Muezzin zum freitäglichen Mittagsgebet auf die Kreuzritterburg zu, was sehr eindrucksvoll und bewegend war und den Wandel der Zeit, der Herrschaften sowie der (Staats-)Religionen überdeutlich machte. Nach einer sehr ausführlichen Besichtigung der Burg machten wir uns zu unserer letzten Station unserer Exkursion auf: Aleppo. Die mit wohl 4 Millionen Einwohnern wohl größte Stadt Syriens ist auch UNESCO Welterbe. Mittlerweile merkt man auch die Veränderung des Klimas: das trockene Wüstenklima weicht eher einer grünen gemäßigten Klimazone. Nach einem außerplanmäßigen Stopp, der nötig wurde, da der Busfahrer ein Rad für locker hielt und diesen Umstand dann kurzerhand selbst behob, erreichten wir Aleppo. Nach dem Beziehen 29 des Hotels blieb noch Zeit, sich einen groben Überblick über die Stadt zu verschaffen und schließlich syrisch einzukehren. Krak des Chevaliers 13. März Am vorletzten Tag unserer Exkursion stand eine Führung durch die Citadelle Aleppos auf dem Programm. Sie wurde von einem Englisch-Studenten durchgeführt, der uns in feinstem Oxford-Englisch die Geschichte der Zitadelle näherbrachte: Über 2000 Jahre bauten Menschen an der Zitadelle. Von dort aus hat man einen beeindruckenden Blick über die gesamte Stadt. Im Anschluss tranken wir einen Tee mit Blick auf die Zitadelle, um dann die riesigen Souks der Stadt zu erkunden. Auch besichtigten einige Exkursionsteilnehmer die hiesige Omajiad Moschee, die im Gegensatz zur „Schwester“-Moschee“ in Damaskus einen weniger touristisch geprägteren, familiäreren Eindruck machte. Der Moschee-Innenhof glich einem großen Spielplatz. Die Familien verbringen hier ihre Freizeit in lockerer Atmosphäre. Am Abend wurden wir von Frau Kirschner zum Essen in einem traditionellen Restaurant im christlichen Teil der Altstadt eingeladen. Dort verabschiedeten wir unsere syrischen Dozenten 30 Bassam Sabour und Salam jeweils mit einem gerahmten Gruppenbild, das wir auf der Ziadelle am Vormittag gemacht hatten. Während der Führung durch die Zitadelle Feinplanung des weiteren Ablaufs 31 Protokoll von Sonntag, Aleppo den 14.3.2010 Theo Kirschner 14.03.2010 Der Termin um 12 Uhr (Besuch der GTZ) wurde aufgrund organisatorischer Probleme des Vortragenden auf 14 Uhr verschoben. Der Tag begann mit einer Diskussion über die Akkreditierung und Nacharbeitung der Exkursion um 11 Uhr in der Hotellobby. Nach dieser etwa eineinhalbstündigen Unterredung machten wir uns auf in die Altstadt Aleppos, um das Büro der GTZ zu finden. Ohne größere Probleme fanden wir das gesuchte Gebäude, hatten jedoch aufgrund dieses ungewöhnlichen Umstandes noch eine Stunde Zeit bis zu dem besagten Termin. Die Wartezeit verbrachten wir in einem nahegelegenen Café, welches jedoch mit unserer ausufernden Bestellung etwas überfordert zu sein schien. Die einschläfernd monoton vorgetragene Präsentation eines unmotivierten GTZ-Mitarbeiters, der ebenso gut durch ein Tonband hätte ersetzt werden können, brachte uns das Thema der Rehabilitation der Altstadt Aleppos näher. Die Altstadt Aleppos ist seit 1986 Weltkulturerbe und wird seit 1993 in Kooperation mit der GTZ – Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit saniert. Derzeit befindet sich die Sanierung in der 6. Phase. Die Altstadt umfasst 360 ha Land, es wohnen ca. 120 000 Einwohner dort und es gibt ca. 12 ha überdachte Souks. Für die Altstadt Aleppo wurde ein eigener Masterplan entwickelt, der erst später in den allgemeinen integriert wird. Die Altstadt wurde in verschiedenen Zonen gemäß den Sanierungsmaßnahmen eingeteilt. Als übergeordnete Themen wurde die Sanierung einer großen Schule, Parkplatzorganisation und Platzgestaltung definiert. Trinkwassersystems erneuert. Weiter wurden 95% des Abwassersystems und 80% des Es wurde ein Verkehrskonzept nach empirischen Untersuchungen entwickelt. Zum Umweltschutz und Müllmanagement wurde eine „local Agenda 21“ entworfen und um die Stadt nachträglich zu begrünen, soll ein Baum in jedes Haus gepflanzt werden. Die Maßnahmen werden in Abstimmung mit der Bevölkerung konzipiert. 32 Nach der Präsentation war Dr. Kamal Bitar sehr großzügig in der Bereitstellung von gedruckten Broschüren („The Rehabilitation of the Old City of Aleppo“) und Büchern („Old City of Aleppo“, Aleppo/Berlin September 2005, „Kulturelles Erbe lebendig erhalten“, Hersg. GTZ, Eschborn 2006). 33 Syrien im Blick: Recherchen und Referate 34 Syrien – Geographie, Wasser & Umwelt Lisa-Michéle Bott, Sandra Coburger, Franziska Duge Der Barada in Damaskus (Quelle: eigene Aufnahme 2010). Gliederung 1 Geographie............................................................................................................................... 36 1.1 Einleitung ............................................................................................................................ 36 1.2 Naturfaktoren ...................................................................................................................... 37 1.2.1 Klima & Wetter ........................................................................................................... 37 1.2.2 Großlandschaften, Böden & Gewässer ..................................................................... 40 1.3 Bevölkerung........................................................................................................................ 42 1.4 Wirtschaft............................................................................................................................ 44 2 Wasser ..................................................................................................................................... 47 3 Umwelt ..................................................................................................................................... 54 3.1 Umweltsituation in Syrien ................................................................................................... 54 3.2 Umweltprobleme................................................................................................................. 54 3.2.1 Luftverschmutzung in Damaskus............................................................................... 55 3.2.2 Lösungsansätze, Stellschrauben und Hindernisse .................................................... 59 3.3 4 Abschließende Bemerkung ................................................................................................ 63 Literaturverzeichnis / Quellenangaben..................................................................................... 64 35 1 Geographie Lisa-Michéle Bott 1.1 Einleitung Historisch betrachtet versteht man unter „Syrien“ das vorderasiatische Tafelland, welches die heutigen Staaten Israel, Libanon, große Teile Syriens und Jordanien, sowie den Westirak umschließt (2_Auswärtiges Amt; 4_Brunswig-Ibrahim 2009). Dieses historische Großreich Syrien ist demnach nicht gleichzusetzen mit der heutigen „Arabischen Republik Syrien“. Die aktuellen Grenzen entstanden erst Anfang des 20sten Jahrhunderts. Nach dem Zerfall des Osmanischen Großreiches 1922, im Anschluss an den I. Weltkrieg, teilten die Siegermächte Frankreich und Großbritannien das großsyrische Gebiet in fünf Völkerbundmandate auf (8_Gresh 2009). Diese waren: Palästina, Transjordanien, Syrien, Irak und der Libanon (siehe Abb. 1). 1943 wurde Syrien unabhängig. Das heutige syrische Staatsgebiet umfasst einschließlich der seit 1967 von Israel besetzten Golanhöhen im Südwesten des Landes 185.180 km² und ist damit ca. halb so groß wie Deutschland (356.959 km²). Das Staatsgebiet Syriens erstreckt sich zwischen 32° und 37° nördlicher Breite und 35° und 42° östlicher Länge. Die Hauptstadt Damaskus liegt ungefähr auf einer geographischen Breite mit Bagdad, Tokio und Los Angeles. Im Norden grenzt Syrien an die Türkei, im Osten an den Irak, im Süden an Jordanien, im Südwesten an Israel und im Westen an den Libanon und das Mittelmeer. Wie alle Staaten der östlichen Mittelmeerküste, gehört Syrien zu den Staaten der Levante, was Morgenland oder Sonnenaufgang bedeutet. Verwaltungstechnisch ist Syrien in 13 Provinzen und einen Hauptstadtdistrikt unterteilt. Syrien zählt zu den kulturhistorisch bedeutendsten Regionen der Welt. Die wechselhafte Geschichte und die vielen verschiedenen kulturellen Einflüsse prägen bis heute das architektonische Landschaftsbild mit seinen mittelalterlichen Burgen, byzantinischen Ruinenstädten sowie römischen und frühchristlichen Bauwerken. Einige der syrischen Siedlungen zählen zu den ältesten der Welt. So gilt beispielsweise Damaskus als die weltweit älteste durchgehend bewohnte Stadt. Aleppo ist sogar noch älter, die Siedlung wurde allerdings zwischenzeitlich aufgegeben. Aus Sicht der Religion heraus ist Syrien sowohl für Christen als auch für Muslime bedeutend. Viele der ältesten christlichen Kirchen befinden sich in Syrien und blieben auch nach der Ausbreitung des Islam erhalten. Die Lage Syriens im Zweistromland und Grenzgebiet zwischen Orient und Europa machte den Handel zum wichtigsten Wirtschaftsfaktor. Verschiedenste Waren wurden über das Mittelmeer 36 nach Syrien und weiter durch die Wüste sogar bis nach China transportiert. Auch die wohl berühmteste Handelsstraße, die Seidenstraße führte durch Syrien. Obwohl das Land eine große Vielfalt unterschiedlicher Potenziale besitzt, beispielsweise die Baukultur, hat Syrien aktuell mit vielen Problemen zu kämpfen. An erster Stelle sind hier außenpolitische Konflikte und Umweltprobleme zu nennen, besonders auf letztere beziehen sich der zweite und dritte Teil dieser Arbeit. Zunächst wird jedoch die geographische Landeskunde Syriens dargelegt. Abbildung 1 Syriens osmanische Vergangenheit (Quelle: 8_Gresh 2009). 1.2 Naturfaktoren Sowohl in klimatologischer als auch in geomorphologischer Hinsicht befindet sich Syrien in einer Übergangszone. Klima und Relief ändern sich von West nach Ost sprich von der Mittelmeerküste ins Landesinnere. 1.2.1 Klima & Wetter Syrien liegt in den Subtropen. Nach der Klimaeinteilung von Troll und Paffen (siehe Abb. 2) 37 erstreckt es sich über drei verschiedene Klimazonen. Im Bereich der Mittelmeerküste im Westen des Landes herrscht sommertrockenes Mediterranklima (IV 1). Nach Osten schließen sich die sommerdürren Steppenklimate an (IV 2). Weiter kontinenteinwärts folgen schließlich die subtropischen Wüsten- und Wüstensteppenklimate (IV 5). Mit wachsender Distanz zum Mittelmeer nehmen die Niederschlagsmengen ab und die jahreszeitliche Temperaturamplitude wächst. In der Küstenregion fallen zwischen 600 - 1000 mm Niederschlag pro Jahr, in den Steppenklimaten lediglich 400 mm. In der Wüste im Osten und Südosten fallen stellenweise sogar nur noch 100 mm (2_Auswärtiges Amt). Die mittleren Temperaturmaxima im Juli und August betragen an der Küste in Latakia 29,5 ° C. In der Wüste in Dair az-Zur steigen die mittleren Sommertemperaturen auf 40,5° C (16_Scheck/Odenthal 2009). Abbildung 2 Klimazonen im Mittelmeerraum (Quelle: 7_Westermann 2000). Die Lage Syriens im Übergangsbereich dreier Klimate schlägt sich auch im Jahresverlauf des Wetters nieder. Im Sommer liegt Syrien im Einflussgebiet der subtropischen Süd-Ost-Passate, welche warme und trockene Luft ins Land bringen. Der Sommer ist somit die Trockenperiode, Regen fällt fast ausschließlich im Gebirge in Form von Steigungsregen. Das Wetter ist in dieser Zeit beständig sonnig. In ganz Syrien herrscht in den Sommermonaten mehr oder weniger das gleiche Wetter, nur die Temperaturen nehmen mit steigender Kontinentalität etwas zu. Im Winter setzen sich kühle und feuchte Westwinde gegenüber dem Passat durch. Die außertropischen Zyklone bringen auf ihrem Durchzug Niederschlag ins Land. Das Wetter wechselt zwischen heiter und wolkig und ist daher sehr unbeständig. Im Winter lassen sich die drei Klimate deutlich stärker unterscheiden, da das Wettergeschehen lokal sehr unterschiedlich ausfällt. 38 In den Übergangsmonaten im Frühjahr und Herbst wechselt das Wetter mit der jeweiligen Zirkulation. Auf der Exkursion ließ sich dies in Damaskus besonders gut beobachten. In den ersten Tagen mit Passatinvasion1 herrschten hohe Temperaturen deutlich über 20 ° C. Der Himmel war weitestgehend wolkenfrei und es war verhältnismäßig windstill. Da die von oben absinkenden Luftschichten ein Aufsteigen niedriger Luftschichten verhinderten und somit quasi wie ein Deckel darüber lagen, blieben die Abgase in der Stadt und es ergab sich eine Smoginvasion nach dem Los Angeles Typ2 (siehe Abb. 3). Besonders deutlich zeigte sich diese Situation am 09. März 2010. Abbildung 3 Damaskus bei Passatwindeinfluss und Smog (Quelle: eigene Aufnahme, 08.03.2010). Unter dem Einfluss zyklonaler Westwinde, ab dem 15. März 2010, ergab sich eine völlig andere Situation. Es wurde deutlich windiger. Die Temperatur betrug selbst mittags nur noch max. 15° C. Der Himmel war bewölkt und es fiel hin und wieder etwas Regen. Die Luft war auffällig klarer, da der Wind die Abgase aus der Stadt wehte (siehe Abb. 4). 1 Invasion bedeutet Temperaturumkehr mit der Höhe. Diese entsteht, wenn Luftmassen aus höheren Luftschichten absinken. Dieser Absinkprozess geht mit einer Erwärmung einher, sodass obere Luftschichten letztendlich höhere Temperaturen aufweisen als bodennahe. Dieser Prozess einer Absinkinvasion ist charakteristisch für die Passatwinde, welche zum thermischen Äquator strömen. 2 Es gibt zwei verschiedene Smogsituationen: den Londontyp und den Los Angeles Typ, welche durch jeweils unterschiedliche Luftverhältnisse entstehen. Der Los Angeles Typ entsteht durch eine Absinkinvasion. 39 Abbildung 4 Damaskus bei Westwindeinfluss (Quelle: eigene Aufnahme, 18.03.2010). 1.2.2 Großlandschaften, Böden & Gewässer Parallel zum 193 km langen Küstenstreifen verläuft im Nordwesten das 120 km lange und 40 km breite teilweise bewaldete Alawiten-Gebirge (Abb. 5). Die höchsten Erhebungen finden sich im Norden mit bis zu 1754 m Höhe (4_Brunswig-Ibrahim 2009; 16_Scheck/Odenthal 2009). Im Norden und Osten wird das Gebirge vom Orontes umflossen. Dieses besonders fruchtbare Orontestal erscheint als Kerngebiet Syriens, da sich in der landwirtschaftlich rentablen Region ein hoher Bevölkerungsanteil konzentriert. Richtung Süden wird das Küstengebirge auf Höhe der Stadt Homs durch eine Senke unterbrochen, dem sog. HomsDurchlass. Weiter südlich erhebt sich die Karstformation des Anti-Libanon. Dessen Ausläufer gehen in die Golanhöhen über und fallen zum Yarmuktal hin ab. Im Norden des Landes östlich der genannten Gebirgszüge befinden sich das nordsyrische Kalksteinmassiv und südlich davon die mittelsyrischen Ebenen. Im Südwesten befindet sich das Basaltplateau des Hauran mit dem Drusengebirge, beide vulkanischen Ursprungs. Dieses Plateau ist durch Lößeintrag und seine Tonminerale recht fruchtbar. Der Nordosten Syriens ist ebenfalls sehr fruchtbar. Die 400 m hohe Jeziraebene liegt im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris und wird zusätzlich von den Flüssen Khabur und Balikh durchflossen und mit Nährstoffen und Wasser versorgt. Der Osten Syriens wird von der Stein- und Steppenwüste beherrscht, welche über 60 % der gesamten Staatsfläche einnimmt. Sie ist ein Ausläufer der Arabischen Wüste. Unterbrochen wird sie nur durch einige Oasen. 40 Im Allgemeinen ist der Boden Syriens verhältnismäßig nährstoffarm. Die Humusschicht ist, wenn überhaupt vorhanden, sehr dünn. Abhängig vom Ausgangsgestein sind die Böden unterschiedlich stark verwittert. Generell gilt, je älter ein Boden ist, desto tiefgründiger ist auch die Verwitterung (Bodenbildung), d. h. desto weniger Minerale und Nährstoffe sind im Boden enthalten. In den Klimazonen Syriens überwiegen physische Verwitterungsprozesse, da besonders im Landesinneren die Niederschläge zu gering für eine tiefgründige chemische Verwitterung sind. Am stärksten wirkt hier die Isolationsverwitterung, welche durch Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht verursachte Gesteinssprengung bedeutet. Die Regionen Syriens mit der höchsten Bodengüte befinden sich in Zonen, in denen neue Gesteinssubstanz und somit neue Mineralien und Nährstoffe in den Bodenbildungsprozess einbezogen werden – in den Schwemmlandebenen der Flüsse und auf Vulkanböden. Die größte Wasserader Syriens ist der Euphrat, der das Land auf einer Länge von 675 km durchfließt. Auf dem Satellitenbild (Abb. 5) ist er deutlich zu erkennen. 80 % der Wassermenge Syriens stammen aus diesem Fluss. Die größten Euphratzuflüsse sind der Balikh und der Khabur. Deutlich kleiner, aber fast ebenso wichtig, ist der 500 km lange Orontes, da er durch Gebiete mit hohem Bevölkerungsanteil fließt und unzählige Gräben und Bewässerungsanlagen versorgt. Damaskus verdankt seinen Standort dem im Anti-Libanon entspringenden Barada, welcher ein unterirdisches Wasserareal speist, bevor er in der Wüste versickert. Das Hauranplateau im Südwesten wird von den Karstquellflüssen des Yarmuk mit Wasser versorgt. Ausführliche Erläuterungen zu Syriens Wasserversorgung folgen im zweiten Teil dieser Arbeit. Abbildung 5 Sattelitenbild von Syrien (Quelle: Google Earth 2010). 41 1.3 Bevölkerung Die Arabische Republik Syrien zählt zurzeit ca. 20 Mio. Einwohner (2_Auswärtiges Amt; 16_Scheck/Odenthal 2009). Hinzu kommen etwa 1,5 Mio. irakische Flüchtlinge. Das Bevölkerungswachstum beträgt 2,5 % pro Jahr, eine der höchsten Zuwachsraten weltweit. Folglich weist die syrische Altersverteilung graphisch dargestellt eine klassische Pyramidenform auf. 2005 waren mehr als 50 % der Bevölkerung unter 15 Jahre alt. Lediglich 4,5 % erreichten ein Alter über 65 Jahre. Das Durchschnittsalter lag 2009 bei 21,7 Jahren. Zum Vergleich das Durchschnittsalter in Deutschland lag zu diesem Zeitpunkt bei 43,8 Jahren (5_CIA). Die Lebenserwartung beträgt bei der Geburt gut 74 Jahre. Die Analphabetenrate liegt bei knapp 20 %. Die Bevölkerungsdichte erscheint auf den ersten Blick mit 72,5 Einwohnern pro km² ziemlich gering (BRD: 230 Einw./km²), doch diese Angaben täuschen, da sich die Bevölkerung auf wenige Gebiete im Westen des Landes hauptsächlich auf den Raum von Damaskus bis Aleppo konzentriert. Die hohe Bevölkerungskonzentration in diesen Gebieten ist historisch und somit landwirtschaftlich bedingt. Erste Siedlungen und später große Städte entstanden dort, wo eine entsprechend hohe Bevölkerungsanzahl ernährt und mit Wasser versorgt werden konnte. Die Wüstengebiete sind mit Ausnahme einiger Oasen fast menschenleer. Syrien besitzt verhältnismäßig wenige Städte, es findet jedoch eine zunehmende Landflucht statt. Die Hauptstadt Damaskus zählt im Kerngebiet ca. 1,7 Mio. Einwohner, im Großbereich 4 Mio. Die größte Stadt des Landes ist Aleppo mit knapp 2 Mio. Einwohnern im Kernbereich. Die drittgrößte Stadt Homs besitzt mit 750.000 bereits deutlich weniger Einwohner. Allerdings handelt es sich bei allen Angaben um Schätzungen und Hochrechnungen, da die letzte Volkszählung 1981 stattfand und viele Menschen in informellen Siedlungen leben und somit nirgendwo registriert sind. Die syrischen Dörfer zählen im Schnitt 500 Einwohner und konzentrieren sich auf den Westen des Landes. Vollnomaden (Beduinen) findet man nur noch sehr selten in Syrien. In den Randgebieten der Wüstensteppe dominiert jedoch nach wie vor die halbnomadische Lebensweise. Die hier lebenden Schaf- und Ziegenhirten verbringen den Winter in der Steppe und leben den Sommer über in den Dörfern. Noch vor der Landflucht hat Syrien mit dem Problem zunehmender Emigration ins Ausland zu kämpfen. Gravierend ist dabei vor allem die Abwanderung hochqualifizierter Personen, z. B. Ärzte. 42 Folgende Abbildung zeigt die die syrische Emigration im Jahr 2005. Abbildung 6 Die syrische Emigration (Quelle: 8_Gresh 2009). Die Landessprache ist arabisch. In Syrien befindet sich einer der weltweit letzten Orte, in dem noch aramäisch, die Sprache Christi gesprochen wird. Dieser Ort heißt Maalula und liegt ca. 50 km nördlich von Damaskus. Gebräuchliche Fremdsprachen sind Englisch und an zweiter Stelle Französisch. 90 % der Syrer sind Araber. Knapp 6 % der Bevölkerung gehören der kurdischen Minderheit an. Die syrischen Kurden leben hauptsächlich in der Jeziraebene, nordwestlich von Aleppo und in einigen Stadtvierteln von Damaskus und Aleppo. Im Grenzbereich zur Türkei lebt eine kleine Minderheit an Türken, zu ihrer genauen Anzahl gibt es jedoch keine statistischen Angaben. Eine kleine Minderheit bilden die 150.000 christlichen Armenier, welche im Judeida-Viertel in Aleppo leben. Sie wanderten im I. Weltkrieg als Flüchtlinge vor der osmanischen Verfolgung ein. Eine weitere altchristliche Ethnie bilden die Assyrer, über deren Anzahl ebenfalls keine verlässlichen Quellen existieren. Ihr Hauptsiedlungsgebiet liegt am Khabur. Die kleinste Minderheit sind die muslimischen Tscherkessen. Ihr Siedlungsgebiet war vor der israelischen Besetzung der Golan-Höhen die Stadt Quneitra. Heute leben ca. 4000 – 5000 Tscherkessen auf syrischem Territorium. 43 85 % der syrischen Bevölkerung sind muslimischen Glaubens. Mit 72 % an der Gesamtbevölkerung stellen die sunnitischen Muslime die überwiegende Mehrheit dar. „Die Sunniten anerkennen im Gegensatz zu den Schiiten (s. u.) die Legitimität der omayyadischen Kalifen und berufen sich außer auf das heilige Buch, den Koran, auf die Sunna (Gewohnheiten), die überlieferten Ansprüche Mohammeds, und zwar aus Sinne einer verbindlichen Glaubens- und Lebenslehre.“ (16_Scheck/Odenthal 2009, 23). Eine Minderheit von 12 % der Bevölkerung gehört zu den alawitischen Muslimen, welche in Syrien jedoch große politische Macht innehaben. Der amtierende Präsident Bashar Al-Assad sowie sein vor ihm amtierender Vater gehören zu den Alawiten. Diese islamische Richtung ist am weitesten vom orthodoxen Islam entfernt und verbindet altorientalische und christliche Elemente. 10 % der Bevölkerung sind Christen, welche in Syrien seit jeher stark verwurzelt sind. Es gibt jedoch kein einheitliches sondern eine Vielzahl verschiedener christlicher Bekenntnisse. Grundsätzlich lässt sich in Syrien zwischen orthodoxen und katholischen Christen unterscheiden. 4 % der Bevölkerung stellen die nach außen fast vollständig abgeschotteten Drusen. Die Glaubensinhalte sind weitgehend geheim, sogar für die Mehrheit der Drusen selbst. Nur sog. Uqqal (Eingeweihte) kennen diese. Bei den Eingeweihten handelt es sich ausschließlich um Männer über 40 Jahre. Drusen dürfen nur Drusen heiraten. Ein Übertritt zum drusischen Glauben ist ausgeschlossen. In Salamiya östlich von Hama und Homs leben Ismaeliten, welche 1 % der Bevölkerung ausmachen. Die Ismaeliten gehören wie die Alawiten zu den unorthodoxen Strömungen des Islam. „Den Koran verstehen sie als eine Geheimbotschaft, die sich nur Eingeweihten nach stufenweiser Initiation erschließt.“ (16_Scheck/Odenthal 2009, 25). Die Schiiten bilden in Syrien mit gerade einmal 60.000 Anhängern eine sehr kleine Minderheit, wohingegen sie im Iran und im Irak die Mehrheit stellen. Was zum Teil auch die politischen Differenzen zwischen diesen Ländern erklärt. „Den verschiedenen schiitischen Richtungen […] ist die Ablehnung der Sunna und der `nicht-rechtmäßigen´ Kalifen zu eigen, die Neigung zu mythischen Vorstellungen, die Verehrung der Imame (Nachfolger Alis) in der Art eines Heidenkultes und der – mystisch unterlegte – Hang zum Märtyrertum.“ (16_Scheck/Odenthal 2009, 24). Von der ehemals starken Minderheit der Juden leben heute nur noch ca. 200 Menschen in Syrien. Die Mehrheit der syrischen Juden ist in die USA oder in deutlich geringerer Anzahl nach Israel ausgewandert. 