million dollar baby spoiler

Transcription

million dollar baby spoiler
DAS LEBEN EIN
SCHLACHTFELD,
DIE LEINWAND NIE
Joan MITCHELL
WARUM MONIKA
GRÜTTERS IRRT
Mathias DÖPFNER
ICH BAUE MIR
EIN MUSEUM
Thomas SCHÜTTE
DER MANN MIT
DEM BÖSEN BLICK
Martin MOSEBACH
über Mario PR AZ
6 EURO
JULI / AUGUST 2015
EIN KUNSTMAGAZIN
Nr. 3
Nr. 1
EIN KUNSTMAGAZIN
Nr. 3
4EIN
190171
006003
03
KUNSTMAGAZIN
ES IST IMMER WAS DAHINTER
ANDREAS SCHULZE
Porsche empfiehlt
und
Performance-Kunst.
Der neue 911 Targa 4 GTS.
Sportlichkeit trifft auf Stil. GTS trifft auf Targa. In einem 911 mit leistungsgesteigertem 3,8-Liter-Boxermotor, 316 kW (430 PS),
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AUFTAKT
„Mir wurden drei Dinge
klar: Wer sammelt,
dem öffnen sich Türen.
Die Kunstwelt ist ein
einziger Abenteuerspielplatz. Und ich würde
dabei sein“
Das erste Kunstwerk, das ich mir
kaufte, war eine Grafik von Otto
Piene: eine schwarze Feuerblume auf
rotem Grund, 100er-Auflage, aus
den späten 60er-Jahren. Ich war gerade
14 geworden und hatte mir zur
Konfirmation Geld gewünscht. Nicht
für ein Mountainbike, nicht für
eine Stereoanlage, sondern für diesen
Piene, der mir, wie er da in einem
schwarzen Ikea-Wechselrahmen in
meinem Kinderzimmer hing,
plötzlich größere Kicks bereitete als
der 1. Platz im Jugend-Doppel beim
Haaner Clubturnier.
Zu Weihnachten war es dann
ein Prägedruck von Uecker, zu
dem sich kurz darauf ein Geburtstags-Mack gesellte. Gerade noch
wurde Quartett gespielt, jetzt hatte
ich die Gruppe ZERO komplett.
Ich war Sammler und es fühlte sich
gut an. Wenig später war ich auf
einer Vernissage. Ich unterhielt mich
gerade mit Gotthard Graubner,
als Jörg Immendorff mich zur Seite
zog. Ich solle doch mit diesem
ZERO-Quatsch aufhören, das könne
nicht mehr als eine jugendliche Verirrung sein. Wenn ich einen richtigen
Künstler kennenlernen wolle, müsse
ich ihn im Atelier besuchen.
Eine Woche später klingelte ich
zum verabredeten Zeitpunkt an
seiner Tür. Ich meinte Stimmen zu
hören, aber die Tür blieb zu.
Ich klingelte ein zweites und ein
drittes Mal, dann ging die Tür
doch noch auf und mir stand ein sehr
verschwitzter Immendorff gegenüber.
Er habe mich schlicht vergessen,
erklärte er, ein großes Saunatuch notdürftig um die Hüften geschlungen,
während hinter ihm zwei nackte,
ungewöhnlich attraktive Frauen durch
den Flur liefen. Aber wo ich schon
mal da sei, könne ich mir in seinem
Grafikatelier eine Arbeit aussuchen,
gleich hier rechts hinter der Tür,
er müsse mich dabei leider allein
lassen, weil er noch eine andere,
unaufschiebbare Verabredung habe.
Spätestens jetzt wurden mir
drei Dinge klar: Wer sammelt, dem
APÉRO
5
öffnen sich Türen. Die Kunstwelt
ist ein einziger Abenteuerspielplatz.
Und ich würde dabei sein.
Sammeln ist noch immer ein
Abenteuer. Doch erst als ich
für diese Ausgabe von BLAU den
norwegischen Polarforscher
und Mount-Everest-Bezwinger
Erling Kagge zum Gespräch
traf, fiel mir auf, wie sehr, wie fast
ausschließlich die Berichterstattung
über Sammler und Sammlungen
vom ganz großen Geld erzählt.
Von Firmenlenkern, Mode-Tycoons,
Wall-Street-Legenden und Oligarchen.
Kagge, der erste Mensch, der
unbegleitet zum Südpol gewandert
ist, hat ein Buch über seine zweite
Leidenschaft geschrieben: das Sammeln. A Poor Collector’s Guide to Buying
Great Art heißt es, und auch wenn
Kagge betont, nicht im herkömmlichen
Sinne arm zu sein, so erinnert sein
Buch doch daran, dass der Kunstmarkt eben nicht nur für die Superreichen da ist, dass zu viel Geld
im Gegenteil meist zu schrecklich
langweiligen Sammlungen führt.
Auf seinen Expeditionen in die
unwegsamsten Gebiete der Welt,
so erzählt er ab Seite 75, gelten für
ihn die gleichen Regeln wie für
einen Kunstmessebesuch: Schaue
voraus, reise leicht und lass deine
Ängste hinter dir. Wir alle, sagt Kagge, werden als Abenteurer und
Forscher geboren, wir wollen klettern,
bevor wir laufen können. Kunst
sammeln helfe einem dabei, das Leben
wieder schwerer zu machen als
unbedingt nötig. Und wenn man
seinem eigenen Geschmack zwei
Schritte voraus sei, habe man auch
als armer Sammler eine Chance,
die Klassiker von morgen zu kaufen.
Sammeln als Abenteuer, von
einem Abenteurer erklärt, und
ich wusste wieder, warum ich fast
25 Jahre nach meiner Konfirmation
noch immer dabei bin.
CORNELIUS TITTEL
PICASSO À MALAGA, 2015 (DETAIL)
ÖL AUF LEINWAND, 150 x 100 CM
© BILDRECHT, WIEN, 2015
YAN PEI-MING
SALZBURG
JULI – AUGUST 2015
ROPAC.NET
PARIS MARAIS PARIS PANTIN SALZBURG
Oben: JOAN MITCHELL Pastel, 1991, Pastell auf Papier, 76 × 60 cm. Links unten: THOMAS SCHÜTTE Basler Maske, 2014, glasierte Keramik, 43 × 31 × 18 cm. Rechts unten: Museum La Congiunta in Giornico, Schweiz
APÉRO
EIN KUNSTMAGAZIN
10
CONTRIBUTORS /
IMPRESSUM
13
ESSAY
Die Kunst gehört der
ganzen Welt
16
NEUES, ALTES, BLAUES
18
DICHTER DRAN
Steffen Popp
19
DIE SCHNELLSTEN
SKULPTUREN DER WELT
Nr. 3 / Juli – August 2015
ANDREAS SCHULZE
Ohne Titel (Bahn strecke am Meer),
2015, Acryl auf Passepartoutkarton,
172 × 123 cm
„Nach einem guten Tag
in der Werkstatt, wenn
ich so 20 Skulpturen
glasiert habe, überschlage
ich schon mal, wie
viel Umsatz ich gerade
hergestellt habe“
20 UM DIE ECKE
Europäische Zentralbank,
Frankfurt
24
BLITZSCHLAG
Roland Berger
— THOMAS SCHÜTTE
JOAN MITCHELL
NUR IN IHREN BILDERN WURDE ALLES GUT:
AMERIKAS GRÖSSTE MALERIN IST IMMER
NOCH ZU ENTDECKEN. PLUS:
ALBERT OEHLEN ÜBER MITCHELL
s. 30
THOMAS SCHÜTTE
ES MUSS NICHT IMMER
MOMA SEIN
ERST DIE SCHEIDUNG, DANN DAS EIGENE MUSEUM.
EIN BAUSTELLENGESPRÄCH AM NIEDERRHEIN
WOHIN ES SIR NICHOLAS SEROTA, GLENN D. LOWRY
UND KOLLEGEN IM SOMMER ZIEHT
s. 26
s. 44
INHALT
7
„Wer glaubt, durchs
Kunstsammeln reich
zu werden, ist naiv.
Wenn man ein Werk für
20.000 Dollar in einer
Galerie kauft, dann ist
es in dem Moment,
wenn man es zu Hause
auf hängt, meist nur
noch 10.000 wert“
ENCORE
75
INTERVIEW
Erling Kagge
80 WERTSACHEN
EIN KUNSTMAGAZIN
Was uns gefällt
Nr. 3 / Juli – August 2015
AUKTIONEN
Die Auswahl der Redaktion
82
GRAND PRIX
Buy now
84
BLAU KALENDER
Unsere Termine im Juli
und August
89
BILDNACHWEISE
90 DER AUGENBLICK
Stephen Gill
EIGENTLICH RAUCHE
ICH NICHT
NAIRY BAGHRAMIAN IST DIE BILDHAUERIN
DER STUNDE. IN IHREM BERLINER ATELIER
WIRD SCHWÄCHE ZU STÄRKE
s. 60
MAN HAT SICH
AN DEN BERUF GEWÖHNT
EIN NACHMITTAG MIT ANDREAS SCHULZE,
DEM GROSSEN UNBEKANNTEN
DER DEUTSCHEN MALEREI
WARTE, BIS ES DUNKEL WIRD
RAUM FÜR RAUM EIN MAGISCHER KREIS:
MARTIN MOSEBACH ZU GAST BEI MARIO PRAZ
s. 50
INHALT
8
s. 66
Oben: NAIRY BAGHRAMIAN Porträt (Der Kopf des Konzeptkünstlers raucht)/Portrait (The Concept-Artist Smoking Head), 2008, Schwarz-Weiß-Print, 125 × 123 × 3 cm
— ERLING KAGGE
81
530 FLÜGE ZUM MOND.
Im letzten Jahr legten die 700 Jets unserer Flotte mehr als 200 Millionen Kilometer zurück –
das entspricht 530 Expeditionen zum Mond. Ob Sie nach Barcelona, Bangkok oder Boston
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Alle von NetJets® Europe angebotenen Flugzeuge werden von NetJets Transportes Aéreos S.A., einer
EU-Luftfahrtgesellschaft, betrieben. NetJets ist eine eingetragene Dienstleistungsmarke. NetJets Inc. ist ein
Unternehmen von Berkshire Hathaway. © 2015 NetJets Inc. Alle Rechte vorbehalten.
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11.7.–9.8.15
KÖNIG GALERIE | ST. AGNES CHAPEL
CONTRIBUTORS
Martin MOSEBACH
Er ist zum intimen Kenner Roms
geworden, der Schriftsteller Martin
Mosebach. Mit Leidenschaft sucht
er in der Ewigen Stadt die Orte auf,
die in kaum einem Touristenführer
stehen. Für BLAU hat er sich im
Wohnmuseum des kauzigen italienischen Gelehrten Mario Praz umgesehen, eines großen Kenners
der Romantik und des Neoklassizismus, der sich in einem Palast
am Tiber eine Welt verklungener Schönheit eingerichtet hat.
Fasziniert beschreibt Mosebach die Collage aus Leben und
Geschichte, die er dort antraf. Und wie er Stück um Stück
betrachtet, könnte man fast meinen, er selbst wäre der nachgeborene Bewohner des verwunschenen Hauses. Seite 66
IMPRESSUM
Redaktion
CHEFREDAKTEUR
Cornelius Tittel (V. i. S. d. P.)
MANAGING EDITOR
Helen Speitler
STELLV. CHEFREDAKTEURIN
Swantje Karich
ART DIRECTION
Mike Meiré
Meiré und Meiré:
Philipp Blombach, Charlotte Cassel
TEXTCHEF
Hans-Joachim Müller
BILDREDAKTION
Isolde Berger (Ltg.), Jana Hallberg (frei)
REDAKTION
Gesine Borcherdt,
Dr. Christiane Hoffmans (NRW)
SCHLUSSREDAKTION
Karola Handwerker, René Reinholz
REDAKTIONSASSISTENZ
Claudia Cliff
Autoren dieser Ausgabe
DAVID ZINK YI
15.8.–13.9.15
KÖNIG GALERIE | ST. AGNES CHAPEL
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5.9.–1.11.15
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Gesine BORCHERDT
Als Gesine Borcherdt Anfang
Mai von der Eröffnung der VenedigBiennale zurückkehrte, war ihr klar:
Über die offizielle Ausstellung von
Okwui Enwezor wird man in ein
paar Jahren wohl nicht mehr sprechen, über die von Danh Vō kuratierte Gruppenausstellung in der Pinault Collection hingegen
schon. Slip of the Tongue heißt sie, und nicht nur der Name wurde
von Nairy Baghramian inspiriert, auch einige der eindrücklichsten Arbeiten stammen von ihr. Grund genug für die
BLAU-Redakteurin, die in Berlin lebende Künstlerin im Atelier
zu besuchen. Seite 60
Mathias Döpfner, Leo Fischer,
Oliver Koerner von Gustorf,
Martin Mosebach, Steffen Popp,
Ulf Poschardt, Frederic Schwilden,
Michael Stürmer, Marcus Woeller,
Ulf Erdmann Ziegler
Fotografen dieser Ausgabe
Yves Borgwardt, Markus Burke,
Albrecht Fuchs, Peter Kaaden,
Kristine Jakobsen, Vitus Saloshanka
Sitz der Redaktion BLAU
Kurfürstendamm 213, 10719 Berlin
+49 30 3088188 – 400
redaktion@blau–magazin.de
BLAU erscheint in der Axel
Springer Mediahouse Berlin GmbH,
Mehringdamm 33, 10961 Berlin
+49 30 3088188 –222
Nr. 3, Juli/August 2015
Verkaufspreis: 6,00 Euro
inkl. 7 % MwSt.
Verlag
GESCHÄFTSFÜHRER
Steffen POPP
Jan Bayer, Petra Kalb
Sales
GESCHÄFTSFÜHRER ASMI
Die Zeilen von Steffen Popp sind
wie eine Schneeflocke, die mitten
im Hochsommer auf der Handfläche landet. Der Lyriker, der 2014
den renommierten Peter-HuchelPreis erhielt, ist in diesem Jahr
Stipendiat der Deutschen Akademie
Villa Massimo in Rom. Als wir ihn dort erreichen und ihn um
einen Beitrag für DICHTER DRAN zu bitten, sorgt er sich
zunächst. Er hoffe mit seinem Gedicht nicht zu sehr an dem
Werk zu kleben. Das Ergebnis aber zeugt von seiner lyrischen
Kraft, die Dinge einzukreisen und nicht zu überschreiben.
Sein letzter Gedichtband, Dickicht mit Reden und Augen, ist bei
kookbooks erschienen. Seite 18
Arne Bergmann
SALES MARKE
Xenia Kunow, (V. i. S. d. P. MarkenartikelAnzeigen), [email protected]
SALES KUNSTMARKT
Nele Heinevetter (V. i. S. d. P. KunstmarktAnzeigen), [email protected]
HERSTELLUNG
Olaf Hopf
DIGITALE VORSTUFE
Image- und AdMediapool
DRUCK
Firmengruppe APPL, appl druck GmbH
BLAU erscheint als Beilage der
WELT am letzten Samstag im Monat
und danach im ausgewählten
Zeitschriftenhandel.
Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 1
vom 01.01.2015. Copyright 2015,
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MAI – JULI 2015
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JOHN WATERS
BEVERLY HILLS JOHN
JULI – AUGUST 2015
KEITH ARNATT
THE ABSENCE OF THE ARTIST
SEPTEMBER 2015
REINHARD MUCHA
OKTOBER – NOVEMBER 2015
ESSAY
DIE KUNST
GEHÖRT
DER GANZEN
WELT!
NATIONALES KULTURGUT
Martin K ippenbergers Bild Ich kann beim
besten Willen kein Hakenkreuz entdecken
in der Sammlung Flick dürfte ab 2034 das
Land nicht mehr verlassen
Warum Monika Grütters’
Kulturgutschutzgesetz
zum Kulturgutvertreibungsgesetz wird.
Von Mathias Döpfner
M
onika Grütters ist ein Glücksfall
für die deutsche Kulturpolitik: Sie
ist leidenschaftlich gebildet, eine treue
Besucherin aller wichtigen Theater- und
Opernpremieren, sie liebt zeitgenössische
Kunst, im politischen Alltag gilt sie als
verlässlich und ihr Wesen ist von unerschütterlicher Fröhlichkeit.
Die Kulturszene hat in kürzester Zeit
ein empathisches Vertrauensverhältnis
zu ihr aufgebaut – etwas, das in dieser Form
keiner ihrer Vorgänger selbst nach mehrjähriger Amtszeit erreichte. Seit einigen
Wochen jedoch ist dieses Vertrauen
empfindlich gestört. Aus der Schutzheiligen
wird plötzlich – zumindest für die Kunstszene – eine gefährliche Gegnerin.
Monika Grütters steht im Zentrum
einer erbitterten Debatte um das sogenannte Kulturgutschutzgesetz. Ausgehend
von der Debatte um die Versteigerung
zweier wichtiger Bilder von Andy Warhol
durch die nordrhein-westfälische Lotteriegesellschaft WestSpiel geht es darum,
Bilder und Arbeiten von überragender
Bedeutung für die deutsche Kulturgeschichte vor einer unkontrollierten
Ausfuhr zu bewahren. Das Anliegen klingt
verständlich und berechtigt. Doch das
geplante Gesetz wäre ein Sargnagel für
den im internationalen Vergleich ohnehin
schwächelnden deutschen Kunstmarkt.
Und damit langfristig auch für die Attraktivität deutscher Museen, die nicht
unwesentlich von den Stiftungen privater
Sammler profitieren.
Händler, Galeristen und Auktionshäuser sind entsetzt, weil künftig womöglich
alle Arbeiten, die älter als 50 Jahre sind
oder mehr als 150.000 Euro Wert haben, nur
dann ins Ausland verkauft werden dürfen,
wenn eine Kommission dies genehmigt.
Der Münchner Kunsthändler Bernheimer spricht zu Recht von „kalter
Enteignung“, denn dem Eigentümer eines
Bildes wird durch die sehr willkürliche
Entscheidung der Kommission die
Möglichkeit genommen, eine Arbeit zum
internationalen Marktpreis zu verkaufen.
Das heißt, er muss unter Umständen auf
Teile seines Vermögens verzichten.
Ich bin in den letzten Wochen keinem
privaten Sammler begegnet, der sich nicht
Gedanken macht, wie er seine Werke noch
APÉRO
13
rechtzeitig außer Landes bringen könnte,
sollte die Novelle Gesetz werden.
Selbst wenn viele Sammler nur selten oder
noch nie eine Arbeit verkauft haben,
wollen sie sich vom Staat die Möglichkeit
dazu zumindest nicht einschränken lassen.
Auch wenn die meisten Sammler nicht
ein einziges Wort des Protestes öffentlich
artikulieren: Sie werden ihr Eigentum
ins Ausland bringen, noch bevor die Tinte
auf den Papieren der Gesetzesmacher
getrocknet ist.
Neben den in der Debatte der letzten
Wochen bereits vorgebrachten Argumenten
sehe ich vor allem drei Aspekte, die
das geplante Gesetz ad absurdum führen.
1.
Die Umkehr der Beweislast. Nicht mehr
eine Expertenkommission muss Ikonen
des Kulturguts identifizieren und nachweisen, dass der drohende Verkauf ins
Ausland nicht zu vertreten ist. Vielmehr
müsste in Zukunft jeder Besitzer eines
älteren oder teureren Kunstwerks durch
Anmeldung bei und Verhandlung mit der
Expertenkommission auf Bundesländerebene sicherstellen, dass die Arbeit kein
nationales Kulturgut ist. Nicht zuletzt weil
die Preisschwelle verhältnismäßig gering ist,
würde so ein bürokratisches Monster
geschaffen, in dem Abertausende Vorgänge
abgearbeitet werden müssten. Entscheidungen könnten höchst subjektiv getroffen
werden. Schon jetzt hört man, Kulturpolitiker hätten Sammlern signalisiert, sie würden
selbstverständlich dafür sorgen, dass diese
nicht mit Problemen zu rechnen hätten.
Hinzu kommt aber: Wenn ein Werk so
wichtig ist, dass es als nationales Kulturgut
unbedingt im Land bleiben muss, dann
sollte man doch davon ausgehen, dass diese
Arbeit den Experten bekannt ist. Warum
also der Anmeldeprozess?
2. Das sozialistische Verständnis von
Eigentum. Schon öfter in den letzten Jahren
hat die Bundesregierung eine wachsende
Gleichgültigkeit im Umgang mit Eigentumsrechten bewiesen. Der Mindestlohn ist
ein Beispiel im Grenzbereich. Eigentümern
wurde hier vorgeschrieben, zu welchem
Preis sie Arbeit einkaufen. Der undemokratische Weg des kopflosen Ausstiegs aus
der Atomenergie ist – unabhängig von der
Frage, ob man Nuklearenergie befürwortet
oder nicht – ein eindeutiges Beispiel, weil
hier in nicht rechtsstaatlicher Weise Milliardenwerte vernichtet und Unternehmen
zerstört wurden, von denen eines, RWE,
jetzt sogar verstaatlicht werden soll. Auf
dieser Linie liegt die geplante Novelle des
Kulturgutschutzgesetzes. Indem das Gesetz
den Eigentümern rückwirkend das Recht
nehmen würde, ihr Eigentum zu einem
marktgerechten Preis zu verkaufen, und sie
unter Umständen zwingt, das Kunstwerk zu
einem – meist dramatisch – niedrigeren
Preis nur in Deutschland zu veräußern,
(teil-)enteignet es den Eigentümer. Die
einzige ordnungspolitisch vertretbare
Lösung ist das staatliche Vorkaufsrecht, wie
es etwa in England seit Langem erfolgreich
gehandhabt wird. Identifiziert die Expertenkommission des Staates ein nationales
Kulturgut, kann sie es zu dem international
in einer Auktion oder im Handel erzielten
Marktpreis erwerben. Das ist fair für alle
Beteiligten.
Warum Monika Grütters diese Lösung
nicht will, hat sie mit ungewöhnlicher
Ehrlichkeit erklärt: „Ich bin aber ganz klar
gegen ein solches Vorkaufsrecht (…):
Die teuren Werke kann sich das Land nicht
leisten und muss sie dann ins Ausland
lassen – obwohl man sie für national
wertvoll hält.“ Hier verrät sich die wahre
Absicht des geplanten Gesetzes: Der Staat
will nicht so viel Geld ausgeben und
stattdessen die wichtigen Werke den
privaten Besitzern lieber billiger abzwingen.
Das ist DDR in jeder Hinsicht. Nicht nur
weil es privaten Besitz verstaatlicht,
sondern weil durch Umverteilung ein
Teufelskreis in Gang gesetzt wird. Anstatt
durch Steuererleichterung und andere
Liberalisierungen dafür zu sorgen, dass der
Kunststandort Deutschland attraktiver wird
und noch mehr internationale Sammler und
Arbeiten ins Land gelockt werden, wird
durch Überregulierung eine Auszehrung
betrieben, an deren Ende der Mangel
gerechter verteilt wird. Das Kulturgutschutzgesetz würde zum Kulturgutvertreibungsgesetz. Die Leidtragenden werden
nicht nur Sammler und Galeristen sein,
sondern vor allem die deutschen Museen,
deren Bestände dann immer weniger von
privaten Schenkungen profitieren.
3. Die Prämisse ist falsch. Kunsteigentum
ist nicht nach nationalen Kategorien zu
ordnen, denn die Kunst selbst ist international. Das gilt heute, in einer digitalisierten
und globalisierten Welt, erst recht. Aber
eigentlich galt es schon immer. Eine der
wesentlichen Ideen und Aufgaben der
Kunst war es stets, Grenzen zu überwinden.
Entsprechend international haben die
großen Künstler gearbeitet.
Natürlich gibt es regionale und
nationale Ausprägungen und Schulen.
Glücklicherweise. Heimat ist Identität,
Besonderheit, Signum. Nationalen Besitzanspruch aber gibt es mitnichten. Warum
sollte der Elvis-Warhol denn in Deutschland bleiben: weil die Glücksspielgesellschaft ihn vor vielen Jahren gekauft hat?
Was, wenn die amerikanische Regierung auf
die Idee käme, dass Hauptwerke des
amerikanischen Künstlers Warhol eindeutig
in Amerika zu sein hätten und nicht ins
Ausland verkauft werden dürften?
Die ganze Idee nationaler Besitzansprüche ist falsch. Auch hier ist das
einzige Kriterium das rechtmäßig erworbene
Eigentum. Entwendetes muss zurückgeführt
werden. Während des Dritten Reiches
enteignetes oder unter Zwang verkauftes
Eigentum von jüdischen und anderen
verfolgten Sammlern ist Hehlerware. Das
Eigentum muss wieder
dem gehören, dem es genommen wurde.
Ansonsten aber gilt: Die Kunst ist frei.
Und frei ist sie nur dann, wenn sie frei
gezeigt, betrachtet, gekauft und verkauft
werden kann.
Der nationale Anspruch auf ein frei
und privat veräußertes und erworbenes
Kunstwerk muss die absolute Ausnahme
sein. Gerade deutsche Museen wären die
größten Leidtragenden einer Renationalisierung von Besitzansprüchen.
Müssen wir die Nofretete aus Berlin
wieder nach Ägypten bringen, weil sie dort
vor Jahrtausenden geschaffen und vor mehr
als hundert Jahren ausgegraben wurde?
Die Sixtinische Madonna von Raffael hängt
in Dresden und lockt jedes Jahr Hunderttausende Besucher an. Soll sie wieder
zurück nach Italien, weil sie – ohne Zweifel –
nationales italienisches Kulturgut ist?
Streit um die Nationalität und Internationalität von Kunst gibt es seit je. Berühmt
APÉRO
14
wurde der Bremer Künstlerstreit. 1911
protestierten deutsche Künstler dagegen,
dass die öffentlichen Sammlungen in
Bremen vermehrt Bilder französischer
Künstler kauften. Das Problem begann mit
der Berufung des Kunsthistorikers Gustav
Pauli als wissenschaftlicher Leiter der
Kunsthalle Bremen. Pauli kaufte 1906 das
Bild Die Dame im grünen Kleid (Camille) von
Claude Monet. Es wurde ihm vorgeworfen,
„die ausländische Kunst zum Nachteil der
einheimischen deutschen zu begünstigen“.
Es gab eine Protestschrift von 140 Künstlern
und Kunstschriftstellern unter der Überschrift „Ein Protest deutscher Künstler“.
Außer von Stuck und Kollwitz sind unter
den Unterzeichnern wenige Namen heute
noch Teil des Kanons.
In der Gegenantwort, „Im Kampf
um die Kunst“, verteidigten 47 Künstler
sowie 28 Galerieleiter und Kunstkritiker
den angegriffenen Kunsthallendirektor
und den französischen Impressionismus.
Unterzeichner der Antwortschrift waren
unter anderem Max Beckmann, Gustav
Klimt, Lovis Corinth, Max Liebermann,
Georg Kolbe, August Macke, Franz Marc,
Otto Modersohn, Carl Moll, Ernst Oppler,
Max Pechstein, Wassily Kandinsky und
Max Slevogt. Ein Blick ins Lexikon der
wichtigsten Künstler des 20. Jahrhunderts
zeigt, welche Haltung damals die besseren
Verbündeten hatte.
Kunst lebt davon und dafür, Grenzen
zu überwinden. Grenzen des Denkens, des
Geschmacks, der Konvention. Kulturgut
ist nicht dazu da, um in nationale Grenzen
eingehegt zu werden. Sein Sinn besteht
darin, die Welt zu erobern. Künstler haben
eine Nationalität. Die Kunst nicht. Sie ist
global. Der Kunstmarkt ist international.
Monika Grütters ist zu klug, um bis
zum bitteren Ende in die gut gemeinte, aber
falsche Richtung zu rennen. Das Kulturgutschutzgesetz passt ins Zeitalter der Globalisierung wie ein Kutscher mit Peitsche in
die Straßenverkehrsordnung der fahrerlosen
Autos. Die Kulturstaatsministerin könnte
sich am Ende an Goethe erinnern und seine
Quintessenz: „Es gibt keine patriotische
Kunst und keine patriotische Wissenschaft.
Beide gehören, wie alles hohe Gute, der
ganzen Welt.“ Das wäre – dann wirklich –
ein Glücksfall.
HAUSER & WIRTH
LOUISE BOURGEOIS
STRUCTURES OF EXISTENCE:
THE CELLS
27 FEBRUARY – 2 AUGUST 2015
HAUS DER KUNST, MÜNCHEN
I HAVE BEEN TO HELL
AND BACK
10 JUNE - 27 SEPTEMBER 2015
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COLLECTION THE EASTON FOUNDATION
PHOTO: CHRISTOPHER BURKE, © THE EASTON FOUNDATION/LICENSED BY VG BILD-KUNST
APÉRO
NEUES, ALTES,
BLAUES
BITTE
NICHT
SCHLIESSEN!
D
D
CONGO KITOKO
ie afrikanische Kunstgeschichte der
Moderne begann Mitte der 20erJahre in Kinshasa. Die Hauptstadt
der heutigen Demokratischen Republik
Kongo hieß damals noch Léopoldville und
war gerade zum neuen Regierungssitz der
Kolonialherren von Belgisch-Kongo erklärt
worden. Als der belgische Staatsbedienstete
Georges Thiry, privat ein Kunstliebhaber,
einige Hütten in der schnell wachsenden
Stadt inspizierte, fielen ihm Wanddekorationen von hoher künstlerischer Qualität auf.
Er ging auf die Suche nach ihren
Schöpfern und fand drei der Künstler –
Albert Lubaki, dessen Frau, Antoinette, und
Djilatendo – in ihren Dörfern, gab ihnen
Papier und Aquarellfarben und begründete
so die moderne Malerei in Zentralafrika.
