Gegen Kreislaufschwäche und Hitzewallungen fürs Klima von der

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Impressum
Herausgeberin
Bündnis 90/Die Grünen
Bundestagsfraktion
Platz der Republik 1
11011 Berlin
www.gruene-bundestag.de
Verantwortlich
Sylvia Kotting-Uhl MdB
Sprecherin für Umweltpolitik und Obfrau im Parlamentarischen Beirat für Nachhaltigkeit
Bündnis 90/Die Grünen
Bundestagsfraktion
Platz der Republik 1
11011 Berlin
E-Mail: [email protected]
Redaktion
Dr. Michael Weltzin, Ulrike Köppchen, Jörg Kaschubowski
Bezug
Bündnis 90/Die Grünen
Bundestagsfraktion
Info-Dienst
Platz der Republik 1
11011 Berlin
Fax: 030 / 227 56566
E-Mail: [email protected]
Schutzgebühr
€ 1,50
Redaktionsschluss
07.05.2008
Der grüne Ressourcenkongress - Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion - 04/2008
Inhalt
Der grüne Ressourcenkongress
Gegen Kreislaufschwäche und Hitzewallungen – fürs Klima von der Abfall- zur Ressourcenpolitik
Vorwort........................................................................................................................................3
Programm ...................................................................................................................................4
Begrüßung ..................................................................................................................................7
Vortrag Prof. Dr. Friedrich Schmidt-Bleek (Factor-10-Institute):
10 Thesen zur Annäherung an die Nachhaltigkeit............................................................10
Thesenpapier ...........................................................................................................................13
Vortrag Sylvia Kotting-Uhl, umweltpolitische Sprecherin Bündnis 90/Die Grünen:
Von der Abfall- zur Ressourcenpolitik ................................................................................14
Diskussion ................................................................................................................................17
Forum 1: Von der Wiege zur Wiege - Abfall als Rohstoff
Materialeffizienz und Ressourcenschonung als praktizierter Klimaschutz .................20
Vortrag Dr. Udo Küppers, Bioniker:
Im Dialog mit der Natur - Für eine nachhaltige Stärkung von Technik, Wirtschaft
und Gesellschaft .....................................................................................................................20
Diskussion ................................................................................................................................17
Forum 2: Über Siedlungsabfälle hinaus – Klimaschutzpotenziale jenseits
der gelben, grünen oder blauen Tonne...............................................................................26
Vortrag Dipl.-Ing. Clemens Deilmann, IÖR Dresden:
Szenarien des Materialin- und -outputs durch veränderte Wohnungsbau- und
Infrastrukturnachfrage...........................................................................................................32
Diskussion ................................................................................................................................35
Forum 3: Es geht auch ohne - weg vom Erdöl als Schlüssel einer nachhaltigeren
Wirtschaft .................................................................................................................................39
Vortrag Dr. Harald Kaeb, European Bioplastics:
Nachwachsende Rohstoffe effizient nutzen - am Beispiel Biokunststoffe ....................39
Diskussion ................................................................................................................................43
Zusammenfassung und Ausblick.........................................................................................50
Anhang: Eckpunkte einer grünen Wertstoffverordnung ..................................................51
Der grüne Ressourcenkongress - Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion - 04/2008
Vorwort
Trotz aller Erfolge in der Abfallpolitik funktioniert unsere Wirtschaft noch immer als
Einwegwirtschaft, die der Erde in großen Mengen Rohstoffe entnimmt, sie veredelt,
weiterverarbeitet, mit anderen Rohstoffen mischt und so Produkte herstellt, die nach
Gebrauch nicht wieder in den Wirtschaftskreislauf zurückzuführen sind. Sie werden
in der Regel in nicht weiter nutzbarer Form abgelagert. Die Auswirkung dieser Wirtschaftweise ist aus Sicht des Umwelt- und Klimaschutzes fatal. Jede Rohstoffgewinnung und Weiterverarbeitung trägt einen enormen "ökologischen Rucksack" mit
sich, weil sie mit dem Verbrauch großer Mengen Natur, Energie und Wasser und der
Produktion von Abraum verbunden ist, der sich unmittelbar negativ auf das Klima
auswirkt. Die Sicherung der Rohstoffversorgung für alle Menschen wird aber nur
möglich sein, wenn es gelingt, den Materialverbrauch durch Effizienzsteigerung
deutlich zu senken und gleichzeitig die Kreislauffähigkeit von Produkten drastisch
zu erhöhen. Darüber hinaus wird es vor allem darauf ankommen, fossile Rohstoffe
durch nachwachsende Rohstoffe zu ersetzen.
Ressourceneffizienz und Ressourcenschonung sind keine isolierten umweltpolitischen Themen. An einer gesicherten Rohstoffversorgung hängt die ganze Weltwirtschaft, sie ist Grundlage unseres Wohlstandes. Auch wenn die öffentliche Debatte
über die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland seit Jahren auf die Faktoren Arbeits- und Energiekosten fokussiert ist, spielen die Materialkosten eigentlich
die herausragende Rolle. Sie machen im produzierenden Gewerbe mit ca. 40% noch
vor den Personalkosten (20%) den mit Abstand größten Kostenblock aus. In den letzten Jahren sind die Preise für wichtige Rohstoffe wie Metalle geradezu explodiert.
Auch friedenspolitisch kommen Ressourcenschonung und Kreislaufwirtschaft immense Bedeutung zu. Die absehbare weltweite Industrialisierung wird zu immer
schärferer Konkurrenz um Rohstoffe führen. Der derzeitige Nachfrageboom aufstrebender Nationen wie Indien und China ist erst der Vorgeschmack auf das, was den
Rohstoffmärkten noch bevorsteht. Die sicherheitspolitische Relevanz der Rohstoffversorgung lässt sich im neuen "Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und
zur Zukunft der Bundeswehr" der Bundesregierung erkennen. Darin wird (entsprechend der neuen Nato-Strategie) unverhohlen die Energie- und Rohstoffsicherung
als eine der zukünftigen Aufgaben der Bundeswehr definiert.
Die Schonung von Ressourcen, die effizientere Rohstoffnutzung und die Produktion
in geschlossenen Kreisläufen ist wirtschaftlich, friedens- und umweltpolitisch eine
Notwendigkeit. Obwohl die Probleme und Herausforderungen einer sicheren Rohstoffversorgung lange bekannt sind, passiert in der Praxis viel zu wenig. Das bislang bestehende politische Instrumentarium reicht bei weitem nicht aus, um den
Anforderungen an unsere zukünftige Rohstoffversorgung gerecht zu werden. Denn
um Ressourcen zu schonen, materialeffizienter zu produzieren, Kreisläufe zu schließen und die Umstellung auf erneuerbare Rohstoffe zu vollziehen, braucht es eine
Politik, die sowohl bei den Rohstoffen selbst als auch bei den daraus hergestellten
Produkten ansetzt. Es braucht eine Doppelstrategie, die einerseits durch die Internalisierung externer Kosten direkten Einfluss auf die Rohstoffkosten nimmt und andererseits im Sinne einer Produktverantwortung ökonomische Anreize zu Herstellung
von langlebigen und wieder verwendbaren Gütern gibt. Denn eine Verteuerung der
Rohstoffe allein würde zwar Recycling fördern, aber nicht notwendigerweise eine
effizientere, Ressourcen schonende Produktion bringen. Das grüne Wertstoffkonzept
- mit dem Instrument der Ressourcenabgabe - setzt genau an diesem Punkt an.
Der grüne Ressourcenkongress - Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion - 04/2008
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Über dieses Instrument und die weiteren notwendigen weiteren politischen Rahmensetzungen haben wir auf unserem Ressourcenkongress mit VertreterInnen aus
Wissenschaft, Umweltverbänden, Wirtschaft und Politik diskutiert. Die nun vorliegende Publikation ist das Ergebnis der vielen interessanten Beiträge und lebhaften
Debatten.
Sylvia Kotting-Uhl, MdB, umweltpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von
Bündnis 90/Die Grünen
Programm
11.00
Begrüßung
Renate Künast MdB
FraktionsvorsitzendeBündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion
11.15
Einführung: 10 Thesen zur Annäherung an die Nachhaltigkeit
Prof. Dr. Friedrich Schmidt-Bleek
Factor 10 Institute
Sylvia Kotting-Uhl MdB
Sprecherin für Umweltpolitik
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion
12.30
Mittagspause und Besichtigung der Ausstellung
13.30
Forum 1:
Materialeffizienz und Ressourcenschonung als praktizierter Klimaschutz
"Von der Wiege zur Wiege – Abfall als Rohstoff"
Einführung: Im Dialog mit der Natur - Für eine nachhaltige Stärkung
von Technik,
Wirtschaft und Gesellschaft
Dr. Udo Küppers
Ingenieurwissenschaftler und Bioniker
anschließend Podiumsdiskussion mit:
Roland Belz
Belland GmbH
Jürgen Resch
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Der grüne Ressourcenkongress - Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion - 04/2008
Deutsche Umwelthilfe
Dr. Stephan Harmening
Bundesverband der Entsorgungswirtschaft
Moderation: Bärbel Höhn MdB
Stellv. Fraktionsvorsitzende Bündnis 90/Die Grünen
Bundestagsfraktion
15.00
Kaffeepause
15.15
Forum 2:
Über Siedlungsabfälle hinaus – Klimaschutzpotenziale jenseits der
gelben, grünen
oder blauen Tonne
"Bauschutt und andere schlafenden Ressourcenriesen "
Einführung: Szenarien des Material in- und –outputs durch veränderte
Wohnungsbau- und Infrastrukturnachfrage.
Dipl.-Ing. Clemens Deilmann
Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung
anschließend Podiumsdiskussion mit
Prof. Dr. Michael Angrick
Umweltbundesamt
Ingo Schulz
Fachverband Hoch- und Massivbau im Zentralverband Deutsches Baugewerbe e. V.
Dipl. Ing. Michael Prytula
Vertretungsprofessor Uni Kassel, Technische Gebäudeausrüstung
Moderation: Dr. Anton Hofreiter MdB
Obmann im Ausschuss Verkehr, Bau, Stadtentwicklung
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion
16.45
Kaffeepause und Besichtigung der Ausstellung
17.15
Forum 3:
Es geht auch ohne – Weg vom Erdöl als Schlüssel einer
nachhaltigren Wirtschaft
"Nachwachsende Rohstoffe in der Industriegesellschaft"
Der grüne Ressourcenkongress - Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion - 04/2008
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Einführung: Nachwachsende Rohstoffe effizient nutzen – am Beispiel
Biokunststoffe
Dr. Harald Kaeb
Vorstandsvorsitzender von European Bioplastics
anschließend Podiumsdiskussion mit
Dr. Jörg Rothermel
Verband der Chemischen Industrie
Dr. Hartmut Hoffmann
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland
Dr.-Ing. Stephan Kabasci
Fraunhofer-Institut UMSICHT
Moderation: Hans-Josef Fell MdB
Sprecher für Energiepolitik
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion
18.45
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Zusammenfassung und Ausblick Sylvia Kotting-Uhl MdB
Der grüne Ressourcenkongress - Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion - 04/2008
Begrüßung
Renate Künast
Vorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen
Herzlich willkommen zum grünen Ressourcenkongress! Das Thema Ressourcen ist
vielleicht noch nicht in aller Munde, aber doch immer öfter als Problem bekannt.
Rohstoffe werden knapper, die Weltmarktpreise steigen. Bei Öl und Gas haben wir
uns ja fast schon daran gewöhnt, täglich neue Hiobsbotschaften zu erhalten. Der
Höhepunkt der Ölförderung (Peak Oil) gilt als überschritten. Selbst der Chefökonom
der internationalen Energieagentur, Fatih Birol, gibt dies mittlerweile zu. Längst ist
der Ölpreis über die 100 $-Marke geklettert. Selbst Kohle, der fossile Rohstoff, der
noch nahezu als unerschöpflich gilt, wird immer teurer. Einer der Gründe ist die
immense Nachfrage in China. Wir haben ja das Kuriosum zu verzeichnen, dass China trotz aller Kohlevorräte vom Exporteur zum Importeur geworden ist.
Und während wir unter den steigenden Kosten stöhnen, werden sie in Entwicklungsländern, vor allem in Afrika, zur Existenzfrage. Das sehen wir übrigens auch
an der Dramatik der Welternährungskrise! Die Preise für Weizen, Mais, Soja sind in
den vergangenen drei Jahren zwischen 80 und 180 Prozent gestiegen. Dabei muss
man eines noch sagen, dass wir nicht nur diese Welternährungskrise haben, sondern dass dahinter, gerade bei Weizen, Mais und Soja, große Saatgutkonzerne stehen, die bei den Getreidearten, die zu 50% zur Welternährung beitragen, mit Patenten die Finger drauf haben und so ganze Länder abhängig machen. Menschen in
Afrika gaben bereits vorher 80 Prozent ihres Einkommens für Nahrungsmittel aus.
Eine Verdopplung der Preise ist für sie schlichtweg nicht zu verkraften! Deshalb erleben wir jetzt Unruhen in Ägypten, in Haiti und jetzt aktuell auch Brotdemonstrationen in Honduras. Das geht uns alle an! Das geht uns mehr an als nur zu denken,
geben wir jetzt Geld, um aktuell Nahrungsmittel zu kaufen. Wir müssen uns fragen:
Können wir mit dem Ressourcenverbrauch, den wir pflegen, mit ruhigem Gewissen
leben? Wir leben auf dem Rücken der Menschen im globalen Süden. Das ist natürlich nicht akzeptabel, und das gilt nicht nur für die Politik, sondern auch für die
Wirtschaft. Und – vergessen wir es nicht – am Ende auch für jede Verbraucherin und
jeden Verbraucher.
Aktuell wird ja bei diesem Themenbereich oft diskutiert, dass Agro-Kraftstoffe die
Verantwortlichen für die Welternährungskrise seien. Das ist ein Fehler. Weil es außer Acht lässt, dass wir z.B. eine international organisierte Landwirtschaft haben,
einen Umgang mit der Ressource Boden, die dazu führt, dass wir nicht nur globalen
Raubbau betreiben, sondern einen internationalen Handel aufgebaut haben, bei
dem die Flächen des Südens dazu genutzt werden, um auf Millionen Hektar Futtermittel anzubauen, um dann am Ende aus 9 Kilo pflanzlichem Eiweiß 1 Kilo tierisches
Eiweiß zu ernähren. Man nennt das in Fachkreisen‚Veredelungswirtschaft’. Faktisch
ist es natürlich einfach Wahnsinn, so ein Wort dafür zu benutzen. Wir müssen auch
unseren Fleischkonsum, unsere Landwirtschaftspolitik, die globale Handelspolitik
und unseren kompletten Umgang mit Ressourcen hinterfragen!
Bei Biokraftstoffen müsste als erstes passieren, dass wir nicht einfach dazu übergehen, Öl durch Agro-Kraftstoffe zu ersetzen, sondern wir müssen die limitierte Ressource intelligent nutzen. Das heißt aber auch, dass wir den Mut haben müssen, auf
Effizienz zu setzen, bei Fahrzeugen zum Beispiel, und die Bioenergien intensiver zur
Der grüne Ressourcenkongress - Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion - 04/2008
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Strom- und Wärmeproduktion zu verwenden! Das heißt aber auch, dass wir lernen
müssen, in anderen Bereichen strukturelle Veränderungen vorzunehmen – da, wo
Lobbys seit Jahrzehnten liebgewordene Gewohnheiten versuchen festzuhalten. Ich
höre immer viele wahre und interessante Worte seitens dieser Bundesregierung –
allein das, was an Taten kommt, erzählt dann immer eine ganz andere Geschichte.
In vielen Bereichen, ob beim Thema Strom, Wärme oder anderem - immer erzählt die
Bundesregierung, wir sind Weltklimaretter. Faktisch praktiziert sie aber das Gegenteil. Was wir schaffen müssen, ist, mit allen Ressourcen anders umzugehen. Wir
brauchen eine nächste Stufe der Landwirtschaftsreform und eine Veränderung der
globalen Handelspolitik, die ja heute im Prinzip immer sagt: du darfst alles, außer
150 Wissenschaftler haben gesagt, dass das schädlich ist, dann können wir mal
überlegen, ob wir es im Rahmen der WTO verbieten. Eigentlich müsste es andersrum sein, nämlich dass jeder nachhaltig produzieren MUSS! Damit möchte ich zum
Schwerpunkt dieser Konferenz kommen: Pflanzen sind nicht die einzige Biomasse!
Es geht auch um die Nutzung und Weiterverwertung von Abfallstoffen. Die gute, alte
Idee der Kreislaufwirtschaft hat längst nicht ausgedient. Sie ist aktueller denn je!
Deutschland gilt international als Modell der Recycling-Nation! Papier, Glas, Dosen:
Mülltrennung ist den meisten von uns in Fleisch und Blut übergangen und wird
wahrscheinlich weltweit als deutsches Wort benutzt werden so wie Kindergarten.
Dennoch sind wir faktisch weiterhin eine Einwegwirtschaft! Selbst wenn wir Verbraucherinnen und Verbraucher Mehrwegsysteme nutzen wollen: Die Unternehmen
machen es uns nicht einfach! Die Einwegquoten - zum Beispiel bei den Getränken steigen. Man kann an der Stelle also einfach nur feststellen: Die Zeit der freiwilligen
Selbstverpflichtungen ist vorbei. Oft genug versucht, oft genug enttäuscht worden.
In nahezu jedem Politikbereich haben die Verbände uns erzählt: das machen wir
selber, da müsst ihr nicht ordnungspolitisch rein – aber mir würde kein Politikbereich einfallen, in dem diese freiwillige Vereinbarung nicht gescheitert wäre. Wir
können uns nicht erlauben, diese Übung noch ein paar Mal zu wiederholen, um
dann wieder das gleiche zu erleben. Was wir brauchen, sind feste Regeln, um zu
einer Ressourceneffizienz zu kommen, um tatsächlich einzusparen, anstatt nur einen
Stoff durch den anderen zu ersetzen.
Die Wirtschaft muss deshalb auch lernen, strukturell umzudenken. Ich wundere
mich immer, warum über Material- und Ressourcennutzung viel zu wenig nachgedacht wird. Bei uns ist es ja so, dass immer nur über Arbeitskosten geredet wird.
Und man muss dabei schon feststellen – selbst wenn ich mich eigentlich weigere,
den Faktor Mensch als Kostenfaktor zu bezeichnen – aber man muss mal die Relation sehen. Im produzierenden Gewerbe machen die Personalkosten 20 Prozent aus,
die Materialkosten 40 Prozent. Und das müssten doch eigentlich schon die Kinder in
der Grundschule wissen: wenn ich was einsparen will, dann gehe ich doch erstmal
an den größten Posten. Tatsache ist, dass Manager in Deutschland für die Senkung
von Arbeitskosten oder den Personalabbau belohnt werden. Ich höre aber nicht,
dass es ein größeres Unternehmen gibt, das sagt: die meisten Provisionen kriegst
du, wenn du die Potenziale der Energie- und Ressourceneinsparung nutzt und in
diesem Bereich Kosten für das Unternehmen senkt. Es würde Deutschland gut zu
Gesicht stehen, wenn man sagt: Unternehmen sind dem Gemeinwohl verpflichtet,
und zukünftig werden Provisionen nur noch vertraglich vereinbart für Ressourcen
und Energieeinsparung. Das macht auf mich einen sehr modernen Eindruck!
Schließlich ist unser Umgang mit Rohstoffen auch zu einem Faktor der Sicherheitspolitik geworden! Dies sehen wir nicht nur an den akuten Krisen wegen der Lebensmittelpreise, sondern wir sehen an aufstrebenden Staaten wie Brasilien, China
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Der grüne Ressourcenkongress - Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion - 04/2008
und Indien, dass die Nachfrage und Konkurrenz um Rohstoffe steigt. Dies kann, abgesehen von den steigenden Preisen, zu Spannungen und Konflikten führen – im
Mittleren Osten, in Afrika, oder in Zukunft selbst in der Arktis! Längst werden die
Ressourcenfrage und auch die Klimapolitik in Verteidigungsministerien diskutiert.
Sie sind eine Frage der EU-Außen- und Sicherheitspolitik und auch eine Angelegenheit der NATO. Als Grüne habe ich kein Interesse daran, dass man Kriege um
Rohstoffe führt, ich habe auch kein Interesse daran, dass man das nur in NATOKategorien sieht. Ich frage mich, wieso man nicht mit Ressourcen, mit Rohstoffen,
mit Energie, auch der erneuerbaren, einen Ansatzpunkt sucht für Nachbarschaftsverträge, Kooperationsverträge, um eine gemeinsame Perspektive für die Zukunft zu
entwickeln. Das alles aber nicht nur, um Konflikten vorzubeugen, sondern auch aus
Gründen globaler Gerechtigkeit, weil wir auf Kosten des Südens leben, und immer
ohne zu vergessen, dass der allererste Punkt immer sein muss, mit den Ressourcen,
die wir haben, effizienter umzugehen und den Ressourcenverbrauch zu senken.
