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Schillers Tod und Begräbnis 1805
Im Zusammenhang mit den 2008 erfolgten Forschungen bezüglich Schillers
Exhumierung trat auch der Jakobskirchhof in Weimar wieder erneut ins Rampenlicht.
Dieser Friedhof war von 1530 bis 1818 die einzige offizielle Begräbnisstätte der Stadt
Weimar.
Auch Schiller, an dessen 250. Geburtstag wir in diesem Jahr besonders denken,
fand seine erste Ruhestätte auf diesem Friedhof und zwar im dortigen sog.
„Kassengewölbe“.
Das war eine Sammelbegräbnisstätte vorwiegend für Personen von Stand und
Adel, die nicht ausreichend finanzielle Mittel für ein aufwendiges Erbbegräbnis
besaßen.
Zu Beginn des 18. Jahrhunderts ließ ein Finanzbeamter ursprünglich dieses
Erbbegräbnis im Kassengewölbe für sich und seine Verwandtschaft anlegen. Nach
mehreren Eigentumswechseln fanden in diesem Gebäude ab 1755 Bestattungen bis
5. März 1823 statt.
Die bedeutendste Bestattung im Kassengewölbe war die von Friedrich von Schiller
in der Nacht vom 11. zum 12. Mai 1805. Anna Amalia hatte angeordnet, dass die
Bestattungen von „Personen von Stand“ nachts erfolgen, „damit keine Gaffer
dastehen“. Normalerweise trugen Vertreter der Zünfte die Särge durch die Stadt bis
zum Kassengewölbe. In jener Nacht hatte die Zunft der Schneider Tragedienst.
Advokat Carl Schwabe, ein Freund Schillers und der spätere Bürgermeister von
Weimar, holte eine Ausnahmegenehmigung ein und überzeugte die Freunde, sich
nachts um halb eins in seiner Wohnung im Parterre der Rittergasse zu treffen und
die Tragedienste selbst zu übernehmen. „Das Licht, das im Fenster stehen soll, wird
denen, welchen meine Wohnung noch unbekannt ist, solche anzeigen.“ Er wies in
seinem Brief an die Freunde auf die Kleiderordnung hin, die für solche Zwecke üblich
war: Trauerhüte, Flöre, Mäntel. „Zur Ordnung gehört, wenn ich nicht irre, dass wir
weiße Handschuhe tragen.“ Studenten mit Fackeln begleiteten den Trauerzug. Es
war eine mondhelle Mainacht mit einzelnen Wolken, als sich der Trauerzug von der
Esplanade den Weg durch die lautlose Stille bahnte. „Das ‚Schillerhaus’ war sonst
dunkel und still, nur ab und an drang bitterliches Weinen und Schluchzen daraus
hervor in die schweigevolle Nacht.“ Die fünf Totengräber und drei Gehilfen, die sich
abwechselten sowie 12 bis 13 Trauergäste folgten (unter ihnen Prof. Heinrich Voß,
Dr. Philologe Friedrich Wilhelm Riemer, Bildhauer Gottlob Martin Klauer, Dr.
Kanngießer, Prof. Ferdinand Jagemann, Bildhauer Karl Gottlieb Weißer) dem Sarg.
Die Esplanade lag verlassen, die Stadt schlief fest. Der Trauerzug bewegte sich über
die Esplanade bis zum inneren Frauentor über den Markt, vorbei am Rathaus und
am Töpfenmarkt die Jakobsgasse hinauf. Die Totengräber und ihre Gehilfen
erwarteten den Trauerzug am Kassengewölbe. Sie öffneten die Falltür und ließen
den Sarg an Seilen hinab. Der Mond brach kurz durch die vorrüberziehenden Wolken
wie ein letzter silberfeiner Gruß – dann war es wieder Nacht. Die Falltür schloss sich,
das Gitter senkte sich. Kein Trauergesang, kein Pfarrer war anwesend…
In den Erinnerungen des Sargtischlers standen noch einige bemerkenswerte
Aufzeichnungen: Tischlermeister Engelmann legte die Leiche persönlich mit in den
Sarg. Er wusste zu berichten, dass die Zeit drängte, weil die Leiche „schon sehr
übergegangen gewesen sei“. Möglichste Kostenersparnis spielte bei der
Sargherstellung eine Rolle, so dass nur ein einfacher Sarg aus Fichtenholz zur
Ausführung kam. Für das sonst übliche Namensschild war schon kein Geld mehr da.
Tischlermeister Engelmann wies darauf hin, dass bei so einem einfachen Sarg
angesichts des unbelüfteten, fäulnisträchtigen Gewölbeklimas eine kurze
Erhaltungsdauer sich von selbst erklärt.
Zu jener Zeit nahmen nur männliche Personen an den Beisetzungen teil.