Ungegenständliche Muster in leuchtenden
Farben, grafisch abstrahierte Tierbilder,
narrative Jagd- und Familienszenen, poppig
stilisierter Alltag zwischen surrealistischen
Symbolen. Als die Gemälde und Wasserfarbzeichnungen von Lubaki und Djilatendo
1929 erstmals in Brüssel ausgestellt wurden,
müssen sie die Avantgarde begeistert haben.
Doch der rege Kulturaustausch währte nur
wenige Jahre, die Künstler bekamen keinen
Materialnachschub mehr, ihre Kunstwerke
gerieten in Vergessenheit.
Mit Beauté Congo, 1926 – 2015, Congo
Kitoko (11.07. – 15.11.) rückt die Fondation
Cartier in Paris das Land mit der reichsten
malerischen Tradition in Afrika neu in den
Mittelpunkt. Wenngleich man von den
Künstlern nicht mehr viel weiß – ihre Werke
konnten überdauern: in Depots belgischer,
französischer und schweizerischer Museen,
aber auch in Privatsammlungen ehemaliger
Kolonialbeamter und Ministerialdirektoren.
Viele der ungemein frisch und unbeschwert
wirkenden Arbeiten werden jetzt zum ersten
Mal öffentlich ausgestellt. WOE
DJILATENDO, Ohne Titel, ca. 1930
Oben: ALBERT LUBAKI, Ohne Titel, 1929
APÉRO
16
er Schinkel Pavillon ist Berlins
einzige Adresse, wo jeder, aber
auch wirklich jeder Künstler der
Welt unbedingt sofort ausstellen will.
Denken wir uns die Hauptstadt einmal
ohne ihn: Es gäbe eine Flutwelle von
Abgesängen auf Berlin, das es einfach
nicht schafft, einen der wichtigsten Orte
der Kulturszene zu halten. Leider ist die
Vorstellung nicht ganz unrealistisch.
Denn das gläserne Oktogon nahe Unter
den Linden, in dem schon Erich Honecker
Cocktailpartys gab, leidet unter akuter
Geldnot. Eine reguläre Förderung der
Stadt gab es nie – obwohl so manche
Ausstellung längst Grund genug dafür
gewesen wäre. Wo sonst gab es je eine
Gemeinschaftsarbeit von Franz West
und Anselm Reyle, die aussah wie ein
psychedelisches Wohnzimmer der
Zukunft? Damit das anspruchsvolle Programm fortgesetzt
werden kann, findet
während der Kunstmesse
ABC vom 17. bis 20.09.
eine Benefizauktion statt.
Organisiert wird sie von
der Kuratorin Nina Pohl,
die den Pavillon
seit einigen Jahren
betreut. GB
PAUL McCARTHY, Tree, 2014
Oben: ROBERT LONGO,
Untitled (Tiger Head 3), 2011
DIE HÖRLISIERUNG
MITTELEUROPAS
n naher Zukunft werden Kunsthistoriker
nur noch vom „post-Hörl age“ sprechen.
In Europa wird es keinen Ort mehr
geben, an dem man vor den Skulpturen
von Ottmar Hörl sicher wäre. Das große
Euro-Logo hat Hörl 2001 vor die EZB
in Frankfurt gestellt. Zuvor noch ein blaues
Haus vor die Tore von Ravensburg. Und
der Professor, besessen von der Idee,
mit in Plastik gegossenen Dingen die Welt
wie mit einem Pilzmyzel zu überwuchern,
will immer mehr.
Vor über zehn Jahren brachte Hörl
unter dem Deckmantel einer Kunstaktion
7.000 Hasenplastiken nach Nürnberg.
Wir erinnern uns, was geschah, als im
19. Jahrhundert europäische Siedler
24 Kaninchen nach Australien einführten:
Australien wurde überrannt von den
Tieren. Nur hundert Jahre später waren
es eine Milliarde, gegen die dann der
berüchtigte Kaninchenkrieg geführt wurde.
Glücklicherweise vermehrten sich Hörls
Plastiken nicht so schnell.
I
Dafür stehen in Bayreuth inzwischen
mehrere Millionen Wagner-Skulpturen.
Im Nürnberger Büro des Heimatministers
Markus Söder zeigt die Skulptur Weltanschauungsmodell II einen Mann, der durch
ein Fernglas blickt. Und auf dem Parteifest
der Linken ruft Hörls Marx zum Klassenkampf auf. Hörl schreckte auch
nicht davor zurück, einmal
10.000 Eulen nach Athen
zu tragen. Das Abendland
ist endgültig hörlisiert.
Sogar auf der TurkuBiennale in Finnland ist
Hörl zu sehen.
Auch wenn Hörls
größter Wurf das
Hasenmassaker von
Nürnberg war, so ist er im
Herzen doch ein Igel.
Denn egal wie schnell der
Hase rennt, stets sagt der
Igel zum Hasen: „Ich bin
schon da!“ FS
TANZ auf
dem VULKAN
Stromboli ein Festival statt (17. – 27.07),
initiiert vom Fiorucci Art Trust. Das
Motto in diesem Jahr: In Favour of a
Total Eclipse. An teils abgelegenen und
olcano Extravaganza: Was kann
versteckten Orten auf der Insel werden
das wohl sein? Erstens: ein
Künstler in drei Akten dem Vulkan
Bling-Bling-Modelabel. Zweitens:
huldigen: Kenneth Anger und Brian Butler
die Espressovariante eines Organic
führen eine Filmperformance auf. Thomas
Coffeeshops in Berlin-Neukölln. Und
Zipp und Adriano Costa bringen Opferdrittens? Genau, Kunst! Zum fünften Mal gaben dar. Christodoulos Panayiotou
findet unter diesem Namen auf der Insel nimmt mit einer Performancelesung
den Tod auf der Bühne ins Visier.
Goshka Macuga lässt einen
Alien seine Botschaft an die
Menschheit loswerden und
Mathilde Rosier vollführt einen
Tanz auf dem Vulkan. Das Ganze
startet bei Neumond und läuft
bis zum Höhepunkt des allsommerlichen Meteorschauers.
Parallel dazu gibt es ein Musikprogramm mit „Cosmic Disco“.
Vielleicht sind Bling und Espresso
da gar nicht weit weg. GB
ANNA BLESSMANN & PETER SAVILLE Live Under the Sun,
V
Performance, Volcano Extravaganza 2013
DEICHTOR
HALLEN
INTERNATIONALE KUNST
UND FOTOGRAFIE
HAMBURG
WWW.DEICHTORHALLEN.DE
GEORGE CONDO, MULTI COLORED PORTRAIT, 1990 (DETAIL). BISCHOFBERGER. COLLECTION, SWITZERLAND, © VG BILD-KUNST, BONN
PICASSO IN DER KUNST
DER GEGENWART
1. APRIL – 12. JULI 2015
HALLE FÜR AKTUELLE KUNST
PHILLIP TOLEDANO, UNTITLED, AUS DER SERIE MAYBE (DETAIL), 2011–15
© PHILLIP TOLEDANO
TRIENNALE DER PHOTOGRAPHIE
THE DAY WILL COME WHEN MAN FALLS
PHILLIP TOLEDANO
19. JUNI – 6. SEPTEMBER 2015
HAUS DER PHOTOGRAPHIE
LYNN HERSHMAN LEESON, SHOWER, FILMSTILL AUS TEKNOLUST, 2002
(DETAIL) · © LYNN HERSHMAN LEESON
LYNN HERSHMAN LEESON
CIVIC RADAR
14. JUNI – 15. NOVEMBER 2015
SAMMLUNG FALCKENBERG
PARTNER DER DEICHTORHALLEN
KULTURPARTNER
APÉRO
17
Schneefall wird den Abend beleuchten
archaisches Gleißen unter unzähligen
deren Summe das Dunkel ist. Sieh dich
kunstlos an, Kunststück Versunkenheit
sprich – schwebend, latent – namenlos
farblos und atemlos, was diese Kontur
diesen Kontrast ergibt. Abheben sich –
wie Hörer, krass. Dabei gelassen liegen
ungehoben und unbetreten – gelandet
wie aus dem All, eines der Shuttles sein.
DICHTER DRAN
SCHNEEFALL
STEFFEN
POPP
[ Schneefall ]
Was für Energien werden frei,
wenn die Sprachkunst auf
die Bildkunst trifft? Für BLAU
hören Lyriker auf den Klang
der Kunst. Steffen Popp, Jahrgang 1978, badet in einem
Pool für Albino-Echsen
Wandler: ein Magnetismus, submarin
Howl-Zone, Pool für Albino-Echsen –
nie scheint Sonne ferner, ihr Abglanz
kühler, wirken Gezeiten geweihter und
durch alle zwölf Häuser, hypnotisiert
träumen wie eine Strömung die Sinne
du stehst mit Wölfen aus Gräbern auf
unter Artenschutz nachts, über Halden
Spaceshuttles, Riten, was dich beglänzt
jeder Opal ist ein Hüter von Narben.
Inspiriert von
Joseph Beuys
[ Mond ]
Wurzeln wie die gehn durch alles, sei es
Granit, sei es Haut: geplatzte Äderchen
auf deiner Wange etc., Jahre dazwischen
verfliegen im Schlaf – später in anderen
wach, Zeitaltern, Leben, wie man sagt
du erinnerst mich an was: dieses Gefühl
ist selbst historisch, ein Stiefkind von
Traurigkeit, das in die Zukunft reicht –
Wachstum, Verflechtung, Zersiedlung …
Kronen- und Wurzelvolumen sind gleich.
[ Baumriesen | Tränen ]
Wuchern und Dunkel, zwei Schwestern
ein Puls. Alles wächst innen, unendlich
in einem unendlichen Pool. Aufs Ganze
gehen, das ganze Defizit – ein Erbgut
verformender Schub. Leichengeschmack
deiner Prothesen im Denken, Unsummen
in Wüsten versenkt, die deine Technik
kaufen, die dich später bekämpft. Hydra
wägt träge das ein oder andere Haupt.
Deine SkinCare kostet mehr als ein Barrel.
JOSEPH BEUYS, Schneefall, 1965
32 Filzdecken über drei Tannenstämmen
23 × 120 × 375 cm
[ Monster | Rendite ]
APÉRO
18
O-TON
DIE SCHNELLSTEN SKULPTUREN DER WELT
GIB’S MIR!
Axel HAUBROK
Der Sammler zeigt Kunst im Theater
„Wir sind eingeladen worden,
eine Ausstellung im Theater zu
machen. Das ist reizvoll, aber
auch ein großes Wagnis, denn
es gibt für so etwas eigentlich
kein Vorbild. Wir sind auf der
Bühne zum Start des Berliner
Tanzfestivals Tanz im August im
HAU mit Werken aus unserer
Sammlung. Es wird eine richtige Aufführung, also ist unsere
Ausstellung nur einen Abend
lang zu sehen (13.08., ab
17 Uhr). Was unterscheidet ein
Theater vom klassischen White
Cube? Viel Technik auf der
Bühne und im Fall des HebbelTheaters ein holzgetäfelter
Zuschauerraum. Da bleibt nur
die Möglichkeit, das Auditorium selbst zur Schau zu stellen
und den Saal für die Besucher
zu sperren. Stattdessen wird
das Publikum die Bühne betreten. Hier gibt es dann das unvermeidbare Aufeinandertreffen von Bühnentechnik und
zeitgenössischer Kunst. Gerade das Tanztheater ist Bewegung und Licht. Natürlich werden die Arbeiten nicht nur an
einer Stelle verharren, und die
im HAU vorhandene professionelle Bühnenbeleuchtung wird
auf Lichtarbeiten von Ólafur
Eliasson, Martin Boyce und
Cerith Wyn Evans treffen. Wie
das alles zusammen wirkt? Wir
werden sehen.“
So winzig der 550er ist, so elegant zirkelt er sich
auf Passstraßen an Jaguaren und Healeys vorbei,
die spürbar
mehr PS
habenn
PORSCHE 550 SPYDER RS
L
et’s go bürgerlich:
Leserbeschimpfung!
Daran sind Kunstfreunde gewöhnt, wird ihnen
doch oft genug eingeredet,
Kapitalismus und Entfremdung
seien ihre Schuld. Bei uns
Freunden des kultivierten
Blechkleids geht’s andersherum:
Wir sind „Bourgeoisisten“, wie
der Architekturtheoretiker Julius
Posener sie so schön beschrieben
hat. „Bourgeoisisten“ haben
Schuldgefühle und Scham
tiefergelegt und ihren Hedonismus getuned. Deshalb: Geht es
Ihnen wirklich um Stil und
Distinktion, versuchen Sie es mal
mit der Mille Miglia statt mit der
Art Basel. Mehr Geld, mehr
Charme und glücklicherweise
keinen Smalltalk mit dem
angelesenen postmodernen
Imposanzvokabular. Zurückgekommen von der Mille
Miglia, saß ich abends neben
einem, der stets beides liebte,
Autos wie Kunst, und wir
fragten uns: Lieber einen
grandiosen Polke oder einen
Ferrari 250 GTO? Natürlich
einen GTO, erklärte der
Kunstsammler, ohne lange
nachzudenken.
Die Mille Miglia 2015 war
wie immer sonnig, abenteuerlich, lässig, entspannt, antineureich, euphorisch, anarchisch.
Eine Oldtimerrallye, wie sie so
nur in dem libertärsten Land
Europas denkbar ist: in Italien.
Mein Vergnügen war es, in
einem Porsche 550 Spyder RS
von Brescia nach Rom und
zurück zu heizen. Und obwohl
das Ganze schon ein paar Tage
her ist, wache ich noch jeden
Morgen auf und vermisse es,
ohne Frühstück, direkt aus dem
Hotel runter in den Parc fermé
zu gehen, die Mechaniker nach
dem Zustand des Museumsstücks zu fragen, um es dann
rauschhaft im Race-Modus um
die Ecken zu zimmern.
Das Auto ist mehrere
Millionen Euro wert. Das
vergisst jeder, der in diesem
ersten reinrassigen Rennwagen
von Porsche sitzt, weil alles
an dem Design, dem Fahrwerk,
der Ergonomie, der nicht
APÉRO
19
vorhandenen Sicherheit (keine
Gurte, kein Nix), dem wild
heulenden Motor signalisiert:
Fahr mich, gib’s mir, schone
mich nicht, sei mutig und
gefährlich, respektiere die Regeln
des Wettbewerbs und des
Gentlemen Driving!
Das 62 Jahre alte Auto
fuhr die 1.600 Kilometer zu 65
bis 70 Prozent im Renn-Speed
ohne eine Macke. Der 550 Kilo
leichte Mittelmotor-Roadster
verblüffte mit einer Drehfreude
und einer Agilität, die mit den
110 bis 125 PS kaum zu erklären
sind. Die absolut brillante
Gewichtsverteilung sorgt für ein
neutrales Fahrverhalten auch in
kniffligen Situationen. So winzig
der 550er ist, so elegant zirkelt
er sich auf Passstraßen auch
an Jaguaren und Healeys vorbei,
die spürbar mehr PS, Hubraum
und Zylinder haben. Es ist ein
wundervolles Auto, und es ist
ein Geschenk, es mit 175 km/h
über holprige Fernstraßen zu
prügeln. Das Auto hätte einen
Polke in seiner Garage verdient.
ULF POSCHARDT
UM DIE ECKE
EUROPÄISCHE
ZENTRALBANK
Jede Stadt hat ihre MIKROKOSMEN,
wir stellen sie vor. Und umkreisen die Straßen
des neuen Hochsicherheitstrakts der EZB
in Frankfurt, lassen uns von den Menschen
zeigen, wie sie hier leben und wo die
Schwimmverein, darf man sich auf dem 60
mal 70 Meter kleinen Areal fühlen wie in
Kunst spielt
gewachsen ist. Daran stimmt nun erst mal Schweden. Ins Café darf jeder.
QUARTIER? ETWAS UNSCHEINBAR,
DIE VERSORGUNGSWEGE IN EZB-NÄHE
Z
weierlei Arten Besoffenheit gibt es:
solche, die vom Überfluss an Möglichkeit kommt, und solche, die vom Mangel an Möglichkeit kommt. So heißt es in
einem Lehrgedicht von Meister Laotse –
oder könnte es heißen, wenn Laotse sich für
diese Themen interessiert hätte und wir
Heutigen diese Wahrheiten nicht mühsam
erfinden müssten. Nicht schlecht staunte
Laotse aber, würde man ihn ins heutige
Frankfurter Ostend führen, denn zurzeit
sind hier beide Arten Besoffenheit anwesend.
Es geht im Osten der Stadt natürlich um
die besenrein fertiggestellte EUROPÄISCHE
ZENTRALBANK an der Sonnemannstraße,
die am bislang unbesuchten, unbeliebten
Mainufer festgemacht hat und hier seither, so
raunen’s die Gentrifizierungsrauner, alles
kaputtmacht, was über die Jahrhunderte
rein gar nichts. Zunächst gibt es keine
gewachsenen Strukturen, gab es nie. Demzufolge gab es auch nie irgendwas zu zerstören.
DAS OSTEND, Viertel der Arbeiter, Juden
und allerlei Hafengeschöpfe, hatte immer
nur so viel Struktur, wie sich die Honoratioren im wenige Kilometer entfernten Rathaus
gerade noch leisten wollten.
Die letzten Jahrzehnte sind nahezu
spurlos am Ostend vorübergegangen. Der
Stadtteil wird abgewohnt, wie eine alte Wohnung abgewohnt wird. Aber es ist ein Wohnen
an den Strukturen vorbei. So wie vor Jahren
aus einem ungenutzten Hafenbecken, das
sich allmählich mit Grundwasser füllte, der
SCHWEDLERSEE wurde, so füllt sich das
Viertel mit Menschen, die zielstrebig die
Pläne ignorieren, die für sie gemacht wurden.
Jetzt versuchen sie auch die eingezäunte EZB
zu ignorieren. Wenn man Mitglied wird im
APÉRO
20
Wenn man sich aber von den Menschen,
die den Weg kreuzen, durch das Ostend
leiten lässt, trifft man auf Plätze und Straßen,
die brutal in die Bausubstanz hineingefräst
wirken. Doch fragt man nach, erfährt man,
dass sie schon Jahre so vor sich hin bluteten,
bevor man auch nur an einen Neubau der
Zentralbank denken konnte.
Tatsächlich schwebt die EZB wie ein
Heißluftballon über dem Viertel, semitransparent, unwirklich, an heißen Tagen von
atmosphärischem Flirren umgeben wie eine
Fata Morgana, und ähnlich zart und
unscheinbar sind ihre Versorgungswege. Es
hat noch kaum eine Transformation stattgefunden. Wer brutale Hyper-Lofts und
Finanzwohnungen sehen möchte, muss ins
Europaviertel fahren, jene aus dem Boden
gestampfte Hochleistungssiedlung, die im
Westen der Stadt neu entstanden ist und sich
DAS BERMUDADREIECK?
DAS NEUE EZB-GEBÄUDE
IST IM FRANKFURTER
STADTTEIL OSTEND WIE EIN
UFO GELANDET (OBEN). MIREK
MACKE VOM KUNSTVEREIN
MONTEZ (LINKS) UND DIE
KINDER IN DEN SIEDLUNGEN
SPIELEN EINFACH WEITER
langsam mit ihren hohen Mieten reinfrisst in
das Arbeiter-Gallusviertel.
a, die EZB! Viele Gemeinheiten wurden
und werden über das Gebäude ausgesprochen. „Raumschiff“ hat man es
genannt, „Todesstern“ und viele andere
imperiumskritische Schimpfwörter mehr.
Die gemeinste Gemeinheit, das finale Verdikt über das Haus steht jedoch gleich hier,
in diesem Magazin, und ist bisher nur mir
selber eingefallen. Das Gebäude – Achtung,
jetzt kommt’s! – sieht reinmontiert aus.
Jawohl, reinmontiert! Also im Sinne einer
Fotomontage. Die genialen grafischen Werkzeuge der Architekten, sie haben sich selbst
überlistet. Das Gebäude steht exakt so da wie
in jenen gerenderten Voransichten, die in
den Jahren vor dem Bau zu sehen waren –
mit der Konsequenz, dass das Gebäude
selbst durch und durch unwirklich aussieht,
als wäre es in die Wirklichkeit eingeklinkt
worden wie ein Grafikelement in Photoshop.
J
Offenbar ist die Bautechnik schneller fortgeschritten als die entsprechende Grafiksoftware. Jedenfalls wäre
nur so zu erklären, wie
es möglich ist, dass der Bau eins zu eins einen
digitalen Plan wiedergibt, der selbst doch nur
Abstraktion, Prätention auf Höheres, Schöneres war. Ich bin überzeugt: Suchte ein
Experte für Grafiksoftware das Gebäude ab,
er fände Rendering-Artefakte, falsch dargestellte Pixel und Ebenenfehler, die von fleißigen Handwerkern in Beton gegossen wurden,
so streng hat die Wirklichkeit die Computer
imitiert.
Der wichtigste Versorgungsweg des
Gebäudes ist ein TRAMPELPFAD, der durchs
Gehölz des Ostends geschlagen wurde. Er
führt von der S-Bahn-Station Ostendstraße
über die Westseite des Paul-Arnsberg-Platzes
hin zum EZB-Haupteingang. Jeden Morgen
und Mittag kann man dort dasselbe Schauspiel sehen: Hunderte, vielleicht Tausende
Banker watscheln den Pfad entlang wie die
Pinguine, in einer schmalen Linie, vermeiden
den Kontakt mit der Ostendbevölkerung,
surren geschäftig wie die Ameisen und in
APÉRO
21
strenger Formation, als fürchteten sie, auf
ihrem Arbeitsweg von der Seite bespuckt,
beworfen und beschimpft zu werden. Zahllose Sprachen kann man auf dem Trampelpfad hören: Englisch natürlich, viel Italienisch
und Französisch auch. Und die Mode ist
durchaus nicht uniform: Wer es nicht liebt,
bereits auf dem Weg zum Job als Weltvernichter und Jobstreicher erkannt zu werden,
nimmt ihn in leichter Freizeitkleidung oder
im Sportdress.
paßigerweise geht es auf der anderen Seite
des Trampelpfads und auf dem restlichen
Platz nicht anders zu, nämlich auch sehr
bunt und vielsprachig. Die Stadt Frankfurt
treibt Migranten und andere Unerwünschte
weit in den Osten. Der Paul-Arnsberg-Platz,
der im Einzugsbereich dreier Schulen liegt,
wird dabei zum natürlichen Aufenthaltsort
vieler Migrationsjugendlicher – und dadurch
zu einem der wenigen Frankfurter Plätze, die
funktionieren. Zwischen den Gründerzeitkasernen, den geometrischen 90er-Jahre-Blocks
S
und den postmodernen Fassaden der Lifestyle-Wohnmaschinen wuseln und wurschteln
sie herum, die Jugendlichen, spielen Fußball
oder auf dem Handy und tun dies weit weniger
pittoresk und sozialpädagogisch wertvoll als
auf der nahe gelegenen SKATERBAHN – sie
tun das, was Jugendliche idealerweise tun
sollten, nämlich rumlungern, und wenn ein
supermodernes Büro superschnell wieder
dichtmachen und das Inventar vor die Tür
stellen muss, spielen sie Destruction Derby
mit Bürostühlen, von denen jeder mehrere
Monatsgehälter kostet.
Wie sieht’s aus mit der Kunst in diesem
komisch trägen, stets zwischen Lethargie und
dolce far un poco wabbelnden Ostend? Sollte
hier nicht „was gehen“, in einem Viertel, wo
die Widersprüche derart bilderbuchartig
aufeinander prallen? Natürlich geht hier
nichts, denn es prallt ja auch gar nichts. Die
Städelpartys finden andernorts statt, trotz
aller Lock- und Balzrufe des KUNSTVEREINS
FAMILIE MONTEZ. Der private Verein ist
der neue Nachbar der Skaterbahn und haust
hier wie viele unter einer Brücke. Der Künstler und Langbartträger MIREK MACKE,
Schüler von Hermann Nitsch, hat den Verein
2007 im Städelhof gegründet.
KOMMERZ ODER KIOSK?
DAS GEBÄUDE DER EZB IST
VON EINEM HOCHSICHERHEITSZAUN UMGEBEN. DA HILFT
NUR, DEN NEUEN NACHBARN
ZU IGNORIEREN, EIN BAD IM
SCHWEDLERSEE ZU NEHMEN
(LINKS) UND ANSCHLIESSEND
AM KIOSK EIN BIER ZU TRINKEN
Seit 25 Jahren gibt es die GALERIE
MARTINA DETTERER auf der Hanauer
Landstraße, im Hinterhof eines kleinen
Wohnblocks gelegen. Alle sechs Wochen
wechseln hier die Ausstellungen, und die
Vernissagen sind kleine, unaufgeregte Angelegenheiten. Vom neu eingetroffenen
Europa-Geld spürt man hier noch nichts.
Gerüchteweise, so heißt es seitens der Galeristin, gibt’s befreundete Galerien, die schon
eine gesteigerte Kunstkaufkraft erfahren
haben wollen, aber das Geld kriecht erstaunlich langsam die Hanauer hoch.
Aber natürlich weiß man auch hier von
den vielen neuen Galerien, die in der Innenstadt aufgemacht haben, und die Frage nach
einem neu entstehenden Kunstmekka Frankfurt beantwortet man mit hochgezogenen
Augenbrauen: Was innerstädtisch ausgestellt
werde, stehe in keiner Konkurrenz und
bediene eine ganz bestimmte (lies touristische) Klientel; das böse Wort „dekorativ“
fällt einem auf die Zunge. Der Verfasser
dieser Zeilen, selbst kein ausgewiesener
Kunstexperte, ja nicht einmal ein sonderlicher
APÉRO
22
-freund, findet sich jedoch zuverlässig und
weißnichtwie immer wieder in der Galerie
Martina Detterer wieder, hingeschleppt von
den unterschiedlichsten Leuten zu den merkwürdigsten Ausstellungen. Eine Interaktion
mit den Nachbarn, gar mit den neuen Nachbarn aus Europa hat man hier nicht nötig; es
reicht schon, dass der Hausmeister bei den
Eröffnungen vorbeischaut, um sich ein Friedensbier zu holen.
Jahrzehntelang wurde das Ostend vernachlässigt, und die EZB wird daran nichts
ändern, vielleicht die Vernachlässigung nur
radikalisieren, zur aktiven Brutalität heben.
Zusammenwachsen jedoch wird hier nichts.
Am sonnenbeschienenen Paul-ArnsbergPlatz wird bis dahin weiter gegammelt und
gehetzt, hört man Maßanzüge und Trainingsanzüge in zahllosen Sprachen Aktien und
Drogen bestellen – ein, frei nach E. T. A.
Hoffmann, ewiger Dienstag im Gemüt.
LEO FISCHER IST REDAKTEUR BEI DER SATIREZEITSCHRIFT TITANIC. FÜNF JAHRE WAR
ER DORT CHEFREDAKTEUR, BEVOR ER SICH 2013
AUF SEINE ROMANE KONZENTRIERTE
FOTOS: VITUS SALOSHANKA
ILLUSTRATION: KRISTINA POSSELT
APÉRO
23
BLITZSCHLAG
ADLER FÜR
DEUTSCHLAND
Es ist ein Augenblick der
Gewissheit: Dieses Kunstwerk
trifft mich im Kern.
Der Unternehmensberater
Roland Berger
ch habe das Glück gehabt,
eine humanistische Erziehung über seinen
zu genießen, sechs Jahre
Altgriechisch, neun Jahre Latein liebsten Remix
I
und alle die Themen, die in
diesen alten Sprachen ge- und
beschrieben sind. Von daher
waren Kultur und Geschichte,
Kunst und Theater schon
immer Teil meines Lebens. Aber
wirklich begonnen hat mein
Interesse an zeitgenössischer
Kunst Anfang der 50er-Jahre.
Ich kann mich noch gut
erinnern, wie uns unser Zeichenlehrer am Neuen Gymnasium
in Nürnberg in eine KandinskyAusstellung führte. Bis dahin
hatte ich mit zeitgenössischer
Kunst nie etwas zu tun gehabt.
Künstlerisch lebte ich noch mit
dem Hasen von Dürer. Und jetzt
dies: Kandinskys Art, die Welt
ganz anders zu sehen, das war
für mich ein Schock und ein
Weckruf.
Ich habe diese Ausstellung
noch viermal besucht – aus
Neugier und auf eigene
Rechnung. Den Katalog, auf
billigem Papier schwarz-weiß
gedruckt, besitze ich heute
noch. Seither hat mich die
Kunst nicht mehr losgelassen
Lebt und arbeitet mit Kunst: ROLAND BERGER
FOTO: MARKUS BURKE
und mich mein Leben lang
begleitet. Und mehr und mehr
habe ich verstanden, dass
bildende Kunst auch Ausdruck
der Befindlichkeiten und
Bedürfnisse einer Gesellschaft
ist. Meine Frau und ich haben
nie systematisch bestimmte
Kunstrichtungen oder Künstler
gesammelt, sondern ich habe
Bilder gesammelt, die parallel zu
meinem Leben und meinen
Möglichkeiten entstanden sind.
Fast ein Jahrzehnt lang
hing in meinem Büro ein Adler
von Georg Baselitz aus
seiner Remix-Serie. Der Adler
ist ja eigentlich ein Uraltmotiv,
das immer wieder in seinem
Werk auftaucht und dabei sehr
unterschiedliche Interpretationen erfahren hat. In
meiner Sammlung befinden
sich mehrere Adler-Bilder
von Baselitz. Aber es war vor
allem dieser eine, der mich
begeistert – nicht zuletzt wegen
der Symbolik: ein fallender
Adler, der sich wieder fängt.
Was ich immer auch als politisches Zeichen verstanden
habe, weil der Adler nun mal
für Deutschland steht, für ein
Land, das sich wieder gefangen
hat nach Holocaust und
Zweitem Weltkrieg und sich
seitdem immer wieder fangen
musste – und es auch getan hat.