All das soll heute hier diskutiert werden. Ich freue mich, dass so viele Redner und
Rednerinnen gewonnen wurden. Ich freue mich, dass Sie alle da sind und möchte
an dieser Stelle ganz herzlich meiner Kollegin Sylvia Kotting-Uhl und Ihrem Mitarbeiter Michael Weltzin danken, die diesen Kongress organisiert haben, und wünsche Ihnen allen eine spannende Diskussion!
Der grüne Ressourcenkongress - Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion - 04/2008
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10 Thesen zur Annäherung an die Nachhaltigkeit
Prof. Dr. Friedrich Schmidt-Bleek, Factor-10-Institute
Im Mittelpunkt des Vortrags von Prof. Dr. Schmidt-Bleek steht die Forderung nach
einer Dematerialisierung der Produktion, das heißt, nach einem sparsameren Einsatz von Ressourcen. Nur so könne das globale Rohstoffproblem gelöst werden. Die
Frage: „was passiert mit dem Abfall?“ ist seiner Auffassung nach demgegenüber
eine nachrangige.
Prof. Dr. Friedrich Schmidt-Bleek begrüßt zu Beginn ausdrücklich, dass Bündnis90/Die GRÜNEN als erste Partei die Weitsicht und den Mut hätten, das Thema
Ressourcen anzupacken. Mit herkömmlichen Umweltschutzmaßnahmen könne man
die ökonomischen und ökologischen Fragen in einer globalisierten Wirtschaft nämlich nicht lösen, da herkömmlicher Umweltschutz lediglich an Symptomen ansetze:
„Wichtig zu erkennen ist, dass wir
immer dann gehandelt haben, wenn
irgendetwas schief ging. Das ist im
Wesen alles keine Vorsorgepolitik,
obwohl wir vieles getan haben, was
nach Vorsorge aussieht. Mit dem
CO2 haben wir im Grunde wieder
das Gleiche. Klimawechsel ist jetzt
das Symptom, das bekämpft werden
muss – das ist auch wirklich wichtig,
aber immer noch nicht der Durchbruch, nämlich, dass man ernsthaft
darüber diskutiert: was ist denn eigentlich der tiefste Grund dafür,
dass unsere Wirtschaft ganz grundsätzlich
ökologisch
unrichtigen
Wohlstand produziert?“
Diesen Hauptgrund sieht Schmidt-Bleek darin, dass wir zu verschwenderisch mit
den natürlichen Ressourcen umgehen.
„Sie alle, die Sie hier sitzen, und ich, der ich hier stehe, verbrauchen im Durchschnitt 70 Tonnen nicht nachwachsender Natur pro Jahr. 70 Tonnen! Es kommen 500
Tonnen Wasser dazu, pro Jahr und Person. Der Ressourcenverbrauch bei Industrieprodukten ist zwar schon besser geworden, liegt aber immer noch bei 35 kg pro 1 kg
Produkt. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, dass 1 kg rohe Baumwolle 40 t Wasser verbraucht hat, und wenn wir diesen wunderbaren Naturstoff dann importieren und
sagen: ist ja toll, Naturfaser - dann seien Sie sich darüber im Klaren, wie viel Wasser zum Beispiel da drinsteckt! Jeder Stoff hat seine eigene Geschichte, von der
Wiege an schleppt er einen Riesenrucksack mit sich herum, manche mehr, manche
weniger. Kupfer zum Beispiel können Sie nicht haben, ohne dass Sie pro Kilogramm
Kupfer 500 Kilogramm Natur umwühlen und verarbeiten.“
Auch die Klimakrise sei eigentlich unter dem Aspekt Ressourcen zu betrachten,
meint Schmidt-Bleek:
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Der grüne Ressourcenkongress - Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion - 04/2008
„Ich sage Ihnen was ganz Krasses: Wir haben gar keine Energieprobleme in der
Ökonomie. Das sind alles Massenflüsse, die das verursachen. Das ist nicht CO2,
das ist Öl, das Gas! Sie können eigentlich die ganzen Energien, die wir brauchen,
nur rechnen, indem Sie fragen: Wie materialintensiv ist eigentlich die Energieeinheit? Und das gilt auch für die Biomasse. Das kann man ganz leicht zurückrechnen.
Und da stellt sich heraus, dass die meisten der heute hofierten Methoden, bio fuels
und so weiter, die können Sie vergessen, aus ökologischen Gründen, wenn es auch
zwischendurch sinnvoll sein mag, das kommt auf den Fall an.“
Besonders schlecht schneiden in dieser Hinsicht jedoch die fossilen Energieträger
ab, auch die Kernkraft. Ohnehin sei es unter den Bedingungen einer globalisierten
Ökonomie und des rasanten wirtschaftlichen Wachstums in den Schwellenländern
unmöglich, so weiterzumachen wie bisher.
„Wenn das, wie wir leben, globalisiert werden sollte, weil das unser Modell der
Wirtschaft ist, dann geht das gar nicht, da brauchen Sie drei bis fünf Planeten Erde,
um allein die Ressourcen zu haben. Das heißt, ich muss alles so schnell wie möglich
dematerialisieren. Ich muss vergleichbare Leistungen bringen, vergleichbaren Output, vergleichbare Dienstleistungen anbieten mit einfach sehr viel weniger Ressourcen, und zwar querbeet.“
Durch technische Innovation wäre dies ohne weiteres machbar und auch wirtschaftlich geboten, denn Ressourcen sind derzeit der am schnellsten wachsende Kostenfaktor.
„20-25% der Kosten für Ressourcen einschließlich Energie sind völlig überflüssig,
das sind 186 Mrd. Euro, die liegen in Deutschland auf der Straße und werden nicht
benutzt. Wieso? Ressourcen kommen in Büchern oft schlicht nicht vor: Da sind Zahlen, da sind Geldmengen, da sind Arbeitskräfte… Es ist offenbar sehr viel einfacher
oder schicker, Leute zu entlassen, als dass man Kilowattstunden entlässt. Da kann
man nämlich auch sehr sparen.“
Man könne um den Faktor zwei bis vier Ressourcen einsparen und trotzdem das
gleiche Produkt herstellen, meint Schmidt-Bleek. Gleichwohl herrsche in der Wirtschaft wenig Bewusstsein für diesen Aspekt.
„Die Wirtschaft hat nicht genügend Informationen. Das ist merkwürdig, denn wir
haben ja eine Marktwirtschaft, aber es ist so. Die Wirtschaft, auch die großen Wirtschaftsinstitute haben keine Informationen über Stoffflüsse. Das heißt, wir brauchen
eigentlich eine zentrale Stelle, die auch ruhig mal Geld kosten darf, eine Stelle, wo
Leute Informationen bekommen können: was sind denn die ‚Rucksäcke’ von verschiedenen Materialien? Welche Firma, welche Innung weiß denn das? Wo man
Informationen bekommen kann über dematerialisierende Techniken, über neue Ideen. Wenn nicht in Deutschland, dann in der EU. Wir brauchen das dringend.“
Darüber hinaus schlägt Schmidt-Bleek weitere staatliche Maßnahmen zur Förderung der Ressourceneffizienz vor. Schließlich würden in Deutschland 20% der Produkte und Dienstleistungen von der öffentlichen Hand gekauft, was dieser einen
weiten Gestaltungsspielraum gibt.
Der grüne Ressourcenkongress - Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion - 04/2008
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„Sagen wir, ab 2010 werden wir nur noch Produkte und Dienstleistungen einkaufen,
Gebäude mieten usw., von denen uns nachgewiesen wird, dass sie ressourceneffizienter hergestellt werden als woanders. Nicht nur Klopapier, sondern mal wirklich
ans Eingemachte gehen, da geht’s von Dienstfahrzeugen bis hin zu was weiß ich, da
ist ungeheuer viel drin. Die Japaner machen das in aller Stille längst, die haben
längst Dematerialisierung als strategischen Faktor in ihren Wirtschaftsplan eingebaut. Nicht aus ökologischen Gründen, nein, die haben einfach keine Ressourcen.“
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Der grüne Ressourcenkongress - Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion - 04/2008
Thesenpapier Prof. Dr. Schmidt-Bleek: 10 Thesen zur Annäherung an die Nachhaltigkeit
1.
Die globale Verbreitung des in den westlichen Industrieländern üblichen materiellen Wohlstandes ist nicht möglich, weil sie die
Verfügbarkeit von mehr als zwei Planeten Erde als Ressourcenbasis erfordern würde. Auch ist schon heute die ökologische Risikoschwelle überschritten (Klimawechsel etc.). Hieraus ergibt sich als erste unausweichliche Forderung für die Zukunft, technische
Eingriffe in die Ökosphäre zu minimieren und die Wohlstandsgestaltung mit dramatisch weniger natürlichen Ressourcen zu gestalten als bisher. Technisch ist dies ohne Qualitätsverlust machbar. Die „Ökologisierung“ traditioneller Technik ist hierbei nur ein
erster Schritt auf dem Wege zur Innovation gänzlich neuer Systeme, Güter, Dienstleistungen, Verfahren, und Handlungsweisen.
Ihnen werden die Märkte der Zukunft gehören.
2.
Weltweit muß auch die bisherige Verfügbarmachung von Energie drastisch dematerialisiert und ihre Anwendung sparsamer
gestaltet werden. Dies bedeutet insbesondere: Schnellstmöglicher Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energieträger, und Ausbau
der Nutzung solarer Energie und Erdwärme mittels materialeffizienter Technik.
3.
Nur wenn die vielen Chancen genutzt werden, auf allen Stufen der Produktion und Nutzung von Gütern Ressourcen und Energie
einzusparen, kann der Naturverbrauch von wirtschaftlichem Fortschritt ausreichend abgekoppelt werden.
4.
Gegenwärtig gibt es weder wirtschaftliche Anreize noch gesetzliche Bestimmungen, welche die notwendige Einsparung von
natürlichen Ressourcen zum Ziele haben. Ihre Verschwendung muß so teuer werden, daß sich ökologisch vernünftiges Tun und
Lassen lohnt. Politische Maßnahmen müssen folgerichtig auf die Anpassung der Preise an den wirklichen Wert natürlicher Ressourcen ausgerichtet werden. Emissionen und Abfall vermindern sich dann automatisch. Der marktwirtschaftlich sinnvollste Weg
dürfte die finanzielle Entlastung von Arbeit mittels kostenneutraler Verschiebung von Steuern und Abgaben auf natürliche Ressourcen sein. Auf diese Weise können auch neue Arbeitsplätze entstehen. Andere Instrumente und Maßnahmen zur gezielten Einsparung natürlicher Ressourcen schließen ein: Die Abschaffung perverser Subventionen; die Überarbeitung von Normen und
Standards, die Einschränkung kurzfristiger Profit-Maximierung, sowie handelbare Zertifikate. Ein umfassendes „Ressourceneinspargesetz“ wird dringend gebraucht.
5.
Aus Kosten- und Effizienzgründen müssen Maßnahmen zur Einsparung natürlicher Ressourcen so nahe wie
möglich am Anfang der Wertschöpfungskette ansetzen. Sie müssen alle Rohstoffe, Produkte, Dienstleistungen
und Verfahren umfassen.
6.
Die öffentliche Hand erwirbt 15 bis 20% der vermarkteten Produkte und Dienstleistungen. Wenn sie ressourceneffizienten Angeboten Vorteile gewährte, so wäre auch dies ein starkes Signal an die Wirtschaft zur Dematerialisierung. In Deutschland erscheint diese Option besonders attraktiv, weil im Schnitt etwa 20% der Kosten
für Ressourcen im Produktionssektor eingespart werden könnten, ohne Menge und Qualität des Outputs zu
verändern.
7.
Spätestens bis zum Jahre 2050 muß sich zur Erhaltung einer leistungsfähigen Umwelt der weltweite pro-Kopf
Verbrauch nicht-nachwachsender Ressourcen auf 5 - 6 Jahrestonnen, und die technisch verursachte Emission
von klimawirksamen Gasen auf 2 - 3 Tonnen pro Person und Jahr eingependelt haben. Diese Ziele bedeuten
eine drastische Absenkung des Ressourcenverbrauches in allen Industriestaaten. In Deutschland zum Beispiel
entspräche sie einem Faktor 10, was einer jährlichen Erhöhung der Ressourcenproduktivität um nahezu 5%
bedeutet. Einsparungen dieser Größenordnung in westlichen Ländern werden den Menschen in der weniger
industrialisierten Welt Spielraum geben, Stoffströme zu erhöhen, um ihren Nachhohlbedarf befriedigen zu
können.
8.
Zur messenden Verfolgung von Fortschritt, und um den Vergleich unter verschiedenen Wirtschaftsräumen,
Unternehmen, Systemen, Gütern, Dienstleistungen, Verfahren, und Handlungsweisen zu ermöglichen, sind
allgemein gültige, aussagekräftige, richtungssichere, kosteneffiziente und praktisch handhabbare Indikatoren
festzulegen und international zu harmonisieren (im ökologischen Bereich z.B. TMF, MIPS, ökologische Rucksäcke, und Fußabdrücke. Hingegen sind weder das Brutto Inland Produkt, BIP, noch Börsenkurse geeignete Indikatoren im Hinblick auf wirtschaftliche Nachhaltigkeit).
9.
Zur Unterstützung öffentlicher und privater Einsparmaßnahmen für natürliche Ressourcen wird eine öffentliche Einrichtung gebraucht, die relevante Daten, Informationen und Instrumente erarbeitet, sammelt, und validiert, sowie Details über „state-of-the-art“ Erfahrungen, Systeme, Güter, Dienstleistungen, Verfahren, und
Handlungsweisen überprüft und veröffentlicht. Eine solche Einrichtung sollte auch Ausbildungsmaßnahmen
durchführen und unterstützen, sowie hochdotierte Preise für besondere Leistungen vergeben.
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10. Durchgreifende technische Neuerungen brauchen 10 – 20 Jahre, bis sie entwickelt sind und den Markt durchdringen. Daher muß man damit rechnen, daß eine wirksame Dematerialisierung Jahrzehnte braucht. Es besteht also dringender Handlungsbedarf, hier und heute.
„Von der Abfall- zur Ressourcenpolitik“
Sylvia Kotting-Uhl, umweltpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion
Bündnis 90/Die Grünen
In ihrem Vortrag stellt Sylvia Kotting-Uhl, umweltpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, die Eckpunkte einer von Bündnis 90/Die
Grünen vorgeschlagenen Ressourcenabgabe vor, die die bisherige Verpackungsverordnung ablösen soll. Das grüne Konzept im Wortlaut wird im Anhang dieses
Readers dokumentiert.
Zu Beginn ihres Vortrages zieht Sylvia Kotting-Uhl eine kritische Bilanz, was den
Umgang mit Abfall und Recycling in Deutschland angeht:
„Wir sind relativ gut in Deutschland,
im europäischen Vergleich, im Weltmaßstab sowieso. Relativ gut heißt
aber nicht, dass wir wirklich gut wären.
Also, auch da gibt es noch eine Menge
zu tun. Wenn man anschaut, was so ein
Produkt an ökologischem Rucksack mit
sich trägt, was, bevor wir es überhaupt
kaufen, benutzen, schon alles an Abfall
entstanden ist - und wenn man sich
anschaut, wie wir insgesamt mit unseren Produkten umgehen, wie schnell
sie dann doch meist zu Abfall werden,
dann sind wir deutlich näher an der
Wegwerfgesellschaft, als wir uns das
gern einreden.“
Sylvia Kotting-Uhl bedauert, dass bisher weder in der Politik noch in der Gesellschaft ein Bewusstsein dafür herrsche, dass Abfall im Grunde eine wertvolle Ressource sei:
„Im Bundestag haben wir uns mit Ressourcenpolitik noch nicht befasst, stattdessen
mit der Frage, welcher Müll gehört den öffentlichen Entsorgern, welcher gehört den
anderen und mit der Frage, wie die ökonomischen Interessen des DSD zu regeln
sind. Die Ressourcenfrage ist da überhaupt noch nicht angekommen.“
Problematisch ist ihrer Auffassung nach insbesondere die Fixierung auf das Duale
System Deutschland, was Abfallpolitik anbelangt:
„Ich muss beim DSD anfangen, denn das ist das, womit wir uns befasst haben. Das
DSD hat Kosten, mit denen es uns belastet, wir haben die letzten zuverlässigen Zahlen aus dem Jahr 2004, da waren es 1,58 Mrd. Euro und damit werden 5% des in
Deutschland anfallenden Abfalls entsorgt.
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Der grüne Ressourcenkongress - Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion - 04/2008
Das heißt, die Leerung einer gelben Tonne
kostet im Schnitt 13 Euro. Das ist natürlich
viel zu viel. Dieses System ist ökonomisch
viel zu teuer. Für uns heute ist relevant: ist
es denn ökologisch sinnvoll? Und da muss
ich sagen, dass es durch eine grundsätzliche systembedingte Schwäche gekennzeichnet ist: Beim DSD wird nicht nach
Materialien lizensiert und gesammelt,
sondern nach der Herkunft als Verpackung. Deshalb erschließt sich den Bürgerinnen und Bürgern nicht immer gleich,
was in die gelbe Tonne oder den gelben
Sack gehört und was nicht. Zum Beispiel
trägt eine Verpackung
Kritik am DSD
Sylvia Kotting-Uhl
(MdB)
Umweltpolitische
Sprecherin
Ressourcenschutz durch DSD:
• geringe Wertstofferfassung
Abfälle aus Produktion
und Gewerbe
53,0 Mio. Tonnen
DSD Erfassung
4,2 Mio. Tonnen
Siedlungsabfälle
48,4 Mio. Tonnen
Quelle: Abfallstatistik Bundesumweltministerium
aus Papier den Grünen Punkt, gehört aber nicht in die Gelbe Tonne, sondern in die
kommunale Wertstoffsammlung. Auch die Kunststoffsammlung folgt nicht dem gesunden Menschenverstand: Eine Kunststoffflasche trägt den grünen Punkt und wird
erfasst, eine Schüssel aus demselben Material aber nicht.“
Hinzu kommt, dass das DSD keine Anreize schafft, Abfälle zu vermeiden und Rohstoffe in echte Kreisläufe zu führen. Aus Verpackungsabfällen würden in der Regel
nicht wieder Verpackungen gemacht, sondern es setze eine Abwärtsspirale ein, an
deren Ende im Allgemeinen ein gegenüber dem Ausgangsprodukt minderwertiges
Produkt stehe. Das ist angesichts der globalen Ressourcenverknappung nicht mehr
zeitgemäß:
„Die Frage des Ressourcenschutzes hat gegenüber 1990, wo die Verpackungsverordnung installiert wurde, dramatisch an Bedeutung gewonnen. Wir glauben, es ist
höchste Zeit, die Abfallpolitik zu einer echten Ressourcenpolitik weiterzuentwickeln.
Wer Abfallpolitik wirklich als Ressourcenpolitik versteht, der muss dafür sorgen,
dass mehr Rohstoffe in den Wirtschaftskreislauf zurückkommen. Anstelle einer
Rumflickerei am bestehenden System ist es an der Zeit, die überholte Verpackungsverordnung abzuschaffen und durch eine ökologisch sinnvolle Wertstoffverordnung
zu ersetzen.“
Die Eckpunkte einer solchen neuen Wertstoffverordnung erläutert Sylvia KottingUhl wie folgt:
„Eine solche neue Wertstoffverordnung definiert und regelt, was als Wertstoff anzusehen ist, und das ist natürlich deutlich mehr
als Verpackungen. Verpackungen können
höchstens der erste Schritt sein, welche Recyclingquoten für einzelne Wertstoffe zu
erfüllen sind. Das zu organisieren, ist Aufgabe einer neu zu schaffenden, öffentlichrechtlich organisierten Ressourcenagentur,
die statt Lizenzgebühren eine echte Ressourcenabgabe erhebt. Diese Agentur wird
das DSD ablösen. Die Wertstoffverordnung
übernimmt durchaus bewährte Elemente
der Verpackungsverordnung, erweitert aber
den
Sylvia Kotting-Uhl
(MdB)
Die Wertstoffverordnung
Umweltpolitische
Sprecherin
weitet die Produktverantwortung auf alle
Produkte aus. Die bisherigen
Lizenzgebühren für Verpackungen werden
durch eine nach der jeweiligen
Kreislauffähigkeit gestaffelte
Ressourcenabgabe auf alle Produkte
ersetzt, Diese wird dann von einer öffentlich
rechtlichen Ressourcenagentur erhoben.