1.4 Wirtschaft Historisch war Syrien, wie bereits in der Einleitung erwähnt, eine starke Handelsnation. Viele der wichtigsten historischen Handelswege, wie etwa die Seidenstraße, führten durch Syrien. 44 Diese Zeiten der wirtschaftlichen Blüte sind jedoch schon lange vorbei. Heute zählt Syrien auf Grund vielfältiger Probleme zu den Schwellenländern und ist wirtschaftlich betrachtet ein Agrarland. Größte Probleme für die Entwicklung Syriens stellen die hohe Arbeitslosenzahl von offiziell 8 % und die ebenfalls hohe Inflationsrate von 10 % dar (4_Brunswig-Ibrahim 2009). Hinzu kommen immense Militärausgaben durch den andauernden Konflikt mit Israel, welche den Staatshaushalt belasten. Seit 1967 befinden sich beide Länder im Kriegszustand. In den letzten Jahren lässt sich wirtschaftlich jedoch ein positiver Trend erkennen. Der Industriesektor ist gewachsen und die internationalen Handelsverträge nehmen zu. Wichtigste Handelspartner sind Deutschland, Frankreich und Italien. Das Wirtschaftswachstum lag 2007 bei über 3 %. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) betrug 2006 29,3 Mrd. US-$, das Prokopf-BIP 1.465 US-$ (2_Auswärtiges Amt). Zum Vergleich: das BIP Deutschlands betrug 2006 2302,7 Mrd. Euro. 25 % des BIP werden in der Landwirtschaft erwirtschaftet. Über ein Viertel der Beschäftigten sind im Agrarsektor tätig. Die Hauptanbaugebiete sind, wie aus Kapitel II. 2 hervorgeht, das Orontestal, die Jeziraebene und das Hauranplateau. Außerhalb dieser fruchtbaren Gebiete kann jedoch kaum rentabel angebaut werden. Nur gut ein Viertel der Fläche Syriens ist überhaupt kultivierbar (ca. 5 Mio. ha) und in weiten Teilen muss künstlich bewässert werden (4_Brunswig-Ibrahim 2009; siehe Abb. 7). Angebaut werden Weizen und Gerste sowie vor allem Baumwolle, welche Syriens wichtigstes Agrarexportgut ist. Bevor Erdöl exportiert wurde, war Baumwolle sogar das wichtigste Exportgut insgesamt. Angebaut wird Baumwolle hauptsächlich in der Jeziraebene. Weizen und Gerste nehmen fast zwei Drittel der kultivierten Fläche ein. Die Abhängigkeit der Landwirtschaft von den Naturfaktoren zeigt sich besonders im Getreidehandel. In Jahren mit ausreichendem Niederschlag kann Syrien Getreide exportieren, in niederschlagsarmen Jahren muss zusätzlich importiert werden. Neben Getreide und Baumwolle werden Baum- und Strauchkulturen wie Oliven, Pistazien, Trauben, Granatäpfel, Feigen, Aprikosen und Mandeln angebaut, welche jedoch hauptsächlich der Eigenversorgung dienen. Aufgrund der verhältnismäßig schlechten natürlichen Voraussetzungen dominiert in weiten Gebieten die Viehwirtschaft. Überall dort, wo nicht mehr rentabel angebaut werden kann, setzt sich die Viehwirtschaft gegenüber dem Feldfruchtanbau durch. In Syrien wird Viehwirtschaft im Wesentlichen von Halbnomaden betrieben, da viele Weidegebiete in der Steppe nur saisonal genutzt werden können. Es dominiert die Schaf- und Ziegenzucht, da diese Tiere auch auf verhältnismäßig kargen Böden noch ausreichend zu fressen finden. 45 Abbildung 7 Die Wirtschaft Syriens (Quelle: 7_Westermann 2000). Die wichtigsten Exportressourcen Syriens sind Erdöl und Erdgas; sie erbringen ca. 50 % der Exporterlöse. Gefördert wird Erdöl seit 1968 zwischen Deir az-Zor und Palmyra. Die Raffinerien stehen in Homs und Banias (siehe Abb. 7). Verschifft wird es über die Häfen von Banias und Tartus. 2007 wurden 370.000 Barrel pro Tag (1 bbl. = 158,987294928 l) gefördert. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass die Ölreserven in 15 bis 20 Jahren erschöpft sind. Industrie und produzierendes Gewerbe sind mit 30 % am BIP beteiligt. Wichtigste Industriezweige sind Textilindustrie Aluminiumgewinnung, und Maschinenbau Hauptindustriestandorte sind Damaskus, nachfolgend und Aleppo Kunststoffverarbeitung, Nahrungsmittelverarbeitung. und Homs. Neben den großen Industriekonzernen gibt es, seit der langsam erfolgenden wirtschaftlichen Liberalisierung unter Baschar al Assad, eine Vielfalt an Kleingewerbe und Handwerksstätten. Genaue Beschäftigungszahlen in Kleinbetrieben und Werkstätten sind nicht bekannt, jedoch dürfte der Anteil nicht unerheblich sein. In den Seitenstraßen der Suqs und auch in den Vorstädten reiht sich ein Kleinbetrieb an den anderen. Im Dienstleistungssektor ist vor allem der Tourismus als wachstumsstärkster Bereich zu nennen. Noch ist Syrien davon entfernt ein Touristenland zu sein, doch man hat das Potenzial dieser Branche entdeckt und es wird verstärkt investiert. Auf einer Reise durch Syrien lässt 46 sich in jeder Stadt recht gut feststellen, wie interessant sich diese bisher für die Touristen darstellt. Palmyra beispielsweise ist heute zu einem festen Bestandteil einer Syrienreise geworden, dementsprechend ist auch die Infrastruktur vor Ort. Auf der Exkursion wurde in einem Restaurant sogar festgestellt, dass die Speisekarte nur in Englisch und nicht in Arabisch zu bekommen war. In Homs dagegen merkt der Reisende schnell, dass die Stadt bisher wenig im Interesse der Touristen liegt. Es ist hier immer noch recht schwer ein Hotel gemäß europäischen Ansprüchen zu finden. Insgesamt steigen die Touristenankünfte Syriens. Die touristische Infrastruktur wird ausgebaut. Die beiden internationalen Flughäfen befinden sich in Damaskus und Aleppo (16_Scheck/Odenthal 2009). Bezüglich des Binnenverkehrs besitzt Syrien ein 40.000 km langes, zu drei Vierteln asphaltiertes Straßennetz, sowie eine stündliche Bahnverbindung Damaskus – Homs – Hama – Aleppo, welche jedoch auf Grund des komplizierten Ticketerwerbs fast ausschließlich von Einheimischen genutzt wird. In den nächsten Jahren wird sich zeigen, ob Syrien den Sprung von einem Agrarland zu einem Industrie- und Dienstleistungsland schafft. Bis zum Erschöpfen der Erdöl- und Erdgasreserven müssen der Industrie- und Dienstleistungssektor entsprechend anwachsen, um einen wirtschaftlichen Zusammenbruch zu verhindern. Der Tourismus könnte dabei ein wichtiger Baustein sein. Dabei wird es wichtig sein, die Zukunftsentwicklung Syriens nachhaltig zu gestalten, um Umweltschäden im Zuge des Wirtschaftswachstums möglichst gering zu halten. 2 Wasser Sandra Coburger In Deutschland kommt das Wasser sauber und trinkbar aus dem Hahn und wird von einem Großteil der Bevölkerung als selbstverständliches Konsumgut angesehen. Dennoch zählt Wasser zu den wichtigsten natürlichen Ressourcen und ist nur in begrenztem Umfang auf der Erde verfügbar. Während der Bedarf an Wasser weiterhin stark ansteigt und sich in den vergangenen 50 Jahren fast verdoppelt hat, gehen die weltweiten Vorräte immer weiter zurück. Eine besondere Verschärfung der Lage ist in vielen von Natur aus wasserarmen Ländern zu beobachten, da zusätzlich zum Problem Wassermangel oft auch eine starke Verschmutzung der Ressource sowie schlechte Bewirtschaftung hinzukommen. Die begrenzte Menge an Süßwasser, die im 18. Jahrhundert noch für ca. 1 Milliarde Menschen ausreichen musste, muss heutzutage für mehr als 6 Milliarden Menschen reichen. 47 Die schwedische Forscherin Malin Falkenmark führte im Jahr 1989 den sogenannten WaterStress-Index ein. Hierbei definiert sie die Problematik Wassermangel/Wasserknappheit wie folgt: Wassermangel (Water stress): Ein Land leidet unter Wassermangel, wenn dessen Bewohner weniger als 1.700m³ verfügbares, erneuerbares Süßwasser pro Kopf und Jahr zur Verfügung haben. Wasserknappheit (Water scarcity): Ein Land leidet unter Wasserknappheit, wenn dessen Bewohner weniger als 1.500m³ verfügbares, erneuerbares Süßwasser pro Kopf und Jahr zur Verfügung haben. Bei einer Betrachtung der Werte für Syrien wird schnell deutlich, dass die Republik laut offizieller Definition unter Wassermangel leidet, da den Bewohnern zwischen 1.500m³ und 1.700m³ Wasser pro Kopf und Jahr zur Verfügung stehen (2003). Die folgende Ausarbeitung beschäftigt sich daher mit den Gründen für den Wassermangel in der Arabischen Republik Syrien und geht hierbei neben allgemeinen klimatischen Grundlagen sowohl auf die interne Wasserversorgung des Landes als auch dessen externe Versorgung (im Besonderen auf politische Konflikte) ein. 2.1 Allgemeine klimatische Grundlagen Das Klima in Syrien ist im Westen des Landes stark mediterran geprägt, wobei der mediterrane Einfluss mit zunehmender Entfernung zur Küste nachlässt. Im Winter befindet sich Syrien im Bereich der Westwindzone und unterliegt somit zyklonalen Einflüssen. Das Wetter ist wechselhafter, die Ein- und Ausstrahlung aufgrund höherer Bewölkung gering und die Temperaturen mild. Viele Zyklonen bringen zwar oft nur im Westen und nicht mehr im Südosten Niederschlag; ihr Durchzug ist aber auch im Bereich der syrischen Wüste mit Wolkenbildung verbunden. Im Sommer hingegen definiert sich das Klima durch einen wesentlich kontinentaleren Grundcharakter; durch eine nur gering vorhandene Bewölkung sind Ein- und Ausstrahlung sowie die Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht verhältnismäßig hoch. Durch den Einfluss der Passatzone sind die syrischen Sommer im Grundcharakter heiß und trocken. Dennoch unterliegt das Land auch einem west-östlichen Formenwandel des Klimas: Die durchschnittliche Niederschlagsmenge nimmt im West-OstProfil (Küste – Wüstensteppe) von 1000 mm pro Jahr bis auf 250 mm pro Jahr ab; teilweise 48 gar bis auf 100 mm pro Jahr. Des Weiteren nimmt die Zuverlässigkeit der Niederschläge ab, d. h. im Westen des Landes sind die Unterschiede der jährlichen Regenmenge in feuchten und trockenen Jahren geringer als in der Wüstensteppe. Der großräumige west-östliche Formenwandel des Klimacharakters wird zusätzlich durch eine kleinräumige reliefbedingte Differenzierung überlagert: Je nach Höhe der Gebirge im Westen ist die Niederschlagsdifferenz zwischen Osten und Westen unterschiedlich hoch: durch die verhältnismäßig geringe Höhe des Alawitengebirges (bis zu 1.200m) können Niederschlag und Feuchtigkeit in größerem Umfang bis ins Landesinnere vordringen; während östlich des Antilibanon-Gebirges (bis 2.800m) die Wüstensteppe bis an den Gebirgsrand vordringen kann. In Syrien sind demnach Wasserhaushalt und Landnutzung stärker von den Niederschlägen als von den Temperaturen abhängig, da die Niederschläge einen großen klimatischen Unsicherheitsfaktor darstellen. Besonders trockene/feuchte bzw. heiße/kalte Jahre streuen nicht gleichmäßig, sondern erscheinen häufig in Gruppen mehrerer Jahre zusammengefasst. Trockenfeldbau (d. h. ohne zusätzliche Bewässerung) kann nur in Bereichen mit mehr als 400 mm Jahresniederschlag ohne großes Dürre-Risiko durchgeführt werden. Problematisch ist hierbei, dass nur 12 % des syrischen Staatsgebietes derart begünstigt sind; 88 % des Territoriums erhalten weniger als 400mm Wasser im Jahr. Die Möglichkeit zusätzlicher Wasserversorgung für die Landwirtschaft Syriens wird somit zur Lebensfrage. Additiv wirkt die durch Waldvernichtung und Bodenabspülung verursachte Beschleunigung des Wasserabflusses wie eine zusätzliche ökologische Austrocknung. Siedlungen können sich nur an Standorten mit gesicherter Wasserversorgung (Flüsse, Quellen, Grundwasser) behaupten. Diese sind im Land jedoch nur geringfügig vorhanden: Quellen: Einige verkarstete Bergmassive im Westen Syriens (Alawitengebirge, Antilibanon, Hermon) nehmen Niederschlags- und Schmelzwasser auf und geben es in Karstquellen wieder ab. Flüsse: Der wasserreichste Fluss des Landes ist der Euphrat, welcher für 80% des syrischen Oberflächenwassers verantwortlich ist. Gemeinsam mit seinen Zuflüssen Khabour und Balikh liefern die durch Pumpen bewässerten Talauen Wasser für einen intensiven Garten- und Feldbau. Grundwasser: Ein lückenloser Grundwasserspiegel ist nur im Norden Syriens vorhanden. Seit den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts wird dieser Vorrat durch Motorpumpen erschlossen, die eine bessere Förderung des Wassers ermöglichen. 49 Seen: In Syrien sind keine natürlichen Seen mehr vorhanden (Austrocknung durch Übernutzung); in der Nähe von Homs gibt es allerdings einen seit der Antike künstlich aufgestauten See. Assad-Stausee: Die 1993 eingeweihte Talsperre dient durch ihr Wasserkraftwerk der Stromerzeugung; angrenzende Felder werden durch ein Kanalsystem bewässert. 2.2 Die Wasserversorgung innerhalb Syriens Innerhalb des Landes hat die nur unzureichende Abwasserbehandlung Auswirkungen auf die Qualität von Grund- und Oberflächenwasser. Wasserressourcen in Ballungsräumen werden oftmals übernutzt und durch veraltete Industriegebiete überlastet, da diese Anlagen ihr Abwasser häufig ohne hinreichende Umweltschutzmaßnahmen in die Luft leiten bzw. Schadstoffe in die Luft freisetzen. Somit kommt es durch ungereinigte oder kaum gereinigte Abwässer zu einer Verseuchung des Trinkwassers und landwirtschaftlicher Produkte; an Kläranlagen mangelt es im Land. Diese Verseuchungen bedingen neben Krankheiten wie Cholera und Typhus noch weitere Durchfallerkrankungen. Abb.1 : Barada in Damaskus 50 Additiv nutzt Syrien einen Großteil seines Wasservorkommens zur Bewässerung von Agrargebieten, da in großen Teilen der Republik Landwirtschaft nur mit künstlicher Bewässerung möglich ist. Durch falsche Bewässerungsmethoden und undichte Kanäle und Rohre wird hier ein nicht unbeachtlicher Anteil des Wassers verschwendet. Außerhalb der großen Zentren im Land kann es darüber hinaus zu der Situation kommen, dass die Bevölkerung über einen Zeitraum von mehreren Tagen hinweg kein Wasser über die normalen Wasserleitungen erhält. Trotz der Wasserspeicher, die in Syrien viele Haushalte besitzen, muss dann per Tankwagen zusätzlich Wasser eingekauft werden. Dieses wiederum ist wesentlich teurer als das Wasser der stark subventionierten staatlichen Wasserversorger. Der Zustand des abgestellten öffentlichen Wassernetzes kann bis zu sechs Tagen andauern. In der Hauptstadt Damaskus, dessen wichtigste Wasserquelle der Fluss Barada darstellt, wird das öffentliche Wassernetz generell über Nacht abgestellt. Um dem Problem des Wassermangels verbessert gegenüberzutreten, betreibt die Bundesrepublik Deutschland seit dem Jahr 2002 eine Entwicklungszusammenarbeit mit Syrien. Neben den Schwerpunkten Bildung, Stadtentwicklung und Wirtschaftsreformen nimmt hierbei der Bereich des integrierten Wassermanagements einen hohen Stellenwert ein. Dazu zählen nicht nur die Ausbildung syrischer Experten sondern auch Möglichkeiten des Abwassermanagements sowie politische Reformen. Der Deutsche Entwicklungsdienst (DED) legt seinen Schwerpunkt auf die Verbesserung des Trinkwassers sowie die Abwasserentsorgung. Der Fokus der KooperationsProjekte liegt hierbei auf: • der Rekonstruktion von Wasserversorgungsnetzen und Abwassersystemen • dem Aufbau eines fachlichen Netzwerkes im Wassersektor • der Förderung von Qualifizierungs- und Weiterbildungsangeboten, sowie • der Unterstützung der Öffentlichkeitsarbeit und Bewusstseinsbildung im Wassersektor Mittels dieser Projekt-Schwerpunkte soll vor allem der dramatische Wassermangel in den Großstädten Damaskus und Aleppo reduziert werden. 2.3 Politische Konflikte Neben der Problematik der Wasserversorgung innerhalb des Landes, leidet Syrien seit vielen Jahren ebenfalls unter politischen Problemen, die die Wasserversorgung beeinträchtigen. Hierbei sind besonders der Konflikt im Jordanbecken mit Israel sowie der Konflikt mit der Türkei im Euphrat- Becken zu erwähnen. 51 2.3.1 Die Golan Höhen Abb.2 : Jordanbecken Die Zuflüsse des Jordans, namentlich Hasbani, Dan und Banias entspringen in unterschiedlichen Anrainerstaaten: der Hasbani im Südlibanon, der Dan in Israel sowie der Banias in Syrien auf den Golan-Höhen. Im Zuge des 6-Tage Krieges im Jahr 1967, in dem es neben weiteren Konfliktpunkten auch um die Wassersituation des Jordan ging, nahm Israel das Gebiet der Golan Höhen ein und annektierte es später zusätzlich. Ursache für den Streit um das Wasser in diesem Gebiet waren die Pläne der Länder Israel und Syrien, das Wasser für verschiedene Projekte umzuleiten. Israel plante eine Umleitung des Jordanwassers, während Syrien dessen Quellflüsse Banias und Hasbani so umleiten wollte, dass deren Wasser Israel nicht mehr erreichen konnte. Die Besetzung der Golan Höhen stellt immer noch den größten Konfliktpunkt in der syrisch-israelischen Beziehung dar. Mehrere Friedensverhandlungen zwischen den Ländern scheiterten an einer nicht durchgeführten Rückgabe des Gebietes; auch die UN erklärte die Annexion der Region in einer Sitzung des Sicherheitsrates für null und nichtig (1981). 2.3.2 Das Euphrat-Becken Abb 3: Euphrat-Becken 52 Ein weiterer politischer Konfliktherd in der syrischen Wasserversorgung stellt das Wasser des Euphrats dar. Die Türkei behält sich als Oberanlieger des Flusses das Recht vor, große Teile des Euphratwassers für eigene Projekte zu verwenden. Allein das GAP-Projekt (Südostanatolien-Projekt) beinhaltet den Bau von 22 Staudämmen und 19 Wasserkraftwerken für die Elektrizitätserzeugung und die Bewässerung von Agrarflächen. Für die Erstbefüllung des Atatürk-Staudammes im Jahre 1990, staute die Türkei das Wasser des Euphrats für einen Monat; wodurch Syrien eine riesige Menge Wasser fehlte. Des Weiteren tragen die Bewässerung durch Kanäle am Euphrat und die erhöhte Verdunstung durch eine größere Stausee-Verdunstungsoberfläche dazu bei, dass sich die Menge des in Syrien ankommenden Euphratwassers stark reduziert hat. In einem Protokoll von 1987 sichert die Türkei den Syrern eine durchschnittliche Versorgung mit Euphratwasser in Höhe von 500m³ pro Sekunde zu. Problematisch ist hierbei, dass die syrische Regierung 700m³ Wasserdurchfluss pro Sekunde verlangt. Eine Einigung ist daher schwierig, das Gebiet bleibt ein Konfliktherd. Dennoch ist positiv zu bemerken, dass sich die Türkei an die zugesicherte Wassermenge hält und zusätzlich versucht im syrisch-israelischen Konflikt zu vermitteln. 2.4 Fazit Durch Probleme bei der Wasserversorgung sowohl innerhalb des Landes als auch durch politische Konflikte mit Nachbarstaaten und schwierigen klimatischen Bedingungen, befindet sich Syrien in einer äußerst problematischen Lage. Auch in Zukunft wird sich diese Situation noch weiter verschärfen, da die Wasservorräte durch ein hohes Bevölkerungswachstum im Land für immer mehr Personen reichen müssen. Dennoch hat Syrien das Problem der Wasserversorgung erkannt und versucht v. a. durch das Hinzuziehen ausländischer Experten mit der Situation umzugehen. Es bleibt zu hoffen; dass dieses Bewusstsein alle Bevölkerungsschichten erreicht und durch eine voranschreitende Implementierung des integrierten Wassermanagements eine bessere Versorgung der Einwohner des Landes gewährleistet wird. 53 3 Umwelt Franziska Duge 3.1 Umweltsituation in Syrien Die geographischen Gegebenheiten in Syrien und somit die Umwelt sind, wie in Teil 1 beschrieben, vielfältig und bedürfen daher unterschiedlichen Betrachtungs- und Herangehensweisen. Die verschiedenen Regionen bieten für den Menschen sowohl Voraussetzungen für die Landwirtschaft, als auch für die Viehwirtschaft. Dazu gibt es ein reichliches Ressourcenaufkommen von Erdöl und Erdgas (6_Deutscher Naturschutzring 2010). Gleichzeitig wächst die inländische Tourismusbranche und touristische Infrastruktur. Der Tourismus stützt sich auf das große landschaftliche, historische und kulturelle Potenzial Syriens. Der schnell expandierende Sektor bietet zahlreiche Perspektiven für die Zukunft, wenn nachhaltig damit umgegangen wird. Ein an die Umwelt angepasstes Wirtschaften der Bevölkerung ist nämlich in Syrien größten Teils nicht vorausgesetzt. Die Kultur und Lebensweisen in Syrien waren geschichtlich stets im Wandel. Das Stadtleben ist genauso landestypisch wie das Leben der Beduinen in der Wüste. Heute gibt es durch nationale und globale Vernetzungen einige übergreifende Phänomene in der Umwelt. Dies sind Umweltprobleme, welche vor allem in Städten auftreten und aus dem wachsenden Wohlstand und der Verwestlichung der Kultur und Lebensweise resultieren. In und um Damaskus leben heute ca. fünf Millionen Menschen (14_Luley 2010). Die Zahl der Autos hat sich in den letzten fünf Jahren in Syrien verdreifacht. Mit dem steigenden Lebensstandard ist es auch aus Prestigegründen für z. B. Familien wichtig, mindestens ein Auto zu besitzen. Die Infrastruktur ist für die heutigen Umstände unzureichend. Es gibt mehrere 10.000 Kleinbusse in Damaskus, die schon seit längerer Zeit von größeren, moderneren Bussen abgelöst werden sollen. Die Luftverschmutzung nimmt als Hauptproblem rapide zu (1_Abdullah 2010). 3.2 Umweltprobleme Die Umweltprobleme in Syrien haben sowohl natürlich klimatische als auch menschlich verursachte Gründe. Zu den Problemfeldern gehört die Luftverschmutzung, vor allem in Form von Smog über den Städten (13_Carter 2008). Darüber hinaus ist, wie in Teil 2 erwähnt, die Wasserverschmutzung ein Problem, verursacht vor allem durch Industrie- und Haushaltsmüll. Weitere Problematiken sind die Desertifikation, Krankheiten durch Luft- und 54 Wasserverschmutzung (Cholera, Typhus, Diarrhöe), Erosionen durch Wind und Wasser, verminderte Biodiversität, Waldrückgang, verminderte Artenvielfalt und Überfischung. Das bedeutendste Umweltproblem in Syrien, die Luftverschmutzung, wird insbesondere durch Verkehr, offene Feuer und unkontrollierte Mülldeponien hervorgerufen. Erosionen existieren nach Meinung des Dekans für Architektur an der Yarmouk Private University (YPU) nicht (1_Abdullah 2010). Dies wurde jedoch auf der Exkursion nach Syrien, während des Ausfluges auf den Hausberg in Damaskus, revidiert. Die Erosionen, welche dort in der Nähe der informellen Wohnviertel entstehen, sollen durch Tonnenbepflanzung (siehe Abb. 8) vermieden und behoben werden. Abbildung 8 Tonnen als Befestigung gegen Erosionen am Hausberg in Damaskus (Quelle: eigene Aufnahme). Der Vortrag zu Umweltproblematiken am 08. März 2010 an der YPU war demnach Diskussionsthema. Es wurden einige Ideen genannt, wie mit den Problemen umgegangen werden kann. Diese sollen im Folgenden besonders für die Luftverschmutzung in Damaskus erläutert und ausgeführt werden. 3.2.1 Luftverschmutzung in Damaskus Damaskus weist eine der stärksten Luftverschmutzungen im östlichen Mittelmeerraum auf (10_GTZ 2010). Der Hauptverursacher für die Luftverschmutzung im Großraum Damaskus ist der Straßenverkehr mit hohen Immissionen. Besonders stark treten diese an den Verkehrsknotenpunkten, wie den sieben Stadttoren auf. Zur Rush Hour staut sich der Verkehr aufgrund der unzureichenden Infrastruktur mit schlecht geplanten Straßenführungen und einem Mangel an Leitsystemen. So steht an vielen Kreuzungen und Gabelungen Polizei, die den Verkehr notgedrungen regelt. Besonders zu Zeiten der Rushhour ist die Lärm- und 55 Luftbelastung kritisch. Es kommt vor, dass der Verkehr auf Umwege geleitet wird, um Entlastungen zu erreichen. Dadurch legen die Fahrzeuge längere Wege zurück und es kommt zu höheren Verbauchs- und Belastungswerten. Fährt man auf der einen Seite in einen Kreisverkehr hinein, so bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass man auf der anderen Seite normal hinausfahren kann. Diese Beobachtungen lassen sich, wie auf der Exkursion am 08. März 2010, beispielhaft am Stadttor Bab Touma beobachten. Dort legt man eine ca. zwei km lange Strecke über zwei weitere Kreisverkehre zurück, um von der einen Seite des Kreisverkehres auf die andere zu gelangen. Die Belastungsstoffe, die dabei ausgestoßen werden, sind zahlreich. Es handelt sich hierbei um Sulphur-Dioxid, Nitrogen-Monoxid, NitrogenDioxid, Carbon-Monoxid und sonstige frei schwebende Partikel. Diese Daten gehen aus Messungen des Umweltministeriums in Damaskus mit 15 Luftmessposten seit dem Jahr 1997 hervor (10_GTZ 2010). Abbildung 9 Luftmessposten auf der sehr befahrenen An Nasr Ave vor dem Justizpalast in Damaskus (Quelle: eigene Aufnahme). Abbildung 10 An Nasr Ave - zwischen alter Hijaz Bahnstation und Zitadelle (Quelle: eigene Aufnahme). 