Wohl hat mich dieser Adler
auch so berührt, weil er so leicht
wirkt. Baselitz hat ja in seinen
Remix-Bildern, die ganz anders
anmuten als die in seiner frühen
oder mittleren Schaffensperiode,
einen neuen Blick auf die Welt
genommen, auch auf sein
eigenes Werk. Er hat sich noch
einmal neu erfunden, und das
in einer Serie, die farblich viel
leichter und durchsichtiger
erscheint, ungemein sensibel,
hell und voller Licht.
APÉRO
24
GEORG BASELITZ
Adler (Remix), 2006
rahlwespietz
APÉRO
25
„ES WÄRE QUATSCH, SIE ZU
VERSCHLEUDERN
— THOMAS SCHÜTTE
Chips auf Schachtel: THOMAS SCHÜTTE vor der Baustelle seiner Skulpturenhalle in Neuss-Holzheim
Große Ausstellungen, Rekordpreise auf Auktionen:
Thomas Schütte hat alles erreicht. Jetzt gönnt er sich für
seine Sammlung eigener Werke ein Museum auf dem
Lande. Ein Baustellengespräch
APÉRO
26
T
homas Schütte gehört zu den erfolgreichsten Bildhauern seiner Generation.
Er wird umschwärmt von Sammlern
und Museen. Seine Lieblingsstücke hat er
für sein eigenes Museum zurückbehalten,
das im Frühjahr 2016 eröffnet werden soll.
Im Gespräch zeigt er sich als ein Virtuose
des Understatements, der seinen Zynismus
so pflegt, wie er seine gammelige Strickmütze in Ehren hält.
Ein eigenes Museum bauen: Ist das nicht
ein Spielfeld für eitle Sammler?
— Thomas Schütte: Geplant war das nicht
aus Eitelkeit, sondern eher aus praktischen
Gründen. Während meines Scheidungsverfahrens vor einigen Jahren hat die
Anwältin meiner Frau ein bisschen
gegoogelt und gesehen, was meine Werke
auf Aktionen erzielen. Daraufhin verlangte
sie prompt zehnmal mehr Geld. Ich
habe dann Monate gebraucht, um ihr zu
erklären, wie das Geschäft so läuft. Dass
ich eine Ware herstelle, die sich zu einem
bestimmten Preis verkauft. Den teilt
man sich mit der Herstellung, dem Händler,
dann mit der Steuer, mit den Kindern
und auch noch mit der Ehefrau. Und dass
die Wahnsinnssummen, die für meine
Skulpturen auf Auktionen bezahlt werden,
so etwas wie Pferdewetten sind. Ich selbst
sehe keinen Cent davon, nur das eine
Prozent der Folgerechte. Die Scheidungsgeschichte lehrte mich, dass ich mal was in
Sicherheit bringen musste.
STAHLFRAU NR. 7, 2001, Stahl, 130 × 125 × 250 cm
Anteil. Aber was macht man mit Kunst?
Ich wollte nicht, dass meine Arbeiten
in alle Welt verstreut, sondern dass sie an
einem Ort zusammengehalten werden.
Da erschien mir ein eigenes Museum
die beste Lösung – natürlich auch im
Hinblick auf riesige Lagerräume im Keller.
Sind alle Werke in der Stiftung?
— Momentan sind es 18 Frauenskulpturen
und 80 Aquarelle. So eine Kombination
muss einfach zusammenbleiben. Es wäre
Vor wem: dem Staat oder den Ehefrauen?
Quatsch, sie zu verschleudern. Die Negativ— Vor beiden. Ich habe mich damals gefragt: formen werden zerschnipselt, damit bloß
Was geschieht mit meinen Sachen nach
keiner auf die Idee kommt, man könnte
meinem Tod? Die Menschen kommen auf
posthum noch etwas gießen, wie bei Rodin,
den Friedhof, das Zeug auf den Müll oder, von dessen Sachen man in Museumsshops
wenn es gut geht, ins Museum. Ich bin jetzt
Nachgüsse kaufen konnte. Dann gab es
über 60. Wer weiß, wie lange ich noch lebe. noch sechs weitere Arbeiten, die verkauft
Momentan sieht es allerdings ganz gut aus.
wurden, als die Stiftung Geld brauchte,
um die Skulpturenhalle zu finanzieren. Hätte es nicht gereicht, eine Stiftung zu
gründen?
Sie stellen also alle Weichen, um Ihren Ruhm
— Wenn die drei Kinder nach meinem
über den Tod hinaus zu mehren.
Tod hundert Sachen kriegen, müssten sie
— Um Sie zu beruhigen: Es geht nicht
den größten Teil davon verkaufen, um die
nur um meinen Ruhm. Mein Haus ist kein
Steuern zu zahlen. Hätte ich Geld auf
Museum im klassischen Sinne, sondern
dem Konto, wäre es einfacher: Das kann
eher eine Kunsthalle. Der Keller ist zwar für
man gut teilen. Da reißt man einfach ein
mich und die Stiftung reserviert, aber in
Sparbuch durch und jeder kriegt seinen
der Halle werden wir auch Ausstellungen
APÉRO
27
anderer Künstler zeigen. Mario Merz
wird den Anfang machen.
Sie argumentieren wie jemand, der seine
Arbeiten nicht gern verkauft.
— Die meisten Künstler verkaufen gar
nichts oder nicht genug. Aber ich horte
meine Sachen. Seit Jahren gieße ich immer
ein paar Skulpturen mehr. Einige davon
lagere ich dann eichhörnchenmäßig im
Keller. Ich habe so viele Werke, dass ich
regelmäßig Ausstellungen mit ihnen
bestücken kann.
Warum machen Sie das? Behalten Sie gern
die Kontrolle?
— Man ist museal präsenter, wenn man
die Werke aus dem eigenen Archiv zaubern
kann. Das ist ein Aspekt. Hinzu kommt:
Die echten Preise kriege ich nur, wenn ich
nicht verkaufen muss. Zumal der Markt
total intransparent ist. Wenn ich meine
Spione nach Miami auf die Messe schicke,
damit sie mal schauen, ob meine Galeristen
sich an Absprachen halten, erlebe ich
manchmal durchaus Überraschungen.
Ein Objekt, das ich mit 300.000 Dollar
ausgewiesen habe, kostet dann schon mal
375.000. Das sind mal eben 75.000 mehr
als vereinbart.
Das ist ein Vertrauensbruch.
— Na ja, dann geht der Galerist in der
Verhandlung mit dem Käufer 75.000 Dollar
runter, als Rabatt – und schon sind wir
wieder bei 300.000 und alle sind zufrieden.
Glücklicherweise sind meine Preise so
hoch, dass ich nicht viel verkaufen muss.
Momentan sind eh nur Spekulanten
unterwegs und die öffentlichen Museen
können sich meine Arbeiten schon lange
nicht mehr leisten.
Sie können sich Ihre Käufer also aussuchen?
— Von mir gibt’s nur etwas, wenn die
Sammler im Atelier auftauchen. Wenn die
nicht kommen, gibt’s auch nichts. Ich will
sehen, wer meine Werke kauft, wenn es
um große Sachen geht. Das ist so eine Art
Gesichtskontrolle.
Sie sortieren Ihre Kundschaft mit der
Pinzette?
— Ich habe weltweit vielleicht 10
bis 15 Sammler, die im größeren Stil
meine Arbeiten kaufen.
Über alle Kontinente verteilt?
— Eigentlich nur in Nordamerika und Europa. Asiaten
und Araber haben bislang nichts
gekauft. Russen, die schon nach
drei Wochen keine Lust mehr
auf mein Werk haben, habe ich
auch nicht im Pelz.
Aus politischen Gründen?
— Sagen wir mal so: In
Krisengebieten lasse ich mich
nicht blicken. Auch nicht in
Gegenden, wo die Menschen
denken, für Geld kriegt man
alles. Ehrlich gesagt habe ich
auch keine Lust, ständig
Strategien für den Markt zu
entwickeln. So groß ist mein
Ego dann doch nicht. Wichtig
ist mir, etwas mit netten
Menschen zu machen und
Sachen zu gestalten, die
bleiben. Wenn ich nichts
verkaufen möchte, frage ich
die Kunden, ob sie nicht ein
Gebäude haben wollen. Das
mache ich dann ganz umsonst.
„Ich will wissen, wer meine
Werke kauft, wenn es um
große Sachen geht. Das ist so
eine Art Gesichtskontrolle“
Die hohen Preise garantieren Ihnen Unabhängigkeit. Macht Sie das zufrieden?
— Nach einem guten Tag in der Werkstatt,
wenn ich so 20 Skulpturen glasiert habe,
überschlage ich schon mal, wie viel Umsatz
ich gerade hergestellt habe.
Auf welche Summe kommen Sie dann?
— Die ist recht bemerkenswert. Mir ist klar,
dass es ein Wahnsinnsprivileg ist, keine
Geldsorgen zu haben und samstagnachmittags, wenn die Bundesliga läuft, gemütlich
Rechnungen zu schreiben und Rechnungen
zu bezahlen. Das mache ich immer selber.
Worauf führen Sie Ihre lange Karriere zurück?
— Mir ist immer etwas eingefallen. Das
fanden die Sammler gut. Ich poliere nicht an
einer Marke wie so viele andere Künstler,
sondern ich mache immer, wozu ich Lust
habe. Ehrlich gesagt bin ich auch immer
wieder überrascht, mit wie wenig Anstrengung man so weit kommt.
Das ist kokett. Dabei verraten Werke wie
Mann im Matsch und United Enemies,
dass es auch eine schwere Schütte-Seite
geben muss.
— Am Anfang hat mich das Ganze sehr
angestrengt. Ausstellungen sind ja keine
Ehre, sondern eine Prüfung. Funktioniert
die Kunst im Raum? Können die Leute was
mit deiner Idee anfangen? Reagiert die
Presse? Ohne Publikum kann man schließlich
nichts machen. Eröffnungen haben mich
damals sehr mitgenommen. Vor den
inzelausstellungen bin ich immer kotzend,
trinkend und rauchend um den Block
gelaufen und kam erst zurück, wenn die
Eröffnung vorbei war. Dazu kam, dass
ich mir Anfang der 80er-Jahre eine schwere
Psychose eingehandelt habe. Wahrscheinlich durch exzessives Trinken und die
Arbeit mit giftigen Lacken. Es folgten ein
Totalzusammenbruch und mehrere lange
Klinikaufenthalte. Das habe ich aber
ganz gut überstanden.
Den Klinikaufenthalt oder
die Krankheit?
— Zum Glück beides. In der
Klinik habe ich sogar meine
ersten Tonköpfe gemacht. Die
Kunsttherapie dauerte inklusive
Aufräumen und zwei Raucherpausen 45 Minuten. Seitdem
kann ich mit schusseligem Kopf
und vollgepumpt mit Medikamenten in kurzer Zeit eine
Figur modellieren und dabei die
Umgebung gut ignorieren.
Baustellenansicht der Skulpturenhalle
APÉRO
28
Sie zeichnen hübsche Blumen
und Fucking Flowers, entwerfen
Ferienhäuser für Terroristen und
Liebesnester, radieren blöde
Witze, kneten böse Männer und
gießen schöne Frauen. Gibt es
in Ihrem Werk ein verbindendes
Element?
— In der Kunst ist alles, was man
so macht, irgendwie ein Selbstporträt. Ich komme ja noch aus
einer Zeit, als individueller Stil
und persönlich-expressiver Ausdruck
verboten waren. Die Konzeptkunst der
70er-Jahre war mir immer zu limitiert:
Wie viele graue Bilder und Metallkonstrukte
kann man machen? Erst durch Gevatter
Baselitz und die Jungen Wilden wurde der
persönliche Ausdruck wieder eingeführt.
Allerdings in einer Art und Weise, die mir
auch nicht gepasst hat: zu angestrengt.
Wie haben Sie sich aus der Enge der
Konzeptkunst gelöst?
— Als Student habe ich auch konzeptuell
gearbeitet: Pünktchen an die Wand
gemacht, Ufos gemalt und Hauptstadtpläne
gezeichnet. Doch glücklicherweise hatte
ich an der Düsseldorfer Kunstakademie
mit Fritz Schwegler und Gerhard Richter
Lehrer, die in keiner Weise dogmatisch
waren. Sie wollten, dass wir uns entsprechend unserer jeweiligen Begabung
entwickeln. Es gab keine Tabus. Aus der
Konzeptkunstnummer rausgekommen
sind wir durchs Basteln. Wir haben mit
Figürchen und Spielzeug gearbeitet.
Meine Fimo-Männchen kommen daher.
Auch die Architektur für mein Museum
ist spielerisch so entstanden. Ich habe
am Büdchen eine Zehnerpackung Streichholzschachteln und eine Dose PringlesChips gekauft. Chips auf Schachtel –
schon war das Urmodell fertig. Ich wollte
unbedingt einen ovalen Raum mit einem
geschwungenen Dach. Einen Raum,
den es so noch nicht gibt, nicht einfach
eine eckige Kiste.
Aus Ihrem Jahrgang sind erstaunlich viele
erfolgreiche Künstlerinnen und Künstler
hervorgegangen. Katharina Fritsch, Reinhard
Mucha, Bogomir Ecker, Thomas Struth, Karin
Kneffel, Thomas Demand, Martin Honert,
Ludger Gerdes waren an der Düsseldorfer
Akademie. Und dann waren da noch die
Becher-Schüler. Waren Sie Konkurrenten?
— Insgesamt waren wir so hundert Leute,
die im regelmäßigen Austausch standen.
Es war ein großes Team. Geld spielte noch
keine Rolle, weil der Kunstmarkt noch nicht
so aufgeheizt war. Wir verkauften gar
nichts oder nur sehr wenig zu kleinen
Preisen. Dagegen waren die Kölner und
Berliner Künstler, wie Oehlen, Dahn,
Dokoupil, Kippenberger, schon sehr
— Diese zehn Männer, Frauen und Kinder
mit den 20 Gepäckstücken habe ich vor
dem rechtsextremistischen Anschlag auf
ein Wohnheim in Rostock-Lichtenhagen
1992 gemacht. Dort lebten vietnamesische
Asylanten, die von der Polizei vor dem
rechten Terror nicht geschützt wurden.
Es gab einen Rechtsruck in der Republik.
Die Stimmung war hässlich: „Die Ausländer
nehmen uns die Frauen, die Arbeit, die
Autos, das Essen weg.“ Meine Fremden
legen sich nicht fest: Verlassen sie das Land
oder kommen sie, nehmen sie was weg oder
bringen sie was mit? Man weiß es nicht.
Die Unentschiedenheit fand ich spannend.
NETT IM BETT 20.11.2006
(aus der Serie Deprinotes, 2006 – 08), Tusche
und Farbstift auf Papier, 38 × 28 cm
erfolgreich. Die haben jeden Tag ein Bild
gemalt und konnten mit dem Taxi von
Köln nach Düsseldorf in den Ratinger Hof
fahren und wieder zurück. Fünf Jahre
später war es andersherum. Wir hingegen
haben einfach gebastelt und liefen ständig
ins Kino. Damals habe ich alle King
Kong-Versionen, alle Godzilla-Filme, Wim
Wenders, Werner Herzog und die ganze
Stummfilmpalette gesehen.
Wie hat der Film Ihr Werk beeinflusst?
Sind die fratzenhaften Gesichter der United
Enemies Godzilla-Parodien?
— Das könnte man meinen. Sicher haben
auch einzelne meiner Figuren, wie Vater
Staat oder Mann im Matsch, eine gewisse
Theatralik. Doch eins zu eins lässt sich
das nicht übertragen. Was man generell
behaupten kann: Der Film hat mich mehr
beeinflusst als die Kunst. Die statischen
mittelalterlichen Gemälde oder das ewige
Getümmel bei Rubens sagen mir nichts.
Aber jeder gute Film hat mindestens drei
Minuten, die einem nachhängen. Den
Einfluss einer filmischen Dramaturgie spürt
man bei meinen Ausstellungspräsentationen.
Die müssen gut choreografiert sein.
Neben Ihrer Rolle als Spieler sehen Sie sich
auch gern in der des politisch engagierten
Menschen. Oder wie soll man Ihre Figurengruppe Die Fremden sonst lesen?
APÉRO
29
Bei der Rollenverteilung zwischen Mann
und Frau sind Sie deutlich entschiedener.
Männerfiguren sind alt und garstig,
die Frauen hingegen schön, aber Torsi.
Die Männer stehen, die Frauen liegen.
Ist da Schütte der Macho am Werk?
— Bei den Männern ist das ganz einfach:
Ich habe seit Jahren eine Monatskarte
für die Straßenbahn und auf den Fahrten
habe ich viele skurrile Männergesichter
gesehen. Wenn ich dann Figuren gestalte,
mache ich einfach, wozu ich Lust habe.
Das gilt auch für die Frauen. Ich gebe aber
zu, dass die Frauen schon ziemlich gequält
aussehen. Anfangs dachte ich, das gibt
Stress mit Frauenrechtlerinnen. Aber nichts
dergleichen ist geschehen. Die älteren
Frauen schmunzeln, die jungen können
gar nichts damit anfangen. Da soll sich
mal jemand einen Reim drauf machen.
Die Frauenfiguren wurden in der Fachwelt
mit Skepsis aufgenommen: Jetzt macht der
Schütte auf Picasso oder Moore.
— Ja, was soll ich sonst machen? Die ersten
Tonskizzen für die Frauen zu finden war
eine Formsuche – und die Suche selbst ist
dann der Inhalt geworden. Was nicht passte,
wurde mit dem Nudelholz plattgeschlagen
und ins Regal gestellt. So was passiert
einfach. Letztendlich waren nur 18 Stücke
für eine Vergrößerung geeignet. Wenn man
Dinge macht, nur weil sie en vogue sind
und sich gut verkaufen, hat man schon
verloren.
TEXT: CHRISTIANE HOFFMANS
FOTOS: ALBRECHT FUCHS
BIS AN DIE GRENZE
UND DARÜBER HINAUS
Sie trank und prügelte wie
Pollock und de Kooning,
nahm sich Männer für eine
Nacht und beschimpfte ihre
Konkurrentin Helen
Frankenthaler als „TamponMalerin“. Das Leben der
JOAN MITCHELL war ein
einziges Schlachtfeld, nur
die Leinwand der Ort,
an dem sich alles fügte. Erst
heute erkennen wir langsam
ihre wahre Bedeutung.
Von Oliver Koerner von Gustorf
JOAN MITCHTELL mit ihrem Hund George in Springs, Long Island, 1954
Erste Doppelseite: GIROLATA TRIPTYCH, 1964, Öl auf Leinwand, 195 × 302 cm
G
eorg Baselitz sagte 2013 im Spiegel,
seine Bilder seien Schlachtfelder und
Frauen könnten nicht malen. Erst in
diesem Mai wiederholte er das im Guardian.
Selbstverständlich relativiert er diese These
immer wieder. Doch wer wissen will, woher
solche Auffassungen kommen und warum
sie noch immer diskutiert werden, sollte
sich in eine Zeitmaschine setzen und nach
New York reisen. Zurück in die Ära des
Kalten Krieges, als der Kunstkritiker
Harold Rosenberg 1952 im Magazin ARTnews sein berühmtes Manifest „The American
Action Painters“ veröffentlichte.
Der Verfechter des abstrakten Expressionismus sah die Leinwand als Arena, in der
einige amerikanische Künstler nicht mehr
bloß Gegenstände wiedergeben, analysieren
oder „zum Ausdruck bringen“, sondern wie
Gladiatoren in Aktion treten. Was auf ihr vor
sich geht, so postulierte er, sei kein Bild mehr,
sondern ein „Ereignis“, der Akt des Malens
untrennbar mit der Biografie und dem Selbst
des Künstlers verbunden. Ohne Namen zu
nennen, machte Rosenberg deutlich, dass
Willem de Kooning mit seinem existenzialistischen Ansatz der Inbegriff des Action Painters
sei, während Jackson Pollocks Drip Paintings
für ihn „apokalyptische Tapeten“ waren, die
seine Kunst zu einem „Markenzeichen“
degradieren. Malerinnen kamen nicht vor.
Rosenbergs Artikel war nicht nur eine Kriegserklärung an seinen mächtigen Kritikerrivalen
Clement Greenberg und dessen Schützling
Pollock. Er zementierte auch die bis heute vertretene Meinung, dass expressive, gestische
Malerei Männersache sei und vor allem von
Alphatieren betrieben werde, die heroisch
gegen die Leinwand kämpften.
UNTITLED, 1961
Öl auf Leinwand, 229 × 206 cm
Wie eindimensional diese Betrachtungsweise ist, zeigt das Werk von Joan Mitchell,
einer Zeitgenossin Rosenbergs und führenden Malerin der New York School, von der
selbst Georg Baselitz glaubt, dass sie wirklich
gut malen konnte. In einer fulminanten
Retrospektive werden ihre Bilder von Yilmaz
Dziewior im Kunsthaus Bregenz und anschließend im Kölner Museum Ludwig neu zur
Diskussion gestellt. Zusätzlich wird in einer
eigens entworfenen Architektur noch nie
gezeigtes Material präsentiert: Fotografien,
Filme, Mitchells umfassende Korrespondenzen mit Elaine de Kooning, Franz Kline,
Frank O’Hara, Samuel Beckett.
Doch warum ausgerechnet Mitchell?
Natürlich gibt es seit Jahren diesen Trend
zur Wiederentdeckung, bei dem der Blick
vor allem auf übersehene und zu wenig
gewürdigte Frauen der Moderne und der
Kunst des 20. Jahrhunderts geworfen wird.
Aber bei Mitchell kann man eigentlich nicht
von einer Unterschätzung und Neuentdeckung sprechen.
Ihre Gemälde hängen in allen großen
amerikanischen Museumssammlungen, in
den USA und in Frankreich ist sie, anders als
im deutschsprachigen Raum, eine der ganz
Großen der Nachkriegsmoderne. Mit
11,9 Millionen Dollar für eines ihrer Werke
hielt Mitchell den Rekord als teuerste Künstlerin der Geschichte, bis sie vor Kurzem
von Georgia O’Keeffe entthront wurde.
Doch ihre Malerei war bislang vor allem
etwas für das Art-Establishment, für Kuratoren, Sammler, Künstler, Bildungsbürger.
Mitchells Werke sind Klassiker, es wird
aber nur wenig über sie gesprochen. Und
wenn es um ihre Biografie geht, wird man
CERCANDO UN AGO, 1957
Öl auf Leinwand, 239 × 223 cm
auch in Kunstkreisen immer wieder dieselben
Statements hören, vor allem eines: „She was
one of the boys.“ Dass sie „eine von den
Jungs“ war, heißt, dass sie nicht nur genauso
große Leinwände wie Pollock, de Kooning
oder Kline bewältigt hat, sondern auch
genauso saufen, ficken, pöbeln und leiden
konnte wie die Heroen des abstrakten Expressionismus. Aber wie so oft gibt es für Frauen
eine Einschränkung: in diesem Fall das Label
„zweite Generation“. Denn während die
1925 in Chicago geborene Joan Mitchell
Mitte der 40er-Jahre noch Kunst studierte,
in Mexiko den Kommunismus und Diego
Riviera entdeckte, betete, dass sie zeichnen
können möge wie Käthe Kollwitz, vollendete
Pollock bereits seine berühmten Werke The
She-Wolf und Mural. Sie kam dann erst Ende
der Vierziger nach New York und lernte
Kline und de Kooning 1951 kennen.
och in den Topf „second generation“
wurden in den Fünfzigern sowieso
sämtliche Frauen des abstrakten
Expressionismus geworfen, ganz egal wie
lange sie gemalt und nebenbei noch für ihre
Maler-Männer Bolognese gekocht hatten.
Das „second“ impliziert eine Art Trostpreis,
den Makel, keine echte Pionierin gewesen zu
sein. Bei allem Ruhm, den Mitchell zu Lebzeiten und posthum erfahren hat – große
Einzelausstellungen und Retrospektiven
1974 und 2002 im Whitney Museum of
American Art in New York und 1982 im
Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris –,
haftete ihr immer der Ruf der Außenseiterin
an. Das betrifft nicht nur ihre abenteuerlich
lyrische Malerei, für die die Kunstkritik der
50er- und 60er-Jahre keine passenden Worte
findet, sondern vor allem ihre Person.
Im Auftreten unterscheidet Mitchell
sich grundlegend von den malenden Frauen
in den New Yorker Fifties. Denn zumeist
sind das die Frauen der Maler: Elaine, die
Frau von de Kooning; Helen Frankenthaler,
die Freundin von Clement Greenberg; Lee
Krasner, die Gattin von Jackson Pollock.
Neben der damals viel bekannteren Malerin
Grace Hartigan ist Mitchell eine der wenigen,
die ohne Begleitschutz in den Ring der
Downtown-Szene steigt.
Joan trinkt mehr als alle anderen, prügelt
sich und hat One-Night-Stands. Wenn sie
sehnsüchtig, aber mit trockenem Humor an
ihre Männer schreibt, dann vermisst sie nicht
D
GEORGE WENT SWIMMING AT BARNES HOLE, BUT IT GOT TOO COLD, 1957
Öl auf Leinwand, 223 × 204 × 7 cm
LADYBUG, 1957
Öl auf Leinwand, 198 × 274 cm
Joan Mitchell der späteren Jahre. Nicht
umsonst verwechselt man sie häufig mit der
ebenfalls nach Frankreich emigrierten Autorin Patricia Highsmith. Mit ihren Rollkragenpullovern, der getönten Brille und der
gerade geschnittenen Frisur, die ihr von
Alkohol gezeichnetes Gesicht rahmen, erinnert sie mehr an eine Krimiautorin als an
eine Malerin.
Dass die big boys des abstrakten Expressionismus gebrochene, egomanische Alkoholiker waren, gehört zu ihrem Mythos. Man
beglückwünschte sie buchstäblich zu ihren
Exzessen. Pollock wurde es posthum nicht
krummgenommen, dass er bei seinem Autounfall volltrunken eine junge Frau mit in den
Tod gerissen hatte. Mitchells Inkarnationen
wurden da schon ambivalenter gesehen.
Sie sicherten ihr den Zutritt zum Club, verpassten ihr aber auch eine Art Hofnarrenrolle, die abermals chauvinistischen Klischees
entsprach: dem der sexualisierten, wilden,
hysterischen Frau und dem der herrischen,
exzentrischen Alten, die es irgendwie immer
übertrieb. Mitchell nahm das in Kauf und
kultivierte diese Rollen sogar. Immer empfand sie mehr Solidarität mit den Kerlen
als mit den malenden Frauen, unter denen
es sowieso keine Solidarität gab. Helen
Frankenthaler wurde von ihr einmal verächtlich als „Tampon-Malerin“ bezeichnet.
uch im späteren Leben waren ihre
Ausfälle legendär. Der Kunstkritiker
der New York Times Peter Schjeldhal
beschreibt 2002 im New Yorker eine typische
Szene, die sich bei einer Dinnerparty in
Manhattan zutrug. Erst beschimpfte die
betrunkene Mitchell die Gastgeberin, die
verkündete, heiraten zu wollen, als „bourgeoise Kuh“. Dann lieferte sie sich mit ihrem
Geliebten Riopelle einen handgreiflichen
Streit, der sich bis ins Treppenhaus zog.
„Diejenigen, die Joan Mitchell kannten,
tauschten solche Storys aus wie Karten in
einem Heilige-Monster-Quartett. Aber
Mitchells Persönlichkeit war eine Sache –
ihre Kunst eine völlig andere.“ Ein anderer
Kritiker, John Perreault, schrieb: „Je weiter
man sich von Mitchell der Trinkerin entfernt,
desto näher kommt man ihren Gemälden.“
Der Preis, den sie für ihr Benehmen zahlte,
war hoch. Nicht nur dass ihr Leben ein Trümmerfeld aus kaputten Beziehungen, Krankheit und Erniedrigungen war – es wurde
A
GRANDES CARRIÈRES, 1961/62
Öl auf Leinwand, 200 × 301 cm
die romantischen Spaziergänge, sondern
„den schwarzen Kaffee, das Rumalbern, das
Ficken“. Ihre Kämpfe trägt sie überall aus:
im Eighth Street Club, zu dem neben Pollock
und de Kooning auch Robert Motherwell
und Franz Kline gehören, in der Cedar
Tavern, auf Partys, in Betten, auf Eröffnungen
oder an den Stränden von Long Island, wo
sich die New Yorker Kunstszene im Sommer
trifft. Während sich die ebenfalls fluchende
und saufende Grace Hartigan 1957 für das
Magazin LIFE mit Perlenohrringen von
Cecil Beaton ablichten lässt und betont:
„When I go out, I’m all woman“, sind Mitchells Uniform die ungebügelten Hemden
ihrer Liebhaber, Loafer ohne Socken, aufgerollte Jeans und Ledertrenchcoat. Die frühe
Inkarnation von Mitchell gleicht einer androgynen Mischung aus Lauren Bacall, Nouvelle
Vague und dem Vagabundenstil des Poeten
Arthur Rimbaud.
1958 verlässt sie New York aus Liebe
zum bad boy des Tachismus, dem kanadischen
Maler Jean-Paul Riopelle, und zieht mit ihm
erst nach Paris und dann, Ende der Sechziger,
nach Vétheuil an der Seine auf ein Anwesen,
zu dem auch das ehemalige Studio des
Impressionisten Claude Monet gehört. Auf
den Fotos jener Zeit verwandelt sich die
Rebellin in eine grimmige Einsiedlerin, die
REVUE
36
ALBERT OEHLEN
ÜBER JOAN MITCHELL
„Wenn man so malen
will, dann tut man das halt“
Joan Mitchell hatte als Malerin der
„second generation“ des abstrakten
Expressionismus lange einen Außenseiterstatus. Das begann sich erst nach
ihrer Retrospektive im Whitney Museum
2002 zu ändern. Heute wird ihr Werk
von einer neuen Malergeneration neu
gelesen. Warum, denken Sie, hat es so
lange gedauert, bis die Bedeutung ihrer
Malerei für die Kunst des 20. Jahrhunderts
wirklich gewürdigt wurde?
