Die Zerstörung von Schönefeld bei Leipzig um 1813
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Die Zerstörung von Schönefeld bei Leipzig um 1813
Die Zerstörung von Schönefeld bei Leipzig im Oktober 1813 Auszüge zeitgenössischer Schilderungen, Briefe und Notizen; vorrangig Erstveröffentlichungen aus handschriftlichen Akten des Pfarrarchivs der Gedächtniskirche Leipzig-Schönefeld Zusammenstellung und Übertragung: Eva Burkhardt † Lageskizze des nordöstlichen Vorlandes der Stadt Leipzig zur Zeit der Völkerschlacht, Größe des dargestellten Gebietes etwa 7 km x 5 km Umschlag: Ruine der Kirche Schönefeld, Ansicht von Südosten, Zustand etwa im Sommer 1 81 6, unbekannter Künstler, siehe auch S. 20, Foto: Gregor Gebauer Die Zerstörung von Schönefeld bei Leipzig im Oktober 1813 Auszüge zeitgenössischer Schilderungen, Briefe und Notizen; vorrangig Erstveröffentlichungen aus handschriftlichen Akten des Pfarrarchivs der Gedächtniskirche Leipzig-Schönefeld Zusammenstellung und Übertragung: Eva Burkhardt † Herausgegeben von der evangelisch-lutherischen Matthäuskirchgemeinde Leipzig Nordost· Leipzig 2013 Anlaß der Publikation ist, daß im Jahre 201 3 der 200. Jahrestag der Völkerschlacht bei Leipzig begangen wird. Dabei wird die Aufmerksamkeit mehr auf Einzelheiten des Geschehens von 1 81 3 gerichtet, und diese Details werden in neuem Zusammenhang aus heutiger Sicht betrachtet. Neben dem Gedenken an die vielen getöteten und verwundeten Soldaten und Offiziere aus zahlreichen Völkern soll auch an die Not und das Elend der betroffenen Zivilbevölkerung erinnert werden. Aus dem Archiv der Gedächtniskirche in LeipzigSchönefeld können zeitgenössische Texte und Bilder beigesteuert werden, die die Zerstörung des Dorfes, der Kirche und des Rittergutes betreffen und die zum größten Teile noch nicht publiziert worden sind. Diese Beiträge zum Bild der Völkerschlacht, ihrer unmittelbaren Vorgeschichte und ihren Folgen mögen Kennern der Fachliteratur gering erscheinen, sie sind aber geeignet, das Gesamtbild um einige farbige Punkte zu bereichern. Die Äußerungen der Zeitgenossen, sofort oder doch in zeitlicher Nähe des Geschehens dokumentiert, können zur Rekonstruktion eines authentischen Stimmungsbildes beitragen. Zielgruppe dieser Schrift sind vor allem interessierte Gemeindeglieder, Einwohner unserer Ortschaften, Besucher unserer Kirchen sowie allgemein historisch Interessierte. Handschriftliche Überlieferungen bedeutender Persönlichkeiten werden früher oder später gedruckt. Die Dokumente unbekannter Zeitzeugen schlummern häufig unbeachtet und mehr oder weniger schlecht bewahrt in kleinen und kleinsten kirchlichen Archiven, die nur noch dank ehrenamtlicher Mitarbeiter existieren und deren Weiterleben bestenfalls zentralen formalen Anweisungen zuständiger übergeordneter Behörden geschuldet ist. Die Zahl der Menschen, die Frakturschrift sowie alte Handschriften lesen können, nimmt ständig ab. Das Entziffern alter deutscher Druck- und Handschriften ist eine Mühe, der sich nur wenige unterziehen. Der fortschreitende Papierzerfall gebietet, wesentliche Texte zu erhalten. Die Mehrheit der hier vorgelegten Texte stammt aus einer handschriftlichen Chronik im Pfarrarchiv der Gedächtniskirche Schönefeld. Diese Chronik hatte Pfarrer Carl August Wildenhahn (1 805 bis 1 868), Pfarrer in Schönefeld 1 837 bis 1 841 im Jahre 1 838 neu angelegt, weil infolge der Zerstörungen des Jahres 1 81 3 keine Kirchenchronik mehr existierte. „Überzeugt vom Nutzen von Chroniken … unterziehe ich mich gern der angenehmen Aufgabe, die Ereignisse in der Parochie Schönefeld aufzuschreiben und für die Nachwelt festzuhalten. Diesem Werk werden die Nachkommen Dank wissen, weil bis zu meiner Zeit nichts da ist, und das, was da war, in jenen schrecklichen Tagen der Schlacht bei Leipzig im Jahr 1813 verbrannt ist. Ich hoffe, daß meine Nachfolger das Werk in gleichem Sinne fortführen. Schönefeld, 11. August 1838 Carl August Wildenhahn, derzeit Pastor der Parochie Schönefeld“ (aus dem lateinischen Vorwort der Chronik, S.1 , übersetzt von Eva Burkhardt) 2 Pfarrer Wildenhahn hat niedergeschrieben, was er über die Vergangenheit der Parochie in Erfahrung bringen konnte, und er hat auch ältere Texte von anderen Autoren in die Chronik eingefügt. Der anschauliche Bericht von Pfarrer Magister Christian Gottlieb Schmidt (1 746 bis 1 823), der von 1 779 bis 1 823 Pfarrer der Parochie Schönefeld war, ist am 5. Februar 1 81 6 beendet worden. Er ist auf vier Bögen (Vorder- und Rückseite) geschrieben, die nachträglich in die Chronik eingeklebt worden sind. Die Seiten bzw. Bögen sind nur teilweise, der Seitenzählung der Chronik folgend, mit Bleistift paginiert, und zwar der erste Bogen als Seiten 53a und 53b, der zweite Bogen als Seiten 55 und 56. Die beiden folgenden Bögen sind nicht paginiert und nicht in der richtigen Reihenfolge in die Chronik eingeklebt, nämlich der dritte Bogen nach Seite 66 und der vierte Bogen nach Seite 63(!). Weil die Bögen ein größeres Format als das Chronikbuch haben, mußten sie beim Einkleben seitlich und unten gefaltet und geknickt werden. Dadurch sind stellenweise Zeilenenden oder die untersten Zeilen einer Seite verlorengegangen oder kaum noch lesbar. Der Text von Pfarrer Mag. C.G. Schmidt über die Völkerschlacht wird hier ergänzt durch weitere Beiträge (Briefe bzw. Briefentwürfe, Nachrufe, Predigttexte usw.) aus dem Pfarrarchiv Schönefeld sowie durch Bilder und Karten aus den Beständen der Kirchgemeinde. Die Textausschnitte über die Zerstörung von Dorf, Kirche und Rittergut Schönefeld sind so zusammengestellt, daß etwa ein zusammenhängender Bericht erkennbar werden soll. Von den Zuständen unmittelbar nach der Schlacht, von der wirtschaftlichen Not der Bewohner, vor allem der des alten Pfarrers, und von dem Bemühen um den beschleunigten Wiederaufbau des Pfarrgutes und der Kirche zeugen verschiedene Bittbriefe. Zwei Beiträge, die schon einmal publiziert worden sind, berichten und bedenken das Geschehen aus dem Abstand von reichlich drei Jahrzehnten. Die Handschriften sind mitunter nur schwierig zu entziffern. Schwer leserliche und daher fragliche Stellen werden durch [?] gekennzeichnet, unleserliche Stellen durch O[?]. Abkürzungen werden möglichst ergänzt, die Ergänzungen stehen in [ ]. Fremdsprachliche oder jetzt ungebräuchliche Begriffe werden durch [=O] erläutert. Angaben zu Währungseinheiten werden, soweit sie leserlich sind, in ihren Abkürzungen belassen und unverändert wiedergegeben. Auslassungen zur Straffung des Textes werden durch O erkennbar gemacht. Die alte Schreibweise wurde beibehalten, um die sprachliche Gewandtheit der Autoren sowie die Schönheit der damals gesprochenen und geschriebenen deutschen Sprache anschaulich zu machen. Frau Eva Burkhardt (1 935 bis 201 0) hatte seit etwa 2003 zahlreiche Texte entziffert und übertragen und einige charakteristische Beispiele für eine Veröffentlichung vorbereitet. Nach ihrem Tode wurde das vorliegende Material ergänzt und überarbeitet durch eine Gruppe von wechselnden Mitwirkenden (Gudrun Moosdorf; Konrad Heinrich, Dirk Heinze, Günter Hönemann, Gottfried Richter, Konrad Taut und Helmut Tracksdorf). Handschrift des Pfarrers Magister Christian Gottlieb Schmidt, verkleinert; oben: Beginn der Nachricht ...; unten: Schluß seines Berichtes mit Datum 5. Febr. 1 81 6 Nachricht über das unser armes Schönefeld am 18ten Octobris 1813 betroffene große Unglück, wodurch der Herrenhof mit allen seinen schönen und weitläufigen Gebäuden, die Kirche, Pfarr- und Schulwohnung, die größten Güther des Dorfes – durch die Mordbrennung der Franzosen im Feuer aufgegangen sind, und im ganzen Ort kein Hauß unbeschädigt geblieben ist – meinen lieben Nachfolgern in Demut, zur mitleidigen Beherzigung, und mit dem Wunsch, daß Gott sie vor einem so harten Schicksale bis in die spätesten Zeiten bewahren wolle – aufgesetzt und gewidmet von M. Christian Gottlieb Schmidt, z.Z. Pastor in Schönefeld. Das Jahr 1813 ist für unser ganzes Sachßenland, und namentlich für die Leipziger Gegend und ihre Umgebung ohnstreitig das verhängnisvollste und schrecklichste gewesen, das während der ganzen, bis ins 25ste Jahr gewütheten französischen Revolution gantz Europa erschüttert hat; und es sind uns durch dasselbe Wunden 3 geschlagen worden, die noch schmerzlich bluten, und deren völlige Heilung wohl erst unsere Kindeskinder erleben dürften, wenn es anders Gott gefällt, ihnen durch so viel Blut und mit Ausplünderung mehrerer Millionen Menschen erkämpften Frieden so lange zu erhalten. Es gehört nicht zu meinem Zweck, und würde auch zu weit führen, wenn ich mich über den Gang dieser höchst merkwürdigen Weltbegebenheit, von welcher Sachßen in den ersten Jahren nur ein entfernter Zuschauer war, und in die es erst vom Jahr 1806 an tiefer hinein gezogen wurde, ausbreiten wollte. In diesem Jahr wurde es, nach der für Preußen am 14. Octbr. so unglücklich abgelaufenen Schlacht bey Jena und Auerstädt, gezwungen, dem von Kaiser Napoleon errichteten Rheinbund beyzutreten, stieg zwar zu Ende dieses Jahres zu dem Range eines Königreichs hinauf, ist aber von der Zeit an dem französischen Einfluß und Despotismus unterworfen und zinßbar geworden. Was für Schicksale das Land in den folgenden Jahren erfahren, wie eigennützig sein Unterdrücker es zu benutzen, nein, planmäßig [?] es durch Eingliederungen, Requisitionen, Freyhaltung Seiner Gnaden mit Speiße und Trank, und mehreren Maßregeln und Kunstgriffen auszusaugen wusste; – übergehe ich jetzt mit Stillschweigen und beschränke mich blos auf die beyden letzten Jahre, die den Sturz des Weltstürmers herbeiführten. … Im Sommer des Jahres 1812 brach der Krieg zwischen Frankreich und Russland aufs neue aus, weil der russische Monarch von dem auch für seine Länder höchstnachteiligen Continentalsystem, durch welches Napoleon das ihm allein noch die Wage haltende wichtige England zu demüthigen gedachte, weislich zurückgetreten war; und der Kaiser Napoleon begann seinen Argonautenzug nach jenem unermesslichen Reiche mit einer aus französischen und Rheinbundtruppen organisirten, über eine halbe Million starken, prächtigen Armee, um bis in den entlegensten Norden vorzudringen, und sich, wenn ihm sein Riesenplan gelungen wäre, eine zweite Kaiserkrone aufzusetzen – wozu, wie man sagte, schon Krönungsmantel und andere Insignien mitgenommen waren –; welche Krone aber, durch Gottes weise und gerechte Fügung, in eine für ihn so schimpflich als schmerzliche Dornenkrone verwandelt wurde. Nachdem er eine kurze Zeit in Dresden verweilt, und daselbst das Ultimatum über Krieg und Frieden von Rußland abgewartet hatte, richtete er seinen Marsch nach Pohlen, ging von da aus mitten durch Russland, gerade auf Moskau los, lieferte den russischen Armeen mehrere, auf beiden Seiten viele Menschen kostende Kämpfe, und kam, da sich jene immer weiter zurückzogen und ihn planmäßig vorwärts lockten, wirklich in der Nähe jener ungeheuren Stadt an, wo er nun sein Ziel erreicht zu haben glaubte, und es auch wirklich erreichte, aber freylich auf eine andere Art, als er sich vorgestellt und es in seinem Plan gelegen hatte. Denn seine Absicht war, in dieser weltberühmten Residenz der vormaligen Szaren von Rußland, und ihren schönen und fruchtbaren Umgebungen, seinen durch den weiten und beschwerlichen Marsch und andere ausgestandene Mühseligkeiten und Ungemach erschöpften Armeen ruhige und fette Winterquartiere anzuweisen, damit sie hier neue Kräfte sammeln, und dann im folgenden Frühjahr gerade auf Petersburg losgehen möchten, um die Residenz des jetzigen Kaisers von Rußland zu erobern, und sich nun für den alleinigen Herrscher über ganz Europa zu erklären, zu welchem Behuf auch schon ein zweites großes