Der grüne Ressourcenkongress - Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion - 04/2008
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Wertstoffbegriff und schafft mit der Ressourcenagentur eine transparente unabhängige Institution, die dann auch den Rahmen für einen funktionierenden Wettbewerb
vorgibt, den wir heute nicht haben, wie wir an den ständig sich selbst generierenden Novellierungen sehen. Denn dieses System, das als Monopol gedacht war, funktioniert nicht.“
Diese Ressourcenabgabe, die Hersteller leisten müssen, wird nach ökologischen
Kriterien ermittelt und soll die bisherigen Lizenzgebühren, die ans DSD zu leisten,
sind, ersetzen. Eine Trennung nach privat und gewerblich soll künftig nicht mehr
erfolgen:
„Die Höhe der Ressourcenabgabe richtet sich nach Art und Menge des verwendeten
Materials, seiner Recyclingfähigkeit und nach seinem Vorkommen im Hausmüll.
D.h. hier geht’s um Langlebigkeit und Kurzlebigkeit, wie schnell wird so was weggeschmissen, wie schnell wird es unbrauchbar? Und es geht darum, welches Material, das hinterher vielleicht auch wieder einen Wert auf dem Markt hat, habe ich
verwendet, was lässt sich gut recyceln? All diese Dinge, die heute bei der Produktion viel zu wenig beachtet werden. Für ein Produkt aus schwerem Verbundmaterial
ist also eine höhere Ressourcenabgabe fällig als für ein leichtes Produkt aus nur
einem Kunststoff. Im Handel wird sich also ein ökologisch nachteiliges Produkt gegenüber einem haltbaren aus gut recycelbarem Material deutlich verteuern. Für ein
unverwüstliches Produkt dagegen, das sozusagen ewig hält und nicht im Abfall auftaucht, wird keine Ressourcenabgabe erhoben.“
Bei neu auf dem auf Markt auftauchenden Produkten werde man zunächst auf der
Basis der Erfahrung mit ähnlichen Gütern einen Wert festlegen. Auch entstünden
der einheimischen Industrie keine Wettbewerbsnachteile durch die Ressourcenabgabe, da sie von Importeuren ausländischer Produkte gleichermaßen geleistet werden müsse.
„Es macht keinen Sinn, eine zusätzliche Belastung zu installieren und dem, was von
außen hereinkommt, nicht die gleiche Belastung aufzuerlegen und damit unserer
eigenen Wirtschaft einen Nachteil zu bringen. Also: keine Wettbewerbsnachteile für
heimische Produzenten und ein System, bei dem sich Öko-Dumping nicht lohnt.“
Die Höhe dieser Ressourcenabgabe, so Kotting-Uhl, bemesse sich nach vier Kriterien:
-
dem Vorkommen im Abfall: Mittels einer regelmäßigen Abfallanalyse wird
festgestellt, in welchem Anteil das jeweilige Produkt oder die jeweilige Produktgruppe im Abfall vorkommen. Je mehr, desto höher die Abgabe.
-
dem verwendeten Material: Wer Primärrohstoffe bei der Herstellung eines
Produkts verwendet, muss gegenüber dem, der Sekundärrohstoffe einsetzt,
eine höhere Abgabe zahlen.
-
Die Recyclingfähigkeit des Materials: Ist z.B. ein Produkt aus mehreren unterschiedlichen Materialien oder Kunststoffarten zusammengesetzt, die sich
nicht oder nur schwer wieder voneinander trennen lassen, erhöht sich die
Abgabe.
-
Der Marktwert des Materials: je besser sich der recycelte Stoff vermarkten
lässt, umso geringer die Höhe der Abgabe.
Natürlich sei mit der Ressourcenabgabe ein gewisser bürokratischer Aufwand verbunden, räumt Sylvia Kotting-Uhl ein – schließlich muss die Ressourcenagentur das
Aufkommen bestimmter Materialien im Abfall ermitteln und Quoten festsetzen.
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Der grüne Ressourcenkongress - Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion - 04/2008
Sylvia Kotting-Uhl
„Es wird nicht ganz ohne Aufwand
(MdB)
Umweltpolitische
gehen, d.h. Hersteller müssen aufSprecherin
Die Wertstoffverordnung
führen, woraus ihr Produkt besteht.
Aber das funktioniert im Lebensmit• sorgt dafür, dass die Schonung von
telbereich doch auch. Bürokratie ist
Ressourcen auch finanziell belohnt wird,
kein Selbstzweck. Der Grund ist,
dass sich Schutzinteressen nicht ein• trägt so dazu bei, die in der Bevölkerung
fach so mit ein paar Federstrichen
vorhandene Bereitschaft zum
regeln lassen. Hier geht’s um den
umweltgerechten Umgang mit Abfällen zu
Schutz von Ressourcen, und das beerhalten und weiter zu steigern.
kommen wir nicht geschenkt. Das
funktioniert nicht von allein. Es wird
auch nicht auf der Basis von Selbstverpflichtung laufen, das ist völlig
absurd. Es kann nur funktionieren,
wenn ökonomische Vorteile damit
verbunden sind und die
brauchen einen gewissen bürokratischen Vorlauf, das lässt sich nicht vermeiden.
Aber ich glaube, das ist zumutbar und hält sich in Grenzen. Und man darf nicht vergessen, dass die heutige Abfallpolitik, die Verpackungsverordnung auch nicht ohne
Bürokratie auskommt.“
Diskussion
Aus dem Publikum weist ein Klaus Koch (Umweltnetzwerk Hamburg) auf das Problem der Müllimporte nach Deutschland hin:
„Wie sollen wir beispielsweise mit den 18 Millionen Tonnen Abfall umgehen, die
allein 2006 nach Deutschland importiert wurden?“
Darauf Sylvia Kotting-Uhl:
„Es ist klar, den Mülltourismus kriegen wir mit einem solchen Konzept nicht in den
Griff. Das ist aber auch nicht das Ziel und das Thema, obwohl die Frage der
Verbrennung wird davon durchaus berührt wird: Wenn ich wirklich ein System
schaffe, in dem leicht recycelt werden kann und Produkte, die nicht kreislauffähig
sind, eine Abgabe zahlen müssen, dann ist der Anreiz, die Verbrennung auf eine
Stufe mit der Wiederverwertung zu stellen, ein Stück weit gesunken. Aber wir können nicht mit einem Instrument alle Probleme im Umweltbereich lösen.“
Einige Teilnehmer äußern Zweifel an der Realisierbarkeit des vorgestellten Konzepts einer Ressourcenabgabe. Vor allem die Zweifel an der Kontrollierbarkeit der
Ressourcenflüsse werden geäußert und Angst vor immensem bürokratischen Aufwand:
„Sollen Tausende von Kontrolleuren quer durch die Republik die Mülltonnen
durchwühlen? Warum werden nicht einfach die natürlichen Rohstoffe mit einer
Steuer belegt, und wer Sekundärrohstoffe einsetzt, der braucht diese Steuer nicht zu
bezahlen.“
Prof. Dr. Friedrich Schmidt-Bleek wendet ein, das Firmengeheimnis verhindere eine
vollständige Offenlegung der verwendeten Materialien. Sylvia Kotting-Uhl erwidert:
„Das Geschäftsgeheimnis ist ein Problem auch bei Lebensmitteln. Das sind eben
kleine Kämpfe, die man ausfechten muss. Man kann nicht sagen: dann lassen wir’s
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doch lieber. Dass man mit der Wirtschaft immer in den Clinch gerät erstmal, wenn
man ökologische Standards verankern will, wenn man eine Berichtspflicht von ihnen will, das weiß, glaube ich, jeder, der in der Politik tätig ist. Und das weiß man
auch in der Wirtschaft. Da hat man seine eingeübten Rituale, und letztlich kommt
man doch zu einer Lösung. Das dauert manchmal ein bisschen, aber im Allgemeinen kommt man zu einer Lösung.“
Ein Teilnehmer fragt, ob die geplante Ressourcenabgabe schon auf ihre Vereinbarkeit mit EU-Recht hin überprüft wurde.
Sylvia Kotting-Uhl:
„Innerhalb der EU haben wir sehr unterschiedliche Systeme, was Abfallpolitik und
Recycling angeht, deshalb lassen wir uns nicht von dem immer vorgebrachten Einwand: das ist nicht EU-kompatibel, nicht ins Bockshorn jagen. Wenn wir etwas bringen, das grundsätzlich dem Anspruch der EU entspricht - verwerten, die ganze Kette
- dann kann man das an einem Ort installieren und dann schaut man, wie das weitergeht. Wir haben immer das Problem, dass man sagt, nicht nur in der Umweltpolitik, sondern in allen Politikbereichen: Eigentlich kann man gar nichts mehr machen,
sondern muss warten, was von der EU kommt. Das sehe ich anders. Ich glaube, man
muss in einzelnen Ländern anfangen, und Deutschland ist ein gutes Land, um etwas
voranzubringen in der Abfallpolitik, weil wir da einen guten Ruf haben, und trotzdem sind wir nicht so gut, wie wir sein könnten.“
Prof. Dr. Friedrich Schmidt-Bleek vermisst ökonomische Anreize zu ökologischer Produktion und fordert ein radikales Umdenken, was das gesamte Wirtschaftssystem
angeht:
„Nachhaltigkeit werden wir erst haben, wenn es sich lohnt. Wenn es sich für den
Einzelnen lohnt, den Vertreiber, den Hersteller, den Transporteur. Unsere gesamte
Preisstruktur ist völlig auf dem Kopf. Da lohnt sich irgendwie noch das, was nicht
ökologisch ist. Wir müssen weltweit wesentlich weniger natürliche Ressourcen
verwenden pro Nase, es gehen maximal noch 5 Tonnen, aber momentan verbrauchen wir 60-70 Tonnen für jeden Deutschen. Es gehen maximal 5 Tonnen nach allen
Berechnungen! Meine Befürchtung ist, das schaffen wir mit Ihrer Verordnung unter
keinen Umständen, das geht mengenmäßig gar nicht. Da können Sie Verordnungen
haben, wie Sie wollen. Mit diesem Wirtschaftsmodell das geht vielleicht noch 15
Jahre gut, dann ist das zu Ende.“
Sylvia Kotting-Uhl stimmt zu, dass es ohne Anreize für die Wirtschaft nicht funktioniert:
„Die Wirtschaftsweise, die wir haben, zeigt uns, dass wir ohne ein Anreizsystem
nicht zu ökologischen Verhaltensweisen kommen. Warum auch? Das kennt jeder
Mensch von sich selber. Ich nehme jetzt mal ein paar „durch-und-durch“-Grüne aus,
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Der grüne Ressourcenkongress - Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion - 04/2008
die immer alles Mögliche tun, nur weil es ökologisch korrekt ist, aber vom normal
wirtschaften müssenden Bürger kann ich das nicht erwarten, sondern die gucken
erst mal, komm ich rum? Was rechnet sich für mich? Die kaufen nicht das, was teurer ist, nur weil es ökologisch besser ist. Da müssen wir an der Produktionsseite anfangen. Wenn wir wollen, dass sie ökologische Kriterien beachten, dann müssen sie
davon einen ökonomischen Vorteil haben. Das ist der Kerngedanke dieses Lenkungsinstrumentes.“
Dr. Hartmut Hoffmann (BUND) sieht
keinen Widerspruch in den Ansätzen
von Sylvia Kotting-Uhl und Prof.
Schmidt-Bleek. Man könne sehr wohl
beides tun: am Ressourcenverbrauch
bei der Produktion ansetzen und
gleichzeitig versuchen, die Abfallmenge zu reduzieren. Seiner Auffassung nach kommt es vor allem auf
eines an: dass wir uns billigen
Wegwerfartikeln verabschieden und
wieder den Weg zurück finden zu
langlebigen, lang haltbaren Produkten.
Gegenüber Prof. Schmidt-Bleek, der vorschlägt, anstelle der Ressourcenabgabe
Hersteller mit einer Kohlenstoffsteuer zu belegen, wendet Sylvia Kotting-Uhl ein:
„Ist die CO2-Steuer besser als die Ressourcenabgabe? Ich würde sagen, sie klingt
erstmal einfacher, aber sie hat in meinen Augen einen großen Nachteil, dass sie
sich überhaupt nicht um Recycelbarkeit und Kreislaufwirtschaft kümmert. Wenn ich
die Materialien besteuere, dann habe ich keinen Einfluss darauf, aus welchen Materialien sich das Produkt zusammensetzt. Ob das vielleicht zehn verschiedene Stoffe sind, die am Ende nicht auseinanderzukriegen sind, ist egal. Die Steuer ist dann
trotzdem die gleiche. Für die Höhe der CO2-Steuer ist das gleichgültig, aber nicht
für die Frage der Wiederverwertbarkeit, und das ist uns wichtig.“
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Forum 1: „Von der Wiege zur Wiege – Abfall als Rohstoff
Materialeffizienz und Ressourcenschonung als praktizierter Klimaschutz
Moderation: Bärbel Höhn, MdB, stellv. Fraktionsvorsitzende von Bündnis
90/Die Grünen
Einführungsvortrag:
Im Dialog mit der Natur – Für eine nachhaltige Stärkung
von Technik, Wirtschaft und Gesellschaft
Dr.-Ing. Udo Küppers, Ingenieurwissenschaftler und Bioniker
In seinem Vortrag stellt Udo Küppers Grundprinzipien der Bionik vor und zeigt Wege auf, wie mit Hilfe dieser Disziplin das Rohstoff- u. Stoffverarbeitungsproblem
unserer Wirtschaft und Gesellschaft nachhaltiger als gegenwärtig gelöst werden
könnte.
Nach Auffassung von Udo Küppers greifen die bisher diskutierten Vorschläge zur
Lösung des Ressourcen- und Abfallproblems zu kurz:
„Wir haben von Verwaltungsaufwand gesprochen, wir reden von Produkten, die
vielleicht irgendwann einmal nur aus einem Material hergestellt werden sollen,
was vielleicht die Ressourceneffizienz erhöht, aber ich denke, an den grundlegenden Strukturen unserer Wirtschaft wird sich dadurch nichts ändern. Es muss eine
wirksamere Lösungsstrategie geben.“
Eine solche mögliche Lösung sieht Küppers darin, dass das System der Materialund Energieverarbeitung selbst zum Gegenstand der Untersuchung wird. Die Wissenschaftsdisziplin Bionik kann für diesen systemischen Lösungsansatz Erfolg versprechende Ergebnisse liefern.
Das Wort Bionik ist die Kombination aus den Begriffen Biologie und Technik.
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Der grüne Ressourcenkongress - Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion - 04/2008
„Bionik beschäftigt sich unter anderem mit den MaterialVerfahrensprozessen aus der Natur und versucht sie in technisch-wirtschaftliche Produkte umzusetzen. Eine
Grundregel dabei ist aber, dass die
Natur nicht kopiert werden darf.
Sondern man muss die Prinzipien
erkennen, die hinter den Jahrmillionen lang optimierten Naturlösungen stehen und sie ingenieurtechnisch übertragen.“
Als Beispiel für die enormen technischen Leistungen der Natur nennt Küppers unter
anderem die Schale der Meeresschnecke Abalone, die bei Wassertemperatur entstanden ist und gleichzeitig um vieles härter und druckfester ist als Keramik, zu deren Herstellung sehr viel thermische Energie aufgewendet werden muss, nämlich
Prozesswärme zwischen 1400 und 1800° C. Die hochfeste Abalonenschale und die
brüchige Kreide besitzen im Übrigen dieselben Grundstoffe. Die Natur ist demnach
in der Lage, mit ein und derselben Stoffgruppe extrem unterschiedliche Produktleistungen zu entwickeln. Was für ein Leistungsvorsprung gegenüber vergleichbarer
Technik des Menschen! Und diese technischen Naturleistungen stehen uns unmittelbar, aus erster Hand zur Verfügung. Warum werden diese effizienten Naturlösungen nicht intensiver technisch erforscht? Die Natur hat schließlich Millionen Jahre
gearbeitet und stellt uns diese Leistungen kostenfrei zur Verfügung. Warum zögern
wir noch zu sehr, angesichts unserer gegenwärtigen Probleme diese hochgradigen
Natur-Innovationen für unsere Zukunft zu nutzen? Die Bionik ist kein Allheilmittel,
aber sie besitzt Lösungen, mit denen man nicht nur Ressourcen-Effizienz und Effektivität steigern könnte.
Der grüne Ressourcenkongress - Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion - 04/2008
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Eine große Herausforderung sieht Küppers dabei in der Art, wie die Wirtschaft ihre
Produktionsprozesse organisiert:
„Unser Management ist produktorientiert, auf Optimierung der Produkte ausgerichtet. Es fixiert die Produkte mit den Kosten. Und die Herstellungsprozesse verschlingen nicht nur eine Menge Rohstoffe, sondern verursachen auch noch hohe Folgekosten, die teils zeitversetzt wirksam werden und die zur Zeit der Produktherstellung
weder erkannt noch erahnen werden.“
Auch in der Frage des Materialmanagements könne man sich ein Beispiel an der
Natur nehmen, meint Küppers:
Die Natur hat ihre Materialverarbeitungsprozesse so aufeinander abgestimmt, dass
sie nicht unweigerlich in Richtung auf eine Katastrophe laufen. Sie nutzt verstärkende und abschwächende Wirkungen in ihren vernetzten offenen Kreislaufprozessen, so dass dieses System sich in einer gewissen Weise stabilisiert. Demgegenüber
denken und handeln wir in der Technik noch überwiegend einseitig ursachewirkungsorientiert und weniger systemorientiert. Die Konsequenzen dieser Strategie sind zeitversetzte Folgen, die die Umwelt, die menschliche Gesundheit und anderes mehr belasten.
„Das ist der Unterschied. Und wenn Sie beide Strategien zusammennehmen und
tatsächlich einmal die Naturprozesse der Materialverarbeitung den technischen
gegenüber stellen und sich fragen, wie kriegen wir denn beide zusammen? Was
können wir von dem einen lernen für den anderen? Dann gibt es da ein grundlegendes Ziel, und das heißt: wir müssen uns langsam auf die Suche machen nach
negativen Rückkopplungen. Das heißt, wir müssen nach Möglichkeiten suchen, unsere Material verarbeitenden Prozesse und den dafür erforderlichen Energieeinsatz
so zu gestalten, dass sie nicht Probleme anhäufen und noch mehr Probleme zeitver-
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Der grüne Ressourcenkongress - Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion - 04/2008
setzt anhäufen, sondern dass sie die Probleme vorbeugend erkennen, erfassen, bewerten und systemorientiert bearbeiten!“
Die Probleme der Materialverarbeitung in vom Menschen organisierten Produktionsprozessen erläutert Küppers ebenfalls in einem Schaubild:
„An jedem Punkt, wo wir produzieren, konsumieren, wegwerfen oder auch Ressourcen nehmen, setzen wir hochgradig eigenständige Energiewandlungssysteme ein,
ohne dass das eine mit dem anderen in einer geschickten Art gekoppelt wäre, was
nicht nur Material, sondern auch Energie spart. Daraus ergeben sich erhebliche Verluste die als Entropie, d. h. entropische Abwärme (im Bild als braune Pfeile dargestellt) wirksam werden. Die Natur hingegen kennt und optimiert den Gesamtzusammenhang und versucht aus dem Gesamtzusammenhang heraus, Details zu lösen.“ Was derzeit tatsächlich an Maßnahmen getroffen wird, um die Ressourcenund Klimakrise zu bewältigen, geht – so Küppers – in eine völlig falsche Richtung.
„Ein Gespenst geht um auf der Erde: Es ist das Gespenst des Aktionismus. Ein Aktionismus, der den Blick einengt für das Wesentliche, der sehr detailverliebt ist, in
den Feinheiten überproportional optimiert und alles schließlich noch beschleunigt,
also Produkte in den Nutzungsprozess bringt, die dann irgendwann überraschend
kaputt gehen, weil sie nicht genügend getestet wurden. Und dieses Gespenst greift
ganz massiv in die grundlegenden physikalischen Prozesse unseres Lebens und
unserer Arbeitswelt ein. Diese Prozesse sind die Energiewandlung, die Materialverarbeitung und der Informationsfluss. Diese drei physikalischen Prozesse können –
und das ist das, was viele nicht so ganz verstehen – nicht unabhängig voneinander
gesehen werden. Man kann sich nicht nur mit Materialverarbeitung beschäftigen,
ohne Energie- oder Informations- und Kommunikationsstrukturen gleichzeitig auch
mit optimieren zu wollen. Sie müssen immer dieses Dreigestirn in Ihre Strategien
mit einbeziehen.“
Der grüne Ressourcenkongress - Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion - 04/2008
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„Sie müssen in Modellen und Systemen denken, Sie müssen in Zusammenhängen denken und nicht nur in
isolierte Produktbereichen, die Sie optimieren. Und nachher vielleicht zwei,
drei Produkte zusammenlegen, die Sie
optimiert haben und feststellen, das
Gesamte ist dann doch nicht das, was
ich mir vorgestellt habe. Sie müssen
zum Beispiel im Rahmen von Informations- und Kommunikationsstrukturen
denken, was vielfach auch nicht gemacht wird. Gerade im Öffentlichen
Dienst sehe ich da großen Nachholbedarf.“
In einem Satz: Wir müssen wieder lernen in komplexen Zusammenhängen zu denken, statt reale Komplexität folgekostenreich zu verdrängen oder zu ignorieren!