56 Die Anzahl von Luftmessposten ist allerdings im Vergleich zu z. B. Berlin mit einer ähnlich hohen Einwohneranzahl von 3,2 Mio. (Damaskus um die 3 Mio.) und 600 Messstationen sehr gering. Durch die Mobilität der Posten wird jedoch versucht, mit relativ geringen Mitteln möglichst aussagekräftige Messungen durchzuführen. So lässt sich festhalten, dass die Konzentration von Schadstoffpartikeln in einigen Zonen dreifach über dem deutschen Grenzwert liegt, obwohl 14-mal weniger Fahrzeuge in Damaskus als z. B. in Berlin fahren. Die Fahrzeugdichte ist im Vergleich zu anderen europäischen Städten nicht sehr hoch, der gesamte Benzinverbrauch ist aber auf einem ähnlichen Niveau. Es lässt sich schlussfolgern, dass die Fahrzeuge und der Treibstoff vergleichsweise ineffizient sind und hohe Verbrauchswerte aufweisen. Insbesondere die Dieselqualität ist gering, was sich in Anbetracht der vielen Dieselfahrzeuge in Damaskus negativ auswirkt. Besonders ausschlaggebend sind die kleinen Busse, die überall auf den Straßen zu sehen sind und das öffentliche Hauptverkehrsmittel darstellen. Diese Fahrzeuge werden nicht ohne Grund als „Dreckschleudern“ und „Treibstofffresser“ bezeichnet. Sie besitzen keine Katalysatoren und so kann auch nicht die oftmals mühsame und liebevolle Dekoration der Betreiber von den Auswirkungen ablenken. Im Jahr 2003 gab es 17.000 private Kleinbusse in Damaskus (10_GTZ 2010, 19f.). Diese Zahl steigt jährlich um 25 %, was bedeutet, dass in diesem Jahr nahezu 80.000 Kleinbusse auf Damaskus Straßen verkehren. Abbildung 11 Busstation an der Präsidentenbrücke (Quelle: eigene Aufnahme 2010). Es sind jedoch nicht nur die Kleinbusse zu nennen. Ebenso gibt es zahlreiche Taxen und Privatfahrzeuge, welche niedrige Standards aufweisen. Viele Fahrzeuge wirken sehr heruntergekommen und besitzen kaum Sicherheitsvorkehrungen. Wenn man mit dem Taxi in Damaskus verkehrt, kommt es oft vor, dass es unter anderem keine Sicherheitsgurte gibt und 57 die Fenster nicht hochzukurbeln sind. Der Gestank und die Abgase von den Straßen sammeln sich im Fahrzeuginnenraum. Viele private Fahrzeuge sind aus dem Westen importiert. So ist Syrien für Fans von Oldtimern ein geeignetes Reiseziel. Dies bedeutet allerdings auch, dass die Fahrzeuge unseren Standards, wie z. B. TÜV, nicht genügen oder deren Betriebskosten in unseren Gefilden unökonomisch hoch wären. Der motorisierte Individualverkehr (MIV) ist somit neben dem Busnetz ein modernisierbares Feld. Abbildung 12 Autoschrotthandel am nordöstlichen Autobahnkreuz von Damaskus (Quelle: eigene Aufnahme 2010). Der Autoschrotthandel ist im Nordosten Damaskus sehr verbreitet. Es gibt dort eine weitläufige Straßenmeile mit Autohandelsgeschäften (siehe Abb. 12). Es finden sich jegliche Einzelteile von Autos aus den verschiedensten Epochen für verschiedenste Automodelle. Sehr verbreitet sind auch hier Kleinbusse und deren Ersatzteile. Neben dem Problem des Verkehrs tragen Immissionen durch das Heizen mit Dieselöfen zu der Luftverschmutzung bei (10_GTZ 2010). Dieselöfen bieten durch die günstigen Dieselpreise eine günstige Heizmöglichkeit für die Damaszener, weshalb sie sehr beliebt sind. Es gibt nicht viele Alternativen, so kommt es darüber hinaus dazu, dass mit elektrischen Öfen geheizt wird. Abbildung 13 Elektronische Heizung im alten Damaszener Wohnhaus (Quelle: eigene Aufnahme 2010). 58 Diese Art der Wärmeerzeugung gehört zu den ineffizientesten, da große Mengen an Strom benötigt werden. Der Strom wird, genauso wie Wasser oder Mehl vom Staat subventioniert, weshalb die hohen Verbrauchswerte für die Anwohner unwichtig sind. Die vergleichsweise umfangreichen Subventionen, auch in den Bereichen des Verkehrs und der Müllentsorgung, sind kritisch und erfordern ein Umdenken (6_Deutscher Naturschutzring 2010). Abbildung 14 Smog unter der Inversionsschicht über Damaskus (Quelle: eigene Aufnahme). Der Smog, welcher durch die beschriebenen Faktoren unvermeidlich entsteht, sammelt sich über der Stadt und lagert sich, wie unter Punkt 1.2.1 beschrieben, unter einer Inversionsschicht an (siehe Abb. 14). Der Smog nach dem Los Angeles-Typ ist durch eine hohe Sonneneinstrahlung, v. a. im Sommer mit photochemischer Sekundärschadbildung (Ozon), besonders gesundheitsschädlich (15_Pez 2009). Die von der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) beauftragten Luftmessungen sind daher erforderlich, um aussagekräftige Daten an die politisch Verantwortlichen in Syrien auszuhändigen. Umweltentscheidungen sollen verantwortungsbewusster getroffen werden. Das Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum erhöht die Umweltprobleme und den Handlungsdruck. 3.2.2 Lösungsansätze, Stellschrauben und Hindernisse Die Maßnahmen zur Verdeutlichung der Umweltproblematiken zeigen bereits ihre ersten Auswirkungen. Bis zum Jahr 2011 stellt Syrien beispielsweise Investitionen im Wert von 1.48 Milliarden US-Dollar, um Wind- und Solarenergie zu fördern (18_Syrian Agriculture 2010). Diese erneuerbaren Energien sollen das Land 2011 mit einem Anteil von 4 % des 59 Gesamtverbrauchs versorgen. Es sollen 7225 neue Arbeitsplätze entstehen. Denselben Anteil an Energie hätte man in Syrien zwar mit Energie aus konventionellen Ressourcen, wie Öl zu einem wesentlich geringeren Herstellungspreis erhalten können. Allerdings rentieren sich die erneuerbaren Energien auf lange Sicht, da sie geringe Betriebskosten aufweisen. Außerdem bietet die hohe Anzahl der Sonnenstunden in Syrien ideale Voraussetzungen. Der Stromverbauch der Syrer lag im Jahr 1999 mit 863 Kilowattstunden pro Person deutlich niedriger als der Durchschnitt der arabischen Länder mit 1.303 Kilowattstunden pro Person und den einkommensstarken Ländern der Erde mit 8.431 Kilowattstunden pro Person. Die Luftverschmutzung hat sowohl für den Menschen als auch für die Natur und die historischen Bauten in den alten syrischen Städten Folgen. Die Problematik ist allerdings nicht so einfach anzugehen, wie es bei der Problembeschreibung erscheinen mag. Während der Vorträge am 08. März 2010 an der YPU gab es bereits Vorschläge, wie z. B. das Verbot von MIV in der Altstadt Damaskus. Die syrischen Studenten hielten dies für eine sinnvolle Maßnahme. Sie verwiesen jedoch auf die Regierung, welche oftmals solchen Prozessen ein Hindernis zu sein scheint. Fortschritte im Feld der Entwicklungszusammenarbeit sind daher hoch anzurechnen, wenn man bedenkt, was für Wege für einen Erfolg beschritten werden müssen. Dazu ist Rücksicht darauf zu nehmen, dass Syrien sich in einem Entwicklungsstadium befindet, welches umweltschonende Prozesse besonders erschwert. Wie aus Abbildung 15 schematisch zu erkennen ist, entwickelt sich die Umweltbelastung abhängig von dem Grad des Wohlstandes in einem Land. Dabei sind im idealtypischen Fall, eines kontinuierlich wachsenden Wohlstandes, zwei ausschlaggebende Wendepunkte zu beachten. Der erste Wendepunkt leitet den Steigungsrückgang von umweltbelastenden Faktoren ein. Am zweiten Wendepunkt hat ein Land einen so großen Wohlstand erreicht, dass ein weiteres Wirtschaftswachstum eine schonende Wirkung auf die Umwelt hat (3_Braun 2010). Dies ist durch die Entwicklung von Technologien und der Schwerpunktverlagerung in den Wirtschaftssektoren zu erklären. Ein erhöhter Wohlstand bedeutet, dass ein Land vermehrt Wert auf Innovationen legt. Umweltschutzmaßnahmen sind dabei auch als Luxus zu betrachten, da diese nur mit einem hohen Volkseinkommen finanzierbar sind. 60 Abbildung 15 Verhältnis von Wirtschaftswachstum und Umweltbelastung (Quelle: 3_Braun 2010.) Syrien ist in diesem Kontext vor dem ersten Wendepunkt einzuordnen. Dies ist exemplarisch am Faktor des MIV zu beobachten. Der Anstieg der Autoanschaffungen (wie unter Punkt 3.1 erläutert) deutet darauf hin, dass es einen Anstieg des Wohlstandes gibt und dieser zu einem erhöhten Anstieg der Umweltbelastungen führt, wie sich in den Städten beobachten lässt. Aus diesem Grund sind Entwicklungsorganisationen wie die GTZ darum bemüht, durch Verkehrsmanagement eine Verkehrsberuhigung, eine Reduzierung des MIV, nachhaltige Förderung des Öffentlichen Personalverkehrs (ÖPNV) und Sicherheit für Fußgänger zu erreichen (9_GTZ 2006). Neben dem Schonen der Umwelt soll auch die Lebens- und Wohnqualität in einer Stadt verbessert werden. Eine bessere Luft und weniger Verkehr bedeuten z. B. ebenso eine geringere Lärmbelastung und die Bereitstellung von Parkmöglichkeiten und deren Erreichbarkeit. Dies wird insbesondere gemeinsam mit den Einwohnern versucht umzusetzen. Kampagnen für Sauberkeit und Umweltbewusstsein, Müllsammeln und das Pflanzen von Bäumen auf Innenhöfen und öffentlichen Plätzen führt zur Bewusstseinssteigerung, indem die angenehmen Vorzüge von Umweltfreundlichkeit vermittelt werden. Diese Art der nachhaltigen Stadtentwicklung hat in Aleppo dazu geführt, dass innerhalb von zehn Jahren, von 1995 bis 2005 die Zahl der Altstadtbewohner um 15.000 Einwohner gewachsen ist (12_GTZ 2010). Zuvor hatte die Stadt zwischen 1945 und 1995 durch den Zerfall der Altstadt 50 % der Einwohner eingebüßt. Mittels eines soziokulturellen Ansatzes, eingebettet in ein Sanierungs- und Entwicklungskonzept, konnte die Stadt wiederbelebt werden (11_GTZ 2010). Dies gelang mit Hilfe von Kleinkrediten und kostenloser technischer Beratung für Anwohner. In Damaskus wurde dieses Projekt ebenfalls übernommen. Frau 61 Kahlmeyer berichtete am 05. März 2010 im Büro der GTZ in Damaskus, dass es eine Beratungsstelle gibt, in der man sich bemüht, eine möglichst breite Masse von Altstadtanwohnern anzusprechen. Dabei geht es im Weiteren darum, dass die alte Stadt aufgrund der Abwanderung der Wohlhabenden verfällt. Die reiche Bevölkerung siedelt sich um die Stadt herum in modernen Wohnungen an, während die ärmere Bevölkerung sich dies nicht leisten kann und in der Altstadt verharrt. Vergleicht man die Bevölkerung der Altstadt mit der außerhalb, so fällt dieser Unterschied deutlich auf. In der Altstadt fehlen dementsprechend die Gelder der Anwohner, um den eigenen Besitz in Stand zu halten. Dies gilt natürlich ebenso für die Infrastruktur, welche für die Schonung der Ressourcen, vor allem des Wasser, von hoher Relevanz ist. Viele Wasserleitungen sind aus monetärem Mangel an vielen Stellen nicht dicht, wodurch diese kostbare Ressource unnötig vergeudet wird. Weitere Möglichkeiten zum Umweltschutz bieten die Einführung eines Grenzwertkataloges, die Verbesserung des öffentlichen Verkehrssystems, alternative Heizmöglichkeiten und ein strengeres Vorgehen gegen die Verursacher von Schadstoffen (10_GTZ 2010). Wie unter Punkt 3.2.1 beschrieben, ist der Verkehr für die Reduzierung der Luftverschmutzung eine Hauptstellschraube. Neben Fahrzeugprüfungen in puncto Immissionen und in Bezug zur Fahrzeugsicherheit, stellen hier die Kleinbusse einen besonders kritischen Punkt dar, da sie die Einkommensquelle vieler Damaszener Familien sind. Ein Kleinbus wird durchschnittlich von drei Familien an 24 Stunden, sieben Tage die Woche betrieben. Bei der Anzahl von Kleinbussen lässt sich überschlagen wie viele Familien an dieses Geschäft gebunden sind. Aus diesem Grund müssen sowohl Alternativen für den Transport (bzw. dessen Verbesserung), als auch für die Beschäftigung der Busfahrer gefunden werden. Da die Kleinbusse sehr populär sind und das bevorzugte Transportmittel darstellen, erscheint es sinnvoll, das Kleinbussystem auszubessern. Dies würde bedeuten, dass die Busse mit Katalysatoren ausgestattet werden müssten und dass Busse mit zu hohen Kraftstoffverbrauchswerten aus dem Geschäft gezogen und ersetzt werden sollten. Ein möglichst geringer Verbrauch ist anzustreben, solange es noch keine Alternativen in Form von einem Bahnnetz gibt. Die Variante von Elektrobussen ist auch außer Betracht zu lassen, da der Technologie- und Entwicklungsstand dies realistisch noch nicht zulässt. Darüber hinaus gibt es noch nicht genügend erneuerbare Energien in Syrien, sodass dies sinnvoll wäre. Dieses Thema schließt sogleich an alternative Heizmöglichkeiten an, welche mit Solarenergie zu erschwinglichen Preisen bereitgestellt werden müsste. Die klimatischen Voraussetzungen in Syrien sprechen besonders für diese Variante. Allerdings ist es zu beachten, dass Photovoltaikanlagen auf vielen Dächern aus statischen Gründen nicht installierbar sind. Die alten Gebäude sind ungeeignet, wodurch sich die Option von 62 Photovoltaikanlagen in integrierter Bauweise auf moderne Viertel beschränkt. Auf Freiflächen (westliche Wüste) könnte jedoch genügend Energie erzeugt werden, um auch die alten Städte mit Energie zu versorgen. Das oben erwähnte Projekt mit hohen Investitionen lässt auf eine Zukunft in diesem Sektor hoffen. Genauso gibt es gute Voraussetzungen für Windenergie, die noch nicht ausreichend genutzt werden (6_Deutscher Naturschutzring 2010). Die Wasserenergie ist hingegen mit dem Assad-Staudamm vergleichsweise weit vorangeschritten (17_Spiegel 1996). Allerdings kommt es in diesem Sektor aufgrund der Wasserkonflikte, wie in Teil 2 beschrieben, zu Stromausfällen und Komplikationen. Aufgrund der bereits erwähnten Wasserproblematiken erscheint es sinnvoller, in andere Bereiche der erneuerbaren Energien einzusteigen. 3.3 Abschließende Bemerkung Die von der Regierung eingeleiteten Umweltschutzmaßnahmen zeigen bis jetzt noch nicht ihre gewünschten Auswirkungen. Die Bemühungen der Regierung sind nicht ausreichend, um den Problemen entgegenzuwirken. Die Bevölkerung hat jedoch stark unter den Umweltbelastungen zu leiden, für welche sie zu großen Teilen auch selbst verantwortlich ist. Aus diesem Grund erscheint es sinnvoll, auf die Bevölkerung zu setzen. Durch einen Bewusstseinswandel hin zum verantwortlichen Umgang mit Ressourcen und der Umwelt könnten wesentliche Einsparungen erreicht werden, die dem gesamten Land zu Gute kommen würden. Syrien verfügt über zahlreiche Ressourcen und Möglichkeiten, welche effektiver genutzt werden könnten. Aus diesem Grund erscheinen, in Bezug auf Entwicklungszusammenarbeit, besonders Projekte mit einem direkten Bezug zur Bevölkerung überzeugend. Die Umweltsituation in Syrien muss und wird sich verändern. Mit einem weiter ansteigenden Wohlstand wird auch der Anstieg der Umweltbelastungen, nach dem Erreichen des ersten Wendepunktes (siehe Abb. 15), zurückgehen. Die Frage und daraus resultierende Aufgabe ist es, wie schnell dies geschehen wird und dass auf dem Weg dorthin nachhaltige Schäden an der Umwelt möglichst zahlreich vermieden werden. 63 4 Literaturverzeichnis / Quellenangaben 1. Abdullah, M. (Dekan der Architektur Fakultät der Yarmouk Private University): Gespräch am 08.03.2010, Damaskus. 2. Auswärtiges Amt: 2008, Syrien, http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laenderinformationen/01 Laender/Syrien.html, Stand: 03.01.2010. 3. Braun, B.: 2010, Welthandel und Umwelt: Konzepte, Befunde und Probleme. In: Geographische Rundschau 62 (4), 4 – 11. 4. Brunswig-Ibrahim, M.: 2009, Syrien, 3. Aufl., Reise Know-How Verlag, Bielefeld. 5. Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): 2006, Zur Rolle der Ressource Wasser in Konflikten, http://www1.bpb.de/themen/X80AUV,1,0,Zur_Rolle_der_Ressource_ Wasser_in_Konflikten.html (abgerufen am 07.01.2010). 6. Carter, T. u. a.: 2008, Syria and Lebanon, Lonely Planet, Hong Kong. 7. CIA: The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/fields/2177. html (Stand 10.04.2010). 8. Deutscher Entwicklungsdienst (Hrsg.): Der DED in Syrien, http://syrien.ded.de/cipp/ded/custom/pub/ content,lang ,1/oid,12772/ticket,g_u_e_s_t/~/DED_Engagement.html (abgerufen am 08.01.2010). 9. Deutscher Naturschutzring (Hrsg.): 2010, Nachhaltigkeit im Morgenland, http://www.dnr.de/publikationen/ umak/artikel.php?id=110 (Stand 12.04.2010). 10. Westermann (Hrsg.): 2000, Diercke Weltatlas, Westermann Schulbuchverlag GmbH, Braunschweig. 11. Gresh, A. : 2009, Syriens Schlüsselrolle im Nahen Osten, In: Gresh, A. u. a. (Hrsg.), LE MONDE diplomatique – Atlas der Globalisierung, taz Verlags- und Vertriebs GmbH, Berlin, 188-189. 12. GTZ (Hrsg.): 2006, The Rehabilitation of the Old City of Aleppo. Urban Development in a World Cultural Heritage Site, Aleppo. 13. GTZ (Hrsg.): 2010, Mess-Labors auf Streife (Luftverschmutzung http://www2.gtz.de/dokumente/AKZ/deu/AKZ_2003_1/syrien.pdf (Stand 04.02.2010). 14. GTZ (Hrsg.): 2010, Nachhaltige Stadtentwicklung, osten/syrien/26048.htm (Stand 04.02.2010). in Damaskus), http://www.gtz.de/de/weltweit/maghreb-naher- 15. GTZ (Hrsg.): 2010, Rehabilitierung der Altstadt von Aleppo, http://www.gtz.de/de/praxis/8234.htm (Stand 12.04.2010). 16. Carter, T. u. a.: 2008, Syria and Lebanon, Lonely Planet, Hong Kong. 17. Luley, B. (Leiter des Goethe Institut): Gespräch am 10.03.2010, Damaskus. 18. Pez, P.: 2010, Vorlesung Klima & Wetter im WS 2009/2010. Lüneburg. 64 19. Scheck, F. 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Eger Gliederung 1 Einleitung 66 2 Rahmenbedingungen 67 3 Bilaterale Beziehungen 68 4 3.1 Politische Beziehungen 68 3.2 Wirtschaftliche Beziehungen 69 3.3 Entwicklungszusammenarbeit 69 3.4 Kulturaustausch 70 Probleme 71 4.1 Israel 71 4.2 Rüstung/Internationale Abkommen 72 4.3 Hisbollah 73 4.4 Hamas 74 5 Fazit 75 6 Literaturverzeichnis / Quellenangaben 76 1 Einleitung Syrien ist weltpolitisch nicht unumstritten. Immer wieder wird das Land im Kontext der „Achse des Bösen“ in einem Atemzug mit den Ländern Iran und Nordkorea genannt. Doch wie kommt die internationale Öffentlichkeit zu solch einer Einschätzung? Was sind die Ursachen? Mit diesen Fragen möchte ich mich in meinem Referat beschäftigen und gleichzeitig die Sicht der deutschen Bundesregierung darstellen und daraus folgend die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland diesem Land gegenüber. Ziel des Referates ist nicht eine 66 Wertung abzugeben und Partei zu ergreifen und etwaiges Handeln von Staaten zu verurteilen, sondern es dient lediglich der nüchternen Aufzählung beziehungsweise Darstellung der Rahmenbedingungen und Fakten. 2 Rahmenbedingungen Die Hauptstadt der Präsidialrepublik Syrien ist Damaskus, die nach Aleppo zweitgrößte Stadt. Syrien ist seit dem 17.04.1946 von Frankreich unabhängig. Das Staatsoberhaupt der etwas über 20 Millionen Syrer ist Baschar al-Assad, der ebenfalls der Einheitspartei vorsteht. Zum Vergleich: Deutschland ist eine parlamentarische Bundesrepublik und hat über 81,8 Millionen Einwohner. Abbildung 1 Nationalflagge Syrien, Quelle: Auswärtiges Amt Das Land ist sehr dünn besiedelt: mit 109 Einwohner pro Quadratkilometer hat Syrien nicht einmal halb so viele Einwohner wie Deutschland mit 230 Einwohnern (03_Auswärtiges Amt, 2010). Syrien steht mit einem Bruttoinlandsprodukt von 2.757 US$ an Platz 112, während Deutschland mit 39.979 US$ den 18. Platz belegt. Der weltweite Durchschnitt liegt bei 8.302 US$, wobei dieser bei ökonomisch entwickelten Staaten bei 38.067 US$ liegt und bei ökonomisch sich entwickelnden Staaten liegt der Durschnitt bei 2.688 US$. Die Weltrangliste wird von Luxemburg mit 102.145 US$ angeführt, gefolgt von der Schweiz mit 54.936 US$ auf dem 6. Rang, die Vereinigten Staaten liegen mit 44.594 US$ auf dem 12. Rang. Das Schlusslicht bildet Burundi mit 110 US$. Syrien lässt sich daher den ökonomisch sich entwickelnden Staaten zuordnen, nimmt unter diesen jedoch einen überdurchschnittlichen Platz ein (01_International Monetary Fund, 2010). 67 Deutlich aussagekräftiger ist jedoch der Human Development Index (HDI). Er berücksichtigt neben dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Einwohner eines Landes (Kaufkraftparität) die unterschiedlichen Lebenshaltungskosten, ebenso die Lebenserwartung, den Bildungsgrad mit Hilfe der Alphabetisierungsrate und der Einschulungsrate der Bevölkerung. Der Faktor Lebenserwartung gilt als Indikator für Gesundheitsfürsorge, Ernährung und Hygiene; das Bildungsniveau steht, ebenso wie das Einkommen, für erworbene Kenntnisse, sowie Zukunftsfähigkeit und die Teilhabe am öffentlichen und politischen Leben für einen angemessenen Lebensstandard. Der HDI wird seit 1990 jährlich in Human Development Report des UNDP veröffentlicht. Ein HDI größer gleich 0,9 steht für Länder mit sehr hoher menschlicher Entwicklung; hohe menschliche Entwicklung wird bei einem Index größer gleich 0,8 assistiert, während man zwischen 0,5 und 0,8 noch von mittlerer Entwicklung spricht, haben Länder kleiner 0,5 eine nur geringe Entwicklung. Deutschland hat mit einem Index von 0,947 einen 22. Rang, während Syrien mit einem HDI von 0,726 einen 108. Rang belegt. Vergleicht man dies mit dem 112. Rang beim BIP, so haben die zusätzlichen Faktoren einen leicht positiven Einfluss auf das Ranking (02_UNDPHomepage, 2010). 3 Bilaterale Beziehungen Die politische Situation Syriens ist seit Jahren trotz des anhaltenden außenpolitischen Drucks weitgehend stabil. Seit 2000 befindet sich Präsident Bashar Al-Assad im Amt, der als großer Hoffnungsträger gilt, Syrien an die Anforderungen des 21. Jahrhunderts anzupassen. Zwar ist die syrische Wirtschaft bislang noch sozialistisch orientiert, doch zeigen die ergriffenen Maßnahmen zur Reform und Öffnung mit dem Ziel einer sozialen Marktwirtschaft immer mehr Ergebnisse. Er öffnete das Land, ließ Zugang zum Internet zu und versucht das Land nicht mit so harter Hand zu regieren wie sein Vater. 3.1 Politische Beziehungen Das Auswärtige Amt bezeichnet die bilateralen Beziehungen zu Syrien als traditionell eng und freundschaftlich. Seit dem Besuch von Außenminister Steinmeier im Dezember 2006, der syrischen Teilnahme am Nahosttreffen in Annapolis im November 2007 und der Teilnahme von Präsident Assad am Gipfel der Mittelmeerunion im Juli 2008 in Paris hat sich die Zusammenarbeit mit westlichen 68 Staaten intensiviert. Die hohe Wertschätzung guter Beziehungen zu Deutschland wird in der syrischen Politik deutlich. Für die deutsche Entwicklungspolitische Zusammenarbeit ist Syrien seit 2002 Partnerland. Der syrische Vizepremier für Wirtschaftsfragen und Reformen Abdullah Dardari wurde im Februar 2007 und im Juni 2009 in Berlin empfangen. Seitens der Bundesregierung besuchten immer wieder Bundesminister Syrien. Das Land wird zudem regelmäßig von Delegationen aus Bundesländern sowie von Mitgliedern des deutschen Bundestags bereist (05_Auswärtiges Amt, 2010). 3.2 Wirtschaftliche Beziehungen Im Jahr 2008 exportierte Deutschland Waren im Wert von 688 Millionen Euro nach Syrien und importierte aus Syrien Waren für über 1.239 Millionen Euro. Deutschland ist für Syrien eines der wichtigsten Lieferländer für elektrotechnische Erzeugnisse, Maschinen, chemische Produkte und Kraftfahrzeuge. Bei den deutschen Einfuhren aus Syrien spielt Erdöl nach wie vor eine wichtige Rolle. Daraus resultiert auch der Handelsbilanzüberschuss für Syrien von circa 550 Millionen Euro in 2008 (05_Auswärtiges Amt, 2010). Deutschland exportierte 2008 Waren im Wert von 985 Milliarden Euro und importierte im selben Jahr Waren im Wert von 805 Milliarden Euro (04_Deutsche Bundesbank, 2010). Setzt man die Handelszahlen mit Syrien ins Verhältnis zur gesamten Leistungsbilanz der Bundesrepublik Deutschland, so wird deutlich, dass Syrien im Handel mit Deutschland eine eher untergeordnete Rolle spielt. 