Armeekorps von 4 Curland und Liefland nach der Kaiserstadt vorzudringen beordert war. Allein, hier rufte die alles leitende Vorsehung dem Übermüthigen zu: bis hieher sollst du kommen, und nicht weiter; hier sollen sich legen deine stolzen Wellen! Die von Curland her veranstaltete Expedition musste ihren Plan aufgeben, und bey Moskau fiel der sich unüberwindlich denkende Eroberer in das Netz, welches, ohne daß er es ahnete, über ihn ausgespannt worden war. Denn der Gouverneur von Moskau, Graf Rostopschin, faßte einen unerhörten, höchst verzweifelten und für den Augenblick äußerst harten, dabey aber tief durchdachten, und glücklich zum Ziele führenden Entschluß, durch welchen über die Feinde Rußlands ein unvermeidliches Verderben herbeygeführt und ihrem Abgott, mit dem sie bis an das Ende der Welt vorzudringen wähnten, gleichsam der Gnadenstoß versetzt wurde. Er ließ die ungeheure, meistens aus hölzernen Häusern bestehende Stadt an mehreren Orten in Brand stecken, ein durch höhere Fügung entstandener Sturm verbreitete die Flammen unaufhaltbar nach allen Richtungen, sodaß man ein unermessliches Feuermeer vor sich zu sehen glaubte; die bereits in der Stadt hausenden Franzosen, – denn nur ihnen hatte ihr Kaiser Quartier in derselben vorzugsweise angewiesen – sahen sich aller der großen Vorräthe, die sie hier zu finden hofften, beraubt und selbst ihr auf eine so unerwartete Art überraschter und getäuschter Beherrscher war auf dem von ihm bezogenen Kreml nicht mehr sicher, und wartete vergeblich, daß eine Deputation der Stadt vor ihm erscheinen, und mit zu gelobender Unterwerfung um Gnade und Frieden bitten sollte, welches aber unterblieb, da alle höheren Behörden und angesehene Einwohner Moskaus das Weite gesucht und die Stadt ihrem Schicksal überlassen hatten; worüber er so entrüstet war, daß er bey seinem nachher erfolgten Rückzuge dieses uralte Denkmal der Kunst und Größe, nachdem es seine Trabanten geplündert, und selbst seine Generäle und Marschälle, die daran befindlichen Goldbleche mit eigener hoher Hand geraubt und eingeschmolzen hatten, zum ewigen Denkmal seiner Zerstörungswuth und zu bleibender Erinnerung, daß einst hier gebildete Franzosen gehauset hatten, in die Luft sprengen ließ. Weislich und zweckmäßig würde Napoleon gehandelt haben, wenn er auf seinen Rückzug früher bedacht gewesen wäre, da ihm durch die Verbrennung Moskaus die meisten und ergiebigsten Hilfsquellen einer längeren Subsistenz [= Lebensunterhalt] waren vernichtet worden, und da die in der Nähe stehenden russischen Armeen keine Zufuhr aus den entfernteren Gegenden verstatteten. Aber er zögerte zu lange – und nun trat früher, als er vermutete, der fürchterlichste Winter ein, den Russland je gesehen hat, und es war zu spät, den Schlag abzuwenden, der ihn treffen sollte: Ohne Lebensmittel, von dem heftigsten Frost gedrückt, von den allenthalben herumschwärmenden Kosaken unaufhörlich geneckt, zog die Armee in langsamen Märschen den Weg wieder dahin, woher sie so stolz und siegestrunken gekommen war: die Pferde fielen täglich zu Tausenden, so daß die Cavallerie zuletzt gantz unberitten wurde, und Sattel und Mantelsack auf eigenen Rücken nehmen musste, und die Soldaten mit ihren Offiziren erlagen unter ihrem traurigen Schicksale, erfroren jämmerlich, verhungerten elendiglich; und wurden von denen sie unaufhörlich verfolgenden Feinden theils getödtet, theils in großen Maßen gefangen genommen: Aber Hunderttausend fanden ihr Grab im Schnee, in den Wassern unter dem Eise; aber so viele fielen dem Feinde in die Hände und wurden in die Gefangenschaft geschleppt: mehr als 1200 Kanonen blieben den 5 Siegern zurück: die gantze mit mehreren Millionen angefüllte Kriegskasse und eine unermessliche Equipage der kostbarsten Geräthschaften des Kaisers und seiner Marschälle und Generäle ging verloren: der Kaiser selbst entkam mit genauer Noth auf einem elenden Bauernschlitten, mit einem schlechten Pelz bekleidet, wäre in Wilna beynahe den Kosacken in die Hände gefallen, wenn ihn nicht eine seltene Gegenwart des Geistes gerettet hätte, langte in diesem Aufzuge in Dresden an, wo er bey seinem Gesandten die Wäsche wechselte und von der königlichen Familie mit warmer Kleidung versorgt wurde, eilte durch Leipzig, wo er zur Nacht durchzog und im Hotel de Prusse zu Nacht speiste, und von einem Marqueur [= Kellner] wider seinen Willen erkannt wurde, und kehrte, ohne sich irgendwo aufzuhalten, so unerwartet als unbemerkt in seine Hauptstadt zurück, aus welcher er im vorigen Jahre so pomphaft und siegestrunken ausgezogen war, ohne jedoch die Kaiserkrone des Nordens mitzubringen, die er sich bereits im Geist aufgesetzt zu haben glaubte. O hätte er sich witzigen lassen und die Hand zum Frieden geboten! Aber sein Untergang war im Rathe der Mächte beschlossen, und die Zeit war nahe, wo er seine große Rolle ausgespielt haben sollte, wo man auch von ihm sagen würde: wie bist du vom Himmel gefallen, du schöner Morgenstern! (Jes.14,12). Trotzig und übermüthig und auf sein bisheriges Glück blind vertrauend, das ihm jetzt so treulos den Rücken gekehrt hatte – traf er nicht nur die umfassendsten Anstalten, seine vernichtete Armee, deren Reste in der jämmerlichsten Gestalt bey uns vorüberzogen, und uns Krankheiten und Seuchen mitbrachten, aufs Neue zu organisiren – (zu welchem Endzwecke er sogar die Verbrecher aus ihren Gefängnissen herausholte und die Galeerensklaven von ihren Ketten befreyt, um unter seiner Autorität aufs Neue zu stehlen, zu morden und alle Greuelthaten ungestraft auszuüben,) – sondern forderte auch seine Verbündeten auf, ihre Contingente, die ein gleiches Schicksal erfahren hatten, abermals zu complettiren, und mit dieser in größter Eile zusammen gerafften Armee rückte er im Frühjahr 1813 aufs neue ins Feld und betrat im April d.J. abermals den deutschen Grund und Boden. Auch die große russische Armee, die den französischen Flüchtlingen auf dem Fuße nachfolgte, war um eben diese Zeit über die Grenzen ihres Landes vorgeschritten, hatte sich mit den Preußen, welche die schöne Gelegenheit, sich von ihrer gezwungenen Verbindung mit Napoleon loszureißen, nicht ungenutzt gelassen, vereinigt, marschirte gerade auf Dresden los, das ihm gern seine Thore öffnete, und langte einige Wochen vor Ostern in der hiesigen Gegend an, wo sie bis zum Ende des Aprils stille lagen, und sich zu einem dem Feinde zu liefernden Treffen vorbereitete. … Soweit der Bericht des Mag. C.G. Schmidt. 6 Wie sich der Aufenthalt der Truppen auf das Rittergut Schönefeld auswirkt, beschreibt der Rittergutsbesitzer Johann Ulrich Schneider unter dem 20. Dezember 1 81 3 in einem Brief an einen befreundeten Kaufmann Boccius [auch als P. Loccius lesbar] in London. Im M[onat] April hatte ich daß russische Hauptquart[ier] 18 Tag: ein Fürst, 20 Officir, 36 Bediente, 140 Gemeine, kosten mich G[?=Gulden] 8000. Da der Fürst so vergnügt mit vielem Aufwand gelebt, wurde ich und das Dorf rein ausgeblündert. … Weiter der Bericht des Mag. C.G. Schmidt: Der Kaiser Napoleon kam mit seiner größtentheils aus Infanterie bestehenden Armee über Naumburg und Weißenfels herangezogen, und beyde Heere standen einander in der Gegend von Lützen gegenüber, wohin von Leipzig aus eine Deputation an den Gefürchteten abgesendet wurde, um auf alle Fälle die Stadt seiner Schonung und Gnade zu empfehlen, der er jedoch über die den Rußen bewiesene gute Aufnahme mehr scherzhaft als ernstliche Vorwürfe gemacht haben soll, und man erwartete nun von einem Tage zum anderen, daß der entscheidende Schlag losbrechen würde. Dieser erfolgte am zweiten May, am Sonntage Misericordias Domini, – an welchem Tage unsere Catechumenen unter dem von fernher erschallenden furchtbaren Kanonendonner confirmirt und eingesegnet wurden, – war aber nichts weniger als entscheidend, in dem beide Armeen bis zum Abend ihre Position behaupteten. … Durch die Lützener Schlacht [= Schlacht bei Großgörschen am 2. Mai 1813] … fiel nun auch Leipzig wieder in die Hände der Franzosen, und unser Schönefeld wurde am fünften May von diesem verhungertem Ungeziefer, das sich bey Eutritzsch gelagert hatte, tüchtig ausgeplündert und fast aller vorhandenen Lebensmittel beraubt, wo besonders auf dem Herrenhofe, auch der Pfarre, auch auf den Förster- und Ploßischen Güthern sehr übel gewirthschaftet worden war. In meinem Hause blieb kein Bissen Brot übrig und alle anderen Viktualien wurden vor unseren Augen weggetragen. Von nun an seufzeten wir aufs Neue unter dem Druck des harten Despoten, und Einquartirungen, Lieferungen und andere Plackereyen nahmen kein Ende. Ende des Zitats von Mag. C.G. Schmidt. Der Rittergutsbesitzer und Kaufmann J.U. Schneider schreibt in dem schon erwähnten Brief an den befreundeten Londoner Kaufmann (soweit man die Schrift entziffern kann!): 7 … Dann die franz[ösische] Off [? Offensive] was mich an G[?Gulden] 9000 und mehr koste. Dieses war der 5. May. Von daher hatten wir stets überhaubt [?] lästige ein Quart[ierung]. Mehr wie 15000 G[?] Kosten, und nun machen Sie sich ein begrif. … Ein franz[ösischer] Officir versicherte mich, daß die am 5.May geschehene Blünderung in Schönefeld nur Rache geweßen, weil die Russen vorhero so gutt aufgenommen wurden. … Einzelheiten aus diesen Tagen berichtet später auch Diakon Ludwig Rothe in dem Nachruf auf den herrschaftlichen Diener Gottfried Heinicke: Gottfried sah an seiner Herrschaft gute und böse Tage vorübergehen… So wich er in den unheilvollen Tagen des Jahres 1813 nicht von der Seite seines Herrn und legte … unzählige Proben seiner Treue und seiner Ehrlichkeit ab. … Am 5. Mai, wo eine Plünderung von Seiten der Franzosen zu befürchten war, hatte Gottfried mit aller Vorsicht und Emsigkeit beigestanden, diese Gefahr abzuwenden; dennoch fanden die raublustigen Soldaten, mehrere Hundert an der Zahl, eine kleine Öffnung, durch die sie in das Herrenhaus eindrangen, nachdem sie einen Hund erschlagen hatten, welcher dort angelegt worden war. Herr Schneider war mit seinem treuen Diener und der hochbetagten Köchin noch allein im Hause, gütliche Besänftigung der Plünderer war erfolglos, gewaltsamer Widerstand unmöglich. … Ende des Zitats von Diakon L. Rothe. Der Bericht von Magister C.G. Schmidt fährt fort: Am zweyten Pfingstfeiertage [7. Juni 1813] wurde unser Gottesdienst durch einen so unerwarteten als schreckhaften Zufall unterbrochen, indem ein von Dessau hergekommendes russisch-preußisches Detachement [= Truppenabteilung] von einigen tausend Mann, das die hier und in der Umgegend gelegenen Franzosen überrumpelte, selbst in Leipzig einzudringen versuchte und mehrere Gefangene machte. Da aber indessen der Waffenstillstand zwischen Rußland und Frankreich eingetreten war, von welchem jenes Detachement noch nicht benachrichtigt war; so zog es in den Nachmittagsstunden friedlich wieder ab, die Gefangenen wurden herausgegeben und gegen Abend war alles wieder ruhig; nur wurden einige hundert Franzosen nach Schönefeld einquartirt, die wir mehrere Tage verpflegen mußten. … Der Kaiser Napoleon fasste den Entschluß, die Dreßdener Gegend zu verlaßen und zog herunter nach Leipzig zu, wo ihn nun sein endliches Schicksal treffen, und der von ihm aufgethürmte ungeheure Coloß zertrümmert werden sollte. Und nun nähere ich mich den so denkwürdigen als traurigen Szenen, zu deren Darstellung dieser Aufsatz hauptsächlich von mir abgefaßt worden ist. Das gute Leipzig war den gantzen Sommer hindurch auf das Schrecklichste gemißhandelt worden, besonders durch einen Haupttrabanten der napoleonischen Fühllosigkeit und Härte, einen gewissen Herzog von Padua (Arighi), einen tückischen Italiäner, 8 Handschrift des Gutsbesitzers Johann Ulrich Schneider; Brief an seinen Geschäftsfreund in London vom 20. Dezember 1 81 3; S. 7, Schluss des Briefes der die Stadt sogar in Belagerungszustand erklärte und ihr unerschwingliche Kosten verursachte, wegen welcher unerhörten Bedrückung er jedoch von dem davon unterrichteten Kaiser, bey dessen Anherokunft hart angelassen und eine „bête“ (dummes Vieh) gescholten wurde. Die umliegende Gegend wurde nicht weniger mitgenommen, und die armen Landbewohner mit Einquartirungen, Fuhren und Lieferungen bis zur Erschöpfung geplaget, und an allen diesen Lasten mußten auch die Geistlichen mittragen helfen, da ihre Pfarrgüther doch nicht ihr Eigenthum sind, und sie dieselben mit keinen Hypotheken belasten können, wie dieß bey anderen Guthsbesitzern der Fall ist. 9 Aber alles das war nur ein Anfang der Schmerzen, die nach Gottes Rath und Vorsehung erst noch über uns kommen sollten, und mit dem Michaelistage [29. September] ihren Anfang nahmen: An diesem Tage betrat das aus 20 000 Mann bestehende Corps des französichen Marschalls Marmont unsere Gegend, der Marschall Ney folgte einige Tage danach: beyde Marschälle quartirten sich auf dem hiesigen Herrenhofe ein. Diesen allgemeinen Bericht von Mag. C.G. Schmidt präzisiert für den Gutshof der Gutsherr J.U. Schneider in dem schon erwähnten Brief nach London, und er drückt darin auch seine Stimmung aus. Den 16. Octbr Abends 6 Uhr kam die Kayserliche Wagenburg, fayne Bagage, 100 Pfärthe, 50 Bedienete und Knecht. Bis den 17. Mittags, den 16. abends kamen Marschall Neu mit all Ihren dto Marmone Spitzbuben dto Ponjadoffsky bedienete und 9 geringere Franzos reithknechte 2 Württemberger oder… [?] 