— Albert Oehlen: Fast alle Maler
der Generation des abstrakten Expressionismus hatten eine Art Erkennungszeichen. Bei Willem de Kooning ist es
schon etwas komplexer, aber bei Franz
Kline oder Clyfford Still oder auch
bei Jackson Pollock ist es für den Laien
ganz einfach, sich die Malerei zu
merken. Meine These ist, dass diejenigen, die ein klares Erkennungszeichen
haben, eher entdeckt werden.
Diejenigen, die keines haben, müssen
eben warten. Das war auch bei
Joan Mitchell der Grund, warum es
länger gedauert hat.
Das ist für mich ohnehin die
interessantere Kunst: wenn jemand auf
einer formalen Ebene scheinbar nichts
besonders Neues oder Auffälliges
bietet, sondern sich in der Arbeit etwas
Komplexeres abspielt, das neu ist. Das
ist bei Mitchell der Fall. Sie hat nicht
die schöne Linie, wie de Kooning sie
hatte. Mitchell hat diese 20 Zentimeter
langen Pinselstriche, was eigentlich
unoriginell ist. Das Bild wirkt als
Gesamtes, man muss es wirklich als
Ganzes verstehen. Die Künstler vor ihr
haben so etwas wie ein formales
Stilmerkmal für sich erfunden und dann
diese Welle durchexekutiert — von
Franz Kline bis Hans Hartung. Es geht
nicht darum, wer wo der Erste war. Die
Zeit relativiert das ohnehin. Guston war
auch zu spät dran und hat einfach auf
der Leinwand gemalt — ohne diese
JOAN MITCHELL in ihrem Studio, ca. 1960
originelle Signatur. Ich glaube, bei
Mitchell ist dieser Verzicht auf die
Signatur eher der Grund für ihre
späte Entdeckung als der Umstand,
dass sie eine Frau war.
Empfinden Sie als Maler Nähe zu
der Arbeit von Mitchell?
— Die Übereinstimmungen zwischen
unserer Malerei wären, dass man
im Bild arbeitet, dass das Bild auf der
Leinwand entwickelt und konstruiert
wird, während man malt, dass eine Art
Improvisation eine Rolle spielt.
Eigentlich ist das eine rein technische
Beschreibung, aber sie schließt
zugleich viele Maler aus. Darin unterscheide ich mich etwa von Glenn
Brown und von anderen Malern, die
ich toll finde. Die gehen halt anders
vor. Diese Idee, das Bild als eine Art
Feld zu sehen, in dem etwas aufgebaut oder abgebaut wird, teilen nicht
sehr viele Leute, und das ist der
Grund, warum Mitchell für mich eine
besondere Bedeutung hat. Mir
gefällt, dass sie ihre Malerei direkt auf
dem Bild erarbeitet und sie nicht schon
vorher entwirft. Sie geht in die Tiefe,
sie schichtet die Farben auf, schafft
Plastizität.
Sie selbst haben den Malereibegriff
immer wieder formal erweitert
und kritisiert und immer wieder mit
REVUE
37
unterschiedlichen Medien gearbeitet.
Sie prägen eine jüngere Generation
von abstrakten und durchaus konzeptionellen Malern, zu denen etwa der
Amerikaner Wade Guyton gehört.
Joan Mitchell verkörperte da einen
ganz anderen Typus der Malerei: Sie
ignorierte die Massenkultur, sie stand
Pop Art, Konzeptkunst und Minimal sehr
kritisch gegenüber, auch Ironie war ihr
in der Malerei eher ein Gräuel. Sie sagte
einmal, dass es immer Maler geben
werde, „wirkliche Maler“, und bezeichnete
sich als „Konservative“. Glauben Sie,
dass man heute noch so malen kann,
mit der Leinwand als Arena?
— Es kommt darauf an, wie es
gemeint ist. Natürlich sieht das dann
nicht sehr aktuell aus. Aber es
gibt Maler und Malerinnen, die in
diese Richtung arbeiten, Martha
Jungwirth etwa, die gerade wiederentdeckt wird. Man könnte sagen,
da ist die Zeit stehen geblieben, aber
das ist gut so. Wenn die Zeit vergeht,
verschieben sich die Maßstäbe, und
dann ist jemand, der gut war, einfach
gut, egal ob er oder sie nun 20 Jahre
zu spät dran war oder zu früh.
Wenn man so malen will, dann tut
man das halt.
INTERVIEW: OLIVER KOERNER VON GUSTORF
UNTITLED, 1979
Triptychon, Öl auf Leinwand, 195 × 390 cm
MERCI, 1992
Diptychon, Öl auf Leinwand, 280 × 360 cm
weitgehend aus der Rezeption ihrer Malerei
ausgeklammert.
Das ändert jetzt die Ausstellung von
Yilmaz Dziewior, der Mitchells Biografie
wieder in die Nähe ihres Werkes rückt.
Bereits 2011 erschien die fantastisch recherchierte, absolut gnadenlose Biografie Joan
Mitchell: Lady Painter von Patricia Albers. Die
macht auch vor intimen Details wie der
Zahnprothese nicht halt, die Samuel Beckett
in Paris nach einem Schäferstündchen mit
Mitchell unter der Bettdecke suchen musste.
Mit gelegentlich romanhaften Ausschmückungen entkleidet Albers Mitchell bis auf die
Unterwäsche, führt ihre Verletzlichkeit vor,
folgt ihr in Betten und Abtreibungskliniken,
schildert ihre Lügen, ihre Großzügigkeit, ihre
Grausamkeit.
Doch wer diese Biografie liest, wird auch
Mitchells großartige Kunst besser verstehen.
Ihr Leben ist zwar ein Schlachtfeld, ihre Malerei aber die Antithese zum Action Painting.
Bei Mitchell ist die Leinwand ein freies, transzendentes Territorium, auf dem die Künstlerin endlich selbstlos sein kann – ohne andere
zu benutzen und zu manipulieren. In der
Malerei öffnet sich diese Frau, die sonst nur
durch extreme, selbstzerstörerische Reize
REVUE
40
etwas spürt. „Musik, Landschaften, Hunde:
Das bringt mich zum Malen“, sagt sie einmal.
„Malerei erlaubt es mir zu überleben.“
nd so entsteht auch eines ihrer ersten
Meisterwerke im Gedenken an ihren
Hund. Georges du Soleil, Gorgeous
George Sunbeam: Das sind die Kosenamen,
die Mitchell 1952, dem Jahr, in dem Rosenbergs Action-Painting-Artikel erscheint, ihrem
Pudel gibt. George ist ein letztes Geschenk
ihres Mannes, Barney Rosset, der sich 1952
gerade von ihr scheiden lässt, weil er die
Liebesaffären seiner Frau nicht mehr ertragen
kann. Kurz hintereinander hat sie ein Kind
U
von ihm abgetrieben und das ihres Geliebten
durch eine absichtlich eingeleitete Fehlgeburt
verloren. Barney hat George aus Paris mitgebracht, wohin er für den Verlag Grove Press
immer wieder reist. Barney geht. George der
Pudel bleibt – zumindest vorerst. Ein schwarzes, glänzendes Fellknäuel, das, wie Mitchell
einer Freundin schreibt, „sehr viel Zeit in
Anspruch nimmt – ich habe noch nicht mal
mehr Zeit, Leute nicht zu mögen. Tatsächlich
ist dieser Pudel, übrigens ein Männchen, interessanter als alles andere.“ Im nächsten Sommer, den sie mit ihrem Geliebten, dem Maler
Mike Goldberg, in den Hamptons verbringt,
schenkt sie George ihren Nachbarn – weil sie
ständig von ihm besprungen wird. Doch der
schlecht erzogene Hund kehrt schon bald in
ihr Sommerhaus zurück. Er wird krank. Nachdem sie fast ihr Leben riskiert, um ihn während
eines Hurrikans zum Tierarzt zu bringen, gibt
sie ihn am Ende dieses Urlaubs an einen Farmer ab. Kurz darauf wird George überfahren.
Mitchell trauert tief und lange.
ünf Jahre später, 1957, malt sie ein abstraktes Bild, das als eines ihrer besten in
die Kunstgeschichte eingeht: George Went
Swimming at Barnes Hole, But It Got Too Cold.
Sie beginnt diese Erinnerung an ihren Hund
und einen Tag am Meer mit einem großen
Spritzer Gelb, den sie aber, als ihr der Hurrikan in den Sinn kommt, schon in der nächsten Nacht weiß übertüncht. Das Gemälde
kühlt ab. Graue, frostige Blautöne erinnern
an Winterhimmel. Aus dem Weiß schießt ein
Wirbel aus horizontal gesetzten Pinselstrichen: Schwarzblau, Königsblau, Ocker, fahle
Grün- und Brauntöne, zwischen denen Cadmiumrot aufleuchtet. Immer wieder wird das
aufsteigende Weiß von sommerlichen Tönen
gestreift oder durchbrochen: Sprenkel und
Schlieren von Türkis, die an funkelndes Wasser denken lassen, warmes Gelb.
Mitchell gelingt es, wie auch auf dem
Bild Ladybug, das im selben Jahr nach einem
New Yorker Konzert von Billie Holiday entsteht, Aufgewühltheit und meditative Ruhe
in einer haarfeinen Balance zu halten. Der
imaginäre Sprung ins Wasser wird zu einem
Sprung in ein Meer von Empfindungen.
Dennoch sind es, wie Mitchell betont, nicht
innere Gefühlszustände, die hier zum Ausdruck gebracht werden, sondern Eindrücke
der äußeren Welt, die sie in ihrem fotografischen Gedächtnis archiviert. Ihre Arbeit, so
F
erklärt sie, „entspringt der Landschaft und
handelt von der Landschaft, nicht von mir“.
1957 vollzieht sich ein auffälliger Wandel. Im Schutzraum des Studios löst sich ihre
Malerei allmählich von der Ästhetik der New
York School hin zu einem mehr lyrischen,
organischen Stil, der zugleich „akkurat“ ist,
wie Mitchell ihn im Hinblick auf all die inneren Bilder und Landschaften nennt, die sie
mit sich herumträgt. Malen, das sei für sie wie
freihändig Fahrrad fahren. Eine Freiheit, die
sie als „ziemlich kontrolliert“ beschreibt:
„Ich schließe nicht meine Augen und hoffe
das Beste.“ Immer wieder unterbricht sie den
Malprozess, geht auf Distanz, um über den
nächsten Schritt nachzudenken.
Mitchell hat nicht nur ein fotografisches
Gedächtnis, sondern auch Synästhesie, eine
neurologische Kopplung unterschiedlicher
Bereiche der Wahrnehmung. Sie nimmt Musik
und Emotionen als Farben wahr. Das führt
bereits in ihrer frühen Kindheit zu dem
Gefühl, anders, isoliert zu sein. Der 1925 in
Chicago als Tochter eines erfolgreichen Dermatologen und einer bekannten Dichterin
und Erbin einer Stahl- und Brückenbauerdynastie geborenen Joan werden besonders
vom Vater, einem begeisterten Hobbyaquarellisten, schon früh Leistung und Perfektion
abverlangt. Doch Joan fällt immer wieder
unangenehm auf. Als eine Kindergärtnerin
der Vierjährigen das Alphabet erklärt und
auf ein rotes A zeigt, widerspricht das Mädchen, das sei nicht wahr, es sei grün. Die
anderen Kinder lachen sie aus. Erst 60 Jahre
später spricht Mitchell über die Farben von
Lauten und Buchstaben: A ist für sie leuchtendes Farngrün, J mattes Silber, N schmutzig
braun und gelb gesprenkelt wie Laub im
Herbst. Schon früh weiß Joan, dass sie
Künstlerin werden will. Doch vor ihrem Studium an der School of the Art Institute of
Chicago tritt zunächst der Sport in den Vordergrund. Obwohl sie körperlich kaum dafür
prädestiniert ist, widmet sie sich auf Anregung des Vaters dem Eiskunstlauf und
schafft es allein durch Disziplin und Ambition bis in die Nationalliga.
Die Mischung aus lyrischem Exzess und
Selbstkontrolle ist wohl das, was gerade
Künstler heute an Mitchells Malerei interessiert. So schreibt den Katalogbeitrag zur
Retrospektive auch kein kunsthistorischer
Experte für die Nachkriegsmoderne, sondern
REVUE
41
Malen ist für Joan Mitchell
wie freihändig Fahrrad
fahren. Eine Freiheit, die
sie als „ziemlich kontrolliert“
beschreibt: „Ich schließe
nicht meine Augen und
hoffe das Beste“
Ken Okiishi, ein New Yorker Künstler, der
Post-Digital Art und Malerei verbindet. Dazu
diskutieren die Kunsttheoretikerin Isabell
Graw und die Malerin Jutta Koether über
Mitchells Bedeutung – zwei Frauen, die die
Institutionskritik und die Gender-Debatten
der letzten Jahrzehnte entscheidend mitbestimmt haben.
Doch scheitert nicht alle Theorie an dieser
widerspenstigen Joan Mitchell? Einer Künstlerin, die zu Beginn der 60er-Jahre, als Pop
Art und Farbfeldmalerei auf dem Vormarsch
waren, stöhnte: „Nur Geld, keine Kathedrale.“ Einer Frau, die 1968, als die Studenten
rebellierten, die Blümchen in ihrem Schloss
goss und ihr Auto volltankte, damit sie schnell
über die Grenze käme?
Schon einmal, 1974, wurde Mitchell
wiederentdeckt. Damals war es die feministische Kuratorin Marcia Tucker, die ihr eine
große Einzelausstellung im Whitney widmete.
Ursprünglich sollte es eine Doppelausstellung mit Lee Krasner werden, doch Mitchell
sagte nur unter der Bedingung zu, dass sie
allein würden ausstellen können. Tucker
reiste nach Vétheuil, geriet in einen Streit
zwischen Mitchell und Riopelle, bei dem sie
fast von einem Teller getroffen wurde. Erst
als sie drohte, die Schau abzusagen, wenn
Mitchell sich nicht benähme, lenkte diese ein.
Als Tucker abreiste, schrieb die Künstlerin an
eine Freundin: „Miss Kurator Whitney war
hier. Joan hat das Gefühl, Miss Whitney missbraucht sie für die Frauenbewegung.“
ass immer wieder feministische Kuratorinnen und Künstlerinnen so großes
Interesse an Mitchell zeigen, liegt
sicher auch an der Intensität der Bilder, die
an die besten Gemälde der abstrakten
Expressionisten heranreichen und doch
auf große Überwältigungsgesten verzichten.
Mitchell ist die wohl beste amerikanische
Malerin des 20. Jahrhunderts. Ihre Bilder sind
D
aber nicht nur wichtig, weil sie von einer sehr
eigenwilligen Frau gemalt sind, sondern weil
sie zeigen, dass derart intensive Malerei ohne
jeden chauvinistischen Gestus möglich ist.
Besonders deutlich machen das die
Werke der frühen 60er-Jahre, die in einer
Zeit entstehen, als die Malerin fast vergessen
scheint. Mit Riopelle führt sie ein bourgeoises
Leben in Paris, kümmert sich um ihre Stiefkinder und um ihre kranken Eltern in Chicago,
die beide kurz hintereinander sterben. Und
sie malt. Auch nachdem Clement Greenberg
dafür gesorgt hat, dass sie 1962 von ihrer
Pariser Galerie gefeuert wird. „Werde diesen
gestischen Horror los!“, riet er dem Galeristen. Mitchell ist außer sich vor Wut und
bezeichnet ihn als „Klobrille“.
Der Horror, das sind diese fantastischen
Bilder wie Grandes Carrières, Frémicourt und
Bonhomme de Bois, in denen sie eine völlig neue
Freiheit entwickelt. Zu den gedämpften
Tönen kommen leuchtendes Pink, Korallenrot, Altrosa, die Mitchell wie einst Turner in
Rauchwolken aufblitzen und tanzen lässt.
„Joan kann Gelb schwer aussehen lassen“,
hat Brice Marden einmal gesagt. Mitchell lässt
die Pigmente aufschweben, fallen, in Blitzen
explodieren oder zu Wolken kumulieren.
„Es gibt beispielsweise diese Arbeiten,
die sehr filigran und sehr atmosphärisch
sind“, sagt Yilmaz Dziewior. „Mittendrin ist
dieser grüne Klumpen, wie hingeworfene
Erde. Man hat das Gefühl, als wäre man über
ein Feld gegangen und an den Schuhen haftet
noch Lehm, dieses Braun. Und dieser Fleck
ist brachial auf die filigrane Struktur gesetzt.
Er zerstört eigentlich das Bild, das wunderschön ist. Das ist für mich nicht nur dieses
lyrische Evozieren einer Landschaft oder
einer Tages- oder Jahreszeitatmosphäre, sondern drückt auch kompositorische Distanz
aus.“ Mitchell hätte bestimmt etwas Zynisches
dazu gesagt, besonders in ihren alten, störrischen Tagen. Einen Bewunderer, der sich
wegen ihres Umgangs mit der Farbe gar nicht
mehr einkriegte, beruhigte sie: „Baby, sie
kommt aus der Tube.“
SUNFLOWERS, 1990/91
Diptychon, Öl auf Leinwand, 280 × 400 cm
Rechts: JOAN MITCHELL, 1988 fotografiert
von ROBERT MAPPLETHORPE
YVES, 1991
Öl auf Leinwand, 280 × 200 cm
JOAN MITCHELL: RETROSPEKTIVE. HER LIFE
AND PAINTINGS. KUNSTHAUS BREGENZ, 18. JULI
BIS 25. OKTOBER 2015
JOAN MITCHELL, MUSEUM LUDWIG, KÖLN,
14. NOVEMBER 2015 BIS 21. FEBRUAR 2016
REVUE
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ES MUSS
NICHT IMMER
MOMA SEIN
DIE KLEINSTEN
MUSEEN SIND OFT
DIE SCHÖNSTEN.
WIR HABEN DIE
DIREKTOREN VON
SECHS GROSSEN
INSTITUTIONEN
NACH IHREN
SEHNSUCHTSORTEN
GEFRAGT – ES SIND
INTIME MUSEEN,
IN DIE ES SIE
IMMER WIEDER
ZURÜCKZIEHT.
EINE SOMMERREISE
VOM TESSIN BIS
NACH ISTANBUL
UDO KITTELMANN, NATIONALGALERIE
CONGIUNTA
IN GIORNICO
er Weg zu meinem Museum ist ganz entscheidend. Früher
hat man Kirchen auf Hügeln gebaut. Die Wegstrecke
gehörte zur meditativen Vorbereitung. Die Mühe muss sein.
So komme auch ich auf dem Weg zur Ruhe, stimme mich ein. Mein
Museum liegt in einem Tal, das fast jeder kennt. Dort fließt der
berühmte Ticino. Sein Wasser läuft hinunter zum Schweizer Ende
D
REVUE
44
„Halte an der Osteria
und trink einen
Kaffee. Nimm dir
etwas Zeit. All das
gehört zum Ritual“
UDO KITTELMANN:
LOREM IPSUM
NAME
des Lago Maggiore. Die Städte Locarno und Ascona kennt man
dort natürlich – mein Museum nicht. Wenn man es finden will,
muss man vom Lago Maggiore das Ticinotal hoch, eine Stunde,
immer weiter. Man kann sich nicht verfahren. Irgendwann kommt
ein kleiner Ort: Giornico. Halte an der Osteria an und trink einen
Kaffee. Nimm dir etwas Zeit. All das gehört zum Ritual. Und dann
frag an der Bar nach dem Schlüssel für das Museum: La Congiunta.
Er wird dir anvertraut werden.
Das Haus steht auf einer Wiese am Dorfende. Ein Betongebäude. Der Architekt Peter Märkli hat das Haus für Reliefs
und Halbfiguren von Hans Josephsohn gebaut. Und du hast jetzt
den Schlüssel. Es geht um Vertrauen, Bereitschaft, Offenheit.
Dann öffnest du das Haus. Und dann bist du drin. Allein mit den
Skulpturen, mit den
Halbfiguren, mit den
Reliefs, ganz allein in
der Natur mit dem
großartigen Werk von
Hans Josephsohn.
Er ist einer der wichtigsten Künstler überhaupt –
für mich und mittlerweile auch für viele andere. Als ich
vor vielen Jahren, in den frühen 2000ern, das erste Mal
einer Skulptur von ihm begegnete, umschritt ich immer
wieder die großen Halbfiguren aus Gips mit ihren rauen
Oberflächen. Ich habe sie mit meinen Handflächen
berührt. Diese krasse Körperlichkeit und Materialität
einer Skulptur, der menschlichen Figur kannte ich bis
dahin nur von Medardo Rosso und Alberto Giacometti.
Josephsohn, 1920 in Königsberg geboren, studierte
in Florenz und floh als verfolgter Jude in die Schweiz.
Im Tessin begreift man seine Arbeit erst richtig. Sie
findet ihre Entsprechung in den Felszügen.
Ich war sehr eng mit Josephsohn, der 2012 im Alter von
92 Jahren verstorben ist. 2010 habe ich entschieden, dass die erste
Skulptur auf der Terrasse von Mies van der Rohes Neuer Nationalgalerie in Berlin nach 25 Jahren eine frühe Arbeit von ihm aus
der Gruppe der großen Halbfiguren und Liegenden sein soll.
In La Congiunta stellt sich mir immer die Frage: Braucht die
Kunst mehr verwunschene Orte, Orte des Rückzugs, wo nicht
immer alles verfügbar ist? Das hat natürlich etwas Sakrales. Man ist
ganz allein mit sich und den Skulpturen. Man darf sie berühren.
Und der Schlüssel ist sehr symbolträchtig: Man trägt die Verantwortung für dieses Haus – einen Besuch lang.
UDO KITTELMANN IST DIREKTOR DER BERLINER NATIONALGALERIE,
ZU DER SECHS MUSEEN IN DER STADT GEHÖREN
REVUE
45
MAX HOLLEIN, STÄDEL
MUSEU FREDERIC
MARÈS
„Eine schier
unendliche
Sammlung von
Sammlungen“
ein absoluter musealer
Geheimtipp führt nach
Barcelona: Es ist das Museu
Frederic Marès, das sich im
Gotischen Viertel der Hauptstadt
Kataloniens befindet, in einem
altehrwürdigen mittelalterlichen
Gebäude, und sei all jenen wärmstens empfohlen, die sich bei
einem Museumsbesuch in ein besonderes, umfassendes Universum begeben wollen. Das Haus beherbergt seit rund 15 Jahren
neben einer wertvollen Sammlung spanischer Skulpturen aus
dem 12. bis 19. Jahrhundert auch eine schier unendliche Sammlung
SIR NICHOLAS SEROTA, TATE
LITTLE SPARTA
ines meiner Lieblingsmuseen ist Little Sparta in den
Pentland Hills in der Nähe von Edinburgh, ein Skulpturengarten, den Ian Hamilton Finlay geschaffen hat. Finlay
war ein Bildhauer, der in den frühen 60er-Jahren zunächst mit
Gedichten und Kurzgeschichten bekannt wurde. 1966, als er
40 Jahre alt war, begann er diesen Skulpturengarten anzulegen.
Er inszenierte seine skulpturalen Arbeiten in den Gebäuden und
im Garten und verband auf ganz besondere Weise Kunst und
Natur mit intellektuellen Themen. Man
„Jeder Teil des wandelt durch den Garten wie durch
Gartens erzählt die Säle eines Museums. Jede Sektion
hat ihren eigenen Namen und erzählt
eine eigene
eine andere Geschichte. Es sind
Geschichten, die sich auf die Antike,
Geschichte“
auf die Renaissance und die Französische Revolution beziehen. Da gibt es
zum Beispiel „English Parkland“ mit
einer großen Wiese, auf der fünf
flache Steine liegen. In alle ist das Wort
„Welle“ eingemeißelt, jeweils in einer
anderen Sprache. Es sind one-word
poems, mit denen Finlay berühmt
geworden ist. Besonders beeindruckt
mich auch „The Roman Garden“.
Dort stößt man zwischen großblättrigen
Grünpflanzen überall auf kleine Steinskulpturen: kleine
Steinmodelle von Flugzeugen und U-Booten. Ich lernte Finlay
als jemanden kennen, den kriegerische Konflikte sehr beschäftigt
haben. Wenn ich ihn richtig verstanden habe, sah er Litte Sparta
als eine Art Schlachtfeld. Und doch wirkt sein Skulpturengarten
still und friedlich, bildet eine Einheit aus Kunst und Natur.
30 Jahre lang besuchte ich Finlay immer wieder dort draußen, wo
er bis zu seinem Tod 2006 auch lebte, und konnte dabei zusehen,
wie der Garten allmählich auf anderthalb Hektar anwuchs.
So wie eben jedes Museum wächst.
E
M
von Sammlungen. Raum um Raum durchschreitet man hier
erstaunliche Kollektionen von Haarkämmen, Uhren, Fotografien,
Spielzeug, Spazierstöcken, Zigarrenbanderolen, Schlüsseln,
Fächern und vielem mehr. Der Bildhauer und Begründer
des Museums, Frederic Marès (1893 – 1991), entdeckte bereits
in jungen Jahren seine Sammelleidenschaft. Er schuf nicht nur
selbst Skulpturen, sondern widmete sich auch manisch dem
Bewahren von Gegenständen und
Kuriositäten, die unser Leben abbilden.
Die Figur Marès’ und sein Museum
sind damit auch Sinnbild des ewigen
Menschentriebs, die Welt qua Sammeln
zu ordnen, zu strukturieren und letztlich
zu handhaben.
MAX HOLLEIN IST DIREKTOR DES STÄDEL
MUSEUMS, DER SCHIRN KUNSTHALLE
UND DES LIEBIEGHAUSES IN FRANKFURT
SIR NICHOLAS SEROTA IST DIREKTOR DER TATE GALLERY IN LONDON
REVUE
46
des Erzählers raucht, die Fotografien, die ihre Kindheit dokumentieren –, nimmt man gleichsam körperlich am Geschehen teil.
Pamuk erfindet dieses unglaublich üppige Leben eines Mannes und
das der Liebe seines Lebens und versammelt die von der Geliebten
gesammelten Gegenstände wie in einem Museum.
So kam Pamuk während des Schreibens die Idee, selbst ein
Museum einzurichten – gewissermaßen als Erweiterung seines
Romans. Er erwarb dieses kleine, wunderschöne Haus in dem Teil
von Istanbul, in dem seine Geschichte spielt, und verbrachte fast
zehn Jahre damit, mit
Architekten, Ingenieuren
und Konservatoren ein
winziges, perfektes
Museum aufzubauen, in
dem die Handlung in ihren
Gegenständen physisch
präsent wird.
Was mich besonders
fasziniert, ist dieses
Zusammenspiel von Fakt
und Fiktion. Schon immer
hatte ich den Verdacht,
dass im Roman auch
autobiografische Aspekte
stecken. Und als ich mit
Pamuk durch das Museum
ging, wies er wiederholt
darauf hin, dass unter den
vielen Fotografien, die
vermeintlich die Liebesbeziehung dokumentieren,
GLENN D. LOWRY, MOMA
auch solche sind, die aus
seiner eigenen Kindheit
stammen. Heimlich hat er
seine eigene Person in die museale Erzählung verwoben. Auch
einige der Gemälde, die man in Vitrinen und Schränken betrachten
kann, sind von ihm gemalt.
on großen Museen wie
Ja, und nicht zuletzt mag ich am Museum der Unschuld, dass
„Was mich besonders
der National Gallery in
es völlig abseits liegt. Es gibt ja all diese großen, bedeutenden
fasziniert, ist dieses
London oder der Neuen Museen in Istanbul: das Topkapı Sarayı, das Museum für Türkische
Zusammenspiel von Nationalgalerie in Berlin kann und Islamische Kunst, das Istanbul Modern, und alle befinden
ich begeistert sein. Was mich
sich in den hochfrequentierten touristiFakt und Fiktion.
aber noch mehr interessiert, sind schen Quartieren. Nur das Museum
Orhan Pamuk hat
die kleineren Museen, die eine
der Unschuld hat sich mitten in eine
bestimmte
Geschichte
erzählen.
Wohngegend zurückgezogen. Es ist,
heimlich seine eigene
wie das Museum der
als wäre man von der Hauptstraße
Person in die museale Orte
Unschuld erzählen sie mit
abgekommen und in eine kleine Gasse
Erzählung verwoben“ solcher Präzision, dass die
geraten – man nähert sich dem Museum
ausgestellten Objekte regelrecht fast wie einer Liebesgeschichte.
zum Leben erweckt werden.