3.3 Entwicklungszusammenarbeit Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit mit Syrien wurde seit 2001 stetig ausgebaut. Von 1992 bis 2000 hatte es wegen ungeregelter Schulden Syriens keine Regierungsverhandlungen über die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit und auch keine Neuzusagen mehr gegeben. Nach der Lösung der Altschuldenproblematik wurde 2001 die Zusammenarbeit mit Deutschland Wassersektor; wieder aber aufgenommen. Entwicklungspolitisch auch Bereichen in den liegt der Wirtschaftsreformen, Schwerpunkt im Hochschulbildung, Stadtentwicklung und erneuerbare Energien ist Deutschland aktiv. Zu nennen ist hier die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ), die im Auftrag verschiedener Bundesministerien berät. Inzwischen beraten in diesen Feldern rund 50 deutsche Langzeitexperten syrische Ministerien und andere Institutionen(05_Auswärtiges Amt, 2010). 69 3.4 Kulturaustausch Grundlage für die kulturelle Zusammenarbeit ist das 1959 mit der damaligen Vereinigten Arabischen Republik (Ägypten und Syrien) abgeschlossene Kulturabkommen. Neben der Förderung der deutschen Sprache, der archäologischen Zusammenarbeit und dem klassischen Kulturaustausch (Konzerte, Ausstellungen, Podiumsdiskussionen) stellt die Hochschulkooperation den Schwerpunkt der bilateralen Kulturbeziehungen. Es gibt in Syrien mehr als 1000 Syrer, die über einen deutschen Universitätsabschluss verfügen. Das Interesse an einem intensiven Wissenschaftsaustausch ist groß. Das 1979 wiedereröffnete Goethe-Institut behauptet dank reichhaltiger und vielfältiger Aktivitäten einen festen Platz im Damaszener Kulturleben. Die Nachfrage nach deutschem Sprachunterricht steigt ständig. Derzeit nutzen auch viele irakische Staatsangehörige, die sich in Syrien aufhalten, das Angebot des Goethe-Instituts. An syrischen Schulen wird kein Deutsch unterrichtet. Es verfügen jedoch alle staatlichen Universitäten Syriens über ein Deutschkursangebot. An den Universitäten von Damaskus und Aleppo sind Sprachlektoren des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) tätig. Im Herbst 2006 wurde mit Hilfe des DAAD an der Damaskus-Universität eine Deutschabteilung eröffnet. Deren Absolventen steht der regionale Master-Studiengang in Deutsch als Fremdsprache an der German Jordanian University offen. Im Juni 2008 hat Syrien zudem ein Regierungsstipendiatenabkommen unterzeichnet, in dessen Rahmen der DAAD zunächst für die kommenden fünf Jahre bis zu 60 syrische Regierungsstipendien pro Jahr betreut, die an syrische Master-, Promotions- und Medizinstudenten für ein Studium bzw. eine Facharztausbildung in Deutschland vergeben werden. Die archäologische Zusammenarbeit zwischen Syrien und Deutschland kann auf eine lange und erfolgreiche Geschichte zurückblicken. Seit 1980 gibt es in Damaskus eine Außenstelle der Orientabteilung des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI). Neben dem DAI sind auch zahlreiche deutsche Universitäten in Syrien archäologisch aktiv: So hat die Universität Tübingen bei Grabungen, die mit finanzieller Unterstützung des Auswärtigen Amtes im Königspalast von Qatna/Tel Mishrifeh bei Homs durchgeführt wurden, ein unberührtes Königsgrab mit bedeutenden Grabbeigaben entdeckt. Die Funde bilden den Höhepunkt der Großen Landesausstellung „Schätze des Alten Syrien – Die Entdeckung des Königreichs Qatna“, die vom 17. Oktober 2009 bis 14. März 2010 im Landesmuseum Württemberg in Stuttgart zu sehen ist (05_Auswärtiges Amt, 2010). 70 4 Probleme Zuvor stellte ich die positiven Seiten der deutsch-syrischen Zusammenarbeit dar. Jedoch ist nicht alles so positiv, wie es das Auswärtige Amt auf den ersten Blick darstellt. Betrachtet man Regierungserklärungen oder den Abrüstungsbericht, so stellt sich das Bild Syriens aus einem anderen Blickwinkel dar. Im Folgenden werde ich kurz den Konflikt mit Israel darstellen und dann auf die Internationalen Abkommen eingehen. Die Organisationen Hisbollah und Hamas unterhalten in Damaskus Büros und werden von der syrischen Regierung unterstützt; diese werde ich ebenfalls kurz darstellen. 4.1 Israel Der Hauptkonflikt mit Israel sind die Golanhöhen, ein Hochland im südwestlichen Syrien, östlich des Sees Genezareth. Der Golan, fast 20 Jahre lang Ausgangspunkt syrischer Anschläge auf israelische Grenzdörfer, kam 1967 nach dem Sechstagekrieg unter israelische Verwaltung. Im 4. arabisch-israelischen Krieg 1973 war der Golan erneut umkämpft; nach dem Waffenstillstand und einem israelischen Teilrückzug wurden dort UNO-Truppen stationiert. Israel legte zahlreiche Siedlungen an. Die Vereinten Nationen verurteilten dies und forderten mit der UN-Resolution 497 vom 17.11.1981 die Rückgabe der Gebiete an Syrien (14_United Nations, 1981). Am 14. 12. 1981 erließ das israelische Parlament dennoch ein Gesetz, das den Golan der israelischen Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung unterstellte; dies kam einer Annexion gleich. Die Israelis ignorieren bis heute die Resolution 497 und argumentieren mit der strategischen Wichtigkeit dieses Gebietes für Israel aus militärischer beziehungsweise sicherheitspolitischer Sicht, sowie aus ökonomischer Sicht, hier geht es um den Zugang zum Wasser des Jordan und des Sees Genezareth. Der Konflikt um den Golan verhinderte bis 2000 einen israelischen Ausgleich mit Syrien im Rahmen einer Nahost-Friedensregelung. Abbildung 2, die Golanhöhen, Quelle: Der Spiegel 31/2007 71 Der Nachbar Israel hat die nicht unbegründete Angst einer atomaren Aufrüstung der Nachbarländer. Dies würde das Machtgefüge in der Region radikal verschieben, sogar die Existenz des Staates Israel gefährden. Israel griff daher die Anlage El Kibar im Nordosten Syriens im September 2007 an und zerstörte sie (09_Albright et al, 2008). In den USA wurde wiederholt der Verdacht geäußert, es könnte sich um eine geheime syrische Atomanlage gehandelt haben, die mit der Hilfe Nordkoreas errichtet worden sei. Syrien bestritt dies stets und erklärte, die Anlage werde militärisch nicht mehr genutzt (08_Klüver 2008). Dem entgegen steht ein Bericht zu vermuteten geheimen Nuklearaktivitäten in Syrien der Internationalen Atomenergie Organisation (IAEO), den der bisherige IAEO-Generaldirektor El Baradei Ende 2008 dem IAEO- Gouverneursrat erstmalig vorlegte. Dies wäre ein Verstoß gegen den nuklearen Nichtverbreitungsvertrag. Im Jahresabrüstungsbericht der Bundesregierung heißt es: „Syrien hat das Jahr 2009 nicht genutzt, um mit der IAEO umfassend zu kooperieren und diese Vorwürfe zu entkräften. Die Bundesregierung wird auch 2010 zusammen mit den europäischen Partnern mit Entschlossenheit darauf drängen, dass die unverzichtbaren Untersuchungen der IAEO in Syrien weitergeführt werden können (10_Jahresabrüstungsbericht 2009, S.8).“ 4.2 Rüstung/Internationale Abkommen Auch Syrien steht weiter im Verdacht, gegen den nuklearen Nichtverbreitungsvertrag verstoßen zu haben: Darin heißt es, dass „die IAEO Informationen erhalten habe, die vorgeben, dass die Einrichtung, die Israel in der Syrischen Arabischen Republik im September 2007 zerstört hat, ein Nuklearreaktor war.(10_Jahresabrüstungsbericht 2009, S.12).“ Ungeklärt ist ebenfalls die Herkunft von verarbeitetem Natururan an einen Forschungsreaktor in Damaskus. Daher legt die Bundesregierung als besonderen Schwerpunkt für das Jahr 2010 fest, eine „Aufklärung des Verdachts, dass Syrien mit dem Bau eines geheim gehaltenen Nuklearreaktors gegen seine Verpflichtungen aus dem nuklearen Nichtverbreitungsvertrages verstoßen hat (10_Jahresabrüstungsbericht 2009, S.13).“ Syrien verfügt über umfangreiche, jedoch wenig modern ausgerüstete Streitkräfte. Neben der reinen Landesverteidigung zählen die Absicherung der Souveränität des Regimes und der Erhalt der regionalen Machtposition zu den Hauptaufgaben der syrischen Streitkräfte. Geplant sind weniger Neubeschaffungen; vielmehr sollen vorhandene Waffensysteme mit Schwerpunkt Panzerabwehr modernisiert werden. Lediglich im Bereich der Luftverteidigung sollen Neubeschaffungen von Flugabwehrlenkflugkörpersystemen kürzerer bis mittlerer Reichweite 72 vorgesehen sein. Ziel aller Maßnahmen ist der Aufbau kleinerer, aber besser ausgerüsteter Streitkräfte. Diese werden sowohl weitaus beweglicher als auch zunehmend defensiv ausgerichtet sein. Angesichts eines begrenzten finanziellen Spielraums muss die syrische Rüstungspolitik Schwerpunkte setzen. Der Bedarf an Ersatzteilen ist hoch. Die Leistungsfähigkeit der eigenen Rüstungsindustrie zur Bedarfsdeckung ist unzureichend. Syrien verfolgt nach Meinung von Beobachtern ein fortgeschrittenes Chemiewaffenprogramm und ist in der Lage, „SCUD-B/C“Raketen zu produzieren. Der Besitz einsatzfähiger Chemiewaffen wird vielfach unterstellt. Im Bereich biologischer Waffen wird von Forschungsaktivitäten ausgegangen. Dies wäre ein Verstoß gegen das „Übereinkommen über das Verbot bakteriologischer (biologischer) Waffen und Toxinwaffen (BWÜ)“. Syrien ist diesem Übereinkommen Signatarstaat, das heißt, es hat den Vertrag zwar unterschrieben, aber noch nicht in nationales Recht umgesetzt (ratifiziert). Dieses Übereinkommen haben 163 Staaten ratifiziert, 13 sind nur Signatarstaaten und 19 sind Nicht-Vertragsstaaten. Da Syrien das Übereinkommen über das Verbot Chemischer Waffen (CWÜ) gar nicht unterschrieben hat, kann es dagegen auch nicht verstoßen, wird aber daher massiv kritisiert. Dieses Übereinkommen haben weltweit 188 Staaten ratifiziert; Israel und Myanmar haben es gezeichnet. Syrien ist als Nicht-Vertragsstaat in Gesellschaft der Staaten Ägypten, Angola, sowie Nordkorea und Somalia (10_Jahresabrüstungsbericht 2009). 4.3 Hisbollah Der Westen hat seine besonderen Probleme mit "Hisbollah": Von ihrer Ideologie und ihrem Verhalten her entspricht die Organisation dem Muster einer Terrororganisation und wird von den USA auch als solche eingestuft. Die EU weigert sich hingegen, dieser Ansicht zu folgen und argumentiert, dass Hisbollah eine legale Partei sei. Washington unterhält zwar Kontakte mit der libanesischen Regierung, aber nicht mit Ministern der "Hisbollah". Die Europäer sind unentschlossener, es mehren sich aber die Stimmen, dass man "Hisbollah" letztlich nicht ignorieren dürfe. Die Ereignisse im Gazastreifen, der Rechtsrutsch in Israel und das Ausbleiben von Fortschritten im Friedensprozess könnten durchaus dazu führen, dass die Front gegen Hamas bröckelt. 73 Abbildung 3 Flagge der Hisbollah, Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung In Deutschland werden Mitglieder der Hisbollah vom Verfassungsschutz beobachtet. Die Hisbollah wird im Verfassungsschutzbericht 2005 als islamistische Organisation geführt. Die USA, Großbritannien, sowie Kanada und Israel stufen die Hisbollah als Terrororganisation ein, während sie vom Iran, Syrien und Libanon als rechtmäßige Widerstandsorganisation angesehen wird (12_Philipp 2009). 4.4 Hamas "Hamas" (Abkürzung für "Harakat Al-Muqawama Al-Islamia" - "Islamische Widerstandsbewegung") wurde Ende 1987 bei Ausbruch der "Intifada" bekannt, als die Gruppe plötzlich im Gazastreifen und in der Westbank öffentlich auftrat und der weltlichen PLO das Terrain strittig machte. In Deutschland ist die Hamas, wie in vielen anderen Ländern, verboten. Die Mitgliedschaft in dieser Organisation ist in Deutschland ein Straftatbestand. Abbildung 4, Flagge der Hamas, Quelle: www.Flaggenfinder.de In der Arabischen Welt löst der Gazakrieg breite Solidarisierung der Massen mit "Hamas" aus: Man verurteilt Israel, mehr aber noch Ägypten, das sich scheinbar auf die Seite Israels gegen "Hamas" gestellt hat: Ägypten hält die Grenze nach Gaza geschlossen und versucht, den 74 Schmuggel von Waffen dorthin zu unterbinden. Monate nach dem Krieg nehmen die Ägypter auf der Sinai-Halbinsel Anhänger der libanesischen "Hisbollah" fest, die angeblich zusammen mit Beduinen und Palästinensern den Waffenschmuggel betrieben. In Beirut gibt "Hisbollah"Chef Hassan Nasrallah die Festnahme wenig später zu. Zum ersten Mal gibt es mehr als nur Verdächtigungen über die Zusammenarbeit zwischen Hamas, Hisbollah und – wahrscheinlich – im Hintergrund dem Iran (13_Philipp 2009). 5 Fazit Während unserer Exkursion haben wir viele Facetten Syriens kennenlernen können. Wir diskutierten mit syrischen Studenten, lebten inmitten der damaszener Altstadt, besuchten Investoren und Organisationen wie die GTZ und das Goethe-Institut und reisten an touristische Orte wie Palmyra. Wir erlebten und genossen die syrische Gastfreundschaft. Jedoch gestalteten sich politische Diskussionen schwierig beziehungsweise wurden bewusst vermieden. Der Präsident schien -typisch für totalitäre Regime- allgegenwärtig, sei es als Bild an jedem großen öffentlichen Platz oder als Name der wichtigsten Brücke. Auch konnte man die Präsenz der Organisationen Hamas und Hisbollah erkennen. Plakate und Souvenirs mit dessen Logo hatten insbesondere in der Hauptstadt einen festen Platz. In diesem Land hat scheinbar keiner Hunger zu leiden, eine große Diskrepanz zwischen Arm und Reich war jedoch deutlich wahrzunehmen. Plagiate in fast jedem Geschäft und billige chinesische Nachbauten deutscher Autohersteller zeigten, dass Syrien sich international noch nicht vollständig integriert hat. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir auf sehr freundliche und hilfsbereite Menschen gestoßen sind und uns als Ausländer in diesem Land sicher gefühlt haben. Natürlich ist eine Bewertung der Umsetzung internationaler Abkommen nicht möglich gewesen – dafür fehlte uns der dafür nötige Einblick. 75 6 Literaturverzeichnis / Quellenangaben 01 International Monetary Fund, 2010: World Economic Outlook Databases, in: www.imf.org/external/data.htm (13.04.10). 02 United Nations Development Programme UNDP-Homepage, 2010: The human development index (HDI), in: http://hdr.undp.org/en/statistics/indices/hdi/ (13.04.10). 03 Auswärtiges Amt, 2010: Syrien, in: http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laenderinformationen/01Laender/Syrien.html (13.04.10). 04 Deutsche Bundesbank, 2010, Zahlungsbilanzstatistik März 2010, statistisches Beiheft zum Monatsbericht 3, in: http://www.bundesbank.de/download/volkswirtschaft/zahlungsbilanzstatistik/ 2010/zahlungsbilanzstatistik 032010.pdf (13.04.10). 05 Auswärtiges Amt, 2010: Beziehungen zu Deutschland, in: http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/ Laenderinformationen/Syrien/Bilateral.html (13.04.10). 06 Ghorfa, Arab-German Chamber of Commerce and Industry e.V., 2009, in: http://www.ghorfa.de/pdf/laenderprofil/ueberblick_Syrien.pdf (13.04.10). 07 Yves Wegelin, Schweizer Wochenzeitung 2008, in: http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/ Syrien/Israel.html (13.04.10). 08 Reymer Klüver, 2008: Nordkorea soll Syrien bei dem Bau der Atombombe geholfen haben, in: http://www.sueddeutsche.de/politik/779/440521/text/ (13.04.10). 09 David Albright, Paul Brannan und Jacqueline Shire, 2007: Syria update: suspected reactor site dismantled; The Institute for Science and International Security, in: http://www.isisonline.org/publications/SyriaUpdate25October2007.pdf (13.04.10). 10 Jahresabrüstungsbericht 2009, Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bemühungen um Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung sowie über die Entwicklung der Streitkräftepotentiale vom 12.01.2010, (13.04.10). 11 Otfried Nassauer, Atomwaffensperrvertrag http://www.bits.de/public/stichwort/atomwaffen sperrvertrag.htm (13.04.10). 12 Peter Philipp, 2009: Hisbollah, in: Bundeszentrale für politische Bildung http://www.bpb.de/themen/4BCDZV,0,0,Hisbollah.html (13.04.10). 13 Peter Philipp, 2009: Hamas und Palästinensischer Islamischer Jihad, in: Bundeszentrale für politische Bildung, http://www.bpb.de/themen/E4JUC8,0,Hamas_und_Pal%E4stinensischer_ Islamischer_Jihad.html (13.04.10) 14 United Nations Security Council Resolution 497 vom 17.11.1981, in: http://www.yale.edu/lawweb/avalon/un/un497.html (13.04.10). 76 Exkursion Damaskus- Vergleich der Orientalischen und Mittelalterlichen Stadt Charlotte Pusch und Kristin Koepke Gliederung 1. Einleitung 2. Definition Stadt 3. Entstehung von Städten 4. Die Mittelalterliche Stadt - Am Beispiel Lüneburg 5. Die Islamisch-Orientalische Stadt 5.1 Am Beispiel Damaskus Altstadt 6. Stadtmodelle und Charakteristika nach Wirth 2001 7. Vergleich der traditionellen Stadtmodelle 8. Fazit 77 1 Einleitung Der Orient und der Okzident stehen sich in kultureller, religiöser und architektonischer Form gegenüber. Zum einen sind die Regionen Europa und Naher Osten klimatisch unterschiedlich und zum anderen in verschiedenen Epochen besiedelt worden. So haben einst die Römer den Kulturraum geprägt. Syria war bis 600n.Chr. bedeutender Teil des Römischen Reiches, erlebte jedoch im Anschluss wesentliche Formung durch die Angliederung an das byzantische und später an das osmanische Reich. Dabei stehen die Städte als Zentren sozialer und kultureller Entwicklung im besonderen Fokus der Betrachtung. Im Rahmen dieser Ausarbeitung wird versucht, die orientalische - speziell die syrische - Stadt dem mittelalterlich abendländischen Stadtmodell entgegen zu setzen. Dabei wurden gewonnene Eindrücke und heutige Spuren der städtischen Entwicklung einbezogen. Nachdem sich jeweils der mittelalterlichen und der orientalischen Stadt modellhaft genähert wird, wird untersucht, inwiefern sich in den beispielhaften Städten Lüneburg und Damaskus charakteristische Merkmale wiederfinden. Abschließend werden die beiden traditionellen Stadttypen in zusammengefasster Form vergleichend gegenübergestellt. 2 Definition Stadt Der Begriff der Stadt ist mehrdimensional und in verschiedenen Ansätzen zu definieren. Alle Ansätze haben gemein, dass die Stadt ein zentraler Ort ist. Der historische Stadtbegriff beruht auf dem mittelalterlichen Stadtrecht, welches mit dem Markt-, Münz-, Stapel- und Mauerrecht vergeben wurde und in Deutschland erst 1935 offiziell aufgehoben wurde. Die Stadtgeographie beschreibt eine heutige Stadt als größere Siedlung oder kompakter Siedlungskörper. Die Stadtbebauung ist dicht und kann im Gegensatz zur peripheren Besiedlung mehrstöckig sein. Außerdem ist eine Stadt nach Funktionen aufgeteilt, die zum Beispiel Wohnen, Arbeiten und Erholen geographisch unterteilen. Die Arbeitsbeschäftigung wird hauptsächlich im sekundären- und tertiären Sektor ausgeübt. Im Gegensatz dazu wird in der Peripherie hauptsächlich Landwirtschaft betrieben. Eine notwendige Verkehrswertigkeit ist in einer Stadt gegeben, die Infrastruktur ist auf öffentlichen und privaten Verkehr ausgeweitet. In Deutschland ist eine Stadt statistisch-administrativ an einer Einwohnerzahl von 2000 gemessen. Diese Definition ist jedoch nicht allgemeingültig, 78 denn beispielsweise in Island und Dänemark spricht man schon ab 200 Einwohnern von einer Stadt. Diese verschiedenen Ansätze beschreiben nur die Städte der „westlichen“ Welt. (1_Heineberg 2006) 3 Entstehung von Städten - Exkurs Die Stadtentwicklung in Mitteleuropa ist weit zurückzuführen und verläuft in verschiedenen Phasen ab. Historisch entstanden Städte an Gunstlagen und Handelswegen. Die Römer (450 v. Chr. bis 500 n. Chr.) prägten den Mittelmeerraum mit quadratischen Stadtgrundrissen, dem sogenannten hippodamischen Straßenschema. Charakteristisch waren außerdem zwei Hauptachsen von Nord nach Süd und von Ost nach West. An der Schnittstelle der Hauptachsen entstand ein großer Platz mit wichtigen Verwaltungsgebäuden. Tempel, Thermen und Amphitheater befanden sich außerhalb der Wallanlagen und ihrer vier Tore. Typische römische Städte in Deutschland sind Trier und Regensburg. Das Römische Reich breitete sich von Rom über Mitteleuropa bis nach Ägypten und Syrien aus. Die Syrische Stadt Palmyra ist heute eine Ruinenlandschaft, doch der römische Baustil ist durch die archäologischen Ausgrabungen wiederhergestellt worden. Die großen Hauptstraßen des alten Palmyras, die zum Tempel führen, sind mit gewaltigen Säulen unterstrichen. Palmyra liegt an der Seidenstraße, eine Gunstlage, die Palmyra zu einer der wichtigsten Städte des Orients machte. Die Römer übernahmen die griechische Säulenordnung in ihrer Architektur und gestalteten mächtige Bauwerke mit Bögen und Gewölben. Nach der Phase der Römer sind in Europa mittelalterliche Stadttypen zu finden. Ab dem achten Jahrhundert entstanden frühmittelalterliche Keimzellen, die an Klosterburgen, Königshöfen oder Bischofsitzen entwickelten. Die sogenannten „Mutterstädte“ wuchsen an Fürstenpfalzen oder Kirchenburgen bis ca. 1150. Erst im elften Jahrhundert etablierte sich in Mitteleuropa das gewerbliche Marktwesen und der Marktplatz als zentrales Stadtelement entstand. Im Vergleich, ist der Marktplatz in der Orientalischen Welt seit dem. Die meisten Städte gründeten sich im Spätmittelalter. (2_Heineberg 2006) 79 4 Die Mittelalterliche Stadt – Am Beispiel Lüneburg Lüneburg wurde bereits 956 n. Chr. urkundlich erwähnt und hat somit ein mittelalterlich geprägtes Stadtbild, deren Geschichten in ihren Fassaden der Gebäude widergespiegelt werden. Der heutige Platz „Am Sande“ lag im Mittelalter auf der Achse der Saline, des Kalkbergs und der Furt. Durch diese Zentralität des Platzes, siedelten sich viele Händler und Kaufleute an. Als im 13. Jahrhundert das Lüneburger Rathaus gebaut wurde, verlagerte sich das Hauptmarktgeschehen auf den Rathausplatz. Noch heute bieten regionale Marktleute zweimal wöchentlich ihre frischen Waren auf dem heutigen „Am Marktplatz“ an. Da Lüneburgs Altstadt im Zweiten Weltkrieg glücklicherweise nicht zerbombt wurde, findet man noch heute originale Hausmauern und Häuserfassaden. Das Alter der jeweiligen Fassaden ist zum Beispiel am Baumaterial zu bestimmen. Vorrangig wurden für den Bau der Häuser rote Ziegelsteine verwendet. Abb. 1 Lüneburgs Altstadt vom Wasserturm Quelle: Charlotte Pusch Abb. 2 Lüneburgs Altstadt Auf dem Meere Quelle: Charlotte Pusch In den Hinterhöfen haben im Mittelalter vorwiegend die Mägde und Knechte auf engstem Raum gelebt. Sowieso waren die meisten Häuser Zweckbauten. Arbeit und Wohnen fanden in ein und demselben Gebäude statt - heute nicht mehr vorstellbar, doch früher Alltag. Die heutige Industrie- und Handelskammer „Am Sande“ ist ein prachtvolles Gebäude des 16. Jahrhunderts. Der Baustil stammt aus der Renaissance. Im späten Mittelalter war die heutige IHK ein Brauhaus. Ihre Fassade besteht aus kleinen Backsteinen und den in Lüneburg häufig vorzufindenden Tausteinen. Gleich zwei Giebel schmücken das alte Gebäude. Die Steine sind schwarz angemalt und wenn das Gebäude abends angestrahlt wird, leuchten die weißen Fugen und das Gebäude wirkt prächtig. 