30 Officir Auf mein Hoff und Gardten haben gewiß an 800 Pfärthe, 200 Oxe, 1400 Bedienete und Soldaten gelegen. Bis zum 17. an abends und im Dorff war auch alles so voll. Nun stellen Sie ich vor, wie es im Keller Wein, branntwein, Fressen, in Sonderheit Forage zu gegangen ist. Niemand ist in Stand sich ein begrif zu machen von einer solch verdambten Würthschaft – die ich gehabt hab. … Weiter im Text von Mag. C.G. Schmidt: In meine Pfarrwohnung wurden außer einer schon vorhandenen vierfachen Einquartirung noch am Abend 36 Mann Infanterie eingelegt: die Truppen machten in unseren Umgebungen mehrere Bibouaks [= Biwaks], brachten gantze Heerden von Rindvieh und Schaafen mit, die sie unterwegs geraubt hatten und nun in unsere Krautfelder trieben, und richteten an unseren Plancken und Gärten große Verwüstungen an. Gegen die Mitte des folgenden Monaths traf unser allgeliebter König mit Gemahlin und Prinzessin Tochter in Leipzig ein, und um eben die Zeit auch der französische Kaiser, der zuerst in Stetteritz, und dann im Kohlgarten auf dem Guthe des Herrn Banquier Vetter, hinter der Kapelle gelegen, sein Hauptquartir nahm. Seine Armee-Corps lagen nach allen Himmelsgegenden um ihn herum und wurden von den nachrückenden verbündeten Mächten immer mehr zusammen gedrängt und eingeschlossen, sodaß man die Summe beyder schlagfertigen Armeen wohl auf eine halbe Million anschlagen konnte, deren nächtliche Wachtfeuer einen fürchterlich-prächtigen Anblick darstellten, und das Herz des harmvollen Zuschauers mit den ängstlichsten Bersorgnißen erfüllten. 10 Auf den Feldern neben unserer Lindenallee war ein Theil der kaiserlichen Equipage postirt; die Reuterey und das Fuhrwesen fouragirten ohne Unterschied und Erbarmen, und unser Getreide wurde ohne Schonung unausgedroschen aus unseren Scheuern fortgeschleppt und den Pferden des Militairs in Garben vorgetheilt. Von Hühnern und anderem Federvieh war nichts mehr zu holen, und an einem Tage wurden in meinem Hofe zehn Schweine todtgestochen. Die dem 18. Octbr. vorhergehende Woche war eine Woche der Angst und des Grauens, und die in den Jahrbüchern der Geschichte ewig denkwürdige Schlacht nahm vom 15ten d.M. ihren Anfang. Von diesem Tage an wurde mein Haus von den französischen Garden nicht leer, die alle Winkel durchsuchten, alles was sie Handschrift des Gutsbesitzers Johann Ulrich Schneider; Brief an seinen Geschäftsfreund in London vom 20. Dezember 1 81 3; S. 4, schlecht leserlich, weil das Papier beidseitig beschrieben ist. 11 konnten, aus Habsucht mitnahmen und mich und die Meinigen unsäglich quälten. Zwar wurde ich zwey Abende nach einander durch einen Sächsischen Obristen des Leibcurassir-Regiments, Herrn vom Berge, der Quatir bey mir nahm, und gegen die Vorlauten blank ziehen ließ, dieses Gesindel fortjagte, von ihren Zudringlichkeiten befreyt, aber kaum war er am Morgen wieder fort, so stellten sie sich aufs Neue ein und trieben ihren Unfug desto ärger. Am 16ten Octbr. verließ dieser würdige Mann mein Hauß mit der Erklärung, daß wir heute einen heißen und gefahrvollen Tag haben würden; und als ich ihn dringend bat, daß er mir Schutz und Sicherheit gewähren möchte, so gab er dreyen seiner Curassirs Befehl, daß sie in meinem Hause bleiben und für mich sorgen sollten; und diese redlichen Männer haben mir treulich beygestanden, und bis zum Sonntag Abend (d. 17. Octbr.) treulich bey mir ausgehalten. An diesem Tage faßte ich mit meiner guten Gattin den Entschluß, unser Haus zu verlaßen, da die Zudringlichkeiten und Plackereyen der Franzosen nicht mehr auszustehen waren. Unsere besten Effecten an Kleidung, Wäsche und Betten nebst einem Kästchen mit etwas Silber und einigen hundert Thaler Geld hatten wir in die Sakristei der Kirche und dahin auch die Kirchenbücher bringen lassen, und wo wir hofften, einen sicheren Ort gewählt zu haben; aber die übrigen Mobilien blieben in der Wohnung zurück, weil es nun zu spät war, sie in der Stadt oder sonst wo unterzubringen. Und nun schlug ich mit den Meinigen den Weg nach Leipzig ein, und empfahl mein Haus mit allem Zurückgelassenem der göttlichen Obhut und Vorsorge. Ach, wir Armen ahneten nicht, daß wir unsere Wohnung als Brandstätte wiederfinden würden. Wir nahmen unsere Zuflucht zu dem älteren Herrn D. Weiß, Senior des Schöppenstuhles, dem zweiten Sohn meiner ältesten Schwester, […] von welchem wir so liebreich als theilnehmend aufgenommen wurden und brachten einen kleinen Wagen mit, auf welchem meine gute Frau in der Eile etwas von unseren noch vorhandenen Betten und Alltags Kleidungsstücken hatte aufpacken lassen, und der von meinen braven Curassirs mitten durch das vor den Thoren liegende französische Militair sicher in die Stadt eskortiert wurde. Dieser Tag war übrigens, nach einer kurzen Kanonade am Morgen, ziemlich ruhig vergangen, da zwischen den Armeen eine Waffenruhe für unbestimmte Zeit vereinbart worden war –; aber diese Windstille war nur ein Vorbote eines desto schrecklicheren Sturms, der mit dem Montage (den 18. Octbr.) beginnen, welcher der nun bis zum vierten Tage fortgesetzten mörderischen Schlacht den Ausschlag geben, aber auch unser armes Schönefeld mit Feuer, Mord und Plünderung heimsuchen, und namenloses Unglück und Verderben über uns bringen sollte. Am Morgen dieses Tages ging es bey Probsthayde, dessen Kirche tags vorher eingeäschert worden war, äußerst hitzig her, und bey Schönefeld schien alles ruhig zu seyn, welches wir von dem so lieben als werthen Collegii aus deutlich beobachten konnten. Aber um die Mittagszeit war von den beyden französischen Marschällen Ney und Marmont, die auf dem hiesigen Herrenhofe Quartier genommen hatten, der grausame Entschluß, Schönefeld in Brand zu stecken, gefaßt worden und wurde auch alsbald unerbittlich ausgeführt. Die nach Eutritzsch und Wiederitzsch hin Posten gefassten Rußen und Preußen machten Miene, über die Parde nach Schönefeld vorzudringen, welches sie schon den Sonnabend von Gohlis her versucht hatten. Um dieses zu verhindern, legten 12 die Franzosen zuerst Feuer im Herrenhofe an, der mit allen seinen großen und weitläufigen Gebäuden bis auf den Grund niederbrannte, so daß auch nicht ein Stall stehen blieb. Der Gerichtsherr Schneider, Rauchwarenhändler und Banquier in Leipzig, der bis zuletzt standhaft aushielt, und dieses Unglück zu verhindern suchte, wurde aus dem schon brennenden Herrenhause mit Gewalt herausgestoßen. Seine ganze veredelte Schöpfung war schon einige Tage zuvor von den Franzosen geraubt worden, und sein sämmtliches Rindvieh samt allen seinen prächtigen Mobilien wurde ein Opfer französischer Mordbrennerey. Ende des Zitats des Pfarrers Mag. C.G. Schmidt. Der Gutsherr J.U. Schneider stellt in dem Brief an seinen Geschäftsfreund in London den entsprechenden Tag so dar: … Und der 18. war der Schreckenstag; der unglückliche jammervollste Tag: Um 11 Uhr zu Mittag kam die Ordre, mein Hoff und Dorff in brand zu stecken, gegen 12 Uhr wurde ich mit meinen Leuthen mit Gewalt aus dem Hoff gejagt, wir hielten uns noch 1 ½ Stunden im Gardten auf, und ich sah alles angezündet und in voll Flammen stehen, und so wurden wir auch aus dem Gardten gejagt und bis an die Wind Mühle in der völligen Cannonade gehen. Gewiß an 14 4 Pfundkugeln flogen vorbey, und keine wollte mich treffen, was ich so sehr wünschte. Ach Gott, alles ist weg: mein Hauß, mein Hoff, Schäfferey, Pfärthe, Schafe, Kühe, alles weg: 48 Küh, 9 Pfärthe verbrandt, 13 gestohlen. Die volle Scheune … liegt in der Asche. Zum Unglück sprang von der großen Hitze ein Gewölbe in meinem Hauß, und alle Kostbarkeite wurde verkohlt und geschmolzen. Alles verbrandt und gestohlen […] Der Diakon L. Rothe beschreibt in seinem Nachruf auf den herrschaftlichen Diener Gottfried Heinicke dessen Rolle: In den Tagen der Schlacht leistete Gottfried seinem Herrn wesentliche Dienste, unerschrocken hielt er bei seinem Herrn auch im dichtesten Kugelregen aus. Als das Rittergut in Brand gesteckt werden sollte, folgte Gottfried den Soldaten auf der Ferse nach und riß die angehefteten Pechkränze zu wiederholten Malen wieder ab, bis er endlich der Übermacht weichen musste. An der Seite seines Herrn sah er von den Trümmern der bereits zerstörten Windmühle in der Mitte der kämpfenden Heere dem Brande Schönefelds zu und eilte nochmals dahin zurück, um zu sehen, ob es nicht möglich sei, noch das oder jenes zu retten…. Beiden schlossen sich noch an ein anderer treuer Diener…, der Schäfer mit seiner Frau…, um wiederholt in das Rittergut zurückzukehren, obgleich zu beiden Seiten der Lindenallee Russen und Franzosen von den Kugeln niedergestreckt wurden. Allein die furchtbar wüthenden Flammen verhinderten Herrn Schneider und seine Begleiter, weiter vorzudringen als bis an den Schafhof auf der, dem jetzigen Schäfergebäude gegenüber liegenden kleinen Anhöhe…. 