Wann ist der Knoten bösartig?

Transcription

Wann ist der Knoten bösartig?
34
Medizinisches Thema
KV-Blatt 04.2013
Wann ist der Knoten bösartig? –
Zur Problematik der Diagnostik des Schilddrüsenknotens
Im (ehemaligen) Jodmangelgebiet
Deutschland bleiben Erkrankungen der
Schilddrüse ein häufiges Problem in der
Praxis. In diesem Beitrag geht es um
die Problematik der Abklärung des Malignitätsrisikos von Schilddrüsenknoten.
Häufigkeit von Schilddrüsenknoten
und Karzinomen
Bei ca. 20 –25 % der erwachsenen Bevölkerung finden sich Knoten in der Schilddrüse. Es geht also um ca. 10 –15 Millionen Bundesbürger – eine Zahl, die
zunächst einmal sehr hoch erscheint.
Neben der Frage, ob eine funktionelle
Autonomie vorliegt, geht es bei den
Knoten vor allem um die Beurteilung, ob
sie harmlos sind oder ob ein Schilddrüsenkarzinom vorliegt. Denn – so groß
die Zahl der „Knotenträger“ auch sein
mag: Ihr steht nur ein vergleichsweise
geringes Risikopotenzial gegenüber, an
Schilddrüsenkrebs zu erkranken. Dazu
einige Zahlen:
Nach den vom Robert-Koch-Institut
(RKI) und der Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland e. V. (GEKID) herausgegeben
Daten wird die altersstandardisierte
Neuerkrankungsrate im Jahr 2007 bei
Männern mit 3,2/100.000 und bei
Frauen mit 7,5/100.000 angegeben. Im
Jahr 2008 betrug das Verhältnis bei
Männern 3,5/100.000 und bei Frauen
9,9/100.000; Tendenz steigend.
In diesen Zahlen sind aber auch die
vielen zufällig entdeckten papillären
Mikrokarzinome enthalten, die häufig
keine klinische Relevanz entwickelt
haben. In Autopsiestudien wird die
mittlere Inzidenz papillärer Mikrokarzinome mit 11 % angegeben. Die beobachtete Steigerung der Häufigkeit von
Schilddrüsenkarzinomen ist sicher auf
die verbesserte Diagnostik und die steigenden OP-Raten zurückzuführen.
Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Knoten
maligne ist, beträgt also nur ca. 0,05 %
(1 von 2.000 – 4.000 Knoten), was der
sprichwörtlichen Suche nach der Nadel
im Heuhaufen gleichkommt. Oft genug
trifft ein besorgter Patient auf einen
besorgten Arzt – und auf der Suche
nach 100 %iger Sicherheit wird dann
eben die Schilddrüse operiert. So ist
es kein Wunder, wenn die jahresdurchschnittliche OP-Frequenz in Deutschland deutlich höher als in anderen Ländern ist: 120.000 Operationen im Jahr
(BRD: 1 OP/750 Einwohner, England:
1 OP/6.000, USA 1 OP/4.901).
Leider gibt es nicht den Test, der eine
ausreichende diagnostische Sicherheit in der Dignitätsbeurteilung bietet.
Daher verwundert es kaum, dass es von
zahlreichen Fachgesellschaften diverse
Leitlinien u. a. gibt und regelmäßig in
der medizinischen Fachpresse Artikel
zu diesem Problem erscheinen. Nachfolgend einige Empfehlungen:
Risikostratifizierung von
Schilddrüsenknoten
Wie immer stehen auch hier am Anfang
eine sorgfältige Anamnese und klinische Untersuchung. Dabei sollten
Symptome einer Schilddrüsenfunktionsstörung gezielt erfragt und anamnestische Hinweise auf ein erhöhtes
Krebsrisiko erfasst werden. Dazu
gehören insbesondere eine positive
Familienanamnese sowie vorausgegangene Bestrahlungen im Kopf- und
Halsbereich.
Bei der körperlichen Untersuchung
gilt es, wenn möglich, die Konsistenz
des Knotens zu prüfen (derb, schlecht
verschiebbar) sowie nach Halslymphknoten zu suchen. Die meisten Schilddrüsenkarzinome sind allerdings asymptomatisch.
Die Durchführung einer Schilddrüsensonografie ist obligat – abgesehen
davon, dass die meisten Knoten
sowieso erst durch eine (warum auch
immer) durchgeführte Sonografie entdeckt werden. Die Sonografie sollte
sich aber nicht nur auf die Schilddrüse
alleine beschränken. Auch die umgebenden Halsstrukturen müssen unter-
sucht werden. Der Nachweis von vergrößerten oder suspekten Lymphknoten
oder gar des invasiven Wachstums
eines Schilddrüsenknotens sind eindeutige Hinweise auf Malignität. Zystische
Knoten sind dagegen mit einem niedrigen Malignitätsrisiko assoziiert. Dem
Ausschluss einer Schilddrüsenautonomie dienen die Bestimmung des TSH
sowie eine Szintigrafie.