Als ich zum ersten Mal Orhan Pamuks Museum der Unschuld las,
war ich völlig gebannt. Es ist ja eine ziemlich komplizierte Liebesgeschichte, von der das Buch handelt. Aber durch die Art, wie
GLENN D. LOWRY IST DIREKTOR DES
MUSEUM OF MODERN ART IN NEW YORK
die Dinge beschrieben werden – die Zigaretten, die die Geliebte
DAS MUSEUM
DER UNSCHULD
V
REVUE
47
MARION ACKERMANN, K20/K21
MUSEO CANOVA
IN POSSAGNO
„Jeder Sockel ist
einzeln gestaltet,
überall sind kleine
Fenster eingelassen –
die Lichteffekte
heben die Skulpturen
wunderbar hervor“
er eine Sommertour
durchs Veneto plant,
sollte unbedingt
bei dem kleinen Museo Canova
in Possagno haltmachen, dem
Geburtsort des neoklassizistischen Bildhauers Antonio
Canova. Es liegt in der Nähe
von Bassano, woher der
berühmte Grappa kommt –
vor dem Haus steht eine
riesige, alte Pinie. Ich war das
erste Mal vor etwa zehn Jahren dort, als ich den Freundeskreis des
Kunstmuseums Stuttgart durch die Region führte. Da wir auch
Verona im Programm hatten, wurde der venezianische Architekt
Carlo Scarpa zu einem Leitfaden unserer Reise. In Verona hatte
er mit dem Castelvecchio zum ersten Mal in den 60er-Jahren ein
W
mittelalterliches
Museum zu einer
Gesamtinszenierung gebracht, bei
der Sockel, Vitrine
und vor allem die
Lichtwirkung exakt
festgelegt worden
sind. Im Jahr 1957
hatte Scarpa dem
Museo Canova
einen Flügel angefügt, in dem
Canovas Skulpturen in einem
unglaublichen
puristischen
Arrangement wie
ein Gesamtkunstwerk inszeniert
sind. Jeder Sockel ist einzeln gestaltet, überall sind kleine Fenster
eingelassen – so entstehen Lichteffekte, die die Materialität der
Gipse und Marmorskulpturen auf wunderbare
Weise hervorheben.
Dunkle Metallelemente
betonen zudem die
Linearität des Raumes,
sie fungieren wie ein
zeichnerisches Gerüst, das
die einzelnen Skulpturen
miteinander in Beziehung
setzt. Gleichzeitig entstehen dadurch aber
auch reizvolle Korrespondenzen zu den Volumina
der einzelnen CanovaSkulpturen. Scarpa war ein
Architekt, der musealen
Raum bis ins Kleinste
durchgestaltete. Damit hat
er die Ausstellungsräume perfektioniert, festgelegt und natürlich
immobil gemacht: Was für ein Kontrapunkt zu uns heute, die wir
unsere Museen ständig „erneuern“ und
die Räume „in Bewegung halten“.
Scarpas perfekte Gestaltung mit ihrer
Tendenz zur dauerhaft festgeschriebenen Statik sehe ich deshalb nur als
eine Möglichkeit der Momentaufnahme,
danach ist das Museum wieder in die
Wandlung aufzulösen.
MARION ACKERMANN IST DIREKTORIN
DER KUNSTSAMMLUNG NORDRHEIN-WESTFALEN (K20 UND K21)
REVUE
48
WIM PIJBES, RIJKSMUSEUM
MUSEUM
VAN LOON
irekt an einer Gracht in Amsterdams Altstadt steht ein
herrschaftliches Wohnhaus aus dem 17. Jahrhundert.
Die junge Frau van Loon lebt hier unter dem Dach – seit
1884 gehört das Haus ihrer Familie, die während der Kolonialzeit
zu Reichtum kam. Sie förderte Kunst im großen Stil, vergleichbar
mit dem Königshaus. 1960 beschlossen die Van Loons, ihren
Wohnsitz für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen, und so ist er
heute ein Museum. Ich
fahre oft mit dem Fahrrad
vorbei, denn von hier
sind es nur fünf Minuten
zum Rijksmuseum. Meinen
Freunden aber, die zum
ersten Mal Amsterdam
besuchen, sage ich immer:
„Geht als Erstes ins
Museum Van Loon.“ Denn
als ich 2008 nach Amsterdam zog, hatte ich das
Gefühl, mit einem Besuch
D
dort auf kleinstem Raum die
„Allein schon der
ganze Stadtgeschichte zu
Geruch antiker
erleben. Allein schon der
Geruch antiker Möbel,
Möbel, schwerer
schwerer Vorhänge und alter
Vorhänge und
Teppiche vermittelt das Gefühl
alter Teppiche
einer anderen Zeit. Und der
Feinsinn, mit dem hier Porzelvermittelt
lan, Schmuck und
mit floralen Mustern bedruckte das Gefühl einer
anderen Zeit“
Stofftapeten aufeinander
abgestimmt sind, beeindruckt
mich jedes Mal aufs Neue. Besonders charmant ist im Obergeschoss das Elternschlafzimmer mit rotem Baldachin über dem
Bett, das auf einem zierlichen Marmorpodest thront. Trotz
barocker Pracht ist hier nichts überladen; vor allem wenn Licht
durch die Zimmer
strömt, spürt man
die harmonische
Einheit des ganzen
Hauses. Fast hat
man das Gefühl, die
Bewohner wären
nur kurz ausgegangen: Unten im
Wohnzimmer steht
eine mit Silber
gedeckte Tafel, in
der Küche liegt Brot
in einem Korb. Man
kann auch in den
Garten hinaustreten,
der in geometrischen Mustern
angelegt ist. Das
Wichtigste sind für
mich jedoch die
Gemälde: Hier
findet man eine der
größten Ahnengalerien der Welt! Das Bild, das die Hochzeit von
Willem van Loon und Margeretha Bas darstellt, 1637 von Jan
Miense Molenaer gemalt, ist für mich das wichtigste Stück: Die
feine Detailgenauigkeit, mit der der Frans-Hals-Schüler die
Kleidung der Hochzeitsgäste mit ihren
Spitzen und Faltenwürfen auf die Leinwand
gesetzt hat, fasziniert mich ebenso wie die
kleinen Gesten und Gesichtsausdrücke,
durch die jede Figur ihren eigenen Charakter erhält. Die junge Frau van Loon organisiert übrigens Ausstellungen mit Altmeistern und zeitgenössischer Kunst. Für
mich ist das Haus ein echtes Phänomen.
REVUE
49
WIM PIJBES IST GENERALDIREKTOR
DES RIJKSMUSEUMS IN AMSTERDAM
Andreas Schulze
MAN HAT SICH AN
DEN BERUF GEWÖHNT
OHNE TITEL (REISEABTEIL), 2010
Acryl auf Nessel, zweiteilig, 190 × 320 cm
Die Unbestechlichkeit
der Schildkröte:
Seit mehr als
30 Jahren arbeitet
Andreas Schulze
an und in seinem
Paralleluniversum.
Wie beispiellos es
geraten ist, zeigt
jetzt die 80er-JahreAusstellung im
Frankfurter Städel.
Ein Atelierbesuch
beim großen
Unbekannten der
deutschen Malerei
TEXT: HANS-JOACHIM MÜLLER
FOTOS: PETER KAADEN
N
un könnte man ein bisschen mit der
Eisenbahn spielen. Aber man ist ja
da, um über den Wurstaltar zu reden.
Dabei lässt sich die Überraschung, so tief im
Jahr da und dort noch auf weihnachtlichen
Nachlass zu stoßen, kaum verhehlen.
Schon bei der Ankunft leise Verwirrung.
Nichts hier im Hinterhof in der Kölner
Südstadt deutet auf kreative Verdichtung hin.
Kita, Zahnlabor, Ersatzteillager: Manches
könnte sich hinter den Wänden verbergen.
Und man sucht die Fenster ab nach durchscheinenden Zeichen der Kunst und findet
keine. Und dann winkt der Assistent auf
der Kellertreppe. Und Andreas Schulze
beugt sich über die Modellhäuschen und
dreht ein wenig am Trafo.
Es sieht hier unten auf gepflegte Weise
verwohnt aus, als sollte die Einrichtungsnorm gut sichtbar unterboten werden. Und
während das Züglein mit den drei Wagen
einmal vorwärts- und einmal rückwärtsrollt,
fällt einem das staubige Wort „Stube“ ein.
Und man denkt sich dazu die Bilder voller
umwachsener Fertighäuser, die Andreas
Schulze in den frühen 80er-Jahren aus
schräger Vogelperspektive gemalt hat,
als flöge er mit dem Hubschrauber über
die Siedlung und schaute den Leuten
auf den Beistelltisch mit der Häkeldecke.
Damals sollte das ja alles nichts
zu bedeuten haben. Es war eine wundersam
alberne, etwas angestrengt krasse Epoche.
Ausstellungen hießen Finger für Deutschland
oder Wenn das Perlhuhn leise weint. Albert
Oehlen malte das Bild Doris hat das Ficken
satt. Martin Kippenberger gab das Buch
Durch die Pubertät zum Erfolg heraus. Andreas
Schulze war mit von der Partie, hat mit
den Freunden ausgestellt, aber zu keinem
der Jungmännerbünde gehört. Auch nicht
zur Mülheimer Freiheit, jenem legendären
Kölner Gemeinschaftsatelier, in dem
sich Hans Peter Adamski, Peter Bömmels,
Walter Dahn, Jiří Georg Dokoupil, Gerard
Kever und Gerhard Naschberger in
neoexpressiver Banalmalerei verausgabten.
Man traf sich – schon etwas ermattet –
zur heiteren Bilanz unter der Parole „Rundschau Deutschland“. Andreas Schulze
steuerte seine Fertighausbilder bei.
Ansonsten sah er zu, wie die Kollegen in
der Galerie von Paul Maenz als „Neue
Wilde“ vermarktet wurden. Lange hielt
REVUE
52
der Rausch ohnehin nicht an. Als man
merkte, dass es keine Bilder ohne Bedeutung
gibt, ging jeder seinen eigenen Weg.
Bilder ohne Bedeutung? „Nee, nee“,
sagt Andreas Schulze. „Immer ist was
dahinter.“ Er knurrt ein wenig, wenn
er etwas sagt. Und zögert, ob er was sagen
soll. Und sagt nicht viel an diesem Nachmittag. Als gälte es, der Verführung zu
widerstehen, sich in Lebensräume ziehen
zu lassen, die man schon längere Zeit nicht
mehr betreten hat. Wer hätte sich damals
auch vorstellen können, dass man 35 Jahre
später mal so aussehen würde: ärmellose,
blaue Weste, gelber Schal, dicke Brille,
zurückgekämmte Haare. Mehrere Wochen
später trifft man sich zufällig auf einem
Bahnhof wieder. Und wieder die blaue
Weste, der gelbe Schal. Es ändert sich jetzt
nicht mehr viel.
Wie sich überhaupt nie viel verändert
hat. Es gibt lange Serien in diesem Werk,
abgeschlossene, unabschließbare. Es gibt
die Kugelbilder und Wellenbilder, die
Rahmenbilder und Erbsenbilder, Bilder
mit schwebenden Schachteln und andere
mit gestauchten Autos und wieder andere
mit Röhren, aus denen Gase, Schwaden,
Dämpfe zischen. Es gibt den Wurstaltar:
ein Tisch, mit einer rot-gelb-blauen Husse
überzogen, über dem etwas schwebt,
das an eine prall gestopfte Riesensalami
erinnert. Aber all die erstaunlichen Dinge
folgen in sehr gemächlichem, völlig
undramatischem Wechsel aufeinander.
Lösen einander ab, ohne sich gegenseitig
zu überbieten. Und nie lassen die neuen
Bilder die alten hinter sich. Und vergeblich
wohl, darauf zu warten, dass ein Alterswerk noch einmal einen Sturm entfachen
könnte, der alles Vorangegangene entwurzelt. „Mmh“, sagt er. Und „mmh“
klingt wie Ja mit Vorbehalt.
Seit 2008 ist er Professor für Malerei
an der Düsseldorfer Kunstakademie, wo
er einst bei Dieter Krieg studiert hat.
Krieg, ein unbeirrbarer Einzelgänger unter
den Malern der 70er- und 80er-Jahre, ist
mit seinen großgestischen Inszenierungen
belangloser Motive im Werk des ehemaligen
Meisterschülers bis heute spürbar. Auch
wenn sich Schulze von der übertourten
Dynamik des Lehrers bald ebenso weit
entfernte wie vom absichtsvollen bad painting
DIE ERFAHRUNG ZEIGT:
WENN ER DEN FUSS
RUNTERNIMMT, WÄCHST
SICH DIE PLÜSCHTIERDELLE WIEDER AUS.
ANDREAS SCHULZE IN
SEINEM KÖLNER STUDIO,
JUNI 2015
OHNE TITEL (AUTOWERKSTATT ), 2014
Acryl auf Nessel, 200 × 200 cm
seiner Freunde. Es ist der schmale Grat
zwischen Gegenständlichkeit und Ungegenständlichkeit, auf den ihn der eigene Weg
führen sollte. Und dort turnt er bis heute
überaus virtuos und lässt an den Dingen,
die er malt, just so viel zu, dass man sie
zu erkennen meint, und nimmt wieder
just so viel weg, dass sie mit ebenso guten
Gründen als Muster oder Ornament
durchgehen könnten.
Darüber müsse er jetzt nachdenken,
sagt Andreas Schulze und blättert im
Katalog seiner Ausstellungstournee, die
nach Stationen in Esslingen und Bonn
gerade im Schweizerischen St. Gallen ihren
Abschluss gefunden hat. Für den Juli plant
das Frankfurter Städel eine Übersicht zur
Kunst der 80er-Jahre, bei der auch er wieder
einen großen Auftritt haben wird. Schulzes
Bilder standen nie im Schatten. Und doch ist
es, als würde neues, helles Licht auf sie fallen
und die Unbestechlichkeit der malerischen
Position erst jetzt wirklich gewürdigt. Wie
wichtig ist es ihm, Erfolg zu haben? „Ist
schon wichtig“, brummt er. Und wenn sich
keiner für seine Bilder interessierte, würde
er trotzdem weitermalen? „Mmh.“ Und
„mmh“ klingt wie Nein mit Vorbehalt.
REVUE
54
E
s ist in allen Schulze-Ausstellungen zu
beobachten, wie die Leute ungewöhnlich lange vor den Bildern ausharren.
Nicht dass es tief versteckte Zeichen zu
entdecken und entschlüsseln gäbe. Wenn
die Beschriftung Reiseabteil sagt, dann hat
das beim Blick aufs Bild auch eine gewisse
Plausibilität: Die wulstigen Formen lassen
durchaus an Sitze in einem Bahnabteil
denken. Und die bauchige Molluske mit
den schlingernden Tentakeln erfüllt alle
Anforderungen des Titelversprechens vom
gestrandeten Kraken. Was einen hält vor
diesen Bildern, ist etwas anderes: Es hat
LOREM IPSUM
2010, 31 × 51 cm
Es war die Sehnsucht
danach, dass es etwas gibt,
was so ist, wie es ist – und
das wahr ist, auch wenn es
nur eine Hundertstelsekunde
in dieser Form existiert
OHNE TITEL (KRAKE VON LINKS), 2014
Acryl auf Nessel, 130 × 110 cm
weniger mit dem Geheimnis der Dinge als
mit ihrer sonderbaren Konsistenz zu tun.
Irgendwie hat man das Gefühl, die Formen
bräuchten ein bisschen Zeit, um sich
auszudehnen, um ihre kissenartigen
Gegenstände aufzublasen, Zeit, um zur
vollen Größe und mehr noch zur vollen
Schwere anzuwachsen.
ewissermaßen seien es ja gemalte
Skulpturen, die man sich auch auf
einem Platz in einer Kleinstadt
vorstellen könne, als Brunnenfiguren etwa,
aus denen es da und dort herausspritzt.
Das war der längste Satz an diesem Nach-
G
mittag. Und länger wird man sich nun
über das gemalt Skulpturale, also Blasige
der Gegenstände unterhalten, über ihre
bemerkenswerte Tendenz zur weichen
Schwere und zum rundlichen Design, was
sie ja doch auch etwas komisch aussehen
lässt. Wenn es aus einem Mauerloch neblig
bläst, als pustete dahinter einer mit schrecklichem Mundgeruch, und ein Huhn auf die
Mauer zuspaziert und im Hintergrund ein
Stück schematisierter Farmlandschaft klebt,
dann wird man der Komposition keinen
übertriebenen Ernst attestieren wollen.
Ganz offensichtlich führt in diesem Werk
REVUE
56
ein surrealer Übermut Regie, der sich aus
ziemlich heillos-ironischen Abständen zur
Welt der Dinge und Verhältnisse speist.
Abstände, aus denen die Welt wie eine
Spielzeugwelt erscheint, die unversehens
auch etwas Bedrohliches annehmen kann.
Wie das Monsterbaby im Film, das hilflos
durch die Stadt tapst und dabei alles
zertrampelt. Noch waltet ja eine gewisse
Ordnung in Schulzes Kuriositätenkabinett.
Wenn er die Beine aufs Plüschtier legt,
dann kriegt es eine Delle, doch die wächst
sich auch wieder aus. Aber irgendwie
wird man das Gefühl nicht los, es könne
OHNE TITEL (SEESTÜCK /5 SORTEN WASSER), 2011
Acryl auf Nessel, zweiteilig, 170 × 440 cm
hier im sogenannten Wohnbereich
bald einmal zu einem Aufstand der Dinge
kommen und das ganze System der
Künstlichkeit sei nicht weit davon entfernt,
in einem psychotisch-schwarzen Loch
zu verschwinden.
ielleicht ist Malerei ja doch so eine
Art Kampf dagegen. Und vielleicht
ist mehr noch auf die Treue Verlass,
mit der der Maler bei seiner Sache geblieben
ist. Wenn man an Wandel und Wechsel
bei seinen ehemaligen Weggefährten denkt,
dann muss die Verbohrtheit, mit der
Schulze seinen malerischen Blick auf die
V
Welt kultiviert, umso mehr auffallen. Man
hat gelegentlich behauptet, wenn man
ein Schulze-Bild gesehen habe, habe man
im Grunde alle gesehen. Das ist mindestens
fahrlässig geurteilt. Denn eine SchulzeAusstellung kann eine überaus vergnügliche
Erfahrung sein mit immer neuen Überraschungen an den Wänden oder im Raum,
wo an keiner Stelle Überdruss an der
Repetition aufkommt. Aber richtig ist schon
auch, dass es so etwas wie ein Schulze-Klima
gibt, das mit ziemlicher barometrischer
Stabilität nun seit über drei Jahrzehnten
anhält.
REVUE
57
Wie soll man es beschreiben? Es ist,
als kündeten die Formen und Dinge,
die ja malerisch, koloristisch allesamt gut
oder sogar überversorgt scheinen, doch
von einem eher prekären Weltverhältnis –
so als wären die Gegenstände überhaupt
nur zu ertragen, wenn man sie ein bisschen
ärmlich gibt, ihnen das Gewese der
Bedeutungen nimmt, ihrem Hang, immer
gleich Zeichen sein zu müssen, entgegensteuert, indem man ihnen eine Art Speckschicht aufmalt, die sie so wunderlich
aussehen lässt, dass der Popanz Sinn wie
von selbst zerschmilzt.
EINBLICKE IN ANDREAS SCHULZES ATELIER, IN DEM DIE DINGE
KURZ DAVOR SIND, DEN AUFSTAND ZU PROBEN
W
ährend sich die Malerei der
80er-Jahre unter Ausnutzung der
Hirnlosigkeit ihrer Adoleszenz
noch einmal richtig austoben wollte und
dem Sinnversprechen der Kunst mit
frivolen Unsinnsbehauptungen begegnete,
legte Andreas Schulze die Beine aufs
Plüschtier und wartete, bis sich die Delle
wieder auswuchs. Bilder sind in diesem
Werk immer auch Selbstversteck, hermetische Kulissen, hinter denen der Autor es
sich gemütlich oder auch, wer weiß,
ungemütlich macht. Und wenn man mit
ein wenig Übung sogleich erkennt, von
wem die Kulissen stammen, dann gibt es
doch wenige Künstler, die mit so viel
Unbeirrbarkeit so wenig aus sich machen.
Das Understatement, mit dem Andreas
Schulze seine Künstlerrolle spielt, und
die Radikalität, mit der er seine Bilder aus all
dem heraushält, was der Kunstdiskurs
an saisonalen Verhaltensvorschriften umzuwälzen pflegt, machen ihn gerade für
jüngere Maler zu einem Vorbild an Authentizität. Und ihre Bewunderung gilt einem
Werk, das auch ohne Abstützung durch
Konzeptualismus, Institutionenkritik und
andere zeitgenössische Gehhilfen gut
frei steht und seinen Einzelrang mit schon
faszinierender Gelassenheit verteidigt.
REVUE
58
Wobei einem so viel Gelassenheit ja
auch suspekt vorkommen darf. Die Autobilder zum Beispiel. Wären nicht wenigstens
sie zu retten – als kritischer Kommentar
zur mobilisierten Zivilisation? „Tut mir leid“,
sagt der Maler. „Es ist drauf, was man
sieht.“ Und so, wie er es sagt, ist es die
schiere Provokation. Nur dass Schulze
nie provoziert hat, in keiner Skandalchronik
vorkommt und nie behauptet hat, dass die
Geschichte der Malerei mit ihm begonnen
habe und mit ihm an ihr Ende kommen
werde. Dafür hat er wider die Hybris der
immerwährenden Moderne die denkbar
trefflichsten Gegenfiguren erfunden, Formen
OHNE TITEL (MORRIS NOLDE/RÜGEN), 2009
Acryl auf Nessel, zweiteilig, 240 × 380 cm
Sein Understatement,
seine radikale Authentizität
machen ihn gerade für
jüngere Maler zum Vorbild
mit viel Luft – zum Aufblasen oder zum
Ausblasen, also leere Formen. Und was
sich aufblasen lässt oder Luft verliert, wirkt
komisch, ob es will oder nicht.
ndererseits, gibt Andreas Schulze
zu bedenken, empfinde er seine
Bilder gar nicht als so komisch.
Allenfalls wenn er Arbeiten anderer Künstler in Betracht ziehe, die ja doch sehr
ernsthaft seien, dann falle ihm der Unterschied schon auf. Es gab den Unterschied
von Anbeginn. Von Anbeginn dieses
seltsame Malen, das nichts eigentlich
erfindet, das sich stets an irgendein gesehenes, erinnertes Sujet hält und dann malend
zusieht, wie die Dinge unter der Hand aus
der Form geraten, bis sie wie ein behäbiger
Gargantua im Bild sitzen und immer
A
erstaunlicher werden. Dabei habe er doch
alles vorweg und ganz genau im Kopf. Das
zumindest bitte er unmissverständlich
mitzuteilen. Weshalb man jetzt rübergeht,
ein paar Schritte um die Ecke ins Atelier, wo
die Assistenten in Kisten kramen und es so
arbeitsvermüllt aussieht, wie man sich ein
zünftiges Künstlerstudio vorstellt.
Hier, denkt man, muss der Wurstaltar
geplant worden sein, und die Riesensalami
wird nichts anderes sein als eine Art
Dauerkonserve der unbeseitigbaren Lebensund Arbeitsreste, die sich in dreieinhalb
Jahrzehnten post-Mülheimer Freiheit
angesammelt haben. Aber Andreas Schulze
sucht hier eine Zeichnung – besser: eine
Skizze. Um zu demonstrieren, dass er „alles
vorweg und ganz genau im Kopf“ hat. Ein
paar Striche, ein Auspuffrohr, ein Spoiler,
ein paar Farbvorschriften: grau, grün, gelb.
Und dann gehe das Blatt verloren. Und
dann tauche es wieder auf. Und irgendwann
mache es klick im Kopf und es werde
wieder ein Bild.
REVUE
59
Und mit jedem neuen klick im Kopf
und jedem neuen Bild unter der Hand füllt
sich – oder soll man sagen: bläht sich? – die
Schulze-Welt, diese Welt ohne Bewegung,
die bis heute auch eine Welt ohne Figuren
geblieben ist. Mag er keine Figuren, kann
er keine zeichnen? Weiß er nicht. Aber
bewohnt seien die Bilder schon. Und die
Autos stünden im Stau. Weshalb man die
Autobilder Kante an Kante hängen müsse.
Sagt’s und schlendert zurück zur Modelleisenbahn. An der Ecke wartet das Taxi.
So sei das eben mit dem Malen: „Man hat
sich an den Beruf gewöhnt.“
DIE 80ER. FIGURATIVE MALEREI IN DER BRD,
GRUPPENAUSSTELLUNG, 22. JULI BIS
18. OKTOBER 2015, STÄDEL MUSEUM, FRANKFURT
STAU. ANDREAS SCHULZE BEI SPRÜTH MAGERS,
BERLIN, 28. JULI BIS 29. AUGUST
HOMEBASE. ÜBER DAS INTERIEUR IN DER
GEGENWARTSKUNST. GRUPPENAUSSTELLUNG,
KUNSTHALLE NÜRNBERG, 3. DEZEMBER 2015
BIS 21. FEBRUAR 2016
EIGENTLICH
RAUCHE
ICH
NICHT
Selten haben derart erschöpft
aussehende Skulpturen
Furore gesorgt.
für mehr
m
Ein Treffen mit
NAIRY BAGHR AMIAN,
N
deren Arbeiten
im Zentrum
der spannendsten
Schau des
Sommers stehen
SIEHT WEICH AUS, IST ABER KNÜPPELHART: DIE SKULPTUREN VON SLIP OF THE TONGUE WAREN
ERSTMALS UNTER VITRINENGLAS IM CAFÉ DES ART INSTITUTE OF CHICAGO ZU SEHEN
E
in blassrunzliges Stück Bein. Eine eiternde
Armbeuge. Undefinierbare Fleischklumpen. Eigentlich sieht das alles hier
aus wie amputierte Riesenpenisse, die an
einer Vitrine herumlungern. Slip of the Tongue
nennt Nairy Baghramian ihre Installation.
Slip of the Tongue heißt auch die beste Gruppenausstellung des Biennale-Sommers in
Venedig, eine, die Okwui Enwezors Politschau glatt den Rang abläuft. Der Künstler
Danh Vō hat sie für die Pinault Collection
kuratiert, in den alten Zollhallen am Canal
Grande: eine sinnliche, atmosphärische
Komposition, mit der Nairy Baghramian zur
Hochform aufläuft.
„Der Titel klingt erotisch, aber eigentlich bedeutet er ‚Versprecher‘. Das Potenzial
des Scheiterns ist darin angelegt“, sagt die
Künstlerin. Die schwarzen Haare aufgestrubbelt, die Lippen knallrot, steht sie in
ihrem Atelier in Berlin-Wedding, einem ehemaligen Ladenlokal, das von oben bis unten
weiß gestrichen ist. Für eine Bildhauerin, die
regelmäßig ganze Museen in allerlei Ländern
bespielt, ist ihr Arbeitsplatz erstaunlich klein
und erinnert mehr an ein Medizinlabor. Auf
REVUE
61
einem Tisch Skulpturenelemente wie von
einem Anatomielehrmodell. Im Raum prothesenartige Einzelstücke. Ein Chromgestell
auf Rollen, an dem durchsichtige, glibberige
Lappen hängen. Ein kleiner Aluminiumtisch
an der Wand. Eine Gummimatte, die sich auf
ihm rollt. Am Boden ein faustgroßer Klumpen, der aussieht wie Gelatine. Wenn man
ihn anstupst, ist er hart. Türstopper heißt er.
Als sie in den 90er-Jahren als Künstlerin
anfing, sei Körperlichkeit verpönt gewesen.
„Damals ging es um Identitätsfragen, Materialien standen nicht im Fokus. Aber mich
Ihre Skulpturen sind
Hybride aus Weichheit
und Härte. Sie selbst
nennt sie „Platzhalter“
und „Prothesen“
interessiert die Frage, wie ich gesellschaftliche Fragen mit skulpturalen Formen verbinden kann.“ Sie steuert auf einen großen
Tisch im Hinterzimmer zu. Die Oberfläche
sieht aus, als hätte jemand Leim darübergekippt. Viele ihrer neueren Arbeiten wirken
so: gummiartig, aber hart, wie künstliche
Körperteile.
„Eigentlich rauche ich nicht“, sagt Nairy
Baghramian und greift nach einer
Packung Zigaretten. In den
nächsten zwei Stunden wir klar,
dass das ihr Grundprinzip ist: das
eine vorgeben und das andere
tun. Nairy Baghramian lebt seit
ihrem 14. Lebensjahr in Deutschland. 1985, sechs Jahre nach der
Revolution im Iran, floh ihre
armenisch-christliche Familie aus
Isfahan nach Berlin. Als Teenager
beginnt sie im Frauenhaus zu
arbeiten. Dann studiert sie Kunst.
Als sie mit der Berliner Kunstwelt
in Berührung kommt, reagiert sie
genervt. Die neoexpressive Malerei liegt ihr nicht. Und so, wie es
damals üblich ist: nur noch Texte
und Dokumentarfotos in den
Raum zu hängen, so will sie nicht
arbeiten. Lieber setzt sie sich in
Heiner Müllers Sprechtheater in der Volksbühne und guckt Fassbinder-Filme wie
Angst essen Seele auf. Bei der Kunst bleibt sie
trotzdem.
nfangs entstehen spröde, eher gebastelte Konstruktionen aus bemaltem
Holz und Metall, die zum linksdiskursiven Umfeld der späten Neunziger passen.
Andrea Fraser, Renée Green und Rosemarie
Trockel prägen die Szene. Dann rückt die
Reflektion der Moderne in den Fokus. Isa
Genzken wird zum role model für die nächste
Generation, jüngere Künstler wie Tatiana
Trouvé, Martin Boyce, Thea Djordjadze
bauen Kunst wie ephemeres Möbeldesign.
Doch Baghramian wird nie wirklich Teil dieser
Bewegung.