Effiziente und effektive "Lösungswerkzeuge" dafür sind vorhanden, wie z. B. qualitative und quantitative Wirkungsnetze. Für die Herausforderung zukunftsweisender
Rohstoffen und deren Nutzung und Verarbeitung zeigt exemplarisch nebenstehendes Wirkungsnetz einen kleinen Ausschnitt der realen, ganzheitlich zu bearbeitenden Zusammenhänge von Rohstoffnutzung einschließlich Energie. Die Notwendig-
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keit systemisch zu denken und zu handeln zeigt nicht zuletzt die ausufernde, aktuelle öffentliche Diskussion über Nahrung, die zu Treibstoff verarbeit wird.
Sinnvolle Rohstofflösungen können nur aus dem erkannten vernetzten Wirkungsnetz heraus nachhaltig entwickelt werden. Das schließt ausdrücklich auch Detaillösungen ein. Jedoch:
aus der Summe von isoliert bearbeiteten Rohstoff-Detaillösungen zur Stabilisierung
der Gesamtstoffverarbeitung beitragen zu können, ist und bleibt Illusion!
Seinen Vortrag beschließt Küppers mit einigen strategischen und pragmatischen
Handlungsvorschlägen, von denen er einige erläutert:
„Fördern Sie die Anpassungsfähigkeit Ihres Produktes an die jeweilige
Umwelt und nicht die Optimierung des Anpasungszustandes! Nicht das Produkt ist entscheidend, sondern die Wechselwirkung.
Ich höre immer: ja, wir entwickeln Materialeffizienzkonzepte branchenbergreifend. Dann staune ich immer nur und frage: ja, was
meinen sie damit? Branchenübergreifend!
Die
Branche A betreibt Materialeffizienz, die Branche B
betreibt Materialeffizienz
und die Branche C betreibt
Materialeffizienz. Aber miteinander sprechen
tun sie nicht, um vielleicht zu dem Ergebnis zu kommen, dass der Verluststoff der
einen Branche zu einem wertvollen Rohstoff des anderen sein könnte. Und dies aber
wirklich auch branchenübergreifend vernetzt - kleinräumig vernetzt!
Stellen Sie nicht die Frage: Wie steuere ich ein Unternehmen oder wie steuere ich
Materialflüsse? Sondern fragen Sie: Wie können sich Materialflüsse steuern?“ Hinter dieser Fragestellung verbergen sich bewährte Naturstrategien der Selbstorganisation, von denen wir noch viel lernen können.
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Schaffen Sie vernetzte Strukturen für Information und
Kommunikation! Auch wenn
Firmengeheimnisse dem entgegenstehen sollten: Es gibt
Möglichkeiten zu kommunizieren, ohne diese Patente zu
verletzen.
Stärken Sie die Mehrfachnutzung des Produktes! Es wird
immer von Wiederverwertung
geredet, insbesondere in der
Verpackungstechnik – vermeiden, vermindern, verwerten usw. – Aber wiederverwenden ist eine genauso effiziente Methode, Rohstoffe
einzusparen. Das wird viel zu
wenig beachtet.
Schaffen Sie Energiekaskaden, ohne ständig neue Primärenergien einzusetzen!
Und: optimiere Prozesse, nicht Produkte! Wenn Sie Produkte optimieren haben Sie
noch lange keine Prozesse optimiert. Umgekehrt gilt das schon eher.
Optimiere Eingangsgrößen, nicht Ausgangsgrößen! Jeder technische Ansatz bei der
Abfallbehandlung sollte zuerst darauf geprüft werden, warum der Abfall überhaupt
entstanden ist.
Und wenn jetzt die Kritiker kommen und sagen: das machen wir in der einen oder
anderen Weise schon genau so, das ist nichts Neues. Vor allem haben wir es schon
seit 30 Jahren so gemacht und dabei gut verdient. Wenn wir uns jetzt aber die Veränderungen der Umwelt anschauen, dann bleibt mir da eigentlich nur eine Antwort:
Man kann auch zu lange etwas falsch machen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!“
Diskussion
Moderatorin Bärbel Höhn (stellvertretende Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die
Grünen) verweist eingangs auf die Schwierigkeiten mit der Verpackungsverordnung und dem Dualen System Deutschland (DSD).
„Wenn wir schon den Menschen beibringen wollen, alles zu sortieren, dann sollten
wir ihnen etwas Systematisches vorgeben. Papier zu Papier, Glas in die Glastonne,
Bioabfall in die Biotonne. Das verstehen die Leute, aber wenn man Verpackung, was
ja alles sein kann, dann auch noch extra sortieren soll, dann ist das systematisch
nicht auf einer Linie wie Papier, Glas und Biokompost und das führt dann auch dazu, dass im Gelben Sack und im Restmüll alles durcheinander geschmissen wird.“
Roland Belz von der Belland GmbH stellt das Produkt seines Unternehmens vor, einen beliebig recyelbaren Kunststoff:
„Das Belland-Material ist ein Kunststoff, der wie jeder Kunststoff aus Monomeren,
aus Erdöl gemacht wird, aber mit einer am Anfang eingebauten „Sollbruchstelle“,
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mit einem Schalter, der nach Gebrauch folgendes macht, ähnlich wie bei Papier.
Das war mein Vorbild: Wenn es sich lohnt, Papier einzusammeln, zu recyceln und
daraus neues zu machen, dann muss es mit Kunststoff auch gemacht werden. Und
deshalb haben wir in dieses Material eine Sollbruchstelle eingebaut – eine Carboxydgruppe -, die beim Kontakt mit einer Lauge dasselbe auslöst wie beim Papier,
wenn Wasser dazu kommt: dass die einzelnen Polymerketten sich vereinzeln, aber
sie bleiben Polymerketten. Und in dieser Form lässt es sich von vermischten Abfällen herauslösen. Heraus kommt ein Material, das nicht nur 100 Prozent sortenrein
ist, sondern auch molekular gereinigt, so dass es wieder im Kontakt mit Lebensmitteln eingesetzt werden kann.“
Die von den Grünen geplante Ressourcenabgabe sieht Belz grundsätzlich positiv:
„Ich bin am Anfang teurer, das heißt, ich kann nicht mit Polysterol konkurrieren. Da
sehe ich einen ersten Lichtblick in einem solchen Lenkungsinstrument, wo mir dieser höhere Preis ausgeglichen wird oder – und das wäre meine Anregung – dass es
möglich sein muss, dass derjenige, der ein teureres Material in der Erstherstellung
den Markt bringt, dass der auch die Chance hat, wirtschaftlich, abfallpolitisch an
das Material heranzukommen, weil er seinen wirtschaftlichen Vorteil erst in der
zweiten, dritten, vierten Runde erzielt. Genauso wie jemand, der sich eine Solaranlage aufs Dach stellt und dann die Wärme nutzen kann und dadurch die Investition.“
Bärbel Höhn (Bündnis 90/Die Grünen) stellt bedauernd fest, dass in den letzten Jahren Einwegverpackungen gegenüber Mehrwegsystemen überhand zu nehmen
scheinen.
Dazu Jürgen Resch von der Deutschen Umwelthilfe:
„Das ist die Schwierigkeit, wenn die Kosten auf die Gesellschaft verteilt sind, dass
da der Einzelne möglicherweise mit einem Einwegsystem günstiger wegkommt. Ich
will mal ein Beispiel nennen, wo wir uns im Markt engagieren müssen, und das ist
die Verkehrspolitik. Wenn wir beispielsweise wie in Amerika kaum Geld für den
Öffentlichen Personennahverkehr ausgeben würden, dann hätten wir sehr viel weniger ÖPNV. D.h. eine entsprechende Kreislaufwirtschaft kriegen wir auch nur hin
mit vernünftigen Regeln, und wenn der Herr Töpfer gute Grundgedanken hatte und
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das auch vernünftig auf den Weg gebracht hat, dann heißt das natürlich nicht, wir
hören auf zu denken, wenn sich Veränderungen am Markt ergeben. Wir haben in
den letzten Jahren etwas verlernt, uns für Wiederverwendung tatsächlich auch zu
engagieren. Ich glaube nicht, dass wir Politiker finden, die sagen, wir sind gegen
Mehrweg, vielleicht ein paar von der FDP, und für den Klimaschutz ist glaube ich
auch jeder, aber bei Mehrweg? Fangen wir doch einfach mal an bei der Bundesregierung. Auch die die letzte Bundesregierung, Rot-Grün, hat schon aufgehört, irgendwelche Projekte zu unterstützen, die sich für die Erhöhung des Informationsstandes im Mehrwegbereich eingesetzt haben. Wir haben als Umweltverband schon
Mühe gehabt, einzelne Briefe zu initiieren, zum Beispiel für Mehrwegbecher bei der
Fußballweltmeisterschaft. Wir haben in anderen Bereichen im Moment mehr Aktivitäten des Staates im Ordnungsrecht als im Bereich Kreislaufwirtschaft.“
Hinsichtlich des beliebig recycelbaren Belland-Kunststoffes bezweifelt Resch dessen Funktionsfähigkeit. Im Grundsatz finde er die Idee zwar großartig, doch handelt
es sich dabei seiner Ansicht nach um ein hohles Versprechen:
„Wir erleben sehr häufig, dass uns was versprochen wird, was funktioniert, und was
dann passiert, ist, dass durch dieses Versprechen funktionierende Mehrwegsysteme
kaputt gemacht werden. Im Getränkebereich haben wir das Problem mit Systemen,
die dem Verbraucher vorgaukeln, ein Mehrwegsystem in einem Kasten zu sein. Tatsächlich sind es aber Einwegflaschen, die in den Mehrwegkasten drin sind. Wir haben gerade im Mineralwasserbereich im Moment einen Niedergang der Mehrwegquoten. Ich fordere, dass die Maßnahmen ein bisschen mehr überlegt sind und dass
wir da auch eine große Ehrlichkeit haben.“
Dr. Stefan Harmening vom Bundesverband der Entsorgungswirtschaft lobt die im
internationalen Vergleich hohen deutschen Recyclingquoten und verweist darauf,
dass die deutschen recycelten Kunststoffe heute ein begehrtes Material auf dem
Weltmarkt darstellen. Er betont noch einmal die Unzufriedenheit seiner Branche mit
der 6. Novelle der Verpackungsverordnung:
„Wir sind strikt gegen die 6. Novelle der Verpackungsverordnung. Wir sind der Auffassung, wir brauchen ein Ressourcengesetz, das dem entsprechen muss, was wir
vertreten: Abfall ist nicht länger etwas, dessen man sich entledigen muss, sondern
Abfall ist ein wertvoller Rohstoff, und deswegen gehört er in die Hände derer, die
das Beste daraus machen, egal ob das jetzt ein privater oder ein kommunaler Entsorger ist. Und da gibt es in Deutschland immer noch diese Teilung: Abfall zur Beseitigung, Abfall zur Verwertung. Der Gesetzgeber hat irgendwann mal entschieden, dass er den schwierigeren Teil, die Verwertung, in die Hände der Privatwirtschaft gibt, und den einfacheren Teil, die Beseitigung – das waren früher Deponien,
heute sind es Verbrennungsanlagen – in die Hände der öffentlichen Hand. 80 Prozent der Verbrennungskapazität sind heute in kommunaler Hand. Und dort werden
Anlagen gebaut, die müssen keine Auslastungsgrade vorbringen. Die paar Anlagen, die die Privaten bauen, die müssen Auslastungsgrade erbringen. Aber wenn
Sie als Kommune das machen, müssen Sie das nicht. Ich hoffe, dass es bald ein Ressourcengesetz gibt, das der Tatsache gerecht wird, dass wir einen wesentlichen Beitrag leisten zur Sicherung der Rohstoffsicherheit unseres Landes und einen wichtigen Beitrag zur Reduzierung von klimarelevanten Gasen.“
Zum von den Grünen geplanten Ressourcengesetz äußert Harmening (BDE):
„Ich finde die Idee im Prinzip ausgezeichnet - aber über Abgaben können wir uns
das weniger vorstellen. Wir glauben, es gibt andere Mechanismen, über die man
das regeln kann. Wir glauben, dass der Erlös aus den Sekundärrohstoffen geeignet
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Der grüne Ressourcenkongress - Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion - 04/2008
ist, ein Refinanzierungsinstrument darzustellen für den gesamten Kreislauf. Ich
glaube nicht, dass man dafür Abgaben benötigt.“
Aus dem Publikum beklagt Horst
Laneus vom Bundesverband Altöl,
dass die stoffliche Nutzung von Ressourcen gegenüber der energetischen durch den Gesetzgeber in einen Nachteil gebracht worden sei:
„Wir haben doch schon eine Ressourcenabgabe, das ist die Energiesteuer, und die ist kontraproduktiv,
zumindest hinsichtlich der Teile, die
von der Energiesteuer befreit sind
und die Recycling sozusagen verhindert. Wir sollten darüber nachdenken, diese Hindernisse aus dem
Weg zu räumen, damit dem Recycling nicht die Rohstoffe entzogen
werden. Denn viele Stoffe können
auf
zwei Weisen verwendet werden, einmal als Rohstoff und einmal als Energiestoff.
Das sind zwei verschiedene Märkte. Und wenn Altöl, das den gleichen Brennwert
hat wie Heizöl, auf dem Energiemarkt verwendet werden kann und derjenige, der
das verwendet, von der Energiesteuer befreit ist, dann treibt der den Altölpreis in
unermessliche Höhe, vor allem wenn man bedenkt, wie wenig Altöl da ist im Verhältnis zu den Energieheizstoffen. Wenn Kunststoff gut brennt, dann wird er verheizt. Selbst wenn Papier gut brennt, wird’s verheizt. Wenn’s brennt, ist es weg.“
Roland Belz (Belland GmbH) befürchtet bei aller grundsätzlichen Zustimmung, die
geplante Ressourcenabgabe würde zu einem heillosen bürokratischen Aufwand
führen:
„Ich würde vorschlagen, dass es nicht immer diese Agentur ist, die entscheidet, ist
es jetzt ressourcenfreundlich oder nicht, dass es nicht ein ewiger Bürokratismus
bleiben muss, sondern dass ein eingebautes Wirtschaftlichkeitsinstrument in der
Ressourcenabgabe ist, die das dann erübrigt. Ich sehe das als Starthilfe, aber danach soll es zu einem Selbstläufer werden aus einem wirtschaftlichen Vorteil.“
Alfred Peuker von PetCycle begrüßt die Ressourcenabgabe, weil dadurch endlich
die Diskussion Mehrweg – Einweg vom Tisch sei. Prof. Dr. Friedrich Schmidt-Bleek
fragt, wie man denn nun eigentlich die Ökobilanz von Mehrweg und Einweg berechne, und bezweifelt, dass die Life Cycle Analysis dafür das geeignete Instrument
sei:
„Das können Sie vergessen. Ich kann Ihnen Beispiele zeigen über Massenzyklen, wo
Mehrweg einfach Blödsinn ist. Das hängt einfach von furchtbar vielen Bedingungen
ab. Man hört immer: Mehrweg ist prima, Einweg ist nicht so gut. Ich möchte einfach
wissen, auf was hat sich eigentlich die Abfallwelt geeinigt? Und zwar so, dass man
alles durchrechnen kann.“
Jürgen Resch (Deutsche Umwelthilfe) räumt ein, dass es in der Tat mitunter unterschiedliche Gutachten zu dieser Frage gibt.
Der grüne Ressourcenkongress - Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion - 04/2008
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„Deswegen sagen wir: es ist immer auch eine politische Entscheidung, wie gewichte ich in einer LCA das Versauerungspotenzial, den Aspekt der CO2-Äquivalenz und
so weiter. Wenn es aber unabhängige LCAs der Behörden gibt, vor allem wenn sie
alle übereinstimmen… Grundsätzlich gebe ich Ihnen Recht, es gibt Verwendungszwecke, wo Mehrweg ungeeignet ist. Ich würde Mehrweg zum Beispiel nicht einführen für guten spanischen oder italienischen Rotwein, den man vielleicht auch mal
ein paar Jahre lagert, aber für Schnelldreher. Da ist es tatsächlich so, dass Glasmehrweg extrem viele Umläufe hinbekommt, vor allem dadurch, dass es inert ist:
Glas können Sie nahezu beliebig viele Male in den Kreislauf führen. Da ist es nicht
so wie bei Kunststoff, dass die Ketten kürzer werden und Sie wie bei PET-Recycling
gerade mal 20 Prozent machen - theoretisch wäre ein bisschen mehr möglich, das
wird aber dann teurer… Für mich ist jedoch noch etwas zweites wichtig, und das ist
der erzieherische oder auch kulturelle Aspekt: In was für einer Gesellschaft würden
wir leben, wenn wir wie in vielen asiatischen oder amerikanischen Gegenden nur
noch alles aus Einweg essen würden? Wie schmeckt Champagner aus Pappbechern? Ich freue mich jedes Mal, wenn ich ein schönes Glas habe, möglichst in
Mehrweg. Die Qualität ist am besten, und ich weiß, das Ding kann 50mal laufen,
und wenn es kaputt geht, wird daraus wieder ein schönes Glas. Das ist für mich gelebte Produktverantwortung und gelebte Kreislaufwirtschaft, und da sollten wir uns
einfach ein bisschen annähern.“
Dem widerspricht Dr. Stefan Harmening vom BDE:
„Natürlich erhöht Mehrweg nicht die Abfallmenge, aber es ist auch kein Selbstzweck. Nur weil es auf den ersten Blick vielleicht erstmal besser aussieht. Das muss
man sehr genau anschauen, es gibt ernstzunehmende Analysen, die das Gegenteil
auch sagen. Und im Übrigen: wenn wir anfangen zu sagen: das schmeckt auch besser… ja, mir schmeckt Wasser aus der Flasche auch besser -, aber ich glaube, das
ist nicht die Ebene, auf der wir hier diskutieren sollten.“
Sylvia Kotting-Uhl, umweltpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, bezweifelt, dass sich ein Ressourcengesetz ohne Ressourcenabgabe umsetzen ließe, und fragt Dr. Stefan Harmening (BDE), wie er sich das denn
konkret vorstelle. Dazu Dr. Stefan Harmening:
„Produktverantwortung halte ich für ein sehr gutes Prinzip und auch ein bewährtes.