80 Die Heiligengeiststraße ist ein Beispiel für die Bewahrung und Restaurierung des Lüneburger Stadtbildes. Beschädigte oder verwitterte Fassaden wurden dort im Stil des Mittelalters restauriert. Man erkennt jedoch sofort, welches Gebäude historisch und welches neu ist. Nichtsdestotrotz behält Lüneburg durch solche Projekte seinen mittelalterlichen Charme. Die Meinungen gehen weit auseinander, ob Lüneburg moderne Bauten bekommen soll oder neue Gebäude historisch wiederaufgebaut werden sollen. Auf jeden Fall hat der „Arbeitskreis Lüneburger Altstadt“ schon vielen restaurationsbedürftigen Gebäuden seinen ursprünglichen Charakter wiedergegeben. (4_Pries 2001) Abb. 3 Die Mittelalterliche Stadt Quelle: http://www.hauptschule-penzberg.de/images/stadt.jpg 1: Rathaus, 2: Kirche 3:Marktplatz 4: Brunnen 5: Gefängnis 6: Stadtmauer mit Verteidigungsgraben und Verteidigungstürme integriert 7:Stadttor 8:Friedhof außerhalb der Stadtmauer 9: Galgenberg ebenfalls außerhalb der Stadtmauer 5 Die Islamisch - Orientalische Stadt Der Orient verfügt über die älteste Stadtgeschichte der Welt. Die Typologie ist durch eine Vielzahl von Einflüssen geprägt. Seit dem 7. Jahrhundert prägte die Islamische Religion den Kulturkreis und seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist der Prozess Verwestlichung zu spüren. Diese Einflussbereiche erläutern die islamischen Bauformen, die durch verschiedene 81 Religionen und kulturelle Unterschiede stark geprägt wurden. Die traditionelle orientalische Stadt ist heute hauptsächlich in Altstädten sichtbar, wie auch im Beispiel Damaskus. (4_Heineberg 2006) Hervorzuheben ist, dass die orientalische Stadt zwar Islamisch-Orientalische Stadt genannt wird, da der Islam den Kulturraum prägt hat, jedoch beispielsweise das Sackgassensystem in Damaskus einer früheren Epoche, vor der Entstehung des Islams, zuzuordnen ist und deswegen nicht als ein typisch islamisches Merkmal zu definieren ist. Mit diesem Thema hat sich Frau Dr. Ing. Salam al-Abdulla in Ihrer Dissertation intensiv beschäftigt. (5_Abdulla 2006) 5.1 Am Beispiel Damaskus Abb. 4 Damaskus Diercke Weltatlas 2008 Quelle: http://www.diercke.de/kartenansicht.xtp?artId=978-3-14-100754-1&stichwort=Souk&fs=1 Damaskus ist die älteste durchgehend bewohnte Stadt der Welt. Das wohl bedeutendste Gebäude der Stadt, die Omayyaden-Moschee ist eines der ältesten muslimischen Gotteshäuser. Vor der Nutzung als Moschee gab es hier eine christliche Kirche, davor einen römischen Tempel und noch früher einen aramäischen Tempel. (6_Carter 2008) In Damaskus ist der klassische Aufbau der islamischen Stadt deutlich erkennbar. Die Ummauerung umschließt die heutige Altstadt, die Medina, als traditionelles Zentrum. Heute ist 82 sie umgeben von der Neustadt. In Damaskus besitzt vor allem auch arme Bevölkerung Grundstücke und Immobilien in der Altstadt. Die Nutzung der Grundstücke wird durch die Splitter-Vererbung unrentabel. Entsprechend der althergebrachten Stadtstrukturen finden sich immer noch die Stadttore im Gebiet der ehemals kompletten Ummauerung. Die Zitadelle ist nicht erhöht, aber die Verteidigungsfunktion, durch Gewehr-Schlitze in den Mauern, erkennbar. Abb. 5 Stadttor Bab Touma Damaskus Quelle: Charlotte Pusch Abb. 6 Zitadelle und Suq Damaskus Quelle: Charlotte Pusch 6 Stadtmodelle Die orientalische Stadt ist in einem anderen Stadtschema aufgeteilt als die europäische Stadt. Die Stadtmodelle von Dettmann und Ehlers stellen den Idealtypus der Orientalischen Stadt dar. Dettmann entwarf im Rahmen seiner Dissertation über Damaskus/Syrien 1969 „[…] wesentliche traditionelle Elemente des Aufbaus sowie der funktionalen und sozialräumlichen Grobgliederung der Altstadtbereiche in den Städten Nordafrikas und Vorderasiens.“ und stellte seine Ergebnisse in dem Modell dar. (7_Heineberg 2006, S. 288) 83 Abb. 7 Modelle der Orientalischen Stadt nach Dettmann und Ehlers Quelle: Heineberg 2006 Die orientalische Stadt ist im Gegensatz zu einer römischen Stadt kreisförmig angeordnet und ebenfalls von einer Stadtmauer umgeben. In der Stadtmauer, die durch Stadttore zu passieren ist, ist eine Verteidigungsanlage integriert. Innerhalb der Stadtmauer sind die Wohnquartiere oder Viertel, die nach verschiedenen Religionen getrennt sind. Jedes Viertel hat sein eigenes Subzentrum und eine Moschee, Kirche oder Synagoge. Die konfessionsbezogenen Friedhöfe befinden sich außerhalb der Stadtmauer. Im Stadtinneren befindet sich der zentrifugal angeordnete Sammelpunkt mit der Hauptmoschee und dem Sûq, dem Handelszentrum der orientalischen Welt. Ehlers erweiterte 1991das Idealschema von Dettmann. Die strickte Einteilung in konfessionelle Viertel wird aufgelockert, die Stadtmauer verliert an Bedeutung und Einkaufs- und Geschäftsstraßen werden hinzugefügt. Der periphere Raum gewinnt an Bedeutung und wird in das Stadtmodell einbezogen. Ein geometrisches Straßennetz wird angedeutet, Tankstellen und Reparaturläden befinden sich außerhalb der Altstadt. Der Prozess der Verwestlichung hat auch in der orientalischen Welt eingesetzt und deswegen bleiben die Modelle von Dettmann und Ehlers Idealschemata. (8_Heineberg 2006) 84 Der Soziologe E. Wirth hat 2001 einen Katalog von Merkmalen für die Orientalische Stadt Nordafrikas und Vorderasiens aufgestellt, die den Gegensatz zu Städten der klassischen Antike und des Mittelalterlichen Europas aufzeigen. Der Stadtgrundriss einer Orientalischen Stadt ist degenerierend, also durch Wachstumsprozesse überprägt worden. Dieses Phänomen tritt auch im heutigen Damaskus auf, denn nur die Altstadt entspricht dem klassischen Stadtmodell. Außerdem sind ebenfalls für Wirth die Sackgassenstruktur, die Quartierstrennung und der Innenhofbau orientalische Charakteristika. Er fügt jedoch hinzu, dass innerstädtische Unsicherheit die Folge der Quartierstrennung ist. Die letzten beiden Merkmale sind die zentralen Geschäftsviertel (Sûq) und vielgliedrige architektonische Großkomplexe, wie religiöse Bauwerke oder Zitadellen. (9_Heineberg 2006) 7 Vergleich der traditionellen Stadtmodelle In einem Vergleich gilt es Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu berücksichtigen. An dieser Stelle ist es vor allem interessant zu sehen wie sich die traditionellen stereotypen Stadtmodelle gegenüberstehen. Vorhergehend lässt sich sagen, dass die Funktionen der Stadt auf drei Hauptsäulen ruhen: ‐ geistiges und religiöses Leben (Kirche/ Moschee, Schule, Kunst) ‐ Wohnen (Gestaltung der Wohnbereiche) ‐ nicht-agrarische Wirtschaft (Markt, gewerbliche Produktion, Dienstleistung) Diese drei Grundfunktionen findet man quer über alle Städte und Kulturkreise. Dies gilt auch für die orientalische Stadt im Vergleich zu mittelalterlichen europäischen Städten. Vergleichend kann man sowohl bei der mittelalterlichen wie auch bei der klassischen orientalischen Stadt feststellen, dass beide durch Jahrhunderte verändert und geprägt sind. Dabei sind sie im Allgemeinen über die Zeit gewachsen und nicht komplett geplant. Diese Städte sind meist ehemalige Dörfer, die aber wegen ihres Standortes immer bedeutender wurden (Gunstlage). Die Wohnquartiere der traditionell orientalischen Stadt sind im größeren Zusammenhang strukturiert. Sie bilden eigenständige Zellen aus, die nur durch wenige Erschließungswege mit 85 anderen Quartieren verknüpft sind. Diese Zellen bestehen wiederum aus kleineren Einheiten – den Wohngebäuden der einzelnen Familien. Somit ist die Stadt im Gegensatz zur europäischen Stadt ein Zusammenschluss einzelner autonomer Einheiten, welche durch die Verknüpfung untereinander den Stadtkörper bilden. Diese Verknüpfung geschieht durch öffentliche Haupterschließungswege und wenige von allen genutzte öffentliche Plätze und Einrichtungen. Die große kulturelle Wertschätzung der Privatsphäre in der orientalischen Stadt wird vor allem durch den Sackgassengrundriss und die allgemeine Gebäudegliederung versinnbildlicht: relativ schmucklose Fassade und Orientierung zum Innenhof. Damit steht die traditionelle orientalische Stadt im direkten Gegensatz zur stilisierten mittelalterlichen Stadtgestaltung. So hatten die mittelalterlichen Fassaden vor allem Repräsentationscharakter und die durchgängigen öffentlichen Straßen sowie die allgemeine Zugänglichkeit auch von Hofbereichen wurden in der traditionellen europäischen Stadt als Zeichen von Sicherheit und Ordnung interpretiert. In der islamisch geprägten Stadt hingegen sind traditionell viele Straßen nur halböffentlich. Sie führen in die Quartiere. Die Privatstraßen, die häufig extra verschlossen sind, sind fast immer Sackgassen. (10_http://www.zentralasien.net/stadt/index.html) Abb. 8, Abb. 9 Sackgassen mit schmucklosen Fassaden, Aleppo und Damaskus Quelle: Falko Jothe/ Franziska Duge Wie bereits erwähnt, waren typische aus dem Mittelalter tradierende europäische Städte durch die Einheit von Wohn- und Arbeitsort gekennzeichnet. Häufig lagen Läden oder Handwerksbetriebe im Erdgeschoß der Häuser und die Wohnungen im Stockwerk darüber. 86 Eine räumliche Differenzierung fand in erster Linie in der Standorttrennung unterschiedlicher Branchen (Zünfte) statt. Die Trennung von Wohn- und Arbeitsort in den europäischen Städten wurde erst im Zuge der Industrialisierung zu einem neuen Impuls der Stadtentwicklung. In den traditionellen orientalischen Städten herrschte dieses Prinzip bereits seit Anbeginn vor. Das orientalische Haus hat zur Straße keine erdgeschossigen Fenster, der Hauseingang ist meist verwinkelt , und bei geöffneter Tür ist der Blick direkt ins Innere des Hauses nicht gegeben. Um den Innenhof sind die einzelnen Räume gruppiert. Wohnbereich und Arbeitsbereich sind klar voneinander getrennt. Eine solche Trennung gab es im mittelalterlich abendländischen Haus nicht. Hier ist das Haus Wohn- und Arbeitsraum und Lehrlinge und Gesellen schliefen nicht selten in der Werkstatt. (11_http://www.mygeo.info/skripte/skript_bevoelkerung_siedlung/siedl3.htm) 8 Fazit Gemeinsam ist den hier vorgestellten Modellen, dass sie versuchen, Entstehungs- und Entwicklungsprozesse städtischer Siedlungen in den entsprechenden Kontexten allgemeingültig abzubilden. Häufig verleiten diese vereinfachten Modelle zum unmittelbaren Rückschluss auf die historische Realität, der aufgrund des hohen Abstraktionsniveaus nicht möglich ist. Im Rahmen der Exkursion nach Syrien war es den Teilnehmenden allerdings möglich, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten, die verschiedenen Kulturräume nachzuvollziehen. Dabei konnten die, im Seminar vorbereiteten, Inhalte über die orientalische Stadt vor Ort in Damaskus und Aleppo erkannt und ergänzt werden. In den beiden Großstädten offenbart sich die arabische Welt vielerorts in ihrer authentischen Vielfalt. Abb. 10 In der Altstadtgasse in Aleppo (Quelle: Kristin Koepke) 87 Literaturverzeichnis / Quellenangaben 1. Book: Abdulla, S. (ed.): 2006, Damaskus: Die Altstadt Intra Muros: ihre aktuelle Nutzung und Vorschläge zu ihrer ökologischen Erhaltung, Diss., Hochschule für bildende Künste, Hamburg. Carter, T. (ed.): 2008, Syria & Lebanon. 2nd edition. Lonely Planet Publications, Chicago. GTZ (ed.): 2006, The Rehabilitation oft he Old City of Aleppo, 2. Auflage, Aleppo. Heineberg, H. (ed.): 2006, Stadtgeographie, 3. Auflage, Schöningh Verlag, Paderborn. Pries, M. (ed.): 2001, Lüneburg…auf neuen Wegen, Lüneburg. Schäfers, B.(ed.): 2006, Stadtsoziologie : Stadtentwicklung und Theorien Grundlagen und Praxisfelder, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. Schumpp, M. (ed.): 1972, Stadtbau-Utopien und Gesellschaft. Der Bedeutungswandel utopischer Stadtmodelle unter sozialem Aspekt, Bertelsmann Fachverlag, Gütersloh. 2. Internet: http://www.hauptschule-penzberg.de/images/stadt.jpg [Stand: 01.03.2010] http://www.mygeo.info/skripte/skript_bevoelkerung_siedlung/siedl3.htm [Stand: 12.04.2010] http://www.diercke.de/kartenansicht.xtp?artId=978-3-14-100754-1&stichwort=Souk&fs=1 [Stand: 12.04.2010] http://www.zentralasien.net/stadt/ursprung.html [Stand: 10.04.2010] 88 Die Typologie des Wohnhauses in der Altstadt von Damaskus Daniela Wüst Gliederung 1. Einführung zu Stadtstruktur 2. Das traditionelle Damaszener Wohnhaus 3. Der Grundriss des Bayt al-Hawraniya 4. Literaturverzeichnis 5. Abbildungsverzeichnis 89 1. Einführung zur Stadtstruktur Mit dem Wechsel Damaskus` von einer römisch-hellenistischen zur islamischen Stadt änderte sich das Stadtbild deutlich, was besonders an den Wohnquartieren zu erkennen war: Während die römisch-hellenistische Stadt noch den Vorrang der Verkehrswege kannte und die Wohnquartiere nur abgespaltete Inseln im geometrisch angelegten Straßennetz waren, kehrte sich jetzt das Verhältnis um, und die privaten Territorien der Quartiergemeinschaften vereinnahmten das Straßennetz. Dies war möglich, weil außer den durch die Lebensform gegebenen Verhaltensvorbildern so gut wie keine gesetzlichen Regelungen zur Lenkung der Bautätigkeit bestanden. Dem einzelnen und den Gruppen war es weitgehend überlassen, den Spielraum zu nutzen, der sich ergab; unter der Bedingung allerdings, dass er die Allgemeinheit und besonders den Nachbarn nicht durch seine Tätigkeit beeinträchtigte (1_TU Dresden 2007, S. 19). Die Zugangswege zu den geschlossenen Quartieren und Hauseinheiten wurden progressiv der Öffentlichkeit entzogen und in halbprivate „Innengänge“ umgewandelt, die oft in Sackgassen endeten und ganz der Gewalt der Anlieger unterstanden. Damit bildete sich eine neue Logik der Verkehrswege heraus, die nicht mehr die ganze Stadt durch einen gleichmäßigen, schachbrettartigen Raster erschlossen, sondern sich (ähnlich einem Bewässerungssystem) in Haupt- und Nebenströme verschiedenen Öffentlichkeitsgrades verzweigten, die schließlich im Hausinneren versickerten. Dieser neuen Ordnung zuliebe, die eine klare Identität zwischen sozialen Einheiten und dem von ihnen beanspruchten Territorium schuf, wurden oft gewundene Zugangswege in Kauf genommen, und nicht selten wurden früher durchgehende Straßen durch eingesetzte Wohnbauten unterbrochen, welche die direkte Verbindung zwischen A und B unmöglich machten und als Trenngrat zwischen verschiedenen Erschließungssystemen dienten (2_ TU Dresden 2007, S. 19 f). Im Gegensatz zu europäischen Wohnvierteln erfährt der Betrachter beim Anblick der Wohnhäuser in der Damaszener Altstadt einen ungewohnten Anblick: Dem Betrachter werden die Gebäude nicht in Form von freistehenden architektonischen Objekten und entsprechenden Fassaden vorgesetzt, sondern er kann das einzelne Gebäude nur als komplexen, vielfach in sich gegliederten Hohlraum erfahren, den er sich abschnittweise, Raum für Raum, erschließen muss (3_TU Dresden 2007, S. 24). 90 Abb. 1: Gasse in der Altstadt von Damaskus Heute gibt es viele moderne Wohnquartiere europäisch-westlichen Stils in Damaskus, jedoch sind in der Altstadt die traditionellen Verhältnisse bis heute weitgehend erhalten: Muslime, Christen und Juden, also Gruppen verschiedenen ethnischen Ursprungs, wohnen weiterhin deutlich geschieden in jeweils eigenen Quartieren zusammen, in denen sie ihren unterschiedlichen Lebensgewohnheiten nachkommen können (4_Dettmann 1969, S. 277.). 2 Das traditionelle Damaszener Wohnhaus Das traditionelle Damaszener Wohnhaus ist das Innenhofhaus, in dem sich das differenzierte System von Raumabschlüssen fortsetzt. Ähnlich dem Stadtraum wird auch hier darauf geachtet, ruhende Räume von den Zirkulationsflächen abzutrennen (5_O.V. 2003). Es gruppieren sich alle relevanten Räume um den zentralen und rechtwinkligen Innenhof. Ein Hof ist stets vorhanden; zwei oder drei dagegen zeugen von einem großen Wohlstand des Besitzers. Um die Höfe herum gruppieren sich die Wohnräume über zwei Stockwerke, welche mit einem Flachdach abschließen. Die Räume orientieren sich zum Hof. An der Außenmauer entstehen durch diese Geometrisierung des Inneren oft Nebenräume, die das Haus passgenau in die Umgebung einfügen. Somit ist das Gebäude vom Straßenraum unabhängig, da es Licht und Luft aus seinem Inneren beziehen kann. Die traditionellen Innenhofhäuser schließen in der Regel dicht auf und bilden durchgehende Straßenfronten; nahtlos gehen die unverzierten, oft fensterlosen Außenmauern der verschiedenen Häuser ineinander über. Das entspricht durchaus ihrer Konzeption: Sie wollen nicht nach außen wirken, dagegen ein Höchstmaß an Abgeschlossenheit gewähren. Diese 91 Form des Wohnens bietet Ungestörtheit in der Großfamilie und ein Leben vollkommener Ungestörtheit von der Außenwelt (6_Dettman 1969, S. 284). Das Außenmaterial der Häuser ähnelt sich von Haus zu Haus, wobei die zweistöckigen Häuser im unteren Teil oft aus schlichtem Stein bestehen und im oberen Stockwerk aus Fachwerk gebaut und weiß verputzt sind. Von der Seite der Wohngasse aus betrachtet ist die Größe der Häuser, welche sich sehr weit hinter der Fassade erstrecken können, nicht erkennbar, so dass der soziale Status und Reichtum der Familie für Außenstehende nicht erkennbar ist. Die Hoffassaden hingegen sind jedoch meist aufwendig gestaltet. Oftmals sind das Erdgeschoss und der in das Obergeschoss hineinragende sogenannte Iwan-Bogen aus Stein errichtet. Der Innenhof als Mittelpunkt des Anwesens ist mit einem kleinen Springbrunnen oder mit einem Bäumchen bzw. einem Stock wilden Weins ausgestattet. Abb. 2: Der Innenhof mit zentral angelegtem Brunnen Die Winterräume sind auf der Nordseite des Innenhofes gelegen; sie schauen nach Süden. Nach Norden weist eine zum Hof hin vollkommen offene Halle, in der man vor der intensiven Sonneneinstrahlung Schutz findet und in der man gerne die milden Sommerabende verbringt. Diese Halle ist der Iwan, ein sehr charakteristisches Merkmal für das traditionelle Haus (7_Dettmann 1969, S. 282 f.). Die Einrichtung der traditionellen damaszener Wohnhäuser ist ganz von der nomadischen und muslimischen Lebensweise erfüllt. Mit Sitzkissen, Matratzen, Teppichen und leicht verschiebbaren Möbeln werden Räume funktional bestimmt und bleiben wandelbar (8_O.V. 2003). 92 3. Der Grundriss des Bayt al-Hawraniya Das Bayt al-Hawraniya ist ein traditionelles damaszener Wohnhaus, das zu den Residenzen wohlhabender Familien zählt und über verschiedene Wohnhöfe mit unterschiedlichen Funktionen verfügt. Anhand des Grundrisses werde ich im Folgenden die Architektur und den Aufbau des Hauses näher erläutern: Funktional gliedert sich das Wohnhaus in einen `äußeren‘ Teil (al-Barrani), der als semiöffentlich bezeichnet werden kann und einen `inneren‘ Teil (al- Guwwani), der der Familie vorbehalten ist und nur zu besonderen Anlässen Gästen zugänglich gemacht wird. Die Wohnhöfe des äußeren Teils (Dar al-Barrani) werden von der Straße durch lange abgewinkelte Korridore (Dihliz) erschlossen. Beim Bayt al-Hawraniya hatte der große nördliche Barrani ursprünglich vermutlich die Funktion eines Wirtschaftshofes, mit Stauräumen und Stellplätzen für Reittiere. Der südliche kleine Barrani fungierte eher als „Schleuse“ oder Gästehof. Der innere Teil ist ebenfalls mit einem Wohnhof (Dar al-Guwwani) ausgestattet. An ihn sind entsprechende Funktionseinheiten wie Nasszellen und Küchentrakt angegliedert. Aber auch die Qaa, ein prächtiger Empfangsraum und andere repräsentativ gestaltete Räume liegen grundsätzlich im Guwwani. An der Südseite der Wohnhöfe befindet sich meistens eine zweigeschossige Halle (Iwan). Deren Fassade ist zum Hof mit dem Iwan-Bogen gestaltet. In fast allen Damaszener Wohnhäusern sind symmetrisch auf die Mitte des Iwans ausgerichtete Wasserbecken im Wohnhof zu finden. Durch die Ausrichtung der Fassaden des Iwans nach Norden und durch die Kühlung der Fontäne des Wasserbeckens wird der Iwan während des ganzen Jahres als Aufenthaltsort genutzt. Oftmals sind seitlich an den Iwan zwei Zimmer (Murabba) angelagert. In einigen größeren Residenzen befindet sich in den Wohnhöfen vor dem Iwan der Riwaq - eine Arkade die als Sonnenschutz für dahinter liegende Räume dienen sollte. Im Bayt al-Hawraniya wurde er vermutlich als Stellplatz für Tiere genutzt. 93 Abb. 3: Grundriss eines Innenhofhauses 94 Im Norden des inneren Hofes (Dar al-Guwwani) liegt also die Qaa, der wichtigste Repräsentationsraum des Hauses. Obwohl die Qaa mit Gegenständen des täglichen Bedarfs ausgestattet war, sollte sie zugleich durch Teppiche, Porzellan und Möbelstücke mit Intarsienarbeiten den sozialen Status und guten Geschmack demonstrieren. Die Qaa befindet sich häufig auf einem höheren Niveau als der Innenhof. Über eine Treppe gelangt man vom Wohnhof zunächst in die so genannte Ataba (Schwelle). Diese ist oftmals reich verziert und verfügt über einen mittigen Brunnen und eine erhöhte Decke. An die Ataba schließen sich an einer oder mehreren Seiten die Tazars an. Der Tazar ist mit Diwanen, Kissen, Truhen, Wandschränken und niedrigen Bänken eingerichtet. Er ist optisch durch Raumteiler, in Form von hohen Rundbögen, von der Ataba getrennt. Abb. 4: Die Qaa Die meisten Wohnräume eines damaszener Wohnhauses wurden ursprünglich multifunktional genutzt. Erst im späten 19. Jh. wurden durch die Möblierung, z.B. mit Betten oder Schreibtischen, Funktionen vorgegeben. Ebenfalls an den inneren Wohnhof angelagert sind Küche sowie Wirtschafts- und Vorratsräume (Bayt al-Muna). Oftmals wird der Küchentrakt durch einen weiteren kleinen Hof erschlossen. Das Obergeschoss ist in der Regel ähnlich angelegt, wie das Erdgeschoss. Lediglich die Brunnen fehlen. Während die Straßenfassaden kaum gestaltet sind, sind die Hoffassaden ein Spiegel des handwerklichen Könnens. Grundelemente der Fassaden sind Fenster, Türen und Bögen. Oft werden Türen durch zwei große, vergitterte Fenster flankiert. Wichtigstes Gestaltungsmerkmal der Fassaden ist die Abfolge verschiedenfarbiger Steine in horizontalen Lagen - der 95 sogenannte Ablaq. Im 18. Jahrhundert wurden vorwiegend schwarzer Basalt im Wechsel mit weißem und rötlichem Kalkstein verwendet. Seit dem 14./ 15. Jh. wurden in Damaskus die Fassaden der Höfe und Innenräume hauptsächlich mit zwei weiteren Dekortechniken gestaltet: 1. Ornamentale oder geometrische Steingravuren sowie Farbpasten, die die Oberflächenwirkung eines Mosaikes haben. Diese wurden zur Gestaltung von Bändern und Paneelen über Türen und Fenstern eingesetzt. 2. Bemalte hölzerne Wandvertäfelungen zur Gestaltung von Innenräumen und Decken (9_TU Dresden 2007, S. 27 ff.). Abb. 5: Die Fassade des Innenhofes Traditionelle Baumaterialien für das damaszener Wohnhaus sind luftgetrocknete Ziegel sowie Pappelbalken. Beide sind leicht zu bekommen, denn die Ghouta liefert sowohl das Rohmaterial für den Ziegel als auch für das Weichholz der schnellwüchsigen Pappel. So bestimmen die naturgeographischen Grundlagen des topographischen Standortes in entscheidender Weise das Baubild des traditionellen Damaskus (10_Dettmann 1969, S. 286). 