13 Soweit der Diakon L. Rothe. Pfarrer Mag. C.G. Schmidt beschreibt weiter: Die bey dem Herrenhofe gelegene Wassermühle wurde durch eine von den Preußen abgeschoßene Granate in Brand gesteckt, und das Grauen der Verwüstung rückte daselbst der heiligen Stätte immer näher, da nun die Reihe auch an die geistlichen Gebäude kam, die in diesem allgemeinen Grauen nach Gottes heiligem Rath nicht verschont blieben, sondern ebenfalls ein trauriges Denkmal dieses beispiellosen Königs [gemeint ist der Kaiser] und der in den Jahrbüchern der Geschichte ewig denkwürdigen Völkerschlacht bey Leipzig werden sollten. Der Kirchthurm gerieth zuerst in Brand, in der obersten Haube, entweder durch den vom Herrenhofe bey dem stark wehenden Nordwestwinde herumgetriebenen Feuerbrand, wobey, wie andere bemerkt haben wollen, ebenfalls durch eine von der Parde abgeschossene Haubitzgranate; weil der drüben stehende Feind vielleicht bemerkt hatte, daß seine Bewegungen vom Thurm aus beobachtet wurden. Soweit der Bericht von Mag. C.G. Schmidt. Pfarrer C.A. Wildenhahn ergänzt dazu in der Chronik, S. 62: Nach der Erzählung des hiesigen Cantors Pögner, der bis zum Brande der Kirche in Schönefeld ausgehalten hatte, trug sich der Unfall folgender Maßen zu: Pögner hatte einen großen Theil geräuchertes Schweinefleisch in dem Raum der Thurmspitze verborgen, zu welcher nur auf einer Leiter, die eine wohl berechnete Länge haben mußte, emporgestiegen werden konnte. Ehe der Herrenhof in Brand gerieth, befanden sich nur wenig Leute in der Kirche, obgleich viele ihr Hab und Gut in der wohlverschlossenen Sakristei verborgen hatten. Pögner ging zu Zeiten auf den Thurm, um das Terrain zu übersehen. Plötzlich fangen die nahe liegenden Häuser und Güther an zu brennen, besonders das jetzt Klinger´n gehörige Guth. Pögner will nun die Laden in der Thurmaussicht schließen, weil ein heftiger Wind ging, der leicht das herum fliegende Feuer in den Thurm tragen könnte. Aber die Gewalt des Sturmes ist so groß, daß weder Pögner noch ein anderer mit ihm die Laden herumschlagen könne. Aus Furcht, daß eine feindliche Kanonenkugel die … [?] Zuschauer auf dem Thurm verscheuchen können, verläßt Pögner den Thurm und geht ins Schiff der Kirche. Plötzlich fallen mitten in die Kirche unterhalb des Thurmes brennende Feuerbüschel. Pögner will die Thurmtreppe hinan, trifft auf einen Mann mit einer Tabakspfeife und glaubt, dieser habe das Feuer verbreitet. Aber der Mann zeigt, daß in seiner Pfeife gar kein Feuer sei, und ehe sie sich´s versehen, schreit es unten: „ der Thurm brennt“ – und bald stand die ganze Kirche in Flammen. Demnach ist der Kirchthurm durch Flugfeuer vom Herrenhofe oder von Klingers Gut in Brand gesteckt worden, und Pögners Schinken und Würste mögen wohl ein wenig Öl ins Feuer gegossen haben. Dieses hat mir Unterzeichnetem der Cantor Pögner selbst mehr als einmal erzählt. C.A. Wildenhahn, P. 14 Weiter der Text von Mag. C.G. Schmidt: Das Kirchenhaus war nun nicht mehr zu retten. Unsere schönen Glocken, die in der Gegend nicht ihresgleichen hatten, schmolzen zusammen und fielen tropfenund stückweise herunter. Die Thurmuhr, die Orgel, das ganze Eingeweide der Kirche wurde vom Feuer zerstört: die Sakristey mit allen in dieselbe geflüchteten Effecten vieler unserer Einwohner, wohin auch wir unsere besten Mobilien, auch Wäsche, Betten, Kleidungsstücke, Geld und Geldeswerth gebracht, in welcher ich auch die sämmtlichen Kirchenbücher, bis zum Anfange des siebzehnten Jahrhunderts hinaufreichten, und alle zum Pfarr-Archiv gehörigen Documente und Schriften am sichersten verwahren zu können geglaubt hatte, brannte rein aus, und was dem Feuer noch widerstanden hatte, wurde nachher von Soldaten und anderen bösen Menschen, auch hiesigen gewissenlosen Menschen geraubt und geplündert; und nun stehen die Ruinen unseres Gotteshauses da, das seiner Wiederherstellung folglich entgegen harrt, bey deren Anblick wir einander schreiend und jammernd zurufen mußten: So Schönefeld, so brannte dein Gotteshaus, so stürzt die Gluth den Thurm, so sieht es jetzt aus! Das Schulgebäude blieb an diesem Tage noch stehen, und ging erst die Mittwoche, den 20. Oct. in Flammen auf, durch eine Unvorsichtigkeit der russischen Soldaten, die in demselben hausten. Auch die der Kirche so nahe liegende Pfarrwohnung wurde schon am Montage ein Raub der Flammen, und Handschrift des Pfarrers Carl August Wildenhahn, etwas verkleinert; Bericht von 1 838 über Pögners Erzählung vom Brand der Kirche 15 brannte mit allen ihren Wohn- und Wirthschaftsgebäuden und deren darinnen befindlichen Mobilien bis auf den Grund darnieder. Mein ganzer aus zehn Stücken bestehender Viehbestand fiel den Soldaten in die Hände: mein von der vorhergegangenen Fouragirung übrig gebliebenes Getreide wurde vom Feuer verzehrt, sodaß ich von der ganzen schönen Erndte nicht mal über 20 Scheffel Korn behalten habe, und von allen zur Wirthschaft gehörigen Geräthschaften ist mir auch nicht eine Mistgabel zu schweigen ein bedeutenderes Stück übrig geblieben. Mein Pferd musste ich einem französischen General gegen sechs Stück Ochsen überlassen, welches ein guter Handel gewesen seyn würde, wenn mir dieselben nicht auch wieder wären geraubt worden. Das schrecklich wüthende Feuer, was niemand auslöschen machen konnte – das breitete sich nun immer weiter aus, ergriff die größeren Güther sowohl als die kleineren, eines nach dem anderen, und ist in ganz Schönefeld kein einziges Haus völlig unversehrt durchgekommen: die meisten liegen ganz in der Asche und die noch stehen gebliebenen tragen die Spuren der sie betroffenen Verwüstungen sichtbar an der Stirn. Da an diesem Tage mit der größten Erbitterung und Hartnäckigkeit gefochten, und das Dorf vier bis fünfmal erstürmt worden ist, und bald die Rußen und Preußen, bald die Franzosen die Oberhand gehabt haben, welche aber endlich doch weichen und das Feld räumen mußten: so kann man sich vorstellen, wie es damals bey uns ausgesehen hat. Viele Hunderte haben in Schönefeld ihren Tod gefunden, die beyden Teiche im Dorfe waren mit Leichnamen angefüllt gewesen, und auf dem vor dem Ploßische Güther- und Gartenhausse angelegten grünen Platz liegen über 70 erschoßener und an ihren Wunden verstorbene Franzosen, Rußen und Preußen begraben. Doch ist kein einziger unserer hiesigen Einwohner dabey ums Leben gekommen, einen alten kranken Mann ausgenommen, der nachher vermißt und nicht wieder gefunden worden ist; und von dessen Schicksal man hernach nichts weiter erfahren hat – welches als ein Wunder der göttlichen Vorsehung auf die Nachkommen bekannt gemacht zu werden verdient. Soweit der Text von Mag. C.G. Schmidt aus Schönefelder Sicht. Von Leipzig aus beschreibt der Gerichtsverwalter Johann Christian Neubert das Geschehen (PfA Altakte 327, Bl.1 , Vorder- und Rückseite): Leipzig, den 18ten Octobr. 1813 Als ich, der dermalige Gerichtsverwalter des benachbarten Dorfs Schönefeldt von dem Boden meines Haußes in der Grimmischen Gaß allhire, die 3 Cronen genannt, dem Vorrücken des Preußischen und Rußischen Corps unter dem Commando des Generals von Blücher u. Yorks gegen die unter dem Marschall Mormont stehenden Franzosen in der Gegend Lindenthal, Groß- und Kleinwideritzsch auch Eutritzsch zusah u. zugleich das Raths-Vorwerk Pfaffendorf in Feuer aufging, vernahm ich in der Gegend der hiesigen Nicolai Kirche eine Weiberstimme, welche eine ihrer Bekannten die Worte: 16 „Frau Gevatter, alle Weile ist der Thurm in Schönefeldt eingestürzt“, zuschrie; auch diese Nachricht einer andern Person auf Befragen ebenfalls mittheilte. Indem ich nun vom Boden herab in die Grimmische Gaße eilte, trat mir der hiesige Banquier, Herr Christoph Heinrich Ploß, Besizer mehrerer Nachbar Güther in Schönefeldt in der Hausthüre entgegen, und zeigte mir an, daß nicht nur die Kirche, Pfarre, die herrschaftlichen Gebäude, sondern auch seine und die Försterschen Güther und Häußer zu Schönefeldt in Feuer ständen, welches ohngefähr Nachmittags nach 2 Uhr seyn mochte. Ich verfügte mich nun auf den Boden der Dr. Hilligschen samt Schröterschen Haußes in der hiesigen Katharinen Straße, von wo aus man die Uebersicht des ganzen Schlachtgetümmels sehr deutlich hatte, u. mußte leider ! sogleich ersehen, daß der Thurm der Kirche zu Schönefeldt schon weg war, die übrigen darum liegenden Gebäude, als Pfarre, Schule, Herrschaftl. Garten- und Wohnhauß, auch alle Wirthschaftsgebäude ebenfalls auch theils noch im Feuer standen, theils schon völlig niedergebrannt waren, von den übrigen Gebäuden des Dorfes hingegen nur noch wenige standen, das ganze Schlachtgetümmel sich um das Dorf nach Volckmarsdorf zu gezogen, und die Gegend zwischen der Lindenallee u. Kletterstange ebenso, als die Seite an der Lindenallee nach Leipzig, u. der Windmühle zu, die die Wiesenstücke genannt, mit französischen Batterien besetzt waren, welche erstere auf die eindringenden Russen von Abtnaundorf her, u. … die Schweden von St. Thecla u. Paunsdorf her, unaufhörlich die französ. Batterien, letztere aber auf die Preußen nach dem Leipziger Scharfrichterweg zu schoßen, das unglückliche Dorf Schönefeldt aber der Punkt war, um deßen Wegnahme auf dieser Seite des großen Schlachtfeldgetümmels sehr heftig mit abwechselndem Glück von beiden Theilen gestritten wurde. Nachdem ich gegen Abend diese unglückliche Gegend von dem Hilligschen Boden herab nochmals übersehen, fand es sich, daß die sämmtlichen rechts und links der Schönefeldter Linden Allee gestandenen Batterien der Franzosen weg, und die leztere bis an die Vorstädte der hiesigen Stadt gedrängt waren, bey Schönefeldt hingegen und nach Volckmarsdorf u. den Straßenhäusern zu die vor jetzt vorgerückten Truppen der alliierten Mächte, wahrscheinlich Preußen, Rußen u. Schweden seyn mochten, das Dorf Schönefeldt selbst aber von seinen Trümmern immerwährend fort rauchte u. dampfte. Zur künftigen Nachricht habe ich dieses alles gewißenhaft anhero bemerckt, wegen des großen Unglücks zu Schönefeldt besondere Acten … angelegt, und in denselben nähere Umstände dieses Unglückes zu bemercken resolviret [=beschlossen]. So geschehen … Joh. Christian Neubert, derzeit Gerichtsverwalter zu Schönefeldt 17 Der Pfarrer Mag. C.G. Schmidt äußert sich erschüttert und ergriffen: Der Anblick, welchen die allgemeine Zerstörung besonders in der ersten Tagen darbot, war erschütternd und herzergreifend, und wir konnten allen Vorübergehenden zurufen: kommt und seht, ob irgend ein Schmerz sey wie der Schmerz, der uns getroffen hat: der Herr hat uns voll Jammers gemacht und einen bitteren Leidenskelch eingeschenkt. Der Gerichtsverwalter dokumentiert am zweiten Tage nach der Schlacht sachlich über die Trümmerstätte des Dorfes, über die noch verbliebenen Verwundeten und über die Beerdigung der vielen Toten (PfA Altakte 327, Bl 2): Schönefeldt, den 20sten October 1813: Nachdem ich, der hiesigen Gerichtsverwalter mich heutigen Tags anhero persönlich verfüget, habe ich alles dasjenige, was die vorstehende Registratur enthalten, leider! ganz bestätigt gefunden. Da im ganzen Dorf Niemand als der Nachbar Trommler, der Wassermüller Pötzsche, der jüngere Kanic und der Zimmergesell Gottfried Lindner anzutreffen war, so ging ich mit diesen in das unglückliche Dorf durch, und mußte ersehen, daß außer dem herrschaftlichen Wohnhauße, den Scheunen, Wirthschafts-, Garten- und vielen anderen Gebäuden nebst dem neuen und alten Schaafstalle insbesondere auch a) die Kirche bis auf die Mauern, b) der Thurm, letzterer gleich, bis auf einen etwa noch 8 Ellen hohen Vorsprung, c) die Schule nebst Stall, d) die Pfarrwohnung, das dazu gehörige Wirthschaftsgebäude, Ställe, auch Scheune total abgebrannt und eingeäschert waren, daß man aber wegen der noch dampfenden Trümmern vor jetzt etwas weiter nicht unternehmen konnte. Wie nun die Beerdigung der vielen Todten in den Häußern, Gärten und Feldern nöthig wurde, so ward deshalb vorläufig Anstalt getroffen; in Rücksicht der Bleßirten [=Verwundeten] aber hatten die alliierten Mächte die meisten schon nach Leipzig, auf die sogenannte Milchinsel, und die Schweden insbesondere die Ihrigen in ein in dem Ploßischen großen Garten Hauße etablirtes Lazareth schaffen laßen, und da noch 2 bleßirten französ. Dragoner Offizirs in der kleinen herrschaftl. Gartenlaube, ohne Füße fast ganz unter freyem Himmel und nur mit einem Mantel bedeckt hülflos lagen und um ihre Fortschaffung flehentlich baten, so habe ich den Zimmergesell Lindner veranlaßt, daß derselbe ohne Schonung einiger Kosten einen Wagen anschaffe und diese Offizire in das Lazarett nach Leipzig noch heute Abendt 7 Uhr schaffen mußte. Übrigens sind zur Beerdigung der Todten mehrere Dorfschaften durch das Leipziger Creis Amt aufgeboten, und dieses alles vorläufig anhero bemerckt worden. Nachrichtlich … Joh. Christian Neubert, GV 18 Pfarrer Mag. C.G. Schmidt berichtet weiter: Ich war mit meiner Gattin in der Stadt, wo wir fast drey Wochen verweilen mußten, weil es eine für den Augenblick schwer zu lösende Aufgabe war, wo uns bey der allgemeinen