OBEN: RETAINER, 2013:
INSTALLATIONSANSICHT
SCULPTURECENTER NEW
YORK, 2013. AUCH DIESE
ARBEIT IST GERADE IN
DER PUNTA DELLA DOGANA
IN VENEDIG ZU SEHEN
LINKS: KLASSENTREFFEN
(CLASS REUNION), 2008,
INSTALLATIONSANSICHT
SERPENTINE GALLERY, 2010
A
OBEN: DEKORATIVE PROTHESEN: SILOS, 2012
ERINNERT AN EIN PRALL AUFGEPUMPTES
GUMMIBOOT
RECHTS: BITTE NICHT ANFASSEN: DER
KLEINE AUFSEHER LEHNTE 2010 AN EINER
WAND IM EHEMALIGEN TEEHAUS DER
SERPENTINE GALLERY
REVUE
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GUERIDON (BRACE), 2013, INSTALLATIONSANSICHT SCULPTURECENTER NEW YORK
Der organisch-mimetische Unterton,
mit dem sie im Laufe der Jahre luftgefüllte
Stoffkissen, gekrümmte Metallbögen und
deformierte Plastikteile entwickelt, klingt
etwas fremd im Konzert der Gegenwartskunst. Und wenn die Abstraktion ihrer
Gebilde auch viele Kuratoren und Kritiker
anspricht, so werden die Skulpturen doch
immer sinnlicher und somatischer und mehr
und mehr anekdotisch.
airy Baghramians Arbeiten triumphieren nicht, sondern wirken etwas
niedergestimmt, als hätten sie sich aufbäumen wollen und dabei hätte sie die Kraft
verlassen. Unübersehbar sind die Parallelen
zu Eva Hesses schlaffen, hautartig schimmernden Gebilden. Auch an Louise Bourgeois’ geschlechtsartig ausgestülpte oder
eingeritzte Objekte aus Stoff und Latex lässt
sich denken. Vor allem aber an die überdimensionalen Soft Sculptures von Claes
Oldenburg, die sich ihren Betrachtern wie
auf einer Bühne entgegenschieben und sie,
wie es die Kunsthistorikerin Rosalind E.
Krauss einmal ausgedrückt hat, „zu Teilnehmern am Drama ihrer Präsentation machen“.
Dabei haben Nairy Baghramians Installationen oft etwas Choreografisches. Die
Einzelteile von Slip of the Tongue könnten
N
ebenso gut einem Ballettstück entstammen,
dessen Figuren nun ermattet auf der Bühne
liegen. „Tanz war sehr prägend für mich. Ich
hatte das Glück, Stücke von Trisha Brown,
Merce Cunningham und auch Yvonne
Rainer zu sehen“, erzählt die Künstlerin. Bis
heute seien die reduzierten Bewegungen dieser Tänzer für sie ein starker Impuls. Ebenso
wie die Wahrnehmungstheorien der Minimal
Art: Der Kritiker Michael Fried beschrieb
1967 mit dem Begriffspaar „Gestalt und
Theatralität“ die Raumpräsenz von Objekten,
die man umkreisen muss, wenn man sie ganz
erfahren will. Nonchalant bedient sich Nairy
Baghramian beim Erbe der Minimal Art, um
dann doch Objekte zu bauen, die geradeso
viel mit klassischer Bildhauerei zu tun haben.
Die Künstlerin steht auf und führt nach
nebenan in ihre Werkstatt, wo eines ihrer
phallischen Objekte aus einer Holzkonstruktion aufragt. Ein bisschen schwer fällt es
schon, sich diese grazile Person beim Zusammenkleistern von Beton und Farbe vorzustellen. Doch Nairy Baghramian lässt nur
bestimmte Einzelteile und größere Arbeiten
maschinell produzieren. Ob das kein Widerspruch zu ihren geistigen Paten ist, die Handarbeit vehement ablehnten? Nairy Baghramian
schüttelt den Kopf. Es gehe ihr um die
DIE RÜCKKEHR DES SCHULTERPOLSTERS: COLD SHOULDER (2014) LIEGT IM GARTEN
DES MUSEU DE SERRALVES IN PORTO UND FLIRTET DORT MIT DER ARCHITEKTUR
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64
Verbindung von traditioneller Skulptur mit
konzeptuellen Fragestellungen. Und ohne
den Körper, sagt sie, gehe es nicht.
Und auch nicht ohne Ambivalenzen.
Nairy Baghramian lässt sich nicht festlegen.
Was sie sagt, wie sie sich erklärt, das klingt
perfekt und ist so dehnbar wie Gummi, als
habe sie sich ihre Rolle im Kunstbetrieb sehr
genau überlegt. Man kann darin Erfolgsmanagement sehen oder einen entschiedenen
Anspruch auf Freiheit in jede Richtung. So
sind auch ihre Skulpturen Hybridwesen aus
Präsenz und Absenz, Weichheit und Härte,
Blässe und Farbe, Transparenz und Dichte,
Ballung und Ausdehnung, Aufbäumen und
Scheitern. Sie drücken etwas aus, das man in
den angestrengten Texten über sie nicht findet:
dass sie auch Zeichen sein wollen für die Tragik des Lebens. Nairy Baghramian sagt es
vorsichtiger, spricht von „Platzhaltern“ und
„Prothesen“. Und doch ist klar: Es geht um
den Menschen und am Ende wohl auch um
sie selbst. Wenn sie von Raum und Körper
spricht, darf man schon mitdenken, dass sie
aus einem Land kommt, in dem für den Körper der Frau männliche Regeln gelten.
unst müsse nicht direkt politisch sein,
sagt Nairy Baghramian. Wo immer sie zu
einer Gruppenschau zum Thema Migration eingeladen war, hat sie abgelehnt. „Ich
engagiere mich bei Human Rights Watch.
Aber das hat nichts mit meiner Kunst zu
tun.“ Im Iran war sie das letzte Mal vor
15 Jahren. Die Gesellschaft dort sei früher
sehr vielfältig gewesen, heute herrsche
Monokultur. Sie hat miterlebt, wie es plötzlich bestimmte Bücher nicht mehr gab. Kultur bedeute Freiheit, „und die ist dort verschwunden“. Als sie bei der Sharjah Biennale mitmachen sollte, sagte sie ab – zumal
der Iran ihre Arbeit sponsern wollte.
Mit allem Nachdruck beharrt die
Künstlerin auf ihrer Unabhängigkeit und
schützt ihre Arbeit vor Instrumentalisierung. Und bei all ihren Ausstellungsprojekten
sieht sie zuerst auf die gesellschaftspolitische
Situation: ob es ein Wüstenstaat ist oder ein
europäisches Museum. Für sie sind Städte
hierarchisch gegliederte Ensembles, Bauwerke eher patriarchalisches Terrain, Innenräume und Kleidung klassische Frauenthemen. „Frauen“, sagt sie, „sind bis heute
nur für die Dekoration zuständig. Wie viele
große Architektinnen gibt es schon?!“
K
DIE BESTE SCHAU DES BIENNALE-SOMMERS: SLIP OF THE TONGUE IN DER PINAULT COLLECTION IN VENEDIG.
KURATIERT HAT SIE DER KÜNSTLER DANH VO. IM ZENTRUM DIE GLEICHNAMIGE SKULPTURENGRUPPE VON NAIRY BAGHRAMIAN
I
n ihrer Arbeit reagiert sie darauf eher subtil.
Und dazu steht auch nicht im Widerspruch,
dass sie ihren Anspielungen auf Körper,
Mode, Möbeldesign und Architektur zuweilen
eine fröhliche Kaltschnäuzigkeit gibt. So liegt
neuerdings das riesige rosa Schulterpolster
Cold Shoulder im Skulpturenpark des Museu
de Serralves von Álvaro Siza Vieira in Porto,
wo es dem eleganten, weißen Bau des portugiesischen Grandseigneurs die kalte Schulter
zeigt. Im ehemaligen Teehaus der Londoner
Serpentine Gallery stützte sich 2008 ihr kleiner
Aluminiumtisch mit Gummimatte als Aufbauhelfer an die Wand.
Und auf der Berlin Biennale im selben
Jahr flirteten zwei gekrümmte Stahlflächen
an der Glasfassade von Mies van der Rohes
Nationalgalerie gefährlich nah miteinander,
eine von innen, die andere von außen. Der
Titel der Installation La colonne cassée (1871)
spielt auf die Pariser Kommune an, als auf
Anweisung von Gustave Courbet die Säule
auf der Place Vendôme, das Denkmal von
Ludwig XIV., entfernt wurde und dabei
umstürzte. Für die Künstlerin ein schönes
Symbol dafür, dass alle herrschaftlichen Bauwerke nur temporär sind – auch die selbstherrlichen der Moderne.
Nairy Baghramian drückt die letzte
Zigarette aus und greift nach ihrem Schlüsselbund. Sie muss zur U-Bahn Richtung BerlinMitte, wo sie wohnt. Irgendjemand hat ihre
Skulpturen einmal mit den geklumpten Gebilden von Franz West verglichen, auf die man
sich setzen kann oder mit denen man hantieren soll. Nein, sagt sie, „Kunst als Dienstleistung interessiert mich nicht. Der Bezug zu
meinen Arbeiten spielt sich im Kopf ab.“ Und
der sitzt bekanntlich auf dem Körper.
TEXT: GESINE BORCHERDT
SLIP OF THE TONGUE, PUNTA DELLA DOGANA,
VENEDIG, BIS 31. DEZEMBER 2015
Eintritt ins Totenreich der Schönheit: in der Wohnung des Mario Praz ist das Ganze mehr als die Summe seiner Teile
Mario Praz 1950
WARTE,
BIS ES DUNKEL
WIRD
Lag es am leichten Hinken
oder am „bösen Blick“?
MARIO PRAZ war einer der großen
Gelehrten Italiens, schrieb
das Standardwerk zur Schwarzen
Romantik und inspirierte
Visconti zu dessen letztem Film.
Und doch wagte man kaum,
seinen Namen auszusprechen.
Praz’ vielleicht größtes Werk:
seine Wohnung in Rom.
Martin Mosebach hat sie besucht
Zimmer waren für Praz Organismen, die für ihre Beseeltheit
auf Bewohner nicht angewiesen waren
N
icht wenige Wohnungen von Politikern, Dichtern und Heiligen
werden in dem Zustand bewahrt, in dem ihr Bewohner sie bei
seinem Tode verlassen hat. In Rom allein kann man die Sterbezimmer des Heiligen Ignatius und des Heiligen José de Calasanz, des
Schriftstellers Luigi Pirandello, des Komponisten Scelsi und des
Malers Giorgio de Chirico besichtigen. Aber es dürfte wenige Wohnungen geben, die Museen geworden sind, weil ihre Bewohner das
Wohnen zu ihrer wesentlichen Leistung erkoren hatten.
Mario Praz hieß einer dieser leidenschaftlichen Wohnenden.
Der 1896 geborene Sohn eines Schweizers und einer umbrischen
Gräfin hat wahrlich genug Spuren hinterlassen, um nicht einfach nur
als Möbelsammler im Gedächtnis der Nachwelt zu bleiben. Er war
einer der bedeutendsten Kenner der Literatur im akademischen Italien seines Jahrhunderts. Er war der Autor bedeutender Bücher über
die Romantik in Europa, deren Farbigkeit und Originalität ihm bei
seinem strengen Zeitgenossen Benedetto Croce den Vorwurf der
Unwissenschaftlichkeit einbrachten. Und er war gewiss einer der
Unbehelligt von den Zumutungen der Moderne: Praz verschrieb sich ganz dem Neoklassizismus
wirkungsmächtigsten Literaturkritiker: Sein Urteil hat auch lange
nach seinem Tod 1982 sein Gewicht nicht verloren.
Aber das Herz dieses Mannes, der nach kurzer Ehe die längste
Zeit seines Lebens zölibatär verbrachte, gehörte dem Sammeln, um
die immer komplizierter werdende Ordnung seiner Wohnung zu
einem lückenlosen Mosaik seines Geschmacks zu machen. Täglich
war er in den Antiquitätengeschäften Roms zu sehen, auf der Jagd
nach großen und kleinen Absonderlichkeiten, die im Epos seiner
Behausung zu einer erlesenen Metapher, einem poetischen Goldfunken, einem unerwarteten Reim werden würden.
strologen dürfen sich in ihren Charakterbildern bestätigt
sehen. Praz war im Zeichen der Jungfrau geboren, dem Zeichen der großen Protagonisten einer klassizistischen Ästhetik
wie Jacques-Louis David, der Maler Napoleons, und Goethe, Napoleons Dichter. Wie eine männliche Vestalin hütete Mario Praz die
Hinterlassenschaften dieser Epoche, in der sich revolutionärer Aufbruch und der Blick in die Tiefen der Vergangenheit eigentümlich
A
vermischten. So schuf er eine Wohnung, von der er glauben durfte,
dass sie auch ohne seine Existenz weiterleben würde – weil sich im
Schamanenkreis ihrer Gegenstände ein unsichtbares Wesen entwickelt hatte, eine Geistperson zwischen Genius Loci und Gespenst.
Unmittelbar nach seinem Tod wurde die Wohnung ausgeraubt.
Vasen, Schnupftabakdosen, Leuchter und Statuetten verschwanden
wieder dort, wo sie hergekommen waren: in den Antiquitätenläden.
Aber die Lebenskraft der Wohnung bewährte sich. Wie bei einem
lebenden Organismus schlossen sich die Wunden und vernarbten –
und dem Besucher heute ist es unmöglich, eine Lücke zu entdecken,
in der man auch nur das kleinste Emailledöschen abstellen könnte.
L’INNOMINABILE
Italien ist das Land des Aberglaubens; je weiter man in den Süden
kommt, desto sicherer weiß jeder, welches Unglück es bringt, wenn
man bei Tisch um Salz bittet und das Salzfass von Hand zu Hand
REVUE
69
wandert, anstatt dem Bittenden vor den Teller gestellt zu werden.
Besonders schlimm ist es, wenn ein Hut auf das Bett gelegt wird –
dann kommt der Tod. Vor allem aber gilt es, sich vor dem „bösen
Blick“ zu schützen. Ein rotes Korallenhörnchen kann schon sehr viel
Schaden abwenden. In Rom behauptet heute noch jeder, der den
Namen Mario Praz kennt, der Professor habe den malocchio, den
bösen Blick, gehabt. Wenn die Rede auf ihn kam, gab es bestimmt
immer einen, der ausrief: „Nicht den Namen aussprechen! Bloß nicht
den Namen! Sagen Sie nur: ‚M. P.‘ “ Viele Leute hatten etwas Sensationelles über die Wirkung seines bösen Blicks gehört, die Erzählungen
ließen das Gerücht zur Gewissheit anschwellen. Lag es an seinem
leichten Hinken oder waren es seine literarischen Interessen, die
solchen Rumor gefördert hatten?
raz gehörte zu den ersten Literaturwissenschaftlern, die sich mit
der Schwarzen Romantik beschäftigt haben; sein Standardwerk
über diese literarische Epoche, Liebe, Tod und Teufel, ist bis heute
auch in Deutschland berühmt. Dem Flirt mancher Autoren des
19. Jahrhunderts mit Perversion und Satanismus, Geisteskrankheit
und Dämonen widmete er eine glänzende Darstellung. Und solches
Interesse berührt eigentümlich bei einem Mann, der jahrzehntelang
daran gearbeitet hat, sich eine Umgebung von poetischer Behaglichkeit zu schaffen, in der nichts an die makabren Fantasien seiner
bevorzugten Lektüren erinnerte.
Es erscheint zunächst abwegig, den patriarchalischen Frieden
der zahlreichen Familienporträts, die er sammelte, mit Baudelaire
oder Poe in Verbindung zu bringen. Andererseits: Hatten diese großen Dichter nicht in ebensolchen Interieurs gesessen, geträumt und
geschrieben? Wenn man heute durch Praz’ Wohnung geht, sind die
Fensterläden geschlossen, die Zimmer liegen im Halbdunkel, das tut
den Seidenstoffen, den Zeichnungen und Aquarellen gewiss gut,
aber man darf davon überzeugt sein, dass auch zu Lebzeiten des
Sammlers diese Fensterläden meist geschlossen waren, denn in einer
klassischen römischen Wohnung wird das Sonnenlicht als Feind
betrachtet und die längste Zeit des Tages ausgesperrt.
Praz ist oft gemalt worden, unter seinen Freunden waren viele
Maler. Und an etwas versteckten Stellen im Museum, wo sie die
neoklassizistische Atmosphäre nicht zu stören vermögen, stößt
man auf kleine Porträts aus allen möglichen Altersstufen. Und
immer sind die Augen kummervoll, die Stirn ist leicht gerunzelt;
etwas Schüchtern-Ängstliches liegt in seinem Blick selbst noch auf
dem Altersbild mit Lorbeerkranz, als hätten all diese Maler nichts
anderes im Sinn gehabt, als die bedrückende Fama vom bösen Blick
zu widerlegen.
Es heißt, der letzte Film des Luchino Visconti sei durch die
Gestalt und die Wohnung des Mario Praz angeregt worden. In Gewalt
und Leidenschaft spielt der alte Burt Lancaster einen Kunst sammelnden Professor, der, mit dem Rücken zu seiner Zeit, in einer mit schönen alten Sachen vollgestopften römischen Wohnung lebt und eines
Tages einer mondänen Frau, gespielt von Silvana Mangano, und
deren schrecklichem Sohn, von Helmut Berger weniger gespielt als
verkörpert, Zutritt zu seinen Räumen gewährt. Fast unnötig zu
sagen, dass dieser kleine Einbruch in Zerstörung und Hass endet.
Der Film gehört nicht zu Viscontis besten, aber dass seine Fantasie
durch den vereinsamten, im Zauberschattenreich seiner Wohnung
P
verborgenen, angeblich mit dunklen Mächten in Verbindung stehenden, hochgelehrten Schönheitsfreund angeregt wurde, ist leicht
nachvollziehbar.
DER MARMOR UNTER DEN HÖLZERN
Mario Praz hat zwei große essayistische Werke über den Geschmack
verfasst. Der erste, grundsätzliche, La filosofia dell’arredamento – Die
Philosophie der Einrichtung –, erschien 1945 in einem verarmten und
vom Krieg schwer getroffenen Italien, in dem gewiss wenige Menschen über den Akkord nachdachten, den ein Paravent aus dem späten Louis-seize vor einem Bett aus dem frühen Directoire auslöst.
Der zweite, ebenfalls reich bebilderte Essay war persönlicher gehalten. La casa della vita erschien 1958 und war vor allem der eigenen
Wohnung gewidmet, die sich in der Nähe des Palazzo Farnese im
Palazzo Ricci befand. Man tut diesen geistvollen Werken aber kein
Unrecht, wenn man sie auch als erläuternde Begleiter des großen Essays
ansieht, den diese Wohnung selbst darstellt.
Diese Wohnung ist wie ihr Schöpfer Legende geworden.
Es gibt sie nicht mehr (wie es sich für eine Legende gehört), denn
Mario Praz musste die Riesenwohnung 1969 verlassen. Im Palazzo
Primoli am Tiberufer fand er ein neues, verwinkeltes, schön unübersichtliches, aber deutlich kleineres Quartier. Die Adresse passte ihm,
denn der Conte Primoli, ein Nachkomme der Familie Bonaparte, hatte
im Parterre des großen Hauses ein Napoleonmuseum gestiftet; Praz
wurde Präsident der Fondazione Primoli und bezog die Etage unterm
Dach, wo er versuchte, die Atmosphäre der verlassenen, nur noch in
seinem Buch weiterlebenden alten Wohnung zu rekonstruieren.
an spricht gewöhnlich, von der „Sammlung“ des Mario
Praz, aber es liegt eigentlich näher, von einer „Ansammlung“ zu sprechen. Da ist kein Stuhl, kein Schreibtisch, kein
Kissen und kein Bücherregal – nichts, was aus dem Ensemble herausgelöst werden dürfte. Der Satz „Das Ganze ist mehr als die Summe
seiner Teile“ wird selten so augenfällig wie in der Wohnung des Mario
Praz mit ihren Tausenden Objekten. Manche sind schön, manche sind
auch nur hübsch, manche würden anderswo kaum ins Auge fallen.
Auch sind alle nicht von besonders hohem Wert und waren wohl auch
nicht teuer, als Praz sie von seinem Professorengehalt kaufte.
Praz muss ein Antiquitätenstöberer wie Balzacs Vetter Pons
gewesen sein, der niemals mehr als hundert Francs für ein Stück
ausgab und dennoch einen großen Schatz anhäufte. Es ging ihm
weniger um bestimmte Objekte als um die Beschwörung einer
bestimmten Zeit: der Jahre zwischen 1790 und 1848, einer der unruhigsten Epochen der europäischen Geschichte, deren Brüche und
Katastrophen Folgen hatten, die bis in unsere Gegenwart reichen.
Aber in der friedlichen Versunkenheit seiner Wohnung ist vom
Kriegsgeschrei, vom Zorn der Massen auf der Straße, vom Stampfen
der frühen Maschinen nichts zu spüren. Zimmer waren für Praz
Organismen, die für ihre Beseeltheit auf Bewohner nicht angewiesen
waren. Er muss etwas von einem ägyptischen Pharao gehabt haben,
der sich für den Aufenthalt in seiner Totenkammer rüstete, in der er
von Möbeln und Bildern, von Waffen und Parfüms, von Vasen voll
Wein und Honig umgeben liegen würde, mit den Edelsteinaugen der
Totenmaske ins mit Dingen erfüllte Dunkel starrend.
M
REVUE
71
Es ist dieser Gedanke an einbalsamierte Mumien, mit dem Praz
und sein Ensemble des Neoclassicismo, wie die Epoche der Revolutionen in Italien genannt wird, besser verständlich wird. Nicht umsonst
konzentrierte er sich bei seinen Käufen auf die Epoche zwischen dem
Wiener Kongress und der Revolution von 1848. Es war die große Zeit
des Fürsten Metternich, der für seinen Kaiser auch die Lombardei und
Venetien regierte. Metternich, entschiedener Gegner der Revolution,
war überzeugt davon, dass ihr Sieg unvermeidlich sei, dass man ihn auf
Dauer nicht verhindern werde, dass er sich allenfalls hinauszögern
lasse. So versuchte er, den Ländern der Donaumonarchie und dem
Deutschen Bund eine Art heilsame Stagnation zu verordnen, ein Einfrieren der Verhältnisse. In Deutschland erhielt der Lebensstil, der
dieses Großexperiment begleitete, den irreführend harmlosen Namen
„Biedermeier“, was Ruhe, Gelassenheit, bürgerliche Zurückgezogenheit und Mäßigung der Leidenschaften suggeriert und die chaotischen
Energien ausblendet, die unter der blumenbestickten Decke brodelten.
STILLSTAND, EWIGKEIT
D
ie Vorstellung, die Zeit anhalten zu können, wie der Prophet
Elias den Lauf der Sonne zum Stillstand brachte, muss für
Mario Praz etwas Magisches gehabt haben. In Rom, der Stadt
der Gräber, steckte er in seinen vier Wänden auf 200 Quadratmetern
den Bereich ab, in dem die Zeit zur Ewigkeit wird – wie Fürst
Metternich es einst im Großen gewollt hatte.
Einer der surrealistischen Künstler, mit denen Praz befreundet
war, der Zeichner, Dichter und Bühnenbildner Fabius von Gugel,
behauptete, Mario Praz sei mit Grabsteinen möbliert gewesen. Das
war eine kleine Bosheit – aber könnte man den Möbelstil des Empire
nicht wirklich als eine Kreuzung antiker Grabmonumente mit kolonialem Mahagoni bezeichnen? Die Kultur der Metternich-Ära ist sich
der revolutionären Vergangenheit wohl bewusst, aber sie dämpft
diese Erinnerung in der Napoleon-Nostalgie und überführt den kaiserlichen in bürgerlich-kleinbürgerlichen Geschmack.
Die Schwäche des napoleonischen Regiments: seine mafiöse
Gefesseltheit an die Familie des Diktators, nährt nun die Sentimentalität des Familienalbums – auch Fontane berichtet über seinen französischen Apothekervater, dass er die napoleonischen Marschälle
aufsagen konnte, als wären sie die zwölf Apostel. So schmücken
denn die Elisen, Carolinen und Paulinen, die habgierigen Schwestern
des Eroberers, in Stichen und Büsten auch die Suiten des Mario Praz.
Man könnte sagen, in seinem Apartment werde versucht, die brutale
Inbesitznahme Italiens durch die französischen Besatzer und
Kunsträuber mit den Augen Stendhals zu sehen: als festlichen Traum
und ästhetische Erfrischung, die in die Trance eines Posthistoire hinübergeglitten ist. Mit dem Ende Napoleons endet auch die
Geschichte. Von nun an besteht das Leben aus Erinnerungen.
Vor allem eine Eigenschaft zeichnet den Neoclassicismo aus, die
ihn für Praz so anziehend machen musste. Man kann das lateinisch
geprägte Europa als den Kontinent definieren, der in gewissen Intervallen Renaissancen der antiken Kultur erlebt hat. Das beginnt bei der
Renaissance des Augustus, der klassizistisch geprägten Aneignung der
griechischen Kultur, setzt sich fort in der Renaissance Karls des Großen, die mit der Übertragung des römischen Kaisertums auf die
Germanen verbunden war. Die Renaissance der Staufer ging der
Renaissance der Humanisten voraus. Der französische Klassizismus
des 17. Jahrhunderts begleitete den Anspruch Frankreichs auf das
Erbe der kaiserlichen römischen Antike. Und die bisher letzte in der
Reihe von Renaissancen ist der Klassizismus der Französischen Revolution und des bonapartistischen Kaisertums, der Klassizismus Hölderlins und Goethes, Leopardis und Foscolos, Chateaubriands und
André Chéniers – und der Architekten Ledoux und Boullée, Schinkel
und Soane, der Neopalladianer von Boston und Sankt Petersburg.
Es ist in mancher Hinsicht trotz großer Leistungen vor allem
der Maler die schwächste der Renaissancen, vielleicht durch ihr
Zusammenfallen mit dem Beginn der industriellen Fertigung, die
eine Massenproduktion möglich machte, ein Vordringen klassizistischer Objekte in jedes Bürgerhaus – aber es ist eben zum letzten Mal
ein Stil, der die europäische Verbundenheit mit der antiken Formensprache in unabsehbar vielfältiger Ausprägung feiert.
Mario Praz hat seine Wohnung als Rekonstruktion einer geistigen
Verfassung entworfen. In der ganzen Wohnung gibt es einen einzigen
Gegenstand, den er nicht ausgesucht und gekauft, sondern geerbt hat:
das von der Mutter gestickte Wappen ihrer Familie mit der Grafenkrone. Kein anderes Objekt seiner Elternwelt durfte Bestandteil seines
Zauberkreises werden. Er liebte nicht nur Zimmer, sondern auch
Bilder von Zimmern, und so suchte und fand er eine große Zahl von
Interieur-Aquarellen. Da entstehen seltsame Effekte: An den Wänden
der Zimmer hängen Bilder, die wiederum Zimmer zeigen, oft sogar
ganz ähnliche wie die, in denen man sich gerade befindet. Und besondere Freude machten Praz seine conversation pieces, Interieurs mit Gruppenporträts. Sie sind das Personal, das man sich in seinen Zimmern
vorstellen muss: Vorfahren fremder Leute, von denen er nicht einmal
die Namen kannte, die in seinen Zimmern die Vorstellung erwecken,
in ihnen wäre einmal eine Familie zu Hause gewesen.
ei der Umschau in den Räumen glaubt man sich wirklich in der
museal konservierten Wohnung eines wohlhabenden Akademikers aus der Vormärzzeit zu befinden; nicht ein einziger moderner Sessel ist hier anzutreffen und kein bequemes Sofa, wie man es in
allen historischen Palästen der römischen Aristokratie unter den
Deckenfresken fände. Weil Praz nicht auf ein Radio verzichten wollte,
ließ er eines in ein Empire-Kästchen mit kleinen Säulen verwandeln –
man muss schon darauf gestoßen werden, um es zu entdecken.
Der Gedanke drängt sich auf, dass er in seinem Apartment in
unablässigem Sammeln und Vervollständigen das Leben eines anderen zu dokumentieren suchte, dass er sich den Bewohner dieser Wohnung als einen derzeit Abwesenden erfand, als dessen Majordomus
und Verwalter er figurierte. Obwohl die einzige Tochter, Lucia, es
nach der Scheidung der Eltern ablehnte, beim Vater zu leben, und
ihn jener malinconia solitudine, der melancholischen Einsamkeit, überließ, von der man in seiner Umgebung sprach, rekonstruierte er auch
in der neuen Wohnung im Palazzo Primoli ihr Schlafzimmer – in dem
sie jedoch nie mehr schlafen sollte. Der andere, für den er diese Wohnung plante, hatte eben eine Tochter.
Die Worte des Schriftstellers Ennio Flaiano: „Ich habe alle
Hoffnung in die Zukunft verloren und deshalb begonnen, für die
Vergangenheit Pläne zu machen“, sie hätten ein Lebensmotto von
Mario Praz sein können.
B
REVUE
72
Die Vorstellung,
die Zeit anhalten zu
können, wie der
Prophet Elias den
Lauf der Sonne zum
Stillstand brachte,
muss für Mario Praz
etwas Magisches
gehabt haben.
In Rom, der Stadt
der Gräber, steckte
er in seinen vier
Wänden den Bereich
ab, in dem die Zeit
zur Ewigkeit wird
Mario Praz hat seine
Wohnung als Rekonstruktion
einer geistigen Verfassung
entworfen, als festlichen
Traum. Seine Tochter
sollte ihr Schlafzimmer
(ganz links) nie benutzen
REVUE
73
9 JUL. – 27 SEP.
2015
DOUG AITKEN
SCHIRN
Doug Aitken is represented by
303 Gallery, New York | Victoria Miro Gallery, London | Galerie Eva Presenhuber, Zürich | Regen Projects, Los Angeles
ENCORE
ERLING KAGGE —
—
GR AND PRIX — WERTSACHEN
R
AU KT IO NE N — BL AU K ALENDE
— DER AUGENBLICK
Er war der
erste Mensch,
der unbegleitet
zum Südpol
gewandert ist.