Wir glauben, derjenige, der ein Produkt auf die Welt bringt, soll auch dafür verantwortlich sein. Ich glaube nur nicht, dass wir das über eine Abgabe regeln sollten,
sondern genauso, wie es jetzt auch funktioniert: es ist im Preis drin! Wenn das, woraus die Verpackung hergestellt wird, wenn dessen Recyclingfähigkeit in den Preis
integriert ist, dann wird die 100% recyclingfähige Verpackung preiswerter sein als
die nur zu 70% recyclingfähige.“
Dem widerspricht Bärbel Höhn: Über den Preis könne es nicht funktionieren, denn
die Natur habe derzeit keinen Preis:
„Wir gehen mit der Natur so um, als sei die Natur unendlich, und deshalb hat die
Natur auch keinen Preis. Nun stellen wir aber fest, dass es sein könnte, dass die Natur nicht den Menschen braucht, sondern der Mensch die Natur, und deshalb muss
eigentlich die Natur einen Preis kriegen. Oder die Ressource muss einen Preis kriegen, weil es um ein endliches Gut geht. Die Frage ist: was kann die Politik tun, um
dieser Ressource einen Preis zu geben? Und da haben die Grünen gesagt: wir machen das mit einer Ressourcenabgabe.“
Darauf Harmening:
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Der grüne Ressourcenkongress - Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion - 04/2008
„Ich habe Schwierigkeiten, mir vorzustellen, wie Sie das rechnen wollen. Wir können das auch auf eine andere Weise tun: über Quoten! Warum nehmen Sie nicht
Quoten für bestimmte Stoffströme, aber keine statischen, und bauen auf diese Weise ein dynamisches Instrument mit ein? Dann haben Sie den ganzen mühseligen
Aufwand zur Berechnung dieser Abgabe nicht dabei, und sie haben trotzdem einen
Anreiz, bestimmte Materialien, von denen Sie sagen, sie schaden der Natur, zu reduzieren.“
Gegenüber dem Bioniker Udo Küppers wendet Sylvia
Kotting-Uhl ein, er setze zu sehr auf möglicherweise
riskante Biotechnologien: „Was die Natur macht und
was wir machen, kann vielleicht im Ergebnis sehr
nahe beieinander liegen, aber der Weg dahin ist ein
anderer und mit sehr unterschiedlichen Folgen. Mir
fällt da die Gentechnik ein, wo auch immer reklamiert
wird, wir machen nur nach, was die Natur macht, was
so einfach nicht stimmt. Bei der Nanotechnologie
glaube ich, so tolle Möglichkeiten da auch sicher drin
sind: wir sind uns alle einig unter den Grünen, dass
die Risikoforschung da noch sehr unterbeleuchtet ist
und dass man da sehr genau hingucken muss: was
verändert sich außer dem, was ich gerade im Blick habe, auch noch? Deshalb meine
ich, ein Grundfehler bei uns ist, dass wir immer meinen, wenn wir ein Problem haben, und das ist oft ein durch Technologien produziertes Problem, dann braucht es
nur eine neue Technologie und damit lösen wir das. Das, glaube ich, stimmt nicht,
und dieser Kongress sollte eigentlich auch ein bisschen dazu dienen zu sagen, es
gibt nicht für alles ne neue Technologie und wir müssen nichts ändern, sondern
müssen nur gucken, mit welcher neuen Technologie wir das Problem der alten Technologien lösen. Wir müssen unser Verhalten ändern.“
Abschließend verwahrt sich Udo Küppers gegen
diese Kritik:
„Ich verteufle die Nanotechnik nicht und ich lobe
sie auch nicht in den Himmel. Ich habe sehr wohl
eine differenzierte Sichtweise, was die Anwendung der Nanotechnologie angeht. Aber es ist
doch wohl unbestritten, dass wir seit Jahrmillionen mit der Anwendung der Nanontechnik in den
Organismen leben, und sie gehören ja nun auch
dazu. Also, wo ist das Problem?! Ich kann da
erstmal keine Gefahren sehen.“
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Forum 2: Über Siedlungsabfälle hinaus – Klimaschutzpotenziale jenseits der gelben, grünen oder blauen Tonne
Bauschutt und andere schlafende Ressourcenriesen
Einführungsvortrag
Szenarien des Material in- und outputs durch veränderte
Wohnungsbau- und Infrastrukturnachfrage
Dipl.-Ing. Clemens Deilmann, Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung Dresden
In seinem Einführungsvortrag skizziert Clemens Deilmann die aus dem demografischen Wandel resultierende Wohnungs- und Gebäudeentwicklung bis 2050 und die
Auswirkungen, die sich daraus für die Recyclingwirtschaft im Baubereich geben.
Im ersten Teil seines Vortrags beschreibt Clemens Deilmann die zu erwartende
Entwicklung bis 2050, was Wohnungsbau und –instandsetzung in Ost- und Westdeutschland betrifft.
Veränderungen bewohnte Wohnungen
und bewohnte Fläche bis 2050
Ostdeutschland
120
Westdeutschland
Veränderungen in Prozent
120
110
110
100
100
90
90
80
80
bewohnte Fläche
bewohnte Wohnungen
70
Veränderungen in Prozent
2001
2010
2020
bewohnte Fläche
bewohnte Wohnungen
2030
Jahr
2040
2050
70
2001
2010
2020
2030
2040
2050
Jahr
www.ioer.de
Clemens Deilmann
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Der grüne Ressourcenkongress - Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion - 04/2008
„Sie kennen die Diskussion in Ostdeutschland: Leerstandsdebatte und nachlassende Nachfrage. Jetzt gucken Sie mal auf die Kurve Westdeutschland. Sie sehen, dass
da bis 2020 10% erstmal noch draufgelegt werden, da haben wir noch Nachfrage. Die
Bevölkerung stagniert oder schrumpft zwar leicht, aber die Haushalte werden kleiner. Deswegen brauchen wir auch weitere Wohnungen. Derzeit bauen wir sogar zu
wenige Wohnungen in Westdeutschland. Wir werden den Siedlungsbestand in
Westdeutschland also noch mal um 10% vergrößern und dann werden wir ihn nicht
mehr brauchen. Dann bekommen wir das, was wir aus Ostdeutschland kennen. Das
ist für mich eine gigantische Masse an volkswirtschaftlichem Vermögen an Ressourcen, das wir jetzt hineinbuttern, und irgendwann werden wir auch in Westdeutschland möglicherweise abreißen müssen.“
Diese Entwicklung bedeutet sowohl für die Stadtplanung als auch für die Bauwirtschaft eine große Herausforderung. Um eine städtebaulich sinnvolle Planung zu
ermöglichen, wurde in einem Forschungsprojekt ein Tool entwickelt, mit dem sich
unter Eingabe gewisser Parameter verschiedene Entwicklungsszenarien in einer
Stadt oder Kommune berechnen lassen:
Szenario 2020 für eine Stadt mit 250 000 EW.
Referenz
Bevölkerung -15 %
Stadtumbau
+5%
Anzahl neue WE
+7%
21 %
Abgang von WE
27 %
50 / 50
20 / 30 / 50
Mehrfam.H ./. Einfam.H
Brache/ Lücken/ grüne Wiese
33 / 67
50 / 30 / 20
20 %
Leerstand 2020
13 %
4%
Passive Häuser
25%
5%
Holzhäuser
25%
www.ioer.de
Clemens Deilmann
„Wenn wir jetzt die Szenarien beschreiben mit den Kommunen zusammen, machen
wir bestimmte Vorgaben, aber die Kommunen diskutieren das mit uns und sagen:
okay, diesen oder jenen Entwicklungspfad können wir uns vorstellen. Das Beispiel
hier ist eine Stadt mit 250.000 Einwohnern. Die Bevölkerung schrumpft um 50% bis
2020. Was erwartet die Stadtplanung? Zum einen: neue Wohneinheiten. Es wird immer auf einem gewissen Level Neubau geben. Es wird Abriss geben, 21%, und beim
Stadtumbauszenario vermutet man, die Planer könnten ein bisschen mehr bewegen,
also 27%. Dann ist die Frage, wie viele Mehrfamilienhäuser werden gebaut, wie viele Einfamilienhäuser – das ist auch eine Setzung von der Stadt – und dann die Frage, wo passiert das? Auf der Brache, auf der Baulücke oder auf der grünen Wiese?
Weil das wiederum für die Infrastruktur erhöhte Aufwendungen bedeutet. Auch hier
wieder die Hoffnung, dass beim Stadtumbau 50% auf Brachen, 30% auf Lücken und
nur 20% auf der grünen Wiese gebaut werden.“
Der grüne Ressourcenkongress - Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion - 04/2008
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Durch den zu erwartenden Abriss eines beträchtlichen Teils des Gebäudebestands
wird es überdies ein massives Aufkommen an Baureststoffen geben:
„Das war für den wirtschaftspolitischen Ausschuss der Stadt dann schon ein AhaErlebnis: wo fahren wir das Zeug denn dann hin? 1000 t pro Tag, und das über die
nächsten 20 Jahre! Das sind die Dimensionen, mit denen man sich dann auch im
Bereich mineralischer Massen beschäftigen muss. Wir haben dann gesagt: gut, was
machen wir dann mit den ganzen Stoffen, wo könnten sie denn hin? Inwieweit ist
Baustoffrecycling im kommunalen Tiefbau möglich? Welche Motivation, welche
Hinderungsgründe haben die Akteure hinsichtlich der Verwendung von Recyclingbaustoffen?“
Eine Umfrage unter Kommunen, wie sie es mit der Verwendung von Recyclingmaterial im Baubereich halten, habe – so Deilmann – völlig unterschiedliche Ergebnisse
gebracht. Während einige Kommunen im Tiefbaubereich nahezu vollständig auf
Sekundärbaustoffe zurückgreifen, verwenden andere nur Primärmaterial. Generell
sieht er jedoch große Hemmnisse, was den Einsatz von Recyclingbaustoffen angeht:
„Die meisten von uns leben mit ganz eingefahrenen Handlungsroutinen. Sie sind in
einem etablierten Handlungsstrom drin, und nun möchten Sie als Grüne, dass die
Leute anders agieren. Normalerweise ist es sehr schwierig, Menschen von A nach B
zu bringen und hier dargestellt an diesem Berg zwischen den Pfaden. Wie kommt
man überhaupt von A nach B? Wo gibt es ein „Window of opportunity“? Im etablierten Strom müssen Sie die Barriere etwas hochfahren und gleichzeitig die Schwelle
zum Nebenweg absenken. Das heißt. z.B. durch Änderung des Deponierechts oder
Kreislaufwirtschaftsgesetz können Sie bei dem etablierten Handlungsstrom ein
bisschen die Schwierigkeiten erhöhen. Sie können das auch über den Abfallbegriff
oder die ganze Schadstoffproblematik versuchen. Das sind Dinge, die notwendig
sind, um zu einem anderen Handeln zu kommen. Die Frage ist, überfordert man eigentlich bestimmte Gruppen, wenn man von ihnen sehr viel Handlungsvarianz fordert? Im Moment müssen wir uns mit der Energie beschäftigen, kriegen Sie das mit
den Ressourcen insgesamt als ein Thema verpackt oder sind es mehrere?“
Zeitstrategische Einordnung:
Schematische Abbildung einer pfadabhängigen Entwicklung (Innovation)
mit einem Zeitfenster (nach Zundel u.a., 2004)
Recyclingorientierte
Baustoffauswahl
KWG,
Änderung
Deponierecht
Herkömmliche
Baustoffauswahl;
Herkömmliche
Entsorgungspraxis
Schwelle
Abfallbegriff,
Schadstoffe
in RC, Preise
www.ioer.de
Clemens Deilmann
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Der grüne Ressourcenkongress - Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion - 04/2008
„Das Nebeneinander von Schrumpfung und Wachstum könnte regional differenzierte Strategien für den Umgang mit Bauschutt und Bauabfällen erforderlich machen.
Schrumpfende Städte werden zu Lieferanten von „Sekundärrohstoffen“. Der Hochbau als Abnehmer wird kaum zur Erhöhung der Recyclingquote beitragen.
Bis 2050 betrachtet, werden wir zur Immobilienwegwerfgesellschaft. Die Chance zur
Erneuerung muss jetzt genutzt werden (Passivhaus-Qualität). Für die nächsten 20
Jahre ist noch Geld im Umlauf, mit dem Sie schöne Sachen machen können, danach
kommen Sie in eine Marktsituation, wo das investieren in den Wohnungsbau in
Ostdeutschland nicht mehr so viel Spaß macht.
Es braucht Leidensdruck und das richtige „Zeitfenster“ um gewohnte Wege zu verlassen und alternative Entwicklungspfade zu wählen. Risikofreie Weiterverwertung
gibt es nicht.“
Diskussion
Moderator Dr. Anton Hofreiter, Bündnis 90/Die Grünen, MdB und Obmann im Ausschuss für Verkehr, Bau, Stadtentwicklung, fragt nach, was das Umweltbundesamt
zu tun gedenke, um die Hemmnisse bei der Verwendung von Recycling-Baustoffen
abzubauen, insbesondere die Bedenken wegen deren angeblicher Belastung durch
Schadstoffe.
Dazu Prof. Dr. Michael Angrick vom Umweltbundesamt:
„Es ist beileibe nicht so, dass viele davor zurückschrecken, das Material einzusetzen, weil es irgendwelche teuflischen Reststoffe enthält oder weil man irgendwelche grundsätzlichen Bedenken hat, sondern es ist oft einfach mangelnde Erfahrung,
die die Leute davon abhält. Hinzu kommt: Wir haben an dieser Stelle schlicht und
ergreifend nicht genug Anreize, dass in recycelte Materialien investiert wird, weil
der Preis für die Primärmaterialien so ist, dass man nicht in die recycelten Materialien gehen muss. Wie kann ich das ändern? Da könnte möglicherweise eine lenkende Form, eine Abgabe oder was auch immer, ein positives Signal setzen in die richtige Richtung. Unser Anliegen ist es nicht nur, dass das recycelte Material im Tiefbau eingesetzt wird. Wir möchten, dass es auch hochwertig eingesetzt wird, sprich:
dass es in den Hochbau, in die Gebäude geht. Da haben wir noch ein wirklich massives Problem. Derzeit gehen 1 Prozent oder was auch immer in den Hochbau. Das
ist viel zu wenig, und da müssen wir dann auch den Hebel ansetzen, was zu machen.“
Ingo Schulz (Fachverband Hoch- und Massivbau im Zentralverband Deutsches Baugewerbe e.V.) lobt zunächst die gute Diskussionskultur, die sich in den letzten Jahren zwischen Politik, Behörden und Wirtschaftsvertretern entwickelt habe. Zum Einsatz von Recycling-Baustoffen äußert er sich grundsätzlich offen und verweist auf
die Selbstverpflichtungserklärung seiner Branche, im Tiefbau mindestens 70% Recyclat einzusetzen. Was die Zukunft angeht, sieht er jedoch große Probleme:
„Wir haben zu berücksichtigen, dass das, was in den nächsten Jahren möglicherweise zum Abbruch kommt, eine ganz andere Gebäudesubstanz hat. D.h. wir geraten an die Gebäude, die zunehmend auch Verbundbaustoffe beinhalten, die auch
Glas und Metall beinhalten. Das ist nicht mehr das klassische Baustoffrecyclingmaterial. Wenn Sie sich die unterschiedlichen Materialien im Bauschutt anschauen,
dann erkennen Sie, dass wir im Straßenaufbau bereits Recyclingquoten haben von
80, 90, 95 %. Potenziale sehen wir eigentlich im Bauschuttbereich, wenn es gelingt,
die Rahmenbedingungen festzuzurren.“
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Von der Politik erwartet Schulz insbesondere, dass sie klare Rahmenbedingungen
zum Einsatz von Sekundärbaustoffen festlegt:
„Ich glaube Ihnen auch, dass Sie als erste Partei ernst machen wollen damit, aber
wir leben es nicht im Moment, weil wir die Kette nicht im Gesamtzusammenhang
sehen. Aber das Material ist da - die Höfe sind voll davon -, das Material ist geeignet, wir sind uns einig mit der Umweltseite, dass das untersucht werden muss, wir
haben Gütersicherungssysteme und wir haben konkrete Anforderungen, die den
Umweltschutz gewährleisten.“
Dipl.-Ing. Michael Prytula (Uni Kassel) verweist auf die entscheidende Rolle, die der
Verbraucher bzw. der Bauherr in dieser Frage spiele: „Als Architekt hat man da wenig zu bestimmen, der Bauherr muss sich für eine nachhaltige Bauweise entscheiden und die Vorgaben machen. Als Nutzer hat man die Möglichkeit, über Nachfrage
nach bestimmten Bauprodukten mehr Nachhaltigkeit zu erzielen, aber letztlich geht
es beim Nutzer auch um Kostenoptimierung, und wenn ökologisches Bauen teurer
ist, dann wird daran eben gespart.“
Ein Teilnehmer aus dem Publikum moniert, dass Baureststoffe häufig schadstoffbelastet sind und sieht ein großes Konfliktpotenzial zwischen Anforderungen des Umweltschutzes und der Ressourcenfrage.
Prof. Dr. Michael Angrick (Umweltbundesamt) betont, der Umweltschutz habe dabei
in jedem Fall Vorrang:
„Es gibt schutzgutbezogene Anforderungen, die einfach erfüllt werden müssen. Es
kann nicht sein, dass wir jetzt irgendwas flächendeckend einsetzen würden, was
anderen Generationen später auf die Füße fällt. Das ist nicht zu machen. Das hat
halt auch seinen Preis. Wir müssen auf der einen Seite schauen, wenn wir das Material stärker einsetzen wollen, und das müssen wir meiner Meinung nach, weil das
ein tatsächlicher Beitrag zum Ressourcenschutz ist, dann können wir das nicht auf
Kosten der Qualität der Materialien tun.“
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Der grüne Ressourcenkongress - Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion - 04/2008
Er mahnt überdies an, möglichst zu verhindern, dass Neubauten auf die „grüne
Wiese“ gesetzt würden:
„Wir müssen aufpassen, dass das in der verbleibenden Zeit bis zu dem Peak, den
Sie geschildert haben, nicht zu sehr in die Fläche geht. Wir müssen weg von den
suburbanen Strukturen. Wir müssen wieder hin zu den größeren Stadtquartieren.
Wir müssen dahin gehen, dass wir tatsächlich wieder mehr in die Stadt investieren
und nicht immer weiter ins Grüne hineinziehen und dort für irrsinnige Summen infrastrukturelle Maßnahmen mit all den Materialproblemen, die auch damit verbunden sind, nur um dann festzustellen, dass sich das alles langsam, aber sicher leert.“
Auf Nachfrage aus dem Publikum präzisiert Clemens Deilmann (IÖR Dresden) noch
einmal sein Szenario, was Wohnungs- und Gebäudeentwicklung in Deutschland bis
2050 angeht:
„Deutschland wird ein Flickenteppich aus Wachstum und Schrumpfung sein. Und man kann nicht
strikt sagen: das Wachstum findet im Westen
statt, im Osten gibt es die Schrumpfung. Sie haben auch Wachstumskerne im Osten, keine Frage.
Nur: die statistischen Mittel erlauben keine kleinräumigen Szenarien. Und in der Zukunft wird das
Kernproblem auch in Westdeutschland sein, dass
jede neu gebaute Wohnung eine leer stehende
Wohnung andernorts erzeugt. Daran werden wir
nicht viel ändern können. Die Politik kann den
Menschen nun einmal nicht vorschreiben, wo sie
wohnen sollen. Für den Osten gilt das schon für
die Gegenwart. Das heißt aber auch, wenn Sie
jetzt eine ostdeutsche Kommune haben, da gehen
also zwei Mal so viele Stoffe raus, wie die Stadt
braucht. Ich weiß nicht, was wir da überhaupt für
eine Recyclingquote hinkriegen wollen. Sie haben
eben so schön gesagt: die Höfe sind voll. Die werden möglicherweise noch voller.“
Ingo Schulz (Fachverband Hoch- und Massivbau) beklagt die aus der föderalen
Struktur Deutschlands resultierende Uneinheitlichkeit im Baustoffrecht und fordert
von der Politik eine Harmonisierung, wobei er auf eine einvernehmliche Lösung mit
der Bauwirtschaft hofft. Was den Einsatz von Recyclingmaterial im Hochbau angeht,
sieht er verschiedene Hemmnisse. Zum einen den Kostenfaktor:
„Wir hatten das Thema Recyclingbeton vor ungefähr einem Vierteljahr bei einem
Workshop in Potsdam. Da gab’s unterschiedliche Meinungen zu den Kosten. Der
eine hat gesagt: ich packe das, weil er natürlich auch irgendeine Quersubventionierung mit drin hatte, der andere hat gesagt: ist mir viel zu teuer, ich nehme Primärbaustoffe. Da gibt es erstmal Diskrepanzen hinsichtlich der wirtschaftlichen Bewertung.“
Auch die Schadstoffbelastung sowie die Heterogenität von Sekundärbaustoffen ist
in seinen Augen ein gewisses Problem:
„Recycling-Baustoffe sind mehr oder minder mit Schadstoffen belastet, und da sind
verschiedene Materialien drin. Durch die Heterogenität des Bauschutts sind ver-
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schiedene andere Faktoren in der Betonrezeptur zu beachten, Stichwort Anmachwassergehalt zum Beispiel, wo der Hersteller erst einmal überzeugt werden muss.
Das setzt natürlich auch einen Umstellungswillen voraus.“
Überdies äußert Ingo Schulz Bedenken, was die universelle Einsetzbarkeit von Recyclingbeton angeht:
„Die Frage ist natürlich noch: wie weit kann ein Recyclat die von ihm geforderten
Eigenschaften im Hochbau, sprich: Betonfestigkeitsklassen, einhalten? Es gibt da
Grenzen, die sind auch definiert. Sie können Recyclat nicht bis in die höchste Betonfestigkeitsklasse einsetzen, das gibt das Material einfach nicht her.“
Diese Gesichtspunkte seien bei der Entscheidungsfindung über die Rahmenbedingungen für den Einsatz von Reyclingmaterial im Hochbau zu berücksichtigen. Und
schließlich sei eine weitere unabdingbare Voraussetzung die Akzeptanz dieser Materialien durch den Verbraucher:
„Wenn wir uns aber in der Öffentlichkeit von dem Gedanken leiten lassen, diese
Materialien seien für alle Ewigkeit Abfall, haben wir es natürlich auch schwer, in
den Markt hineinzukommen. Dann sagt der Verbraucher, er will es nicht. Sie von
Bündnis 90/Die Grünen haben es in der Hand, in welche Richtung es gehen soll.
Wollen wir wirklich in der Bauwirtschaft gelebte Kreislaufwirtschaft, dann haben
wir natürlich auch die Erwartung, dass Sie uns das vorgeben.“
Michael Prytula (Uni Kassel) hebt abschließend zwei Fragen als besonders wichtig
hervor: Wie geht man mit dem Bestand um, und wie konstruiert man Neubauten so,
dass sie möglichst multifunktional sind?