96 4. Literaturverzeichnis / Quellenangaben 1. Dettmann K. (ed.): 1969, Damaskus, Eine orientalische Stadt zwischen Tradition und Moderne, Fränkische Geographische Gesellschaft, Erlangen 2. O.V.: 2003, Hauptstadtinszenierungen in Zentralasien. URL: http://www.zentralasien.net/stadt/index.html 3. TU Dresden : 2007, Exkursion Damaskus – Syrien im Rahmen des Masterstudienganges Denkmalpflege und Stadtentwicklung. URL: http://www.tu-dresden.de/.../ibad/master/studium/rueckblick/syrien/SyrienReader-Druckdatei-A5.pdf 5. Abbildungsverzeichnis Abbildung 3: aus Weber, Stefan: 2006, Zeugnisse Kulturellen Wandels. Stadt, Architektur und Gesellschaft des osmanischen Damaskus im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Diss. Freie Universität Berlin, Berlin Abbildung 1, 2, 4, 5: Fotos von der Damaskus Exkursion 2010, verschiedene FotografInnen 97 Typologie der Architektur der Altstadt von Damaskus im Vergleich zu deutschen historischen Altstädten Saskia van der Heijden & Filiz Karahan Gliederung 1. Formgebung und Ornamentik in der islamisch-orientalischen Architektur 1.1. Formgebung und Bedeutung 1.2. Ornamentik 1.3. Kalligraphie 2. Die Architektur der islamisch-orientalischen Stadt erläutert anhand syrischer Bauten im Vergleich zum historischen Lüneburg 2.1. Prämissen 2.2. Religiöse Bauten in Stichpunkten 2.3. Wirtschaftsgebäude in Stichpunkten 2.4. Öffentliche Einrichtungen in Stichpunkten 2.5. Zitadelle 3. Literaturverzeichnis 98 1. Formgebung und Ornamentik in der islamisch-orientalischen Architektur Die architektonische Ausdrucksweise einer Region ist stets als eine Weiterentwicklung der natürlichen Lebensweise und Spiegel der regionalen Kultur zu verstehen. So wird beispielsweise das typisch arabische Innenhofhaus als Weiterentwicklung der Nomadenzelte gesehen. Die folgende Tabelle stellt typische Merkmale der islamisch-orientalischen Architektur insbesondere in Syrien der norddeutschen historischen Architektur gegenüber. Islamische Stadt Norddeutsche Stadt Tendenziell horizontale Orientierung der Je nach Epoche, Bauwerke aber Bauwerke eher vertikal & horizontal orientiert Innenorientierung Außenorientierung Innenhofhaus Schmuckfassaden Architektur als Kontrast zur kargen Architektur im Austausch mit der Landschaft Landschaft Materialien (je nach Region): Holz, Stein, Materialen (je nach Region): Holz, Lehm, Sand, Bruchstein Lehm, Bruchstein, später Backstein Betonung der Oberflächenverschönerung (Fülle als Sinnbild des Reichtums) Abb. 1: Gegenüberstellung der syrischen und norddeutschen Architektur 1.1. Bedeutung und Formgebung Die Formgebung und Funktionalität der Gebäude ist dabei vor allem klimatisch und kulturell bedingt: • tendenziell horizontale Orientierung der Bauwerke gegen Sonne und Sandstürme • Innenorientierung, um den Abb. 2: Innenhof des Al-AzemPalastes in Damaskus Witterungseinflüssen möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten sowie als Schutz gegen Sonne und Staub Abb. 3: Platz am Sande in Lüneburg 99 • Architektur als Kontrast zur kargen Landschaft und damit Betonung der Oberflächenverschönerung und des Gartens (Fülle als Sinnbild des Reichtums) Zudem haben mit dem Einfluss des Islam ab dem 7. Jahrhundert nach Christus vielfältige religiöse Einflüsse an Bedeutung gewonnen. Die folgende Tabelle stellt einige Auffälligkeiten in Abend- und Morgenland gegenüber: Islamische Stadt Norddeutsche Stadt Rhythmus und Geometrie, Fläche und Band - Die Religion als Bindeglied der kulturellen Vielfalt Natur und Gesellschaft als Vorbild der Gestaltungselemente – Geometrie durch Konstruktion gegeben Der Bogen als architektonisches Motiv herausragendes Bildverbot: Kalligraphie als Stilmittel und Visualisierung des göttlichen Wortes Mischung der islamische Stilelemente Bögen (rund und spitz), Giebel (Dreieck, Treppe, Schnecke), Säulen, Fassadendekor Bild/Portrait/Statue = Gestaltungsmerkmal, (lateinische) Schrift z.B. Baujahr Mischung europäischer Stilelemente Abb. 4: Gegenüberstellung der religiös bedingten Gestaltungsmerkmale Abb. 5: Fassade der IHK Lüneburg sowie eines Hauses der westlichen Altstadt Im Zuge der Oberflächenverschönerung sind dabei verschiedene, unterschiedlich opulente Dekor-Techniken zu nennen, welche die islamisch-orientalischen Gebäude prägen: 100 • Fugenschnitt mit passgenauen Werksteinen • Ablaq: Abwechslung heller und dunkler Steinlagen (meist schwarz, weiß, rot) oder Steinund Ziegelschichten im 18. Jh. vor allem schwarzer Basalt im Wechsel mit weißem oder rötlichem Kalkstein • Relief: „ausgraben“ der Oberfläche für z.B. wellige Struktur Abb. 6: Von Links: Relief, Fugenschnitt, Ablaq • Ziegeldekor: herausragende, zurückgesetzte oder anders geformte Ziegel in der gemauerten Wand lassen Textur entstehen • Inkrustation: Verblendung der Mauern mit verschiedenfarbigen Marmorplatten • Steinverblendung, einfachere Variante der Inkrustation, zur einfacheren mathematischen Gliederung der Fläche • Mosaik: Zusammenfügung bemalter, teilweise verschieden geformter Stein- oder Glaswürfel (Tesserae), mit Kalkmörtel fixiert, nicht weit verbreitet, nur kurze Zeit angewandt • Stukkatur: sehr fein modellierte Verzierung mit Gips an Mauerwerken, das wichtigste Element im Islam • Fayence: keramische Wandverkleidung, meist blaue Ornamente Abb. 7: Von Links: Fayence, Stukkatur, Inkrustation 101 Abb. 8: Von Links Steinverblendung, Mosaik 1.2 Ornamentik Vor dem Hintergrund des Bilderverbots im Islam entwickelten sich Ornamentik und Kalligraphie bis zur Perfektion weiter. Wie streng das Bilderverbot angewandt wurde, differiert je nach Region und Epoche. Als die häufigsten Motive können jedoch angesehen werden: • Vegetation: verschlungene Arabesken, wie Rosetten, Ranken, Blätter, Blüten, Palmwedel • Geometrie: Kreise, Vielecke, Quadrate, sternförmige Flechtwerke, Netze aus Sechsecken • Figuren: Menschen- u. Tierdarstellungen Bildliche Tierdarstellungen können dabei astrologische/ magische Symbolik haben, z.B. bei Adlern, Löwen, Schlangen und Drachen. Die islamische Pflanzenornamentik soll dabei ein Abbild des Paradieses schaffen bzw. heraufbeschwören. Unter dem Begriff Arabeske werden dabei vor allem Pflanzendekors und rhythmisch-geometrische Textur mit Ranken- und Blumenmuster zusammengefasst. Das streng geometrische Dekor wirkt als Gegenpol zu Pflanzenornamenten und erreicht die Gliederung der Fläche mit mathematisch definierten Formen. Abb. 9: Von links: Schlangentor, Blumenmuster und Geometrie, Wandmalerei 102 Die Gliederung der Flächen erfolgt im Einzelnen durch die Einteilung in Felder (Diskontinuität) und Bänder (Zusammenhalt des Ganzen). Die Felder dienen dazu, eine Monotonie großer Flächen aufzubrechen und eine Grundstruktur zu schaffen, die Bänder sind die gestalterische Verbindung zwischen verschiedenen Wandflächen-Partien. 1.3 Kalligraphie Die Kalligraphie oder auch die Kunst der Schrift besticht besonders durch die geschwungenen Linien der arabischen Schrift. Vor allem bedeutende Texte wie Koranverse, historische Ereignisse, (Stifter-) Namen und Gedichte wurden in diese kunstvolle Form gebracht. Dabei diente sie zur Betonung der Aussagefunktion und zur Visualisierung des göttlichen Wortes sowie zur Manifestation der Gegenwart Gottes im irdischen Umfeld. Auch die Kalligraphie wurde als Dekor benutzt in Schriftbändern, rechteckigen oder bogenförmigen Feldern oder Diagonalen. Dabei bezog die Gestaltung der Buchstaben auch pflanzliche und geometrische Ornamente mit ein. Abb. 10: Kalligraphie-Bänder Madrasa Al-Attarin, Fes, und Omayyaden-Moschee, Damaskus 103 2. Die Architektur der islamisch-orientalischen Stadt erläutert anhand syrischer Bauten im Vergleich zur mittelalterlichen Norddeutschland Nach der geografischen Stadtdefinition zeichnet sich eine Stadt vor allem durch funktionale und räumliche Gliederung, einen Bedeutungsüberschuss gegenüber dem Umland, hohe Bebauungsdichte, eine gewisse Größe, hohes Kern-Rand-Gefälle in Bezug auf Arbeits- und Wohnstättendichte und eine hohe Verkehrswertigkeit aus. Im heutigen Syrien befinden sich mit Damaskus und Aleppo einige der ältesten Städte der Welt. Die jeweiligen Ausprägungen und tatsächlichen Strukturen können jedoch zum Teil auf klimatische und kulturelle Gegebenheiten zurückgeführt werden. 2.1 Prämissen Islamische Stadt Norddeutsche Stadt Ethnische Segregation (Wohnquartiere) Soziale Gliederung Soziale Gliederung Trennung von Wohnen und Arbeiten Sackgassensystem Segregation nach Vermögen keine Trennung von Wohnen und Arbeiten Hierarchisches Straßennetz Abb. 11: Gegenüberstellung Stadtstruktur Abb. 12: Strassengrundrisse der Altstädte Damaskus und Lüneburg 104 Vor dem Hintergrund, dass Kultur und Religion auch immer aus der kulturgeographischen und soziologischen Perspektive betrachtet werden sollten, werden im Folgenden einige Beispiele der islamisch-orientalischen Architektur anhand von Kernmerkmalen mit norddeutschen Bauwerken stichpunktartig verglichen. 2.2. Religiöse Bauwerke in Stichpunkten Die Moschee („al-masdjid“) • Minarett als Ort der Verkündung • Brunnen im Hof zur Reinigung vor dem Gebet • Spannung des Gebäudes ausgerichtet auf die „mihrab“ (Gebetsnische, Richtung Mekka) • „el-minbar“ – „Ort des Wortes“: die Kanzel • „al-haram“ oder „al-musalla“: der Gebetssaal • „al-maqsura“: abgetrennter Bereich für den Kalifen Abb. 13: Grundriss, Innenhof und Kanzel der Omayyaden-Moschee, Damaskus Die Kirche • Glockenturm läutet am Sonntag zum Gebet • Spannung des Gebäudes längs ausgerichtet auf den Altar • Pastor oder Pfarrer predigt von der Kanzel oder Altar • Bänke: Gottesdienst wird größtenteils im Sitzen getan • Separate Bereiche für Chor, Messdiener, etc. 105 Abb. 14: Grundriss und Westfassade Dom zu Trier und St. Johannis-Kirche, Lüneburg Die Mausoleen („al-turbat“) • Traditionelle islamische Kuppelgräber • Erbauer i.d.R. bedeutende Würdenträger • oft in unmittelbarer Nähe der zugehörigen Moschee • Quadratischer Grundriss mit ausgesetztem Acht- und / oder Sechzehneck und Kuppel Abb. 15: Turba AsSaladin Die religiösen Bildungseinrichtungen („al-madrasat“) • Theologische Schulen u.a. mit den Disziplinen Theologie, Arabische Sprache, Recht und Medizin • oft in Verbindung mit einem Mausoleum • Gestiftete Bauwerke Bestandteile: • Gebetssaal • Studentenwohnungen Abb. 16: Madrasa Az-Zahiriya, Damaskus 106 Die Klosterschule • Theologische Schule als Internat (zunächst für Jungen in Mönchsorden, später auch für Mädchen in Nonnenklöstern) • Gelehrte Disziplinen: Theologie, Latein, Pflanzenheilkunde; ab 17. Jh. auch Mathematik, Französisch, Tanz, Fechten • von der Kirche gegründete Bauwerke • Bestandteile: o Klosterkirche o Unterrichtsräume o Schlafsäle Abb. 17: Ehemalige Klosterschule St. Michaelis, Lüneburg, und historische Darstellung des Klosterunterrichts 2.3. Wirtschaftsgebäude in Stichpunkten Die Marktgassen (al-suq) • Markt besteht aus Ladenreihen und Basarboxen • nach Geschäftssparten aufgeteilt • Einstöckig und komplett überdacht • Beinhalten auch Moscheen, Bäder, Garküchen usw. • Spezialisierung der einzelnen Suqs (z.B. Gewürze, Schneider, Zoll) Beispiel Suq al-Hamidiyya • erbaut 1781 von Gouverneur Muhammed Pascha • Kein spezialisierter Suq, Versorgung der Neustadtbevölkerung mit allem Notwendigen, heute eher für Touristen • Liegt in der Altstadt, läuft mit ca. 600 m Länge direkt auf Omayyaden- Moschee zu 107 • 1873 modernisiert: Ziegeldach durch Zinkblechdach ersetzt, Verbreiterung der Straße, Geschäfte auf zwei Stockwerke aufgestockt • 1925 erlitt er Bombardements und Brände während des Drusen-Aufstandes Abb. 18: Suq al-Hamidiyya in Damaskus Der Marktplatz und Zunftgassen • Zentraler, dreieckiger / quadratischer Platz • Platz mit Brunnenmitte, anbei Bau des Rathauses • Freiluftmarkt oder Markthalle, einzelne Verkaufsstände • Anfangs Trennung: Hauptmarkt und spezifische Märkte -> Zentrum städtischen Lebens (Obst, Milch, Fleisch - Stoffe, Bänder, Felle, Gewürze) • Zunftgassen: je Beruf beste Lage (Wasser, Markt, Stadtrand) Abb. 19: Ehemalige Zunftgasse Gr. Bäckerstrasse & Marktplatz mit Rathaus, Lüneburg 108 Die Karawanserei („al-khan“) • ummauerte Herberge an Karawanenstraßen für Reisende • Warenlager, Verkaufsräume und Handelsplatz für Im- und Exportwaren • Grundriss: Quadrat oder Rechteck, selten Achteck mit Innenhof, um den die arkadengesäumten Gebäude standen • Erdgeschoss: Tier-Ställe und Läden, Obergeschoss: Quartiere für Reisende • Netz von Karawansereien im Abstand von ca. 30-40 km Abb. 20: Grundriss und Innenraum Khan Assad-Pascha, Damaskus Die Herberge / das Hospiz • für Reisende von Städten betrieben • Gaststube (beheizter Raum) • Stube des Wirtes (private Räume) • Kammer (Schlafsaal, oft die Gaststube) • Küche (meist in der Gaststube) • evt.: Pferdestall, Schuppen, Brauerei, Mälzerei Abb. 21: alte Herberge, Lüneburg 2.4. Öffentliche Einrichtungen in Stichpunkten Die Bäder („al-hammamat“) • Durch das Reinheitsgebot des Islam bedingt • Waschgelegenheiten im traditionellen Wohnviertel waren nicht gegeben • Gesellschaftlicher Treffpunkt und „Verhandlungssaal“ • Ursprünglich Fünfgliederung: Umkleideraum, Kaltbad, Lauwarmbad, Heißbad und Schwitzbad 109 Abb. 22: Grundriss und Empfangsraum des Hammam al-Buzuriye, Damaskus Das Badehaus • städtische Einrichtung (13. Jh.) • Arme gossen sich mit warmem Wasser ab, Reiche ließen sich vom Bader in tiefen, bottichartigen Wannen mit Lauge abreiben • Reinigungsbad und Schwitzbad: Wasserguss auf heiße Steine • Spätere Trennung von Männern und Frauen • Diente mehr dem Vergnügen (Essen, Trinken, Mädchen, Musik) als der Hygiene -> ab 17. Jh. geschlossen Abb. 23: Malerei eines alten Badehauses Die Hospitäler („al-bimaristanun“) • von wohlhabenden Kaufleuten und Würdenträgern unterhaltene Krankenhäuser • Chirurgie, Orthopädie, Fieberkrankheiten, Psychiatrie, fester Ärztestab und Fachbibliothek • Diwane als Untersuchungs- und Lehrräume, Liegehallen 110 • Krankenstationen um den Innenhof • Angeschlossene Toilettenanlage Abb. 24: Grundriss und Innenhof des Bimaristan Nuri, Damaskus Die christlichen Hospitäler • von der Kirche im Mittelalter gegründete Krankenstationen mit Armenhaus und Pilgerherberge • Nonnen und Mönche verrichteten den Dienst im Sinne der christlichen Nächstenliebe • Disziplinen: Insbesondere Heilkräuterkunde • Bestandteile: Liegehallen, Armensaal und Altar, Kräutergarten Abb. 25: Das Kloster Lüne aus der Vogelperspektive 2.5. Zitadelle (al-Qala`a) • am stärksten ausgebauter Teil einer Festung • innerhalb oder am Rande einer Stadt positioniert 111 • Grundriss eines regelmäßigen Vieleckes • Meist auf einem Hügel • Schießscharten und Gusserker zur Abwehr Abb. 26: Haupttor und Grundriss der Zitadelle von Aleppo Burg • Burg: Verteidigung und Sicherung des Landes • Bastionen oder Wälle meist auf Hügeln erbaut • u.a. Wohnsitz für Ritter, Soldaten und Bürger Aufbau: Burgmauer, Zugbrücke, Fallgatter, Außenwerk (Zwinger), Vorburg, Hauptburg, Bergfried (höchster Turm in einer Burg). Die Eingangstür befindet sich aus Sicherheitsgründen nicht zu ebener Erde, sondern im ersten Stock. Man gelangt dorthin über eine Einstiegsleiter, die bei Gefahr hochgezogen oder zerstört wird), Wohnhaus, Rüstkammer, Zisterne, Turm mit Verlies, Wehrgang (Holzaufbau über der Mauer zur Verteidigung, überdacht), Kapelle, Burgküche. Abb. 27: Burg Hohensalzburg & Modell einer mittelalterlichen Burg 112 2.6 Fazit Nach der ausgiebigen Erkundung der Altstädte von Damaskus und Aleppo konnten wir vor dem Hintergrund der wissenschaftlichen Modelle eigene Einschätzungen vornehmen. Demnach ist die islamische-orientalische Stadt der deutschen mittelalterlichen Stadt in vielen Punkten nicht unähnlich: Sie ist „alt“, organisch gewachsen und daher eher unübersichtlich, geprägt durch fußläufige Entfernungen, von einer Stadtmauer umgeben, verfügt über Mischung von Alt- und Neubauten und hat eine eher überschaubare Größe. Unterschiede ergeben sich vor allem aus dem Verhältnis Öffentlichkeit-Privatheit, der strengen ethnischen Segregation und der klaren Funktionstrennung. So stellen das Wirtschaften und Handeln im Suq und das gemeinsame Gebet in der Moschee die eigentliche öffentliche Handlung dar, während fast alle anderen Bereiche des täglichen Lebens in der islamisch-orientalischen Stadt vor allem durch die Privatheit geprägt sind. So sind auch nur die großen Durchgangsstraßen der Stadt als öffentlicher Raum zu verstehen, während die Zugangsstraßen zu Wohnvierteln und die kleinsten Sackgassen mit Hauseingängen als privat oder semi-privat bezeichnet werden müssen. Diese Innengekehrtheit findet sich auch in der gedrungenen, kompakten Bauweise und damit eher bescheidenen Fernwirkung der Altstadt wieder, während die deutschen mittelalterlichen Altstädte mit ihren Kirchturmspitzen und weiteren Türmchen über eine aufstrebende Silhouette verfügen. Auch in den verschiedenen Gestaltungsmitteln finden sich dieses Privatheits-Verhältnis sowie das zeitgenössische Weltbild des arabischen Kulturraumes wieder und verströmt den Zauber einer fast vergangenen Epoche, dem auch wir erlagen. 113 3. Literaturverzeichnis 1. Rotter, Gernot: 1999, Syrien, 3. aktual. Auflage, Ed. Temmen (Edition Erde Reiseführer), Bremen. 2. Clévenot, Dominique & Degeorge, Gérard: 2000, Das Ornament in der Baukunst des Islam, Hirmer Verlag, München. 3. Galli, Max & Mill, Maria: 2009, Reise durch Syrien, Verlagshaus Würzburg GmbH & Co. KG, Stürtz, Leipzig. 4. Scheck, Frank Rainer und Odenthal, Johannes: 2001, Syrien, Hochkulturen zwischen Mittelmeer und Arabischer Wüste, 2. Auflage, DuMont Buchverlag, Köln. 5. Stierlin, Henri: 2005, Schätze aus dem Morgenland, Orientalische Baukunst von Damaskus bis Granada, Frederking & Thaler Verlag GmbH, München. 6. Wirth, E.: 2002, Die orientalische Stadt im islamischen Vorderasien und Nordafrika, Von Zabern, Mainz. 7. Abb. 2: http://www.souria.com/syriaphotos/index.asp?oo=280 8. Abb. 3: http://www.lueneburg.de/textonly/Portaldata/1/Resources/stlg_dateien/stlg_bilder/stadtbilder/ hohe_Aufloesung/am_sande_800x600_ha.jpg 9. Abb. 5: http://metropolregion.hamburg.de/image/258806/IHK_Lueneburg.jpg http://www.lueneburg.de/textonly/Portaldata/1/Resources/lgm_dateien/lgm_bilder/tourismus_stadt/innen stadt/hohe_Aufloesung/Altstadt_ha.jpg 10. Abb. 6: Rotter, Gernot: 1999, Syrien, 3. aktual. Auflage, Ed. Temmen (Edition Erde Reiseführer), Bremen. 11. Abb. 7-10: Clévenot, Dominique & Degeorge, Gérard: 2000, Das Ornament in der Baukunst des Islam, Hirmer Verlag, München. 12. Abb. 12: http://www.syriantours.net/Maps/Cities/damascus_big.jpg http://www.stadtplan.net/niedersachsen/bisher-reg-bez-luneburg/luneburg/luneburg 13. Abb. 13: Rotter, Gernot: 1999, Syrien, 3. aktual. Auflage, Ed. Temmen (Edition Erde Reiseführer), Bremen. 14. Abb. 14: http://www.treveris.com/picture/dom_grundriss_detail.jpg http://www.google.de/imgres?imgurl=http://www.treveris.com/picture/dom_westportal_detail.jpg&imgref url=http://www.treveris.com/dom.htm&h=800&w=990&sz=168&tbnid=nopaOSd_mzR5M:&tbnh=120&tbnw=149&prev=/images%3Fq%3DDom%2Btrier&hl=de&usg=__6sW6e0p18typLqxNhDul MPsc3_Y=&ei=bgD3S7HaMKSiOLKo6JQM&sa=X&oi=image_result&resnum=6&ct=image&ved=0CEMQ9QE wBQ http://www.google.de/imgres?imgurl=http://www.mathiasbrodt.de/de/media/weblog/7m4mxa9e2msg3c6m/2008/129-lueneburg-aussichtwasserturm/11.jpg&imgrefurl=http://www.mathias-brodt.de/de/weblog/2008/05/10/lueneburg-aussichtwasserturm/&usg=__zLtZlUueAhL-oZJsdz5fpf0bS8M=&h=719&w=485&sz=87&hl=de&start=2&sig2=_XAEZX8i1Apiyxn6M2rwg&um=1&itbs=1&tbnid=JGbGsrPGYFAwQM:&tbnh=140&tbnw=94&prev=/images %3Fq%3DSt.%2BJohannis%2BKirche%2BL%25C3%25BCneburg%2Bturm%26um%3D1%26hl%3Dde%2 6gbv%3D2%26tbs%3Disch:1&ei=8QP3S4vXE9iSsgaHgaGGBg 114 15. Abb. 15: Galli, Max & Mill, Maria: 2009, Reise durch Syrien, VerlagshausWürzburg GmbH & Co. KG, Stürtz, Leipzig. 16. Abb. 16: http://archnet.org/library/images/one-image-large.jsp?location_id=4168&image_id=12662 http://archnet.org/library/images/one-image.jsp?location_id=4168&image_id=12666 http://archnet.org/library/images/one-image.jsp?location_id=4168&image_id=12664 17. Abb. 17: http://lh4.ggpht.com/meinharderich/Rx0KsHpmJWI/AAAAAAAAC90/n3XPLQp8a8o/s400/ Michaelis-Klosterschule+in+L%C3%BCneburg_IMG_0116.jpg http://www.deutschland-im-mittelalter.de/bilder/das-kloster/unterricht-klosterschule.jpg 18. Abb. 18: http://www.goruma.de/export/sites/www.goruma.de/Globale_Inhalte/Bilder/Content/S/syrien_ damaskus_souq-al-hamidija.jpg_429653300.jpg http://www.souria.com/syriaphotos/index.asp?oo=20 19. Abb. 19: http://www.lueneburger-geschichte.de/ansichten/anindex.html http://www.seminaris.de/files/fotogalerie/Lueneburg_Markt_20_cm.jpg 20. Abb. 20: Scheck, Frank Rainer und Odenthal, Johannes: 2001, Syrien, Hochkulturen zwischen Mittelmeer und Arabischer Wüste, 2. Auflage, DuMont Buchverlag, Köln. http://images.cdn.fotopedia.com/flickr-3361952860-image.jpg 21. Abb. 21: http://www.lueneburger-geschichte.de/stadt/stadtindex.html 22. Abb. 22: http://www.worldofstock.com/slides/TME3094.jpg Rotter, Gernot: 1999, Syrien, 3. aktual. Auflage, Ed. Temmen (Edition Erde Reiseführer), Bremen. 23. Abb. 23: http://www.arsmagica.de/kuriosa/wissenswertes/gasthaus/ 24. Abb. 24: Scheck, Frank Rainer und Odenthal, Johannes: 2001, Syrien, Hochkulturen zwischen Mittelmeer und Arabischer Wüste, 2. Auflage, DuMont Buchverlag, Köln. http://www.eslam.de/bildergalerien/b/bimaristan_nuri/bimaristan_nuri_bildergalerie.htm 25. Abb. 25: http://www.ballonfahrt.de/img/lueneburg/ballonfahrt_lueneburg_kloster_gross.jpg 26. Abb. 26: http://www.geo-reisecommunity.de/bild/199912/Aleppo-Syrien-Zitadelle-Aleppo Scheck, Frank Rainer und Odenthal, Johannes: 2001, Syrien, Hochkulturen zwischen Mittelmeer und Arabischer Wüste, 2. Auflage, DuMont Buchverlag, Köln. 27. Abb.27: http://farm4.static.flickr.com/3217/2959602983_19181e634c_b.jpg http://www.lehnswesen.de/page/html_burg.html 115 Die Rolle der Frau in Syrien Anne Backhaus und Sina Keddo Gliederung 1 Die Frau in der Politik 1.1 Familien- und Bildungspolitik 2 Das Bild der syrischen Frau 3 Die Bedeutung der Ehe in Syrien 3.1 Zwangsehe 3.2 Scheidung 3.3 Polygamie 3.4 Ehrenmord 4 Die Frau in der Arbeitswelt 5 Fazit 6 Literaturverzeichnis / Quellenangaben 116 Einleitung Grundsätzlich trennt das islamische Recht unterschiedliche Personengruppen. So haben Frauen und Männer, Freie und Unfreie, Muslime und Nicht-Muslime einen unterschiedlichen Rechtsstatus. Die dominante und privilegierte Rechtsstellung kommt allerdings dem freien muslimischen Mann zu. Der Artikel 45 des syrischen Grundgesetzes besagt allerdings, dass die Frau als vollwertiges Mitglied der arabischen Gesellschaft angesehen werden sollte. Article 45 [Women] The state guarantees women all opportunities enabling them to fully and effectively participate in the political, social, cultural, and economic life. The state removes the restrictions that prevent women's development and participation in building the socialist Arab society. (1 Grundgesetz) Mit unserer Ausarbeitung möchten wir untersuchen, ob dies in Syrien gewährleistet wird. Dazu betrachten wir die Frau in der Politik, in der Öffentlichkeit, der Arbeitswelt und in der Ehe. Ebenso befassen wir uns mit der Familien- und Bildungspolitik. Wir versuchen einen Überblick über die unterschiedlichen, kontroversen, gesellschaftlichen Themen zu erfassen. Die Schwierigkeit bestand darin zuverlässige Quellen zu finden, die verallgemeinernd die Rolle der Frau beschreiben. Dabei ist es schwer nicht von der Meinung des Autors beeinflusst zu werden. Des Weiteren erscheint es so, als ob viele Quellen bezüglich dieses Themas sehr veraltet sind, weswegen wir auch auf Internetquellen zurückgreifen mussten. Unserer Meinung nach weicht die Theorie etwas von der Realität ab. In dieser Ausarbeitung haben wir versucht, einen Zusammenhang zu den Eindrücken zu schaffen, die wir vor Ort gewinnen konnten. Je nach Schicht, Traditionalität und Region innerhalb Syriens gibt es sehr viele Unterschiede bezüglich der Rolle der Frau, die nicht außer Acht gelassen werden dürfen. 117 1 Die Frau in der Politik Die Gleichberechtigung der syrischen Frau ist in der sozialistischen Volksrepublik durch die Verfassung gewährleistet. Im gegenwärtigen Kabinett sind zwei Frauen vertreten und im Parlament 30 Abgeordnete. Insgesamt sitzen 250 Abgeordnete in der Volksversammlung, demnach bilden die Frauen immerhin 1/8 der Stimmbeteiligten. (2 Auswärtigesamt) 1.1 Familien- und Bildungspolitik Kinderreichtum bedeutet in Syrien gesellschaftliches Ansehen, Fortpflanzung gilt als muslimische Lebenspflicht. Leider hat nicht jede Familien genug Zeit und Geld sich angemessen um ihre Kinder zu kümmern und sie zu versorgen. Für viele Kinder, die noch nicht schulpflichtig sind, ist die Straße der einzige Kinderhort. Aus diesen Gründen möchte die Regierung das rasante Bevölkerungswachstum durch eine Drei-Kind-Politik eindämmen. Die Geburtenrate liegt bei 3,5. Knapp 40 Prozent der Syrer sind unter 14 Jahre alt. Doch der lahmende Arbeitsmarkt kann die Massen junger Leute schon heute nicht mehr aufnehmen. Die Arbeitslosenquote wird auf über 20 Prozent geschätzt. Der Staat zahlt heute ein gestaffeltes Kindergeld: Für das erste Kind gibt es 300 syrische Pfund im Monat (etwa 4,60 Euro), für das zweite 200 und fürs dritte noch 100. Auch verlieren Beamtinnen ab dem vierten Kind ihren Anspruch auf Mutterschaftsurlaub. Tatsächlich ist die Geburtenrate bereits gesunken – von 31,11% pro 1000 Einwohner im Jahr 2000 auf 25,9% im Jahr 2009. (3 Spiegel-Online) Während unseres Aufenthalts in Syrien ist uns der enorme Kinderreichtum des Landes tatsächlich aufgefallen. In den Straßen und Moscheen tummelten sich die Kinder, man sah kaum ein junges Paar ohne Kinderwagen. Die folgenden zwei Fotos sollen unseren Eindruck verstärken und zeigen spielende Kinder in der Omayyaden-Moschee und Kinder die vor einem Atelier auf der Straße malen. 