Zerstörung ein Aufenthalt zutheil werden würde – so fanden wir endlich im Kohlgarten, auf dem gleich hinter der Capelle liegenden Guthe des Herrn Kaufmanns Wilhelmi in Leipzig, welcher mir ein im Hofe neu gebautes Haus zur Wohnung anwies, nicht nur alle erwünschte Bequemlichkeit, sondern auch die zur Fortsetzung, oder vielmehr ganz neuen Etablirung meiner Wirthschaft nöthigen Personen bey mir haben konnte, welche seltene Gefälligkeit und zuvorkommende Güte ich mit dem dankbarsten Herzen zu rühmen mich bis an mein Ende verpflichtet fühlen werde. Denn von allen Geräthschaften war mir auch nicht das geringste Stück übrig geblieben: mein ganzer sehr ansehnlicher Viehbestand war von den Soldaten geraubt worden, und ich mußte von dieser Zeit an sogar mein Brodt kaufen, da das der Fouragirung noch entgangene Korn ein Opfer des Feuers geworden war, und ich von den französischen Garden, die alle Winkel durchsucht hatten, aus Habsucht alles mitnahmen und mich und die Meinigen unsäglich quälten. … Bey der gänzlichen Verarmung meiner Gemeinde konnte ich keinen Dreier erwarten viel weniger erhalten. Mein ganzer erlittener Verlust, den ich in den anbefohlenen Eingaben sehr mäßig eingeschätzt habe, kann nicht mit 5000 Reichsthaler gedeckt werden, und ich sehe mich gezwungen, Summen zu borgen, 1 22 11 1 5 7 4 3 8 9 2 17 18 2 12 13 14 4 6 2 3 4 3 15 10 16 21 19 20 Ortslage Schönefeld in der 2. Hälfte des 1 8. Jh. ohne exakten Maßstab, Größe des Kartenausschnitts etwa 1 200 m x 700 m, nach einer Karte im Pfarrarchiv 1 . Parthe 2. Rand der Aue 3. Schönefelder Bach 4. Teiche im Dorf 5. Teich im herrschaftlichen Garten 6. Rittergut 7. Herrenhaus 19 8. Herrschaftlicher Garten 9. Schäferei 1 0. Lindenallee zur Windmühle 11 . Wassermühle 1 2. Schule 1 3. Kirche 1 4. Pfarre mit Wirtschaftsgebäuden 1 5. Schenke „Kletterstange“ 1 6. äußerer Friedhof 1 7. Straße nach Abtnaundorf 1 8. Straße zur Theklakirche 1 9. Fußweg nach Taucha 20. Straße nach Sellerhausen 21 . Fußweg nach Leipzig 22. Fußweg nach Eutritzsch um meine total ruinirte Wirthschaft wieder zu etabliren, an deren Fortführung mir alles gelegen sein mußte, um bestehen zu können; bekam jedoch manche bedeutende Unterstützung, sowohl an Geld. … Ich war zu einer drückenden Dürftigkeit herabgesunken, und befand mich in der traurigen Nothwendigkeit, einige Capitalien aufnehmen zu müssen, um meine Wirthschaft notdürftig fortsetzen zu können. Ich darf nicht unterlassen, manche wohlthätige Unterstützung einiger preiswürdiger Hülfsvereine dankend zu rühmen. Am 21sten Sonntage nach Trinitatis [7. November 1813] hielt ich, nach den vorher gegangenen schrecklichen Catastrophen, in der Capelle des Kohlgartens wieder den ersten Gottesdienst und predigte über die Worte: „demüthiget euch unter die gewaltige Hand Gottes, so wird er euch erhöhen zu seiner Zeit.“ Dieser Vortrag erschütterte den Lehrer und die Gemeinde, war aber auch für beyde mit Trost und Ergebung verbunden. Da vor der Hand kein anderes Lokal ausfindig gemacht werden konnte, so wurde der Gottesdienst den Winter hindurch an diesem Ort fortgesetzt, jedoch auch einige Mal in Schönefeld, welcher einmal in einer Scheune – einmal neben der Ruine der eingeäscherten Kirche auf dem Gottesacker geschah, mußte aber wegen eingefallenem Regenwetter unterbleiben, das andere Mal in der halb zerstörten Halle des vor dem Dorf liegenden Gottesackers oder in Abtnaundorf, auf dem dortigen Herrnhofe gehalten; welches bey der weiten Entfernung meines damaligen Wohnorts und bey der größtentheils bald nassen bald kalten Winterwitterung für mich mit mancherley großen Beschwerden und Strapazen verbunden war; zumal wegen des grassirende Gemälde der Ruine der Kirche Schönefeld, Ansicht von Nordnordost, Zustand etwa Sommer 1 81 6, unbekannter Künstler, Ölgemälde in der Gedächtniskirche Leipzig-Schönefeld; Foto: Gregor Gebauer 201 3 20 Nervenfiebers die Sterblichkeit immer größer wurde, und ich den Weg vom Kohlgarten nach Schönefeld, wo die meisten Leichen begraben wurden, fast täglich machen mußte. Bey diesen Wanderungen hatte ich oft Gelegenheit, jene bekannten Worte auf mich anzuwenden: „Soll ich in dieser Welt mein Leben höher bringen, durch manchen saurern Schritt hindurch ins Leben dringen.“ Soweit der Bericht von Mag. C.G. Schmidt. Vom 8. November 1 81 3 stammt die Nachricht des Gerichtsverwalters Joh. Christian Neubert (PfA Altakte 327, Bl. 2 Rückseite). … Anlangend aber die vielen durchs Nervenfieber weggerafften Personen, so sind deren Viele ohne Särge, auch ohne allen weiteren Prunk und Aufzug auf hiesigem Gottesacker an der Kirche, und dem vor dem Dorfe nach Abtnaundorf zu beerdigt worden. … Weiter Mag. C.G. Schmidt: Nun gelang es mir gegen Ende dieses verhängnisvollen Jahres [1813], ein Hufenguth in Schönfeld käuflich an mich zu bringen, und hatte Ursache, dieses Ereignis um so viel mehr als einen Weg der göttlichen Vorsehung zu betrachten, je weniger ich an eine baldige Wiederherstellung meiner Amtswohnung hoffen durfte, deren Bau dem damaligen Gerichtsherrn und Kirchenpatron so wenig am Herzen lag, daß ich im folgenden Jahr (1814) nicht einmal die Herstellung der Scheuer erlangen konnte, die mir doch zur Aufbewahrung meiner Erndte höchst nöthig war, und ich daher für mein Getreide bei einigen Nachbarn im Dorfe ein Unterkommen und Obdach suchen mußte. Nachdem ich nun den Winter hindurch in dem erkauften Guthe, welches zwar vom Feuer verschont geblieben, aber doch auch äußerst ruinirt worden war, die nöthigsten Reparaturen hatte machen lassen, so verließ ich noch Ostern 1814 mein Pathmos [=Verbannungsort] im Kohlgarten mit dem innigsten Dankgefühl gegen meinen bisherigen güthigen Wirth und zog nach einem halbjährigen Exilium nach Schönfeld zurück, in Hoffnung, auch einmal wieder von meiner Amtswohnung Besiz zu nehmen, wenn es anders Gott, mein Leben bis dahin zu geleiten, gefallen wird, meine bereits hoch hinauf gestiegenen Jahre bis dahin zu fristen, und der Gottesdienst wurde von der Zeit an abwechselnd in der Capelle des Kohlgartens und auf dem Herrenhofe zu Abtnaundorf gehalten, wozu der Herr Geheime Kammerrath Frege bis zum Ende des Sommers das Gerichtshauß und nachher aber den unteren Speisesaal im Haupthause einräumte. Die Taufen und Trauungen wurden, meistens in meiner Stube, zum Theil aber auch in der Capelle verrichtet, falls ich gerade dort zugegen war. Das erste von unseren eingeäscherten geistlichen Gebäuden, für deren Bau gesorgt wurde, war billig die Schulwohnung, deren Herstellung der damalige Gerichtsherr übernahm; da man aber spät im Sommer damit anfing, so wurde sie erst im tiefen Herbst so weit vollendet, daß die Schulstube fertig, und zugleich zum Halten des Gottesdienstes eingerichtet werden konnte, zu welchem Zweck sie am zweiten Adventssonntage [Dezember 1814] eingeweiht und von da an der Gottesdienst in der Capelle nur aller drey Wochen gehalten worden ist. 21 Hier muß ich etwas einschalten, das ich zur Kenntnis meiner lieben Nachfolger im Amte zu bringen nicht unterlassen darf. Durch die traurige Notwendigkeit nach dem die Kirche zu Schönefeld betroffenen schrecklichen Unglück die Begräbniskapelle des Kohlgartens zum Interimsort des öffentlichen Gottesdienstes vor der Hand zu wählen, war bei der dasigen Gemeine der Wunsch entstanden, diese Bequemlichkeit auch für die Zukunft zu genießen, und die drey Dörfer des Kohlgartens – (Sellerhausen und Stünz nahmen keinen Teil daran) – kamen bey E. Höchlöbl. Consistorii zu Leipzig mit einer weitläufigen Vorstellung ein, in welcher die Beschwerden, die mit ihrer zeit …[?] Verbindung mit Schönefeld verbunden seyn sollen, mit übertriebenen Farben schilderten, und darauf antrugen, daß Ihnen gestattet werden möchte, ihre Capelle zu erweitern, und in derselben ihren Gottesdienst fortzuhalten, welcher, wie aus ihrem Schreiben in ziemlich verworrenen Äußerungen hervorzugehen scheint, dem Pfarrer in Schönefeld zuzumuthen und auch die vorfallenden Trauungen und Taufen in der Capelle zu verrichten, gefordert wurde. Dieses in den hiesigen Pfarrakten befindliche Schreiben wurde dann sämtlichen eingepfarrten Gemeinden kommuniziert, die ihre Meinung und Gutachten darüber eingaben, aber meistens verneinend gestimmt haben, welches auch von mir feierlich protestando geschehen ist und nicht anders geschehen konnte, wie aus denen von mir angeführten Gründen ersehen werden kann, die hauptsächlich aus meiner Vocation zum hiesigen Pastorat hergenommen sind. Den hiesigen Gerichten ist aufgegeben, Bericht zu erstatten, u. es steht zu erwarten, wie ein hohes Collegium entscheiden wird. Es ist jedoch höchst wahrscheinlich, daß es bey dem Alten bleiben wird, und das die Kohlgärtner Gemeinde, die ein so kostspieliges Unternehmen auszuführen nicht im Stande ist, sich durch diesen unüberlegten Schritt, der einer ohne den Wirth gemachten Rechnung höchstwahrscheinlich folgt, unnötige Kosten wird zugezogen haben. Ich werde übrigens nicht ermangeln, den Ausgang dieser Angelegenheit sobald eine höhere Entscheidung erfolgt seyn wird, der gegenwärtigen Nachricht zu seiner Zeit beyzubringen. Der Wiederaufbau der zerstörten Kirche verzögert sich also nicht nur durch die Krankheit des Patronatsherrn (?) und durch die geringen Möglichkeiten der verarmten Gemeinde, sondern auch durch Uneinigkeit innerhalb des Kirchspiels. In seiner Predigt am 1 . Advent 1 81 5 klagt der Pfarrer Mag. C.G. Schmidt und erbittet Hilfe auch von anderen, die von der Last des Krieges nicht so getroffen worden waren. Unser Gotteshaus ist ein trauriges Opfer der wildesten Zerstörung geworden: es liegt in seinen jammervollen Ruinen vor unsern Augen; noch hat man zur Wiederherstellung desselben keinen Stein angerührt. … Gedankenlos und ohne Rührung blicken viele auf diesen Grund der Verwüstung hin, und sagen oder denken doch in ihrem Herzen: die Zeit ist noch nicht da, daß man des Herrn Haus baue. … Eure Zeit ist da, daß ihr in euern wieder aufgebauten Häusern wohnet 22 und dieses Haus muß wüste stehen? … Hinzu gesellen sich noch die Nachwehen eines für geendigt gehaltenen Krieges der, ehe wir es denken, in neue Flammen ausbrechen kann … Das Gotteshaus hatte oft nicht Raum genug, um alle zu fassen, die sich eingefunden hatten zu hören, was mir von Gott an sie befohlen war. … Allein wie ist das nun ganz anders bey uns geworden! Welche Gleichgültigkeit gegen den öffentlichen Gottesdienst, welche sichtbare Verachtung des göttlichen Worts, welcher Unglaube, welche Sittenlosigkeit ist unter uns eingerissen und herrschend geworden? ... Nun jammerten und wehklagten wir, als wir zu dem Greuel der Verwüstung hinaufblickten: nun riefen wir trostlos aus, ach, unser schöner Tempel: … ach möchtest du aus deinen Trümmern bald wieder hervorgehen! Allein zu diesem wichtigen Zweck braucht Gott Mittelspersonen, wohlthätige Menschen- und Gottesfreunde, treue Verehrer der Religion und des Gottesdienstes, die es nicht länger mit ansehen können, daß das Haus des Herrn wüste liege, während sie in bequemen und schönen Häusern wohnen: Durch Freigebigkeit und großmüthige Mitwirkung muß ein Werk befördert werden, das fraglich unsere Kräfte weit übersteigt, und einen Aufwand nöthig macht, den die zu unserm Gotteshause gehörenden Gemeinden, die durch die schrecklichen Kriegsereignisse, und durch den noch immer fortwährenden Druck der Zeit auf das Äußerste mitgenommen worden sind, aus eigenen Mitteln aufzubringen, nicht im Stande seyn würden, und ihr Gotteshaus noch lange in seinen Ruinen liegen lassen müßten, wenn ihnen nicht durch fremde Beyhülfe unter die Arme gegriffen würde. … Ich wage es, mich besonders an euch zu wenden, ihr begütherten und großmüthigen Bewohner der uns so nahen Stadt, die sich von jeher als