„Im Grunde ist die Bestandsaufwertung eine der Maßnahmen, die man ergreifen
kann, um städtische Strukturen attraktiver zu machen. Gerade angesichts der steigenden Energiekosten wird man schon gucken über die Betriebskosten, wo man
wohnen will, wo man es sich leisten kann. Und die Frage der Investition in Sanierung ist zugleich auch eine Investition in nachhaltige Stoffströme. In die Zukunft
gerichtet stellt sich natürlich die Frage ‚Beton oder Holz’, da gibt’s ja auch Ökobilanzen. Auch dort ist die Bauenergie im Verhältnis der Betriebsenergie untergeordnet.
Das spielt weniger eine Rolle als eine vernünftige Festsetzung der Energiestandards, die sie verbrauchen. Und dann stellt sich natürlich auch die Frage: wie konstruiere ich neue Gebäude hinsichtlich ihrer Funktion? Wie schaffe ich Gebäude,
die langlebig sind im Sinne einer Nutzungsvielfalt? Lofts und Etagen zum Beispiel,
wie man sie aus der Gründerzeit kennt, haben eine städtische Körnigkeit, die eine
Vielfachnutzung zulassen. Dagegen kennen wir Nachkriegsgebäude mit optimierten
Geschosshöhen, Plattenbauten, die für eine multifunktionale Nachnutzung weniger
geeignet sind. Insofern sollte man beim Bauen auch darauf achten, dass man vielfältige, robuste Strukturen ermöglicht, statt sich an kurzfristigen ökonomischen Zyklen zu orientieren. Wenn man beispielsweise sieht, wie in Berlin nach der Wende
der Markt überschwemmt wurde mit Büroflächen, die im Grunde nicht für Wohnnutzung anpassbar sind, dann ist die Politik hier gefordert, zu nachhaltigeren, vielleicht auch etwas langsameren Prozessen zu kommen.
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Forum 3: Es geht auch ohne – Weg vom Erdöl als Schlüssel einer nachhaltigeren Wirschaft
Nachwachsende Rohstoffe in der Industriegesellschaft
Einführungsvortrag
Nachwachsende Rohstoffe eff izient nutzen – am Beispiel
Biokunststoffe
Vortrag Dr. Harald Kaeb, Vorstandsvorsitzender von European Bioplastics
Dr. Harald Kaeb, Vorstandsvorsitzender von European Bioplastics, führt in seinem
Vortrag in die Geschichte und Anwendungsbereiche von Biokunststoffen ein und
entwirft Perspektiven für deren Weiterentwicklung am Markt.
Zu Anfang erläutert Harald Kaeb kurz die Geschichte der Biokunststoffe und der
Biokunststoff-Industrie: Seit etwa 20 Jahren werde in diesem Bereich geforscht und
Produkte würden entwickelt, den Verband gebe es seit 1993:
„Wir haben in den letzten Jahren dann einen sehr schnellen Aufstieg erlebt, nicht
zuletzt, weil durch die Erdölpreisentwicklung die öffentliche Diskussion eine ganz
andere geworden ist. Heute befassen sich vielmehr Firmen mit diesem Thema. Wir
arbeiten auch sehr stark in Brüssel und versuchen also, die Markteinführung von
Biokunststoffen zu fördern.“
Die Idee, die dahinter steckt, ist laut Kaeb eine naturnahe Kreislaufwirtschaft, wie
sie in folgendem Schaubild dargestellt wird:
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Leitlinie: Naturnahe Kreislaufwirtschaft
Mehrfachnutzung
& Recycling
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Nachwachsende Rohstoffe zur Kunststofferzeugung.
Kunststofferzeugung.
Kompostieren – eine neue Verwertungsoption.
Verwertungsoption.
CO2 Recycling – für den Klimaschutz.
Klimaschutz.
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Der grüne Ressourcenkongress
3
„Natürlich sind hier am Schluss auch energetische Prozesse involviert. Das heißt, es
wird Energie verbraucht. Der Vorteil ist aber, dass bei nachwachsenden Rohstoffen
zunächst mal der Kohlenstoff, der daraus resultiert, im Material gebunden wird, und
das ist eine innovative, zukunftsträchtige Technologie. Wir haben neben den Recyclingmöglichkeiten dann auch die Kompostierung als zusätzliche Option. Das Ganze
ist eben darauf angelegt, möglichst wenig Energie zu verbrauchen und den Kohlenstoff im Kreislauf zu binden.“
European Bioplastics, so Kaeb, vertrete fast alle Hersteller von Biokunststoffen
weltweit, auch viele Kunststoffverarbeiter. Seit kurzem engagierten sich außerdem
Lebensmittelfirmen im Verband, vor allem, weil sie sich für Verpackungen aus
nachwachsenden Rohstoffen interessierten.
Zu definieren, was Biokunststoffe eigentlich sind, sei jedoch gar nicht so einfach.
Was sind Biokunststoffe?
Definition des Verbandes:
- Zertifiziert kompostierbare Polymere nach EN 13432
- Polymere basierend auf nachwachsenden Rohstoffe
Die meisten Biokunststoffe basieren auf Agrarrohstoffen:
Zucker, Stärke, Pflanzenöle, Zellulose, Lebenmittelreststoffe
Viele verschiedene Materialien mit unterschiedlichen Eigenschaften
und für unterschiedliche Anwendungen. Viele sind kompostierbar.
Synthetische - bioabbaubare! - Anteile in den Endprodukten
sind aus technischen Gründen oft notwendig, (!) z.B. Additive, Farben, Kleber ...
18.04.2008
Seite 40
Der grüne Ressourcenkongress
7
„Wir haben viele Diskussionen gehabt in der Vergangenheit. Wir
kommen eigentlich von denen, die
biologisch abbaubar sind, aber seit
kurzem gibt es auch solche, die nicht
abbaubar sind und hohe Anteile
nachwachsender Rohstoffe enthalten. Fast alle Biokunststoffe basieren
auf Agrarrohstoffen, das sind in erster Linie die typischen Agrarpflanzen
wie Stärke, Zucker, Pflanzenöle, Sie
können auch Holz nutzen, und es gibt
auch Firmen, die aus gebrauchten
Fritierölen oder aus gebrauchten
Kartoffelschalen Biokunststoffe herstellen. Das zeigt, das Potenzial ist
weit gestreut.
Der grüne Ressourcenkongress - Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion - 04/2008
Wichtig für Sie auch zu wissen: Es gibt nicht DEN Biokunststoff, es gibt drei, vier
Materialien, Polymilchsäure, Polyester und Stärkewerkstoffe, der Großteil, der heute
am Markt ist, ist kompostierbar. Wir können da auch nicht die reine Lehre verbreiten, das macht in Zukunft wahrscheinlich auch wenig Sinn, weil Kunststoffe Gebilde sind, die hohe Anforderungen erfüllen müssen, und dazu sind oft auch synthetische Anteile nötig. 100 Prozent „bio“ und „öko“ geht in einem solchen High-TechBereich nicht, der Versuch ist eben, möglichst effizient mit den Ressourcen umzugehen und auch CO2 zu sparen. Das Ziel teilt eigentlich die gesamte Industrie in ihrem Bereich.“
Entscheidendes Kriterium derzeit sei insofern die Kompostierbarkeit, über die auch
ein Zertifikat vergeben wird.
„Diese Nachweis orientiert sich aber an den Anforderungen der industriellen Kompostierung, d.h. nicht unbedingt, dass Sie das zu Hause machen könne, aber in der
industriellen Kompostierung verschwinden diese Produkte dann in kürzester Zeit
und werden verstoffwechselt, werden verfuttert von Mikroben zu CO2 und Wasser.“
Künftig werde man jedoch mit einer C14-Methode bestimmen können, ob in einem
Biokunststoff auch fossiler Kohlenstoff enthalten sei. Harald Kaeb betont, Triebkraft
der Marktentwicklung bei Biokunststoffen sei anfangs nicht die Ökologie gewesen,
sondern technische Eigenschaften. Noch sind die Produktionskapazitäten weltweit
begrenzt und deswegen seien die Preise für Bio-Kunststoffe derzeit noch sehr hoch:
Während eine Tonne herkömmlicher, erdölbasierter Kunststoffe
etwa 1500 Euro koste, müsse man
Bioabbaubare Kunststoffe - Produktionskapazität
für eine Tonne Biokunststoff zwi 2007
schen 2500 und 4000 Euro bezahlen, teilweise sogar noch mehr.
- Weltweit ca. 300,000 t (konventionelles Plastik: 240 Mt)
Allerdings, so Kaeb, engagierten
- Europa: 150,000 t (BASF, BIOP, Biotec, Innovia, Novamont, u.a.)
sich führende Unternehmen wie
- Deutschland: 35,000 t
etwa BASF zunehmend im die- vorwiegend kleine / erste Anlagen (1,000-20,000 t)
sem Bereich, und es ist geplant,
die Produktionskapazitäten welt- Fehlen einer "Economy of scale" (vgl. 300,000 t PE Anlagenkapaz.)
weit in den nächsten Jahren drastisch zu erhöhen:
„Es ist etwas passiert im letzten
Jahr, was für uns auch sehr überraschend war. Es sind eigentlich
alles spezielle Polymere,
die am Markt waren, die sind kompostierbar, biologisch abbaubar, und letztes Jahr
hat Dow und Braskem, das ist ne große brasilianische Firma, angekündigt, den
Massenkunststoff schlechthin, Polyethylen auf Bioethanol umzustellen. Nicht nur
Polyethylen könnte man aus Bioethanol herstellen, auch Polypropylen können Sie
daraus machen, PVC können Sie daraus machen, und das ist bereits angekündigt
worden. Das wird ab 2009 oder 2010 dann in größerem Maßstab, zunächst aber in
Südamerika erfolgen.“
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Der grüne Ressourcenkongress
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Den derzeitigen Verbrauch von Biokunststoffen in Europa schätzt Harald Kaeb auf
70.000-75.000 Tonnen jährlich. Gegenüber den etwa 50 Mio. Tonnen, die an herkömmlichen Kunststoffen verbraucht werden, sei das natürlich noch sehr wenig, aber man
stehe ja erst am Anfang der Entwicklung. Vor allem im Bereich Verpackung und
Der grüne Ressourcenkongress - Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion - 04/2008
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Tragetaschen sieht Kaeb die Chance für Bio-Kunststoffe, einen größeren Marktanteil zu erobern:
„Es gibt einen Trend in der Entwicklung, er hat begonnen in den englischen Supermärkten, ökologisch erzeugtes Obst und Gemüse auch in Bioverpackungen zu verpacken. In Deutschland hat Birkel zum Beispiel angefangen, solche Nudeln herauszubringen. Das macht man nicht nur, weil es Öko und Bio ist, sondern auch weil die
darin verpackten Produkte darin zum Teil länger frisch bleiben, es hat also Vorteile
auch wie längere Haltbarkeit. Die Tragetasche ist für uns ein Schlüsselprodukt, das
ist ein riesiges Produkt in Europa, weit über eine Million t Beutel werden da verbraucht und könnte ein Schrittmacher sein für die gesamte Biokunststoffentwicklung.“
Generell sieht Kaeb ein weites Anwendungsspektrum für Biokunststoffe:
BioBio-basierte aber NICHT abbaubare Anwendungen
Bio-basierte Kunststoffe aus
nachwachsenden Rohstoffen wie „Bio-PE“,
Polyamide oder Polyestergemische
Haupsächlich für „dauerhafte“
Anwendungen wie etwa
- Automotive
- Elektronik
- Textilien
NaRo-Anwendung (CO2-Einsparung) und
technische Eigenschaften stehen im
Vordergrund
18.04.2008
Der grüne Ressourcenkongress
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„In der Landwirtschaft macht
vieles Sinn, weil Sie da die
Mulchfolie einfach unterpflügen können, da sparen Sie die
Entsorgungskosten und sparen
die manuellen Kosten. Es gibt
heute auch erste Produkte, speziell in Japan, da gehen sie in
biobasierte, aber nicht abbaubare Produkte. Nokia hat ein
Telefon herausgebracht, Fujitsu
hat ein Computergehäuseherausgebracht, in der Automobilindustrie könnte man es brauchen, man könnte DVDs herstellen. Es ist ein unheimlich weites Spektrum.“
Hilfe bei der Markteinführung von Bio-Kunststoffen erhofft sich Kaeb von der Politik:
„Wir meinen, dass man die Biokunststoffe durch Anreize fördern soll. Es könnten
auch Steuergesetze sein. Vor kurzem wurde von Sarkozy und Brown auf EU-Ebene
eine reduzierte Mehrwertsteuer für ökologische Produkte vorgeschlagen. Oder wir
können über Investitionshilfen gehen, damit solche Anlagen finanziert werden können, denn die sind zunächst mal sehr teuer, und die Banken sind momentan nicht so
sehr bereit, ein Risiko einzugehen. Bei der EU gibt es eine Lead Market Initiative,
d.h. wir suchen Schlüsselmärkte heraus, die wir dann besonders stark fördern, damit sie schnell vorankommen. Wichtig finden wir auch öffentlich unterstützte Informationskampagnen, damit die Menschen wissen, was für Produkte da sind. Und ich
denke, man muss die Kaskadennutzung voranbringen: Bitte nicht mehr Bioenergie
so fördern und die Biokraftstoffe so und die stoffliche Nutzung überhaupt nicht, sondern alles zusammenbringen, damit intelligente Konzepte rauskommen. Ich glaube,
die Grünen haben da schon weit vorgedacht und sind jetzt auch wieder frisch am
Wind bei diesen Dingen, und ich wünsche Ihnen da viel Erfolg und gute Diskussionen auch mit anderen Parteien, damit solche Konzepte durchsetzbar werden.“
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Der grüne Ressourcenkongress - Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion - 04/2008
Diskussion
Zu Beginn greift Moderator Hans-Josef Fell, energiepolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, die aktuelle Ölpreisentwicklung und ihre
Implikationen für die Frage des Einsatzes nachwachsender Rohstoffe auf:
„Noch im Jahre 2002 wurden diejenigen verlacht, die gesagt haben, der Ölpreis wird
aber bald bei 50 Dollar liegen. Im Jahre 2004 wurden die belacht, die gesagt haben,
der Ölpreis wird aber bald bei 100 Dollar liegen. Heute ist er bei 115 Dollar, und viele, die da immer sagten: nein, nein, es wird kein Rohstoffproblem geben, fangen
doch an ein bisschen nachzudenken, ob diejenigen, die schon immer darauf hingewiesen haben, das Rohstoffproblem ist schärfer, als wir geglaubt haben, doch recht
gehabt haben. Insofern haben wir viele neue Aspekte zu betrachten, und da ist die
Frage, ob nachwachsende Rohstoffe im Energie- und im Chemiebereich eine Lösung
sein können, zumindest eine Teillösung für Kunststofffragen, und da kommen natürlich gleich die aktuellen großen Diskussionen, die auch über die Medien gehen: ach,
ihr wollte nachwachsende Rohstoffe für die Energie nutzen, und nun auch noch für
die Chemie? Ja, da wird das Welthungerproblem noch mehr angeheizt. Ich sage, das
muss nicht sein. Das lässt sich vermeiden, beispielsweise indem man nachwachsende Rohstoffe zuerst hochwertig chemisch nutzt und erst nach der Nutzungsdauer
in die Energetische Verwendung gibt. Also die Plastiktüte aus Biokunststoff, wenn
sie kaputt ist, in die Biogasanlage gibt. Das schafft Flächen.
Wir hatten vor kurzem in der Grünen-Fraktion die Idee geboren, nachdem das erneuerbare Energien-Gesetz zunehmend überlastet ist, ob nicht ein Gesetz wie beispielsweise ein Abfallenergiegesetz eine Chance wäre?“
Dr. Jörg Rothermel vom Verband der chemischen Industrie betont die Anstrengungen, die seine Branche hinsichtlich effizienter Ressourcennutzung in den letzten
Jahrzehnten gemacht habe:
„Die Abfallströme, die vor Jahrzehnten noch da waren, sind durch die Verbundstruktur, durch das Erzeugen von Kuppelprodukten, das Nutzen der fossilen Rohstoffe bis
zum Schluss so weit minimiert worden, dass wir heute zu Recht sagen können: wir
sind sicherlich, was die Rohstoffnutzung betrifft, die effizienteste oder eine der effizientesten Industrien, die es überhaupt gibt. Angetrieben ist das Ganze sicher nicht
durch irgendwelche politischen Vorgaben, sondern durch den massiven internationalen Wettbewerb, in dem wir stehen. Der Kostendruck, der durch den internationalen Wettbewerb auf unsere Industrie gekommen ist, hat sich in den letzten Jahren
sogar noch verstärkt dadurch, dass andere Regionen dieser Welt mit teilweise günstigeren Rohstoffeinschnitt, mit sehr viel günstigeren Produktionskosten uns das Leben schwer gemacht haben.“
Eine Ressourcenabgabe, wie sie von den Grünen favorisiert wird, lehnt Rothermel
jedoch ab:
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass das noch mehr bringen könnte oder beflügeln
könnte als das, was wir heute durch den enorm gestiegenen Erdölpreis schon haben. Der Erdölpreis hat sich in den letzten Jahren verzehnfacht, er hat einen enormen Anreiz gebracht, über Alternativen nachzudenken.“
Darüber hinaus befürchtet er Wettbewerbsnachteile für die deutsche Chemieindustrie gegenüber ausländischen Konkurrenten. Schließlich gingen 76% der Produkte
der deutschen Chemieindustrie in den Export. Aber natürlich prüfe man die Möglichkeiten, nachwachsende Rohstoffe einzusetzen, das globale Rohstoffproblem
werde man dadurch aber wohl kaum lösen, da die stoffliche Nutzung ohnehin nur
Der grüne Ressourcenkongress - Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion - 04/2008
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10% des Erdölverbrauchs ausmache, während 90% in die energetische Nutzung gingen:
„Die chemische Industrie hat keine Berührungsängste, was den Einsatz nachwachsender Rohstoffe angeht. Bei allen statistischen Unsicherheiten haben wir heute
einen Anteil von 10% nachwachsender Rohstoffe in der chemischen Industrie, das
bedeutet für die deutsche chemische Industrie rund 2 Mio. t verschiedenster Art,
insbesondere Fette und Öle, weil die nahe an den bisherigen fossilen Rohstoffen
dran sind, aber auch Zellulose, Stärke, Zucker. Die Tendenz ist steigend, vor allem
aufgrund des verstärkten Einsatzes von biogenen Bausteinen in den biotechnologischen Prozessen, die immer stärker auch in unseren Bereich kommen und wo dann
klassische chemische Verfahren durch biotechnologische ersetzt werden. Die Forschung, die wir in diesem Bereich betreiben, wird dazu führen, dass der Anteil in
den nächsten Jahren noch steigen wird. Wachstumsraten wie im Energiebereich
werden wir sicher in der Chemie nicht beobachten, einfach weil die Prozessentwicklung komplexer ist. Es ist nicht so, dass wir einfach von heute auf morgen auf einen
neuen Rohstoff umsteigen können, das ist eine intensive, umfangreiche Prozessentwicklung.“
Dr. Hartmut Hoffmann, Sprecher des Arbeitskreises Abfall des BUND, wundert sich,
dass in Diskussionen über nachwachsende Rohstoffe die Energie, die zur Herstellung des Produkts notwendig ist, so wenig einbezogen werde. Dabei mache diese
Produktionsenergie bei vielen Kunststoffen ungefähr die Hälfte der Gesamtenergie
des Produktes aus.
„Und diese Produktionsenergie ist weg, wenn das Produkt hinterher kompostiert
wird, die ist genauso weg, wenn das Produkt hinterher verbrannt wird. Stichwort
Biokunststoffe: Kompostierung ist da gar nicht der Königsweg. Wir haben keinen
Bedarf an zusätzlichem Kompost. Genauso bei der thermischen Verwertung. Wenn
wir wirklich die Energieprobleme lösen wollen, dann müssen wir hier auch einen
Paradigmenwechsel einfordern, der weggeht von der Linie, letztlich auch wieder
Wiege zur Bahre ist und nicht Wiege zur Wiege. Man muss wegkommen davon: wir
nehmen ein Produkt, dann wird es einmal recycelt und dann können wir es ja
verbrennen. Nicht dass man nicht etwas, das zu nichts mehr zu gebrauchen ist, auf
keinen Fall verbrennen sollte, aber es ist ein Irrweg, von vornherein einen Zyklus zu
konzipieren, der zwangsläufig mit der Verbrennung endet. Vor diesem Irrweg müssen wir wirklich warnen.“
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Der grüne Ressourcenkongress - Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion - 04/2008
Entscheidend ist Hoffmanns
Auffassung zufolge weniger
das Ausgangsmaterial als die
Langlebigkeit des Produkts:
„Bei einem langlebigen Produkt habe ich auch nichts gegen chemische Produkte – Polyethylen ist für mich ein sehr
guter Rohstoff, weil er lange
haltbar ist. Manches, was hier
vorgestellt wurde, sehe ich
überhaupt nicht euphorisch,
also eine Kunststofftüte aus
Bioplastik, das ist in meinen
Augen nicht der Weg. Ich bevorzuge immer noch die Stofftüte, die hält 10, 15 Jahre. Hier
muss ein Umdenken stattfinden, sonst werden wir das
Klimaproblem nicht lösen
können. Auch mit langlebigen
Produkte kann man Arbeitsplätze schaffen oder erhalten.