Danach wird es schon schwierig. Hypoechogenität, Mikroverkalkungen, unregelmäßige Begrenzung oder fehlender
Halo können zwar Hinweise auf Malignität sein. Einzelne Kriterien sind aber
allein aufgrund mangelnder Sensitivität
und Spezifität nicht für die Unterscheidung benigne/maligne geeignet. Sinn
der Sonografie ist es vor allem, zu einer
Beurteilung darüber zu kommen, ob zur
weiteren Dignitätsbeurteilung eine Feinnadelbiopsie erforderlich ist.
Die Kombination mehrerer Kriterien
steigert die Wahrscheinlichkeit
für ein Karzinom. Ein echoarmer, verkalkter Knoten über 1 cm mit irregulärer Begrenzung soll eine Sensitivität
von 83–99 % bei einer Spezifität von
56–87 % für ein Malignom haben
(s. Tab.).
Farbdopplersonografie
Ergänzende Informationen kann die
Farbdoppler-Sonografie liefern. Dabei
wird nach der Durchblutung im Randbereich und innerhalb des Knotens
geschaut. Dafür wurde folgende Einteilung entwickelt:
r Typ 0: Kein sichtbarer Blutfluss
r Typ 1: Geringer intranodulärer
Blutfluss
r Typ 2: Ausgeprägter zirkulärer
Blutfluss (> 25 % der Zirkumferenz)þ
r Typ 3: Wie Typ 2 + wenig intranodulärer Blutfluss
r Typ 4: Ausgeprägter intranodulärer
Blutfluss mit oder
ohne a-v Fisteln.
Jahre
Henning
Keiner bietet mehr!
Henning – Qualität und Service für die Schilddrüse
Produkte für alle Schilddrüsen-Indikationen
Große Auswahl an Darreichungsformen und Dosierungen
Umfangreicher Praxis-Service, Broschüren und Literaturdienst
Fortbildung & Symposien, wie „Schilddrüse Heidelberg“
027079
Internetportal für Ärzte und Patienten unter www.schilddruese.de
Anzeige 100 Jahre.indd 1
02.11.12 09:22
36
Medizinisches Thema
KV-Blatt 04.2013
Fortsetzung von Seite 34
Knoten ohne Perfusion (Typ 0) sind
immer funktionell inaktiv. Ein hoher
Blutfluss ist häufig bei autonomen Adenomen mit hoher Aktivität, aber auch
häufiger bei Karzinomen (erhöhter
intranodulärer Blutfluss bei 67 % der
malignen Knoten, aber auch bei 50 %
benigner Knoten). Vor allem Typ 4 im
Farbdoppler weist auf Malignität hin,
medulläre Karzinome sollen neben
Mikrokalk fast immer einen nodulären
Blutfluss aufweisen.
Die Kombination vom Farbdopplertyp 4
und sonografischen Zeichen (echoarm,
kein Halo, Mikroverkalkung) erhöht die
prädiktive Wahrscheinlichkeit für das
Vorliegen einer Malignität bei szintigrafisch kalten Knoten auf > 80 %.
Zur Bedeutung der Szintigrafie
Eine Szintigrafie mit 99mTc-Pertechnetat ist bei Knoten von > 1 cm sinnvoll,
unabhängig davon, ob das TSH normal ist oder nicht. Bei kleineren Knoten
als 1 cm reicht die Auflösung der Szintigrafie nicht aus. Diese Untersuchung
hat vor allem das Ziel, funktionell aktive
Knoten zu detektieren. Zum Ausschluss
von Malignität kann die Szintigrafie
kaum etwas beitragen.
Hyperfunktionelle „heiße“ Knoten
(ca. 10 aller Knoten) machen ein Karzinom eher unwahrscheinlich. Das
typisch szintigrafische Zeichen von
Malignität ist der hypofunktionelle
(„kalte“) Knoten. Möglicherweise trägt
bei hypofunktionellen Knoten eine
ergänzende Szintigrafie mit 99mTc-MIBI
zur Stratifizierung bei: Ein „MIBI-negativer“ Befund schließt ein Malignom mit
hoher Wahrscheinlichkeit aus – allerdings findet diese Methode in den Leitlinien keine Erwähnung.