eine unverdrossene Beförderin gemeinnütziger Anstalten, als eine wohlthätige Mutter der Hülfsbedürftigen auszeichnet, welche in jenen verhängnißvollen Tagen, die Brand, Plünderung und alles Unglück über uns brachten, durch die schützende Hand einer höhern Vorsehung so gnädig erhalten …, die ihre herzliche Dankbarkeit für dieses Wunder ihrer Erhaltung durch Werke der Liebe an den Tag gelegt, und Gaben und Allmosen unter die nothleidenden Brüder mit vollen Händen ausgespendet hat. … Ersetzet von eurem Überfluß unsern Tempel, helfet uns Holz und Steine herbeyschaffen, helfet uns Grund zu legen zu unserm Tempel. … 23 Nicht nur die Kirche, auch das Pfarrhaus liegt in Trümmern. Der Pfarrer ist zu seiner Existenz auf die Erträge seiner kleinen Landwirtschaft angewiesen. Die notwendigen Gebäude wieder aufzubauen, ist er als fast 70jähriger Greis nicht in der Lage. Seine dringende Bitte geht an die Kircheninspektion bzw. an den Herrn Kirchenpatron. Pfarrer Mag. C.G. Schmidt schreibt am 3. März 1 81 5: (PfA Altakte 327, Bl. 26 und 27). Magnifice, Hochwürdigen Wohl und HochEdelgebohrene Besonders HochzuEhrende Herren, Das unser armes Schönefeld betroffene harte Schicksal ist zu sehr in die Augen springend, als daß ich eine ausführliche Darstellung deßelben vorausgehen zu lassen nöthig hätte. Sie, würdiger Herr Kirchenpatron, sind von diesem großen Unglück vor anderen am schrecklichsten umgriffen worden, und haben sich vor dem Jahre in der Nothwendigkeit befunden, selbst Scheuern Ihrer Unterthanen in Anspruch zu nehmen, um Ihr Getreide einbringen zu lassen. Auch mein Fall ist es gewesen, einen anderweitigen Zufluchtsort für meine Erndte suchen zu müssen: es ist mir damals gelungen, meine Garben ins Trockene zu bringen; und der Wunsch, meiner in diesem Jahr zu hoffenden Erndte wiederum ein sicheres Obdach zu verschaffen, ist die Veranlassung des gegenwärtigen ehrerbietigen Schreibens, welches ich an eine hochverehrliche Kirchen-Inspektion zu Schönefeld ergehen zu lassen mich gedrungen fühle. Daß die sämmtlichen Pfarrgebäude mit allen in denselben befindlichen Mobilien, mit dem der Fouragirung [= Beschlagnahme durch die Truppen] noch entgangenen Getreide, mit allen zur Feldt-Oekonomie gehörigen Geräthschaften an jenem verhängnißvollen 18. Octbr. 1813 ein Raub der Flammen geworden, ruhet Demselben gewiß auch in mitleidigem Andenken, und die theilnehmenden u. wohlwollenden Gesinnungen, welche Sie mir damals zu erkennen gaben, haben einen lindernden Balsam in meine schmerzende Wunde gegoßen. Da die nächste Behörde, an welche ich mich nach dem Brande zuerst wendete bey der allgemeinen Zerstörung, in welcher unser Ort versunken war, mir keinen Platz nachweisen konnte, wohin ich meine Zuflucht hätte nehmen u. mich zu Fortführung meines Amtes aufhalten könne; so fand ich denselben durch meine eigene Bemühung im Kohlgarten, auf dem Guthe des Herrn Kaufmann Wilhelmi zu Leipzig, der so gefällig und grosmüthig war, mir eine bequeme und völlig ausmöblierte Wohnung einzuräumen ohne irgendwelche Vergütung dafür zu verlangen, in welcher ich mich ein ganzes halbes Jahr überaus wohl befunden habe. Es gelang mir, gegen Weihnachten ein Hufenguth in Schönefeld käuflich an mich zu bringen, deßen Gebäude von der Zerstörung nicht so viel gelitten hatten, welches ich nach Ostern des vorigen Jahres [1814] nach vorhergegangenen mehreren kostspieligen Reparaturen beziehen konnte, u. das von der Vorsehung gleichsam für mich erhalten zu seyn schien, da die benachbarten Häußer fast alle vom Feuer waren eingeäschert worden. Ich bat … dringend u. flehentlich, mir wenigstens die Pfarrscheune zu bauen, da die zu meinem Guthe gehörige das gewachsene Getreide nicht zum dritten Theil dort faßen konnte. Man erwiderte: es wäre kein Geld vorhanden; es müsste vor allen Dingen zur Wiederherstellung der Schulwohnung geschritten werden; man versprach bestimmt und zuversichtlich, daß Scheune und Ställe im folgenden Jahr gewiß an die Reihe kommen sollten; ich beruhigte mich bei diesen Zusicherungen und war so glücklich, meine Erndte theils in meiner eigenen, theils auch in einigen Scheunen gutdenkender Nachbarn unterzubringen. Allein, HochzuEhrende Herren, es gewinnt mählig das Ansehen, als wenn dieses mir gethane Versprechen auch in diesem Jahre unerfüllt bleiben würde, indem 24 man den Mangel an Geld abermals zum Vorwand braucht, und sich bereits laut erklärt hat, daß man einem so gerechten Wunsche nicht zu entsprechen entschloßen sey; und das nöthiget mich, dieses so dringende Anliegen zuvörderst einer hochverehrlichen Kirchen-Inspektion vorzutragen, mit der Bitte, dasselbe hochgeneigt zu beherzigen, und auf das baldigste zu Kenntniß und Entscheidung Eures Hochlöbl. Consistorii zu bringen. Die geringsten Feldbesitzer haben ihre zerstörten Scheunen wieder aufgebaut, da sie zu den ersten Bedürfnißen der Oekonomie gehören; und ich soll dieses unumgänglich nöthige Bedürfniß allein entbehren, und bey dem Mangel einer Scheune einen Haupttheil des mir durch die Feldwirthschaft ungewissen Einkommens einbüßen und sichtbar zu Grunde gehen laßen? Ich soll die große Summe, welche die Retablierung [=Wiederherstellung] meiner ganz zerütteten Oekonomie gekostet und mich in eine sehr bedeutende Schuldenlast gestürzt hat, umsonst aufgewendet haben? Kann das einer hochverehrlichen Kirchen-Inspektion gleichgültig sein! Daß meine zu dem von mir erkauften Guthe gehörige Scheuer kaum den vierten Theil der zu hoffenden Erndte faßen kann, liegt am Tage. Soll ich nun das Übrige unter Gottes freyen Himmel hinstellen u. entweder dem gänzlichen Verderben, oder doch einer nicht zu leugnenden Einbuße preisgeben, da mir in diesem Jahr Niemand seine Scheuer wird öffnen können, die Jeder für sich nöthig hat? Ist nun Zentrum des Dorfes Schönefeld in der 2. Hälfte des 1 8. Jahhunderts ohne exakten Maßstab, Kartenausschnitt etwa 600 m x 400 m, Karte im Pfarrarchiv, handschriftliche Eintragungen schwer leserlich 25 aber zum Bau der Pfarrscheuer im Aerario [=Vermögen der Patronatsherrschaft] kein Geld vorhanden: so liegt der Kirchfarth ob, für die geistlichen Gebäude zu stehen und ist der Observanz [= Gewohnheit] gemäß, dass sie in solchen Fällen zu Mitleidenschaft gezogen werden muß. Es ist – ich fühle es – eine unter den dermaligen Umständen harte Zumuthung, aber es ist nicht weniger drückend für mich, wenn man hart genug seyn wollte, meine so gerechte Bitte zurückzuweisen? Jetzt könnte noch mit geringerem Aufwand gebaut werden als bey längerem Aufschub; u. sollte es denn nicht möglich seyn, daß einer oder einige unserer wohlhabenden u. wohldenkenden Güterbesitzer im Kirchspiel veranlaßt werden könnte, für die sämmtliche Gemeinde gegen zu gewährende hinlängliche Sicherheit den Vorschuß zu machen. … Gewiß mit einer sehr bedeutenden Ersparniß der Kosten kann man davon kommen, wenn bald Hand ans Werk gelegt wird. Denn nach dem Urtheil der Sachverständigen können die sehr starken Außenwände der Scheuer stehen bleiben, und bedürfen nur einiger Reparatur u. Ausbeßerung. Sollen sie noch einen dritten Winter dem Regen u. Schnee ausgesetzt seyn, so stürzen sie höchstwahrscheinlich völlig zusammen, da sie schon hier u. da bedeutende Riße bekommen haben, und die Kosten würden dann wenigstens um ein Drittheil, wo nicht noch höher hinaufsteigen. Und laßen Sie, hochverehrte Patrone, mich endlich noch das hinzusetzen, daß mir eine zur Besoldung angewiesene Feld-Oekonomie ein Hauptobjekt ist, auf deren ungestörte Fortführung ich desto mehr sehen muß, da meine übrigen Einnahmen bey der allgemeinen Verarmung des Kirchspiels sich gewiß um ein Drittheil vermindert haben. Nehmen Sie indessen, HochzuverEhrende Herren, diese angeführten Gründe in Hochgeneigte Erwägung, und erlauben mir, Ihnen noch Folgendes an das Herz zu legen. Ich habe dem hiesigen Pfarramte nun bereits 36 Jahre vorgestanden, und mich der Zufriedenheit meiner Vorgesetzten sowohl als der Liebe und alles Zutrauens meiner Gemeine erfreuen dürfen. Ich gehe meinem siebzigsten Lebensjahre mit starken Schritten entgegen, und habe meinen wahrhaftig frommen Dienst am Hauße des Herrn hoffentlich bald vollendet, in welchem ich neben dem vielen Guten, womit Gott mein Amt gesegnet hat, auch manche bittere Erfahrung habe machen müßen. Ich begehre in der Welt weiter keine großen Dinge, da mir Gott in den überstandenen schrecklichen Stürmen der Zeit mein Leben hat zur Ausbeute daran bringen laßen, und mein sehr bescheidener Wunsch geht blos dahin, daß der Abend meines Lebens heiter seyn möge, und daß mir Gott, wenn er mir anders nun noch höheres Ziel bestimmt hat, ein sorgen- und kummerfreyes Leben schenken wolle. Helfen Sie, HochgeEhrteste Herren, soviel bey Ihnen steht – und ein bedeutender Theil meiner Ruhe und Wohlfarth liegt in Ihren Händen – diesen Wunsch befördern. Tragen Sie zur Erfüllung dieser meiner so gerechten Bitte, mit welcher ich mich an Sie, als der ersten Instanz wenden zu müssen geglaubt habe, was Sie können bey, damit ich mein Ammt ferner mit Freude thun kann, und nicht über unverdiente Zurücksetzung zu seufzen, und meine vielleicht noch wenigen Tage mit Wehmuth und Jammern zu beschließen genöthiget werde, sondern nach froh und glücklich vollendetem Tagewerk auf Erden einer höheren und 26 vollkommeneren Würksamkeit in der besseren Welt entgegen zu gehen, im Stande sey. Mit einer Hochachtung und Ehrfurcht, die aus einem reinen Herzen quilet, und mit nochmals wiederholter Bitte, dieses mein Anliegen auf das baldigste zur Kenntniß u. Genehmigung Eures Hochlöblichen Consistorii zu bringen, verharre ich Magnifizenz, Hochwürden Wohl, und HochEdelgebohrenem gehorsamster Diener Mag. Christian Gottlieb Schmidt, Pastor Schönefeld, am 3. Martii 1815 Ob und wie dieser dringende Bittbrief beantwortet wurde, ist nicht bekannt. Der Kirchenpatron, der Rittergutsbesitzer J.U. Schneider, lag krank darnieder und starb am 20. Mai 1 81 5 in Leipzig. In dem Bemühen, eine oder mehrere alte Kanonen des vergangenen Krieges zu bekommen, um die Bronze für den Guß neuer Glocken verwenden zu können, wandte sich der Gerichtsverwalter J.C. Neubert im Oktober 1 81 5 auf erfolgversprechendem Wege an den Feldmarschall der Siegertruppen. (PfA Altakte 327, Bl. 67 Rückseite). An Herrn Dufour-Féronce angesehenen Handels Herren zu Leipzig Verehrungswürdiger Herr Dufour! Ehrerbietigst hat es die unglückliche Gemeinde Schönefeldt gewagt, in der Beilage Sr. Durchlaucht dem Herrn General Feldmarschall Barclay de Tolly um eine oder etliche alte Kanonen zu künftiger Wiederherstellung ihrer Glocken anzugehen, und nur auf Zureden mehrerer Familien, und selbst einige Ihrer Freunde, wage ich es, … Sie um gütige Übergabe der anliegenden Suppliche [= Bittgesuch] ganz ergebenst zu bitten, im voraus überzeugt, daß selbige nicht ungnädig aufgenommen werden wird, bin ich Ihnen als Rechtschaffenem beschwerlich, der schon sehr oft vieles Guthe für andere that. Geruhen Sie meine Zudringlichkeit gütigst zu verzeihen; Ich bin mit wahrer Verehrung Eur. Wohlgeb. ganz ergebenster Joh. Christian Neubert Leipzig den 29sten Oct. 1815 27 (PfA Altakte 327, Bl. 67 Vorderseite und Rückseite oben) Dem Kayserl. Rußischen General Feld Marschall Barclay de Tolly Hochfürstl. Durchlaucht, derzeit in Leipzig Durchlauchtigster Fürst Gnädigster Herr General Feld Marschall! Eine unglückliche, ja gewiß die unglücklichste Gemeinde Sachßens wagt es, Eur. Durchlaucht als Menschenfreund unterthänigst anzugehen. Die Verdrängung des linken Flügels der Franzosen durch das Langeronsche, Yorckhsche, Wellingtonsche [?] und Schwedische Corps an jenem 16., 17. u. 18ten October 1813 legte unser ehedem großes, und sehr ansehnliches Dorf ganz in die Asche, – und so verweilen wir noch größtentheils auf deßen Trümmern, welche wir jedoch mit der Zeit wieder herzustellen gedenken, während dagegen Kirche und Pfarre noch ganz fehlt. … Mit großer Anstrengung stellte uns zwar schon unser Guthsbesitzer die mit eingeäscherte Schule wieder her – obschon er selbst alle seine ansehnliche Gebäude und noch über 180.000 rl. [?] einbüßte, allein ! zum Aufbau der Pfarre und Kirche ist wenig Hoffnung vorhanden, zumal dazu über 48.000 rl. [?] erfordert werden. Nur gute Herzen können deshalb Etwas noch und noch geschehen laßen, und so bitten wir denn auch insbesondere Eur. Durchlaucht als großen Menschenfreund unterthänigst: Durch eine oder etliche alte Kanonen das ehemaligs sehr beträchtliche und schöne Geläute zu 9 größtentheils mit sammt verwüsteten Dorfschaften uns wieder gnädigst zu verehren. Schon der ehemalige Gouverneur Sachßens, Herr Fürst Repnin hatte auf unser Bitten die Gnade, zu diesem Zwecke eine ansehnliche Kanone von den ehemals eroberten niederländischen Allhiro liegen zu laßen, allein ! die Zerstückelung Sachßens machte, daß die Preußen auch dieses Stück mit nach Torgau schafften. Wollten nun Eur. Durchlaucht wohl gar bey Höchstdero großen Monarchen sich für unsere unglückliche Kirche mit verwenden, so wird Sie Gott segnen, und Thränen des Danks werden deshalb noch nach spätern Jahren … den ädlen Herzen fließen. Mit tiefster Ehrfurcht sind wir Eur. Durchlaucht unterthänigst gehorsamste die Gemeinde daselbst, und deren Justitiar Joh. Christian Neubert. Schönefeldt bey Leipzig den 29sten Octobr 1815. 