Wer zählt denn die vielen zigtausend Arbeitsplätze, die in Deutschland von Mehrwegsystemen abhängen: Einzelhandel, Getränkefachhandel, auch im Zwischenhandel, die dann ziemlich ersatzlos wegfallen würden, wenn wir in Deutschland
keine Mehrwegsysteme mehr hätten.“
Dem Einsatz von Biokunststoffen steht Hoffmann insofern durchaus kritisch gegenüber:
„Auch nachwachsende Rohstoffe sind nicht beliebig vermehrbar. Sicher, der derzeitige Preis für Mais und Soja ist spekulativ überhöht, aber er weist darauf hin, dass
auch nachwachsende Rohstoffe nicht in beliebiger Menge erzeugt werden können
und dass da auch eine Konkurrenz zum Nahrungsmittelsektor besteht. Diesen Gedanken sollten wir auf jeden Fall aufnehmen und sagen: Wenn wir solche AgroKunststoffe herstellen, dann möglichst nur aus Abfallmaterial. Macht nicht denselben Quatsch, den wir 50 Jahre lang gemacht haben, nur jetzt mit Bio, so geht’s
nicht.“
Dr.-Ing. Stephan Kabasci (Fraunhofer-Institut UMSICHT) sieht noch großen Forschungsbedarf, um überhaupt festzustellen, welche Varianten der Verwendung Einsatzes nachwachsender Rohstoffe ökologisch am günstigsten sind und kritisiert vorschnelle Entscheidungen aus der Politik:
„Wir müssen zunächst auch noch die wissenschaftliche Freiheit haben, verschiedene Optionen zu prüfen. Einseitige Vorgaben der Politik, wie z.B. bei den Biokraftstoffen, helfen hier nicht weiter, die schneiden an anderer Stelle vielleicht Entwicklungen ab, wenn eben nachwachsende Rohstoffe, die wir für die Nahrungsmittelerzeugung, Futtermittelerzeugung immer noch brauchen, in die Biotreibstoffe gehen.“
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Den Vorschlag, Biokunststoffe nur aus Abfallstoffen herzustellen, sieht Kabasci kritisch, da sie qualitativ im Allgemeinen nicht mit Biokunststoffen aus Primärrohstoffen mithalten könnten. Generell attestiert er Biokunststoffen jedoch im Vergleich zu
Biokraftstoffen eine günstigere Ökobilanz. Er bedauert, dass der Bereich nachwachsende Rohstoffe von der EU-Forschungspolitik weitgehend vernachlässigt werde
und Forschungsgelder meist in Informations- und Kommunikationstechnologien
gesteckt würden. Immerhin stünde in Aussicht, dass nachwachsende Rohstoffe von
der EU ab 2012 zum „lead market“ erklärt würden.
Auch hinsichtlich der geplanten Ressourcenabgabe äußert sich Kabasci kritisch:
„Prinzipiell kann das ein richtiger Weg sein, aber es scheint mir, dass es zu stark
durchreguliert ist mit eigener nationaler Agentur und Berechnung der Abfallströme.
Ich denke, dass hier übers Ziel hinausgeschossen wird. Vielleicht gibt es einfachere
Ansätze, den Rohstoffverbrauch zu besteuern, mit Abgaben zu belegen oder wie
auch immer, wobei wir dafür dann an anderer Stelle natürlich die Belastung wegnehmen müssen. Das kann sinnvoll, aber es darf nicht ein System sein, was Tausende von Leuten damit beschäftigt, durchzurechnen, wie, wo und wann welche
Mengen eines Produktes im Abfall landen.“
Auch Hans-Josef Fell, energiepolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen betont noch einmal die Defizite der Forschungsförderung im Bereich Anbau von Biomasse/Biokunststoffe:
„Ich selber habe da auch leidvolle Erfahrungen gemacht, gerade was das 7. Forschungsrahmenprogramm betrifft, und wenn, dann wird in Agrogentechnik investiert. Weniger in Möglichkeiten, beispielsweise die Anbaumethoden in den Blick zu
nehmen. Gerade ökologische Anbaumethoden eröffnen neue Chancen, dass man
landwirtschaftliche Flächen auch wieder erweitern kann, indem man erodierten
Böden über ökologische Anbaumethoden wieder Humus zuführt. Da findet meines
Erachtens aber kaum etwas statt in der Forschung, weil die Mittel begrenzt sind.“
Aus dem Publikum äußert sich ein Teilnehmer skeptisch zum massiven Einsatz von
Biomasse im stofflichen und energetischen Bereich. Er verweist auf das Problem,
dass die für den Anbau dieser Biomasse erforderlichen Flächen z.B. in Brasilien
durch Rodung des Regenwalds entstünden. Zur Bewässerung würden teilweise
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Der grüne Ressourcenkongress - Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion - 04/2008
Flüsse umgeleitet, was einen massiven ökologischen und sozialen Eingriff bedeute.
Außerdem zitiert er den Leiter des UN-Ernährungsprogramms, der sich in einem
Fernsehinterview so geäußert habe: lasst die Finger von nachwachsenden Rohstoffen. Wir brauchen das Land, um Nahrungsmittel anzubauen.
Sylvia Kotting-Uhl, umweltpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, äußert:
„Ich bin der Ansicht, dass man den Flächendruck in den Griff kriegt, mit Nutzung der
Reststoffe, mit Bioraffinerien, mit Kaskaden.
Man muss diese ganzen intelligenten Wege
gehen und darf nicht immer beim ersten
Problem gleich sagen, jetzt geht überhaupt
nichts mehr, wir schließen diesen ganzen
Pfad ab, das war ein Fehlgriff. Was ein Fehlgriff ist, das wissen wir heute, das ist die
Kohle, das ist die schädlichste Form der Energienutzung für unser Klima, da müssen
wir raus. Machen wir uns nichts vor: natürlich schädigt jede Produktion, schädigt alles,
was wir tun. Aber eben nicht im gleichen
Maß, und wir müssen die anderen Produktionsformen, die weniger schädlich sind, voranbringen.“
Kotting-Uhl bedauert, dass offenbar Teile der chemischen Industrie angesichts der
Ölpreisentwicklung einen Umstieg auf Kohleverflüssigung planten. Vom Vertreter
der chemischen Industrie möchte sie wissen: Wie kann man die chemische Industrie
dazu bringen, nicht auf den fossilen Rohstoff Kohle umzusteigen, sondern auf nachwachsende Rohstoffe?
Dr. Jörg Rothermel vom Verband der chemischen Industrie:
„Wir halten uns erstmal alle Optionen offen, was die Technologie angeht. Da hat
sich ein wichtiges Unternehmen, BASF, in der Tat auch mal vor einem Jahr „geoutet“, einfach weil es inzwischen alle großen Wettbewerber auch tun und es in China
schon im großen Maßstab durchgeführt wird. Wenn sie die Presse verfolgt haben
der letzten Wochen, dann werden Sie auch gelesen haben, dass die BASF verkündet
hat, dass sie das erstmal wieder eingestellt hat, einfach weil die gesetzliche Rahmenlage es gar nicht zulässt. Ich könnte mir jetzt die Aussage auch sehr einfach
machen und sagen: was ist notwendig? Es ist notwendig, dass die Nutzung von
nachwachsenden Rohstoffen wettbewerbsfähiger ist als die von Kohle. Ich will das
nicht so einfach machen. Wir müssen in alle Richtungen schauen, wir machen auch
massive Entwicklungen im Bereich nachwachsender Rohstoffe und es werden
nachher die wirtschaftlich tragfähigen Technologien sich durchsetzen. Ich meine,
und da stehe ich vielleicht im Gegensatz zu Ihnen, dass wir es auf absehbare Zeit
nicht schaffen werden, die gesamte Rohstoffbasis der Chemie auf nachwachsende
Rohstoffe umzustellen. Deswegen müssen wir uns auch nach Alternativen umschauen, die dann so nachhaltig wie möglich genutzt werden. Ich hab kein Patentrezept, wie wir das schaffen, aber die letzte Möglichkeit, wie wir das schaffen, ist,
wenn der Staat es verordnet. Das ist eine Entwicklung, die sich am Markt erschließen muss, damit sie überhaupt tragfähig ist.“
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Ein Teilnehmer der Veranstaltung vermisst bei der Diskussion den Aspekt der
Nachhaltigkeit:
„Denken Sie doch mal drüber nach, was der Begriff Suffizienz bedeutet. Was heißt
es, Industriegesellschaft so zu organisieren, dass wir insgesamt weniger verbrauchen. Dass wir ein lebenswertes Leben führen und trotzdem Platz für 6-7 Mrd. Menschen auf der Erde haben?“
Dr. Jörg Rothermel wendet ein, es nicht die Aufgabe der chemischen Industrie, die
gesamte Industriegesellschaft umzubauen:
„Wir können einen Beitrag leisten, in dem wir versuchen, unsere Produkte so nachhaltig wie möglich herzustellen. Da kann ich Ihnen nur versichern, das haben wir
als chemische Industrie getan, so massiv wie keine andere Industrie. Wir haben
unseren Energieeinsatz in den letzten Jahrzehnten fast halbiert bei einer Verdreifachung unserer Produktion. Ich will gar nicht sagen, dass das jetzt das hehre Ziel des
Umweltschutzes war. Das ist einfach wirtschaftlich gegeben. Wir müssen das tun,
um international wettbewerbsfähig zu bleiben. Das gleiche gilt für die Ressourceneffizienz. Auch da haben wir das bis zum Äußersten ausgereizt. Wir könnten natürlich sagen: wir stellen die gesamte Produktion hier ein, aber ist uns damit gedient,
dass wir diese Produktion nach China oder sonst wohin tragen?“
Dr. Hartmut Hoffmann vom BUND fordert ein Umdenken bei der Berechnung:
„Es wird immer nur geguckt, was wird in einem Land emittiert? Das ist die falsche
Optik. Wir brauchen eine Verbrauchsbilanz. So ist es einfach verrückt: Zum Beispiel
hat Luxemburg praktisch alle Kohlekraftwerke stillgelegt, aber in der Statistik hat
Luxemburg dadurch ungefähr 0% CO2 eingespart. Warum? In Luxemburg ist das
Benzin so billig, dass viele Leute da tanken, und das geht in die CO2-Bilanz ein, obwohl das Zeug ganz woanders verfahren wird. Wir müssen die Erzeugerbilanz auf
die Verbraucherbilanz umstellen. Wir müssen auch die CO2-Rucksäcke, die wir importieren und die wir exportieren, mal gegeneinander rechnen. Das wird auch interessant sein, wo wir da landen.“
Stefan Kabasci widerspricht der Kritik aus dem Publikum, ökologische Probleme,
die beim Einsatz nachwachsender Rohstoffe für stoffliche oder energetische Zwecke
entstehen, würden von der Wissenschaft ignoriert:
„Die ganzheitliche Betrachtung von Prozessen hat mittlerweile auch Eingang gefunden in die Wissenschaft. Die Baumwolltasche schneidet da übrigens leider
schlecht ab. Wenn Sie sie 15 Jahre lang nutzen, ja, aber wenn Sie sie nur 1 Jahr nutzen, ist es katastrophal. Das ist auch die Crux bei diesen Bilanzen: wie werden da
die Rahmenbedingungen gesetzt? Wie setze ich Nutzungsdauer an? Wie setze ich
Recyclingquoten an? Hier ist viel noch zu tun. Aber das ist auf dem Weg. Auch im
Bereich Fläche passiert was. Man ist sich mittlerweile der Kreisläufe und globalen
Zusammenhänge bewusst, dass wenn wir hier mehr Biomasse für Kunststoffe verwenden, fördern wir damit Rodung von Urwäldern in Brasilien? Das ist mittlerweile
verstanden.“
Hartmut Hoffmann (BUND) räumt ein, dass die Ökobilanz von Stoffbeuteln nur bei
dauerhafter Verwendung positiv sei. Im Übrigen sei Langlebigkeit auch keine Frage
des Materials:
„Ich hab auch Kunststofftüten, die ich jahrelang benutze. Die schmeiße ich ja nicht
gleich weg. Wir müssen immer auf die Nutzungsdauer achten und auch dafür werben. Die Werbung ist praktisch das zweite Klassenzimmer geworden und beeinflusst die Lebensstile der Menschen viel stärker. Hier müssen wir auch ein Umden-
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ken mit initiieren, die Politiker allein sind da überfordert. Wir müssen von diesem
Wegwerfzeug weg. Ansonsten können wir vielleicht die Klimakatastrophe vielleicht
noch ein paar Jahre hinauszögern, aber verhindern werden wir sie dann nicht.“
Aus dem Publikum weist Dr. Benjamin Bongardt, Umweltreferent beim NABU auf die
Problematik des Einsatzes gentechnisch veränderter Rohstoffe wie z.B. genmanipuliertem Mais aus den USA, bei der Herstellung von Biokunststoffen hin. Er regt an,
eine Kennzeichnungspflicht für Herkunft und Art der Rohstoffe einzuführen.
Hartmut Kaeb begrüßt grundsätzlich die Herangehensweise der Grünen, das Abfallproblem als Ressourcenproblem anzugehen:
„Wenn wir das abfallseitig angehen, verstricken wir uns in endlose Diskussionen
um Abfälle, wie wir sie am besten nutzen, und das ist extrem kompliziert, Das erlebe
ich bei den Biokunststoffen, wenn ich nach Europa schaue. Ich denke schon auch
eher, dass man sich die Ressourceneffizienz genauer anschauen muss. Und dann
müssen Kriterien gefunden werden, wie man die bewerten kann, Technologien, die
grundsätzlich neue Gedanken voranbringen, und dazu zähle ich die Biokunststoffe,
die müssen auch unterstützt werden. Es ist eine komplizierte Frage, ob ein Ressourcenabgabenkonzept da das Richtige ist, das vermag ich im Moment wirklich nicht
zu beurteilen. Aber diese endlosen Mülldiskussionen, die bin ich leid, ich wünsche
mir eigentlich CO2-Diskussionen und Ressourcenpreisdiskussionen.“
Hans-Josef Fell äußert sich abschließend noch einmal zu der Kritik von Umweltgruppen am Einsatz nachwachsender Rohstoffe in der Chemie oder im Energiesektor:
„Die Diskussion hat sich zugespitzt auf die Frage, ob man mit den klassischen Forderungen aus dem Umweltbereich die Probleme in den Griff bekommt oder ob man
einen Wechsel im Rohstoffbereich braucht. Ich bin persönlich ein großer Freund von
Suffizienz, von Langlebigkeit, von Effizienz, ich halte das für unverzichtbar, aber ich
sage: das reicht nicht aus. Wie Herr Kaeb sagt: auch. Weniger jedes noch so langlebige Produkt wandert in den Müll und dann landet dieser Kohlenstoff in der Atmosphäre. Weniger schnell, weniger heftig, aber doch. Da muss man sich fragen, gibt
es prinzipiell eine andere Lösung. Ich glaube, Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen bieten uns eine Lösung, sie können aber auch mit Fehlentwicklungen behaftet sein. Im fossilen Bereich können wir die Fehlentwicklungen nicht mehr steuern.
Wer beispielsweise den Bergbau in den Blick nimmt und weiß, was es dort für Energieaufwendungen gibt, weil es eben zu Ende geht mit den Vorräten, geht man jetzt
in Ölschiefer und Ölsand – verheerend! Natürlich kann auch die Effizienz in der
Herstellung nachwachsender Rohstoffe schlecht werden, wenn wir nicht nachhaltige Rohstoffe verwenden, aber da haben wir noch die Chance, dieses zu verhindern.
Wir können eine ökologische Landwirtschaft angehen. Wir brauchen sie für die Lebensmittel und wir brauchen sie auch für die nachwachsenden Rohstoffe. Und wenn
wir dieses Ziel formulieren, dann haben wir einen Ausweg aus dem Dilemma. Deshalb ist für mich unverzichtbar eine Strategie hin zu nachwachsenden Rohstoffen,
auch für die Chemie und im energetischen Bereich unter Beachtung all der anderen
klassischen Umweltinstrumente.“
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Zusammenfassung und Ausblick
Sylvia Kotting-Uhl, umweltpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von
Bündnis 90/Die Grünen
Abschließend dankt Sylvia Kotting-Uhl, umweltpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, den Teilnehmern für die fruchtbare
Debatte, für wertvolle Hinweise und Kritik zur geplanten Ressourcenabgabe.
„Danke für spannende Debatten unter Ihrer Beteiligung. Danke für Ihre Hinweise
und Kritik zu dem heute vorgestellten Konzept unserer Wertstoffverordnung. Ich hatte mir bewusst KritikerInnen des Konzepts eingeladen, weil wir nur besser werden
können, wenn die Kritik bei uns ankommt und wir in die direkte Auseinandersetzung gehen. Ich stelle fest, dass wir uns im Ziel einig sind: Ressourcenverknappung
und die Bedingungen des Klimawandels verlangen, dass wir über die anstehende
Veränderung der Energieversorgung hinaus denken. Ressourcenschonung und eine
echte Kreislaufwirtschaft sind das Gebot der Stunde. Ich danke Ihnen für das einhellige Lob, dass wir Grünen mal wieder die Ersten sind, die das Gebot der Stunde
erkennen, es auf die Tagesordnung setzen und sich an die Entwicklung geeigneter
Instrumente machen. Bei aller Einigkeit im Ziel war das grüne Instrument der Ressourcenangabe heute durchaus umstritten. Das ist gut so, denn es zeigt mir, wo wir
eventuell noch nacharbeiten müssen, wo es aber auch nur einer Schärfung oder Erklärung bedarf. Da ist zum Beispiel der angenommene Gegensatz zwischen einer
Kohlenstoff-Steuer die „vorne“ ansetzt, wie sie Professor Schmidt-Bleek befürwortet,
und unserer Ressourcenabgabe, die „hinten“ ansetzt. In der Zielrichtung ist dieser
Gegensatz nicht vorhanden. Im Gegenteil. Die Wertstoffverordnung setzt beim Abfall an, und das ist richtig, weil der Kreislaufgedanke den entstehenden Abfall nun
mal nicht außer Acht lassen kann. Aber sie zielt nicht auf die Entsorgungswirtschaft
– sie zielt auf die Produktion. Wir brauchen andere Produkte, wenn wir beim Ziel der
Ressourcenschonung vorankommen wollen. Wir brauchen eine neue Definition von
Produktverantwortung, die den Gedanken der Recycelbarkeit, der Kreislauffähigkeit
bereits bei der Produktion zum Maß hat. Und da reicht es eben nicht, eine Steuer auf
die verwendeten Materialien zu erheben, um deren möglichst sparsamen Einsatz zu
befördern. Ressourceneffizientes Wirtschaften ist eine wichtige Zielrichtung, aber
eben nur die eine Hälfte dessen, was das Ziel Ressourcenschonung braucht. Die
zweite Hälfte ist die Beendigung der immer noch weit verbreiteten Praxis Wertstoffe
im Müll und letztlich der Verbrennung dem Kreislauf zu entziehen, weil sie in nicht
kreislauffähigen Produkten verarbeitet wurden. Wir brauchen ein marktwirtschaftliches Instrument, das Produzenten einen ökonomischen Vorteil für ökologische
Produkte garantiert. Unter ökologisch verschärften Bedingungen müssen die Ökosteuern der Zukunft so gestaltet sein, dass Wirtschaft und Verbraucher sich ihnen
entziehen können, sie beharrlich ökologisch untragbares Verhalten aber deutlich
verteuern. Die Ressourcenabgabe ist ein solches Instrument. Unser heutiger Kongress mit all seiner Kritik und seinen Befürchtungen, aber auch seinem Zuspruch
zum Instrument Ressourcenabgabe bestätigt mich darin, an unserem Konzept einer
Wertstoffabgabe festzuhalten und damit weiter in die öffentliche Debatte zu gehen.