Feinnadel-Aspirations-Zytologie
Die wichtigste Methode zur Abklärung
der Dignität eines Knotens bleibt die
Feinnadel-Aspirations-Zytologie (FNAZ),
aber auch diese bleibt mit Unsicherheiten behaftet. Ca. 20 % der Punktate
sind nicht verwertbar und sollten dann
leitliniengerecht wiederholt werden.
Falsch-negative Befunde gibt es in der
Größenordnung von 7–28 %. Andererseits geht man davon aus, dass bei
technisch adäquater Durchführung aus
zwei getrennt durchgeführten Punktionen bei zytologisch negativem Befund
mit 99 %iger Sicherheit von einer benignen Läsion auszugehen ist.
Bei multinodösen Veränderungen sollte
durch die Ultraschall-Malignitätskriterien der Knoten zur FNAZ ausgewählt
werden, denn die Karzinome sind nicht
unbedingt in dem größten Knoten zu
finden.
Unter optimalen Bedingungen (erfahrener Untersucher, ultraschallgeführte
Punktion, erfahrener Zytopathologe)
wird die Sensitivität mit 83 %, die Spezifität mit 92 % angegeben.
Die Durchführung der FNAZ könnte
dazu beitragen, dass in Deutschland
Sonografisches Zeichen
Sensitivität (%)
Spezifität (%)
Mikroverkalkungen
26–59
86–95
Hypoechogenität
27–87
43–94
Unregelmäßige Begrenzung/kein Halo
17–78
39–85
Solider Knoten
69–75
53–56
Intranoduläre Vaskularisierung
54–74
79–81
weniger Operationen vorgenommen
werden. Analysen von Abrechnungsdaten ergeben jedoch, dass die FNAZ
eher zu selten eingesetzt wird.
Labordiagnostik
Insgesamt leistet das Labor keinen
wesentlichen Beitrag zur Risikostratifizierung der Knoten. Zum Ausschluss
einer relevanten Funktionsstörung
sollte das TSH bestimmt werden. Einen
Hinweis auf das eher seltene medulläre Schilddrüsenkarzinoms (9 % aller
Schilddrüsenkarzinome) kann die
Bestimmung des Calcitonin bringen.
Die Bestimmung erfordert aber logistischen Aufwand, da das Serum tiefgefroren ins Labor gebracht werden muss.
Amerikanische und deutsche Endokrinologen empfehlen in ihren Leitlinien
die Bestimmung des Calcitonins grundsätzlich, in der Leitlinie der American
Thyroid Ass. (ATA) gibt es dazu keine
eindeutige Meinung. Bei erhöhtem Calcitonin soll dann ein Pentagastrin-Stimulationstest durchgeführt werden.
Die Bestimmung des Thyreoglobulins
als Screening ist nicht sinnvoll, dieser
Tumormarker hat nur in der Verlaufskontrolle des behandelten Karzinoms
eine Berechtigung.
Ist das Vorgehen nun geklärt?
Soweit der Überblick über die Empfehlungen von Fachgesellschaften. Diese
sind aber nicht unumstritten, denn
angesichts der geringen Inzidenz von
malignen Schilddrüsenerkrankungen
einerseits und der Häufigkeit von
Schilddrüsenknoten andererseits haben
wohl nicht wenige Haus- oder auch
Fachärzte das beklemmende Gefühl,
erhebliche Überdiagnostik zu betreiben. Denn auch wenn durch die Kombination verschiedener Untersuchungen
Sensitivität und Spezifität erhöht werden können, bleibt der positive prädiktive Wert (= Wahrscheinlichkeit, dass
bei positivem Test die Erkrankung auch
wirklich vorliegt) aufgrund der geringen
Inzidenz niedrig.
Medizinisches Thema
KV-Blatt 04.2013
Zahlreiche Leserbriefe zu einem CMEArtikel des Deutschen Ärzteblatts zur
Knotenstruma weisen auch auf dieses
Problem der Überdiagnostik und der
Übertherapie hin (vgl. Dtsch. Ärztebl.
110 (2013), S. 68 –70).
Angesichts der geringen Sensitivität
und Spezifität der Szintigrafie zum
Ausschluss von Malignomen wird die
Empfehlung zur Szintigrafie bei Knoten ebenso hinterfragt wie die durchaus
auch international umstrittene Empfehlung zur Calcitonin-Bestimmung. Diese
Untersuchungen würden genauso zu
zahlreichen unnötigen Operationen füh-
ren wie selbst die FNAZ, da deren positive Vorhersagewerte angesichts der
geringen Inzidenz von Malignomen zu
gering sind.
So empfehlen die Mitautoren der in Entwicklung befindlichen DEGAM-Leitlinie
„Schilddrüsenerkrankungen in der Hausarztpraxis“ ein verantwortungsvolles
„wait and watch“ des informierten
Patienten. Zur guten Beratung gehört
es, den Patienten über die Häufigkeit
von Knoten und Karzinomen sowie die
Chancen und Risiken medizinischer
Maßnahmen zu informieren, um mit
ihm eine Entscheidung zu treffen.