28 Pfarrer Mag. C.G. Schmidt berichtet weiter über den endlichen Aufbau der Kirche und der Pfarre. Nachdem der hiesige Gerichtsherr, H. Johann Ulrich Schneider, im Monat May 1815 gestorben war, so wurde auch durch kräftige Mitwirkung des hiesigen Gerichtsdirektors, Herrn Advokat Neubert in Leipzig, zum Bau der Pfarrscheune Anstalt gemacht, die im Monat Juli fertig wurde, und ich habe die Hoffnung, daß die Reihe nun auch an die übrigen Pfarrgebäude kommen wird; sowie es dort beschlossen ist, daß in diesem Jahr (1816) der Bau der Kirche angefangen werden soll, zu welchem Behuf auch ich einen kleinen Beitrag geliefert u. eine am ersten Adventssonntage v.J. gehaltene Predigt, von welcher einige Exemplare bey den Pfarrakten liegen, hatte drucken lassen, aus deren Verkauf die ziemlich bedeutende Summe von 738… …gr…. worden ist, die Gott wirklich fragen, u. mich, wenn es ihm gefällt, die Herstellung unseres Gotteshauses erleben lassen wolle, in welchem ich über 36 Jahr … habe. Die Fortsetzung dieser Nachrichten soll, Deo volente [=so Gott will] zu seiner Zeit erfolgen. Schönefeld, am 5. Februar 1816 Soweit der Bericht des Pfarrers Mag. C.G. Schmidt, dessen letzte Zeilen nicht vollständig entziffert werden können. Die in erweiterter Form neu erbaute Kirche konnte nach mehr als dreijähriger Bauzeit am Sonntag Misericordias Domini, dem 1 6. April 1 820, feierlich eingeweiht werden. Die Festansprache des Pfarrers Mag. C.G. Schmidt ist unter dem barocken Titel „Geschichtliche Erzählung O auch der nach länger als sechs Jahren erfolgten Wiederherstellung des Gotteshauses O“ publiziert worden. Sie bringt an unauffälliger Stelle (Seite 43/44) wertvolle Angaben über die Kirche, die in der Völkerschlacht zerstört worden war, nämlich einen Bau mit einem schmalen romanischen Kirchenschiff und wesentlich breiterem Altarraum aus barocker Zeit: „… schon im Jahre 1776 … war … durch ein Legat … des … Kirchenpatrons Herrn Hofrath Zeumers … das für die zahlreiche Kirchfarth sehr beschränkte Kirchhaus … nach der Morgenseite hin um die Hälfte erweitert worden, und der entgegengesetzte, äußerst beengte, mit kleinen Fenstern nur nothdürftig erleuchtete Theil nebst dem Turme war stehengeblieben.“ 29 Dieses romanische Kirchenschiff wurde 1 81 6 als unmodern empfunden und darum beseitigt, um ein neues Kirchenschiff in der größeren Breite des östlichen Anbaues aufführen zu können. … wurde … beschlossen, dieses das Kirchhaus höchst verunstaltende Stück, nebst der darinnen befindlichen Sakristey und der über derselben herrschaftlichen Kapelle, vollends abzubrechen, mit dem ehemaligen, stehengebliebenen Zeumerschen Anbau auf beyden Seiten in gleicher Linie fortzufahren, und so dem neuen Gotteshause nicht nur eine nötige Erweiterung, sondern auch eine gefällige Ansicht zu verschaffen. … Dieser Text von Mag. C.G. Schmidt erlaubt, sich eine Vorstellung von der älteren Kirche vor der Völkerschlacht zu machen, und dieser Text hilft zum Verständnis der beiden Ölgemälde, die aus der gleichen Zeit stammen und sich jetzt im Besitz der Kirchgemeinde befinden. Den Wiederaufbau seines Pfarrhauses hat Pfarrer Mag. C.G. Schmidt nicht mehr erlebt, er starb im Februar 1 823 in Schönefeld in dem kleinen Gute, das er sich gekauft hatte. Auf ein neues Bronzegeläut mußte die Gemeinde noch länger warten. Erst im August 1 839 konnte Pfarrer C.A. Wildenhahn die neuen Glocken einweihen. In den auf die Völkerschlacht folgenden Jahren und Jahrzehnten wurde in dem betroffenen Gebiet die Erinnerung daran bei unterschiedlichen Anlässen immer wieder wachgerufen. Mehr als 33 Jahre nach der Schlacht erinnert Pastor Mag. Gottfried Friedrich Volbeding in den „Mittheilungen und Anzeigen aus der Parochie Schönefeld“ (1 847, Seite 1 37). Unter den im Laufe des Jahres 1846 verstorbenen sei des Tag- und Nachtwächters, Johann Matthäus Prätorius gedacht, welcher, zu Mitau in Curland geboren, als russischer Soldat die Feldzüge des letzten Krieges mitmachte, im October 1813 an der Schlacht bei Leipzig Theil nahm und seinen künftigen Wohnort, der auch sein Sterbeort werden sollte, zum ersten Male im Getümmel der Schlacht betrat. Er fand in Abtnaundorf seine neue Heimath, begründete daselbst seinen Hausstand und erfreute sich einer zahlreichen Familie, mit welcher er sich stets redlich zu nähren bemüht war. Er war lange Jahre schon ein treuer Diener der Gemeinde. – Am 15. September 1846 starb er in dem Alter von 59 Jahren und hinterließ die Witwe, drei Söhne und drei Töchter, welche seinen für sie zu frühen Tod betrauern. – Wie wunderbar Gott seine Menschen führt! In weiter Ferne geboren, findet er hier, wo Tausende seiner Landsleute im blutigen Kampfe ihre letzte Ruhestätte fanden, in den Jahren des Friedens sein Grab, so daß auch an ihm das Wort sich bewährt: Mein Gott, ich weiß nicht, wo ich sterbe und welcher Sand mich einst bedeckt! – Friede denn mit seiner Asche! 30 In den „Mittheilungen und Anzeigen aus der Parochie Schönefeld“ (1 848, S. 34/35) schreibt Lehrer Viehweg aus Volkmarsdorf: Etwas zur Erinnerung an die Schreckenstage im October 1813 Am 23. Februar d.J. wurde von dem sogenannten Trockenplatze bei Volkmarsdorf, aus einer bereits vorhandenen Grube, Sand ausgeworfen. Beim Herauswerfen fand man zwei Todtenköpfe. Als ich, mit mehreren Andern, diese Schädel betrachtete, kam der 76 Jahr alte Tagewächter Tittig dazu und meinte, von diesen Todten könne er Etwas erzählen. „In den Schlachttagen des October, an dem Abend des Tages, an welchem Schönefeld erstürmt worden war [18. Oktober 1813], brachten mir mehrere französische Soldaten zwei schwer Verwundete in mein Haus, einen Oberst und einen Unterofficier. Stillschweigend legte man sie nieder und beim Fortgehen gab man mir zu verstehen, diese Unglücklichen zu verpflegen. Sie selbst riefen mir mit schwacher Stimme zu: „Bauer – Wasser.“ – Das war Alles was sie sagen konnten. Leider konnte ich ihnen auch etwas Anderes nicht gewähren, als das Verlangte. Am andern Morgen waren Beide verschieden. Gern hätte ich den Verstorbenen noch Ruhe gegönnt und ihnen ein Grab gegraben, allein die ankommenden Russen nöthigten mich, sie hinaus zu schaffen und wandelten meine Stube in einen Pferdestall um. Die goldenen Ohrringe, welche die Verstorbenen an sich trugen, nahmen ihnen die Russen ab. Ich trug die Leichname hinter mein Haus und deckte sie mit Stroh zu. Als zum Abmarsch geblasen wurde und die Russen fort waren, grub ich hier für Beide ein Grab. – In dem Tschacko des Unterofficier fand ich ein Buch, welches ich noch besitze, und von dem Oberst habe ich noch einen Knopf seiner Montirung. Noch immer sind in den Dielen meiner Stube die Blutspuren sichtbar, wo diese Todten gelegen haben.“ Hierbei erinnerte Tittig: „ An demselben Tage Nachmittag, war ich im Begriff mir etwas Holz zu suchen und ging nach der Rietzschke zu, da brachten drei Soldaten einen Officier getragen, der in der Nähe des sonst Sacher’schen, jetzt Rößli’schen Hauses gefallen war, – denn hinter der Rietzschke standen noch Franzosen und schossen herauf nach Volkmarsdorf – sie trugen ihn bis dahin, wo jetzt unsere Schule steht. Der Officier, der dabei war, schrieb uns den Namen des Todten auf „Herr v. Berg“ und wir, ich – Tittig – Hünsch und Korn, wir mussten ein Grab machen; die Soldaten gingen dann erst fort, als wir ihn beerdigt hatten.“ – Das Buch, dessen Tittig gedachte, und welches ich mir von ihm erbat, ist nichts anders als die Liste der Compagnie, bei welcher der Unterofficier gestanden hat. Auf der ersten Seite steht: controlles nominatif du Soutoff Chasseur de la ditte companie; und es folgt ein Verzeichniß von 89 Mann; nach den Veränderungen, welche mit Bleistift beigeschrieben sind, geht hervor, wie viele der blutige Kampf hinweggerafft hatte. Sind diese Mittheilungen auch keine welthistorischen, so knüpfen sie sich doch an die Geschichte unseres Ortes und rufen uns die Schreckenstage in das Gedächtniß zurück, welche noch von mehreren unserer Gemeindegenossen erlebt wurden, zugleich aber legen sie es uns sehr nahe, wie großen Dank wir Gott für den langjährigen Frieden schuldig sind. Möge er uns denselben erhalten und mögen wir dieses Gnadengeschenkes stets würdig erfunden werden. 31 Nachbemerkungen von Dirk Heinze Zur Einordnung der Völkerschlacht und ihrem zeitlichen Ablauf Die Völkerschlacht bei Leipzig war die erste Massenschlacht der Weltgeschichte. Sie gehört zu den am besten dokumentierten und erforschten historischen Ereignissen. Die Menge der Einzelheiten und ihre Zusammenhänge untereinander – landschaftliche Bedingungen, beteiligte Truppen, Ausrüstung und Bewaffnung, zeitliche Abfolge, Verluste usw. – sind den Historikern weitgehend bekannt. An der Schlacht bei Leipzig waren etwa eine halbe Million Soldaten aus mehr als zwanzig Nationen und noch viel mehr Völkerschaften beteiligt. Auf beiden Seiten waren rund zweitausendfünfhundert Geschütze verschiedenen Kalibers mit unterschiedlichen Geschossen sowie andere damals moderne Feuerwaffen im Einsatz. Neben Leipzig waren über sechzig Dörfer von den gewaltigen Truppenansammlungen betroffen. In den dreieinhalb Tage andauernden Kämpfen sind einhunderttausend Soldaten getötet worden oder starben in der unmittelbaren Folge an ihren Verletzungen. Elftausend Pferde kamen in den Kämpfen um. Fünfundzwanzig Ortschaften wurden verwüstet oder weitgehend zerstört. Am 1 8. Oktober 1 81 3 konzentrierte sich das Kampfgeschehen im nordöstlichen Vorland der Stadt Leipzig um das Dorf Schönefeld. Die napoleonischen Truppen mußten die Stadt mit allen Kräften verteidigen. Ihnen gegenüber standen die verbündeten Truppen von Preußen, Russen, Österreichern, Schweden und Engländern unter einem einheitlichen Oberkommando. Das VI. Korps der napoleonischen Armee unter dem Kommando von Marschall Marmont hatte in und um Schönefeld Stellung bezogen. Sein linker Flügel endete am Rande der Parthe-Aue im Rittergut, sein rechter Flügel reichte auf der Dorfflur weit nach Osten bis an die Straße von Leipzig nach Taucha. Dieser Punkt war durch die Kavalleriedivision Defrance verstärkt. Im Hinterland dieser Aufstellung standen am südlichen Ende der Lindenallee im Bereich der