Noch ein Wort an die kritischen Stimmen: Wenn wir uns im Ziel einig sind und auch
darin, dass es mit Zielvereinbarungen nicht getan ist, sondern dass Instrumente
gebraucht werden, dann bieten Sie mir ein besseres als die grüne Wertstoffverordnung. Ich gehe gern in einen Wettstreit der Instrumente.“
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Der grüne Ressourcenkongress - Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion - 04/2008
Anhang:
Eckpunkte einer grünen Wertstoffverordnung
Fraktionsbeschluss vom 11.12.2007
Die Verpackungsverordnung hat seit ihrer Verabschiedung im Jahr 1991 unbestritten
viel erreicht. Durch das Gebot zur Getrenntsammlung von Abfällen wurde in der
Bevölkerung das notwendige Bewusstsein geschaffen, dass Abfälle wertvolle Rohstoffe sein können, die es wiederzugewinnen gilt. Die Einführung von Lizenzgebühren hat zumindest in der Anfangszeit dazu geführt, dass der Materialverbrauch für
Verpackungen reduziert wurde. Die Vorgabe zur Sammlung und Verwertung von
Verpackungsabfällen hat auch dazu beigetragen, dass eine technische Entwicklung
angestoßen wurde, die es heute ermöglicht mit vollautomatischen Sortieranlagen
sehr sortenreine Materialien aus beliebigen Abfallgemischen zurück zu gewinnen.
Seit der Verabschiedung der Verpackungsverordnung sind inzwischen über 15 Jahre
vergangen. Eine Lenkungswirkung der Lizenzgebühren ist nicht mehr feststellbar.
Im Gegenteil, Verpackungen werden wieder aufwändiger gestaltet und unter Produktverantwortung wird nicht die Verantwortung für die Produktion eines ressourcen- und umweltschonenden Produktes verstanden, sondern lediglich die Entrichtung einer Entsorgungsgebühr. Der „Grüne Punkt“ ist damit zur Bremse einer ökologischen Weitentwicklung der Ressourcen- und Abfallpolitik geworden. Die Verpackungsverordnung und die damit verbundene Einführung des Grünen Punktes hat
weit mehr wirtschaftliche als ökologische Auswirkungen gehabt. DSD und Grüner
Punkt haben seit ihrer Einführung erheblich dazu beigetragen, dass der Niedergang
regionaler Verpackungs- und Entsorgungskreisläufe beschleunigt wurde die keinen
Grünen Punkt trugen. Erst der Grüne Punkt machte es möglich, dass bis dahin für
regionale Rücknahmesysteme benötigte Laden- und Verkaufsflächen für neue Produkte frei geräumt werden konnten. Dem Konzentrationsprozess im Handel wurde
Vorschub geleistet und das Konstrukt der Verpackungsverordnung erwies sich als
mit-telstandsfeindliches Instrument.
Darüber hinaus war und ist die Sammlung von Verpackungen durch Duale Systeme
durch zwei system-bedingte Schwächen gekennzeichnet.
1. Von den Dualen Systemen wird nicht nach Materialen lizenziert und gesammelt,
sondern nach der Herkunft als Verpackung. Bürgerinnen und Bürgern erschließt sich
nicht immer, was in die „gelbe Tonne“ oder den „gelben Sack“ gehört und was nicht.
So trägt zwar eine Verpackung aus Papier einen grünen Punkt, darf aber meist nicht
in die „gelbe Tonne“, die Sammlung von Papier erfolgt stattdessen über die kommunale Wertstoffsammlung. Doch auch die Kunststoffsammlung folgt nicht dem
„gesunden Menschenverstand“. Eine Kunststoff-Flasche, die als Verpackung diente,
trägt den grünen Punkt und wird erfasst, eine Schüssel aus demselben Material unterliegt dagegen nicht der Produktverantwortung und muss bisher im Restmüll entsorgt werden. Die 5. Novellierung der Verpackungsverordnung hat hier einen halb
richtigen, weil halbherzigen Schritt gemacht. Die Kommunen sollen künftig „stoffgleiche Nichtverpackungen“ in der gelben Tonne mitsammeln lassen können, wenn
sie dann die dann eigentlich dafür fälligen „Lizenzgebühren“ übernehmen. Bei diesem Konzept ist von Produktverantwortung nicht die Rede – nicht einmal in der ausgehöhlten Form der Lizenzgebühren durch den Hersteller.
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2. Es gibt keine Anreize, Abfälle zu vermeiden und Rohstoffe in echte Kreisläufe zu
führen. Aus Verpackungsabfällen werden in der Regel nicht wieder Verpackungen
produziert. Stattdessen geht es in die Abwärtsspirale eines „Downcycling“, an dessen Ende ein gegenüber dem Ausgangsprodukt minderwertiges Produkt steht. Bestenfalls haben wir hier eine Kreislaufwirtschaft auf Zeit.
Die Frage des Ressourcenschutzes hat heute gegenüber 1991 an Gewicht gewonnen.
Die Welt hat sich dramatisch verändert, die bevölkerungsreichsten Volkswirtschaften unserer Erde erfahren eine rasante wirtschaftliche Entwicklung, Ressourcen
werden weltweit knapper. Es ist deshalb höchste Zeit für eine kritische Bilanz des
Bestehenden und die Weiterentwicklung der Abfallpolitik zu einer echten Ressourcenpolitik. Die Bundesregierung beschäftigt sich dagegen mit der Frage welcher
Müll Selbstentsorgern und welcher den Dualen Systemen gehört.
Grüne Kritik am derzeitigen System der Verpackungssammlung und -Verwertung
• Deutschland leistet sich mit dem Dualen System inzwischen eines der teuersten
Systeme zur Sammlung und zum Recycling von Verkaufsverpackungen in Europa,
ohne dass dabei am Ende im selben Verhältnis bessere Ergebnisse stünden. Die
durch das DSD verursachten Kosten beliefen sich im Jahr 2004 auf insgesamt rd. 1,58
Mrd. €. Damit werden gerade einmal 5 % des in Deutschland relevanten Abfallaufkommens entsorgt. Zur Entsorgung gefährlicher Abfälle wird in Deutschland dagegen nur ein Bruchteil der Mittel aufgewendet, die derzeit in die Sammlung und Verwertung von Verpackungen gehen.
• Die bisherige Beschränkung der Produktverantwortung auf Verpackungen ist ökologisch und ökonomisch nicht sinnvoll, so genannte stoffgleiche Nichtverpackungen
(z.B. Schüsseln oder Spielzeug) bestehen genauso aus Rohstoffen, die es effizient
einzusetzen und zurückzugewinnen gilt. Die Produktverantwortung muss ausgeweitet und lenkungswirksam ausgestaltet werden.
• Die Sammlung und Verwertung von Verpackungen durch ein Duales System konnte ökonomisch nur in Monopolstellung funktionieren. Echter Wettbewerb wird nicht
funktionieren, solange die grundsätzliche Struktur nicht geändert wird. Das aber
leistet die 5. Novellierung der Verpackungsverordnung nicht.
• Die derzeitige Unterscheidung – Verpackungen, die bei privaten Endverbrauchern
anfallen, unterliegen der Produktverantwortung, solche die bei gewerblichen Stellen anfallen aber nicht - ist weder ökologisch sinnvoll noch praktikabel. Wertstoffe
sind Wertstoffe, ganz gleich ob sie gewerblich oder privat genutzt wurden.
• Das System der Verpackungsverordnung ist ökologisch wie ökonomisch grundlegend zu überarbeiten. Die mit der 5. Novellierung vorgenommenen Korrekturen am
derzeitigen System führen lediglich zu Verschiebungen bei den Mengenströmen,
bringen aber keinen ökologischen Vorteil. Die bisherigen Lizenzgebühren sind zum
Ablasshandel geworden und keine Produktverantwortung im Sinne einer Verbesserung der Recyclingfähigkeit von Produkten. Wirkliche Produktverantwortung muss
den Gedanken der Kreislaufwirtschaft bereits in die Produktion der Waren integrieren. Solche notwendigen ökologischen Innovationen werden mit der derzeitigen
Verpackungsverordnung nicht erreicht.
• Es macht wenig Sinn ein System rechtlich und ökonomisch weiter zu verstetigen,
das bei vergleichsweise hohen Kosten nur noch sehr wenig ökologischen Nutzen
bringt. Stattdessen müssen wir angesichts der globalen Herausforderungen im Zusammenhang mit unserer zukünftigen Rohstoffversorgung die Abfallwirtschaft
grundlegend modernisieren.
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Weiterentwicklung zur Ressourcenpolitik durch eine Wertstoffverordnung
Wer Abfallpolitik wirklich als Ressourcenpolitik versteht, der muss dafür sorgen,
dass mehr Rohstoffe in den Wirtschaftkreislauf zurückkommen können. Anstelle
einer Rumflickerei am bestehenden System ist es an der Zeit die überholte Verpackungsverordnung abzuschaffen und durch eine ökologisch sinnvolle Wertstoffverordnung zu ersetzen. Eine solche neue Wertstoffverordnung definiert und regelt
• was als Wertstoff anzusehen ist,
• welche Recyclingquoten für einzelne Wertstoffe zu erfüllen sind und
• die Organisation und Aufgaben einer neu zu schaffenden, öffentlich rechtlich organisierten Ressourcenagentur die statt Lizenzgebühren eine echte Ressourcenabgabe erhebt.
Das Konzept der Wertstoffverordnung
Die Wertstoffverordnung übernimmt bewährte Elemente der Verpackungsverordnung, erweitert aber den Wertstoffbegriff und schafft mit einer Ressourcenagentur
eine transparente unabhängige Institution, die den Rahmen für einen funktionierenden Wettbewerb vorgibt. Die Wertstoffverordnung ist durch die folgenden Eckpunkte gekennzeichnet:
Ausweitung der Produktverantwortung auf alle Wertstoffe
• Wertstoffe im Sinne der Verordnung sind alle Materialen wie Metalle, Kunststoffe,
Glas und Papier. Perspektivisch erfasst die Wertstoffverordnung daher alle Produkte.
• Die Wertstoffverordnung soll Vorgaben für das Erreichen von bestimmten Recyclingquoten machen; in welcher Art die haushaltnahe Erfassung erfolgt, jedoch offen
lassen. So soll es den Kommunen vor Ort überlassen werden, wie sie die Wertstoffe
erfassen wollen. Bisher durchgeführte Untersuchungen zeigen, dass die Bedingungen vor Ort dafür entscheidend sind, ob es ökologisch zielführender ist, die vollständige Trennung in den Haushalten durchführen zu lassen oder sie anschließend
maschinell vorzunehmen.
Ablösung der Dualen Systeme durch eine öffentlich rechtliche Ressourcenagentur
• Eine neu zu schaffende, öffentlich rechtlich organisierte Ressourcenagentur soll
die Ressourcenabgabe erheben und die Höhe nach ökologischen Kriterien ermitteln.
Die Ressourcenabgabe wird perspektivisch auf alle Produkte erhoben – unabhängig
davon, ob sie in den gewerblichen oder privaten Bereich gehen. Die Ressourcenagentur ist zudem für den Finanzausgleich bei der Sammlung und Verwertung der
von der Verordnung erfassten Wertstoffe zuständig. Sie legt außerdem die Kriterien
(vor allem ökologische und soziale Standards) für die Sammlung und Verwertung
der Wertstoffe fest. Die öffentlich rechtliche Organisationsform schafft Transparenz
und die Möglichkeit der öffentlichen Kontrolle. Die Ausschreibung der Sammlung
und Verwertung der haushaltsnah anfallenden Wertstoffe geht von den Dualen Systemen in den Verantwortungsbereich der Kommunen oder der entsorgungspflichtigen Gebietskörperschaften über, die dann entsprechend den Kriterien der Ressourcenagentur ausschreiben.
Die Einführung einer Ressourcenabgabe ersetzt die bisherigen Lizenzgebühren
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• Eine Lenkungswirkung hin zu weniger Ressourcenverbrauch und besserer Recyclebarkeit wird nur über den Preis gelingen. Die bisher von den Dualen Systemen für
Verpackungen erhobenen Lizenzgebühren werden deshalb in eine Ressourcenabgabe umgewandelt und auf alle Produkte die Wertstoffe enthalten ausgeweitet. Die
Höhe richtet sich nach Art und Menge des verwendeten Materials, seiner Recyclingfähigkeit und nach seinem Vorkommen im Hausmüll. In der Praxis wird so für ein
schweres Verbundmaterial eine höhere Ressourcenabgabe fällig als für ein leichtes
Produkt aus nur einem reinen Kunststoff. Im Handel wird sich also ein ökologisch
nachteiliges Produkt von kurzer Haltbarkeit gegenüber einem haltbaren aus gut
recyclebarem Material deutlich verteuern. Für ein unverwüstliches Produkt dagegen, das ewig hält und nicht im Abfall auftaucht, wird keine Ressourcenabgabe fällig.
• Die Höhe der Ressourcenabgaben wird jährlich von der öffentlich rechtlichen Ressourcenagentur festgesetzt. In die Höhe der Abgabe gehen mehrere Aspekte ein:
1. Das Vorkommen im Abfall: mittels einer regelmäßigen Abfallanalyse wird feststellt, in welchem Anteil das jeweilige Produkt oder die Produktgruppe im Abfall
vorkommt. Hohes Aufkommen führt zu einer hohen Abgabe.
2. Das verwendete Material: Die Verwendung von Primärrohstoffen führt zu einer
hohen Abgabe und verteuert das Produkt, die Verwendung von Sekundärrohstoffen
macht es dagegen billiger.
3. Die Recyclingfähigkeit: Je aufwändiger und die Umwelt belastender es ist, den
Rohstoff zurück zu gewinnen, umso höher wird die Abgabe. Ist z.B. ein Produkt aus
mehreren unterschiedlichen Materialien oder Kunststoffarten zusammengesetzt, die
sich nicht oder nur schwer trennen lassen, erhöht sich die Abgabe.
4. Der Marktwert des Sekundärrohstoffes: Lässt sich der aus dem Abfall gewonnene
Rohstoff vermarkten, verringert sich die Ressourcenabgabe entsprechend.
• Diese Ressourcenabgabe wird jeweils in der von der Ressourcenagentur aufgrund
ihrer Erhebung festgesetzten Höhe von Herstellern und Importeuren an die Ressourcenagentur entrichtet und gilt somit für alle vertriebenen Erzeugnisse, ob sie aus
deutscher, europäischer oder fernöstlicher Produktion stammen. Plunder, gefertigt
aus billigem PVC mit kurzer Haltbarkeit, wird so deutlich teurer, da er in hoher
Menge im Abfall nachgewiesen werden kann und das verwendete Material nur
schlecht recyclebar ist. Qualitätsware bekommt dagegen einen ökonomischen Vorteil. Für neu in den Markt kommende Produkte wird zunächst auf Basis vorhandener
Erfahrungen mit ähnlichen Produkten ein Wert angenommen bis Erfahrungen mit
dem neuen Produkt vorliegen.
• Eine Ressourcenabgabe die Hersteller und Importeure leisten hat den Vorteil, dass
sie nicht ausschließlich inländische oder europäische Produkte durch zusätzliche
Steuern und Abgaben belastet, sondern alle Produkte die hier verkauft werden. Es
gibt also keine Wettbewerbsnachteile für hiesige Produzenten und Öko-Dumping
rechnet sich nicht.
• Die Ressourcenabgabe wird nur solche Produkte verteuern, die Ressourcen verschwenden. Andere können sogar billiger werden, da sich bei entsprechender Ressourcen schonender Produktgestaltung die Abgabe gegenüber der bisher an das
DSD zu zahlenden Lizenzgebühr deutlich verringert oder sogar ganz entfallen kann.
• Die Einführung einer Ressourcenabgabe wird sicher nicht ohne einen gewissen
bürokratischen Aufwand umzusetzen sein. Auch die bisher erforderliche Lizenzierung von Verpackungen bei den Dualen Systemen ist mit bürokratischem Aufwand
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für Hersteller und Handel verbunden. Internet-basierte Datenverarbeitungssysteme
können den erforderlichen Aufwand deutlich reduzieren. Die Wertstoffverordnung
macht außerdem andere bislang erforderliche Rechtsvorschriften wie etwa die Gewerbeabfallverordnung künftig überflüssig.
Die Getrenntsammlung bleibt erhalten
Die Abkehr von der Verpackungsverordnung bedeutet nicht, dass die derzeit in
Deutschland mit hoher Zustimmung in der Bevölkerung praktizierte Getrenntsammlung überflüssig würde. Im Gegenteil, gut funktionierende Getrenntsammelsysteme
wie etwa für Glas, Papier, Bioabfälle oder Textilen bleiben nicht nur erhalten, sondern sollen weiter ausgebaut werden. Lediglich das bisher auf einen Teil des Verpackungsaufkommens beschränkte Sammelgefäß in Form der gelben Tonne oder
des gelben Sacks würde in seiner jetzigen Form überflüssig.
Die Ressourcenabgabe kann perspektivisch mindestens einen Teil der Abfallgebühren ersetzen
• Die Ressourcenabgabe kann mittel- bis langfristig weitgehend die bisher von den
Kommunen erhobenen Abfallgebühren ersetzen. Die Kommune erhält zukünftig zur
Finanzierung ihrer Aufgaben Mittel aus den durch die Ressourcenagentur erhobenen Ressourcengaben. Da sich diese Mittel nach Material und Menge richten, entsteht auch bei den öffentlich rechtlichen Entsorgungs-trägern ein stärkerer Anreiz
als bisher Effizienzpotenziale in der Abfallbehandlung auszuschöpfen und eventuell
vorhandenen Überkapazitäten abzubauen. Dies ist ökologisch und ökonomisch gleichermaßen sinnvoll.
Die Selbstentsorgung bleibt erhalten
• Die Selbstentsorgung von Wertstoffen soll nicht nur weiterhin möglich sein, sondern sogar gefördert werden. Denn hat ein Hersteller gar keine andere Wahl, als
sich an einem kollektiven Rücknahmesystem zu beteiligen, entfällt für ihn ein
grundsätzlicher Anreiz recyclingfreundliche Produkte zu entwickeln und zu vertreiben. Wer sein eigenes Material dagegen zurückbekommt und es wiederverwerten
will, hat einen großen Anreiz seine Produkte recyclingfreundlich zu gestalten.
Selbstentsorgung heißt aber nicht wie bisher grundsätzliche Befreiung von der
haushaltsnahen Erfassung, sondern lediglich Befreiung von der Ressourcenabgabe
für den tatsächlich selbst zurück genommenen Anteil. Je mehr also vom Selbstentsorger zurückgenommen wird, desto geringer sind die noch an die Ressourcenagentur für die in der haushaltsnahen Erfassung zu zahlenden Ressourcenabgaben.
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Zukunft der heutigen Dualen Systeme
• Die bisher im Verpackungsmarkt aktiven Dualen Systeme können sich zukünftig
entweder selber um Sammlung und Verwertung bewerben oder als Dienstleister
agieren, indem sie z.B. gegen Gebühr vorhandene Marktkapazitäten zusammenführen und bündeln.
Rolle der öffentlich/rechtlichen Entsorger bei der Wertstoffsammlung
• Die öffentlich rechtlichen Entsorger werden zuständig für den gesamten Bereich
der haushaltsnahen Erfassung von Wertstoffen. Sie entscheiden in welcher Form
die Sammlung vor Ort in den Haushalten durchgeführt wird und führen die Ausschreibungen für Sammlung und Erfassung von Wertstoffen durch.
Einwegpfand
• Die bisherigen Pfandregelungen für Getränkeverpackungen werden in die neue
Wertstoffverordnung integriert. Die nach wie vor vorhandene ökologisch unsinnige
Unterscheidung nach Getränkearten wird aufgehoben. Die Bepfandung von Einweg
soll künftig nur noch wertstoffabhängig erfolgen, also wird z.B. PET-Einweg pfandpflichtig, gleichgültig ob darin Saft oder ein Erfrischungsgetränk verkauft wird,
ebenso Glaseinweg, auch bei Wein und Spirituosen.
Biokunststoffe / BAW
• Auch Biokunststoffe auf der Basis nachwachsender Rohstoffe und biologisch abbaubare Werk-stoffe (BAW) unterliegen nach Ablauf der bislang in der Verpackungserordnung vorgesehenen Übergangsfrist der neuen Wertstoffverordnung.
Auch wenn sie auf Grund ihres regenerativen Kohlenstoffs gegenüber konventionellen Kunststoffprodukten echte Kreislaufprodukte sind und deshalb bei der Gestaltung der Ressourcenabgabe gegenüber diesen deutlich besser gestellt werden,
muss auch bei der Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen der Effizienzgedanke
eine zentrale Rolle spielen und Anreize zur Wiederverwertung von Material gesetzt
werden.
Organische Abfälle
• Begleitend zur Wertstoffverordnung wollen wir die Biotonne flächendeckend einführen, damit einerseits die Wertstoffgewinnung vereinfacht wird und andererseits
mit der Biotonne eine erneuerbare Ressource zur Energieerzeugung bereitsteht. Eine
solche Nutzung erfolgt bisher nicht im notwendigen und sinnvollen Umfang.
Europäische Perspektive
• Unser Ziel ist es, dieses System der Wertstofferfassung auf den gesamten europäischen Binnenmarkt auszudehnen.
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