118 Spielende Kinder in der Moschee Malen auf der Straße 119 Die Bereiche Erziehung und Wissenschaft sind für Syrien von zentraler Bedeutung. Regierungsziel ist es, das Niveau in der Schul- und Hochschulbildung zu verbessern. Im Folgenden zitiere ich den Artikel 23 des syrischen Grundgesetzes, dieser belegt die Wichtigkeit der Bildung für die arabische Gesellschaft: Article 23 [Socialist Education, Arts, Sports] (1) The nationalist socialist education is the basis for building the unified socialist Arab society. It seeks to strengthen moral values, to achieve the higher ideals of the Arab nation, to develop the society, and to serve the causes of humanity. The state undertakes to encourage and to protect this education. (2) The encouragement of artistic talents and abilities is one of the bases of the progress and development of society, artistic creation is based on close contact with the people's life. The state fosters the artistic talents and abilities of all citizens. (3) Physical education is a foundation for the building of society. The state encourages physical education to form a physically, mentally, and morally strong generation. (4 Grundgesetz) Bildung ist frei und deshalb besteht allgemeine Schulpflicht, die inzwischen für alle Kinder im Alter von 6 bis 15 Jahren gilt (Schulpflicht bis zur 9. Klasse). Auch diese ist im Grundgesetz verankert: Article 37 [Free Education] Education is a right guaranteed by the state. Elementary education is compulsory and all education is free. The state undertakes to extend compulsory education to other levels and to supervise and guide education in a manner consistent with the requirements of society and of production. (5 Grundgesetz) Im folgenden Abschnitt möchte ich das syrische Bildungssystem vorstellen. Eine schulische Grundausbildung ist nicht nur für Mädchen von enormer Bedeutung, sondern eine ganze Gesellschaft hängt von der Bildung seiner Kinder ab. Deshalb scheint mir dieser Exkurs notwendig, um das Leben einer syrischen Frau nachzuvollziehen. 120 Das syrische Schulsystem baut sich wie folgt auf: Zuerst besucht man im Alter von 6-14 Jahren die Elementarschule, sie beinhaltet zwei Phasen: die erste Phase dauert vier Jahre, hier lernen die Kinder nach einem Lehrplan und beginnen mit der ersten Fremdsprache: Englisch. Die zweite Phase beginnt in der fünften Klasse, hier können Jungen und Mädchen getrennt voneinander unterrichtet werden. Der Unterricht wird weiterhin durch einen Lehrplan des Ministeriums bestimmt. Eine Prüfung am Ende des neunten Schuljahres entscheidet, ob das Kind die folgende Sekundarschule besuchen darf. Diese dauert drei Jahre und entscheidet, ob ein/e Schüler/in studieren darf. So wie in Deutschland bestimmt die Note des Abiturs über die Auswahl der Fächer und des Ortes, wo und was studiert werden kann. (6 Bildungssystem) Die Gesamtzahl der Schüler beträgt über 4 Mio. (davon über 40 % Mädchen), die Zahl der Schulen über 16.000 (davon fast 15.000 gemischte), die der Lehrer knapp 255.000. Hinzu kommen ca. 120 Berufsfachschulen mit ca. 33.000 Schülern. (7 Auswärtigesamt) Die syrischen Studenten, mit denen wir Kontakt hatten, haben allerdings meine Vermutung bestätigt, dass nicht alle Eltern auf einen regelmäßigen Schulbesuch ihrer Kinder achten. Immerhin ist die Analphabetenrate auf 17% gesunken, wobei sie bei Mädchen weiter verbreitet ist. Das Land verfügt über vier staatliche Universitäten (Damaskus, Aleppo, Homs und Lattakia), an denen über 200.000 syrische (davon knapp 50 % Frauen) und über 8.000 ausländische Studenten (überwiegend aus arabischen Ländern) immatrikuliert sind, hier ist das Studium gebührenfrei. Inzwischen gibt es eine Vielzahl privater Universitäten, die zum Teil mit deutschen und anderen europäischen und amerikanischen Universitäten Kooperationsabkommen geschlossen haben. Seit Oktober 2005 hat die deutsch-syrische Wadi Universität bei Homs den Lehrbetrieb aufgenommen, deren Absolventen sowohl einen syrischen als auch einen deutschen Universitätsabschluss erhalten. (8 Auswärtigesamt) Während unseres Aufenthalts in Syrien haben wir nicht nur eine Private Universität besucht, sondern auch ein Gespräch mit einem Investor einer anderen Privaten geführt. Mit den Studenten der Yarmouk University tauschten wir uns über die Möglichkeiten des Studiums aus. Die meisten der 17 – 19 Jährigen studieren Architektur, Ingenieurwesen oder Betriebswirtschaftslehre. Neunzig Prozent ihrer Veranstaltungen hören die jungen Syrer und Syrerinnen (ca.50%) auf Englisch und ihre Eltern zahlen rund 5000 US-Dollar Studiengebühren im Jahr. Die Studenten erhoffen sich neben einer guten Ausbildung spätere 121 Jobchancen in bedeutenden Positionen im In- und Ausland. Interessant scheint im Hinblick auf die Bildung der National Human Development Index (HDI). Dieser ermittelt unter anderem die Analphabetenrate, ebenso vergleicht er Länder bezüglich der Lebenserwartung, des Bildungsgrads und der Einschulungsrate der Bevölkerung. Im Juli 2005 stellte die syrische Regierung in Zusammenarbeit mit der UN-Entwicklungsorganisation UNDP den National Human Development Report zum syrischen Bildungssystem vor, in dem eine Verbesserung der Schul- und Hochschulbildung deutlich angemahnt wurde. Allerdings konnte diese bis heute nicht erreicht werden. Die folgende Graphik zeigt die Entwicklung der Jahre von 1990 bis 2005, mit diesem Verlauf liegt Syrien auf Platz 107 von 182 und zählt zu den Ländern mit mittlerem Entwicklungsstand. Deutschland zählt zu den OECD Staaten und liegt somit unter den ersten 10. Auffällig ist auch, dass der HDI von Syrien im Gegensatz zu den anderen Ländern schwankt und nicht exponentiell wächst. (9 HDI) 2. Das Bild der syrischen Frau Kaum etwas prägt unser gesellschaftliches Leben mehr als die Differenzierung zwischen Mann und Frau, in der orientalischen Welt noch viel extremer als in der Westlichen. Im Internet habe ich eine Umfrage zu dem Thema „Das Bild der Frau in Syrien“ (10 li lak) entdeckt und möchte hier einige Ergebnisse vorstellen. Die Männer von Damaskus sehen eine Frau, laut der Umfrage, so: 122 Sind von anderen abhängig – reden gerne und viel – denken nur an Heirat und daran, alles ohne Anstrengung zu erreichen – geben gerne Geld aus und helfen nie ihrem Ehemann, auch wenn sie arbeiten – sie ist nur Hausfrau – nicht stark – gastfreundlich – großzügig – sie ist das Symbol der Weiblichkeit – nett und freundlich – zärtlich im Gegensatz zum Mann – geben viel Zuwendung – gute Charaktereigenschaften allgemein – loyal in der Gesellschaft Frauen beschreiben sich selbst so: Hinterhältig – emotional – neidisch – sie sind gute Köchinnen – selbstsüchtig – sie ändern schnell ihre Meinung – intolerant und konservativ – sie regeln den Haushalt – sie können auch außerhalb des Hauses arbeiten – sorgen sich um ihre Kinder und helfen ihrem Ehemann – weich – schüchtern – höflich Verschiedene und gegensätzliche Beschreibungen werden hier dargestellt, diese weisen auf unterschiedlichste Einschätzungen der Lage der Frau hin, welche man im Internet finden konnte. Während unseres Aufenthaltes in Syrien hatten wir die Möglichkeit, eigene Eindrücke zum Bild der Frau sammeln zu können. In den Städten Damaskus und Aleppo sahen wir tagsüber viele Frauen, die meist in Gruppen unterwegs waren. Manche waren verschleiert, andere, vor allem jüngere Frauen, pflegten den westlichen Kleidungsstil. Abends ab ca. 20.00 Uhr änderte sich das Bild. In Kaffees und Restaurants traf man häufig nur noch auf Männer und in Palmyra, einem „Dorf“ sah man kaum eine Frau auf der Straße. Auch die jungen Mädchen, die wir kennen gelernt haben, durften uns abends nicht in unserem Haus in Damaskus besuchen. Die männlichen Studenten erklärten uns, dass junge Frauen frühzeitig bei ihren Eltern um Erlaubnis fragen müssen, um abends das Haus zu verlassen und sich mit Freunden/innen zu treffen. Für uns Europäer scheint dies als eine konservative Einstellung der Eltern, westliche Jugendliche würden rebellieren! Die syrischen Mädchen akzeptieren diese Regel jedoch und schienen darüber nicht frustriert. Partys werden in Syrien auch gefeiert, sie beginnen mittags und enden am frühen Abend. So können Jungen und Mädchen zusammen feiern ohne die Wertvorstellungen der Eltern zu brechen. Natürlich gibt es auch eine andere Seite, die Mädchen, die es sich nicht nehmen lassen, in der Öffentlichkeit mit ihrem Freund Händchen zu halten und die auch nach zehn Uhr in den Gassen von Damaskus anzutreffen waren. Festzuhalten bleibt, dass die Frauen in der Öffentlichkeit, so wie sie sich verhielten, nicht unglücklich erschienen. 123 3 Die Bedeutung der Ehe in Syrien 3.1 Zwangsehe Unter Zwangsehe versteht man eine Eheschließung, die ohne das Einverständnis der beiden mündigen Ehepartner vollzogen wird und grenzt sich damit zur arrangierten Ehe ab. Bei der Zwangsehe werden Braut oder Bräutigam oder beide durch die Androhung oder Anwendung von physischer oder psychischer Gewalt zur Eingehung der Ehe gezwungen. Die Zwangsehe ist in der islamischen Welt weit verbreitet, weil sie durch das islamische Recht legalisiert wird. Häufig werden Zwangsehen jedoch vollzogen, um die Ehre der Familie zu retten. Bezüglich des Themas Zwangsehe gibt es mehrere Überlieferungen, die unterschiedliche Interpretationsfreiräume bieten. Einige Überlieferungen sagen aus, dass die vor- und frühislamische Praxis davon ausging, dass der Ehevormund, meistens der Vater, seine jungfräuliche unmündige Tochter gegen ihren Willen verheiraten darf, dass erwachsene Frauen jedoch keinen Ehevormund brauchen. Anderen Überlieferungen zu folge hat der Prophet allerdings den Jungfrauen auch das Recht eingeräumt, eine Eheschließung abzulehnen, denn eine Zustimmung besteht lediglich im Schweigen der Jungfrau. „Der Prophet (...) sagte: »Eine ältere Frau darf nur verheiratet werden, wenn dies mit ihr besprochen wurde. Und eine Jungfrau darf nur verheiratet werden, wenn sie der Heirat zustimmt.« Jemand fragte ihn: »O Gesandter Gottes, wie äußert eine Jungfrau ihre Zustimmung?« Er erwiderte: »Sie gibt dadurch ihr Jawort, daß sie schweigt.«“(10 Wikipedia 2010) Bei der Eheschließung ist die Anwesenheit des Ehevormundes notwendig, da der Ehevertrag zwischen dem Ehevormund der Braut und dem Bräutigam geschlossen wird. (11 Wikipedia 2010) Wieder andere Überlieferungen sagen aus, dass im Islam die Eheschließung ein freier Prozess ist, indem sowohl der Mann als auch die Frau sich frei für ihren zukünftigen Ehepartner entscheiden kann. 124 Der Vater einer Frau, die erstmals heiratet, hat jedoch ein sogenanntes Veto-Recht. Dieses Veto- Recht soll als „Hürde“ für den Zukünftigen dienen, darf jedoch nur angewandt werden, wenn es gravierende islamische Gründe gibt wie zum Beispiel eine Alkoholabhängigkeit des zukünftigen Mannes. Heiratet die Tochter gegen den Willen des Vaters, verliert sie höchstens die Zustimmung ihres Vaters. Das Veto- Recht kann also nicht zu einer Zwangsehe führen. (12 Islamicrevolutionservice 2010) Durch die verschiedenen Interpretationen, wann eine Zwangsehe vollzogen wurde und wann nicht, ist es sehr schwer zu erfassen, wie viele Zwangsehen heute noch in Syrien geschlossen werden. Die Dunkelziffern sind enorm. Die Menschenrechtsorganisation „Terre des Femmes“ registrierte bundesweit jährlich über 1000 Zwangsverheiratungen. 2008 wurden bundesweit alleine 50 Fälle von „Ferienverschleppungen“ registriert. (13 Sarsura-Syrien 2009) 3.2 Scheidung Wenn sich einer der Ehepartner scheiden lassen will, gibt es unterschiedliche rechtliche Grundlagen, abhängig vom Geschlecht des Ehepartners. Die islamische Frau hat drei Möglichkeiten, um sich eigenwillig scheiden zu lassen: Zum einen besteht die Möglichkeit, dass die Frau von Anfang an im Ehevertrag Bedingungen festlegt, unter denen sie sich scheiden lassen kann. Eine Bedingung könnte zum Beispiel sein, dass der Ehegatte keine zweite Ehe eingehen darf. Würde er dies trotzdem tun, könnte die Ehefrau sich scheiden lassen, da der Ehegatte gegen den Ehevertrag verstoßen hat. Zum anderen besteht eine Möglichkeit der Chul’a- Scheidung. Darin bittet die Ehegattin ihren Ehemann um die Aussprache der Scheidung. Als Gegenleistung muss sie ihrem Ehemann die Mitgift und andere materielle Werte überlassen. Die letzte Möglichkeit der Scheidung besteht in der gerichtlichen Scheidung. Die Ehefrau hat jedoch eine Beweispflicht einzuhalten. Dabei muss sie Scheidungsgründe, wie zum Beispiel die Impotenz oder eine langjährige Verletzung der Unterhaltspflicht des Mannes, nachweisen. 125 Für die islamische Frau ist es also am sinnvollsten, Scheidungsgründe im Ehevertrag festzuhalten. Im Unterschied zu den komplizierten Auflagen, die eine Frau erfüllen muss, um sich scheiden zu lassen, ist der Prozess der Scheidung für den Ehegatten nicht so kompliziert. Wenn sich der Ehemann scheiden lassen möchte, muss er dies lediglich aussprechen. Dies darf jedoch nicht zum Menstruationszeitpunkt der Frau geschehen, in dem der Beischlaf mit ihr verboten ist. Der Prophet hatte erklärt, dass Allah von allen erlaubten Handlungen die Scheidung am verhasstesten ist. (14 Frauen in islamischen Welten 1999) 3.3 Polygamie In der Polygamie ist die Schließung mehrerer Ehen legal. Das islamische Recht beschränkt die Polygamie jedoch mit bis zu vier Frauen in der Verbindung mit der Versorgung von Witwen und Waisen: Vers 3 Sure 4: „ Und wenn ihr fürchtet, den Waisen nicht gerecht werden zu können, nehmt euch als Frauen, was euch gut erscheint, zwei oder drei oder vier. Doch wenn ihr fürchtet, ihnen nicht gerecht werden zu können, heiratet nur eine…“ (15 Wikipedia 2010) Deswegen wird vom Koran aus die Polygamie eher in Ausnahmefällen, wie zum Beispiel in Kriegszeiten und bei einem Frauenüberschuss, akzeptiert. Im Vers 128 wird weiter darauf eingegangen: „ Und ihr könnt zwischen den Frauen keine Gerechtigkeit üben, so sehr ihr es auch wünschen möget.“(16 Wikipedia 2010) Aus diesem Vers kann entnommen werden, dass ein Ehemann es nicht schafft alle Frauen gleich zu behandeln, weswegen es ihm untersagt ist, mehrere Ehen zu schließen. Dieser Vers kann zum einen als Aufforderung, dass alle Ehefrauen gleich behandelt werden müssen, zum anderen jedoch auch als indirektes Verbot der Polygamie verstanden werden. (16 Frauen in islamischen Welten 1999) 3.3 Ehrenmorde Ehrenmord ist ein Begriff, der die vorsätzliche Tötung eines Menschen bezeichnet. Die Tatbestandsgründe resultieren aus der Sicht des Täters aus der vermeintlichen Verletzung der 126 Ehre der Familie, welche durch den Mord wiederhergestellt wird. In diesem Fall ist der Begriff Ehre mit einer traditionellen Vorstellung behaftet und hat nichts mit der Achtung gegenüber einander im Sinne der Aufklärung zu tun. Die gesellschaftliche Ehre der Männer in einer Familie hängt auch von dem normgerechten Verhalten der weiblichen Angehörigen ab. Das normgerechte Verhalten der Frau wird an den ihrem Geschlecht auferlegten Regeln und Normen bemessen. Bei der Recherche nach Quellen zu diesem Thema ist es sehr auffällig, wie schwer es ist, zuverlässige, aktuelle Statistiken zu finden. Der Weltbevölkerungsbericht der UNO verkündete, dass alljährlich weltweit mindestens 5.000 Mädchen oder Frauen in Form von Ehrenmorden hingerichtet werden. Die Schätzungen liegen jedoch bei 10.000 bis 100.000 Fällen pro Jahr. Syrien zählt neben der Türkei, Jordanien, Libanon und Pakistan zu den Ländern, die am meisten Ehrenmorde zu verzeichnen haben. (17 Politik-lernen 2006) In vielen Ländern gehen Täter von Ehrenmorden straffrei aus. Auch in Syrien war das lange Zeit der Fall. Im syrischen Strafgesetzbuch wurde die Straffreiheit für Ehrenmorde legitimiert. Langjährige Bemühungen von unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen führten dazu, dass der syrische Präsident, Baschar Al-Assad, die Abschaffung der Straffreiheit veranlasste. Durch den Anstieg der Ehrenmorde in Syrien wurde im Jahre 2008 ein neues Gesetz geschaffen, dass Täter von Ehrenmorden mit einer Mindeststrafe von zwei Jahren bestraft. (18 NZZ online 2009) Alleine im ersten Halbjahr des Jahres 2008 wurden 29 Ehrenmorde registriert, die Dunkelziffer darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden. (19 Dw-world 2009) 4. Die Frau in der Arbeitswelt Nach dem Koran ist es für die Frau möglich, einer legalen Arbeit nachzugehen. Dabei muss jedoch ihre Würde bewahrt bleiben und sie sollte die Möglichkeit haben, der islamischen Bekleidungsvorschrift und Verhaltensweisen nachkommen zu können. Dabei ist es jedoch wichtig, dass sie trotz der Arbeit ihren häuslichen Pflichten nachkommen kann, da diese den persönlichen Wünschen nach Karriere übergeordnet sind. 127 Zur Ausübung eines Berufs, Fortführung einer Ausbildung oder eines Studiums braucht sie die Einwilligung ihres Ehemanns bzw. muss diese Kriterien in ihrem Ehevertrag garantieren lassen. Muslimischen Frauen steht das Recht zu, bei gleicher Arbeit wie ein Mann entlohnt zu werden und alleine darüber zu verfügen. Nach dem Koran kann die muslimische Frau sowohl Führungspositionen in Behörden, Unternehmen und in der Politik als auch höhere Ämter in der Regierung ausführen. Was jedoch stets zu beachten ist, ist die Bekleidung. Da außer der ehelichen Sexualbeziehung jede andere Sexualbeziehung zwischen Männern und Frauen verboten ist, muss durch das Verhalten in der Öffentlichkeit auf modische Besonderheiten verzichtet werden, da diese zu einer verbotenen Sexualbeziehung führen könnten. Männer und Frauen, die nicht miteinander verheiratet oder eng verwandt sind, so dass eine Ehe ausgeschlossen werden kann, dürfen nicht miteinander alleine sein. Für die Arbeitswelt bedeutet dies, dass sie sich zum Beispiel keinen Büroraum teilen dürfen. Des Weiteren sollen sie Blicke voreinander senken und ihre Reize nicht zur Schau stellen. (20 Frauen in islamischen Welten 1999) Seit den 60er Jahren wurde ihm Rahmen des Sozialismus die Expansion der Bildungs- und außerhäuslichen Beschäftigungsmöglichkeiten für Frauen vorangetrieben. Die Zugangsbedingungen haben sich für arbeitswillige Frauen verbessert. Dies wurde unter anderem durch die Gründung der syrischen Frauenunion (1969: Al Ittihad al Amman Nisaiy), als auch durch die Frauenvereinigung der a´th Partei herbeigeführt. 27% der syrischen Frauen arbeiten, doch nur wenige gehen auch einer bezahlten Tätigkeit nach, viele engagieren sich ehrenamtlich. Die allgemeine Schulpflicht hat dazu geführt, dass wenigstens ein Großteil der weiblichen Bevölkerung die sechste Klasse absolviert. Durch die allgemeine Schulpflicht wird den syrischen Frauen jedoch die Möglichkeit geboten, einen Einstieg in das universitäre System zu finden. 1998 waren 39% der Studierenden Frauen, was einen enormen Zuwachs darstellt. Viele der Frauen studieren jedoch nur, um ihr Selbstwertgefühl zu verbessern, da vielen schon zu Beginn des Studiums klar ist, dass sie auf Grund von einer Eheschließung dieses frühzeitig beenden müssen. 128 Denjenigen Frauen, die ihr Studium absolvieren, ist jedoch nicht der Berufseinstieg gewährleistet. Momentan besteht noch eine starke normative moralische Barriere der Arbeitgeber, Väter und Ehemänner durch die der Berufseinstieg zusätzlich zu den schlechten wirtschaftlichen Zeiten für Frauen erschwert wird. Väter und Ehemänner haben Angst vor der potenziellen Gefahr vor Belästigungen der Töchter oder Ehefrauen am Arbeitsplatz. Des Weiteren geht eine berufstätige Tochter oder Ehefrau in den meisten Fällen mit einer Beschmutzung der Familienehre einher. Längere Arbeitszeiten oder Büroteilungen mit männlichen Arbeitskollegen können zu übler Nachrede führen. Berufstätige Frauen bekommen meistens gesellschaftlich nur wenig bzw. gar keine Anerkennung für ihren beruflichen Erfolg. Gesellschaftlich werden die Ehemänner der berufstätigen Frauen kritisiert, da sie ihren Familien mit ihren finanziellen und sozialen Verpflichtungen nicht nachzukommen scheinen. Die muslimische Frau muss sich also entscheiden, ob sie Erfolg anstrebt und somit eine Gefährdung des Rufes in Kauf nimmt oder ob sie ihre Erfüllung in der Versorgung der Familie und des Haushalts sieht. In den letzten Jahren ist jedoch eine Lockerung der normativen weiblichen Rollenmuster zu beobachten. (21 „Frauenwelt“ in Damaskus 2002) Auch mir schien es vor Ort so, dass sich die normative Rolle der Frau, besonders der Frauen in den jüngeren Generationen, gelockert hat. Im alltäglichen Leben hingegen sieht man immer noch selten Frauen arbeiten. Dies kann auch an der Tatsache liegen, dass die berufstätigen Frauen zu meist akademischen Berufen nachgehen, jedoch nur selten repräsentative Rollen einnehmen. 5. Fazit Durch unsere Hausarbeit hatten wir persönlich die Möglichkeit, uns intensiv mit sehr kritischen Themen, die teilweise sehr vorurteilbehaftet aus westlicher Sicht betrachtet werden, zu beschäftigen. Durch unsere Recherchen hatten wir bereits einen Einblick in die syrische Welt gewinnen können. 129 Die zusätzliche Exkursion hat uns die Möglichkeit geboten, dass wir zusätzlich das reale Syrien mit all seinen Fassaden kennen lernen durften. Dadurch konnten wir einen direkten Vergleich ziehen, zwischen dem Eindruck, der über die Literatur und das Internet über Syrien vermittelt wird und der Realität. Syrien ist nicht nur auf kultureller Ebene beeindruckend, sondern auch hinsichtlich dem gesellschaftlichen Miteinander, von dem sich der Westen einiges abgucken könnte. Zugleich ist es ein Land, das kontroverser nicht sein könnte. Für die meisten Europäer, die weitestgehend nicht mit der Kultur und der Religion des Landes vertraut sind, ist es teilweise sehr schwer, die orientalische Welt zu verstehen. 130 6. Literaturverzeichnis/ Quellenangaben Literatur: 21 „Frauenwelt“ in Damaskus: 7. Band: Roggenthin, H.: 2002, „Frauenwelt“ in Damaskus in Konfrontation und Kooperation im Vorderen Orient, Lit., Hamburg, ff. 49-51 14, 16, 20 Frauen in islamischen Welten: Vauti, A. und Sulzbacher M.: 1999, Frauen in islamischen Welten, Brandes & Apsel/Südwind, Frankfurt. Internetquellen: 2,7,8 Auswärtiges Amt: http://www.auswaertigesamt.de/diplo/de/Laenderinformationen/Syrien/Kultur-UndBildungspolitik.html 6 Bildungssystem: www.kadamosdialog.net/.../die_Darstellung_des_syrischen_Bildungssystems_und_dessen_Aufbau.doc 19 http://www.dw-world.de/dw/article/0,,4469019,00.html 10.07.2009 1,4,5 Grundgesetz: http://www.servat.unibe.ch/law/icl/sy00000_.html 9 HDI: http://hdrstats.undp.org/en/countries/country_fact_sheets/cty_fs_SYR.html 12: http://islamicrevolutionservice.wordpress.com/2007/09/06/was-sagt-der-islam-zurzwangsheirat/ Stand: Sept. 2007 10 li lak: http://www.goethe.de/ins/eg/prj/jgd/the/ges/de2263307.htm 18 NZZ online: http://www.nzz.ch/nachrichten/international/syrien_ehrenmord_1.2879673.html 02.07.2009 17 Politik lernen: http://www.politiklernen.at/politiklernen/resources/oldbin/_data/pdf/Glossar_Langfassung.pdf März 2006 Langfassung des Glossars zum Heft polis aktuell No.1 - Zwangsheirat Hrsg. Zentrum polis 13: http://www.sarsura-syrien.de/2009/allgemeines/zwangsheiraten-und-verschleppungennehmen-zu_1840.html Stand: März 2009 3 Spiegel-Online: http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,423171,00.html 10, 11 Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Zwangsheirat Stand: Februar 2010 15, 16 Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Polygamie Stand: Februar 2010 131 Tourismus in Syrien – Potentiale und Entwicklungen Sebastian Koch und Julian Schönbeck Gliederung 1. Einleitung ............................................................................................................................... 