Windmühle das schwache III. Korps unter dem Kommando von General Souham und die leichte Kavalleriedivision Furnier als Reserven. Etwa zehn Uhr erzwang ein russisches Korps der Schlesischen Armee unter dem Kommando von General Langeron bei Mockau gegen den Widerstand einer französischen Batterie an der Theklaer Kirche den Übergang über die Parthe. Das dreißigtausend Mann starke Korps nahm das Dorf Abtnaundorf ein und formierte sich auf einer Linie zwischen diesem Dorf und dem Vorwerk 32 Heiterer Blick an der Straße von Leipzig nach Taucha. Das war um zwölf Uhr. Langerons Korpsartillerie, siebzig Kanonen und Haubitzen, begannen mit dem Beschuß des Ostteils des Dorfes Schönefeld, wodurch dort die ersten Brände ausgelöst wurden.Die französischen Verteidiger des Dorfes erwiderten die Kanonade auf das Heftigste. Etwa vierzehn Uhr rückte die Nordarmee der verbündeten Truppen von Taucha heran und schloß die breite Lücke der alliierten Front zwischen dem Vorwerk Heiterer Blick und Paunsdorf. Gleichzeitig setzten sich die ersten Langeronschen Kolonnen in Richtung Schönefeld in Bewegung. Sie konnten unter großen Verlusten in das Dorf eindringen, mußten aber nach blutigen Nahkämpfen zurückweichen. General Langeron ließ das zweite Mal angreifen. Unterdessen hatte in der östlichen Umgebung von Schönefeld die Nordarmee Paunsdorf eingenommen. Unterstützt durch den Frontwechsel einer sächsischen Division von der napoleonischen Seite auf die der Verbündeten konnten Teile der Nordarmee bis auf Sellerhausen und Stünz vorrücken. Damit gerieten die französischen Stellungen in Schönefeld in eine exponierte Lage. Gleichzeitig mangelte es den Verteidigern an Artilleriemunition. Diese verzweifelte Lage war der Grund für die Etnscheidung des Oberkommandierenden des linken Flügels der Armee Napoleons, Marschall Ney, das Rittergut Schönefeld mit dem Herrenhaus in Brand stecken zu lassen. Das Feuer breitete sich, unterstützt durch westliche Winde, schnell auf fast alle Gebäude des Dorfes aus. Kurze Zeit später stürzte der Kirchturm brennend zusammen. Dieses Geschehen stoppte den zweiten Angriff des Korps Langeron. Der dritte Angriff, von Norden und von Osten gegen Schönefeld geführt, zwang Marschall Marmont, seine Truppen aus der Ortslage nach Süden bis zur Windmühle zurückzunehmen. Marschall Ney führte eilig Reserven herbei; vierzig Geschütze vom III. Korps gingen an der Windmühle in Stellung. Im Dorf tobte der erbitterte Kampf mehrmals hin und her. Bei dem letzten Angriff gegen achtzehn Uhr konnten Langerons Truppen, unterstützt von achtzig russischen und schwedischen Geschützen, das zerstörte Dorf einnehmen. Marmonts VI. Korps und das III. Korps zogen sich im Schutze der Dunkelheit über die Rietzschke nach Reudnitz, Anger und Crottendorf zurück. Beim Kampf um Schönefeld waren etwa neuntausend Soldaten beider Seiten gefallen oder sind in den folgenden Tagen ihren Verletzungen erlegen. Schlachtordnung in Schönefeld am 1 8. Oktober 1 81 3, gegen 1 4 Uhr bis 1 6 Uhr, unteres Bild gegen 1 6 Uhr bis 1 7 Uhr; grün: angreifende Verbündete; blau: verteidigende Franzosen, Pfeile: Truppenbewegungen. 33 Zu Ungenauigkeiten und Fehlern der historischen Berichte Die vorgelegten subjektiven Zeitzeugenberichte passen mitunter nur schlecht in das objektive Bild, das Militärhistoriker nachträglich konstruieren konnten. Das betrifft vor allem genaue Uhrzeiten, Bezeichnungen von Truppeneinheiten, die Abfolge des Geschehens u.a. Die Differenzen sind oft leicht erklärbar, mitunter auch nur scheinbar. Im Gegensatz zu den Soldaten, die mit dem Ablauf eines Gefechts und mit der Wirkung der eingesetzten Waffen vertraut sind, bedeutet das Kampfgeschehen für die betroffenen Zivilisten eine Fülle von unbekannten Eindrücken. Viele Einzelheiten und Zusammenhänge mußten unverständlich bleiben und gaben Anlaß zu Fehldeutungen und mitunter absonderlichen Vermutungen. Wenn der Gutsbesitzer J.U. Schneider in dem Brief an seinen Londoner Geschäftsfreund schreibt, am Abend des 1 6. Oktobers 1 81 3 sei mit dem kaiserlichen Troß auch Marschall Poniatowski auf dem Rittergut in Schönefeld eingetroffen, so ist das wahrscheinlich eine Verwechslung. General Josef Poniatowski war am 1 6. und 1 8. Oktober Oberkommandierender des VIII. Korps auf dem äußeren rechten Flügel der napoleonischen Armee zwischen Markkleeberg und Connewitz. Handelt es sich bei dem Gast in Schönefeld um einen anderen polnischen Heerführer, vielleicht um Jan Henryk Dombrowski, der am 1 6. Oktober in der Schlacht bei Möckern eine polnische Division bei Groß- und Kleinwiederitzsch befehligt hatte? Wenn der Gutsbesitzer J.U. Schneider in demselben Brief schreibt, sein Gut sei am achtzehnten Oktober um zwölf Uhr in Brand gesteckt worden, so muß dieser Vorgang um etwa zwei Stunden in den frühen Nachmittag verschoben werden. Wenn er weiter von Vierpfundkugeln schreibt, die bei seiner Flucht vom Gut bis zur Windmühle an ihm vorbeigeflogen seien, so ist das nicht als exakte Aussage zu werten, der man viel Bedeutung beimessen müßte. Vierpfünder wurden nur bei der französischen Artillerie verwendet. Auch die Aussage von Pfarrer Mag. C.G. Schmidt, die französischen Marschalle hätten ganz Schönefeld in Brand stecken lassen („französische Mordbrennerey“), ist wohl mehr ein Beweis seiner antifranzösischen Einstellung und nicht als Tatsachenbericht zu werten. Die Behauptung von J.U. Schneider in dem schon mehrfach erwähnten Brief nach London, daß das Dorf Schönefeld mit dem Rittergut von den Franzosen angezündet worden sei, aus Bosheit, „weil es allgemein in 34 der Armee hieß, daß ein englisches Frauenzimmer der Erbe sei“, dient wohl vor allem dazu, in London eine mildtätige Sammlung für den Wiederaufbau von Schönefeld vorzubereiten. Pfarrer Mag. C.G. Schmidt schreibt weiterhin, das Rittergut sei angezündet worden, weil die französischen Verteidiger die Gefahr eines Angriffs der Russen und Preußen von Eutritzsch her über die Parthe sahen. Wenn in den Akten des Kriegsarchivs der Verbündeten kein Hinweis auf einen derartigen Angriff zu finden ist, dann ist damit doch nicht ausgeschlossen, daß die Verteidiger eine solche Gefahr gesehen hatten und ihr begegnen wollten. Die im Verhältnis geringe Zeitspanne vom Ausbruch der Kampfhandlungen um Schönefeld bis zum Einsturz des brennenden Kirchturms kann möglicherweise auf das Zusammenwirken von Brand und Artilleriebeschuß zurückgeführt werden. Die im Bericht des Gerichtsverwalters J.C. Neubert unter dem 1 8. Oktober angeführten Bewegungen der preußischen und russischen Korps in der Gegend von Lindenthal, Wiederitzsch und Eutritzsch scheinen die Schlacht bei Möckern am 1 6. Oktober zu beschreiben. Handelt es sich dabei um eine Zusammenfassung dessen, was man tagelang von hohen Gebäuden in Leipzig aus beobachtet hatte? Im Brief an den russischen Generalfeldmarschall Barclay de Tolly vom 29. Oktober 1 81 5 erwähnt der Gerichtsverwalter J.C. Neubert die Mitwirkung Wellingtonscher Korps beim Kampf um Schönefeld. Handelt es sich dabei um eine Verwechslung mit dem Rockettroup der „Kings Royal Horse Artillery“, der Bestandteil der Nordarmee war, und dessen Captain Richard Bogue bei Paunsdorf fiel und der auf dem Friedhof Taucha begraben liegt? Oder ist es allgemein eine freundliche Erwähnung der Mitwirkung englischer Truppen? Lord Wellington kommandierte im Jahr 1 81 3 ein englisches Expeditionskorps, das in Spanien gegen Napoleons Truppen kämpfte. Unter ihm diente damals wohl auch Franz Botho Freiherr von Eberstein als großbritannischer Captain von der Armee, der unterdessen in Schönefeld war und dessen Verehelichung mit der Gutsbesitzerin Marianne Schneider kurz bevorstand. Der von Pfarrer Magister C.G. Schmidt für den zweiten Pfingstfeiertag, den siebten Juni 1 81 3, erwähnte Waffenstillstand, von dem einzelne Truppenteile noch nicht informiert waren, war am vierten Juni 1 81 3 eingetreten und dauerte bis zum zehnten August 1 81 3. Quellenangaben Bildnachweis Chronik der Parochie Schönefeld bei Leipzig handschriftlich, nur teilweise paginiert, angelegt von Pastor C.A. Wildenhahn am 11 . August 1 838, lückenhaft weitergeführt bis in die 1 920er Jahre (zuletzt nur noch Sammlung von Zeitungsausschnitten), Pfarrarchiv der Matthäuskirchgemeinde Vordere und hintere Umschlagseite: Ölgemälde von der Ruine der Kirche Schönefeld. Eigentum der Matthäuskirchgemeinde Leipzig Nordost, Foto: Gregor Gebauer 201 3 Zweite Umschlagseite: Übersichtsskizze nordöstliche Vorstadt von Leipzig, Autor: G. Hönemann S. 3: Handschrift des Magisters C.G. Schmidt, Pfarrarchiv der Matthäuskirchgemeinde Leipzig Nordost S. 9 und 11 : Handschrift des Rittergutsbesitzers Johann Ulrich Schneider, Pfarrarchiv der Matthäuskirchgemeinde Leipzig Nordost S.1 5: Handschrift des Pfarrers Carl August Wildenhahn, Pfarrarchiv der Matthäuskirchgemeinde Leipzig Nordost S. 1 9 und 25: Plan des Dorfes Schönefeld (Ausschnitte), Pfarrarchiv der Matthäuskirchgemeinde Leipzig Nordost, Legende S. 25: G. Hönemann S. 20: Ölgemälde im Eigentum der Matthäuskirchgemeinde Leipzig Nordost, Foto: Gregor Gebauer S. 33: Kartenskizzen des Schlachtgeschehens am 1 8. Oktober 1 81 3 in Schönefeld, Autor: D. Heinze S. 36: Kirche Schönefeld, Ansicht von Südwesten, Zustand 1 91 6, Künstler unbekannt Brief des Rittergutsbesitzers J.U. Schneider an einen Londoner Geschäftsfreund vom 20. Dezember 1 81 3 Pfarrarchiv der Matthäuskirchgemeinde Die Wiederherstellung und Aufbauung der sämmtlichen am 1 8ten Octbr. 1 81 3 eingeäscherten geistlichen Gebäude zu Schönefeld betr., ergangen von den Herrlich Schneiederschen Gerichten zu Schönefeld Anno 1 81 7, Pfarrarchiv der Matthäuskirchgemeinde, Altakte 327 Mittheilungen und Anzeigen aus der Parochie Schönefeld 1 847, S. 1 37 Pastor Mag. G.F. Volbeding: Erinnerungen an Johann Matthäus Prätorius 1 848, S. 34/35 Lehrer Viehweg: Etwas zur Erinnerung an die Schreckenstage im Oktober 1 81 3 1 848, S. 1 38 Diakon Ludwig Rothe: Nachruf auf Johann Gottfried Heinicke Schmidt, Christian Gottlieb Eine Predigt am 1 . Sonntage des Advents 1 81 5 – ein Wort der Erweckung bei dem Eintritt in ein neues Kirchenjahr; wir müssen ein Tempel Gottes werden, wenn unsere Hoffnung, unser Gotteshaus bald wieder hergestellt zu sehen, in eine erfreuliche Erfüllung gehen soll. Gedruckt bei Karl Tauchnitz, Leipzig Schmidt, Christian Gottlieb Einweihungs- und Jubelfreude in Schönefeld am Sonntage Misericordias Domini 1 820, an welchem Tage das dasige Gotteshaus nach sechsjähriger Entbehrung der Gemeinde wieder eröffnet und mit dieser Feierlichkeit das Andenken an die fünfzigjährige Amtsführung des Pfarrers daselbst verbunden wurde. – Nebst einer geschichtlichen Erzählung der harten Schicksale, welche den hiesigen Ort betroffen haben und der endlichen Wiederherstellung und Einweihung seinesGotteshauses, welche an diesem Tage vollzogen wurde. Paul Gotthelf Kummer, Leipzig, 1 820 Stöckel, Albert Die evangelisch-lutherische Parochie Schönefeld von ihren Anfängen an bis heute. Verlag Arwed Strauch, Leipzig, 1 91 2 Berger, Karl Predigt zur Wiedereinweihung der Leipzig-Schönefelder Kirche [Gedächtniskirche] am Sonntag Reminiscere, 1 9. März 1 91 6. Adolf Menzes Verlag, Leipzig-Neustadt 35 Die Geschehnisse der Völkerschlacht hatten sich tief in das kollektive Gedächtnis der Bewohner des Landes eingeprägt. Als reichlich hundert Jahre später in dem unterdessen in die Großstadt Leipzig eingemeindeten Schönefeld eine charakteristische Bezeichnung für die renovierte und wieder erweiterte Kirche gefunden werden mußte, konnte der Pfarrer in seiner Einweihungspredigt am 19. März 1916 die einhellige Meinung der Gemeinde formulieren: „Welcher Name könnte aber wohl geeigneter sein als der Name Gedächtniskirche“. 36