Verwandte von Schiller waren anfangs nicht zugegen. Erst kurz bevor der Sarg in die
Gruft gesenkt wurde, sprengte ein Reiter heran, es war Schillers Schwager
Geheimrat Wilhelm von Wolzogen. Er hatte in Naumburg die Todesnachricht
erhalten und in grenzenloser Hast versucht, die Beisetzung noch zu erreichen. Um
diesen letzten „gespenstischen Gast“ rankten sich noch lange mystische Legenden.
Goethe nahm nicht an der Bestattung teil. Auch bei der offiziellen Trauerfeier am
Nachmittag des 12. Mai 1805 fehlte er. Generalsuperintendent Vogt hielt die
Trauerrede und erteilte den Segen. Die fürstlich-herzogliche Kapelle spielte
Passagen aus Mozarts Requiem. Die Kirche war überfüllt, viele Verehrer Schillers
standen noch vor den Toren. In auswärtigen Zeitungen stand geschrieben, dass es
„bei der Beerdigung des hochberühmten Mannes, welcher der deutschen Nation so
viel Ehre gemacht habe, zugegangen sei wie bei dem Begräbnis eines an der Pest
Verstorbenen...!!“ Schillers Angehörige hatten aber bewusst „ein einfaches Begräbnis
ohne alles Gepränge“ gefordert.
Nach Schillers Tod fertigte der Hofrat und Leibmedikus Dr. Wilhelm Ernst Christian
Huschke den vielbeachteten Sektionsbefund an. In elf Punkten schilderte der
Pathologe den genauen Zustand und Organbefund des toten Schillers. Zitat des
letzten Satzes: „Bei diesen Umständen muß man sich wundern, wie der arme Mann
so lange hat leben können.“ Schillers Ehefrau Charlotte hatte sich das Sammelgrab
des Kassengewölbes nie als endgültige Ruhestätte ihres Mannes gedacht. Ihr
Wunsch war es, neben ihm in einem Einzelgrab bestattet zu werden. Sie hoffte auf
eine Umbettung auf den Historischen Friedhof, den es aber 1805 noch nicht gab.
(Einweihung am 20. März 1818).
1809 fasste die Stadt den Beschluss zur Planung eines neuen Friedhofes, weil der
Jakobsfriedhof total überfüllt war. Bestattungen erfolgten seit dieser Zeit nur noch in
Reihengräbern entsprechend der Todesfolge. Am 20. März 1818, einem Karfreitag,
weihte die Stadt Weimar ihren neuen Friedhof vor den Toren der Stadt ein. Am 27.
Februar 1818 endete die Geschichte des Jakobsfriedhofes als offizielle
Begräbnisstätte der Stadt Weimar. Auch die Tage des Kassengewölbes als
Grabgruft waren gezählt. Die letzte Beisetzung fand am 5. März 1823 statt, es war
die der Hofdame Maria Pawlownas - Anna Dillon. (gest. 1. März 1823).
Schon vorher veranlassten besorgte Angehörige die Umbettung ihrer Lieben. So
überführten z.B. die Nachfahren der aus England stammenden Familie Gore die
Gebeine des Malers Charles Gore und seiner Tochter Elisa in die Jakobskirche. Ein
heller Sarkophag im Innenraum der Kirche erinnert bis heute daran.
Eine bedeutsame Zeit des Kassengewölbes brach im Frühjahr 1826 an. Der Sarg
mit den sterblichen Überresten Friedrich von Schillers sollte exhumiert werden.
Schwabe hatte sich um die sterblichen Überreste Schillers Sorgen gemacht, als das
Gerücht kursierte, das Kassengewölbe einer Aufräumung zu unterziehen. Deshalb
lud er für den 13. März 1826 nachmittags vier Uhr einen geeigneten Personenkreis
zu einer Beratung ein. Damit begannen die offiziellen umfangreichen Tätigkeiten zur
Exhumierung Schillers. Vom 17. bis 19. März arbeiteten viele Helfer an diesem
hochsensiblen Vorhaben. Schillers Freund (und auch Organisator des
Bestattungszuges) Carl Leberecht Schwabe bewahrte Aktenstücke und authentische
Mitteilungen über die Exhumierung auf. Sein Sohn Dr. Julius Schwabe gab sie 1845
als Buch heraus.1
1
Die Autorin verzichtet in diesem Zusammenhang auf weitere detaillierte Aussagen, da es zu diesem
Thema ungezählte literarische und journalistische Abhandlungen gibt. Die inzwischen eingeleiteten
und im Mai 2008 ausgewerteten, umfangreichen und äußerst aufwändigen DNA-Untersuchungen
runden diese Recherchen ab.