133 2. Potentiale des Tourismus in Syrien ....................................................................................... 135 3. Potentialnutzung .................................................................................................................... 136 4. Die Entwicklung des Tourismus in Syrien ............................................................................. 137 5. Politik und Probleme.............................................................................................................. 142 6. Fazit ....................................................................................................................................... 142 7. Literaturverzeichnis / Quellenangaben .................................................................................. 144 8. Abbildungsverzeichnis ........................................................................................................... 144 132 1. Einleitung Vom 04.März bis zum 15.März 2010 nahmen 14 Studenten der Lüneburger Leuphana Universität an einer Exkursion in die Republik Syrien teil. Im Rahmen dieser Exkursion wurden Vorträge an der syrischen Yarmouk - Privatuniversität gehalten. Die vorliegende Arbeit stellt die Ausarbeitung des Referats zum Thema „Tourismus in Syrien“ dar. Im Rahmen der Exkursion erhielten die Studenten Einblicke in unterschiedlichste Schichten, soziale Rangordnungen und die geographische als auch kulturgeographische Vielfalt des Landes. Nach einem sechstätigen Aufenthalt in der schon sehr westlich orientierten Hauptstadt Damaskus, mit einer Unterbringung in einem Wohnhaus der Altstadt, führte die Exkursion die Studenten in die weltbekannte Ruinenstadt Palmyra, welche, mitten in der Wüste gelegen, eine völlig andere Bevölkerung und Lebensweise an den Tag legt. Das ganze Stadtbild ist von den Touristen geprägt und ganz auf diese ausgerichtet. Die Stadt wirkt wie eine nur auf Geld ausgerichtete Touristenabfertigungsmaschinerie. In Verbindung mit einem Aufenthalt bei Beduinen lernten die Studenten noch eine weitere grundverschiedene Kultur kennen, deren besonderes Merkmal wohl die Tatsache war, dass die Studenten nicht eine einzige Frau zu Gesicht bekamen. Exkursionsgruppe auf dem Dschabal Qasyun, Damaskus; S. Koch Von der Ödnis der Wüste ging es per Bus weiter in den dünnen Küstenstreifen entlang des Mittelmeeres, um die mächtige Festung Krak des Chevaliers zu erkunden, welche von den 133 Kreuzrittern zur Sicherung der „Pforte von Homs“ gebaut wurde. Hier eröffnete sich den Studenten eine Landschaft, welche von unzähligen Olivenhainen geprägt wurde und die mit ihrem satten Grün einen starken Kontrast zu der kargen Wüstenlandschaft im Osten Syriens darstellte. Nach einer ausgiebigen Erkundung der Kreuzritterburg ging die Fahrt weiter in den Norden des Landes in die Millionenstadt Aleppo, die die Studenten mit seinem pulsierenden Leben und den deutlich authentischeren Märkten überwältigte. Weniger international und westlich orientiert verspürt man in Aleppo noch eher den Charme von „Tausend und einer Nacht“ mit seinen verwinkelten Gassen, Souks und den unzähligen Kleinsthändlern an den Straßen, die frischen Granatapfelsaft oder Teigwaren zum Kauf anbieten. Innerhalb von 11 Tagen lernten die Studenten das volle touristische Potential eines Landes kennen, das selbst vom Staat Syrien erst langsam erkannt und durch finanzielle Mittel unterstützt und durch die Wirtschaft nach und nach systematisch erschlossen wird. Gruppenfoto vor der Zitadelle von Aleppo; S. Koch Diese Ausarbeitung wird versuchen, das touristische Potential des Landes aufzuzeigen und einen Einblick zu gewähren in den aktuellen Entwicklungsstand und seine Chancen, den Tourismus in Zukunft zu einem wichtigen wirtschaftlichen Faktor für das Land Syrien zu entwickeln, gerade in Anbetracht der stagnierenden beziehungsweise sogar zurückgehenden Ölförderung. 134 2. Potentiale des Tourismus in Syrien Syrien ist ein Land, dessen Städte viele Jahrtausende überdauerten und welches seit jeher eine bedeutende Rolle in der Geschichte spielt. Hier liegen die Ursprünge unseres Glaubens, hier wird die Sprache des Sohns Gottes gesprochen und hier verlief die Seidenstraße die uns mit China und dem Orient verband. Jahrhunderte lang schickten die Westeuropäischen Länder in den Kreuzzügen immer wieder riesige Armeen in dieses Land und versuchten es sich vergeblich Untertan zu machen. Die deutsche Entwicklungshilfe stellt jedes Jahr viele Millionen Euro zur Verfügung um die einzigartigen Kulturgüter und das Vermächtnis von vielen Jahrtausenden durchgehender Besiedelung zu bewahren und zu restaurieren. Und dennoch erscheint Syrien vielen Deutschen oder wohl allen Bewohnern westlicher Staaten so fern und auch das Wissen über dieses Land hält sich in Grenzen. Für viele Deutsche ist Syrien ein unbeschriebenes Blatt, es erscheint weit weg und eine Reise dorthin wirkt nicht begehrenswert. Dieses Desinteresse ist womöglich auf die Unkenntnis über die Vielfalt des kulturellen und geographischen Erbes des Landes zurückzuführen. Mit 185.180 km² ist Syrien gerade einmal halb so groß wie Deutschland, vereint aber auf dieser Fläche enorm unterschiedliche geographische Gegebenheiten. Die Mittelmeerküste lädt zu wundervollen Strandurlauben ein, im Südwesten erhebt sich über 150 km Länge der Antilibanon, dessen höchster Berg Hermon allerdings von Israel besetzt wird und das einzige israelische Skigebiet beherbergt. An den Ausläufern des Antilibanons gelegen liegt die Oasenstadt Damaskus, welche von den Schmelzwassern des Gebirges mit Wasser versorgt wird. Im Osten schließt sich dann die große Syrische Wüste an, welche bis über die irakische Grenze hinausreicht und lediglich vom grünen Euphrattal durchschnitten wird. Der Euphrat wird immer mehr auch touristisch erschlossen und für Kreuzfahrten genutzt (1_Brockschmidt 2010). Auch die kulturgeographischen Sehenswürdigkeiten sind zahllos. Die beiden seit knapp 8000 Jahren besiedelten Städte Damaskus und Aleppo bilden die am längsten durchgängig besiedelten Gebiete der Welt. In dieser Zeit haben unzählige Völker ihre Spuren hinterlassen und ein enormes kulturelles Erbe geschaffen. Von den Ägyptern über die Aramäer und Römer bis zu den Christen und Moslems sind in den Gebäuden, der Infrastruktur und der Religion Puzzleteile vertreten, die zusammen ein buntes Mosaik bilden, welches Syrien ausmacht. Doch nicht nur Aleppo und Damaskus mit ihren riesigen überdachten Märkten und Omayyadenmoscheen sind äußerst sehenswerte touristische Anziehungspunkte, auch die 135 Ruinenstadt Palmyra, das christliche Simeonskloster, die Wasserräder von Hama, der Krak des Chevaliers oder das Theater von Bosra sind nur ein Teil der unzähligen Sehenswürdigkeiten. In Folge der schier endlosen Zahl an sehenswerten Orten und attraktiven Aktivitäten liegt es nahe, einen relativ stark ausgebauten Tourismus in Syrien zu erwarten. Aber das Gegenteil ist der Fall. 3. Potentialnutzung Obwohl Syrien, wie schon detailliert dargelegt, eine nennenswerte Anzahl an touristischen Anziehungspunkten besitzt, ist der Tourismus allenfalls als „vorhanden“ zu bezeichnen. Dies hat unterschiedlichste Gründe. Der erste und wichtigste ist wohl in der Wirtschaft zu suchen. Nach einer jahrelangen Stagnation aufgrund von sozialistischer Planwirtschaft und mangelnder breiter Aufstellung in der Wirtschaft findet, von westlichen Medien weitgehend unbeachtet, ein straffer Wandel in der wirtschaftlichen Entwicklung statt (2_Döring 2008). Wurde in der Vergangenheit das Hauptaugenmerk nur auf die Ölproduktion gelegt (8_Wagenknecht 2007), so wird neuerdings in unterschiedlichsten Bereichen eine enge Zusammenarbeit mit den westlichen Industrieländern, insbesondere Deutschland, angestrebt. Trotz eines amerikanischen Boykotts und der Abstempelung zum Schurkenstaat zieht Syrien immer mehr auch europäische Investoren ins Land (5_Hopfinger 2004). Seit 2004 treibt die Führung unter Präsident Assad umfangreiche Reformen voran, um die sozialistische Planwirtschaft allmählich in eine Marktwirtschaft umzuwandeln. Neue Gesetze erleichtern ausländische Investitionen und Beteiligungen, den Transfer von Gewinnen und schützen ausländisches Kapital. Schritt für Schritt werden Subventionen abgebaut. Trotz des Zustroms hunderttausender Flüchtlinge aus dem Irak, anhaltender Dürre sowie bürokratischer Hürden lag das Wirtschaftswachstum, wie schon im Jahr zuvor, bei fast sieben Prozent. Und auch die Tourismusbranche bekommt starken Auftrieb. Laut einer Studie des „World Travel and Tourism Council“ (WTTC) von März 2009 wird der Tourismus in Syrien über die nächsten zehn Jahre zur Hauptwirtschaftseinnahmequelle werden. Für 2009 wird die Branche voraussichtlich bereits 11,2% zum Haushalt beitragen, für 2019 prognostiziert die Studie 13%. Seitdem ausländische Unternehmen Zugang zur syrischen Wirtschaft haben, sind vor allem aus der Golfregion steigende Investitionen in Tourismus- und Immobilienprojekte festzustellen. Im Folgenden wird in einer kurzen Zusammenfassung die Entwicklung des Tourismus in Syrien dargestellt. 136 4. Die Entwicklung des Tourismus in Syrien Der Tourismus hat in Syrien zwar gerade wegen der kulturellen Reichtümer des Landes eine große Tradition, seine zahlenmäßige Bedeutung war bis in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts allerdings eher gering, was auch eine Folge der wenig tourismusfreundlichen Politik war. 1975 verabschiedete die Regierung den ersten Masterplan zur Entwicklung des Tourismus. In der Folge wurden erste größere Hotels von privaten Investoren gebaut, an denen allerdings der Staat sich immer eine Beteiligung von 25% der Anteile sicherte. Wohl nicht nur aus wirtschaftlichem Interesse, sondern auch um die Kontrolle über die Vorgänge dort zu wahren. Dieses Maß an staatlicher Kontrolle wurde merklich erst nach der Wirtschaftskrise der Jahre 1986 und 1987 gelockert. Ein Beispiel für die privatwirtschaftliche Initiative, die die neuen Möglichkeiten nutzte, sind die direkt nach den Gesetzesänderungen zahlreich entstandenen Rent-A-Car-Unternehmen, man spricht von 1000 Unternehmen (5_Hopfinger 2004). Infolge der relativen Öffnung des Landes als Reaktion auf den Zerfall des Ost-Blocks stiegen die Zahlen der Touristenankünfte deutlich an, gerade Reisende aus den Golfstaaten und dem Libanon entdeckten vermehrt Syrien als Destination. Während die westlichen Touristen, wohl abgeschreckt durch den Golfkrieg, noch einige Jahre auf sich warten ließen. Hier offenbart sich ein Hauptproblem des syrischen Tourismus, seine geographische Lage in einer der politisch unruhigsten Gebiete der Erde schreckt viele westliche Besucher ab (vgl. 7_Semmelroth 2008). 137 Abbildung 1: Entwicklung der Touristenzahlen in Syrien Die Herkunft der Syrienreisenden ist dennoch durchaus diversifiziert, obschon in den letzten Jahren die Gruppe der arabischen Touristen eine immer stärkere Dominanz bekommen hat (siehe Abb. 1), nicht weil die westlichen Touristen ausblieben, sondern weil immer mehr Araber Syrien bereisen, während die westlichen Touristen nur langsam zunahmen. Infolge der Anschläge vom 11. September 2001 hat es allerdings auch einige Jahre einen gewissen Einbruch der Zahlen für westliche Touristen gegeben (siehe Abb. 2). 138 Abbildung 2: Entwicklung und Verteilung der Touristen aus OECD-Ländern Neuere Zahlen weisen mittlerweile aber wieder zweistellige Zuwachsraten auf. So stieg die Zahl der Touristen nicht arabischer Herkunft von 1,16 Mio. in 2008 auf 1,44 Mio., was einer Zuwachsrate von 24% entspricht. Das Wachstum der westlichen Touristen ist überproportional gegenüber dem Wachstum der gesamten Touristen, welche in 2009 12% gegenüber 2008 zulegte und nun bei 6,09 Mio. liegt. Eine große Gruppe bilden auch die syrischen Auswanderer auf z.B. Familienbesuch, ihre Zahl lag in 2009 bei ca. 1 Mio.. Der Tourismus hat mittlerweile auch eine große Bedeutung für den Staatshaushalt Syriens, 2008 wurden 13,4% des Bruttosozialproduktes im Tourismussektor erwirtschaftet. 2009 stieg der Betrag abermals um 12% von 200 Mrd. Syrischer Pfund (S.P.) auf 242 Mrd. S.P. (6_Ministry of Tourism Syria 2010). Die großen Erfolge der letzten Jahre haben sicherlich viele Ursachen, eine Auswahl möchte ich hier kurz nennen. Seit dem Jahr 2000 ist der Tourismusminister Dr. Saadalla Agha Al Kalaa im Amt, nicht zuletzt ihm ist es zu verdanken, dass Syrien eine deutlichere Präsenz auf internationalen Tourismusbörsen und in den Medien der wichtigen Tourismusmärkte zeigt. Die Ausgaben für das Tourismusmarketing wurden deutlich erhöht. Außerdem gibt es mittlerweile Entwicklungspläne für den Tourismus. Dieser „Planungseifer“ zeigt noch die sozialistischen 139 Strukturen, obwohl sich Syrien mit vielen Reformen immer mehr einer sozialen Marktwirtschaft annähert. Die Wirtschaftsreformen, die durch schwindende Erdölvorkommen nötig geworden waren, sehen u.a. auch dringend benötigte Investitionen in die Infrastruktur des Landes vor. Der stellvertretende syrische Ministerpräsident für Wirtschaftsangelegenheiten, Dr. Abdullah AlDardari, sprach auf dem Deutsch-Arabischen Wirtschaftsforum 2009 von 100 Mrd. Euro, die Syrien in die Entwicklung seiner Wirtschaft investieren wolle. 50 Mrd. US-Dollar sollen allein in den Ausbau der Infrastruktur fließen (4_Gorfa 2010). Mittlerweile findet alljährlich die arabische Tourismusbörse in Damaskus statt, die den Tourismus in der Region fördern soll, auch ein Beleg dafür, dass Syrien einen festen Platz unter den Destinationen in der arabischen Welt eingenommen hat. Abbildung 3: Motive der Syrienreisenden Die Regierung hat die Touristengruppen in fünf Prioritäten eingeteilt, denen sie unterschiedlich viel Aufmerksamkeit schenkt. An erster Stelle stehen bei den Verantwortlichen die westlichen Kulturtouristen, sie geben während ihres Aufenthalts viel Geld aus. An zweiter Stelle stehen die arabischen Urlauber, die besonders die Küstenregion und die weniger strikten Gesetze im Vergleich zu anderen arabischen Staaten schätzen. Die anderen Gruppen sind Geschäftsreisende vor Pilgern und Auswanderern auf Familienbesuch. 140 Betrachtet man Abbildung 3, ist unschwer zu erkennen, dass zumindest zahlenmäßig die Planungen der Verantwortlichen im Gegensatz zur Realität stehen. Abbildung 3 zeigt die Touristen eingeteilt nach Reisemotiven, die kleinste Gruppe bilden dabei die präferierten westlichen Kulturtouristen. Die mit Abstand größte Gruppe von fast zwei Millionen in 2003 bilden Sonstige, worunter Geschäftsreisende, Transitverkehr, Einkaufende und auch Ausgewanderte auf Familienbesuch zusammengefasst wurden. Handelt Syrien gemäß seiner Planung, dann werden diese Reisenden zu wenig berücksichtigt. Die Folgen sind schwer abzuschätzen, aber es ist sicherlich nicht nützlich, wenn man sich nur auf eine kleine Minderheit der Reisenden fokussiert und sich nicht um die Bedürfnisse der Mehrheit kümmert. Schaut man sich die Routen, auf denen sich Reisende in Syrien bewegen, an, kann man eine Hauptachse ausmachen. Sie erstreckt sich zwischen Aleppo und Damaskus, den beiden größten und bedeutendsten Städten des Landes, vorbei an Homs und Hama. Die zweitwichtigste Strecke ist jene zwischen Damaskus und Palmyra. Nach Palmyra lockt die Touristen ein beeindruckendes Ruinenfeld aus der Römerzeit. Weiter nach Osten verirren sich hingegen nur noch wenige Touristen. An die Küste reisen unterdessen sehr viele Touristen über Homs. Abbildung 4: Hauptreiserouten in Syrien 141 5. Politik und Probleme Obwohl das arabische Land die Umwandlung von der sozialistischen Planwirtschaft in eine Marktwirtschaft vorantreibt, wird es darin vom Westen nicht großartig unterstützt: Wie bereits erwähnt, gehört es zu den Staaten, die die USA auf die Liste der Schurkenstaaten gesetzt haben und boykottieren (3_ElKaoutit 2009). Ein weiterer Problempunkt ist, dass die Wirtschaft trotz der anhaltenden Liberalisierung weitgehend unter dem wachsamen Blick der Regierung steht, die sich überall ihr Mitsprache- und Vetorecht vorbehält (8_Wagenknecht 2007). Diese „Kontrolle von oben“ schreckt noch viele Investoren davor ab, große Summen in Syrien zu investieren. Ein ebenfalls schon angesprochenes Problem ist das Bild, das außenstehende Nationen und gerade deren Bürger von Syrien haben. Jahrelang auf sich gestellt, von den USA boykottiert und durch die Beziehungen zum Iran und die Kriege im Schulterschluss mit Ägypten und Jordanien gegen Israel abgestempelt, ist die Meinung hinsichtlich Syrien eine weitverbreitet schlechte. Durch die krisengeschüttelten Nachbarländer (Kriege im Libanon und Irak) wird auch der Sicherheitsstatus in Syrien automatisch als gefährlich eingestuft, obwohl dies in keinster Weise der Fall ist. Nach den Anschlägen vom 11. September wurde die Gesamtheit der arabischen Staaten als Schurkenstaaten oder zumindest Unterstützer des Terrorismus abgestempelt und so für Investoren gebrandmarkt. Dadurch, dass eine zu geringe Informationspolitik hinsichtlich der sicherheitspolitischen Lage in Syrien stattfindet, bleibt dem Rest der Welt verborgen, dass es in Syrien ganz im Kontrast zu den Annahmen sehr sicher ist. 6. Fazit Die Entwicklung des Tourismus in Syrien ist in den letzten Jahren zu einer Erfolgsgeschichte geworden, aber das Land sollte sich nicht auf dem Erreichten ausruhen, sondern versuchen, seine Attraktivität für Touristen noch weiter auszubauen. In einigen Projekten ist der Wille für einen zielstrebigen und nachhaltigen Neuaufbau zu erkennen, wie z.B. bei den Altstadtsanierungsprojekten in den UNESCO-Weltkulturerbe-Städten Damaskus und Aleppo. In Damaskus ist eines der Hauptprobleme die schlechte finanzielle Lage, in der sich die meisten Bewohner der Altstadt befinden. Das nicht mangelnde Vermögen der Bewohner führt zum Verfall der Gebäude. Hier versucht man, mit speziellen Mikrokrediten und anderen Maßnahmen die Bewohner zur Sanierung zu befähigen. Ziel ist es die Altstadt nicht zu einer Art Museum 142 für die Touristen zu machen, sondern eine lebendige, orientalische Stadt zu erhalten und die Lebensbedingungen der Bewohner zu verbessern. Gleiches versucht man auch in Aleppo, hier ist man auch bereits mit Hilfe der Stadtverwaltung in Verbindung mit der GTZ sehr weit gekommen. Der Stadtbereich um die Zitadelle ist autofrei gestaltet worden und Cafés, Läden und Wohnhäuser mischen sich zu einem bunten Treiben. Nur wenn dieser Weg fortgeführt wird, kann man mit Hinblick auf die erwarteten westlichen Touristen, die das Geld ins Land bringen sollen, eine gesicherte, nachhaltige Investition in die Zukunft tätigen und gleichzeitig die wundervollen Kulturstätten und Denkmäler vergangener Zeiten erhalten. Nach unserem Vortrag an der Yarmouk-Universität sind wir gefragt worden, warum das Potential Syriens so wenig von westlichen Ländern angenommen wird und die Touristenströme gerade aus dem westlichen Ausland zu wünschen übrig lassen. Des Weiteren wurden wir gefragt, wer dieser Entwicklung Einhalt gebieten soll oder was man an diesem Zustand ändern kann. Und wohl wissend, dass der Professor auf die Diskrepanz und Angst der westlichen Staaten vor dem Islam und besonders dem islamischen Terrorismus ansprach, antworteten wir, dass es gerade die jungen Menschen sind, die durch einen Austausch und Freundschaften eine neue Brücke schlagen müssen zwischen den Ländern und Kulturen, um die alteingesessenen Strukturen und Ängste aufzubrechen und eine neue Partnerschaft anzustreben. Es bleibt zu hoffen, dass die Zahl derer, die Syrien erleben wollen durch unsere Berichte, Filme und Bilder, vor allem aber auch unsere Erzählungen weiter zunimmt und dem Land und vor allem seiner Bevölkerung ein steigendes Einkommen in Form eines nachhaltigen Tourismus gewährt. 143 7. Literaturverzeichnis / Quellenangaben 1. Brockschmidt, R.: 2010, Luxusliegen am http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/reise/luxusliegen-am-assad-stausee/1660442.html, 10.04.2010. Assad-Stausee, Stand: 2. Döring, M.: 2008, Mittelständler erkunden Syrien, http://www.berlinonline.de/berlinerzeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2008/0707/wirtschaft/0012/index.html, Stand: 10.04.2010. 3. ElKaoutit, K.: 10.04.2010. 2009, Syrien kompakt, http://www.dw-world.de/dw/article/0,,4778816,00.html, Stand: 4. Gorfa-Arab-German Chamber of Commerce and Industry: 2010, 12. Deutsch-Arabisches Wirtschaftsforum mit erneuter Rekordbeteiligung, http://www.ghorfa.de/?page=home&menu=searchword&id=1599, Stand: 10.4.2010. 5. Hopfinger, H.: 2004, Ein touristisches Potenzial wie aus Tausendundeiner Nacht – doch als Reiseland ist Syrien im Westen weitgehend unbekannt, in Meyer, G. (Hrsg.), Die Arabische Welt im Spiegel der Kulturgeographie, Universität Mainz Geogr. Inst.Mainz, S. 354-362. 6. Ministry of Tourism Syria: 2010, The Tourism Arrival Movement during 2009, http://www.syriatourism.org/index.php?module=subjects&func=viewpage&pageid=2848, Stand: 10.4.2010. 7. Semmelroth, D.: 2008, 10. Deutsch-Arabisches Tourismusforum http://www.ghorfa.de/?page=konfrenzen&menu=&id=1424, Stand: 10.4.2010. – 8. Wagenknecht, E.: 2007, Syrien entwickelt mit deutscher Hilfe http://www.eurasischesmagazin.de/artikel/?artikelID=20070205, Stand: 10.04.2010. Partnerland die Syrien, Marktwirtschaft, 8. Abbildungsverzeichnis Abbildung 1-4: Hopfinger, H.: 2004, Ein touristisches Potenzial wie aus Tausendundeiner Nacht – doch als Reiseland ist Syrien im Westen weitgehend unbekannt, in Meyer, G. (Hrsg.), Die Arabische Welt im Spiegel der Kulturgeographie, Universität Mainz Geogr. Inst.Mainz, S. 354-362. 144 145 Inhaltsverzeichnis Vorwort (Filiz Karahan) 2 Reiseplan Syrien 2010 3 Teilnehmerliste 5 Die Karawane zieht weiter... Protokolle und Reiseberichte 8 05. und 06. März (Lisa-Michèle Bott) 10 07. und 08. März (Anne Backhaus) 17 09. und 10. März (Sina Keddo) 20 11. bis 13. März (Jan Eger) 26 14. März (Theodor Kirschner) 32 Syrien im Blick: Recherchen und Referate 34 Syrien – Geografie, Wasser & Umwelt (Lisa-Michèle Bott, Sandra Coburger & Franziska Duge) 35 Syrien aus Sicht der deutschen Bundesregierung (Jan Eger) 66 Exkursion Damaskus - Vergleich der Orientalischen und der Mittelalterlichen Stadt (Charlotte Pusch & Kristin Koepke) 77 Die Typologie des Wohnhauses in der Altstadt von Damaskus (Daniela Wüst) 89 Typologie der Architektur der Altstadt von Damaskus im Vergleich zu deutschen historischen Altstädten (Saskia van der Heijden & Filiz Karahan) 98 Die Rolle der Frau in Syrien (Anne Backhaus & Sina Keddo) 116 Tourismus in Syrien (Sebastian Koch & Julian Schönbeck) 132 Inhaltsverzeichnis 146 146 IMPRESSUM: Leitung der Exkursion und Korrektur: Prof. Ursula Kirschner, Dr. Bassam Sabour Redaktionelle Bearbeitung: Filiz Karahan Grafik: Ihab Hafez El-Riz (Muthesius Kunsthochschule Kiel)