Jetzt hat
Erling Kagge
einen Ratgeber
für angehende
Kunstsammler
geschrieben
FOTO: KRISTINE JAKOBSEN
„ES GEHT DARUM, SICH DAS
LEBEN SCHWERER ZU MACHEN
ALS NÖTIG
ENCORE
75
E
rling Kagge ist in Norwegen eine
Art Volksheld. Der erste Mensch,
der alle drei Pole bezwungen hat:
Nordpol, Südpol und den Gipfel des Mount
Everest. Und ist gleichzeitig ein erfolgreicher
Literatur- und Sachbuchverleger. Was
seinen Landsleuten erst diesen Sommer
bewusst wird: Kagge ist zugleich einer der
profiliertesten Kunstsammler Europas.
Das Astrup Fearnley Museum in Oslo
zeigt gerade Höhepunkte aus seiner
Sammlung. Und pünktlich zur Ausstellung
erscheint sein äußerst unterhaltsamer
Insiderreport A Poor Collector’s Guide to
Buying Great Art, den wir an dieser Stelle
schon einmal uneingeschränkt empfehlen.
Herr Kagge, Sie bezeichnen sich in Ihrem
Buch als „poor collector“. Aber bereits auf
der vierten Seite sieht man Sie am Steuer
eines Rolls-Royce durch Oslo fahren.
Im Journalismus spricht man bei so etwas
von einer Text-Bild-Schere.
– Erling Kagge: (Lacht) Nach gewöhnlichen
Maßstäben bin ich natürlich nicht arm.
Aber verglichen mit den meisten anderen
Menschen, die die gleiche Kunst kaufen
wie ich, habe ich wesentlich weniger Geld.
Ich fand den Titel catchy. Und ich weiß,
dass es da draußen einige Sammler wie mich
gibt, Menschen, die für ihre Leidenschaft
leiden müssen, die ihre Budgets bis aufs
Äußerste und darüber hinaus ausreizen.
Und die sich vieles von dem, was sie lieben,
nicht leisten können. Verglichen mit den
Oligarchen und Hedgefonds-Chefs, neben
denen man dann manchmal auf Kunstmessen steht – Leute, die mehr Geld haben,
als sie je ausgeben können –, fühlt man
sich dann doch relativ arm. Aber es gibt
einen Trost: Die Oligarchen enden meist mit
schrecklich langweiligen Sammlungen.
Nennen Sie uns ein Beispiel.
– Nehmen wir Wiktor Pintschuk, den
Milliardär aus Kiew, der sein Vermögen
damit gemacht hat, seine Landsleute über
den Tisch zu ziehen. Als er vor ein paar
Jahren François Pinaults Sammlungspräsentation in der Punta della Dogana besuchte,
zeigte er ständig auf Werke von Jeff Koons
und rief laut: „Das habe ich! Und das
da auch!“ Es war offensichtlich, dass sich
sowohl White Cube als auch Larry Gagosian
rührend um ihn gekümmert hatten. Deren
Mitarbeiter erzählten mir dann auch, dass
er allein bei diesen zwei Galerien geschätzte
1,5 Milliarden für Koons, Hirst und andere
ausgegeben hatte. Die einzigen Kriterien für
seine Sammlung waren anscheinend „Teuer“
und „Berühmt“.
Sagen Sie uns bitte dennoch, wie Sie zu
Ihrem Rolls-Royce gekommen sind?
– Ich erhielt eine Einladungskarte der
Galerie Grässlin aus Frankfurt für eine
Franz-West-Ausstellung. Auf der Einladung
sah man den Künstler neben einem
Rolls-Royce stehen. Statt der Kühlerfigur
hatte er eines seiner sogenannten Passstücke
montiert, das in diesem wurstartigen Fall
stark an Exkremente erinnerte. Ich war
begeistert und rief die Galerie an, ob ich
die Skulptur kaufen könne. Man sagte mir,
ich müsse sechs davon kaufen, es sei eine
Werkgruppe, für jeden Werktag eine andere
Skulptur.
Sechs Werktage?
– (Lacht) So hieß es. Wir einigten uns also
auf einen Preis. Und erst als ich
die Rechnung bekam, wurde mir
klar, dass ich gerade auch einen
Rolls-Royce gekauft hatte.
Mensch, der unbegleitet zum Südpol
gewandert ist. Und als erster Mensch, der
am Südpol, am Nordpol und auf dem
Mount Everest war. Jetzt scheinen Sie vor
allem mit Expeditionen in die Kunstwelt
beschäftigt zu sein. Sehen Sie ein gemeinsames Muster in beidem oder hat das eine
mit dem anderen nichts zu tun?
– Es gibt in beidem große Ähnlichkeiten.
Ich glaube, wir alle sind, wenn wir auf
die Welt kommen, Entdecker, Forscher,
explorer. Als meine Kinder klein waren,
wollten sie klettern, bevor sie überhaupt
laufen konnten. Jeder fragt sich, wenn
er klein ist, was wohl hinter dem Horizont
sein mag. Für mich geht es bei beidem,
bei den Expeditionen wie beim Kunstsammeln, um Neugierde, Verstehenwollen.
Und darum, sich das Leben schwerer
zu machen als nötig. Wir haben diese
Redewendung im Norwegischen: „am
höchsten Punkt vom Zaun springen“.
Statt am niedrigsten.
So gehen Sie auch beim Sammeln vor?
– Wenn Sie zu sammeln beginnen, wird
man Ihnen immer wieder raten: „Kaufe,
Eine schöne Überraschung.
– In der Tat. Ich nutze ihn als
Sommerfahrzeug. Nur jetzt steht
er gerade im Museum.
Wenn Sie damit unterwegs sind,
schrauben Sie die Skulpturen
ab, wenn Sie irgendwo parken?
– Früher habe ich das nicht
gemacht. Aber jetzt hat mir das
Studio von Franz West Kopien
angefertigt, die ich im Alltag
benutze. Als ich die Arbeit
kaufte, war sie schon ziemlich
teuer. Und in der Zwischenzeit
ist sie zu teuer geworden, um
die originalen Passstücke unbeaufsichtigt auf der Straße stehen
zu lassen.
In Ihrer Heimat sind Sie vor allem
als Abenteurer bekannt. Als erster
ENCORE
76
JANA EULER Needs I, 2013
Acryl auf Leinwand, 140 × 200 cm
„Wenn Sie zu sammeln
beginnen, wird man Ihnen
raten: ‚Kaufe, was dir
gefällt.‘ Doch genau das ist
falsch! Man sollte seinem
eigenen Geschmack immer
zwei Schritte voraus sein“
was dir gefällt.“ Genau das ist falsch. Ich
bin der festen Überzeugung, dass man
seinem eigenen Geschmack immer zwei
Schritte voraus sein sollte. Man sollte
komplizierte Sachen kaufen, Sachen, an
denen der eigene Geschmack wachsen
kann. Große Kunst wirkte meist seltsam,
als sie das erste Mal zu sehen war. Man
muss Risiken eingehen und sozusagen auf
eine schöne Zukunft mit einem Kunstwerk
wetten, das man zum Zeitpunkt des Kaufs
überhaupt noch nicht verstanden hat.
Ein anderer Ratschlag, den Sie als Neuling
oft hören werden: „Schau dir möglichst
viel Kunst an und lies dann alles über
die Kunst, die du kaufen willst.“ Der erste
Teil stimmt. Aber beim zweiten bin ich
schon skeptischer. Du musst einfach
anfangen, Kunst zu kaufen, nicht zu lange
zögern. Du musst Entscheidungen treffen
und dann von ihnen lernen. Ich befolge
eigentlich die gleiche Regel wie damals,
als ich zum Süd- und zum Nordpol
gewandert und auf den Everest gestiegen
bin: Denke voraus, reise leicht und lass
deine Ängste hinter dir.
Was, wenn man ungefähr weiß, welche Art
von Kunst einen reizt?
– Dann wird sich meistens herausstellen,
dass diese Kunst von einer Handvoll
Galerien vertreten wird. Bei mir waren das
in Berlin zum Beispiel die Galerien Neu,
Esther Schipper und Neugerriemschneider.
Sie sollten sich unbedingt mit den Galeristen
anfreunden, sie sind die Hüter des
Schatzes. Seien Sie besser nett zu ihnen.
Nett?
– Sie wissen schon: Seien Sie präsent,
stellen Sie Fragen, beantworten Sie
E-Mails, zahlen Sie Rechnungen sofort,
und wenn Sie gemeinsam im Restaurant
sitzen, bezahlen Sie zur Abwechslung
mal selbst die Rechnung – das ist
immer eine schöne Überraschung
für Galeristen. Wenn Sie ihnen
gegenüber loyal sind und nicht nur
die Werke der dort gerade angesagtesten Künstler kaufen wollen,
wenn Sie immer wieder auch aus
den ersten Ausstellungen der
neuen, jungen Künstler kaufen,
dann werden Sie belohnt.
In Ihrem Buch, das zugleich als
Ausstellungskatalog fungiert und
einen Querschnitt Ihrer Sammlung
zeigt, sieht man ein Gemälde von
Tauba Auerbach aus dem Jahr
2013, als ähnliche Werke bereits
Auktionsergebnisse von über einer
Million Dollar erzielten.
– Das ist es, was ich meine. Man
muss natürlich auch ein bisschen
Glück haben. Aber als ich 2008
Taubas erste Ausstellung im
ERLING KAGGES ROLLS-ROYCE
Standard in Oslo besuchte, da war
ist ein Werk von FRANZ WEST (Rolls-Royce Adaptives, 2007,
alles zu haben, zu kleinen Preisen.
Epoxidharz). Für jeden Werktag hat West eine andere
Ich hätte die ganze Schau kaufen
Kühlerfigur geschaffen
können. Ich habe ein paar Werke
gekauft. Und dann bei der zweiten Ausauch seine Galeristin dazu, Barbara
stellung wieder. Mein letztes Bild habe ich
Gladstone. Es war ein nettes Essen. Und
2013 gekauft. Und das natürlich nicht
wie die Amerikaner so sind, sagte sie,
für eine Million Dollar. Ich habe vielleicht wenn ich nach New York käme, solle ich
150.000 bezahlt und man hat es mir
mich unbedingt melden, sie würde sich
verkauft, weil man wusste, dass ich früh
revanchieren. Eine Woche später besuchte
dabei war und ich es nicht für ein Vielich sie in ihrer Galerie, in der sie gerade
faches auf dem secondary market weitereine Ausstellung mit Nurse-Paintings von
verkaufen würde. Loyalität zahlt sich aus.
Richard Prince vorbereitete. Ich habe
Vor allem Loyalität einer großartigen
hier etwas für Sie, sagte sie und zeigte mir
Galerie gegenüber.
eines der Bilder. Für 50.000 Dollar könne
ich es kaufen.
Sie sprechen etwas an, das manch ein
Kunstmarktbeobachter bigott finden mag.
Und?
Ein guter Sammler verkauft nicht, sagt
– Vier Jahre später habe ich es für fünf man. Vor allem sagen das die Galeristen.
Millionen wieder verkauft. Ich habe
Dass Sie überhaupt so viel Kunst kaufen
das Bild sehr geliebt, aber das Geld noch
können, hängt aber schon damit zusammen, mehr. Steuerfrei, fünf Millionen in Cash
dass Sie einmal zum richtigen Zeitpunkt
auf meinem Konto. Mein Vater sagte dazu
ein Werk verkauft haben.
nur: „Even idiots have birthdays.“
– Ich bin 52 Jahre alt und habe in meinem
Leben drei Werke verkauft.
In der Zwischenzeit waren die Nurse-Paintings
zu einem absoluten Statussymbol unter den
Erzählen Sie uns bitte von Ihrem besten Deal. superreichen Sammlern geworden.
– Matthew Barney hatte einmal
– Genau. Das Beispiel zeigt, dass man mit
eine Ausstellung in Oslo. Ich habe ihn
relativ geringen Mitteln den Abramovichs
zum Lunch eingeladen und dann kam
dieser Welt voraus sein kann.
ENCORE
77
Was haben Sie mit dem Geldsegen
gemacht?
– Alles für Kunst ausgegeben.
Es sind Geschichten wie diese,
die das Spekulieren innerhalb der
Kunstwelt zu einem Breitensport
haben werden lassen. Viele
träumen davon, auch einmal so
viel Glück zu haben.
– Der Kunstmarkt ist eine
Blase. Die Preise werden auch
wieder runtergehen, dramatisch
runtergehen. Heute glauben die
Leute, sie könnten ein Werk für
100.000 Dollar kaufen und es
dann nach ein paar Jahren für
eine Million verkaufen. Es gibt
Beispiele genug, aber es wird
nicht anhalten. Die meisten
Werke, die heute 100.000 Dollar
kosten, werden in fünf oder
zehn Jahren allenfalls noch
50.000 wert sein. Für Leute,
die genug Cash haben, wird der
nächste Kunstmarkt-Crash
fantastisch. Dann wird es wieder
jede Menge hervor ragender
Werke zu fairen Preisen geben.
Für die, die jetzt weniger großartige
Kunst zu sehr hohen Preisen kaufen,
wird es natürlich ein Albtraum.
„Insiderhandel, Kartelle,
Preismanipulation.
Ich genieße, dass es im
Kunsthandel keine
Regeln gibt, nur Deals“
Mit anderen Worten: Wer glaubt, durchs
Kunstsammeln reich zu werden, ist
naiv. Eines sollte man zum Beispiel
nie vergessen: Wenn man ein Werk für
20.000 Dollar in einer Galerie kauft,
dann ist es in dem Moment, wenn
man es zu Hause aufhängt, nur noch
10.000 wert. Ganz einfach weil der
Galerist üblicherweise 50 Prozent
Kommission nimmt. Der wirkliche
Wert des Sammelns ist die Freude, die
einem ein originales Kunstwerk in
den eigenen vier Wänden bereitet.
Hamster? PR. Der legendäre
Galerist Leo Castelli wurde 1966
zu Château Noir befragt, einem
Cézanne-Bild, für das er damals
800.000 Dollar haben wollte.
„Was ist schon ein CézanneHaus in der Mitte einer
Landschaft?“, sagte Castelli.
„Warum sollte es so einen Wert
haben? Weil es ein Mythos ist.
Diese Mythen zu machen,
Material zu entdecken, aus dem
sie sich machen lassen, das ist
die Aufgabe eines Galeristen.“
Mythen können verblassen.
Richard Prince ist, nachdem Sie
Ihr Bild bei Barbara Gladstone
gekauft haben, zu Larry Gagosian
gewechselt. Dort hat er ein paar
Jahre lang sehr, sehr viel produziert
und zu sehr hohen Preisen verkauft.
Und plötzlich war der Mythos
dahin. Ihr Bild wäre schon ein
halbes Jahr später nur noch zwei
WOLFGANG TILLMANS Venus Transit, second contact, 2004
Millionen Dollar wert gewesen.
C-Print, 200 × 145 cm
– Das stimmt. Als man Richard
Prince gefragt hat, wie es sich
anfühle, plötzlich nicht mehr
In Ihrem Buch schreiben Sie, dass der
angesagt zu sein, hat er geantwortet, dass
Kunstmarkt keine Regeln kenne, nur Deals. er ganz glücklich über die nachlassende
– Ich gestehe, ich genieße das. InsiderNachfrage sei. So habe er mehr Zeit, um
handel, Preismanipulationen, Kartelle –
für seine Piloten lizenz zu trainieren,
alles, was einen in anderen Wirtschaftsdie wiederum wichtig sei, da er, wenn er
feldern in den Knast bringen
seinen Privatjet selbst fl iegen
könne viel Geld sparen würde.
würde, ist im Kunstmarkt
könne,
mu
Standard. Das ist die
Da musste
ich sehr lachen.
Realität, auf die man sich als
a Sammler, so schreiben
Sammler einstellen muss.
Aber als
I
Sie in Ihrem
Buch, lieben Sie
Kü
Was macht für Sie einen
gute Künstler,
die gerade nicht hoch
guten Galeristen aus?
im Kurs stehen.
– Sie müssen Ihre Künstler
– Es gibt eine Phase in der
lieben und deren Kunst. Sie
Karriere fast aller Künstler,
müssen verstehen, was es
in der ihr Markt einbricht.
N
braucht, um eine Karriere
Nach
fünf oder zehn
e
aufzubauen. Sie müssen
erfolg
reichen Jahren ist das
I
Leuten wie mir gegenüber
Interesse
der Öffentlichkeit
w
loyal sein, auch weil sie selbstt
weiter
gewandert. Und
en
e lohnt sich wirklich, auf
Loyalität erwarten. Sie müssen
es
dden Day Auctions der
Verkäufer sein. Und gute
st
PR-Leute. Denn was genau ist
MANFRED PERNICE
M
der größte Unterschied zwiUntitled, 2008
Un
schen einer Ratte und einem
Ho
Holz, Farbe, Metall, Seil
189 × 110 × 110 cm
18
ENCORE
78
R Restricted
CEAL FLOYE
aß
Area, 2006, M
e variabel
Auktionshäuser nach ihnen Ausschau zu
halten, wo die Preise dann plötzlich
niedriger sind als in den Galerien. Man
kann dort für wenig Geld immer wieder
wichtige Werke von Künstlern kaufen,
die in Museumssammlungen sind, die große
Ausstellungen hatten. Und bei denen
es nur eine Frage der Zeit ist, bis die
Aufmerksamkeit des Publikums
wieder zurückkommt. Denken Sie
nur an Günther Förg, was für fantastische Arbeiten Sie noch vor zwei,
drei Jahren kaufen konnten. Jetzt ist
es natürlich zu spät. Aber das
Schöne ist: Jeden Tag verlassen
Züge den Bahnhof – die Kunstwelt
ist voller Möglichkeiten.
Man sieht Sie auf den wichtigsten
Messen, bei Ausstellungseröffnungen.
Sie scheinen sehr sozial zu sein.
Ich bringe das nicht recht mit
dem Erling Kagge zusammen,
der 50 Tage und 50 Nächte allein
zum Südpol gewandert ist.
– Für alles im Leben gibt es eine
Zeit. Manchmal glaube ich, dass ich
den Trubel der Kunstwelt noch
mehr als andere genießen kann,
eben weil ich das absolute Gegenteil
kenne: die totale Einsamkeit.
Ich liebe es, mit Leuten zu sprechen,
und ich liebe es, allein zu sein.
Abwechslung ist gut, ich möchte
in meinem Leben möglichst viele
verschiedene Erfahrungen machen.
Aber die Zeiten Ihrer großen Expeditionen
sind vorbei.
– In diesem Sommer werde ich mit
einem Freund von Spitzbergen aus nach
Kvitøya, der „Weißen Insel“, segeln.
Dann werden wir die Insel auf Skiern
durchqueren. Das ist jetzt nicht unbedingt
mit einer Wanderung zum Südpol zu
vergleichen, aber es ist ähnlich kalt. (Lacht)
Stimmt es, dass Sie vor gar nicht allzu langer
Zeit New York von der Bronx bis zur
Südspitze von Manhattan durchquert
haben, und zwar ausschließlich unter
Tage, in Wasser- und Abwasserkanälen,
in Zug- und U-Bahntunneln?
– Nun, nachts sind wir hochgekommen,
um Essen zu kaufen und auch um von
einem Tunnel oder Kanal in einen anderen
zu wechseln.
urban explorer. Und wir beschlossen,
gemeinsam von der North Bronx aus
loszumarschieren.
Nur um das zu verstehen: Sie sind meilenweit durch Flüsse voller Urin und Exkremente
gewatet.
– Ja, auch das. Wir hatten so Wathosen
an, aber manchmal waren wir auch bis auf
die Haut durchweicht.
Hatten Sie keine Angst vor
Infektionen?
– Doch, hatten wir. Gerade weil
wir immer wieder Kratzer und
kleinere offene Wunden hatten.
Aber wir haben es gesund überstanden.
Es muss doch schrecklich gestunken
haben dort unten.
– Wissen Sie, ich habe drei Kinder
und der Gestank von vollen
Windeln ist manchmal schlimmer.
ANN CATHRIN NOVEMBER HØIBO Untitled, 2014
Handgesponnene Wolle, Nylon und Jersey, 210 × 182 × 15 cm
Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?
– Ich habe einen Freund, der Menschen
hilft, die in New York unter Tage leben.
Oft sind es psychisch kranke Menschen,
aber auch ganze Familien. Er ermutigt
sie, heraufzukommen, auch um sich
behandeln und sich helfen zu lassen. Das
hat mich sehr fasziniert, dass es unter
einer Stadt wie New York eine menschengemachte Wildnis gibt, in der tatsächlich
Menschen leben. Und dann traf ich
diesen Mann namens Steve Duncan, einen
ENCORE
79
Und haben Sie dort unten Menschen
kennengelernt?
– Natürlich nicht in den Abwasserkanälen, aber in den anderen
Gängen. Auch neben den Bahngleisen haben wir immer wieder
Leute getroffen, die dort leben. Eine
Frau, die wir kennengelernt haben,
lebt seit 1982 unter Tage. Sie kommt
nur nachts kurz hoch, um Essen
und Drogen zu organisieren, und
verschwindet dann wieder durch
einen Gullideckel. Als wir erfahren
haben, dass sie Geburtstag hatte,
sind wir hoch und haben eine große
Cremetorte und Drinks besorgt.
Und?
– Es wurde eine wahnsinnig gute Party.
INTERVIEW: CORNELIUS TITTEL
A POOR COLLECTOR‘S GUIDE TO BUYING GREAT
ART IST IM GESTALTEN VERLAG ERSCHIENEN
LOVE STORY – WORK FROM ERLING KAGGE’S
COLLECTION IST NOCH BIS ZUM 27. SEPTEMBER
IM ASTRUP FEARNLEY MUSEUM IN OSLO
ZU SEHEN
WERT
SACHEN
—
ERLING KAGGE
—
ERTSACHEN
—
W
GRAND PRIX
— BL AU K ALENDER
A U K TI O N EN
— DER AUGENBL ICK
Was uns gefällt: Highlights
und Abseitiges aus dem Angebot
des Kunsthandels
GOOD
OLD
TIMES
SOMMER IN SALZBURG
Horst P. Horst? Wer kennt diesen Mann? Der Fotograf ist
immer noch nicht so berühmt wie seine Bilder, obwohl er 2014
eine große Retrospektive im Victoria & Albert in London hatte.
Sein Porträt von Salvador Dalí hat jeder schon einmal gesehen.
Die Galerie Johannes Faber zeigt
das bekannte Licht-und-SchattenMotiv Mainbocher Corset (pink
satin corset by Detolle), Paris, 1939,
auf der Art Salzburg, einer kleinen,
lohnenswerten
Kunst- und
Antiquitätenmesse
in der Salzburger
Residenz.
Sie ist mehr als
Begleitprogramm
der Festspiele.
SWKA
PATRIOT
Art Salzburg
15. – 24. August
bei Johannes Faber
in Wien
PENG!
Im Sommer, wenn die Auktionshäuser
Urlaub machen, erwacht der Kunsthandel
in vielen kleinen Städten, in der Altstadt
von Bamberg zum Beispiel bei den Kunstund Antiquitätenwochen. Bei Senger ist
diese Jagdszene nur Beiwerk zum
wertvollen Hammerklavier (rechts).
ENCORE
80
Do it for the kids –
Benefizauktion
15. Juli bei Bonhams
in London
HT
C
U
S
GE
!
Als Take That noch
auf dem Fernsehbildschirm turnten,
galt auch die Reise
zum Mond noch
etwas. Robbie
Williams versteigert
jetzt seinen MTV
Europe Music Award
von 1994 für einen
guten Zweck: für das
Donna Louise
Children’s Hospice.
Die Trophäe ist auf
2.800 bis 4.100 Euro
geschätzt. WOE
Vor ein paar Jahren
widmete erst das
Berliner Kunstgewerbemuseum
David Roentgen eine
glanzvolle Ausstellung,
bald darauf das Metropolitan
Museum. Die Ethik des Protestantismus
und der Geist des Kapitalismus, wie Max
Weber sie beschrieb, trafen sich im Aufstieg der
Roentgen-Manufaktur. Was geschlossen aussieht
wie ein Bureau Plat im strengen Geschmack des späten
18. Jahrhunderts, entpuppt sich als Hammerklavier der modernsten Art. Über der Tastatur findet sich die stolze Gravur der
Designer-Künstler-Unternehmer: „Roentgen et Kinzing à Neuwied
sur le Rhin“. Kinzing war Uhrmacher und Instrumentenbauer.
Das Hammerklavier ist eine technische Glanzleistung, es ist spielbar über fünf Oktaven. Von den insgesamt sechs Objekten dieser
Art weiß man fünf längst in Museen. Das jetzt von Senger in
Bamberg angebotene sechste kommt aus einer aristokratischen Sammlung im Süden. Man wünscht sich,
dass sich in Deutschland
Senger Kunsthandel
ein Sammler oder
21.
Juli – 21. August
Mäzen findet.
Bamberger
Kunst- und
MICHAEL STÜRMER
Antiquitätenwochen
EINE AUSWAHL der BLAU-REDAKTION
AUKTIONEN
30. JUNI
PHILLIPS IN LONDON Gegenwartskunst
30. JUNI / 1. JULI
SOTHEBY’S LONDON Gegenwartskunst
FREUDS
G
GESCHENK
1. JULI
NAGEL STUTTGART Kunst und Antiquitäten
1. / 2. JULI
SOTHEBY’S LONDON Gegenwartskunst
3. / 4. JULI
VILLA GRISEBACH BERLIN Sammlung Rohde-Hinze
7. – 10. JULI
CHRISTIE’S LONDON Auktionswoche mit alten Meistern,
Gemälden und Zeichnungen, Präraffaeliten, britischer Kunst
8. – 9. JULI
SOTHEBY’S LONDON Auktionstage mit
alten Meistern, Gemälden und Zeichnungen, britischer Kunst
15. JULI
SOTHEBY’S LONDON Viktorianische Kunst, Präraffaeliten,
britischer Impressionismus
15. JULI
BONHAMS LONDON Benefizauktion
für das Kinderhospiz: Robbie-Williams-Memorabilia
MESSEN
UND FESTIVALS
21. JULI – 21. AUG. BAMBERGER KUNST- UND ANTIQUITÄTENWOCHEN in den Kunsthandlungen der Stadt
15. – 24. AUG. ART SALZBURG Kunst und Antiquitäten
17. – 20. SEPT. ABC – ART BERLIN CONTEMPORARY
17. – 20. SEPT. EXPO CHICAGO Gegenwartskunst
24. – 27. SEPT. VIENNACONTEMPORARY in Wien: Gegenwartskunst
22. – 25. OKT. FIAC in Paris: Klassische Moderne bis zur Gegenwartskunst
28. OKT. – 1. NOV. HIGHLIGHTS IN MÜNCHEN
Kunst und Antiquitäten
6. – 8. NOV.
ARTISSIMA in Turin: Gegenwartskunst
12. – 15. NOV. PARIS PHOTO Fotografie
18. – 22. NOV. COLOGNE FINE ART & ANTIQUES
Kunst und Antiquitäten
3. – 6. DEZ.
ART BASEL MIAMI BEACH Klassische Moderne
bis zur Gegenwartskunst
Die sechs Mitford-Schwestern
sind in England Legende, wie
bei uns die Familie Mann. Nancy wurde Schriftstellerin, Diana
heiratete den Faschistenführer Englands, Unity wurde HitlerFreundin. Susanne Kippenberger hat jüngst eine tolle Biografie
über Jessica geschrieben. Die Jüngste, Deborah, wurde Herzogin
und bekam sechs Kinder. Was das mit Lucian Freuds EierGemälde zu tun hat? „Debo“ und der Künstler waren enge
Freunde. Er schenkte ihr 2002 Four Eggs on a Plate. Deborah
Mitford posierte gern bis ins hohe Alter mit ihren Hühnern.
Als Kind verkaufte sie deren Eier an ihre Mutter, um sich etwas
zu verdienen. Die letzte der Mitfords ist 2014 im Alter von
94 Jahren gestorben. Das Gemälde von Lucian Freud ist auf
138.000 bis 207.500 Euro geschätzt. SWKA
Die wahre Mona Lisa
von JULI bis DEZEMBER
14. – 18. OKT. FRIEZE LONDON & FRIEZE MASTERS
Alte Meister bis Gegenwartskunst
Gegenwartskunst
1. Juli bei
Sotheby’s in London
120 Jahre ist es her, dass man diese Schlafende, gebettet in
Bleistift- und Kreisestriche, zum letzten Mal sah. Damals war sie
in einem Kunstmagazin abgebildet, seither galt sie als verschollen.
Das Motiv weckt Erinnerungen an ein Gemälde, das zuweilen
als „Mona Lisa der südlichen Hemisphäre“ beschrieben worden
ist: Lord Leightons Flaming June aus dem Jahr 1895. Eine
langgliedrige, schöne Frau mit unendlich wucherndem roten
Haar, blanken Brüsten und einem feurigen orangefarbenen
Ölfarben-Kleid beobachten wir im erschöpften Schlaf. Unsere
Abbildung zeigt eine Studie zum Gemälde. Wieder aufgetaucht
ist sie jetzt an der Schlafzimmerwand von Mary,
Herzogin von Rox burghe, in
ihrem West Horsley Place.
Es ist die einzige bekannte
Kopfstudie für eines der
bekanntesten Meisterwerke des
19. Jahrhunderts. Das Blatt
ist bei Sotheby’s auf 55.000
bis 83.000 Euro geschätzt,
was einigermaßen moderat
erscheint – erst recht wenn
man sich entscheiden müsste
Viktorianische Kunst, Präraffaeliten
zwischen diesem Werk und
und britische Kunst
einem Druck von Banksy. SWKA
15. Juli bei Sotheby’s
in London
ENCORE
81
ESSAY
BUY NOW
Online ist das
Geschäft von
heute – bald auch
für die Galerien?