Die offizielle Überführung der vermeintlichen Schillergebeine erfolgte im
September 1826 in die Großherzogliche Bibliothek (die heutige Anna Amalia
Bibliothek), bevor sie am 16. Dezember 1827 in der Fürstengruft beigesetzt wurden.
Nachdem der Jakobsfriedhof nach seiner Schließung als Begräbnisstätte
zunehmend verfiel, besaß auch das Kassengewölbe keine Zukunft mehr. Trotz
verschiedener Vorstöße einer Bürgerbewegung gelang es Großherzog Carl
Friedrich, bis zu seinem Tode 1853 den Abriss des Kassengewölbes zu verhindern.
Am 21. März 1854 ordnete dann leider sein Sohn Großherzog Carl Alexander den
Abbruch an. Einen Stein aus dem Kassengewölbe sandte die Stadt Weimar zum
amerikanischen Nationaldenkmal nach Washington. Die drei Schlüssel des
Kassengewölbes überreichte Ministerialsekretär Zöllner als „Reliquie“ an
Oberbürgermeister Bock. Sie sollen sich im Schillerhaus in Weimar befinden.
Den Standort des Kassengewölbes nahm daraufhin ein schlichtes, mit Efeu
beranktes Beet ein. Eine Tafel in einem Mauerbogen wies darauf hin, dass hier
„Schillers erste Begräbnisstätte“ zu suchen ist. Historische Postkarten künden heute
noch von jener Stelle. Anfangs umgab noch ein kleiner Maschendrahtzaun dieses
Beet.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts zeigte es sich vielerorts und in vielen Situationen,
dass die Stadt Weimar den Abriss des Kassengewölbes bereute. Es tauchten feste
Absichten einer Neuerrichtung auf. Als 1913 erste Schritte dazu erfolgten,
durchkreuzte der Ausbruch des 1. Weltkrieges dieses Vorhaben. Erst im Jahr 1927
gelang eine Rekonstruktion des Kassengewölbes unter Berücksichtigung historischer
Bauunterlagen (offizielle Fertigstellung und Übergabe im Juli 1927).
Eine zweiflüglige schmiedeeiserne Gittertür im Barockstil gewährte den Einblick in
den kleinen Raum. Eine Steintafel kündet von der damaligen Bestattung Friedrich
von Schillers, ergänzt von einer Kopie der bekannten Dannecker-Büste. Auf zwei
weißen Sandsteintafeln an der Wand befinden sich weitere Namen der hier
Bestatteten.
Sehr bedauerlich ist es, dass nach der Wende 1989 Rückführungsansprüche
bezüglich des zweiflügligen Tores gestellt worden sind, denen stattgegeben wurde.
Dieses Tor gehört in der Erinnerung ungezählter Touristen aus aller Welt untrennbar
zum Kassengewölbe. Inzwischen gibt nur noch ein unwürdiges Streckmetallgitter mit
einem Baumarkt-Schloss den Blick ins Innere frei. Die alte, rudimentäre Robinie vor
dem Kassengewölbe ist in Teilen vermutlich noch ein Zeitzeuge des ursprünglichen
Originalbaues.
Über die Geschichte des Kassengewölbes vom Erwerb bis zum Abriss ist in der
historischen Literatur umfangreich geschrieben worden. Ausführliche Schilderungen
befinden sich zum Beispiel in dem Buch von Guido Schnaubert (1913).
Dipl.-Ing Hannelore Henze
Quellennachweis
Ludwig Bäte; Weimar – Antlitz einer Stadt; Gustav Kiepenheuer Verlag Weimar, 1970.
-
Hans Bauer; Schillers Beerdigung und die Aufsuchung und Beisetzung seiner Gebeine 1805 •
1826 • 1827, Nach Aktenstücken und authentischen Mitteilungen aus dem Nachlasse des
Hofrats und ehemaligen Bürgermeisters von Weimar Carl Leberecht Schwabe von Dr. Julius
Schwabe; Georg Kummer’s Verlag Leipzig.
-
WEIMAR Lexikon zur Stadtgeschichte; Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger Weimar, 1998.
-
Guido Schnaubert, AUS WEIMARS VERGANGENHEIT Die Hof- und Garnisonkirche zu St. Jacob
in Weimar und die Begräbnisstätten auf dem St. Jacobsfriedhof, Rudolf Buchmann Verlag
Weimar 1913.
-
Roland Dressler/Jochen Klaus, Weimarer Friedhöfe, Böhlau Verlag Weimar Köln Wien 1996.
-
Leonhard Schrickel, Weimar, Verlag für Volks- und Heimatkunde Weimar.
Langjähriges Tor bis nach der Wende, dann infolge von Rückführungsansprüchen entfernt
Nach Entfernung des ursprünglichen Tores Einsetzung eines würdelosen Wellgittertores aus
industrieller Herstellung