„Wait and watch“ könnte z. B. bedeuten,
den Knoten sonografisch im Verlauf zu
beobachten und bei starkem Wachstum
zu einer Re-Evaluation zu gelangen.
Aber auch hier ist Vorsicht geboten: Aufgrund der großen Interobserver-Varianz
(bis zu 30 %) ist auch erst eine Größenzunahme des Knotens von mehr als
50 % im Jahr suspekt.
(Literatur beim Verfasser)
Dr. Detlef Bothe
Facharzt für Innere Medizin
(hausärztlich tätig)
10551 Berlin
Krankenhaus-Report 2013
Organspende
Bedeutet eine höhere Leistungsmenge
auch einen größeren Nutzen?
Immer weniger
wollen spenden
Die Zahl der Krankenhauspatienten in
ökonomisch attraktiven, planbaren Leistungssegmenten möglichst zu steigern,
um dadurch den Umsatz zu erhöhen –
das klingt für viele Kliniken lukrativ.
Der kürzlich erschienene KrankenhausReport „Mengendynamik: mehr Menge,
mehr Nutzen?“ erläutert die Gründe für
steigende Klinikfallzahlen und warum
sich diese je nach Krankheit und Behandlungsmaß in unterschiedlichen
Ausmaßen in letzter Zeit erhöhen.
Der Krankenhaus-Report 2013 widmet
sich der Zunahme von Krankenhausfällen im vergangenen Jahr. So sei die
Zahl der stationären Behandlungen seit
2005 um 11,8 % je Einwohner gestiegen. Hinzu käme außerdem, dass sich
Mengenentwicklungen vor allem in
denjenigen Fallgruppen vollziehen, die
wirtschaftlichen Gewinn versprächen.
„Der neue Krankenhaus-Report zeigt
den Handlungsbedarf deutlich auf. Die
enorme Mengenentwicklung bei Krankenhausbehandlungen darf nicht dazu
führen, dass unnötig operiert wird oder
dass die Qualität nicht stimmt“, so
Uwe Deh, Geschäftsführender Vorstand
des AOK-Bundesverbandes, in einer
Pressemitteilung.
Im Report gibt es zum Schwerpunkt
eine detaillierte Analyse der Leistungsentwicklung auf dem Krankenhausmarkt 2011. Ebenso wurde die Entwicklung der Leistungen für hochbetagte
Patienten untersucht. Neben einer
Ursachenanalyse für die Mengensteigerung wurde auch der Zusammenhang
zwischen Demografie und Morbiditätsentwicklung genauer betrachtet. Weitere Untersuchungen beziehen sich auf
Trends bei der Inanspruchnahme von
Wirbelsäulenoperationen und kardiologischen Eingriffen. Im zweiten Teil des
Reports stehen beispielsweise die Überdiagnose und Übertherapie des Prostatakarzinoms und Medizinprodukte im
Krankenhaus zur Diskussion.
red/ae
Klauber, Jürgen; Geraedts, Max; Friedrich, Jörg; Wasem, Jürgen (Hrsg.): Krankenhaus-Report 2012. Schwerpunkt: Mengendynamik: mehr Menge, mehr Nutzen?
Schattauer (Stuttgart) 2012, 564 Seiten,
54,95 Euro. ISBN: 978-3-7945-2884-4
Die Zahl der Organspenden ist im Jahr
2012 im Vergleich zum Vorjahr bundesweit um 12,8 % gesunken. Am deutlichsten sei der Rückgang im Verlauf
des zweiten Halbjahres 2012 nach dem
Bekanntwerden der Manipulationsskandale in drei Transplantationszentren
gewesen, heißt es bei der Deutschen
Stiftung Organtransplantation (DSO).
Lediglich 1.046 Menschen haben 2012
nach ihrem Tod 3.508 Organe für lebensrettende Transplantationen entnehmen
lassen. Im Jahr zuvor waren es noch
1.200 Spender, die mit 3.917 Organen
schwerkranken Patienten helfen konnten.
Um die Bereitschaft zur postmortalen Organspende zu fördern, stellt die
KV Berlin seit Jahren gemeinsam mit
dem Transplantationszentrum des
Deutschen Herzzentrums Berlin Informationsmaterial und Organspendeausweise zur Verfügung. Das Material
ist für die Auslage im Wartezimmer
gedacht und liegt jeweils zur Abrechnungsabgabe am Quartalsende im
Foyer der KV Berlin aus.
red/ae
37