ERLING KAGGE —
—
ERTSACHEN
GRAND PRIX — W
— BL AU K ALENDER
A U K TI O N EN
— DER AUGENBL ICK
AUF PINTEREST:
Die Mary Boone Gallery
hat Barbara Krugers
Untitled (I shop therefore
I am) von 1987 gepostet
O
b sie will oder nicht, Kunst ist an den Veränderungen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens beteiligt. Lange, vielleicht viel zu lange
gingen digitale Debatten an der Kunst vorbei. Diskutiert wurde nur über
kostenlose Musik oder Texte. Die Aura der Kunst, die Walter Benjamin als deren wahres Sein
beschrieben hat, lässt sich nicht downloaden. Also glaubte man das Werk im Original gesehen
haben zu müssen, bevor man es erwerben dürfe. Mittlerweile wächst der Kunst-Onlinehandel
unaufhaltsam. Die Nachricht des Frühjahrs war, dass Sotheby’s sich mit eBay zusammengetan
hat, um Versteigerungen im Internet anzubieten. Die letzte Meldung nun vor wenigen Tagen:
Simon de Pury, Auktionator und ehemaliger Besitzer von Phillips de Pury (heute Phillips), hat
ein Single-Owner-Auktionshaus im Netz eröffnet, das sich auf Kunst aus bekannten Sammlungen spezialisieren will. Die erste Versteigerung im Oktober umfasst 400 Lose des Besitzers der
belgischen Banque Lambert. Das Onlinegeschäft, das vielen so vulgär vorkam wie ein Werbeaufkleber, auf dem „Kauf mich, dann bist du wer“ steht, belebt sich. Auch die Galerien werden
Anschluss finden. In den vergangenen Jahren hörte man oft von den sogenannten JPEGMitarbeitern, die in den Galerien damit beschäftigt sind, Kunden die neuesten Abbildungen per
Mail zu senden. Dann versuchte man sich an Onlinemessen wie der VIP Art Fair, die nach zwei
Ausgaben scheiterte. Inzwischen freilich betrachten nicht nur Leute ohne viel Kaufkraft Kunst
bei Instagram oder Pinterest – dort wimmelt es von Galeristen, Künstlern und Sammlern. Jetzt
hat Pinterest es der Konkurrenz vorgemacht und in den USA einen Buy now-Button eingeführt.
Facebook entwickelt Ähnliches und wirbt damit schon auf der deutschen Website. Pinterest
basiert auf aufwendigen Datenbanken, die sich merken, was den surfenden Flaneuren gefallen
hat. Die Kunst kann man sich dort in Sammelalben zusammenstellen. Bei jedem Besuch wird
einem eine neue Auswahl nach dem eigenen Geschmack und Stil vorgeschlagen. Was fürs Modeshopping wie ein Paradies klingt, scheint für die Kunst ein Albtraum. Oder doch nicht? Ein Blick
auf die Pinterest-Seite der Londoner Tate Modern mit Werken von Alberto Giacometti bis
Ellsworth Kelly und man wünscht sich, dass die Algorithmen so schlau sind und sich merken,
was man hier „gepinnt“ hat. Und dass das System bald ähnlich qualitätsvolle Bilder aus den
Programmen der weltweit vertretenen Galerien für Gegenwartskunst zusammensucht und nach
oben zaubert – dann auch gern mit Buy now-Button.
SWANTJE KARICH
ENCORE
82
FONDATION BEYELER
31. 5. – 6. 9. 2015
RIEHEN / BASEL
www.fondationbeyeler.ch
AVATAR
UND ATAVISMUS
Kunsthalle DÜSSELDORF
22.08. bis 08.11.
Als um 1980 der Körper in
die Kunst zurückkehrte, war er
versehrt. Nach Jahren der
Abstraktion und Konzeptualität,
die als Errungenschaften der
Moderne galten, tauchten plötzlich
vereinzelte Köpfe, Hände und
andere Gliedmaßen auf sowie
Tiere und merkwürdige animistische Elemente. Man kann diese
Tendenz mit Claude Lévi-Strauss’
Idee vom „Wilden Denken“
auf den Punkt bringen: Instinkt
statt Ratio, Kosmos statt Kalkül,
Energien und Kräfte, wie
höchstens Urvölker sie noch
kennen, wurden auf einmal
wieder interessant, Obsession,
Narration und Ironie wieder
möglich, die Outsiderkunst
rückte neu ins Blickfeld. Nun hat
der Kurator Veit Loers in
der Kunsthalle Düsseldorf eine
Ausstellung kuratiert, die um
die Idee der Archetypen und ihrer
künstlerischen Ausformungen
kreist: In den 80er-Jahren stehen
dafür u. a. Siegfried Anzinger,
Walter Dahn und Jiří Georg
Dokoupil. Danach folgen
maskenartige Gebilde wie die
Lemurenköpfe von Franz West und
Rosemarie Trockels gestrickte
Balaklava. Heute führen Sarah
Lucas, Kai Althoff, Thomas Zipp,
Danh Vō, Justin Matherly und
Eva Kotátková die
Linie fort. Ergänzt
um Arbeiten von
Outsiderkünstlern,
die hauptsächlich
in Kliniken leben,
wird daraus ein
Schattenspiel der
jüngeren Kunstgeschichte.
BLAU
K ALENDER
—
ERLING KAGGE
—
ERTSACHEN
GRAND PRIX — W
— BL AU K ALENDER
A U K TI O N EN
— DER AUGENBL ICK
Unsere TERMINE im Juli und August
NICHOS
MANGAN
CHISENHALE GALLERY, LONDON
03.07. BIS 23.08.
JOSEPH CORNELL
Untitled ( Tilly Losch ), ca. 1935 – 38
JOSEPH CORNELL WANDERLUST
Royal Academy LONDON
04.07. bis 27.09.
Er kam kaum
einmal aus seinem
New Yorker Stadtteil
Queens heraus,
dafür ist er viel auf
Fantasiereise
gewesen: Joseph
Cornell, der
Außenseiter unter
den amerikanischen
Künstlern des
20. Jahrhunderts.
Man muss nahe
herantreten an seine
Wandkästen und
kleinen Vitrinen, um
in die verwunschene
Welt einzudringen,
die sich hinter
den Glasscheiben
verbirgt. Dabei hat
Cornell mit schöner
Widerständigkeit
gegen die surreale
Verklärung des
Unbewussten seine
Assemblagen stets
„Konstruktionen“
genannt. Und
vielleicht liegt da
auch der
unver wüstliche Reiz
dieser Arbeiten:
dass ihrer Poesie so
ganz der Stolz des
genialisch Zufälligen
fehlt. Da sitzt,
so denkt man, ein
versonnener
Baumeister vor
seinen Dingen,
stellt sie zu
Bühnenbildminiaturen zusammen
und überlässt es
uns, uns die Stücke
dazuzuträumen.
GÜNTHER FÖRG
Maske, 1990
ENCORE
84
Seit geraumer Zeit fällt immer wieder das Wort
„Anthropozän“. Es bezeichnet das Zeitalter, in
dem wir leben – genauer gesagt seit wir mit dem
Abwurf der ersten Atombombe dem Erdball
unseren unlöschbaren Fußabdruck aufgedrückt
haben. Nicht wenige jüngere Künstler reagieren
darauf, thematisieren die Widersprüche zwischen
Natur und Zivilisation, beschäftigen sich mit
Umweltzerstörung oder beteiligen sich mit ihren
Mitteln an der Suche nach natürlichen Energieressourcen. Der Australier Nicholas Mangan
interessiert sich vor allem für die sozialen Auswirkungen ökonomischer Prozesse. Auf der letzten
New York Triennial nahm er die winzige Pazifikinsel
Nauru ins Visier, die drittkleinste Nation der Welt.
Durch Phosphatminen kam sie zu Reichtum, wurde
Steuerparadies und Knotenpunkt für Geldwäsche.
Seine neue Filminstallation, Ancient Lights, kreist
um die Sonne und kreuzt dabei Themenfelder
wie aztekische Kolonialgeschichte, Solarenergie,
NASA-Forschung, Revolutionstheorie und Dendrochronologie (Datierung anhand von Baumjahresringen). Auch an die Energiequellen seiner
Ausstellung hat er gedacht: Solarzellen auf dem
Dach liefern den Strom für Licht und Projektoren –
der Galerieraum wird zum geschlossenen System.
NICHOLAS MANGAN
Ancient Lights, 2015
DOUG AITKEN
EUROPÄISCHE
GEISTER –
DIE PRÄSENTATION
VON KUNST
AUS AFRIKA IM
20. JAHRHUNDERT
KUNSTMUSEUM
AAN ZEE,
OOSTENDE,
04.07. – 03.01.2016
Foto aus dem Buch
Iskusstvo Negrov, 1913
Es war der Theoretiker des
Kubismus Guillaume Apollinaire,
der 1908 den Louvre aufforderte, seine hehren Museumssäle auch der Stammeskunst
aus Afrika zu öffnen. Seither
hat es nicht an bedeutenden
Versuchen gefehlt, auf der
westlichen Kunstbühne zu
rehabilitieren, was als Kunst
lange verkannt worden war.
Und doch, eine Spur Kolonialherrengesinnung hat auch
die nobelsten Anstrengungen
begleitet. Vielleicht scheitert
ja jede museale Begegnung mit
der afrikanischen Kultur an
der Unvereinbarkeit der Begriffe
und Erfahrungen. Die Ausstellung untersucht anhand von
Objekten traditioneller und
zeitgenössischer Kunst und
von Dokumenten und Publikationen den Wandel der Afrikabilder im 20. Jahrhundert,
entwirft eine Geschichte, die
unentschieden, unentscheidbar
schwankt zwischen ästhetischer
Verzauberung und ethnografischer Korrektheit.
SCHIRN KUNSTHALLE
09. JULI – 27. SEPTEMBER
Doug Aitkens Filme sind wie Wellenreiten:
Sie tragen einen rhythmisch und rauschhaft davon, erfassen sämtliche Sinne.
Naturgewalten und Zivilisationsvehikel
verschmelzen zu einer Dynamik.
Da überrascht es nicht, dass der Künstler,
Jahrgang 1968, in Los Angeles lebt. Durchdringender Sound und raumspezifische
Skulpturen begleiten seine bewegten
Bildwelten, mit denen er schon ganze
Museumsfassaden bespielt hat. Nicht selten
arbeitet Aitken
über mehrere
Räume verteilt,
sodass man
nicht bloß
Filme sieht,
sondern eine
KörpererDOUG AITKEN
fahrung macht,
Oben: Migration (Empire),
als liefe man durch
2008; Unten: Sunset
ein Kaleidoskop.
(Black and White), 2011
Bekannt wurde
Aitken 1999 auf der Biennale von Venedig,
als er für seine Arbeit Electric Earth,
ein Porträt eines jungen Mannes im urbanen
Niemandsland, den Goldenen Löwen
erhielt. Traumartige Narrationen
prägen seitdem seine Bildsprache,
die immer wieder in neue, unbekannte
Bereiche vordringt. Zuletzt schickte
er einen Zug als mobiles Museum
durch die USA, in dem Filme, Musik
und Performances von Künstlerkollegen an jeder Station wechselten.
Nun zeigt die Frankfurter Schirn
Kunsthalle eine Überblicksschau.
Auch sie wird sich nicht auf die
Ausstellungsräume beschränken,
sondern weit über sie hinausreichen.
ENCORE
85
Menschliches,
Allzumenschliches
Lenbachhaus MÜNCHEN
22. JULI – 31. DEZEMBER
NEUE SACHLICHKEIT: ES WAR DIE MODERNE DER
20ER-JAHRE IN DEUTSCHLAND. EINE MALEREI DER
STÄDTE, DER BIZARREN LEBENSWIDERSPRÜCHE,
DIE DIE EPOCHE NACH DEM ERSTEN WELTKRIEG
PRÄGTE. DIE AVANTGARDISTISCHEN EXPERIMENTE
HATTEN IHRE FASZINATION VERLOREN, DIE MALER
KEHRTEN ZUM GEGENSTAND ZURÜCK, DER UMSO
VERWUNDERLICHER ERSCHIEN, JE SCHÄRFER MAN
IHN ISOLIERTE, JE KONZENTRIERTER MAN AUF IHN
BLICKTE. VOR ALLEM OTTO DIX HAT DIESE ART DER
DINGBETRACHTUNG AUCH FÜR SEINE PORTRÄTS
GENUTZT UND MIT IHNEN EINE HEISSKALTE TYPOLOGIE DER EPOCHE GELIEFERT. SEINE LEIDENSCHAFTLICHE NIETZSCHE-LEKTÜRE GIBT DER
MÜNCHNER AUSSTELLUNG TITEL UND PROGRAMM.
MENSCHLICHES ALLZUMENSCHLICHES PRÄSENTIERT
DEN LANGE ZEIT NUR IN
KLEINEN TRANCHEN GEZEIGTEN BESTAND AN
NEUER SACHLICHKEIT,
DEN DAS LENBACHHAUS
BESITZT. ER GEHÖRT
ZU DEN BESTEN IN
DEUTSCHLAND.
Oben:
HERBERT PLOBERGER
Selbstbildnis mit ophtalmologischen
Lehrmodellen, um 1928 – 30
Unten:
GEORGE GROSZ,
Mann und Frau, 1926
ART SPACE
PYTHAGORION
Aleksandra Domanović
20.07. bis 10.10.
Der Art Space im Hafen der
griechischen Insel Samos: Jeden
Sommer wird ein Künstler
hierher eingeladen, sich mit dem
Ort zu befassen. In diesem Jahr
ist es die Künstlerin Aleksandra
Domanović. Unter der Militärdiktatur in den 70er-Jahren war
das Gebäude ein Hotel, das
bald leer stand und verwahrloste
Kriminelle anzog. Vor drei
Jahren wurde ein White Cube
daraus. Vom Art Space blickt
man hinüber zur türkischen
Küste. Immer wieder begeben
sich von dort Menschen auf
eine lange Reise: Sie flüchten
in Booten in Richtung Europa,
in der Hoffnung auf ein
besseres Leben. Aleksandra
Domanović, 1981 in Serbien
geboren, kennt das Thema
Flucht. Sie lässt deswegen auf
Samos das Marina Lučica in
Split wieder aufleben, wo sie
1990 mit ihrer Familie den
Sommer verbrachte. Einen Tag
nach ihrer Abreise begannen
die Unruhen, die zum Bürgerkrieg führten. Im Art Space
wird Domanović in einer
nachgebauten Empfangshalle
Tito-Porträts, Videoarbeiten,
Skulpturen und Recherchematerialien zeigen, die an
Jugoslawien erinnern.
KARL
BLOSSFELDT
Pinakothek
der Moderne
MÜNCHEN
24.07. BIS 25.10.
—
ERLING KAGGE
—
ERTSACHEN
GRAND PRIX — W
— BL AU K ALENDER
A U K TI O N EN
— DER AUGENBL ICK
A
D
I
L
L
Y
PH BARLOW
KUNSTMUSEUM ST. GALLEN
22.08 BIS 08.11.
K ARL BLOSSFELDT
Blumenbachia hieronymi (1915 –26)
Blütenformen
entlangzufahren und
dabei das Ornamentale zu entdecken,
die ästhetische Regel.
Großzügig sah
Blossfeldt über
launisches Wachstum
hinweg und erkor
die Natur zu einer Art
Bauhaus-Lehrerin
für Gestaltung,
die mit ihren wieder
kehrenden Geometrien „Urformen
der Kunst“ liefert.
Sein gleichnamiges
Mappenwerk sollte
bei seinem Erscheinen 1928 zu einem
Grundbuch der
Neuen Sachlichkeit
werden.
Der ART SPACE PYTHAGORION
auf SAMOS
ENCORE
86
PHYLLIDA BARLOW
Oben: Untitled (Bound tubes), 2011
Unten: Untitled (Columns), 2010
Er war kein Naturschwärmer, der
Pflanzenfotograf
Karl Blossfeldt, und
er machte sich mit
seiner selbst gebauten Plattenkamera
auch nicht noch
einmal auf die Suche
nach der blauen
Blume der Romantik.
Was ihn faszinierte,
war weniger die
plastische Fülle einer
Duftrose. Sein starrer
Kamerablick ruhte
lieber auf den zu
Voluten gebogenen
Blattspitzen eines
Rittersporns. Und
seine konturenscharfen Nahaufnahmen wollten
das Auge verleiten,
in aller Geduld
an den Silhouetten
der Blatt- und
Phyllida Barlow macht Sperrkunst. Raumbesetzungsskulptur. Hindernisbildhauerei.
Das mag beim einen oder anderen den Verdacht nähren, die bunte Materialgewalt wolle
bloß mundtot machen. Man kann sich aber
auch auf die Großinszenierungen einlassen
und um die aufgetürmten Gebilde aus
besprayten und bemalten Metallteilen, Stoffresten und Holzpaletten herumturnen, die
aussehen, als würden sie jeden Moment
umfallen oder von der Decke stürzen. Was so
monumental aussieht, sich mit Knallfarben
und -formen erst einmal wichtig macht, wird
von der britischen Künstlerin zum Großteil am
Ende der Ausstellung wieder zerstört. Barlow,
Jahrgang 1944, lebt in London. Studiert hat
sie dort in den 60er-Jahren im Umfeld von
Konzeptkunst und Performance. Doch damals
wurde ihre Arbeit kaum wahrgenommen.
Auch später in den 90er-Jahren, als es in der
Kunst um private Erzählungen ging, fiel sie
aus dem Rahmen. Denn ein persönliches
Statement ist es gerade nicht, wie Phyllida
Barlow mit Stahlstreben, Betonpollern,
Eierkartons und Holzpaletten temporäre
Skulpturen baut. Ihre Kunst zielt auf den
starken sinnlichen Eindruck und passt
vielleicht deshalb ganz gut in unsere
und mehr noch zu unserer Zeit.
Olafur Eliasson, Colour experiment no. 51, 2013, Photo: Jens Ziehe
Olafur Eliasson
Werke aus der Sammlung Boros
1994 – 2015
Langen Foundation
18. April – 18. Oktober 2015
Langen Foundation
Raketenstation
Hombroich 1
41472 Neuss
art berlin contemporary
17–20 September 2015
Station-Berlin
Luckenwalder Straße 4 – 6
10963 Berlin
www.artberlincontemporary.com
BILDNACHWEISE
Nr. 3 / Juli – August 2015
TITEL Sammlung Robert Funcke Kunsthandel, Neu-Isenburg.
Courtesy of Sprüth Magers. EDITORIAL S. 5: Yves Borgwardt
für BLAU. INHALT S. 7 M. o.: © Estate of Joan Mitchell. Image
Courtesy of the Joan Mitchell Foundation and Cheim & Read
Gallery, New York. S. 7 l. u.: Foto: Keystone Schweiz/laif. S. 8 o.:
Courtesy of the artist and Galerie Daniel Buchholz, Cologne/
Berlin. S. 8 l. u.: Foto: Peter Kaaden für BLAU. S. 8 r. u.: Foto:
Massimo Listri. CONTRIBUTORS S. 10 o.: Foto: Manfred Witt/
Visum. S. 10 u.: Foto: Isolde Ohlbaum/laif. ESSAY Courtesy of
Friedrich Christian Flick Collection. © Estate of Martin
Kippenberger, Galerie Gisela Capitain, Cologne. APÉRO S. 16 l. o.,
S. 16 l. u.: Courtesy of Fondation Cartier. S. 16 r. o.: Courtesy of
the artist. S. 16 r. u.: Courtesy of the artist and Hauser & Wirth.
S. 17 o.: Foto: Simeon Johnke. S. 17 u.: Courtesy of the artists and
Fiorucci Trust. Foto: Anna Blessman. DICHTER DRAN Emanuel
Hoffmann-Stiftung, Depositum in der Öffentlichen Kunstsammlung Basel. Foto: Martin P. Bühler, Öffentliche Kunstsammlung
Basel. O-TON Foto: Dominik Butzmann/laif. SCHNELLSTE
SKULPTUREN Foto: Porsche. UM DIE ECKE Fotos: S. 20 bis
22: Vitus Saloshanka für BLAU. BLITZSCHLAG S. 24 o.:
Markus Burke für BLAU. S. 24 u.: Foto: Archiv Roland Berger.
INTERVIEW THOMAS SCHÜTTE S. 26, S. 28: Albrecht Fuchs
für BLAU. S. 27: Foto: Nic Tenwiggenhorn. PORTRÄT JOAN
MITCHELL S. 30/31: Private Collection. © Estate of Joan Mitchell.
S. 32/33: Collection of the Joan Mitchell Foundation
Archives. Photo by Barney Rosset. S. 34: Collection of the Joan
Mitchell Foundation, New York. © Estate of Joan Mitchell.
Images Courtesy of the Joan Mitchell Foundation and Cheim
& Read Gallery, New York. S. 35: Collection of the
Albright–Knox Art Gallery; Gift of Seymour H. Knox, Jr., 1958.
© Estate of Joan Mitchell. Foto: Scala Archives, Firenze.
S. 36 o.: Collection of the Museum of Modern Art, New York.
© Estate of Joan Mitchell. Foto: Scala Archives, Firenze.
S. 36 u.: Collection of the Museum of Modern Art, New York.
Gift of the Estate of Joan Mitchell. © Estate of Joan Mitchell.
Foto: Scala Archives, Firenze. S. 37: Foto: Rudy Burckhardt.
Courtesy of Tibor de Nagy Gallery, New York. S. 38/39, S. 40,
S. 42: © Estate of Joan Mitchell. Image Courtesy of the Joan
Mitchell Foundation and Cheim & Read Gallery, New York.
S. 43: © The Robert Mapplethorpe Foundation. Used by permission of Art + Commerce. KLEINE MUSEEN S. 44/45: Foto:
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Hamilton Finlay. Garden design: Sue Finlay. S. 46 l. u.: pa
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F-H. S. 46 r. u.: Foto: Gaby Gerster. S. 47 l. o., S. 47 r. o.: Refik
Anadol/Innocence Foundation. S. 47 u.: Foto: Peter Ross. S. 48
l.: Museum Gipsoteca Antonio Canova, Possagno (Treviso), Italy. S. 48 r. o.: Foto: Richard Bryant/Arcaid/laif. S. 48 M. r.: Foto:
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© Kunstsammlung NRW. S. 49 l., S. 49 r.: Foto: Peter Koijmann/
Museum Van Loon. S. 49 r. u.: News Pictures/all4prices.
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Magers. S. 53: Foto: Peter Kaaden für BLAU. S. 54: Courtesy of
Sprüth Magers. Foto: Jochen Arentzen. S. 55: Courtesy of
Sprüth Magers. Foto: Mareike Tocha. S. 56/57: Courtesy of
Sprüth Magers. S. 58: Fotos: Peter Kaaden für BLAU. S. 59:
Courtesy of Sprüth Magers. PORTRÄT NAIRY BAGHRAMIAN
S. 60: Foto: Olaf Jackel. S. 61: Courtesy of Art Institute of Chicago.
S. 62 o.: © 2013 SculptureCenter, New York. Foto: Jason
Mandella. Courtesy of Galerie Buchholz, Berlin/Cologne. S. 62
M.: Courtesy of Heins Schürmann Collection, Herzogenrath.
Courtesy of the artist and Daniel Buchholz, Berlin/Cologne.
S. 62 l. u.: © Nairy Baghramian. Fotos: Kunsthalle Mannheim,
Cem Yücetas. S. 62 r. u.: Courtesy of the artist and Daniel Buchholz, Berlin/Cologne. S. 63: © 2013 SculptureCenter, New
York. Foto: Jason Mandella. Courtesy of Galerie Buchholz,
Berlin/Cologne. S. 64: Courtesy of Galerie Buchholz, Berlin/
Cologne. S. 65: Courtesy of Punta della Dogana. Foto: Matteo
de Fina. MARIO PRAZ S. 67: Foto: Getty Images. S. 68:
Fotos: Lorenzo Pesce/laif. S. 69, 70, 73: Fotos: Massimo Listri.
INTERVIEW ERLING KAGGE S. 75: Foto: Kristine Jakobsen
für BLAU. S. 76: Erling Kagge Collection. S. 77: Erling Kagge
Collection. Foto: Vegard Kleven. S. 78 o.: Erling Kagge Collection.
Courtesy of the artist, Neugerriemschneider, Berlin, and Galerie
Buchholz, Berlin/Cologne. S. 78 u.: Erling Kagge Collection.
Foto: Christian Øen. S. 79: Courtesy of Standard, Oslo. Foto:
Vegard Kleven. KUNSTMARKTKOLUMNE S. 82: © Barbara
Kruger. Courtesy of Mary Boone Gallery, New York.
KALENDER S. 84 l.: Privatsammlung. © Estate Günther Förg.
Foto: Wolfgang Günzel. S. 84 M.: Collection of Robert Lehman.
Courtesy of Aimee and Robert Lehman. Foto: The Robert
Lehman Trust. Courtesy of Aimee and Robert Lehman. Quicksilver Photographers, LLC. S. 84 r.: Courtesy of the artist.
Co-comissioned by Chisenhale Gallery, London, and Artspace,
Sydney. S. 85 l.: © Vladimir Markov. S. 85 M. o.: Courtesy of the
artist. 303 Gallery, New York; Galerie Eva Presenhuber, Zürich;
Victoria Miro Gallery, London; Regen Projects, Los Angeles.
Film still: © Doug Aitken. S. 85 M. u.: Courtesy of the artist. 303
Gallery, New York; Galerie Eva Presenhuber, Zürich; Victoria
Miro Gallery, London; Regen Projects, Los Angeles. Foto: Brian
Forrest. S. 85 r. o.: Städtische Galerie im Lenbachhaus und
Kunstbau München. S. 85 r. u.: Privatsammlung. S. 86 l.: Foto:
Costas Vergas, 2013. S. 86 M.: Stiftung Ann und Jürgen Wilde,
Pinakothek der Moderne, München. S. 86 r. o.: Hauser & Wirth
Collection, Switzerland. Foto: Mike Bruce. S. 86 r. u.: Hauser &
Wirth Collection, Switzerland. Foto: Stefan Altenburger Photography, Zürich. DER AUGENBLICK © Stephen Gill, from the
Hackney Flowers series. Courtesy of Christophe Guye Gallery.
VG Bild-Kunst, Bonn, 2015
Hans Berg, Joseph Beuys, Joseph Cornell, Ceal Floyer, Stephen
Gill, Ottmar Hörl, Robert Longo, Ann Cathrin November Høibo,
Herbert Ploberger, Thomas Schütte, Andreas Schulze, Nic
Tenwiggenhorn
DER AUGENBLICK
DIE BLÜTEN
HACKNEYS
Eine Fotografie und ihre Metapher
I
STEPHEN GILL
Aus der Serie Hackney Flowers
E
DIE NÄCHSTE AUSGAB
T
IN
HE
VON BL AU ERSC
DER WELT
AM 29. AUGUST 2015 IN
UND DA NACH IM
EL
ZEITSCHRIFTENHAND
mmer wollen sie einem
reinreden und stellen
dumme Fragen, wenn man
als Dokumentarfotograf
unterwegs ist. Es sei denn,
man zieht sich eine orange
leuchtende Joppe an – Bauarbeitergarderobe –, dann
denken sie: ‚Der ist vom Amt‘
und lassen einen in Frieden.
Wenn du leuchtest, bist du
unsichtbar. Diese Erfahrung
hat Stephen Gill in Hackney
gemacht, einem Bezirk im
Nordosten Londons, der im
19. Jahrhundert als Gartenreich
entworfen wurde und vor
20 Jahren ärmlich und verloren
schien – bevor die Wiederentdeckung begann.
Gill selbst, geboren 1971
in Bristol, fand die Peripherie
Londons als junger Mann
unwiderstehlich. Auf diese
Stadtlandschaft hat er die erste
Hälfte seiner Karriere gebaut
(die zweite kommt noch). Hier
fand er alles, wonach er sich
sehnte: das Unfertige und das
Unschöne, das technische
Hybrid und den ökonomischen
Kompromiss. Irgendwie hatte
er begriffen (oder auch nur
gespürt), dass es hier etwas gab,
das man nicht erfassen konnte,
das also in seiner wackligen
Gestalt nicht typisch fotografisch war. Statt die urbane
Landschaft als Fotograf zu
verorten, zu kartografieren,
ließ er sich hineinziehen in die
ENCORE
90
sozialurbane Wüste, deren
Flagge immer die blaue Plastikplane bleiben wird. Das ging
so weit, dass Gill seine Fotos im
Brachland vergrub und später
nachsah, was aus ihnen
geworden war.
Was ihn mit den Dokumentarfotografen der alten
Schule verbindet, sind eine
gewisse Melancholie und eine
entschiedene Aufmerksamkeit
für das Übersehene. Da aber
endet die gemeinsame Agenda.
Je weniger nun Hackney –
Olympia 2012! – dem ähnelt,
was es noch vor Kurzem war,
desto mehr nähern sich Stephen
Gills Fotografien Visionen.
Den Weg dorthin fand er über
die Hackney Flowers, eine
fotografische Sequenz, die halb
draußen und halb im Atelier
entstand. Eigene Fotografien,
dekoriert und noch einmal
fotografiert. Der Lastwagen,
der getrocknete Blüten abwirft,
ist, wie jede Collage, eine
Metapher. Sie könnte buddhistisch codiert sein und in
aller Bescheidenheit den Wunsch
ausdrücken, dass nichts je
verloren gehen darf.
ULF ERDMANN ZIEGLER
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STEPHEN GILL IN DAS BRACHLAND
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Modell Continental GT V8 S Convertible, Verbrauchsangaben – EU-Fahrzyklus (l/100 km): innerorts 16,1;
außerorts 8,1; kombiniert 11,1. CO2 Emissionen 258g/km. Effizienzklasse D.
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Der Name ‘Bentley’ und das geflügelte ‘B’ sind registrierte Warenzeichen. © 2015 Bentley Motors Limited. Gezeigtes Modell: Continental GT V8 S Convertible.
APÉRO
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